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Erinnerungen der Figuren einbeziehen

Begonnen von Franziska, 06. Dezember 2013, 18:28:32

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Fianna

Ich kenne als Übersetzung von 'show, don't tell' auch nicht "zeigen statt beschreiben (erzählen)" sondern "zeigen statt behaupten" .

Thaliope

Zitat von: Fianna am 12. Dezember 2013, 09:55:23
Ich kenne als Übersetzung von 'show, don't tell' auch nicht "zeigen statt beschreiben (erzählen)" sondern "zeigen statt behaupten" .

Jaha, das ist schöner, danke.

Franziska

@Thali: mit der Übersetzung hast du wohl recht. Erzählen muss man ja irgendwie.


Zum plastischen der Erinnerung: stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, dass der Ich-Erzähler das ja eigentlich alles in der Vergangenheit erzählt.  :hmmm:

Bei der Szene, wo ich gestolpert bin, das macht dann vielleicht das show dont tell noch mal deutlicher, war es gar nicht so sehr eine einzelne Erinnerung, die ich schildern wollte, sondern eigentlich wollte ich die Figure erklären lassen, was in einem längeren Zeitraum passiert ist. Warum sie jetzt da ist, wo sie ist und welche Ereignisse dazu geführt haben. Ich habe es so gemacht, dass ich immer wieder Hinweise gestreut habe, was passiert sein könnte, so dass man sich die grobe Geschichte zusammenreimen kann. Dann sollten die Erinnerungen an die teilweise traumatischen Erfahrungen Stück für Stück hervorkommen. Ich habe dann aber angefangen, die ganze Geschichte nachzuerzählen und da kamen überhaupt keine Emotionen rüber. Ich habe das oft so gelesen, bei Romantasy-Büchern. Die ersten zwei Seiten stellen die Figur vor, so: XY war gerade in die Stadt gezogen. Vorher hatte sie in Z gelebt und als X gearbeitet. Dann wollte sie vor ihrem nervenden Ex fliehen und nun fand sie sich in B wieder und arbeitete in D.
Das ist jetzt nicht unbedingt eine Erinnerung, eher die Biographie der Figur. Das finde ich nicht so schön, vor allem, wenn es einfach nur runtergeschrieben wird, ohne dass es plastisch wird.
Deshalb habe ich mir gedacht, besser ich zeige, wo die Figur steht und was früher passiert ist, indem ich eben bestimmte Erinnerungen aufblitzen lasse.

Eigentlich finde ich jetzt, ein Traum wäre eine gute Lösung dafür. An einen Alptraum kann man sich ja meistens recht gut erinnern. Und es wäre auch nicht aus dem nichts heraus. Die Figur hat gewissermaßen eine Prüfung verhauen und jetzt träumt sie davon, wieder eine Prüfung zu verhauen. Würdet ihr da auch sagen, es ist ein schlechter Trick, sie sich so an das Ereignis erinnern zu lassen?

Klecks

Ich finde, das ist kein schlechter Trick, sondern das Gegenteil, nämlich sehr plausibel. Je traumatischer deine Prota das erlebt hat, umso plausibler sogar. Ich habe meine Mathe-Prüfung in der Realschule gerade so bestanden, ein Punkt weniger und ich hätte es nicht geschafft. Selbes Spiel beim Abi: ein Punkt weniger und alles wäre versaut gewesen. Glaub mir, ich träume davon, und das Wort "Prüfung" reicht aus, um bei mir Panik und Albträume auszulösen. :gähn:

Thaliope

Zitat von: Franziska am 12. Dezember 2013, 19:02:09
@Thali: mit der Übersetzung hast du wohl recht. Erzählen muss man ja irgendwie.


Zum plastischen der Erinnerung: stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, dass der Ich-Erzähler das ja eigentlich alles in der Vergangenheit erzählt.  :hmmm:

Bei der Szene, wo ich gestolpert bin, das macht dann vielleicht das show dont tell noch mal deutlicher, war es gar nicht so sehr eine einzelne Erinnerung, die ich schildern wollte, sondern eigentlich wollte ich die Figure erklären lassen, was in einem längeren Zeitraum passiert ist. Warum sie jetzt da ist, wo sie ist und welche Ereignisse dazu geführt haben. Ich habe es so gemacht, dass ich immer wieder Hinweise gestreut habe, was passiert sein könnte, so dass man sich die grobe Geschichte zusammenreimen kann. Dann sollten die Erinnerungen an die teilweise traumatischen Erfahrungen Stück für Stück hervorkommen. Ich habe dann aber angefangen, die ganze Geschichte nachzuerzählen und da kamen überhaupt keine Emotionen rüber. Ich habe das oft so gelesen, bei Romantasy-Büchern. Die ersten zwei Seiten stellen die Figur vor, so: XY war gerade in die Stadt gezogen. Vorher hatte sie in Z gelebt und als X gearbeitet. Dann wollte sie vor ihrem nervenden Ex fliehen und nun fand sie sich in B wieder und arbeitete in D.
Das ist jetzt nicht unbedingt eine Erinnerung, eher die Biographie der Figur. Das finde ich nicht so schön, vor allem, wenn es einfach nur runtergeschrieben wird, ohne dass es plastisch wird.
Deshalb habe ich mir gedacht, besser ich zeige, wo die Figur steht und was früher passiert ist, indem ich eben bestimmte Erinnerungen aufblitzen lasse.

Eigentlich finde ich jetzt, ein Traum wäre eine gute Lösung dafür. An einen Alptraum kann man sich ja meistens recht gut erinnern. Und es wäre auch nicht aus dem nichts heraus. Die Figur hat gewissermaßen eine Prüfung verhauen und jetzt träumt sie davon, wieder eine Prüfung zu verhauen. Würdet ihr da auch sagen, es ist ein schlechter Trick, sie sich so an das Ereignis erinnern zu lassen?

Okay, ich glaube, jetzt weiß ich, was du meinst. Gelungen finde ich solche "Zusammenfassungen des bisherigen Geschehens" oft, wenn sie lakonisch, auf den Punkt und vielleicht auch ein bisschen witzig formuliert sind - so kenn ich das oft aus der Romantasy. Wenn es nicht witzig sein soll, ist das natürlich nochmal eine größere Herausforderung. Ich denke schon, dass man das hinkriegen kann, wenn man genau auf die Wortwahl achtet und vor allem konkrete Begriffe statt abstrakter verwendet, die Bilder hervorrufen können.

Und wenn es wirklich einen Grund für den Albtraum gibt, spricht für mich auch nichts dagegen. Nur als reines Mittel zum Zweck würde ich den Traum nicht benutzen wollen, da ist sein Ruf ja schon ein bisschen angekratzt. Ob es letztendlich überzeugend oder konstruiert wirkt, werden dir wohl erst deine Betas sagen können :)

GLG
Thali

Cailyn

Franziska,
Die Idee mit dem Traum ist für diesen Kniff sicherlich sehr passend. Schön wäre auch, wenn der Prota nach dem Traum jemandem zum Reden hat. So können auch noch Unklarheiten, die der Traum aufwirft, klären.

Anj

Ui, ein interessantes Thema! Allerdings mischen sich hier für meine Empfinden unterschiedliche Dinge.

Ganz generell gehe ich bei Erinnerungen möglichst so vor, dass sie mehr als eine Aussage haben. Ich versuche also grundsätzlich, sie mit Subtext zu unterlegen, damit sie mehr als eine Wirkung haben. Das wurde hier im Thread ja auch schon angesprochen. Charakterisierungen von Figur oder Setting, Foreshadowing, Fragen aufwerfen, falsche Fährten legen usw. sind da natürlich zu nennen.
Wobei der erste Punkt für mich eigentlich immer eine Bedeutung hat (auch zusätzlich zu den anderen), denn dadurch verwebe ich sie stärker mit dem Text, wodurch diese Stellen weniger auffallen. Ich schaue also, was im umliegenden Text einen Bezug zur Erinnerung haben kann/soll und als Auslöser für die Erinnerung genutzt werden kann.
Für mich wirken Texte, die so vorgehen gleich viel plastischer und realistischer.
Wobei ich sagen muss, dass diese theoretische Vorgehensweise für mich in fremden Texten leichter ist, als in den eigenen. Zum einen, weil ich vieles automatisch so umsetze, zum anderen, weil mir doch einfach oft der Abstand fehlt, um fehlende Verwebungen zu erkennen.
Manchmal ist es auch hilfreich, Stimmungen damit zu verstärken. Sarkasmus oder Ironie ist immer gut, um Dinge nur anzudeuten.

Das andere Thema ist diese Kurzbiografie bei Romananfängen. Ich muss sagen, dass es für mich da nur unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Die pointierte, witzige Variante ist hier immer gut, muss aber zu Figur und Setting passen.
Eine andere Variante, die ich in einem Projekt gewählt habe, ist der Wurf ins kalte Wasser durch die ersten Zeilen, die für den Leser erst mal nur Fragen aufwerfen und dann ein Innehalten der Figur, die sich und das Setting in ein bis zwei Sätzen vorstellt. Hier mag ich es auch, wenn der Ich-Erzähler sein Publikum direkt anspricht. Allerdings ist das starke Geschmackssache und passt auch nicht zu jeder Geschichte.
Ansonsten bin ich immer dafür, die Figurenbiografie häppchenweise und gut verwoben einzubauen. Einfach gesagt: Der Test muss konsequent zu dieser Erinnerung führen und die Erinnerung muss mehr als eine Wirkung beabsichtigen. (Wenn man damit Schwierigkeiten hat, bietet sich übrigens eine Aufstellung der Textstelle mit Folgepfeilen an).
Die einzige Ausnahme ist für mich ein schneller Überblick in der Fortsetzung einer Reihe. Aber auch dann würde ich nicht mehr als eine halbe Normseite dafür verwenden.

Ich hoffe, das war jetzt nicht zu verwirrend. :versteck:
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

canis lupus niger

#22
Hier ist als Beispiel, wie ich es mal gelöst habe, eine Stelle aus dem entstehenden dritten Band meiner Reihe. Diesen Weg fand ich ganz geeignet, um nicht erst von der Geburt zu erzählen und dann ein ganzes Jahr überspringen zu müssen. Der Leser begleitet den Prota praktisch, als dessen Gedanken davontreiben.
ZitatHungrig reckte Maryam ihre Hände nach dem Becher und trank mit Wanjas Hilfe. Dann nahm er den Löffel, um sie zu füttern. Doch Maryam griff danach und versuchte, ihn ihrem Vater zu entreißen.
   "Nein!" krähte sie. "Leila!" Sie wollte offensichtlich alleine essen.
Entzückt von ihrer Willensstärke überließ Wanja ihr den Löffel und sah gebannt zu, wie sie versuchte, damit zurechtzukommen. Die Hälfte des Breis verteilte sich auf Maryams Gesicht, ihr Kleid, den Tisch, den Fußboden und ihren Vater. Doch vom Rest gelangte genug  in den Mund des Kindes, um es zu sättigen.

    Während er seine Tochter beobachtete, dachte Wanja an den Tag ihrer Geburt zurück. Nur  acht Monate nach der Rückkehr aus Ghadamis´Gefangenschaft nach Wolfsburg und befreit vom Fluch des üblen Zauberers, hatte Valeria ihrer beider Kind zur Welt gebracht. Die Geburt war schnell und leicht verlaufen, wie die Hebamme Ortrun erklärt hatte, als sie den ungeduldigen Vater endlich in das Schlafgemach einließ. (Und so weiter. Schon am Tag der Geburt beobachtet er an seiner Tochter Anzeichen für eine ungewöhnliche Fähigkeit.)

Eine andere Stelle aus einer anderen Geschichte ist ganz anders gestrickt. Die Geschichte fängt praktisch mitten im Geschehen an, dann kommt eine kurze Rückblende, wie es zu der Situation gekommen ist, und dann geht es von der aktuellen Situation ausgehen weiter.

ZitatAls das dritte Taryr aus dem Gehölz hervor brach, wusste Töknurday endgültig, dass er versagt hatte, versagt darin, auf seiner ersten Alleinjagd eine geeignete Beute auszuwählen, zu stellen, zu erlegen und ins Lager zurück zu bringen.
    Dabei hatte der junge Ork das einzeln herum streifende Taryr ursprünglich sogar für eine  hervorragend geeignete Beute gehalten. [...]

Töknurday war nicht leichtsinnig gewesen und hatte alles bedacht, was man ihn über die Raubtierjagd gelehrt hatte. [... Schilderung der Jagd bis zum Beginn der Geschichte]

    Und nun war also dieses dritte Taryr aufgetaucht und Töknurday wusste, dass er praktisch erledigt war. [u.s.w.]

Eine weitere Methoden, die ich schon mehrfach angewandt habe, war, dass ein Charakter dem anderen von einem Erlebnis aus der Vergangenheit erzählt, in einem Monolog oder auch in einem Dialog, je nachdem. 

AlpakaAlex

Ich betreibe mal weiter lustige Thread-Nekromantie.

Finde dieses Thema auch interessant. Habe damit lange gekämpft, gerade weil ich von dem, was ich über das Schreiben gelernt habe, ja sehr von den visuellen Medien beeinflusst wurde. Und dort ist es recht leicht - jedenfalls in Serien: Flashback-Time. Filme nutzen dies allerdings meist weniger, es sei denn als Einführungsszene oder Traumsequenz, weil es häufig den Flow des Films stört.

Allerdings muss ich ehrlich gesagt sagen, dass ich Flashbacks in dem Sinne halt auch in Büchern häufig als störend empfinde (erneut: Sofern sie kein gutes Framing Device haben). Sie reißen einfach aus der Handlung heraus, finde ich. Und in vielen Fällen, wo mir in Büchern Flashbacks begegnet sind, fehlte für mich auch ein guter Grund, warum diese Erinnerung genau an der Stelle als Flashback reingebracht wurde. Also es machte meistens Sinn, von wegen: "Jetzt sollten die Leser*innen das wissen", aber eher selten in dem Sinne von: "Jetzt würde der Charakter diesen Erinnerungen nachsinnen."

Ich selbst mache es schon seit langem so, dass ich Erinnerungen nicht als ausgiebige Szenen behandele (sofern nicht mit Framing Device), sondern nur im Erzähltext andeute, oder sie aber von einem Charakter wirklich erzählen lasse und dabei als Möglichkeit nehme, die Beziehung zwischen zwei (oder mehr) Charakteren weiter auszuarbeiten.
 

Mari

@AlpakaAlex Ich habe das auch gelernt, aber aus einem Buch. Die "Nach dem Sommer"-Trilogie von Maggie Stiefvater war wirklich ein Augenöffner. Ich mache es genau wie sie: Daran würde der Charakter jetzt denken. Die Kunst ist, das genau in dem Moment glaubhaft unterzubringen, wo der Leser das erfahren sollte :D

Dämmerungshexe

An sich gibt es das ja auch in der Realität: ein bestimmter Geruch und ZACK ist alles wieder da. Ein Schlagwort und schon überkommt einen die Erinnerung und die damit verbundenen Emotionen. (Ist mir heute erst wieder passiert.) Natürlich muss das Timing zum Pacing der Erzählung passen, damit der/die LeserIn nicht auch dem FLuss gerissen wird.
Schwierig kann es bei der Darstellung werden - wie präsentiert man diese Erinnerungen: lässt man es die Figur erzählen oder nochmal erleben, sagt man dazu dass X7Y sich erinnert, oder schmeißt man den/die LeserIn einfach hinein. Hängt wahrscheinlich auch damit zusammen welchen Impact das ganze haben soll, welchen Zweck man als Autor damit verfolgt - will man Infos liefern oder Emotionen rüberbringen?

In meinem derzeitigen (ewigen) Projekt habe ich einen ziemlich auktorialen Erzähler, der öfter mal solche Details mit rein bringt. Ab und zu als kurzer Nebensatz, ab und zu als knapper Absatz. Längere Szenen vermeide ich aber eher, um das ganze eher als Stilmittel zu nutzen, nicht als Plot-Device.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques