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Was ist Klischee? Ohne Klischee geht nichts!

Begonnen von Arielen, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Arielen

Ich weiß, ich sollte nicht so viele Threads auf einmal eröffnen, aber da ich das Wort stängig hier lese, habe ich eine Weile darüber nachgedacht.

Was ist eigentlich Klischee? Und liegt ein Klischee nicht im Auge des Betrachters/Lesers? IUm nur ein Beispiel zu nennen: Ist nicht für den einen Drachenlanze eine innovative Offenbarung, während der andere die gesamte Welt als grottiges Klischee bezeichnet?

Warum sind Artus-Romane so erfolgreich, die ständig die gleiche Geschichte herbeten? Warum sind immer die gleichen Themen erfolgreich, je nach Moderichtung und gesellschaftlicher Entwicklung leicht variiert? Warum wagen die Verlage so wenig? Wollen die meisten Leser eigentlich etwas anderes als Klischee?

Und ist im Prinzip nicht auch das Leben Klischee? Habt ihr euch mal mit offenen Augen in der Stadt umgesehen? Verhalten sich manche Leute nicht einfach so, wie man es von ihnen erwartet? Und fallen wir nicht immer wieder auf die gleichen Versprechungen herein?

Ich habe bei den Anthologien die Erfahrung gemacht, daß die Herausgeber sich tatsächlich immer die in meinen Augen klischeebeladenste Geschichte ausgesucht haben... "Der Weg der Wölfin" war nur eine der Geschichten, die ich damals G. Meyers zur Auswahl gab.
Und "Reijinara" kommt zugegebenermaßen hier nicht mehr so gut an, weil es mehr oder weniger veraltetes Sword & Sorcery Klischee ist, daß in den frühen 80ger Jahren begeistert hätte...

Was bedeutet das also für uns Autoren außer Verwirrung?



Alles liegt im Auge des Betrachters

Lomax

Tja, ich sage dazu immer: "Klischees sind meistens wahr"  ;D

OgerBoy

Klischees sind meiner Meinung nach etwas, das Charaktere überhaupt erst im Gedächtnis bleiben lässt. Der brummige Zwerg, der hochnäsige Elb und der lustige Kender oder der geheimnisvolle Waldläufer.
Solche Charaktere gefallen oder gefallen halt nicht.

Liegt immer im Auge des Betrachters.

Aber ich finde man kann mit diesen Klischees einfach aufräumen und zwar indem man einen Charakter erschafft und über ihn schreibt. Dann teilt man ihm einfach Charakterzüge zu die überhaupt nicht zu den Klischees passen und dann hat man einen wirklich interessanten Charakter.

Also sind Klischees doch zu etwas zu gebrauchen, nämlich um sich im umgegekehrten Sinne davon zu inspirieren lassen.



Lastalda

Was in der Hinsicht auch sehr interessant ist, einen Charakter zu erschaffen, der das Klischee auf den ersten Blick voll und ganz zu verkörpern scheint, und der erst beim genaueren Hinsehen sehr viel mehr Tiefe bekommt und am Ende gar nicht mehr in eine Schublade passt. Habe sowas mal in 1-2 Büchern gelesen (z.B. "Druidenblut" von esther Friesner, sehr zu empfehlen), und fand es absolut genial!

Lastalda

Arielen

Das denke ich irgendwie auch. Die Leute finden eine vertraut scheinende Person vor, dann ist sie aber doch etwas anders als man denkt, und das macht den Roman spannend.

Das ist wohl die Gradwanderung, die man als Autor heute machen sollte.
Alles liegt im Auge des Betrachters

Manja_Bindig

Ich glaube, es gibt zwei Genres, die extrem Klischeegepplagt sind: das eine ist das Manga-genre Shonen-ai, das andere unsere heißgeliebte Fantasy.
Wie aber entstehen denn Klischees?
Ich denke so: da kommt ein Tolkien, schreibt einen genialen, innovativen, nie dagewesenen Fatasyroman, komplett mit faszinierenden Figuren, einer voll ausgearbeiteten Welt, Historie und allem anderen Pipapo. Das Buch wird viel gelesen, etliche aufstrebende Jungautoren lassen sich inspirieren... und gewisse Elemente werden auf eine sehr verknappte Form reduziert, die sich jeder Depp merken kann und die vielleicht gerade deshalb extremen Anklang bei der Leserschaft finden. Klischees sind immer die folge von Klischeebruch; Tolkien und Co haben mit den Klischees ihrer Zeit gebrochen und durch ihre neuartigen Geschichten und Figuren Nährboden für neue Klischees geschaffen.
Klischees müssen nciht einmal etwas schlechtes sein, im Gegenteil, es tut ganz gut etwas Verstrautes in einem Buch zu haben, gerade bei Fantasy, wo man ja in eine relativ fremde welt gerät, die man mit den Protagonisten erkundet. Es komtm darauf an, in welchem Maße man sie einbringt und wie man sie umsetzt. Zu viele Klischees machen das Buch langweilig, weil man das alles schon vorhersehen kann. Aber ein, zwei wohlvertraute Elemente können einem im Gegenteil einen wahren hochgenuss bereiten(so war es jedenfalls bei mir und meiner geliebten "Schattengilde" von Lynn Flewelling).
Und die Umsetzung: da kommt es darauf an, ob man Parodien ala Terry Pratchett schreibt - da kann man so viele klischees nehmen wie man will und sie hemmungslos ausreizen, bis sie total lachhaft wirken. Bei "ernsthafter" Fantasy hingegen... wie gesagt, ein paar Klischees, die man bloß nicht übertreiben sollte - ich hab mal was gelesen, wo recht wenige drin waren, zudem hatte es eine gute Handlung - aber die weniges klischees waren dermaßen dick aufgetragen, dass es mir die Freude am Lesen genommen hat.

Ach ja, noch etwas: es ist UNMÖGLICH, heute noch eine völlig neue Geschichte mit ganz neuen Elementen zu schreiben; wir alle werden von unseren Lieblingautoren inspiriert und beeinflusst(und ich binfroh drüber; wo wäre ich heute ohne Tolkien, Lynn Flewelling und Marion Zimmer Bradley?)

Lastalda

Heute noch? Ich wage zu behaupten, dass das schon immer so war, zumindest so lange es Romane gibt (die ersten Romane waren dann eben von nicht-aufgeschriebenen Lieblingsgeschichten beeinflusst). Ist doch normal, oder?

Schade finde ich es aber, wenn Fantasy auf Herr der Ringe und die davon abgeleiteten Werke reduziert wird. Denn es gibt durchaus Fantasybücher, die rein gar ncihts mit solchen Büchern zu tun haben, außer vielleicht, dass sie in einer erfundenen Welt spielen und eben romanelemente enthalten.

Lastalda

Lomax

Zitatheute noch eine völlig neue Geschichte mit ganz neuen Elementen zu schreiben;

Ich hoffe doch sehr, dass das nicht so ist. Vielleicht kann man keine völlig neue Geschichte ohne schon verwendete Elemente schreiben; aber die eine oder andere noch nie da gewesene Facette sollte man einem Thema schon abgewinnen können.

Zumindest sollte ein Autor davon überzeugt sein, dass er das schafft. Denn ich habe schon viele Autoren getroffen, die der Ansicht waren, ihr Werk wäre toll und neu - und wenn man es gelesen hat, fand man doch nur Altvertrautes. Aber ich habe noch nie etwas Originelles von einem Autor gesehen, der schon von vorneherein der Ansicht war, es wäre alles schon mal dagewesen. Wenn also schon der Autor selbst der Ansicht ist, er könne nichts Neues bringen, dann ist das meist ein schlechtes Zeichen.

Ich habe daher das Gefühl, diese Einstellung lähmt die Kreativität; und sie verleitet dazu, sich die Sache zu leicht zu machen, zu schnell aufzugeben und zu früh zufrieden zu sein. Logisch, man geht ja schon mit einer Entschuldigung ins Rennen. Wie soll man sich da einen vernünftigen Platz erkämpfen?

Manja_Bindig

Ich habe gesagt, dass es unmöglich ist, eine TOTAL neue Geschichte zu schreiben, wo echt noch GAR nix vorher da gewesen ist. Die ein oder andere neue Facette auszuschließen hab ich nie gesagt(oder?). Und das ist es auch, was ich selbst von einem guten Autor erwarte- auch eine Überraschung einzubauen, mit der man echt nicht gerechnet hat. (Und hoffentlich gelingt MIR das).
Ich hab mich nur dagegen ausgesprochen, dass es heutzutage einige bücher gibt, die so klischeeüberladen sind, dass sie zum einschlafen sind(also noch langweiliger als Effi Briest *sich schüttel*). Auf der anderen Seite sollte man den Gedanken, nur ganz und ganz und gar eigene Ideen zu verwenden, die von gar nix beeinflusst sind, verwerfen. Wir werden schließlichzum Großteil durch andere Autoren inspiriert, also von ihnen beeinflusst(glaubt mir - ich bin froh drüber)

Zu Tolkien:
Auch Tolkien hat mit dem Herrn der ringe was extrem Neues geschaffen - es war neu, Fantasy zu schreiben, aber er hat sich seine Ideen aus den Volksmärchen geholt. Indirekt hat er sozusagen dafür gesorgt, dass ein Teil von den Märchen erhalten bleibt, auch wenn sie vergessen werden(man merkt, dass ich übermüdet bin, was?)

Also, ich hoffe, es ist alles geklärt und alle missverständnisse ausgeräumt.

Lomax

ZitatAuch Tolkien hat mit dem Herrn der ringe was extrem Neues geschaffen - es war neu, Fantasy zu schreiben, aber er hat sich seine Ideen aus den Volksmärchen geholt.

Tolkien hat eine ganze Menge "geklaut", vor allem aus der nordischen Sagenwelt - bis hin zu den Eigennamen ;) Er wollte sich ja bewusst in diese Tradition stellen; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man in dieser Hinsicht eigentlich nicht so viel Neues bei ihm findet.

Auch Fantasy an sich war zu Tolkiens Zeiten nichts Neues. Es gab durchaus schon reine und moderne Fantasy, wenn auch eher in Richtung "Sword & Sorcery" a la Conan und nicht so episch. Aber im Grunde genommen hat er das Genre nur um neue Facetten erweitert, aber die moderne Fantasy nicht allein begründet.

Also fällt es gerade bei Tolkien schwer zu sagen, was an seinen Geschichten das originär Neue war. Vermutlich war es eher die Art, wie er seine Geschichte entstehen ließ, als das Werk an sich. Oder es war gerade diese Vermischung zwischen Sage und modernem Roman ... Aber tatsächlich erwischt mich Tolkien auf dem falschen Fuß, denn da fällt es mir wirklich schwer, den Finger auf die "originär neue Facette" zu legen  :)

Manja_Bindig

Ich denke(und hier spricht ein waschechter Marion Zimmer-Brasley-Fan), wenn man nach einer sehr neuen Richtung Fantasy sucht, landet man früher oder später bei meiner Lieblingsautorin.
Sie war eine der ersten, die Fantasy und Science Fiction so gekonnt vermischt hat(Darkover-Zyklus). zu der Zeit, als ihr "Licht von Atlantis" zum ersten mal erschien, war es extrem ungewöhnlich, den Untergang des Seekönigreiches nciht selbst zu bschreiben, sondern das nur am Rande und ziemlich am Ende anzudeuten - Frauen als starke, selbstbewusste und mächtige Handlungsträger war ja ohnehin... außerdem glaube ich, dass ich kaum ein anderes Buch gelesen habe, dass eine einzelne Kaste so genau beschreibt und dennoch das üblich mysteriöse an der Priesterkaste lässt. (Licht von Atlantis, die Avalon-Bücher...)
Außerdem... ihr zirkusroman "Trapez" fiel ja uach aus der Rolle... wer wissen will warum: lesen. *Schleichwerbung*

Eines will ich sagen, ehe es wieder zu Missverständnissen kommt: Frau Zimmer Bradley hat keine ganz extrem neuen Handlungsmotive entworfen - Atlantis, Troja und König Artus, das wurde schon zum erbrechen oft (nach)erzählt. Aber sie hat es auf eine neue Art erzählt - ich glaube vor ihr gab es keine Geschichten über Artus, wo Morgaine le Fay im Vordergrund stand. Und auch ihre weiblichen Hauptfiguren sind keine Superweiber, sondern Menschen, die zweifeln und sich vor Konsequenzen fürchen und deshalb nciht selten vor Entscheidungen flüchten - das war am Anfang ihrer schaffenszeit  ziemlich rar - entweder eine Frau war blass und am Rande oder sie war (ganz selten) die Heldin und trotzdem extrem gefühlsduselig und gleichzeit Mordmaschinen ohne Gefühle. *schauder*
Und sie war eine der ersten, die auch Homosexualität in ihre Bücher reingenommen hat(trapez, Das Schwert der Amazone).

(Man merkt üüüüberhaupt nicht, dass ich leidenschaftlicher Fan bin, was?)

Lastalda

#11
Hm, ich habe zu wenig von ihr gelesen, um das wirklich einschätzen zu können. Das was ich gtelesen habe, kam mir so einzigartig nciht vor. Aber es mag es zum Zeitpunkt der Entstehung gewesen sein, die Anfänge der guten Frau liegen ja doch schon eine ganze Weile zurück. Aber aus heutiger Sicht ist ihr Stil definitiv nicht mehr als "neu" anzusehen... Denn das, was Du da an besonderheiten beschreibst, setze ich bei einem guten Fantasyroman heutzutage irgendwie schon voraus...

Zitatich glaube vor ihr gab es keine Geschichten über Artus, wo Morgaine le Fay im Vordergrund stand

Ich kenne mehrere, kann aber nciht sagen, ob es die schon eher gab... Ich meine, als Jenifer Roberson Robin Hood aus der Sicht von Marian erzählte, hat sie auch nicht das Rad neu erfunden...

Lastalda

Manja_Bindig

Hm... Ideen sind zu verschiedenen Zeiten neu und außergewöhnlich. Als "die Nebel von Avalon" und "die Feuer von Troia" herauskamen, hatten die Leute schon zigtausend Nacherzählungen, mal aus merlins, mals aus Artus' und Lancelots sicht oder auch von Hectors, Paris' und wasweißichnichtwem gelesen. Also war es entsprechend überraschend, dass auf einmal Morgaine, bzw. Kassandra eine Stimme bekamen.
Wie gesagt... das war in den 70igern noch ziemlich rar. Und heut gehört es schon fastz zum guten Ton, Frauen herzuholen, statt der Männer. Womit wir wieder beim Thema wäre - Neuheiten und Bruch mit dem alten Klischee schaftt Nährboden für neue Klischees.

Manja *hat sich damit abgefunden, der einzige MZB-Fan auf weiter Flur zu sein*

Judith

Ich mag MZBs Frauenfiguren nicht und finde doch, dass ihre Bücher recht klischeegeladen sind. Aber Geschmäcker sind halt verschieden. *vor Manja in Deckung geh*

Ein Beispiel für Fantasy fast ohne die üblichen Klischees ist für mich "Gormenghast" von Mervyn Peake. Irgendwie entdeckt man ständig was Neues und kann die wenigsten Ereignisse vorausahnen. Gleichzeitig wird es dadurch aber auch anstrengend zu lesen. Vielleicht braucht man halt ein gewisses Maß an bekannten Klischees, bei denen man sich "ausruhen" kann.

Moni

ZitatEin Beispiel für Fantasy fast ohne die üblichen Klischees ist für mich "Gormenghast" von Mervyn Peake.
Gormenghast ist toll, aber schwierig... und ich weiß nicht, ob man das als Fantasy bezeichnen kann. Es fällt schon ziemlich raus.
Gibt eine schöne BBC-Verfilmung mit einem klasse Steerpike... ne, Maja??  ;D
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol