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NS-Sprache

Begonnen von Herbstblatt, 24. Februar 2021, 22:28:22

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Herbstblatt

Vor einiger Zeit ist mir in einem Buch eine interessante Passage hängen geblieben.

Der Autor hat kritisiert, dass das Wort "Verhör" in Krimiserien wie Tatort verwendet wird, dabei stamme es aus der NS-Zeit und impliziert eben die unfaire Befragung während dieser Zeit, es schwingt also diese negative Konnotation mit. Er merkte an der Stelle an, man solle stattdessen lieber "Befragung" und "Vernehmung" verwenden, laut ihm tut die Polizei das auch (Letzteres bezieht sich auf Deutschland, keine Ahnung, ob die Polizei das in Österreich auch tut?)

Inwieweit diese Behauptungen stimmen, kann ich nicht sagen, aber diese Passage hat für mich ein anderes Licht auf Texte geworfen, weshalb ich mir die Frage gestellt habe, ob da nicht noch mehr Wörter in Büchern und Filmen sind, die ich oder wir als Gesellschaft übersehen? Und noch wichtiger: Verwende ich solche Wörter in meinen eigenen Geschichten?

Tatsächlich existiert in meinem Manuskript ein Kapitel, in dem es um eine .. hm.. Vernehmung geht. Allerdings würde ich hier ganz bewusst das Wort "Verhör" nehmen, denn im Grunde ist es das auch. "Vernehmung" oder "Befragung" klingt in dem Kontext für mich zu schwach. Das Land, in dem sich diese Handlung abspielt, ist eine Diktatur und die Befragung ist unfair, die Leute wollen den unschuldigen Charakter auf jeden Fall dran kriegen, es soll negativ sein. Andererseits weiß ich nicht, wie andere Autoren oder Leser so etwas auffassen. Ich möchte nichts verharmlosen oder verherrlichen. "Vernehmung" oder "Befragung" klingt in dem Kontext für mich zu schwach, zu rechtsstaatlich, nach fairer Polizeibefragung.

Wie seht ihr das? Achtet ihr darauf oder haben sich die Wörter schon so bei uns eingebürgert, dass sie niemandem mehr auffallen und einfach schon Teil unseres Sprachgebrauchs geworden sind?
Stimmt ihr dem oben erwähnten Autor zu? (Das Buch handelte übrigens über Forensik und die Erwähnung dieses Beispiels mit dem Verhör war da ganz nebensächlich.) Sind euch solche Wörter aufgefallen, sogar bei euch selbst?

Und wenn wir schon dabei sind, hat jemand nette Artikel über konkrete Wortbeispiele?
Auf die Schnelle habe ich ein Buch gefunden: Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht von Matthias Heine. Das werde ich mir zulegen, hätte allerdings gern noch mehr darüber.
Dieses Thema ist ganz neu für mich und, ganz ehrlich, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass so alltägliche Wörter wie "Verhör" ein Problem darstellen könnten. Ich bin nicht ganz sicher, wie viel Aufmerksamkeit ich diesem Thema als Autorin schenken soll oder ich mir gerade unnötig Gedanken darüber mache?

/edit: Mir fällt noch "Führer" ein, im Kontext von Museumsführern. Mir war unwohl dabei, das "Museums-" zweck Kürzung und Wortwiederholung einfach wegzulassen. :/

Maja

#1
Grundsätzlich denke ich, bei Sprache, die auf Nazi-Jargon zurückgeht oder durch Nazis pervertiert worden ist, muss man extrem vorsicht vorgehen. Beispiel für dafür sind z.B. einzelne Wörter wie "entartet" (ein Wort, nicht mit der Kneifzange anzufassen), aber auch Redewendungen wie "Jedem das seine" - ursprünglich als "Suum cuique" in der antiken Philosophie ein unproblematischer Ausspruch, bis die Nazis dieses Zitat als Inschrift über den Eingang des KZs Buchenwald gesetzt haben. Heute sollte dieser Spruch, auch wenn 2.000 Jahre lang unproblematisch, nicht mehr verwendet werden.

Zu deiner konkreten Frage: Das Wort "Verhör" wurde sicher von den Nazis benutzt und ist dort mit Folter verbunden, aber ich sehe nicht, dass sie dieses Wort selbst entwickelt hätten. Ich kenne es aus Gerichtsakten aus der Weimarer Republik, etymologisch sehe ich es bereits im 16. Jahrhundert belegt, und heute wird das Wort ganz regulär in den Nachrichten verwendet. Das macht es nicht zu einem Nazi-Wort, auch wenn ein Verhör im Jahr 1935 etwas anderes bedeutet hat als ein Verhör im Jahr 2021.

Hast du den Titel des Buches, das diesen Begriff auf die Nazis zurückführt? Das interessiert mich.

Einen interessanten Artikel zu von den Nazis geprägten oder verbrannten Begriffen fand ich bei der Deutschen Welle:
https://www.dw.com/de/verbrannte-w%C3%B6rter-sprechen-wir-noch-wie-die-nazis/a-47957180
Da geht es um das Buch "Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie die Nazis" - ist das der Titel, den du meintest, @Herbstblatt ?
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Ahneun

Na ja, das Wort "Verhör" wird heute auch nicht mehr verwendet. Als Synonym steht auch das Wort; "Inquisition"

Im heutigen Sprachgebrauch finden "Befragung" und "Vernehmung" ihre Anwendung. "Verhör" kenne ich selbst aus dem behördlichen Sprachgebrauch von heute nicht mehr.

Zum Thema, Wörter aus der NS-Sprache, kann ich selbst erst darüber schreiben, wenn es mir selbst auffällt. Ich würde mich auch für dieses Buch interessieren.
- Ein Diamant
ist

Herbstblatt

Musste ein wenig suchen, da ich den Titel vergessen habe, aber ich hab es tatsächlich gefunden.
Schwimmen Tote immer oben?: Die häufigsten Irrtümer über die Rechtsmedizin von Michael Tsokos.

Findet sich übrigens auf Amazon und die besagte Stelle sogar in der Leseprobe auf Seite 49. Er kritisiert hier nicht nur "Verhör" sondern auch "Verdächtige". (Ich hab das Buch übrigens verschenkt, darum besitze ich es nicht mehr.  :P)
Aber wie gesagt, im Grunde geht es um Forensik, nicht um den Gebrauch von NS-Wörtern. Dieses Buch war für mich ein Denkanstoß in der Hinsicht.

Zitat von: Maja am 24. Februar 2021, 23:01:44

Einen interessanten Artikel zu von den Nazis geprägten oder verbrannten Begriffen fand ich bei der Deutschen Welle:
https://www.dw.com/de/verbrannte-w%C3%B6rter-sprechen-wir-noch-wie-die-nazis/a-47957180
Da geht es um das Buch "Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie die Nazis" - ist das der Titel, den du meintest, @Herbstblatt ?

Ja, genau. Und den Artikel hab ich eben durchgelesen.  :D


Zitat von: Ahneun am 24. Februar 2021, 23:17:19

Im heutigen Sprachgebrauch finden "Befragung" und "Vernehmung" ihre Anwendung. "Verhör" kenne ich selbst aus dem behördlichen Sprachgebrauch von heute nicht mehr.

Interessant. Der Autor schreibt ebenfalls, dass "Verhör" und "Verdächtige" in keinem Gesetzesbuch- oder Polizeihandbuch zu finden ist. Ich schau mir mal an, was das österreichische Gesetzbuch dazu sagt.  :P

Maja

Danke für die Info, @Ahneun!
Zitat von: Ahneun am 24. Februar 2021, 23:17:19
Na ja, das Wort "Verhör" wird heute auch nicht mehr verwendet. Als Synonym steht auch das Wort; "Inquisition"
Inquisition ist nicht ein Synonym für Verhöre, aber die Inquisition hat während der Hexenverfolgung Verhöre durchgeführt - auch damals schon als solche bezeichnet, oft mit dem Zusatz "hochnotpeinlich" als Beschreibung dafür, dass Folter zum Einsatz gekommen ist.

Für ein Setting in einer Diktatur und eine Art Befragung, bei der es zu Gewaltanwendung kommt, würde ich das Wort "Verhör" durchaus verwenden, gerade weil es im Vergleich zu "Befragung" diese negative Konnotation hat.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Ahneun

#5
@Herbstblatt Oh!
Das Wort "Verdächtigte" (w/ bzw. Mehrzahl) haben wir heute schon noch im üblichen Sprachgebrauch. (Polizei und Justiz)
Zum Beispiel; "Ahneun wird der Tat verdächtigt, sich unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Er ist somit Tatverdächtigter im Strafprozess Aktenzeichen 0-8-15."
Ob diese Bezeichnung für einen möglichen Täter aus der NS-Zeit stammt, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen oder entkräften.

Im österreichischen wäre ich übrigens ein "Fahrzeuglenker" während ich in Deutschland als Fahrer eines PKW/LKW/Krad o.ä. bezeichnet werde.
Es gibt einige Bezeichnungen die die Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland aufzeigen. Ich höre manchmal die Nachrichten im österreichischen Internetradio. Da gibt es einige Beispiele die die Unterschiede offen legen. Irgendwo hab ich da auch schon mal etwas geschrieben. Ich kuck mal.

Was jetzt da aus der NS-Zeit/Sprache sich zum Vergleich in die heutige deutsche Sprache herleiten lässt, das weiß ich allerdings nicht.

LG

[edit] Ah jepp, mir fiel noch etwas zum Thema ein:
-> Das Wort "illegal" findet so, keine Anwendung im polizeilichen Sprachgebrauch. Wenn sich Jemand zum Beispiel illegal in Deutschland aufhält, dann spricht man von einem "unerlaubten Aufenthalt". Das liest sich dann so, "Ahneun hält sich unerlaubt in Deutschland auf." Manchmal findet das Wort illegal heute noch in den allg. Medien seine Verwendung.

Oder; "Ahneun verschwindet in der Illegalität." Hier würde ich dann in die "Anonymität" verschwinden, oder einfach, "abtauchen".
- Ein Diamant
ist

Sonnenblumenfee

Als Juristin kann ich mir einen Exkurs zu den Begriffen "Verdächtiger" und "Verhör" nicht verkneifen:
Soweit ich weiß, verwendet ihn die (deutsche) StPO (Strafprozessordnung) nicht, jedenfalls fällt mir kein Beispiel ein, die üblichen Begriffe für die Person, wegen der als mögliche*r Straftäter*in ermittelt wird ist, je nach Stand des Verfahrens "Beschuldigter", "Angeschuldigter" oder "Angeklagter". Die StPO benutzt aber zB "Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat [...] verdächtig ist" (§ 102 StPO). Ich meine mich auch zu erinnern, dass der Begriff "Verdächtiger" in der Staatsanwaltschaft/ bei der Polizei gerne mal benutzt wird, um auszudrücken, dass die Person noch kein "Beschuldigter" ist, sondern es "nur" einen (vagen) "Verdacht" gibt. (Wobei die Abgrenzung, wann jemand "Beschuldigter" im Sinne des Gesetzes ist, mitunter sehr schwierig sein kann).
Den Begriff "Verhör" habe ich in der Staatsanwaltschaft nicht gehört, dort sprach man immer von "Vernehmung" oder manchmal (bei Zeug*innen) "Befragung". In meinem Gesetzeskommentar findet sich der Begriff "Verhör" bei § 69 Abs. 2 StPO für den Teil der Zeugenvernehmung, bei dem die vernehmende Person Rückfragen stellt und versucht, Lücken in der Aussage zu schließen oder Widersprüche aufzuklären, im Gegensatz zum ersten Teil der Vernehmung, in der der Zeuge erst einmal von sich aus erzählen soll.

Viel problematischer im Hinblick auf Nazi-Terminologie ist übrigens die unsägliche Formulierung des Mord-Tatbestands nach § 211 StGB, die auf die sog. Tätertypenlehre zurückgeht.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

Herbstblatt

Zitat von: Sonnenblumenfee am 25. Februar 2021, 11:40:59


Viel problematischer im Hinblick auf Nazi-Terminologie ist übrigens die unsägliche Formulierung des Mord-Tatbestands nach § 211 StGB, die auf die sog. Tätertypenlehre zurückgeht.



Meinst du das hier?
ZitatStrafgesetzbuch (StGB)
§ 211 Mord
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__211.html)

Ich finde darin nichts Bedenkliches, möchtest du mir das näher erläutern?

Ahneun

#8
Zitat von: Sonnenblumenfee am 25. Februar 2021, 11:40:59
~ die üblichen Begriffe für die Person, wegen der als mögliche*r Straftäter*in ermittelt wird ist, je nach Stand des Verfahrens "Beschuldigter", "Angeschuldigter" oder "Angeklagter". Die StPO benutzt aber zB "Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat [...] verdächtig ist" (§ 102 StPO). Ich meine mich auch zu erinnern, dass der Begriff "Verdächtiger" in der Staatsanwaltschaft/ bei der Polizei gerne mal benutzt wird, um auszudrücken, dass die Person noch kein "Beschuldigter" ist, sondern es "nur" einen (vagen) "Verdacht" gibt. (Wobei die Abgrenzung, wann jemand "Beschuldigter" im Sinne des Gesetzes ist, mitunter sehr schwierig sein kann). ~

:jau:

Jepp! Genau hier hat die Polizei die Aufgabe der Ermittlung.  :vibes: Als "Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft" müssen sie, also die Polizei, alle "Verdachts bekräftigende und entkräftende Tatbestandsmerkmale" aufnehmen auch mit einer "Vernehmung" (Verhör) von Zeugen und "Verdächtigten" und der Staatsanwaltschaft übermitteln. Insoweit ist ein vermeintlicher "Straftäter" immernoch der Tat verdächtigt. Vor Gericht in einem Verfahren ist er dann "Beschuldigter". Kommt darauf an, wie die Polizei gearbeitet/ermittelt hat.  :flausch:

-> Und dann kommt ein sehr guter Rechtsanwalt und macht aus dem Beschuldigten einen "freien Mann" - oder auch nicht. Dann wird es ein Inhaftierter.
- Ein Diamant
ist

Aphelion

#9
Für mich kommt es darauf an, ob ein Wort eindeutig von den Nazis stammt bzw. v.a. mit der menschenverachtenden Ideologie verbunden ist, oder ob das Wort auch von den Nazis benutzt wurde, aber nicht Nazi-spezifisch ist. Zudem kommt es beim Schreiben natürlich auch immer darauf an, welche Wirkung beabsichtigt ist.

"Verhör" ist für mich nicht Nazi-spezifisch. Laut Duden leitet sich das Wort aus dem Mittelhochdeutschen ab. Es scheint also nicht unter den Nazis erstmals verwendet worden zu sein. Dass dasselbe Wort zu unterschiedlichen Zeiten abweichende Bedeutungen haben konnte, ist oft so. Als Autorin finde ich auch hier wieder wichtig, welche Bedeutung (zum Zeitpunkt des Verfassens und im geschriebenen Kontext) im Vordergrund steht. Wenn "Vernehmung" zu schwach klingt, würde ich auch "Verhör" verwenden. Das ist letztlich auch eine Frage der Perspektive und der Erzählstimme.

Letztens habe ich in einem Zeitungsartikel gelesen, "Kulturschaffende" gehe auf die Nazis zurück. Mit dem Wort habe ich allerdings kein Problem, weil es (heute) inhaltlich ein sehr umfassender Begriff ist und er sprachlich neutral wirkt.

"Weltanschauung" war bei den Nazis auch ein beliebter Begriff. Seit ich darauf hingewiesen wurde, benutze ich ihn nicht mehr so oft, aber für mich ist das kein Nazi-spezifisches Wort, weil es dafür zu oft in anderen Kontexten benutzt wird.

"Jedem das seine", das hier im Thread schon von Maja erwähnt wurde, finde ich richtig schlimm. Problematisch finde ich bei dieser Phrase nicht nur, dass sie von Nazis verwendet wurde. Das Hauptproblem ist für mich die Ideologie dahinter: Dass bestimmten Menschen etwas (nicht) zusteht, weil sie XY sind.

Hinzu kommt, dass diese Phrase auch bei der "unschuldigsten" Verwendung heute noch eine abfällige Konnotation hat. Selbst Menschen, die den Nazi-Kontext nicht kennen, benutzen diese Phrase nämlich v.a. in Zusammenhängen, in denen sie auf die vermeintliche Dummheit oder Unkultiviertheit des Gegenübers herabblicken. Ich würde so eine Phrase höchstens einer Figur in den Mund legen, die negativ wirken soll und es durch die gesamte Charakterisierung auch (hoffentlich ;D) tut.

Dass verharmlosende Wörter wie "Kristallnacht" nicht als neutrale Beschreibung taugen, hat sich inzwischen zum Glück weitestgehend durchgesetzt. Ich kann mich aber noch gut daran erinnern, dass ich darüber vor "nur" ca. 10 Jahren noch hitzige Diskussionen geführt habe, weil manche Leute es "übertrieben" fanden, offensichtliche Propaganda-Begriffe in Beschreibungen zu meiden, die neutral wirken sollen. ::)

Insofern finde ich es wichtig, sich immer wieder auch mit der sprachlichen NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Letztlich muss ich aber zugeben, dass ich nicht immer alles auf dem Schirm habe.

zDatze

Auch die Polizei als "dein Freund und Helfer" zu bezeichnen gehört zum Nazi-Jaron. Leider hört man das auch jetzt noch sehr oft. Da auch "Jedem das seine" schon gefallen ist (die eigentliche Bedeutung ist "Jedem, was er verdient"), möchte ich auch noch den "Arbeit macht frei" hinzufügen, da beides Sprüche waren, die an den Eingängen zu den KZs angebracht waren.

Auch das Buchstabieren ist noch von der NS-Zeit geprägt, falls jemand nachlesen mag: Nicht mehr buchstabieren wie die Nazis.

Wallrabe

Hm, sehr interessant. "Jedem das seine" wusste ich zum einen tatsächlich nicht, dass es auch diesen Ursprung hat - und es war für mich in der mir geläufigen Verwendung nie negativ belastet. Ich hätte es viel eher in einer neutralen Anerkennung einer abweichenden Meinung/Fähigkeit/Vorliebe/... verstanden. In dem Sinne, dass man etwa anderer Meinung oder eine andere Vorliebe hat als das Gegenüber oder das "Subjekt", selbigem aber tolerant zugesteht, dass es dessen bestes Recht ist, in dieser Hinsicht einen abweichenden Standpunkt zu haben  :hmmm:

Die Bedeutung davon "Jedem, was er verdient", erst recht in NS-Kontext gibt dem natürlich ganz wie ihr sagt eine sehr viel düstere Bedeutung! Das ist sehr gut zu wissen.

Ein neutrales Wort, welches ich auch nach wie vor als sehr "belastet" erachte ist denke ich auch der "Führer". Zumindest ist der Diktator hier die erste Assoziation, die mir in den Kopf kommt, auch wenn man es ja mittlerweile in diversen Kontexten hat, wenn man zum Beispiel einen Bergführer oder Fahrzeugführer hat. Oder schlicht jemand, der einer Gruppe den Weg zeigt...

Ahneun

#12
Leider auch das "Arbeit macht frei" es steht gleich am eisernen Eingangsportal zum KZ-Auschwitz, Dachau, Groß Rosen sowie Theresienstadt. Link

-> Es schaudert mich, wenn ich die Bilder mit diesem Eisenportal "Jedem das seine" sehe. Als Jugendlicher war ich zwei oder drei Mal dort im KZ-Buchenwald um die Gedenkstätte zu besichtigen. Es waren Schulprojekte und das KZ-Buchenwald gehörte zum sogenannten Lehrplan.

Ich wusste nicht, dass "Polizei dein Freund und Helfer" ebenfalls aus der NS-Zeit stammen sollen. Zu meinem Bedauern verwende ich diesen Ausspruch sehr oft. Aber mein eigentliches Problem ist das Buchstabier-Alphabet. "Y für Ypsilon" und "N für Nordpol" verwendete ich bisher immer. ,,Ypern" ist mir überhaupt nicht geläufig. Es klingt auch zu ähnlich für "Z wie Zypern"

Bei "Ü - Übel, Z - Zeppelin, S- Sigfried" wäre ich niemals auf eine NS-Vergangenheit gekommen.  :omn:
- Ein Diamant
ist

Barra

#13
Ich meine zum Alphabet hatte es neulich erst eine Rück-/ Umbenennung gegeben, oder nicht? Ah, noch mal nachgeschaut: ab 2022.

Bin aber tatsächlich wegen anderen "Worten" und Einstellungen hier.
"Das Kind mal schreien lassen, das härtet die Lunge", "Das Kind nicht verwöhnen" (ergo Körperkontaktentzug) etc. Die ganze frühkindliche Erziehung also, stammt aus einer Erziehungsideologie, die emotionslos-willig-militärisch enden sollte. Kann man sich ja denken, was damit 1935 bezweckt werden sollte.
Darunter fallen so Ratgeber wie: »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« von Johanna Haarer, deren Leeren Lehren heute noch immer wieder auftauchen. "[Ersetzung: rassistische Fremdbezeichnung für indigene Völker] kennt kein Schmerz" (OT: Gut, das wird ohnehin ursprünglich Karl May zugesprochen und die Bezeichnung* an sich ist schon Beleidigung genug - ich wollte aber auf den 'Hintergedanken' eingehen: "von klein auf dazu erzogen: Schmerzen auszuhalten, wegzustecken, nicht zu weinen, Gefühle abtrainieren und nicht zulassen oder annehmen, ... kommt euch das bekannt vor? Haben bestimmt einige von uns mal in der Kindheit/ Jugend gehört.)
Ich hab die ganze Thematik durch meine Hebammen und das Buch von Herrn Renz-Polster "Kinder verstehen" vor Augen geführt bekommen.

"Jedem das Seine" habe ich auf Garantie (wie Wallrabe) schon mal benutzt. Oder auch: "Jedem Tierchen sein Pläsierchen". Für mich war das immer ein: Oh, du magst Bananen? Ich mag lieber Äpfel - Jedem das Seine.
Gut zu wissen, dass es auch aus der Ecke kommt.


Edit: ah, gut das I. Wort wird automatisch schon mal ersetzt.

Tintenteufel

Es ist das LTI noch nicht erwähnt worden, daher sei dem hiermit Genüge getan:Das Notizbuch eines Philologen in NS-Diktatur. Sehr aufschlussreich, alles aber grob angedeutet. Prof. Klemperer weist ausdrücklich darauf hin, dass es als eine Vorlage, eine Skizze zur weiteren Behandlung der Sprache gedacht ist und wohl einige Jahre an Forschung benötigen wird. Forschung, die leider bislang etwas zu kurz gekommen ist.
Es finden sich darin aber zahlreiche Beispiele, von denen einige hier auch bereits genannt worden sind. "Weltanschauung" etwa. Der eigentliche Punkt - und hier kommt jetzt die Überleitung - ist aber, was mit NS-Sprache gemeint ist. NS-Sprache ist keine Ansammlung aus Wortneuschöpfungen oder Umdeutungen. Das "suum cuique" ist ja bereits angesprochen worden. Besonders perfide, da diese Haltung sich auch im Toleranzedikt v. Potsdam in der Form "den hier mus ein jeder nach Seiner Faßon Selich werden" als Ausdruck von Toleranz gegen Religionen und Ansiedlung v. Juden in Berlin findet.
Haltung ist ein gutes Stichwort. "Haltung" ist nazistisch belastet, insofern dem Wort eine . "Sonnig" ist nazistisch auch benutzt worden, wurzelt aber wie die Weltanschauung in der Deutschtümelei. Da tummeln sich die "sonnigen" Gemüter mit ihren blonde haaren und blauen Augen, die da voller deutschem Tatendrang durchs Ährenfeld tollen. "Historisch" ebenso, insbesondere als Erklärung von jeder Rede, jeder Ansprache, jedem Aufmarsch jedes Provinzpolitikers zu einem Ereignis größter Wichtigkeit. Wird meines Wissens nach von en Medien auch heutzutage noch gerne benutzt, wenn es um "historische Wahlen" oder "historische Parteitage" geht.

Nazisprache ist eine fundamentale Herangehensweise an Sprache, die sich nicht in einzelnen Wörtern erschöpft, sondern diese derart verbiegt und bricht, bis die Sprecher durch die Sprache selbst vergiftet worden sind. Das ist perfider, als einzelne Worte einfach nicht zu benutzen. Und es wäre auch albern, etwa das Wort "sonnig" nicht mehr in den Mund zu nehmen. Durch die Sprache und den schleichenden Ersatz von einzelnen Wörtern und Wortschattierungen wird eine gedankliche Welt erzeugt, die gleichzeitig sehr arm und sehr reichhaltig ist.
"Einstellung" ist ein schönes Beispiel. Findet sich auch im LTI, ist eine Verlagerung eines machinistischen, mechanischen Begriffs - das Einstellen einer Maschine - auf ein soziales Welt. Würdigt den Menschen zu einem Automaten herab, macht ihn zum Teil einer Maschine. Des Staatsapparats.