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Plotmethoden: Unterschied zwischen "Heldenreise" und "save the cat"?

Begonnen von Wildfee, 08. September 2021, 13:05:06

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Wildfee

Ich bin eigentlich eine ziemliche Pantserin, es fällt mir nach wie vor sehr leicht, einfach aus dem Bauch heraus loszuschreiben. Das funktioniert bei Kurzgeschichten ja ganz hervorragend, aber bei Romanen komme ich dann an meine Grenzen.
Ich verzettele mich nach geraumer Zeit, wenn ich nicht zumindest einen groben Plan habe.

Da ich das Buch nicht habe (und des Englischen zwar mächtig bin, es bei Feinheiten aber durchaus hapert), stelle ich die Frage in den Raum, welches die grundlegenden Unterschiede bei den Plotmethoden "save the cat" von Blake Snyder und der "Heldenreise" sind?

Kann mir da jemand weiterhelfen?
Mein angedachter Nano-Roman ist Space Opera mit Romance.

Vielen Dank schonmal!  :winke:

Barra

Hey Wildfee,
schöne Frage, der ich grad selbst auf der Spur bin (lese das Buch grad ("Save the Cat! writes a novel") und hab schon angefangen im Beat Sheets - Thread darüber zu sinnieren. Deswegen misch ich mich einfach direkt ein hier.) Warum ich das mache und die verschiedenen Methoden sammele? Weil ich auch, wie du, an meine Grenzen stoße, wenn ich einen Roman bis zum Ende bringen will. Ganz oft hab ich dann nach der Mitte, spätestens im 75% Teil ein Plothole so groß wie ein See und krieg das Ding einfach nie zu Ende.

Daher versuch ich einfach mal meine bisherigen Gedanken niederzuschreiben. Aber wenn sich wer besser auskennt, bin ich froh und dankbar über mehr input.
Um es ganz kurz und knapp zu machen: Das eine ist einfach alt, das andere ist modern.
Ganz unspektakulärer Wikilink.

Das reicht mir (und dir vermutlich auch nicht) als Erklärung.
Also können wir auch gleich tiefer graben.

Save the Cat! - soweit ich das sehe, vereint die Methoden vieler anderer, die einige hier im Forum schon aus anderen Ecken kennen. Sei es 3Akter, 5Akter, PlotPoints und eben auch die Heldenreise. Und stammt ja mehr aus der "Filmmaker"-Ecke, als dem geschrieben Wort, sagen wir: Theateraufführung.

Was ich erst mal postulieren würde:
Es geht in beiden Methoden um eine*n (!) Held*in*, dessen Reise bzw Transformation (StC) wir begleiten.
Sie starten beide auf der Weide beim Schafehüten (Status Quo)
Es gibt in beiden einen "Auslöser" Catalyst/ Trigger, um den*die Held*in ins Rennen zu schicken.
Auch in beiden: Held will gar nicht.
Es gibt in beiden Mentoren, Verbündete, Gegner, Hindernisse.
Es gibt eine dunkelste Stunde/ all is lost (StC) vs Verlassen der Unterwelt (Heldenreise) Moment
Und sie enden beide wieder zu Hause, aber verändert. StC geht noch einen Schritt weiter und fordert: Das Endbild vom Anfangsbild so weit wie möglich zu spiegeln.
Beide benutzen 2 Welten: Gewohnte Welt (Heldenreise) - Akt 1 Thesis (StC) und andere Welt (Heldenreise) - Akt 2 Antithesis (StC)
StC benutzt dann in Akt 3 die Synthesis, um aus beiden Welten den 'neuen', den transformierten Held*in zu erschaffen und ihn siegen zu lassen. Heldenreise nennt es "Herr zweier Welten", was genauso klingt.

*StC sagt zwar auch, es können auch mehrere Figuren sein, aber es gebe immer eine Figur, deren Transformation am gewaltigsten ist.

Die Unterschiede finden sich dann zB hier:
Es gibt keine Rettung von außen im StC, das soll der*die Held*in mal schön selbst machen, oft ist der*die Held*in auch Mitschuld, dass es im 2. Akt den Bach runterging.
StC lässt sich mehr Zeit vor dem Midpoint und treibt den*die Held*in immer weiter voran und hat nach dem Endkampf keinen Punkt in dem der*die Held*in die Rückkehr verweigert. (StC lässt dafür zu, dass der*die Held*in in der dunkelsten Stunde nach Hause gehen kann, um festzustellen, dass er*sie sich verändert hat und doch wieder weiter voran muss. - Vlt vergleichbar mit dem Punkt: Versöhnung bei der Heldenreise.)

Das Ziel der Heldenreise - pauschalisiert - ist es, loszugehen, was zu erledigen, um zurückzukommen - dabei darf und soll der*die Held*in gern wachsen und sich verändern. Auf dem Weg am besten noch die Gegner/ das Böse bezwingen.
Die StC definiert vorher "Flaw, Want and Need" und möchte, dass der*die Held*in loszieht, um sich zu ändern und er*sie muss nicht zurückkommen, darf auch durch die Veränderung das neue Leben genießen. Er*Sie darf auch scheitern, um auszusagen: Besser es versucht zu haben, statt gar nichts zu tun.

In Zahlen ausgedrückt:
Heldenreise hat so seine Steps (nach Campell) (unterschiedliche Angaben) 10 bzw 13 oder sogar 17
Heldenreise (nach Vogler) 12
Beat Sheets hat die Beats unterschieden in single scenes und multiple scenes 15 (aber mit Untersteps zB im Finale noch in 5 Steps) und es ist immer ein: Aktion (Catalyst) - Reaction (Debate) Schema
Etwas ähnliches macht auch Plot Point mit 7 Steps (nach Field) Hook, Plot, Pinch, Mid, Pinch, Plot, Resolution

Das wäre jetzt erst mal so mein grober Ansatz. Vielleicht liege ich auch Meilenweit daneben.
Außerdem sagt StC, dass es viele Besipiele gibt, in denen die Beats NICHT chronologisch dem Schema F folgen. Es kann auch mal sein, dass das ein oder andere früher kommt, aber dass eben alle Beats so ziemlich überall auftauchen.

Edit:
Hier hab ich mal die beiden Steps/ Beats gegenübergestellt.
Da erkennt man einen deutlichen Unterschied: Der*die Held*in muss bei StC zuerst ganz unten sein, ehe er*sie zum Endkampf kann.
Und bei der Heldenreise ist das "Verlassen der Unterwelt" (obwohl das nicht ganz aufgeht, weil da auch Erkenntnisse vorher sind, hm) nach dem Endkampf und die daraus resultierende Erkenntnis.
(So würd ich es jetzt lesen). Aber das ist eben auch nur ein Versuch meinerseits. (Und ich brubbel zu viel. ;))

[Dateianhang durch Administrator gelöscht]

Mindi

Im Grunde ist StC die Heldenreise in dunkelbunt.

Es gibt die alte Heldenreise, die einem suggeriert, die Hauptfigur muss tatsächlich reisen und wieder zurückkehren. Aber im Grunde geht es nur darum, etwas neues kennenzulernen und an der Aufgabe zu wachsen.
Heldenreise muss auch nicht dieses altbackene Ding sein, was man zuerst denkt. Und es geht auch gar nicht um Helden oder jemanden, der loszieht, um ein Abenteuer zu erleben. (Kann natürlich trotzdem so sein) Ersetzt man die alten Stationsnamen durch neuere, kann man die Heldenreise auf jedes Gerne anwenden.

Die Heldenreise ist ein Charaktermodell, dass die Transformation der Hauptfigur im Fokus hat. Genau das gleiche macht Save the Cat. Am Anfang steht die unperfekte Hauptfigur mit den falschen Zielen, das haben beide gleich. Sie haben ein want/etwas, wovon sie glauben, dass sie das brauchen, um glücklich zu sein. Aber nur selten ist es auch das, was sie wirklich brauchen. Während der Geschichte wächst die Hauptfigur und wandelt sich, die Transformation ist vor allen bei StC immer wieder hervorgehoben.

Was save the Cat nun anders macht, ist dass sie, wie Barra schon erwähnt hat, auch die Multibeats hat. Die Heldenreise hat davon nur einen (Bewährungsprobe, Freunde, Feinde Hindernisse) das ist bei Save the Cat "Fun and Games"
Break into 2 bei StC ist letztlich das überschreiten der ersten Schwelle bei der Heldenreise, wo die Hauptfigur sich entscheidet, einem großen Ziel nachzugehen und es kein zurück mehr gibt. Die Hauptfigur verlässt die gewohnte Welt (in beiden Modellen) und betritt die ungewohnte Welt. Save the Cat vereint letztlich die Heldenreise mit der 7 Punkte Methode (bzw. Den 3 Akt/4Akt Modell, vermutlich auch 5 Akt, das kenne ich nicht so gut). Sie nimmt einen gefühlt etwas mehr an die Hand. Ich kenne das Buch von snyder nicht, aber die Methode wurde auch von Jessica Brody für Romane adaptiert.

Sobald ich mal wieder an einem PC komme, kann ich da gern noch mehr von erzählen bzw. mehr ins Detail gehen. Vor allen was die etwas moderne Sicht auf die Heldenreise betrifft.
"When we are asleep in this world, we are awake in another." - Salvador Dalí

AlpakaAlex

Na ja, ich würde sagen, dass der größte Unterschied ist, dass die Heldenreise eigentlich keine Plotmethode ist. Sie ist weder eine Empfehlung, noch sonst etwas in der Art, sondern einfach eine Beobachtung darüber, wie viele Geschichten - spezifisch in der Mythologie - aufgebaut sind. Während ein paar Sachen davon sich wirklich gut als Orientierung nutzen lassen, kann ich persönlich nicht nachvollziehen, wieso man sie zur Orientierung nehmen sollte, wenn man nicht ausgerechnet etwas quasi Mythisches schreiben will. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass die Heldenreise eine sehr patriarchal und kolonial geprägte Idee ist.
 

Frostschimmer

#4
Save the cat kenne ich jetzt nur eine mögliche und dabei sehr detaillierte Ausarbeitung der klassischen Heldenreise, nicht als einen Gegensatz dazu. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, geht es dabei im Sinne der Filmkunst darum, einen möglichst stabilen Spannungsbogen mit mehreren Spannungsspitzen zu kreieren, man gestaltet praktisch einen roten Faden mit mehreren Zwischenstationen, die den Helden auf Kurs halten. So habe ich das zumindest verstanden, also keine Gewähr.
Warum die Heldenreise an sich jetzt aber kolonial sein soll, erschließt sich mir nicht.
Ich denke, dass die Heldenreise und dieser oder jener Form auf verschiedene Werke anwendbar ist, vom Herrn der Ringe über Star Wars bis zu Die Tribute von Panem.

Yamuri

Meine zwei Cent zum Thema Heldenreise:

Die erste mir bekannte Heldenreise der Welt ist der Gilgamesch Epos, der weit vor Christi Geburt entstand, lange vor der Kolonisation und in einem nicht-europäischen Kontext. Die ältesten anerkannten Schriftsysteme sind die sumerische Keilschrift und die ägyptischen Hieroglyphen. Die alten Kulturen haben Handel getrieben und sich auch kulturell zum Teil gegenseitig beeinflusst. Das Konzept der Heldenreise dürfte aber dennoch auf eine außereuropäische Erzählform zurückgeführt werden, die später auch von anderen Kulturen auch verwendet wurde.

Von einer Prägung kann man meines Erachtens erst sprechen, wenn während der Kolonisation maßgebliche Änderungen an dieser Erzählform durchgeführt wurden. Ob es hierzu wissenschaftlich fundierte Studien gibt, weiß ich nicht. Die These, dass sich Literaten in der Epoche der Kolonisation mit der Erzählform kritisch auseinandergesetzt und diese weiterentwickelt und somit mitgeprägt haben, wäre aber sicher ein spannendes Thema für eine Doktorarbeit.  :D

Edit: Bedient euch gern der Idee für ein Doktorarbeits-Thema, wenn ihr möchtet. Ich fände das ernsthaft ein interessantes Thema, weil ich mich allgemein für Geschichte interessiere, wobei ich am Liebsten noch weiter zurückgehen würde, in Zeitalter, für die wir leider kaum Überlieferungen haben.

Die Methode save the cat, kenne ich leider gar nicht bisher.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

AlpakaAlex

Ich hatte zum Thema Heldenreise, Campbell und Kolonialismus mal gebloggt.

tl;dr
The Hero with a thousand faces ist aus einer sehr kolonialen und aneignenden Perspektive geschrieben worden. In erster Linie beschränkt sich die Analyse auch auf Narrativen aus dem indo-europäischen Kulturraum - wo eine Ähnlichkeit der Geschichten ganz natürlich sind, da sich viele der fraglichen Geschichten auseinander entwickelt haben, bzw. auf bestimmte identische Ursprungsmythen zurückgehen. Die wenigen anderen Geschichten, die in dem Werk eingebunden sind - und es sind nicht viele - wurden von Campbell sehr "passend gemacht", um es seiner Theorie anzupassen. Damit hat er eine Allgemeingültigkeit herbeifantasiert, die es außerhalb den indo-europäischen Kulturraums aber nicht gibt. Anders gesagt: Er hat bewiesen, dass viele Geschichten aus demselben Ursprungskulturraum miteinander verwandt sind, was ... Nun ja, Slow Clap, I guess?  :pompom: Als nächstes Erzählt er mir noch, dass Sky Daddies sehr häufig in Mythen vorkommen!

Und es sei dazu gesagt, dass wir in der Schreibtheorie natürlich auch sehr viel koloniales Gedankengut haben (steht in dem Blogbeitrag auch), weil halt bestimmte Modelle um Geschichten aufzubauen, die aus dem westeuropäischen Kulturraum stammen, als anderen Methoden gegenüber überlegen dargestellt werden. Aber das ist ein riesiges Fass, das man vielleicht besser an anderer Stelle aufmacht.
 

Yamuri

ZitatAber das ist ein riesiges Fass, das man vielleicht besser an anderer Stelle aufmacht.

Das denke ich auch, also, dass man so ein Fass lieber nicht hier aufmacht. Sonst hätten wir uns diesen Thread für ein anderes Thema angeeignet. Das wäre nicht sehr nett.  ;) Können gern auch via PN schreiben oder einen anderen Thread zu dem Thema machen, falls es so einen nicht schon gibt.
Was du im Disclaimer ansprichst, ist auch die Hürde, die ich bemerkt habe, als ich vorhin zu deiner These eine kleine Recherche angestellt habe. Scheint keine wissenschaftlichen Forschungen dazu zu geben, jedenfalls nicht auf englisch und deutsch. Bei anderen Sprachen hab' ich aber zugegebenermaßen jetzt nicht gesucht.
Habe mir deinen Text aber erstmal gebookmarkt, damit ich ihn am Wochenende genauer lesen kann. Ich sollte nämlich eigentlich nicht im Forum sein, sondern an meinem Auftrag arbeiten. ;D
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Nikki

Es ist zugegebenermaßen schon mehrere Jahre her, dass ich Campbells Der Heros in tausend Gestalten gelesen habe. 1949 erstmals von einem weißen Amerikaner geschrieben, bezweifle ich, dass der Text einer heutigen rassismuskritischen Lesart standhalten würde. Als "wertvoll" könnte man erachten, dass Campbell Gemeinsamkeiten aus kanonisierten Werken herausarbeitet, um sie auf eine abstrahierte Struktur herunterzubrechen, um Kern- und Knackpunkte von Mythen Campbells Meinung nach zu präsentieren. Bei dessen Analyse muss man sich (wie mittlerweile bei jedem*r Autor*in, die*er Texte schreibt mit dem Anspruch der Allgemeingültigkeit) vor Augen halten, welchen sozial-kulturell-politischen Hintergrund Campbell hatte. Mein Exemplar ist voll mit Post-Its, die ich an Stellen gesetzt habe, wo ich Interesse an weiteren, selbstständigen Recherchen hatte. Insofern würde ich Campbells Werk(e) nicht als der Weisheit letzten Schluss sehen, sondern als eine Stimme von vielen über Mythen und im Hinterkopf dabei behalten, aus welcher Tradition heraus dieser Text geschrieben wurde.

Die Heldenreise wurde wiederum ausgehend von Campbells Werken entwickelt (von wem weiß ich jetzt gar nicht genau), um eine Anleitung für eine gewisse Art von Geschichten zu entwickeln - und zwar jenen, die vereinbar mit Campbells Analyse sind. Man sollte sich halt bewusst sein, aus welchem Umfeld Campbells Arbeiten stammen und ob diese mit den eigenen Ansprüche vereinbar sind.

Während die Basis der Heldenreise ihren Ursprung in Campbells Kommentar über Mythen nimmt, richtet sich Snyders Buch dagegen explizit an (Drehbuch-)Autor*innen und ist damit viel pragmatischer veranlagt. Meiner Meinung lohnt sich die Lektüre von Campbell, wenn man, wie oben angerissen, gewisse Dinge im Hinterkopf behält, um u.a. mehr Einblick in eine weiße Perspektive über Mythen zu erlangen. Wenn du, @Wildfee , aber lieber eine handfeste Plotmethode zur Hand haben möchtest, du du am besten sofort umsetzen willst, dann bietet sich Snyder eher an.


Wildfee

Vielen lieben Dank für all das Feedback :-)

Mir geht es in erster Linie um die Plotmethodik, ich denke da werde ich mal einen Blick in den Snyder werfen.

Was Mythologie/Archäologie/Neopaganism etc. betrifft, habe ich in meinem Wohnzimmer eine umfangreiche Sammlung mit mehr als 300 Büchern zur Thematik. Ich denke, da bin ich versorgt.