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Offener Bruch und Behandlung in der Renaissance

Begonnen von TheaEvanda, 21. April 2011, 11:17:11

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TheaEvanda

Hallo Ihrs,

Ich bin kurz davor, meiner Protagonistin das Bein zu brechen, und damit es wirklich ekelig wird, soll es ein offener Bruch mit ein oder zwei herausragenden Knochensplittern werden.

Allerdings habe ich keine Ahnung, wie so etwas in der Renaissance behandelt wurde. Ich habe ja den Verdacht, dass ein offener Bruch der Güteklasse meist zu Wundbrand und Amputation führte (allein durch die mangelnde Wundhygiene), aber ich bin nicht sicher.

Ich bin schon einmal so weit in die Materie eingedrungen, dass der Henker bzw. Scharfrichter der Chirurg der Wahl war, sonst habe ich aber keine Ahnung.

Wichtig ist vor allem: Wie wurde eine solche Wunde behandelt, wie setzt man die Knochen zurück, wurde damals ein solcher Bruch "operiert" oder wurden nur die Splitter zurückgeschoben und gebetet?

--Thea
Herzogenaurach, Germany

Luna

#1
Ich befürchte, ein Wundbrand wird es aller Voraussicht geben. In der Renaissance hat man nicht sehr auf Hygiene geachtet, die Leute haben sich nicht mal mehr gewaschen und werden sehr wahrscheinlich eine offene Wunde mit Drecksfingern anfassen. Deshalb war das Kindbettfieber auch weit verbreitet. Bei den Adeligen oder Reichen wurden die Kinder von Ärzten auf die Welt geholt und sogar die hatten schmutzige Griffel.
Mit dem Henker, das kann ich nur bestätigen. Sie hatten zwar von vielen medizinischen Dingen Ahnung, gehörten aber zu den verfemten Berufen, d. h. die einfache Bevölkerung hat sie heimlich nachts aufgesucht, um nicht mit ihnen gesehen zu werden.
Mit Behandlungsmethoden in der Renaissance kenne ich mich selbst nicht so aus. Ich kann mir vorstellen, die Dame bekam ein Holzstück zwischen die Zähne und dann wurde versucht, den Bruch wieder einzurenken, also das, was in einem unnatürlichen Winkel absteht, zu begradigen. Das anschließende Schienen mit Holz oder Ästen dürften sie schon gekannt haben. Ich habe mal gehört, im Mittelalter wäre man mit Wundversorgung ziemlich fit gewesen. Es hat sogar eine Vorrichtung gegeben, Pfeilspitzen wieder aus dem Körper zu holen. Dafür sah das Wissen bei Krankheiten und Fieber ziemlich mau aus und ein Aderlass war da das Allheilmittel (glaubte man zumindest).

Churke

Ich würde Wundbrand nicht überbewerten.
Natürlich kann es schon bei einer simplen Glasscherbe im Schuh passieren (Margarethe von Österreich) oder einem Taktstock im Zeh (Jean-Baptiste Lully), aber die Regel ist das nicht. Noch die Lazarette der Wehrmacht hatten in der Regel keine Antibiotika!

Was das technische Vorgehen betrifft: In der Renaissance hielt man sich strikt an die Lehrbücher von Hippokrates oder Galen. Vielleicht findet sich da was über offene Brüche.
Es gibt auch Handbücher von Militärchirurgen*) aus der Zeit.

*)Die Leute hatten wahrscheinlich die größte Erfahrung mit solchen Dingen.

TheaEvanda

#3
Öhm, Churke, du weisst schon, was ein offener Bruch ist, und wie man daran kommt? Bei offenen Brüchen stiepeln die Knochenenden aus der Haut raus.
Wenn der Bruch dann auch noch in einem dreckigen Kellerloch passiert (so habe ich das jetzt organisiert), dann sind die Knochensplitter voller echtem Dreck. Eigentlich bedeutet das auch noch eine hohe Chance auf eine Tetanus-Infektion, wenn ich mir das recht bedenke.

Luna: Danke sehr. Der Meister Hans wird aber wohl auch nur eine Abnahme des Beins empfehlen können.

Ich habe jetzt mal eine alte Krankenschwester befragt, und die sagte mir, dass ein offener gesplitterter Unterschenkelbruch mit mehreren Hautaustritten schon zu "ihren Zeiten" (1970) der Alptraum im OP war, und manchmal ließ sich einfach nichts machen.

Vor allem ein Problem war es, die Knochenstücke wieder in die richtige Position zu bringen. Dafür benutzt man teilweise Flaschenzüge. Als sie noch gearbeitet hat, wurden zum Beispiel Oberschenkelbrüche noch mit Gegengewichten im Krankenbett behandelt, damit die gerichtete Bruchstelle sich nicht wieder verschiebt.

Ich glaube, meine Protagonistin wird sehr glücklich sein, dass es in seiner Welt magische Heilung gibt - sofern sie rechtzeitig einen einschlägig gebildeten Magus erreicht. Gegenwärtig ist sie nämlich in Volumenmangelschock. Der doch recht erhebliche Blutverlust bei einem Unterschenkelbruch schlägt zu.

Bis denne,

Thea
Herzogenaurach, Germany

Churke

Meine Mutter hatte einen offenen Armbruch. Im Frühjahr 1945. Da war sie 4 Jahre alt. Im Krankenhaus gab es NICHTS.
Der Bruch ist ohne Komplikationen verheilt - allerdings fiel die geplante Flucht vor den Russen aus.

Außerdem ist die Art, wie man es heute macht, nicht immer die, wie man es in einer nichtindustrialisierten Gesellschaft macht.
Ein Beispiel:
Ist zwar jetzt kein offener Bruch, aber bei einem Schlüsselbeinbruch fangen die in einem deutschen Krankenhaus standardmäßig mit OP an und Nägeln und Schrauben. (Gibt auch gut Kohle von der Kasse.)
Nen Bekannter ist aus Sri Lanka. Der ist mit nem Schlüsselbeinbruch zum Dorfheiler gegangen und der hat die Knochen per Handg gerichtet, dass sie gerade zusammen wachsen. Ist halt extrem schmerzhaft und die Heilung dauert länger, aber es geht auch ohne OP.

Churke

Hier beschreibt Hippokrates, wie man schwierige offene Brüche behandelt:

http://www.intratext.com/IXT/ENG1206/_PW.HTM

Der Text ist sauschwer, sorry, aber man kann davon ausgehen, dass die das in der Renaissance genauso gemacht haben.

Vali

#6
Ich habe mal ausgiebig in meinen Unterlagen zur Geschichte der Medizin gewühlt und gegooglet.
Hier erst mal ein Link: Geschichte der Unfallchirurgie
Da steht unter anderem, dass bis 1870 bei offenen Unterschenkelschaftfrakturen die sofortige Amputation empfohlen wurde. Ebenfalls interessant ist, dass Chirurgen damals noch als Handwerker galten und keine Mediziner waren. In der Zeit der Renaissance kam es zum langsamen Umdenken, aber definitiv in die Medizin eingegliedert wurden die Chirurgen erst Mitte des 19ten Jahrhunderts. Häufig waren Chirurgen ebenfalls Barbiere.
Bei einem anderen Googleergebnis, das ich nicht mehr finde, habe ich gelesen, dass in der Renaissance zur Desinfektion des Amputationsstumpfes heißes Öl über die Wunde gegossen wurde und seit man das so machte, nicht mehr so viele Menschen nach Amputation an Wundinfektion starben.
Als wichtige Komplikation beim Unterschenkelbruch möchte ich noch das Kompartmentsyndrom nennen, das durch Schwellung der Weichteile entsteht und somit Blutgefäße und Nerven druckgeschädigt werden, wenn man die Muskellogen nicht zur Druckentlastung schlitzt.


EDIT.: Ein sehr interessanter Link zur Amputation im 18ten Jahrhundert. Dürfte zur Renaissance nicht sehr viel anders gewesen sein: http://www.gesch.med.uni-erlangen.de/messer/ausstell/amput/t_amp18.htm

Sorella

#7
Also ich hatte vor zwei Wochen einen offenen Unterschenkelbruch, den ich gerade ausheile. Ich bin überzeugt, dass ich ohne den gegenwärtigen Stand der Medizin das Bein verloren hätte. Ich hatte genau die herausstehenden Knochenteile und den Fuß in 90 Grad Winkel wegstehend. Sie haben mir an der Unfallstelle den Fuß gerade gerückt. Leider noch ohne geeignete Schmerzmittel, weil der Notarzt noch unterwegs war und die Sanitäter ohne dessen Anwesenheit nichts Wirksames geben dürfen. Die Schmerzen sind wirklich höllisch und im Krankenhaus haben sie mich nach der 3-stündigen Not-OP mit Antibiotika vollgepumpt ohne Ende. Selbst da ist beinahe halbstündlich jemand gekommen und hat mich gefragt, ob ich noch was fühle oder ob es taub wird, oder ob es noch weiter angeschwollen ist.
Die Schwellung war auch übel, daher kann ich mir gut vorstellen, dass ohne Hochlagern und
Eispacks die ganzen Venen und Lymphgefäse zerstört werden.
Bei mir ist alles sehr gut verlaufen, trotzdem kann es sein, dass Knochenteile abgestoßen werden und neu operiert werden muss.

So. Lange Rede, kurzer Sinn. Das Bein hätten sie in der Renaissance sicher abgenommen, wenn es nicht gerade das Bein des Königs war.  (oder gewesen war  :hmmm:)

TheaEvanda

#8
Vielen Dank allerseits.

Ich habe das Problem jetzt so "gelöst":

Protagonistin wird von zwei Handlangern KO geschlagen, die hinterher merken, dass es etwas schwierig ist, eine Bewusstlose in ein Lochgefängnis (Kerker alter Schule) zu schleppen. Die schmeissen sie da einfach rein.
Dabei fällt die Protagonistin sehr unglücklich (da bewusstlos) und bricht sich den Unterschenkel: Schienbein und Wadenbein. Zwei Knochensplitter dringen aus der Haut und sammeln Kerkerdreck, vier "unsichtbare" verbleiben unter der Haut.
Die Protagonistin kommt vor Schmerzen fast um, findet aber eine Schonhaltung, die ihr für ein paar Augenblicke Ruhe gewährt, bevor sie einen Muskel anspannt und - autsch. Frösteln, Kältegefühl und Schüttelfrost stehen für stetigen Blutverlust.
Nachdem sie gerettet wurde, sieht sich der Antagonist das Bein an und meint, sie solle es abnehmen lassen, wenn sie überleben möchte. Dafür schlägt er "Meister Hans" vor - das war der im Spätmittelalter gängige Euphemismus für den Scharfrichter. Noch während der Diskussion fällt meine Protagonistin mit Frieren und Schüttelfrost, der wieder heftige Schmerzen auslöst, in Ohnmacht (Schock durch Blutverlust).
Ihre Freunde suchen super-eilig einen magischen Heiler, finden keinen und kehren völlig verzweifelt bei einem Tempelheiler ein, der Protagonistin und Bein rettet.
Protagonistin wacht (mit göttlicher Bluttransfusion, göttlich genagelten Brüchen und übernatürlichem Novalmin versorgt - oder so, das ist natürlich viel mystischer) auf und beschwert sich bei allem und jedem, dass es ein ordentlicher Magus oder Feldscher auch getan hätte.
Der Heilpriester geht in die Luft etc. pp - man lese das Buch ;)

Denkt ihr, das geht so - also genug Renaissance-Realität dabei? Dann lasse ich die Sachen so stehen und rase weiter bis zum Schluss.

--Thea
Herzogenaurach, Germany