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Fantasy-Literatur = Realitätsflucht?

Begonnen von Ary, 16. September 2008, 11:51:03

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Ary

Beim Stöbern im Montsegúr-Autorenforum bin ich über eine Diskussion über diesen Artikel in der "Zeit" vom Schriftsteller Klaus Kordon gefallen.
Ein kleines Zitat daraus, das ich sehr provokativ finde udn auch schon die Kernaussage des sehr kurzen Artikelchens zusammenfasst:
ZitatSchriftsteller Klaus Kordon ("Die roten Matrosen", "Krokodil im Nacken") hat die zunehmende Verbreitung von Fantasy-Literatur kritisiert. "Die literarische Fantasy-Welt ist meiner Ansicht nach auch eine große Gefahr für Kinder, weil sie mit der Realität, in der sie leben, gar nicht konfrontiert werden", erklärte der Autor. "Ich stelle mir so ein Hartz-IV-Kind vor, das nur Geschichten über Prinzessinnen und Drachen liest und die Wirklichkeit völlig ausblendet."
Was meint ihr dazu?
Ist das Lesen phantastischer Literatur Realitätsflucht? Führt das Lesen von Fantasy zu Realitätsverlust? Was haltet ihr von diesem "Hartz IV-Kind"-Beispiel? Wären nicht, wenn es denn tatsächlich so ist, alle Menschen von diesem Realitätsverlust durch Fantasy betroffen?
Sollten nicht gerade die Kinder, denen es sowieso aufgrund finanzieller Miseren schlecht geht, wenigstens ein Buch zum Träumen haben?
Ich erinnere mich, dass ich als Kind oft mit einem Buch in der Ecke saß, wenn die Welt mich mal wieder so richtig schön ankotzte - und dass mir das Lesen gutgetan hat.
Ich lese viel Fantasy und Phantastik, fast ausschließlich. Und ich habe trotzdem das Gefühl, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen und ich halte mich durchaus für einen realistischen Menschen, der sich vor den harten Fakten des wirklichen lebens nicht verschießt. Ich glaube nicht, dass das Lesenvon Fantasy während meiner Jugend und Kinderzeit mich "verdorben" und realitätsfern gemacht hat.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Rumpelstilzchen

Jedes Buch bring ein bisschen Realitätsflucht mit sich, ob Fantasy, historische Romane, Liebesromane, etc. Ob ich nun in eine Fantasywelt flüchte, in die Vergangenheit oder in eine Rosarote, darin sehe ich keinen Unterschied, allerdings ist Realitätsflucht nichts schlimmes, jeder muss mal abschalten und dem Alltag entfliehen. Das tut auch der Seele gut, doch sollte man die Realität dabei nie aus den Augen verlieren und das ist wahrscheinlich das Schwierige daran, doch hat das dann etwas mit der Persönlichkeit und deren Anfälligkeit zu tun, aber dafür kann man nicht den Fantasytromanen die Schuld geben.
Man kann vor der Realität flüchten, aber ihr nicht entkommen und das sollte man nie vergessen.

Maja

Ich denke mal, das Problem ist hier die Realitätsflucht des Klaus Kordon, der sich schönreden muß, warum kein Kind seine Bücher lesen will. Er ist so ein typischer Schulliteratur-Autor - ich habe eines seiner Werke für die Buchhandelsfachprüfung lesen müssen, und es war übelster Betroffenheitsschmuh, den noch nicht mal ich noch nicht mal in der Mittelstufe hätte lesen müssen (und ich habe viele dieser zeitgenössischen Problembücher gelesen - für die sich schon in den 80ern kein Kind außer mir interessiert hat).

Ich freu mich, wenn das "Hartz-IV-Kind" überhaupt liest. Und was die Wirklichkeit angeht, damit hat es jeden Tag schon genug zu tun, da muß es nicht noch extra Bücher drüber lesen. Und die Nicht-Hartz-IV-Kinder? Müssen die jetzt Bücher über Hartz IV lesen, um zu wissen, was in der Welt vorgeht?

Früher, und schon vor Klaus Kordons großer Zeit, liebten die Kinder schon Märchen. Heute Fantasy. Sollen sie doch lesen, wozu sie Lust haben! Und wie sie ihre Realität verarbeiten und woraus sie ihre Lehren ziehen - das müssen sie am Ende auch selbst sehen. Dem moralischen Zeigefinger des Herrn Kordon nutzt das nur wahrscheinlich nicht mehr viel...
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Arielen

Ein Hartz-IV-Kind, das Fantasy liest, könnte ja Phantasie und Kreativität entwickeln und über die Sachen nachdenken, die es sonst, depressiv der Realität ausgeliefert ungefragt hinnehmen würde, ist mir gleich zynisch eingefallen.

In der heutigen Zeit, wo immer weniger Kinder lesen, ist mir jedes Kind lieb, das wirklich noch was liest, egal was. Und Fantasy hallte ich immer noch für besser als die unzählingen Liebesromanzen, die gerade Mädchen anfangen, immer mehr in klassisch-passive Rollen zu drängen.

Und wie Rumpelstilzchen hier anführt ist jede Literatur Flucht. Auch und vor allem Sachen, die in der Jetztzeit spielen und nicht die gnadenlose Wirklichkeit abbilden (gerade die Liebeschnulzen) sind  eine reine Flucht vor dem tristen Alltag

Mir hat es in all den Jahren auch nicht geschadet, eher im Gegenteil. Als "Fantasy-Freak" bin ich geistig rege geblieben, anstatt abzustumpfen wie viele, die nur in der reinen Realität leben und ihre Depressionen mit wer weiß was bekämpfen.
Alles liegt im Auge des Betrachters

Feuertraum

Ich kann mich an einen Menschen erinnern (kein Verwandter), gut und gerne 20 Jahre älter als ich, der mir verbieten wollte, dass ich Fantasyrollenspiele spiele. Grund: Ich sei dann nicht mehr in der Lage, Realität und Fantasie zu unterscheiden.

Bis heute ist es nicht eingetroffen.

Und so verhält es sich auch mit Fantasyromanen. Es mag sein, dass Kinder noch nicht so den Abstand zwischen Realität und Fantasie wie es ein Erwachsener hat, aber ich behaupte einmal, dass die meisten Kids das schon können.
Sicherlich: es wird immer Menschen geben, die so sehr gefangen sind in einer Fantasy/Fantasie-Welt, dass sie tatsächlich nicht mehr herauskönnen.
Aber dass sind mbMn die großen Ausnahmen.

LG

Feuertraum
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Lavendel

Astrid Lindgren sollten die Kinder demnächst besser auch nicht mehr lesen. Nachher träumen sie noch davon, eine Räubertochter oder ein Räubersohn zu werden, laufen ihren Eltern davon und leben verwahrlost in einer Höhle im Wald. Manche werden sich wohlmöglich weigern in die Schule zu gehen und entführen die Affen aus dem Zoo, damit sie auch einen Herr Nielson zu Hause haben und andere wiederum - schrecklich, sich das vorzustellen - bringen sich vielleicht noch um, um ins Kirschblütental zu kommen! Michael Ende? Besser gar nicht kaufen. Man stelle sich mal vor, Hartz-IV-Kinder träumen von der 'Unendlichen Geschichte' - Drachen, Riesenschildkröten, Elfenbeintürme. Demnächst fangen sie wahrscheinlich auch noch an, mit Damplokomotiven zu reden oder einen Wunschpunsch zu brauen. Nein, das will ich mir lieber gar nicht vorstellen. Leute, lasst eure Kinder bloß nicht lesen! Ihr wisst nie, was in diesen Büchern so alles drin steht!

(Manchmal ist es erstaunlich, was intelligente Menschen so von sich geben. Und als Schriftsteller, sollte man doch meinen, müsste man wissen, in was für einer Relation Literatur und Realität stehen. Aber was soll man sich darüber aufregen? Vielleicht hat da nur jemand mit angstvollem Blick auf seine eigenen Verkaufszahlen geschielt ...)

Ary

#6
Zitat von: Feuertraum am 16. September 2008, 12:09:53
Ich kann mich an einen Menschen erinnern (kein Verwandter), gut und gerne 20 Jahre älter als ich, der mir verbieten wollte, dass ich Fantasyrollenspiele spiele. Grund: Ich sei dann nicht mehr in der Lage, Realität und Fantasie zu unterscheiden.

Bis heute ist es nicht eingetroffen.


Oh, noch jemand, der diesen Spruch kennt. Ich habe lange daran gearbeitet, meinen Eltern zu beweisen, dass mich die Fantasy-Rollenspiele, die ich heute immer noch mit Begeisterung spiele mich nicht gegen die Realität abstumpfen ließen. Für mich ist so ein netter Rollenspielabend wie ein Tag Urlaub in einer anderen Welt. Ich tauche gern ein - und wenn der Abend zuende ist und die Spieler nach Hause (oder offline) gehen, dann tauche ich wieder auf und bin wieder ich, mit meinen ganz realen Alltagssorgen udn Alltagsproblemen - aber ich fühle mich besser, weil ich eben diese Alltagssorgen einen MOment lang vergessen konnte. Das entfernt sie nicht aus meinem Leben, aber es macht sie - genauso wie Lesen, Schreiben und Muskimachen - für mich um einiges erträglicher.

Ich habe noch nie etwas von Herrn Kordon gelesen, aber so, wie Du seine Werke beschreibst, Maja, verspüre ich dazu inzwischen auch keinen größeren Drang mehr. Ich werde gleich trotzdem mal googeln gehen und schauen, was der gute Mann so gschrieben hat.

@Lavendel: Von Harry Potter sollten sie dann ganz die Finger lassen, sonst fangen sie auch noch an zu zaubern. Und Hände weg von "Tintenherz" und Co - wer weiß, was diese lesenden Kinder sonst alles auf unsere Welt loslassen!  :ätsch:
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Artemis

Manchmal frage ich mich wirklich, ob die Leute, die so was behaupten, beim Sprechen überhaupt mitdenken  :gähn: Wie kann man (als Schriftsteller!) etwas derart verallgemeinern? Man möchte glauben, der Mann hat keine Ahnung von Fantasy  ::)

Dass Fantasy nur aus Drachen und Prinzessinen besteht, ist ja schon ziemlich dreist gedacht. Wer sich auf dem Markt umschaut, wird sehen, dass immer mehr Fantasybücher allgemeine Probleme unserer Gesellschaft aufgreifen und verarbeiten. Krieg, Terror, Armut - das fließt zu einem gewissen Teil alles in die Geschichten ein. Und so werden Leser, egal welchen Alters, spielerisch zum Nachdenken angeregt - Nachrichten vorverdaut, sozusagen. Realitätsflucht? Ziemlich unwahrscheinlich. 

Wie sollte man diese "Realtitätsflucht" denn eindämmen? Indem man dem Kind die FAZ in die Hand drückt? Es statt Sandmännchen die Nachrichten schauen lässt? Verbietet Kinderbücher, denn sprechende Hasen / Raupen / Wasweißich widersprechen jeglicher Realität!
Und was ist mit Fernsehen, mit Kino, mit Spielen? Fantasy steckt doch in allem - sobald ein Kind in die Schuhe der Mutter schlüpft und in Leinentücher gehüllt herumstöckelt, ist das eine Fantasy-Geschichte und damit eine Flucht vor der Realität.

Was an Fantasy schädlich sein soll, will mir nicht einleuchten  :hmhm?: Jeder hat doch als Kind mit Hingabe Märchen gehört und gelesen und ist trotzdem heute kein "Freak", der mit einem Brett vorm Kopf und Scheuklappen durch den Alltag läuft. Ehrlich, da kann ich nur mit dem Kopf schütteln bei so einer dumm-dreisten Behauptung  :no:

Lomax

Hm, ja, ich mache solche "Kreuzpostings" in der Regel ja nicht - aber gerade habe ich in "manch anderem Forum" ein langes Posting zu diesem Thema getippt. Und weder will ich das jetzt alles neu schreiben, noch darauf verzichten, hier auch Stellung zu nehmen - deshalb kopiere ich meine Antwort auch in diesen Thread:
 Also, in gewisser Hinsicht ist Herr Kordons Beitrag fair und gerechtfertigt. Es gibt ja auch jede Menge Leute, die selbst nur Unterhaltungsliteratur konsumieren und sich zugleich über die "Hochliteratur" ereifern - warum sollten da nicht auch andere Leute unqualifizierte Äußerungen über Genres tätigen dürfen, die sie nicht kennen?  

Nüchtern betrachtet legt der Beitrag allerdings tatsächlich erhebliche Unkenntnis in den angesprochenen Themen offen. So habe ich beispielsweise während meines Studiums Statistiken gesehen, die eine sehr deutliche Korrelation zwischen Intelligenz und Abstraktionsvermögen und dem Grad, in dem die Lektüre während der Kindheit von der Abbildung der Wirklichkeit abweicht, anzeigen. Da ist eine sehr klare Hierarchie zwischen Nichtleser - Lesern von Sachbüchern/Zeitschriften - Lesern fiktionaler Texte in Bezug auf den späteren Bildungsgrad und der Teilhabe an akademischen Berufen auszumachen. Innerhalb der Literatur lässt sich im statistischen Mittel auch festhalten, dass strikt realitätsbezogene "Problembücher" tendenziell eher in der "Unter-" bzw. "unteren Mittelschicht" zu finden sind, während in Akademikerhaushalten die Kinder mehr mit Märchen- bzw. phantastischer Literatur konfrontiert werden, und auch Kinder aus bildungsferneren Haushalten, wenn sie entgegen der Regel mit weiter von der Realität abweichender Literatur konfrontiert werden, eine günstigere Bildungsprognose bekommen.
 Statistiken sagen nichts über den Einzelfall. Aber zumindest lässt die Empirie schwer den Schluss zu, dass phantastische Texte schädlich sind für die Entwicklung des Kindes - dass aber vorzugsweise Personen mit geringer Bildung und niedrigem Abstraktionsvermögen es als schädlich für die Entwicklung ihrer Kinder ansehen, wenn sie sich mit Dingen ohne direkt erkennbaren Realitätsbezug oder "Nutzen" beschäftigen. Und dass dieses Vorurteil ein Faktor ist, der soziale Fluktuation behindert und "Schichtenbildung" stabilisiert.

Vor diesem Hintergrund ist es ein wenig schade, wenn solche Einschätzungen von einem Autor kommen. Denn was da zitiert wird, ist doch der recht unverbildete Stammtischblick auf den Bezug zwischen Lektüre und kindlicher Entwicklung.

Elena

Hm. Ich habe den Artikel bei Montsegur auch schon gesehen, und dazu fällt mir nur ein:
Aha, Herr Kordon, sie scheinen wohl irgendwo mal das Wort "Fantasy" gehört zu haben und haben damit ebenso viel Ahnung von der Sache wie jemand von Softwareentwicklung, der schon einmal einen Computer gesehen hat. (Prinzessinnen und Drachen?!)

1. Was ist denn die Alternative zu ein bisschen Realitätsflucht? Ich glaube, ohne Fantasyromane würde ich mich derart langweilen in der Welt, dass ich jede Menge Drogen nehmen müsste, um sie mir ein bisschen bunter zu gestalten. Wenn ich jeden Tag die Realität sehe, dann macht es mich nicht realitätsfern, über etwas anderes zu lesen. Realitätsfernheit ist wohl eher ein Problem von Leute, die überhaupt nichts lesen, keine Bücher, keine Tageszeitung, kein gar nichts.

2. Finde ich gerade die neuere Fantasyliteratur nicht so fuchtbar realitätsfremd, viele Motive der Wirklichkeit werden aufgegriffen und die grundlegenden Themen - Tod, Liebe, und dergleichen - werden sowieso bedient und das auch nicht unbedingt realitätsferner als in anderen Büchern.

3. Ist es auch nicht viel weiter von der Realität entfernt als Bücher von Erwachsenen, die über das Lebensgefühl heutiger 15jähriger schreiben.

4. Wenn er sich so große Sorgen um Eskapismus macht, sollte er lieber gegen Religionen wettern. Die sind nicht nur einflussreicher, existierten schon sehr viel länger und haben ein groß angelegtes Netz, um jüngere Leute von ihrem Glauben zu überzeugen, die glauben das auch noch tatsächlich. Mach mal eine Umfrage, wie viele Menschen glauben, dass Harry Potter tatsächlich existiert und wie viel Leute glauben, dass Gott wirklich existiert. Ich wette, Gott wird gewinnen (ich entschuldige mich bei allen Gläubigen, denen ich hiermit auf die Füße getreten bin, aber für mich ist Gott so fiktiv wie Harry Potter).

5. Ich habe noch nie einen Fantasyfan getroffen, der über seine Lektüre die Wirklichkeit ausgeblendet hat, und man . Man liest ja, je nachdem, wie viel Zeit man so hat, vielleicht eine Stunde am Tag, wenn überhaupt. Die restlichen 23 lebt man dann in der knallharten Realität und kann sich immer wieder vor Augen halten, wie die so ist. Ob es das Leben lebenswerter macht, wer weiß. Ich sehe eher das umgekehrte Problem, nämlich Jugendliche, die an ihrer Realität verzweifeln und dann aufgeben.

6. Ich habe lieber jemanden, der glaubt, dass man gegen Unrecht und Unterdrückung vorgehen muss, als jemand, der jeden Tag lernt, dass sich nichts ändert wird. Niemals.

7. Fantasyliteratur vermittelt Werte, die heutzutage von kaum einer anderen Instanz mehr geliefert werden. Freundschaft, Liebe, Gerechtigkeit und Treue sind klassicher Themen der Fantasyliteratur, die in andren Büchern kaum mehr hochgehalten werden. Darüber zu lesen und das zu verinnerlichen halte ich persönlich auch besser als jeden Tag vorgehalten zu bekommen, dass nur der Stärkste gewinnt und jeder, der nicht skrupellos, knallhart und eiskalt ist, auf der Strecke bleibt.

8. In der realen Literatur werden die Leser mit Problemen konfrontiert, aber fast nie wird der Versuch einer Lösung gemacht. Diese Trost- und Hoffnungslosigkeit ist viel tödlicher als jede Träumerei.

Ich hoffe nur, dass nicht zu viele Eltern, die mit Fantasyliteratur nichts am Hut haben, Artikel und Meinungen wie diese zum Vorbild nehmen. Denn was der Herr Kordon "sich so vorstellt", ist im höchsten Maße - realitätsfern.

Liebe Grüße,

Elena

Linda

Oje oje oje...

empfehle die Lektüre von Bruno Bettelheims "(Hartz IV-)Kinder brauchen Märchen", dann die der "Unendlichen Geschichte" (Thema Mobbing), Lindgrens tolle Texte wurden ja bereits genannt (Verwahrloste Jugendliche wie Pippi, Ronja und Birk  ;)/ Geschwistertodbewältigung) und damit sollte der gute Mann seinen Horizont schon mal entscheidend erweitert haben. Gibt es eigentlich ein Fantasybuch, in dem das Thema "Neid unter Kollegen" angeschnitten wird?

Viel Spaß beim Lesen,

wünscht
Linda

PS:
Sinngemäß zitiert aus "Über Märchen" JRR Tolkien: "Jeder Gefangene hat das Recht, sogar die Pflicht, seinem Kerker zu entfliehen"

Falckensteyn

Zitat von: Aryana am 16. September 2008, 11:51:03
Ich lese viel Fantasy und Phantastik, fast ausschließlich. Und ich habe trotzdem das Gefühl, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen und ich halte mich durchaus für einen realistischen Menschen, der sich vor den harten Fakten des wirklichen lebens nicht verschießt. Ich glaube nicht, dass das Lesenvon Fantasy während meiner Jugend und Kinderzeit mich "verdorben" und realitätsfern gemacht hat.

Das geht mir genauso. Ich brauche Fantasy und Realitätsflucht, wie eine Pflanze das Licht zum wachsen. Meine Kindheit war angefüllt mit Fantasy- und Science Fiction-Träumen und Fluchten. Deswegen bin ich kein "abnormaler" Mensch geworden und eigentlich ganz stolz auf alles, was ich erreichte.

Jeder Mensch hat das Recht, der Realität und dem Druck, der auf uns allen lastet, zu entfliehen. Und zwar dorthin, wo er will. Für mich war schon immer klar, dass ich meine Fantasy zum Überleben brauche. Damals noch dachte ich zwar, ich sei wirklich nicht normal, aber unterdessen ist es Teil von mir und ich bin mir sicher, dass ich nicht realitätsfremd lebe.

Meine beiden Söhne werden - im Mass natürlich - ihre Träume ebenfalls so ausleben dürfen, wie sie das wollen.

Vielleicht gehört das sogar zum Menschsein dazu und ist ein Teil von uns.

Issun

Aha. Irgendwie bin ich zu der Annahme gekommen, dass besagter Herr Kordon niemals wahlweise ferngesehen, Musik gehört, etwas getrunken, geraucht oder geschlafen (denn auch das ist Realitätsflucht ;)) hat. Vermutlich hält er seinen Kindern (so er welche hat) die Ohren zu, wenn Märchen erzählt werden, und reicht ihnen stattdessen die Tageszeitung.

Es zeugt von großer Ignoranz, sich gegen etwas zu äußern, das seit tausenden Jahren zum menschlichen Kulturgut zählt, nämlich phantastische Geschichten. Ich denke, Menschen haben immer schon Geschichten erfunden und erzählt, seien es Märchen, Sagen oder Legenden, und die Botschaften darin waren nicht weniger wichtig als die eines harten Realitätsberichts. Aber von verschiedenen Gruppen wird heute die Einstellung vertreten, dass die Kindheit der Menschen so kurz wie möglich gehalten werden sollte, und dass Fantasie für Erwachsene ohnehin ein Tabu ist. Irgendwie absurd, wenn man bedenkt, dass Fantasie zu jeder Zeit und überall auf der Welt einen wichtigen Status hatte.

Tintenfalke

ZitatGibt es eigentlich ein Fantasybuch, in dem das Thema "Neid unter Kollegen" angeschnitten wird?

Ja. Nennt sich Artus-Saga ;)


Hat Klaus Kordon schon mal die Ilias oder die Odyssee gelesen? Götter, Ungeheuer, epische Schlachten?

*kopfschütteln* Ansonsten kann ich mich der Meinung von Elena nur anschließen. Vielleicht sollte er mal über den Tellerrand hinaus schauen und Motive und Allegorien in Fantasy-Romanen mit Geschichte und Realität vergleichen. Dann wird er sehen, dass lediglich die Verpackung eine fantastische ist.


Coppelia

#14
Es gibt ja wirklich Fantasy, bei der man sich stellvertretend für ihre Autoren schämt und wo einem wieder einfällt, woher das Genre seinen schlechten Ruf hat (hatte?). Aber bei diesen Texten sehe ich ganz andere Probleme als eventuelle Realitätsflucht der Leser.

Eigentlich glaube ich, dass der Hauptgrund für das Runtermachen von Fantasy von der Seite derjenigen, die sich nicht damit befassen, Angst ist. Ich kenne selbst solche Leute (Bekannte von meinen Eltern), denen allein der Anblick der Vulkanierohren von Star Trek ernsthafte Angst einflößt, sodass sie sich gar nicht trauen, den Fernseher anzuschalten (ja, das habe ich von ihnen selbst gehört). Genau diese Leute gehören zu denjenigen, die sich enorm dafür engagieren, z. B. den heutigen Jugendlichen die Ereignisse des 2. Weltkriegs wieder vor Augen zu führen. Das machen sie mit großem Eifer (und es ist eine ehrenvolle Tätigkeit, ganz gewiss).
Ich habe trotzdem irgendwie immer Mitleid mit diesem Ehepaar gehabt, das sich fürchtet, sobald es auch nur etwas Winziges sieht, was nicht in sein "realistisches" Weltbild passt. Diese Leute müssen quasi Fantasy herunterputzen, wo immer sie können (wenn sie wüssten, dass ich Fantasy schreibe, wären sie ernsthaft zutiefst entsetzt und würden nichts mehr mit meinen Eltern zu tun haben wollen), denn wer würde nicht gern das, wovor er schreckliche Angst hat, als schädlich ansehen und es zum Grund für Probleme erklären, an denen er selbst nicht schuld sein will?
An diese Leute hat mich die Aussage von Kordon erinnert. Von denen habe ich nämlich schon ganz ähnliche Dinge gehört. "Die Jugendlichen wollen sich den heutigen Problemen nicht mehr stellen, weil alle nur noch von diesem schrecklichen Zauberer lesen wollen ..." Da kann man nur noch verkniffen lächeln und sich verabschieden, welchen Sinn hat da die Diskussion?
Ich frage mich aber immer noch, was ihnen eigentlich die Angst einjagt - ist es, dass etwas nicht so ist, wie sie es sich vorstellen? Oder ist es die Angst vor der Fantasie anderer Menschen, die nicht von ihnen kontrolliert werden kann? *rumphilosophier*

Ich muss allerdings sagen, die Fälle, wo Realität und Einbildung von einem Menschen nicht mehr auseinander gehalten werden können, finde ich tatsächlich irgendwie beängstigend. :gähn: Das gibt es natürlich, aber völlig unabhängig von irgendwelcher Fantasyliteratur. Aber wenn ich so darüber nachdenke, wahrscheinlich bildet sich jeder irgendwas ein, was er für Realität hält, obwohl es das nicht ist.