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Charakter so richtig lebendig machen?

Begonnen von Darielle, 02. April 2011, 17:50:28

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Sven

Zitat von: Sanne am 09. April 2011, 14:52:55
Das ist gar keine schlechte Idee ... *mal notiert*  :D

Dann sind wir ja jetzt quitt  ;D
Beste Grüße,
Sven

Runaway

Das mit den Schauspielern ist großartig, da kann ich nur zustimmen. Wenn ich meine Charaktere erschaffe, laufe ich innerhalb einer Woche los, studiere mein DVD-Regal, gucke mir Bilder von möglicherweise passenden Schauspielern an und schon werden die Herrschaften richtig greifbar - zumal wenn ich sie dann auch noch leicht abgewandelt zeichne... ganz heißer Tip!!

Sven

Schön, dass es andere auch so machen  ;D
Das Schöne bei Schauspielern ist auch, dass sie in verschiedenen Filmen anders aussehen. Dadurch kann man bei seinen Charakteren zwar bei einem Lieblingsschauspieler bleiben und kommt dennoch nicht in Gefahr, ständig die gleichen Figuren zu haben.
Ein weiterer Vorteil ist auch, dass man eine Ausrede hat, wenn man sich Filme angucken möchte. Schließlich recherchiert man ja gerade, und das ist harte Arbeit!!!  :pompom:
Beste Grüße,
Sven

Franziska

Ich krame mal diesen Thread aus, weil ich mich gerade genau mit dieser Frage beschäftige. Ich habe festgestellt, dass (nachdem ich schon 100 Seiten geschrieben habe) meine Charaktere noch nicht besonders viel Tiefe haben, bzw. nicht richtig lebendig wirken.
Wenn ich eine Figur habe, dann kommt sie meist mit komplettem Aussehen groben Eigenschaften und einer Geschichte. Ich fülle keine Charakterfragebögen a la: Größe, Eltern, Berufe etc aus. Das weiß ich meistens sofort.
Was dann nach und nach kommt sind die inneren Konflikte, die den Plot bestimmen. Was aus der Vergangenheit trägt die Figur mit sich herum, wie löst er Konflikte, wonach sehnt er sich und wonach glaubt er sich zu sehnen (Ziele),  und nicht zu vergessen: seine Ängste.
Das sind auch Dinge, die ich meistens recht schnell weiß, wenn auch unbewusst. Mannchmal weiß ich erst am Schluss, was die Figur nun eigentlich will.
Eine andere Dimension ist aber das, wie wir auch reale Personen beschreiben würden. Und da liegt meiner Meinung nach das, was Figuren wirklich lebendig macht. Das sind so kleine Eigenschaften, wie bestimmte Mimik oder Gestik, Körperhaltung. Wie geht er auf andere zu und warum? Was macht andere an ihm wahnsinnig, was mögen sie an ihm? Ein bestimmter Wortschatz, kleine Eigenheiten wie rauchen, Vorliebe für bestimmte Farben bei der Kleidung, Schmuck, Vorliebe für einen bestimmten Wein ... wie blickt er auf seine Mitmenschen?
Mir ist aufgefallen, dass ich Figuren dann besonders mag, wenn ich sie mir wirkich real erscheinen, wenn ich mir in jeder Situation vorstellen kann, wie sie reagieren würden. Wenn ich mir manchmal denke, ach ja, das ist ja nur eine fiktive Figur, die existiert ja gar nicht wirklich, wie schade, ich würde sie so gerne mal treffen.
Mir fallen selbst nur wenige solcher Figuren ein. Das ist auch wirklich sehr schwer, finde ich. Es sind manchmal wirklich die kleinen Details, die eine Figur lebendig machen, an die man sich erinnert, weil sie außergewöhnlich sind und man sich die Figur dann sofort vorstellen kann.

Etwas, das mich gerade anregt ist, sich zu überlegen, welche Figuren man besonders mag und warum? Wie werden sie beschrieben?
Habt ihr Beispiele dafür?
Ich muss sagen, dass ich die Klassiker da recht gut finde. Tolkien und J.K. Rowling machen das ziemlich gut.
Recht gut außerhalb von Fantasy finde ich da auch vor allem amerikanische Autoren: da läuft viel mehr über Dialoge als ich das oft in deutscher Literatur lese. Zum Beispiel Carson McCullers, Don Delillo, etc.
Eine andere Möglichkeit ist einem bekannte Leute zu analysieren und zu versuchen sich zu überlegen, was man an ihnen mag und was nicht, welche Eigenheiten sie haben ... jeder Mesch ist doch so individuell und Figuren in Geschichten sind oft so stereotyp. Dann kann man die Eigenschaften neu zusammensetzen, so dass man keine Angst haben muss, über jemanden zu schreiben, den man kennt.
Fallen euch vielleicht so kleine Eigenschaften bei eigenen oder bei Figuren in Büchern ein?

Das schwierige ist dann, dass man das alles nicht nur wissen sollte sondern auch in den Text einbinden und das möglichst show dont tellmäßig. So, dass es dem Leser kaum auffällt. Oft lese ich einen Text, die Figur wir mit ein zwei Eigenheiten eingeführt und dann geht es nur noch um den Plot. Man erfährt nichts über die Vergangenheit der Figur, man weiß nicht mal, wo sie lebt und wie alt sie ist. Das wird mir schnell langweilig, aber das ist sicher auch Geschmackssache.
Ich glaube, ich schreibe demnächst mal etwas dazu in meinem Blog ...

Almarian

Spannender Thread, den ich noch gar nicht gesehen hatte  :)

Franziska, ich fülle auch keine Charakterfragebögen aus, wie sie ja öfter empfohlen werden. Ich empfinde die meisten darauf angegebenen Daten als zu oberflächlich und nicht fantasieanregend.

Beim Lesen des Threads kam mir eine andere Parallele und würde gerne wissen, was ihr dazu meint:
Es gibt ja ein  anderes Umfeld, in dem versucht wird, schriftlich das "Besondere" an einem Charakter und an Einstellungen zu beleuchten, und das ist in Datingplattformen. Da gibt es Fragebögen, die sich mit Einstellungen zu wichtigen Bereichen im Leben beschäftigen und dazu dienen, Menschen zu charakterisieren (und zu vergleichen).
Ich oute mich hier mal als ehemalige Userin einer Datingplattform, die so etwas praktiziert. Ich muss zugeben, dass ich eine ziemlich genaue Vorstellung von den Personen bekommen habe und sie mir gleichzeitig dadurch realer erschienen.
Wäre das nicht interessant als alternativer Charakterfragebogen?

Zur Darstellung bestimmter Eigenschaften nutze ich gerne die Interaktion mit Kindern und Tieren. Dadurch kann man meiner Ansicht nach auch recht einfach Sympathie transportieren.

Debbie

ZitatBeim Lesen des Threads kam mir eine andere Parallele und würde gerne wissen, was ihr dazu meint:
Es gibt ja ein  anderes Umfeld, in dem versucht wird, schriftlich das "Besondere" an einem Charakter und an Einstellungen zu beleuchten, und das ist in Datingplattformen. Da gibt es Fragebögen, die sich mit Einstellungen zu wichtigen Bereichen im Leben beschäftigen und dazu dienen, Menschen zu charakterisieren (und zu vergleichen).
Ich oute mich hier mal als ehemalige Userin einer Datingplattform, die so etwas praktiziert. Ich muss zugeben, dass ich eine ziemlich genaue Vorstellung von den Personen bekommen habe und sie mir gleichzeitig dadurch realer erschienen.
Wäre das nicht interessant als alternativer Charakterfragebogen?

Wenn du einen anständigen Charakterfragebogen hast, ist der in jedem Fall ausführlicher als so ein Fragebogen einer Dating-Plattform (wobei ich die, ihrem Zweck gemäß, für sinnvoll und nützlich halte), da er viel mehr intime Infos über den Charakter enthält.

@Franziska: Ich gebe zu, ich arbeite mit Fragebögen - die oft mehrmals neu oder nachbearbeitet werden müssen. Ich finde da den Tipp von Elizabeth George, die wichtigsten Eigenschaften (Aussehen, Eigenarten in Bewegung, Ausdruck, Sprache, etc.) aus dem Fragebogen auf eine Seite zu schreiben und während des Schreibens immer neben sich liegen zu haben, sehr hilfreich.

Und du hast Recht - am lebendigsten wirken Charakterbeschreibungen die "gezeigt" und nicht "erzählt" werden! Und dafür eignet sich natürlich am Besten der Dialog, und auch die Einstellung anderer Figuren zum Chara (zwischenmenschliche Interaktion). Ich bin auch der Meinung, dass deutsche Autoren da größtenteils nicht mit ihren amerikanischen oder englischen Kollegen mithalten können. In deutschen Romanen wird oft viel zu viel "erzählt" (finde ich) :d'oh:

Macht mir eine Figur echt Schwierigkeiten, lasse ich sie auch gerne mal einen handgeschriebenen Lebenslauf verfassen - in seiner oder ihren eigenen Worten. Da bekomme ich gleich mit, wie sich der Chara ausdrückt und wie er zu den verschiedenen Ereignissen in seinem Leben steht. Die Prota aus meinem Hauptprojekt hat mir z. B. jahrelang das Leben schwer gemacht, da sie mal schwach und dann wieder supertrotzig und stark war. Da musste ich ein bisschen dran rumfeilen, aber mit der Zeit wurde sie immer deutlicher . Mein Fehler war, dass ich sie anfangs so reagieren ließ, wie es am besten in den Plot passte - jetzt weiß ich, dass ich den Plot manchmal auf ihre Reaktionen "zurecht biegen" muss. Man lernt eben nie aus  :lehrer:

HauntingWitch

Franziska, du sprichst etwas an, das mich ebenfalls seit Längerem beschäftigt.

Was mir dabei insbesondere auffällt, ist, wie perfekt viele Buchfiguren eigentlich sind. Z.B. bei Anne Rice. Alle ihre Vampire/Männer haben die richtige Figur, die richtige Grösse, das richtige Gesicht, die richtige Art zu sprechen, den richtigen Stil, viel Geld usw. Zwar weichen sie alle voneinander ab, aber dennoch sind alle irgendwie makellos. Ich finde ihre Bücher trotzdem toll. Aber es wirkt wirklich wie Fantasie und nicht "echt".

Hingegen gibt es andere Autoren, bei denen ich mich frage, wie sie es schaffen, ihre Protas so unperfekt sein zu lassen. Bei meinem Lieblingsautor ist z.B. einer Alkoholiker, ein anderer verbitteter Ex-Schlagerstar, eine weitere eine kaputte Teenie-Göre... Ich bewundere das sehr, denn ich ertappe mich selbst immer dabei, meine eigenen Figuren "perfekt" aussehen zu lassen. Sie entsprechen alle irgendeinem Idealbild, wenn auch verschiedenen Idealbildern (ähnlich wie bei Rice, nur nicht so gut  ;D).

Typische Eigenschaften und Kleinigkeiten? Nun, es gibt da Anton Gorodetsky aus Sergei Lukianenkos Wächter-Reihe. Den finde ich irgendwie total sympathisch, gerade weil er so lebensecht wirkt. Was es genau ist, kann ich aber nicht sagen. Vielleicht, weil er etwas launisch ist. Vielleicht, weil er im Grunde schwach ist. Vielleicht auch, weil er seine unperfekte Frau über alles liebt, weil sie unperfekt ist (das hat mir besonders im ersten Buch sehr gefallen, als die beiden sich kennenlernen; Da wird beschrieben, wie ihre Schöhnheit von innen heraus durch sie hindurch strahlt, obwohl ihr Gesicht nicht als klassisch schön gilt). Es ist schwer zu sagen, ich denke, es braucht nicht einmal so viele Kleinigkeiten, die erwähnt werden müssen. Die Frage ist eher, wie man sie hervorhebt.

Einer meiner Protas hat z.B. die Angewohnheit, sich von der Stirn her durch die Haare zu fahren, wenn er gestresst ist. Nun, das macht ihn "unperfekt". Aber immer noch habe ich das Gefühl, er sei beinahe zu perfekt. Reicht das nun aus? Oder brauche ich tausend Einzelheiten über ihn zu wissen, wie z.B., was seine teuersten Schuhe sind.

Ich beobachte die ganze Zeit reale Personen um mich herum und noch etwas fällt auf: Manche sind eben nunmal einfach vielschichtiger als andere. "Müssen" Protagonisten deswegen also vielschichtig sein? Dürfen sie nicht auch weniger vielschichtig sein als andere? Nun, erstere sind sicher die interessanteren. Letztere braucht es aber auch, sonst landet man am Ende doch wieder beim Überprotagonisten. Alles in allem ist es eine ganz schöne Gratwanderung, denke ich, auf der man sich nur immer wieder üben kann.

Debbie

ZitatEiner meiner Protas hat z.B. die Angewohnheit, sich von der Stirn her durch die Haare zu fahren, wenn er gestresst ist. Nun, das macht ihn "unperfekt". Aber immer noch habe ich das Gefühl, er sei beinahe zu perfekt. Reicht das nun aus? Oder brauche ich tausend Einzelheiten über ihn zu wissen, wie z.B., was seine teuersten Schuhe sind.

Das macht ihn für mich nicht wirklich unperfekt; das ist nur eine Angewohnheit, die eben jeder irgendwie hat - der eine hat offensichtlichere, beim anderen fallen sie weniger auf.

Und Schuhe sagen für mich viel über eine Person aus. Tatsächlich ordne ich Menschen anhand ihrer Schuhe oftmals unterbewusst in Kategorien ein  :versteck: Eines der ersten Dinge, die ich zur "Einordnung" fremder Individuen heranziehe.

ZitatIch beobachte die ganze Zeit reale Personen um mich herum und noch etwas fällt auf: Manche sind eben nunmal einfach vielschichtiger als andere. "Müssen" Protagonisten deswegen also vielschichtig sein? Dürfen sie nicht auch weniger vielschichtig sein als andere? Nun, erstere sind sicher die interessanteren. Letztere braucht es aber auch, sonst landet man am Ende doch wieder beim Überprotagonisten. Alles in allem ist es eine ganz schöne Gratwanderung, denke ich, auf der man sich nur immer wieder üben kann.

Das ist wie im realen Leben: Die Vielschichtigen sind immer die, die am interessantesten sind, aus der Masse herausstechen und andere Menschen inspirieren, mitreißen, Leben verändern, etc.. Sie sind ideal als Protas, da es sich dabei meist um einzigartige Charaktere handelt, über die wir auch im realen Leben mehr erfahren möchten - soviel wie nur möglich. Personifizierte Rätsel!

Die Durschnitts-Typen eignen sich hauptsächlich als "Nebendarsteller" - sie bieten Projektionsfläche, Stabilität, Vertrautes, setzen den Standard und machen so die Vielschichtigen erst zu etwas Besonderem. Sie helfen uns bei der Orientierung in der fiktiven Welt. Aber sie sind eben nicht außergewöhnlich genug, um unser Interesse, bzw. unsere Faszination, auf Dauer zu wecken oder aufrechtzuerhalten.

Coppelia

#23
Ich finde, nicht vielschichte Protagonisten haben ihre Daseinsberechtigung. Wenn "einfach gestrickte" Personen auf komplizierte Probleme stoßen, wird es manchmal richtig interessant.

Wenn ich Personen vom Reißbrett erfinde, habe ich mit folgender Methode gute Erfahrungen gemacht: Ich gebe der Figur erstmal Eigenschaften, die man von ihr in ihrer Rolle erwarten würde. Dann gebe ich ihr eine oder mehrere andere Eigenschaften, die man von einer Figur in dieser Rolle nicht erwarten würde. Auf die Art bleibt eine Art Dynamik in der Figur, die ihr im Lauf der Zeit Tiefgang verleiht. (manchmal jedenfalls ;)) Eins meiner Lieblingsbeispiele ist mein Jung-Priester Alastair: Ich habe ihm erstmal den Wunsch verliehen, Gutes zu tun und die Menschen zu heilen. Das würde man von einem Priester erwarten. Dann habe ich ihm die Eigenschaft gegeben, sich mit der Hauptfigur schlecht zu verstehen und ständig mit ihr zu streiten. Nicht gerade das, was man von einem Jungpriester erwartet. Dann stellen sich natürlich von selbst Fragen wie: Warum streitet er mit der Hauptfigur? Daraus hat sich im Lauf der Zeit ein wirklich interessanter Charakter mit viel Hintergrund geformt, über den ich immer noch mehr erfahre. :)

Ich bin im Übrigen überhaupt kein Fan von besonders gut aussehenden Charakteren, aber damit stehe ich wohl ziemlich allein da. Die meisten Leser wollen wohl einfach schöne Figuren. Aber letzten Endes entscheidet das Aussehen ja auch nicht darüber, ob eine Figur lebendig rüberkommt.

Debbie

ZitatIch finde, nicht vielschichte Protagonisten haben ihre Daseinsberechtigung. Wenn "einfach gestrickte" Personen auf komplizierte Probleme stoßen, wird es manchmal richtig interessant.

Ja, das stimmt - aber nur wenn sie das Potential haben (wenn auch verborgen), durch Schwierigkeiten über sich hinaus zu wachsen und den Rahmen des "Normalen" zu sprengen; wodurch sie dann ebenfalls zu einem "besonderen", vielschichtigen Charakter werden. Bis zu einem gewissen Grad, haben viele Menschen diese Fähigkeit - aber anhand der vielen Alkoholiker, Drogenabhängigen, Beziehungsunfähigen und Selbstmördern, sieht man auch gut, dass nicht jeder das Potential hat, mit seinen Aufgaben und den Widerständen des Lebens zu wachsen.


Coppelia

Interessant finde ich Charaktere auch, wenn sie scheitern. Aber sie wachsen dann oft insofern, als dass sie das Problem erkennen, und das ist manchmal schon eine große Leistung.

Franziska

Das stimmt, es hat ja auch seinen Reiz, eine Figur zu begleiten, die einfach nichts auf die Reihe kriegt und von einem Schlammassel in den anderen stolpert.
Zum Beispiel Jason aus True Blood. Man weiß einfach, das bei ihm nie etwas ein gutes Ende nimmt. Er versucht es immer wieder und gibt sich auch wirklich Mühe, aber er vermasselt es einfach immer.

Issun

Zitat von: Coppelia am 15. Mai 2013, 17:42:37
Ich bin im Übrigen überhaupt kein Fan von besonders gut aussehenden Charakteren, aber damit stehe ich wohl ziemlich allein da.

Jedenfalls nicht ganz alleine.  ;D
Vor einigen Jahren habe ich begonnen, eine Vorliebe für unschöne, gealterte oder sonstwie ,,unzulängliche" Charaktere zu entwickeln, und diese Vorliebe ist mir bis heute erhalten geblieben. Oft frage ich mich, ob ich mit meinem Set an Charakteren die meisten - vor allem junge - Leser nicht in die Flucht schlagen würde. Wenn ich einmal einen Charakter als makellos schön beschreibe (zumindest für sein Alter, das bei den meisten Figuren, mit denen ich momentan arbeite, die Vierzigermarke überschreitet), dann darf man davon ausgehen, dass er zumindest innerlich nicht ganz so problemfrei ist; so habe ich zum Beispiel einen Kavalleriekommandanten, der zwar nicht schlecht aussieht, dafür aber psychisch angeknackst ist. Im Allgemeinen sind meine Charaktere aber vom Aussehen her Menschen, die man täglich in der U-Bahn treffen könnte, sie haben ihre kleinen Hässlichkeiten und Wehwehchen, sie verlieren ihre Haare und merken, dass ihre körperlichen Fähigkeiten mit zunehmendem Alter nachlassen. 

Zitat von: Debbie am 15. Mai 2013, 17:05:49
Macht mir eine Figur echt Schwierigkeiten, lasse ich sie auch gerne mal einen handgeschriebenen Lebenslauf verfassen - in seiner oder ihren eigenen Worten.

So mache ich es auch. Charakterbögen benutze ich, um mir einen groben Überblick über eine Figur zu verschaffen; aber zusätzlich höre ich gerne, was ein Charakter selbst über sein Leben zu sagen hat, was er betont und verschweigt, was er beschönigt. Damit bekommt man u.U. ein klareres Gefühl für die Krisen, die den Charakter zu dem gemacht haben, was er zu Beginn der Geschichte ist.

Melenis

Damit habe ich selber Probleme. Ich versuche Figuren so echt wie möglich zu gestalten, aber weiß nicht, ob es mir gelingt. Auf der einen Seite glaube ich, dass Figuren, die überzeichnet sind, nicht echt wirken, eben nur wie Figuren wirken, aber andererseits kann nicht jeder nur lieb und nett und schüchtern sein. Ich versuche meinen Figuren Stärken, aber auch Schwächen zu geben, wobei ich die Schwächen bei manchen stärker, bei manchen weniger hervorhebe. Ich glaube, das gerade Schwächen Figuren ausmachen, und natürlich der Weg, den sie gehen, um ihre Schwächen zu besiegen, was aber nicht heißt, dass dies am Ende auch allen gelingt.

Und, auch wenn es schwer fällt, ich denke, man sollte seinen Figuren nicht nur kleine Macken geben (die zum Beispiel gerade bei Mary Sues sehr beliebte Tollpatschigkeit), weil ich bei den meisten Macken eher das Gefühl habe, dass sie nur eine Alibifunktion inne haben und die Figur eigentlich nur sympathischer machen sollen. Mir fällt es selbst schwer, meine geliebten Protagonisten "schlechter" zu machen, aber kein Mensch ist ohne Fehler, und es ist auch nichts verwerfliches daran, an eben diesen Fehlern arbeiten zu wollen. Wobei ich manche "Schwächen" mittlerweile nicht mehr lesen kann. Solche Dinge wie zierlicher Körperbau und flacher Oberkörper sind für mich keine Schwächen, genauso wenig Vollwaise zu sein. Bestimmt sind diese Dinge wichtig für die Person, und beeinflussen ihr Leben, aber mir fehlt da einfach was an Kreativität. Diese Dinge liest man so oft, dass man fast meinen könnte, jeder Mensch auf dieser Welt wäre Waise und müsste sein Leben als Dieb verdingen. Gähn  :d'oh:.

Wobei ich gestehen muss, dass ich die meisten meiner Figuren für zu langweilig halte. Ein, zwei stechen heraus, aber das war's auch schon. Wie gesagt, ich habe selber Probleme damit, Figuren zu gestalten. Ich hoffe einfach, dass sie sich im Laufe der Story entwickeln...  und wenn nicht...  :hmmm:

Grüßle

Sanjani

Ich finde, es hängt auch viel vom persönlichen Geschmack ab. Der eine findet die Charas z. B. besonders lebendig, wenn sie möglichst viele Eigenheiten haben, der andere findet sie besonders lebendig, wenn er sich gut in ihre Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen kann. Ich finde z. B. weder Tolkien noch Potter besonders gelungen. Bei Tolkien im Buch (gilt nicht für den Film) war mir viel zu wenig Gefühl beschrieben, sodass ich die Charaktere nur an ihren Taten messen konnte und das war mir zu künstlich. Bei Potter habe ich fast die Krise gekriegt, weil die Charaktere aus meiner Sicht wenig vielschichtig waren, ziemlich schwarz weiß und sie gerieten in jedem Band in dieselben Konflikte. So habe ich das jedenfalls erlebt. Ich konnte mich nur selten wirklich in ihre Gedanken- und Gefühlswelt hineinversetzen und damit waren sie für mich ziemlich hölzern und unrealistisch. Vielleicht lag es auch daran, dass sich das, was sie dachten und fühlten, nur wenig bis gar nicht mit meiner Erfahrungswelt deckte. Aber vermutlich muss man da einfach das treffen, was die meisten Leser anspricht und die anderen fallen eben unten durch.

Ich selber habe das Problem eigentlich nicht und meine Betaleser waren mit meinen Charas bisher immer zufrieden. Noch habe ich nicht herausgefunden, was einen Chara lebendig macht, aber die Vielschichtigkeit ist es m. E. nicht unbedingt (wobei es sicher dazu beiträgt) und die Rolle als Prota auch nicht. Ich hatte auch schon sehr lebendige Nebencharaktere, von denen Betas recht begeistert waren, obwohl ich nur wenig über deren Vergangenheit erzähle und sie auch keine eigene Perspektive haben. Ich denke daher eher, dass es mit der Interaktion zusammenhängt. Wenn sich jemand in Stresslagen immer durch die Haare fährt, dann ist das gut und schön, ist mir persönlich als Leser aber auch mehr oder weniger wurscht. Wenn aber ein Chara ständig bei den unmöglichsten Situationen spöttisch lächelt, weil er einfach etwas anders tickt als die anderen, und die anderen dann jedes Mal den Wunsch verspüren den Chara ins Gesicht zu schlagen, dann bietet das Zündstoff für einen handfesten Konflikt oder es bleibt nur ein Groll für die einen und ein Amüsement für den anderen.

Aber ich weiß nicht, ob es wirklich das ist. Ich habe auch schon über Charas geschrieben, von denen ich kaum etwas wusste, und trotzdem haben sie sich für mich ganz nah und bekannt angefühlt. Die sind aber noch nicht durch den Beta-Test gegangen :)

Was das Aussehen angeht - ich weiß jetzt nicht, ob das ein Blindending ist, aber ich habe manchmal ewig überhaupt gar kein Bild meines Charas vor Augen. Erst, wenn es relevant wird (z. B. ist er körperlich belastbar? Passt er durch das Loch?), spinne ich es mir spontan zusammen. Ich weiß nicht, ob so etwas schon mal dazu geführt hat, dass jemand sich 100 Seiten lang einen rothaarigen Chara vorstellte, um dann zu lesen, dass dieser in Wirklichkeit blond ist, aber ich mache das so, weil das Bild auch vorher i. d. R. nirgends in den Plot reinpasst ohne gekünstelt zu wirken. Ob meine Charas alle gutaussehend sind, vermag ich gar nicht zu sagen, weil ich mir manchmal was zusammenbastle, wo ich es schlichtweg nicht weiß. Oder ich hab z. B. einen hageren Chara, den ich mir als nicht so richtig attraktiv, sondern eher ein bissl hungerhakenmäßig vorstelle, aber ich weiß nicht, ob das beim Leser auch so ankommt. Die meisten haben aber zumindest attraktive Gesichter, glaub ich.

Mehr werde ich dazu jetzt nicht schreiben, weil ich das Gefühl habe, dass mich zu viel Nachdenken über das Thema von meiner intuitiven und für gut befundenen Charakterentwicklung wegbringt.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)