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Unterschiedliche Zielgruppen innerhalb der Fantasy?

Begonnen von Lord Bane, 05. Januar 2008, 15:30:21

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Lavendel

Um damit mal einen Bogen zurück zum Thema zu schlagen: Mit den Jugendbuchtiteln, die Linda als All-ager zusammengefasst hat, ist das so eine Sache. Ich kann jetzt natürlich nur auf Basis meiner eigenen Erfahrungen argumentieren, aber ich habe den Eindruck, dass diese Titel von Jugendlichen zwischen 14 und 18 ziemlich seltener gelesen werden. Von jüngeren Heranwachsenden, wie man so schön sagt, und von Erwachsenen - den habe ich, weil das in meinem eigenen Freundeskreis so war und weil es bei meinen Geschwistern (habe drei in dem Alter) und ihren Freunden ähnlich ist (HP ausgenommen. Das liest ja jede/r). Sollte meine nähere Umgebung wirklich repräsentativ sein, würde das bedeuten, dass viele Titel an ihrer eigenen Zielgruppe 'vorbeigehen'. Mir jedenfalls erscheint das insofern einleuchtend, dass man grob ab 14 immer erwachsener sein will, als man eigentlich ist. Das schlägt sich dann wohlmöglich auch im Leseverhalten nieder. Sprich, man nimmt sich eher Romane für Erwachsene vor. Außerdem sind in dem Alter Liebe und Sexualität ja doch Recht große Themen. Und gerade das wird in Jugendbüchern immer brav ausgeklammert, wenn überhaupt nur ganz verschwommen angedeutet. Mich würde ja mal interessieren, ob ihr ähnliche Beobachtungen gemacht habt.

Die Jugendfantasy, die zurzeit auf dem Markt ist, zeichnet sich dadurch aus, dass sie zum Großteil nicht so einfallslos ist, wie das was im Fantasyregal für 'Große' steht. Darum vielleicht auch die Bestsellerlistenplätze. (?)

Lomax

Zitat von: Lavendel am 10. Januar 2008, 10:37:38Mit den Jugendbuchtiteln, die Linda als All-ager zusammengefasst hat, ist das so eine Sache. Ich kann jetzt natürlich nur auf Basis meiner eigenen Erfahrungen argumentieren, aber ich habe den Eindruck, dass diese Titel von Jugendlichen zwischen 14 und 18 ziemlich seltener gelesen werden.
Nein. Echte "All Ager" werden eben nicht als Jugendbuch vermarktet. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium ist beispielsweise, dass es im "All Ager" in der Regel eben keine betont "altersgruppenentsprechende" Hauptfiguren gibt. Natürlich gibt es auch Jugendbücher, die vielseitig genug sind, um auch Ältere anzusprechen, aber der klassische "All Ager" ist eigentlich genau das Gegenteil: Ein Buch, das aussieht wie ein Buch für Erwachsene, aber betont alles ausklammert, womit ein jüngere Publikum womöglich nicht zurechtkommt.
  Und das sind genau die Bücher, die man in der Regel ab 14 anfängt zu lesen - wenn man dann überhaupt noch breit liest und nicht wieder in eine andere, altersgerecht zugeschnittene Zielgruppensparte rutscht, beispielsweise in die "Problembücher", die wiederum gezielt "Themen für Heranwachsende" zu bringen versuchen.

Harry Potter ist in dem Zusammenhang schwer einzuordnen, denn die Hauptfiguren sind ja mitgealtert, so dass die letzten Bände eigentlich keine klassischen Kinder-/Jugendbücher mehr sind. An Harry Potter sieht man eigentlich, wie sich der fließende Übergang vom Jugendbuch zum "All Ager" gestaltet ;)

Cailin

Zitat von: Lomax am 10. Januar 2008, 14:45:54
Nein. Echte "All Ager" werden eben nicht als Jugendbuch vermarktet. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium ist beispielsweise, dass es im "All Ager" in der Regel eben keine betont "altersgruppenentsprechende" Hauptfiguren gibt. ... der klassische "All Ager" ist eigentlich genau das Gegenteil: Ein Buch, das aussieht wie ein Buch für Erwachsene, aber betont alles ausklammert, womit ein jüngere Publikum womöglich nicht zurechtkommt.
 

hm ... Und welche Titel würden dann Beispielsweise für dich unter die All Ager fallen?

Lomax

Zitat von: Cailin am 10. Januar 2008, 15:06:56hm ... Und welche Titel würden dann Beispielsweise für dich unter die All Ager fallen?
Der "All Ager" ist eher ein Ideal als ein fest zu umreißendes "Subgenre". Deshalb zieht, wenn es konkret wird, auch jeder Verlag und jede Agentur die Grenzen ein wenig anders. Als grobe Richtlinie kann man wohl den Vergleich mit den typischen "Hollywood-Familienfilmen" heranziehen - also Bücher, die sich nicht gezielt an eine spezielle Altersschicht wenden, die versuchen, für jeden etwas zu bieten aber nichts in dem Maße, dass es für irgendwen ein Problem darstellen würde.
  Mit aller gebotenen Vorsicht würde ich mal sagen, dass eigentlich ein großer Teil der heute erfolgreichen Fantasy aus "All Agern" besteht, beispielsweise auch Völkerromane wie "Die Zwerge" etc. Um das genau zu beurteilen, müsste ich sie gelesen haben - aber alles, was ich bisher darüber gehört habe (und insbesondere auch Kritiken zu den Punkten, die in den Büchern nicht zu finden sind), deuten darauf hin.
  Klassische "All Ager" wären auch Entwicklungsromane um einen nicht betont jugendlichen/kindlichen Protagonisten - "Die Sieben Zitadellen" würde mir da als charakteristischer Klassiker einfallen; ein "All Ager" im positiven Sinne.
  Alles, was ich bisher geschrieben habe, waren auch "All Ager" - was wohl auf alle DSA-Romane zutrifft (oder zutreffen sollte, denn ich kenne sie natürlich längst nicht alle), und auch so ziemlich alle Media-Romane sind so angelegt (also nicht nur Rollenspielromane, sondern auch die Begleitbücher zu Star Trek, Star Wars etc.).

Damit jetzt nicht der Eindruck entsteht, alle Unterhaltungsbücher, die keine expliziten Jugendbücher sind, wären "All Ager", will ich auch noch ein paar Gegenbeispiele nennen: Unter den von mir schon als Lektor betreuten Titeln und Autoren würde ich u.a. China Mieville, Neal Asher und Justina Robson definitiv nicht als "All Ager" einschätzen - zumindest, was die meisten ihrer Romane betrifft. Wobei es vermutlich kein Zufall ist, dass die beiden letztgenannten Autoren SF-, keine Fantasyschreiber sind, und Mieville auch eher von der SF-Szene adoptiert wurde als von den Fantasylesern.
  In der Fantasy ist es tatsächlich schwer, sich von der Kernzielgruppe eines jungen Publikums fortzubewegen. Und, ja - Harry Potter ab Band drei dürfte wohl tatsächlich das Idealbild eines "All Agers" sein, das dem Verlagsmarketing vor Augen steht. Zumindest, was das Verkaufspotenzial dieser "Buchklasse" angeht ;D

Lord Bane

#49
@ Lomax

Und ich hielt Mieville immer für Urban Fantasy  ???, aber solche scharfen Kategorisierungen sind wahrscheinlich ohnehin Blödsinn.

Ich weiß auch nicht, ob Fantasy sich im Kern an ein jüngeres Publikum richtet. Sicher ist das bei Harry Potter und ähnlichem der Fall, aber ich kenne genug Bücher, die, falls sie einmal werkgetreu verfilmt würden, wahrscheinlich den Aufkleber "Ohne Jugendfreigabe" bekämen. Ed Greenwood ist da so ein Kandidat oder Glen Cook und David Gemell. Der von mir so geschätzte Mr. M. zieht manchmal auch recht kräftig vom Leder. (Wenn Elric werkgetreu verfilmt wird, dann sieht das aus wie 300 auf LSD )

Wenn ich allerdings genauer darüber nachdenke, dann weiß ich nicht mehr, was nun als "All Ager" gelten sollte. Als Autor ist es mir schlicht und einfach nicht möglich, eine Sex- oder Gewaltszene zu schreiben, die die Kiddies im Internet nicht schon wesentlich härter gesehen hätten.
Und ich denke auch nicht, dass Jugendliche sich von sogenannten "harten" Szenen in Büchern abschrecken lassen. Da ist, wie bei Filmen, wohl eher das Gegenteil der Fall.
Demnach darf meiner Einschätzung nach alles, was kein explizites Kinderbuch ist alles. Ab 12 kaufen die Kinderschen sich die Bücher ohnehin selbst, so dass die Vermarktung auch keine Rücksicht mehr auf manchmal empfindlichere Elterngeschmäcker nehmen muss  8).

Lomax

Zitat von: Lord Bane am 10. Januar 2008, 18:43:50Und ich hielt Mieville immer für Urban Fantasy  ???
Wie gesagt - "All Ager" ist keine Genre- oder auch nur Subgenrebezeichnung (auch wenn beides Einfluss auf die Zielgruppenansprache hat)! Eine Aussage dazu, ob Mieville "All Ager" schreibt, sagt gar nichts darüber aus, was für einem Subgenre seine Geschichten zuzuordnen sind. "Perdido Street Station" könnte "Urban Fantasy" sein und ein "All Ager", es kann aber auch "Urban Fantasy" sein und kein "All Ager".
  Man könnte also sagen, wenn Bücher Tiere wären und das Subgenre die Tierart bezeichnet, dann entspräche die Altersgruppenzuordnung der Farbe des Tiers ;)

Lomax

P.S.:
Zitat von: Lord Bane am 10. Januar 2008, 18:43:50Ich weiß auch nicht, ob Fantasy sich im Kern an ein jüngeres Publikum richtet. Sicher ist das bei Harry Potter und ähnlichem der Fall, aber ich kenne genug Bücher, die, falls sie einmal werkgetreu verfilmt würden, wahrscheinlich den Aufkleber "Ohne Jugendfreigabe" bekämen. ... Als Autor ist es mir schlicht und einfach nicht möglich, eine Sex- oder Gewaltszene zu schreiben, die die Kiddies im Internet nicht schon wesentlich härter gesehen hätten.
Du hast natürlich Recht. Mit beiden Aussagen: Natürlich gibt es auch Fantasy, die nicht "familienfreundlich" ist, und natürlich kann es durchaus sein, dass auch ein jüngeres Publikum die Sachen "cool" findet, die eigentlich nicht für sie bestimmt sind - und diese Dinge auch besorgen könnte.
  Trotzdem sieht der Alltag anders aus. Die meiste Fantasy ist ein wenig zurückgenommen und wird für "junge Erwachsene+" gestaltet. Und die meisten Verlage achten darauf, gewisse Dinge nicht zu tun, wenn sie mit einem Buch als Kernzielgruppe junge Erwachsene mit der Option auf ein möglichst breites Zusatzpublikum ansprechen wollen. Und dabei geht es nicht mal unbedingt nur um explizite Sex- und Gewaltdarstellungen, sondern auch um andere Dinge, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie bestimmte Altersgruppen überhaupt nicht interessieren. Die "Oma-Verschenkfähigkeit" ist allerdings tatsächlich eher ein Merkmal von Jugendbüchern  ;)

Lord Bane

Zitat von: Lomax am 10. Januar 2008, 19:12:30
Und dabei geht es nicht mal unbedingt nur um explizite Sex- und Gewaltdarstellungen, sondern auch um andere Dinge, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie bestimmte Altersgruppen überhaupt nicht interessieren.

Das interessiert mich jetzt aber wirklich. Was sind das denn für Dinge? ???

Shay

ZitatDie "Oma-Verschenkfähigkeit" ist allerdings tatsächlich eher ein Merkmal von Jugendbüchern
Hihi, genau dabei haben sich meine Eltern ein paar Mal kräftig vertan. Das Buch mit den übelsten Sex- und Gewaltdarstellungen war ein Geschenk von ihnen und auch dasjenige, mit dem die Aufklärung meines Freundeskreises stattfand. Wir haben uns damals - ganz offiziell - in meinem Baumhaus getroffen, um uns gegenseitig aus Büchern vorzulesen. Das meiste wurde dann aber aus Gary Jennings "Azteke" vorgelesen, das meinen Eltern als vorzüglicher historischer Roman verkauft wurde. War es auch, aber sie hatten eben vergessen, daß der Empfänger noch keine 12 Jahre alt war ;-)
Aber bei dem Tempo, mit dem ich die Buchstaben verschlungen habe, waren wohl einige Fehlgriffe nicht zu vermeiden.

[/OT]

Lomax

Zitat von: Lord Bane am 10. Januar 2008, 19:32:20Das interessiert mich jetzt aber wirklich. Was sind das denn für Dinge? ???
Ganz unspektakulär ;): Typische Pubertätsprobleme wie allgemeiner Weltschmerz, keiner-versteht-mich, erste Liebe etc.; oder, an der anderen Seite des Spektrums: Eheschwierigkeiten, Altersprobleme und Probleme mit dem Älterwerden, Familienkrams ... Es gibt ganze Bücher, die auf genau solchen Fragen aufgebaut sind und darin schwelgen. In einem "All Ager" kommen sie entweder nicht vor, oder sie werden nur angerissenen - in homöopathischen Dosen eingestreut, nett in eine Nebenhandlung verpackt und aus der Distanz dargestellt.
  Oft sind es auch nicht konkrete Themen, die vermieden werden, sondern Arten der Darstellung: Ein gewisser zynischer, trockener Ton passt nicht zum All-Ager; die Darstellung einer Kindheit aus einer klaren erwachsenen Perspektive, als mystifizierender Blick zurück oder aus abgeklärter Distanz; akademische Hintergründe (sei es konkret, wie beispielsweise bei "Wissenschaftsthrillern", oder auch formal durch Sprache und Anspielungen im Text).

Kurz gesagt: Man vermeidet Dinge, die dem Text - sei es durch Erzählton oder Themenwahl - ein bestimmtes "Alter" verleihen. Denn dann würden Leser, die nicht zu diesem Alter passen, sich fremd darin fühlen und ausgeschlossen vorkommen.

Amber

Es ist aber schon was dran, dass viele Romane für Jugendliche an ihrer Zielgruppe vorbeigehen. Ich hab da gerade einen Artikel zu im Börsenblatt gelesen. 14-16-jährige sind recht schwer zu erreichen, weil in dem Alter Bücher oft als 'uncool' gelten oder weil sie wie schon hier gesagt lieber Bücher für Ältere lesen, um sich älter vorzukommen oder sich tatsächlich schon älter fühlen (sie kommen ja auch eher in die Pubertät als vor 20 Jahren, und die Verlage müssen sich darauf erstmal einstellen). Die Trennlinie zwischen Jugend- und Erwachsenenbuch wird einfach immer unschärfer.
Angeblich hätte es auch was mit dem Jugendtrend in unserer Gesellschaft zu tun, dass so viele Erwachsenen zu Jugendbüchern greifen.
Ich persönlich hab das schon immer getan und werde es sicher auch weiterhin ;)