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Größen und Formen - Wie beschreiben?

Begonnen von Michael W, 06. Juli 2023, 21:17:44

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Michael W

Wenn ich mir eine Tür vorstelle, denke ich automatisch an die Abmessungen - 80 cm breit und 2 Meter hoch. Dabei gibt es Türen in allen möglichen Größen.
Vielleicht liegt es daran, dass ich Techniker bin und im Beruf viel damit zu tun habe. Aber beim Schreiben verzichte ich in letzter Zeit möglichst auf Zahlen. Meistens irritiert das nämlich, anstatt hilfreich zu sein. Leider tendiere ich dann oft zum anderen Extremfall: Die Größenangaben sind zu unpräzise. Ein riesiger Raum, ein hohes Gebäude, das kann ja alles sein. Als Zwischenlösung baue ich dann einen Vergleich ein (z. B. "so groß wie eine Katze", "so hoch wie drei normale Stockwerke"). Ich bin mir aber nicht sicher, ob das ideal ist.

Formen sind ein noch schwierigeres Thema. Ich habe den Eindruck, dass die Anzahl der Formen, die man mit Worten leicht und verständlich beschreiben kann, sehr limitiert ist. Viele Formen haben zwar Bezeichnungen, aber die kennen die wenigsten. Ich würde nicht einmal davon ausgehen, dass allgemein bekannt ist, wie ein Prisma aussieht. Mir ist schon mal ein Bild eines Prismas untergekommen, das gar keines war, sondern eindeutig eine Pyramide ...
Im Alltag werden die Bezeichnungen von 2D- und 3D-Formen auch noch vermischt (z. B. Würfel statt Quadrat). Und manchmal habe ich das Gefühl, dass niemand mehr weiterliest, wenn ich mehr als zwei Sätze zum Beschreiben einer Form brauche. Da hilft dann nur mehr ein Bild.

Habt ihr Vorschläge, wie man in solchen Situationen am besten vorgeht? Wie schreibt ihr über Größen und Formen?

Mondfräulein

Ich bin sehr schlecht darin, die Größe eines Raumes oder Gebäudes in Metern zu schätzen. Ich kann mir unter 20m wenig vorstellen und könnte ehrlich auch nicht sagen, ob das Haus, in dem ich wohne, eher 10m oder eher 20m hoch ist. Also würde eine Angabe in Zahlen mir im Buch auch nicht helfen. Anderen gelingt das vielleicht besser, aber für mich waren solche Angaben auch nie relevant. Wenn ich ein Haus beschreiben müsste, dann würde ich die Größe also eher mit Vergleichen beschreiben. Ich weiß ungefähr, wie groß ein Einfamilienhaus mit zwei Stockwerken normalerweise ist, damit kann ich etwas anfangen.

Wenn es darum geht, einen Raum zu beschreiben (ich stütze mich jetzt mal auf dieses Beispiel), dann ist es aber ehrlich gesagt auch nicht wichtig, dass die Leser*innen sich das am Ende so vorstellen wie du. Wenn ich mir eine Halle vorstelle, die 50m lang und 20m breit ist, spielt es dann wirklich eine Rolle, ob die Leser*innen sie sich 20m lang und 10m breit vorstellen? In den allermeisten Fällen nicht.

Ich würde mich also darauf fokussieren, was in diesem Moment wichtig ist. Wenn ich die Halle beschreibe, was soll bei den Leser*innen ankommen? Und da greife ich am liebsten auf subjektive Eindrücke zurück. Die Halle in diesem Fall vermittelt durch ihre Größe vielleicht ein Gefühl der Verlorenheit, meine Figur fühlt sich eingeschüchtert. Es dauert unangenehm lange, bis sie die Halle durchquert hat und währenddessen spürt sie die Blicke der anderen auf sich. Ihre Schritte hallen von den Wänden und der hohen Decke. Vielleicht denkt sie daran, dass ihr ganzes Elternhaus mehrmals in diese Halle passen würde. Das sind Eindrücke, mit denen die Leser*innen etwas anfangen können. Ob sie sich die Halle jetzt größer oder kleiner vorstellen als ich ist meistens unerheblich. Hauptsache, das Gefühl kommt rüber. (Besser noch, wenn ich das Gefühl noch mit einem persönlichen Eindruck verbinde. Vielleicht hat meine Figur Erinnerungen an diese Halle? Vielleicht erinnert sie sie an etwas, was sie kennt? Ist meine Figur das erste Mal in so einer großen Halle? Warum reagiert gerade meine Figur auf diese bestimmte Weise auf die Halle?)

Wenn ich beschreibe, dass Boden und Wände der Halle aus schwarzem Marmor bestehen, dass die Wände mit Wandteppichen behangen sind, dass die Decke gewölbt und mit buntem Glas verkleidet ist, dass in der Halle riesige Kronleuchter hängen und auf dem Boden ein roter Teppich bis zum Thron ganz am Ende der Halle führt, dann kann man sich daraus schon ungefähr etwas vorstellen. Wenn ich jetzt aber zehn Menschen bitten würde, diese Halle zu zeichnen, dann würden zehn unterschiedliche Bilder herauskommen. Das ist aber auch okay so. Man muss den Leser*innen auch gewisse Freiheiten geben.

Insofern würde ich Größen und Formen immer im Verhältnis zur Figur beschreiben. Dieselbe Tür ist für einen Zwerg groß, für einen Menschen genau richtig und für einen Orc zu klein. Dieselbe Halle wirkt auf eine Figur einschüchternd, eine andere Figur fühlt sich davon angespornt, so einen ehrfürchtigen Ort zu betreten, und strafft ihre Schultern. So etwas ist viel wichtiger, als zu wissen, ob die Halle 20m oder 50m lang ist. Ich muss nicht wissen, wie groß die Halle ist. Riesig reicht manchmal aus. Ich muss aber vor allem wissen, wie meine Figur auf diese Größe reagiert.

Michael W

Zitat von: Mondfräulein am 06. Juli 2023, 21:52:16Ich bin sehr schlecht darin, die Größe eines Raumes oder Gebäudes in Metern zu schätzen.
Absolut kein Problem! Das bestärkt mich schon mal in meinem Vorhaben, Meterangaben beim Schreiben zu minimieren. In meinem aktuellen Projekt verzichte ich sogar komplett auf das Wort "Meter", denn es spielt auf einem anderen Planeten.

Zitat von: Mondfräulein am 06. Juli 2023, 21:52:16Wenn ich mir eine Halle vorstelle, die 50m lang und 20m breit ist, spielt es dann wirklich eine Rolle, ob die Leser*innen sie sich 20m lang und 10m breit vorstellen? In den allermeisten Fällen nicht.
Ich denke, ich weiß, was du damit sagen willst. Eine 50 mal 20 Meter große Halle ist zwar fünfmal so groß wie eine 20 mal 10 Meter große, und wenn man in der Realität beide Hallen betritt, merkt man den Unterschied sofort. Vergleicht diese Hallen aber anhand von Fotos, dann sehen sie fast identisch aus, wenn keine Referenzpunkte vorhanden sind. Anders ist es, wenn Menschen, Möbel etc. vorhanden sind. Beim Lesen ist man ja auch nicht wirklich dort und ist auf solche Referenzpunkte angewiesen.

Zitat von: Mondfräulein am 06. Juli 2023, 21:52:16Wenn ich die Halle beschreibe, was soll bei den Leser*innen ankommen? Und da greife ich am liebsten auf subjektive Eindrücke zurück.
Zitat von: Mondfräulein am 06. Juli 2023, 21:52:16Insofern würde ich Größen und Formen immer im Verhältnis zur Figur beschreiben.
Das sind gute Ansätze! Ich ertappe mich ja immer wieder dabei, zu wenig Fokus auf die Figuren zu setzen. Dabei bringen die erst Kontext und Leben in eine Geschichte. Ich werde mir vornehmen, diesen Zusammenhang stärker in den Vordergrund zu bringen.

Danke für deine Antwort!

Avery

Zitat von: Mondfräulein am 06. Juli 2023, 21:52:16Das sind Eindrücke, mit denen die Leser*innen etwas anfangen können. Ob sie sich die Halle jetzt größer oder kleiner vorstellen als ich ist meistens unerheblich.

Das hier möchte ich mal ganz fett unterstreichen, da das mein erster Gedanke war. Ich habe das Gefühl, man neigt vor allem bei Settings, die im eigenen Kopf detailgetreu existieren, dazu, den Lesenden exakt dieses Bild vermitteln zu wollen. Ging mir auch schon oft so, vor allem wenn ich besonders stolz auf ein bestimmtes Setting war. Aber letztendlich muss man an der Stelle einen Schritt zurückgehen und sich fragen: Was genau beabsichtige ich überhaupt mit dieser Geschichte? Will ich die Lesenden ganz eng an die Hand nehmen und ihnen meine Vorstellungen detailgetreu "aufzwängen", oder will ich nicht vielmehr, dass sie in der Geschichte versinken und sie auf ihre Weise erleben können?
Ich persönlich merke z.B. beim Lesen vermehrt, dass ich es eher anstrengend finde, wenn mir jemand einen Raum bis ins winzigste Maßdetail beschreibt, da in meinem Kopf sowieso eigene Bilder entstehen. Oder wie @Mondfräulein so schön schrieb "Wenn ich jetzt aber zehn Menschen bitten würde, diese Halle zu zeichnen, dann würden zehn unterschiedliche Bilder herauskommen" - Und ja, ich glaube, das passiert sogar dann, wenn ich die Halle millimetergenau umschreibe. Also kann ich es direkt lassen und mich lieber auf die Atmosphäre konzentrieren.  :) Haben Größe und Form eine wirklich wichtige Handlungsrelevanz, dann würde ich auch auf Relationen und passende Vergleichsgegenstände zurückgreifen.

Rotkehlchen

#4
Ich habe das Problem nicht mit Grö?en oder mit der Beschreibung von Formen oder Räumen, sondern mit der Zeit.

Ich hatte vor kurzem an einen Projekt geschrieben, das neue Jahrhunderte in der Vergangenheit spielt.
Ich hab dann von "einigen Momenten", "einigen Sekunden", oder "Minuten" geschrieben.
Ich hab mich dann immer gefragt, hatte man damals das gleiche Empfinden für Zeit? So wie ich heute?

Wie beschreibt man eine Zeitdauer in einer anderen Welt? Oder auf einem anderen Planeten?
,,Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge."
Kurt Marti

Araluen

Du könntest Atemzüge oder Herschläge nehmen für kürzere Zeitspannen. Der Zahlenwert hinter der Zeitspanne "Atemzug" mag nicht der gleiche sein in unserer Welt und der fiktiven, ist er ja nichtmal, wenn man drei Leute fragt, aber jeder hat ein grobes Gefühl dafür, wie lange es dauert.
Also auch hier kann man gut auf Vergleichsbilder zurückgreifen, vor allem wenn die Geschichte in einer anderen Welt spielt und die dortige Gesellschaft das Zeitmaß einfach anders defininiert hat (ein Aufwand, den ich mir nur machen würde, wenn das auch plottechnisch relevant ist).

Christopher

Den Hinweis auf die Relation zur Figur wollte ich auch geben. Ich versuche das auch stets so zu machen. Die Tür ist so klein, dass sie sich ducken muss oder eben nicht. Oder der Typ der einen Kopf größer ist als sie duckt sich reflexartig etwas beim Durchschreiten der Tür. Solche Dinge.

Abgesehen davon würde ich dir tatsächlich von Beschreibungen wie "Die Halle war etwa fünfzig Meter lang" komplett abraten. Präzision schränkt den Leser in seiner Vorstellung ein. Je präziser du wirst, desto eingeschränkter ist der Leser. Aber du wirst es niemals schaffen, egal wie präzise du bist, nur mit Worten immer die exakt selbe Vorstellung zu vermitteln.

Das solltest du aber auch gar nicht erst versuchen. Denk mal an Kampf- oder Sexszenen. Gerade bei letzteren wird eine sehr technische, präzise und korrekte Beschreibung den kompletten Reiz der Szene zerstören. Bei ersterem kannst du hingegen mehrere Seiten darüber schreiben, wie genau diese Bewegung denn jetzt ausgesehen hat und trotzdem niemals präzise genug sein (aber auf jeden Fall sehr ermüdend).
Denk lieber darüber nach, was du vermitteln willst. Du willst nicht vermitteln, dass der Thronsaal exakt 256 Meter lang ist und von 20 Meter hohen Säulen getragen wird. Du willst vermitteln, dass er eindrucksvoll ist. Und da hat Mondfräulein schon gute Beispiele gegeben.

Vielleicht als einzig wirklicher Mehrwert von mir noch:
Je wichtiger der Ort und je häufiger er vorkommt, desto besser sollte er beschrieben sein. Allerdings kann man die Beschreibung dann auch auf die mehreren Male die er vorkommt verteilen. Die meisten Geschichten spielen an einer Handvoll Orte, die immer wieder vorkommen, und an Einmal-Schauplätzen. Ersteres kannst und sollst du ausgiebiger beschreiben, Zweiteres eher weniger.
Be brave, dont tryhard.

Mondfräulein

Was mir gerade noch eingefallen ist: Manchmal können Meterangaben auch richtig gut passen, zum Beispiel, wenn sie mir etwas über die Figur verraten. Zum Beispiel, wenn meine Figur besagte Halle so beschreibt:

ZitatDer Thronsaal war etwa fünfzig Meter lang und zwanzig Meter breit. Die Tür, durch die ich soeben getreten war, war der einzige Zugang, den ich von hier aus erkennen konnte. Es war unwahrscheinlich, dass es keinen Fluchtweg gab, um den König möglichst schnell zu evakuieren. Vielleicht hinter dem Thron ganz am Ende, oder hinter einem der schweren Wandteppiche. Vom Thron aus würde ich etwa zwanzig Sekunden brauchen, um den Raum zu durchqueren, solange mich niemand aufhielt. Das ließ den Wachen genug Zeit, die Tür zu verriegeln, bevor ich sie erreichte.

In dem Fall ist es für mich als Leserin eigentlich egal, wie groß die Halle jetzt ist. Aber die Art, wie meine Figur die Halle beschreibt, worauf sie sich fokussiert und worüber sie dabei nachdenkt, sagt mir eine ganze Menge über die Figur. Für sie würde es Sinn machen, die Größe der Halle in Metern abzuschätzen. Oder zum Beispiel:

ZitatDer Thronsaal war etwa fünfzig Meter lang und zwanzig Meter breit. Der Boden war komplett in Marmor ausgekleidet. Der übliche Marktpreis lag bei fünfzig Goldstücken pro Quadratmeter, deshalb riet ich den meisten meiner Kunden davon ab und verwies sie auf bezahlbare Alternativen. Ich überschlug die Zahlen im Kopf. Alleine der Boden hatte fünfzigtausend Goldstücke gekostet, mindestens. Das war mehr Geld, als die meisten in ihrem ganzen Leben verdienten. Und trotzdem war es der geschmackloseste Thronsaal, den ich seit langem gesehen hatte. Sie hätten mich engagieren sollen.

Insofern: Meterangaben sind nicht immer schlecht. Manchmal können sie auch passen. Aber nur damit die Leser*innen sich den Saal vorstellen können braucht man sie nicht.

Michael W

#8
Da hat sich ja einiges angesammelt, danke für die Hilfe!
Zu folgenden Punkten möchte ich noch etwas sagen:
Zitat von: Avery am 07. Juli 2023, 11:46:09Ich habe das Gefühl, man neigt vor allem bei Settings, die im eigenen Kopf detailgetreu existieren, dazu, den Lesenden exakt dieses Bild vermitteln zu wollen.
Zitat von: Christopher am 07. Juli 2023, 13:47:14Abgesehen davon würde ich dir tatsächlich von Beschreibungen wie "Die Halle war etwa fünfzig Meter lang" komplett abraten. Präzision schränkt den Leser in seiner Vorstellung ein. Je präziser du wirst, desto eingeschränkter ist der Leser. Aber du wirst es niemals schaffen, egal wie präzise du bist, nur mit Worten immer die exakt selbe Vorstellung zu vermitteln.
Es ging mir nicht um die Präzision der Meterangaben, und auch nicht um die exakte Vermittlung meiner Vorstellung.

Nicht alle Räume sind rechteckig im Grundriss. Viele sind es zwar, aber ich finde es interessanter, davon abzuweichen, wenn auch nur geringfügig. Ich habe zum Beispiel einen Thronsaal entworfen, der sich im Inneren eines runden Turms befindet. Im Grundriss ist der Saal aber nicht kreisförmig, sondern schmäler und hat links und rechts gerade Wände, hinter denen sich weitere Räumlichkeiten befinden.
Ich finde es spannend, wenn man zuordnen kann, wo sich ein Innenraum in Relation zur Außenform des Gebäudes befindet. Dann wirkt er realistischer und nicht nur wie ein Schauplatz einer Geschichte. In einer früheren Szene sieht die Hauptfigur beispielsweise das Schloss aus großer Entfernung und sucht nach dem Turm, in dem sich der Thronsaal befinden soll. Später ist sie im Schloss und sieht den Turm von unten, und im Finale erreicht sie schließlich den Thronsaal.
Das war jetzt nur ein Bestandteil des Schlosses, die Gesamtsituation ist komplexer. Mir geht es jedenfalls darum, dass man die räumlichen Situationen zumindest grundlegend verstehen kann.
Sicher hat jeder eine eigene Vorstellung beim Lesen, das ist doch das Besondere an Büchern. Wenn aber essentielle Elemente nicht kommuniziert werden, dann können Fehler beim Leser auftauchen, die in der Vorstellung des Autors nicht vorhanden waren. Um einfach mal ein Beispiel zu nennen: Jemand steht auf einer Galerie und sieht unten einen Dieb flüchten. Er kann nicht einfach runterspringen und ihm nachrennen, weil der Höhenunterschied viel zu groß ist.

Zitat von: Christopher am 07. Juli 2023, 13:47:14Je wichtiger der Ort und je häufiger er vorkommt, desto besser sollte er beschrieben sein. Allerdings kann man die Beschreibung dann auch auf die mehreren Male die er vorkommt verteilen. Die meisten Geschichten spielen an einer Handvoll Orte, die immer wieder vorkommen, und an Einmal-Schauplätzen. Ersteres kannst und sollst du ausgiebiger beschreiben, Zweiteres eher weniger.
Ich würde es so umsetzen: Beim ersten Auftritt des Ortes wird er etwas ausführlicher beschrieben, später sind nur mehr die markantesten Merkmale für die Wiedererkennung/das Zurechtfinden notwendig.

Zitat von: Avery am 07. Juli 2023, 11:46:09Oder wie Mondfräulein so schön schrieb "Wenn ich jetzt aber zehn Menschen bitten würde, diese Halle zu zeichnen, dann würden zehn unterschiedliche Bilder herauskommen" - Und ja, ich glaube, das passiert sogar dann, wenn ich die Halle millimetergenau umschreibe.
Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, das passiert bei allen Beschreibungen, auch bei denen von Personen.

Zitat von: Mondfräulein am 07. Juli 2023, 14:20:45Der Thronsaal war etwa fünfzig Meter lang und zwanzig Meter breit. Die Tür, durch die ich soeben getreten war, war der einzige Zugang, den ich von hier aus erkennen konnte. Es war unwahrscheinlich, dass es keinen Fluchtweg gab, um den König möglichst schnell zu evakuieren. Vielleicht hinter dem Thron ganz am Ende, oder hinter einem der schweren Wandteppiche. Vom Thron aus würde ich etwa zwanzig Sekunden brauchen, um den Raum zu durchqueren, solange mich niemand aufhielt. Das ließ den Wachen genug Zeit, die Tür zu verriegeln, bevor ich sie erreichte.
Das ist ein tolles Beispiel für eine charakterbezogene Beschreibung! Dass es die Gedanken des Charakters sind, muss in solchen Fällen durchdringen, sonst vermutet man die Autorin/den Autor dahinter. Aber ich erwähne das eher als Erinnerung für mich.

SebMeissner

Zitat von: Michael W am 07. Juli 2023, 15:43:47Sicher hat jeder eine eigene Vorstellung beim Lesen, das ist doch das Besondere an Büchern. Wenn aber essentielle Elemente nicht kommuniziert werden, dann können Fehler beim Leser auftauchen, die in der Vorstellung des Autors nicht vorhanden waren. Um einfach mal ein Beispiel zu nennen: Jemand steht auf einer Galerie und sieht unten einen Dieb flüchten. Er kann nicht einfach runterspringen und ihm nachrennen, weil der Höhenunterschied viel zu groß ist.

Hier würdest du mich z.B. überhaupt nicht abholen. Wenn du mir den Raum erklärst und dabei aus der Erzählung aussteigst, überfliege ich deine Beschreibung höchstens und weiß sie folglich auch nicht zu nutzen.
Wenn dir die Form deiner Gebäude so wichtig ist, dann mach sie wichtig für die Erzählung (vielleicht mit der Figur verborgene Räume vermuten), oder du verwirrst mich, wenn du dem Bedeutung beimisst. Ebenso finde ich den Moment, in dem der Charakter entscheidet, dass es zu hoch zum Springen ist, perfekt um den Raum mit der Figur zu greifen. Alles Varianten von Mondfräuleins schönen Beispielen.

Ansonsten: Den Leser verwirrt man immer, fürchte ich. :rofl: Manche wollen präzise Informationen, andere lesen nur jedes zweite Wort, dritte bemerken das Fehlen des verdammtem Schlüsselwortes, das dir im 31. Überarbeitungsdurchgang abhanden gekommen ist.

Michael W

Zitat von: SebMeissner am 07. Juli 2023, 17:31:31
ZitatSicher hat jeder eine eigene Vorstellung beim Lesen, das ist doch das Besondere an Büchern. Wenn aber essentielle Elemente nicht kommuniziert werden, dann können Fehler beim Leser auftauchen, die in der Vorstellung des Autors nicht vorhanden waren. Um einfach mal ein Beispiel zu nennen: Jemand steht auf einer Galerie und sieht unten einen Dieb flüchten. Er kann nicht einfach runterspringen und ihm nachrennen, weil der Höhenunterschied viel zu groß ist.

Hier würdest du mich z.B. überhaupt nicht abholen. Wenn du mir den Raum erklärst und dabei aus der Erzählung aussteigst, überfliege ich deine Beschreibung höchstens und weiß sie folglich auch nicht zu nutzen.
Wo würde ich dich nicht abholen? Ich habe für mein Beispiel doch gar nicht angeführt, wie ich die räumliche Beschreibung formulieren würde. Aber ich kann es ja mal probieren:

Vielleicht beginnt die Szene damit, dass die Hauptperson zur Galerie hinaufsteigt. Dass es viele Stufen sind und sich damit ein großer Höhenunterschied ergibt, könnte man beim Lesen selbst schlussfolgern, weil das Treppensteigen einfach lange dauert und der Figur dabei viele nervöse Gedanken durch den Kopf gehen.

Oder die Figur hat Höhenangst, was vielleicht in einer früheren Szene schon angedeutet wurde und auf der Galerie erneut für einen Konflikt sorgt.

Deine Variante, dass die Figur erst dann an den Höhenunterschied denkt, wenn der Dieb auftaucht, finde ich auch eine gute Möglichkeit, etwas über den Charakter zu erfahren. :)

SebMeissner

Ja, sehr schöne Beispiele! Wenn du da die Umgebung so in das Erleben einfließen lässt wird die Umgebung zum Spiegel der Figur und das ist Gold wert.

Ich hatte dich so verstanden, dass du glaubst ein paar grundlegende Informationen vermitteln zu müssen, unabhängig vom wie.

Sparks

#12
Hallo Mondfräulein, hallo Michael, hallo Rotkehlchen und der Rest

Zitat von: Michael W am 06. Juli 2023, 21:17:44Wenn ich mir eine Tür vorstelle, denke ich automatisch an die Abmessungen - 80 cm breit und 2 Meter hoch. Dabei gibt es Türen in allen möglichen Größen.
Vielleicht liegt es daran, dass ich Techniker bin und im Beruf viel damit zu tun habe.

Das geht mir ähnlich, und ich habe auch einen technischen Hintergrund.


Zitat von: Michael W am 06. Juli 2023, 21:17:44Als Zwischenlösung baue ich dann einen Vergleich ein (z. B. "so groß wie eine Katze", "so hoch wie drei normale Stockwerke"). Ich bin mir aber nicht sicher, ob das ideal ist.

Kommunikation kann nur gut funktionieren, wenn Sender und Empfänger die gleichen Zeichen/Symbole mit gleicher Bedeutung verwenden.
Im Bereich der Technik wird das durch Zahlen und normierte Einheiten vereinfacht. Darum kannst Du mit einem anderen Techniker so relativ einfach kommunizieren.

Aber nun hat nicht jeder mit Technik zu tun, und darum werden viele an dieser Stelle zumindest ins leseriche Straucheln kommen, weil sie zumindest erst einmal kurz überlegen müssen.
Für diese Leute hemmen Zahlenangaben den Lesefluss. Ausnahmen vieleicht bei direkten Vergleichen: "Feldmarschall Calau von Flachwitz war besorgt, stand er doch einem Heere gegenüber, das dreimal so stark war wie sein eigenes" . Ansonsten können aber auch Vergleiche mit bekannten Objekten problematisch sein, wenn Leser aus einem anderen Bereich dort andere Größenvorstellungen haben: Die Stockwerke einer römischen Insula (Ein Block mit Mietwohnungen) waren so niedrig, dass man dort nur gebückt stehen konnte. Wenn Du dass nicht im Hinterkopf hast, ist der Leser in entsprechenden Situationen auch in die irre geführt, wenn Du von "Zwei Stockwerken hoch" schreibst und damit 2,5m hohe Räume meinst.


Zitat von: Mondfräulein am 06. Juli 2023, 21:52:16Ich würde mich also darauf fokussieren, was in diesem Moment wichtig ist. Wenn ich die Halle beschreibe, was soll bei den Leser*innen ankommen? Und da greife ich am liebsten auf subjektive Eindrücke zurück. Die Halle in diesem Fall vermittelt durch ihre Größe vielleicht ein Gefühl der Verlorenheit, meine Figur fühlt sich eingeschüchtert. Es dauert unangenehm lange, bis sie die Halle durchquert hat und währenddessen spürt sie die Blicke der anderen auf sich. Ihre Schritte hallen von den Wänden und der hohen Decke. Vielleicht denkt sie daran, dass ihr ganzes Elternhaus mehrmals in diese Halle passen würde. Das sind Eindrücke, mit denen die Leser*innen etwas anfangen können. Ob sie sich die Halle jetzt größer oder kleiner vorstellen als ich ist meistens unerheblich. Hauptsache, das Gefühl kommt rüber. (Besser noch, wenn ich das Gefühl noch mit einem persönlichen Eindruck verbinde. Vielleicht hat meine Figur Erinnerungen an diese Halle? Vielleicht erinnert sie sie an etwas, was sie kennt? Ist meine Figur das erste Mal in so einer großen Halle? Warum reagiert gerade meine Figur auf diese bestimmte Weise auf die Halle?)

Ja, so denke ich mir das auch. Vieleicht als groben Rahmen Vergleiche mit bekanntem, und ansonsten nur subjektive Eindrücke oder die Wirkung beschreiben. Manchmal langt es, nur Teile mit Vergleichen zu beschreiben, und für die Gesamtwirkung dann reine subjektive Eindrücke. Der Leser soll die Halle nicht unbedingt 1:1 nachbauen können, sondern er soll merken, wie sie auf andere Leute wirkt und welche Eigenschaften sie hat.

Ich führe unten jetzt einmal ein Beispiel von mir auf, das ich so umgearbeitet habe, für einen direkten Vergleich:
Gegenwärtige Version:
Ich gehe den Gang entlang. Am Ende mündet er in eine sehr große, leere Halle. Der Boden ist mit großen dunklen, polierten Steinplatten belegt, deren Kantenlänge wohl über doppelt Manshoch ist. Auch hier sind die gut drei Stockwerke hohen Wände mit einer Zierverblendung aus großen, rauen, dunkelgrauen Steinquadern versehen.\\
Sie bilden bis zur hohen Decke reichende, schmucklose schlichte  Pilaster, zwischen denen sich hohe, schmale Fenster befinden. Trotz der vielen Fenster wirkt die Halle düster, ja sogar sinister.\\
Gegenüber  der Einmündung des Flures befindet sich die Aussentüre. Zweiflügelig, und gut dreimal so hoch wie übliche Türen.
Ich komme mir winzig vor, als ich die Halle durchquere. Das Echo meiner Schritte erzeugt ein rollendes Geräusch, das mehrere Sekunden anhält. Ich öffne die Türe. Sie ist zwar leichtgängig und knarrt nicht, aber die riesige schwarze Holzkonstruktion mit den wuchtigen Eisenbeschlägen ist schon schwer in Bewegung zu setzten. Draussen trete ich auf einen gepflasterten Vorplatz. Donnernd fällt hinter mir die Türe ins Schloss. \\

Alte Version:
Ich gehe den Gang entlang. Am Ende mündet er in eine sehr große, leere Halle. Der Boden ist mit großen dunklen, polierten Steinplatten belegt, deren Kantenlänge wohl über drei Meter beträtt. Auch hier sind die gut fünfzehn Meter hohen Wände mit einer Zierverblendung aus großen, rauen, dunkelgrauen Steinquadern versehen.\\
Sie bilden bis zur hohen Decke reichende, schmucklose schlichte  Pilaster, zwischen denen sich hohe, schmale Fenster befinden. Trotz der vielen Fenster wirkt die Halle düster, ja sogar sinister.\\
Gegenüber  der Einmündung des Flures befindet sich die Aussentüre. Zweiflügelig, und gut sechs Meter so hoch wie übliche Türen.
Ich komme mir winzig vor, als ich die Halle durchquere. Das Echo meiner Schritte erzeugt ein rollendes Geräusch, das mehrere Sekunden anhält. Ich öffne die Türe. Sie ist zwar leichtgängig und knarrt nicht, aber die riesige schwarze Holzkonstruktion mit den wuchtigen Eisenbeschlägen ist schon schwer in Bewegung zu setzten. Draussen trete ich auf einen gepflasterten Vorplatz. Donnernd fällt hinter mir die Türe ins Schloss. \\

Interessanterweise habe ich dieses zweimal umgearbeitet. Es handelt sich um eine Sequenz aus einem Traum, den ich niedergeschrieben habe, und ich bin natürlich nicht im traum herumgelaufen und habe alles mit dem zollstock ausgemessen (Obwohl ich soetwas auch schon geträumt habe). Was mir vom Traum also übrigblib, waren reine subjektive Eindrücke. Als ich diese niedergeschrieben habe, war mein erster Versuch, mich zurückzulehnen, mir die Situation noch einmal vorzustellen, und dabei die Abmessungen zu schätzen und das ganze aufzuschreiben. Was dann dort stand, hatte den Charm eines Ikea-Kataloges. Also habe ich die meisten der Abmessungen dann durch subjektive Eindrücke ersetzt, und nur das allergröbste mit Zahlen versehen, um dem Leser einen Anhaltspunkt zu geben.
Es stellte sich dann aber heraus, dass ich auch diese Zahlen/Einheiten besser durch Vergleiche ersetzte. Wenn ich mich zurücklege, und die Augen schliesse, sehe ich aber immer noch die gleiche Halle vor mir. D.h. auf die absolute Größe kommt es überhaupt nicht an, sondern auf das Gefühl, was man hat, wenn man die Halle durchquert. Die Zahlen und Vergleiche sind nur ein Vehikel, um das zu transportieren, weil einfach nur Eigenschaften aneinanderklatschen wie "Ich durchquerte eine finstere Halle, die in mir eine Beklemmung hervorrief" wirkt auch nicht, das wäre zu allgemein, und könnte alles sein, von der Lagerhalle über ein Theater oder eine Kirche bis zur Tiefgarage.

Ich gebe aber zu, dass ich es persönlich als Leser eigentlich eher mag, wenn Zahlen und Einheiten angegeben werden. Aber ich bin ein Nerd, und für Nerds als Zielgruppe zu schreiben könnte etwas eng sein.

Nachtrag am Rande: Wer Massangaben in Zoll macht, der macht indirekt auch einen Vergleich mit einem bekannten Objekt: Dem Daumen. Ein Zoll ist so ungefähr Daumenbreit. Elle, Fuß und Schritt sind selbsterklärend. Die Elle benutze ich gewohnheitsmäßig beim Handnähen um den Faden für die Nadel bequem abzumessen. Geht schneller und unkomplizierter als mit dem Massband, und die Genauigkeit ist für den Zweck ausreichend.

Zitat von: Rotkehlchen am 07. Juli 2023, 12:26:25Ich hatte vor kurzem an einen Projekt geschrieben, das neue Jahrhunderte in der Vergangenheit spielt.
Ich hab dann von "einigen Momenten", "einigen Sekunden", oder "Minuten" geschrieben.
Ich hab mich dann immer gefragt, hatte man damals das gleiche Empfinden für Zeit? So wie ich heute?


Die Leute hatten vermutlich das gleiche Empfinden für Zeit, aber das hatte vermutlich dann schon eine andere Bedeutung.
Wirklich wissen kann man es nicht. Ich kann ja noch nicht einmals wissen, ob Du die Zeit genauso Empfindest wie ich.

Sie hatten vermutlich das gleiche Empfinden, weil ihr "natürlicher Kurzzeitmesser", eigener Puls und vor allem der eigene Atem, wohl genauso funktionierte wie bei uns heute.
Und wenn ich als Asthmatiker manchmal schwer Atme, dann macht der Atem das gleiche Zeitempfinden, aber die Bedeutung (Erschwernis/Mühe/Bedrückung) ist eine andere.

Der natürliche Langzeittaktgeber war der Tag/Nachtgang und die Jahreszeiten der Erde. Die schwanken aber regelmäßig. Der Tag wurde in der Antike und im Mittelalter noch abhängig von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in Stunden unterteilt. Der tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in 12 Stunden, und ebenso die Nacht von Sonnenuntergang bis sonnenaufgang in 12 Stunden. D.h. Tag und Nacht waren immer 12 Stunden lang, aber die Stunden waren unterschiedlich lang.

Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und die Jahreszeiten verändern sich bis auf eher kleinere Unterschiede heute noch genauso. D.h. das Zeitempfinden wird vermutlich genauso gewesen sein. Aber ich denke, ich messe dem heute, mit der Möglichkeit der künstlichen Beleuchtung, schon eine andere Bedeutung zu.


Zitat von: Rotkehlchen am 07. Juli 2023, 12:26:25Wie beschreibt man eine Zeitdauer in einer anderen Welt? Oder auf einem anderen Planeten?

Wenn du dort hinreist, hast du vermutlich im wesentlichen immer noch den gleichen Puls und die gleiche Atemfrequenz, solange die sonstigen Umweltbedingungen (atembare Luft, gewohnte Schwerkraft)
passen. Welche körperlichen Eigenschaften die dort befindlichen Ureinwohner haben, hängt an deren Metabolismus, der vermutlich ähnlich aber nicht gleich zu unserem ist. Auch die werden vermutlich ihr umgebungsgas umwälzen müssen und haben einen Energiebedarf......

die Langzeittaktgeber könnten ganz anders sein. Tage könnten extrem kurz oder lang sein, genauso wie die Jahreszeiten. Es könnte keinen oder aber ganz viele Monde mit vielen verschiedenen Umlaufzeiten geben und alles mögliche dazwischen....d.H. da ist wirklich alles offen.

Aber vermutlich war es für die Ureinwohner prägend - für sie hat es die gleiche Bedeutung wie für uns Tag und Nacht.

Wenn irgendwo anders die Zeit anders laufen würde, würdest Du davon, wenn du selber dort wärest, nichts merken, weil alle Markierungen/Skalierungen an denen Du das fest machen wolltest mit umskaliert würden. Erst wenn du von dort weggehst, nach dorthin, wo du vorher warst, kannst Du anhand von Vergleichen merken, dass die Zeit anders vergangen ist.

Viele Grüße: Bernd






Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Depression