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Charakter so richtig lebendig machen?

Begonnen von Darielle, 02. April 2011, 17:50:28

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Klecks

Wow, Anjana, dein Beitrag ist klasse! Danke dafür. :jau:

canis lupus niger

#46
Wie ich finde, ist alles, was ich anführen könnte, bereits geschrieben worden. Aber ich fasse es hier nochmal zusammen, auch für mich selber ...  :)

Lebendige Charaktere müssen keine attraktiven Charaktere sein. Man muss nur das Gefühl haben (als Leser ebenso wie als Autor), sie vor sich zu sehen.

Für mich als Autorin (ebenso, wie das weiter oben bereits einige andere Autoren über ihre Arbeit schrieben) haben meine lebendigsten Charaktere ein Eigenleben, das auch vor meiner Geschichte und außerhalb meiner Geschichte stattfindet. Ich schaue sozusagen während des Schreibens nur bei ihnen vorbei und sehe ihnen zu, um dann über das zu erzählen, was sie gerade gemacht/erlebt haben.

Einige Charaktere entwickelten sich auch bei mir aus Nebencharakteren, die ursprünglich reine Funktionsträger waren. Baron Tarzel zum Beispiel, aus dem "Sommerturnier". Ein überheblicher Mistkerl, den ich aber im Lauf des Schreibens näher kennen und verstehen glernt habe.

Während ich die vorangegangenen Beiträge dieser Diskussion überflogen habe, habe ich überlegt: Wie lasse ICH denn eigentlich Charaktere lebendig werden? Da konnte ich anfangs gar nicht den Finger drauf legen. Und ein Statement aus dem Jahr 2013 hat mich geradezu elektrisiert, denn genau so ist es:  Nicht vollständig beschreiben, sondern Highlights setzen muss man. Das eigene Erleben ist ja auch nicht immer gleichmäßig intensiv. Aber wenn man intensive Gefühle oder Wahrnehmungen hat, dann ist man sich ihrer auch bewusst. Ich denke, genauso schreibe ich auch meine Charaktere. Manchmal laufen sie nur durchs Bild, ich sehe ihnen aus der Ferne zu, aber manchmal müssten sie eigentlich meinen Atem in ihrem Nacken spüren. Wenn jemand nicht schlafen kann, grübelnd am Lagerfeuer sitzt, mit einem Zweig in der Glut herumbohrt und Gedanken, die er jahrelang unterdrückt hat, nur so über ihn hereinstürmen. Dann bin ich ihm ganz nahe, und ich glaube, das kann ich dann auch dem Leser vermitteln. Würde ich allerdings die ganze Geschichte in dieser Intensität schreiben, würde ein Leser bald anfangen zu gähnen und das Buch mangels Ereignissen aus der Hand legen. Ich weiß nicht, ob es nicht sogar viele als Perspektiv-Fehler ansehen, dass meine Distanz zu einem Charakter sich immer wieder verändert. Einmal habe ich so etwas Ähnliches in einer wirklich gehaltvollen Kritik gelesen. Aber ich denke, dass es auch diese Variabilität ist, die mir hilft, Lebendigkeit zu erzeugen. Vielleicht ein bisschen wie eine Kamera, die mal näher heranzoomt, und mal aus der Entfernung filmt.

Ach ja, und eine Sache gibt es noch, die mir wichtig ist. Meine Charaktere verändern sich, optisch, in ihrem Verhalten und auch in ihrem Gefühlsleben. Wenn sie Sorgen haben, werden sie je nach ihrer Persönlichkeit still, agressiv oder angespannt. Sie werden krank, verlieren ihr (gelegentlich habe ich solche Charaktere  ;D) gutes Aussehen. Niemand, den ich wochenlang durch die Wildnis streifen lasse, hat ständig sauberes, glattgekänntes Blondhaar, wie Legolas im HdR. Das Leben hinterlässt an meinen Charakteren Spuren. Das ist nicht nur eine Entwicklung über den ganzen Plot hinweg, das sind auch Momentaufnahmen, die ein paar Tage später ganz andere Bilder zeigen würden.