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Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?

Begonnen von Derexor, 31. Dezember 2011, 14:49:46

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Mogylein

Zitat von: Lomax am 31. Dezember 2011, 18:53:38
Meiner Erfahrung nach gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich Möglichkeit a). Ich hab noch kein Kind getroffen, dass nicht erst mal was heißes anfassen und sich verbrennen musste, bevor es was gelernt hat, selbst wenn man ihm das vorher gesagt hatte - mich selbst eingeschlossen  ;D.

Naja, mir ist aber auch noch kein Kind begegnet, dass unbedingt einen Stromschlag gebraucht hat, um zu kapieren, dass man die Finger nicht in Steckdosen steckt..
   "Weeks of Writing can save you hours of plotting."
- abgewandeltes Programmiersprichwort

Grummel

Dann wird es Zeit, dass wir uns kennen lernen. ;D

Mein Sohnemann hat wie er noch gaaaaanz klein war, immer an der Terassentür rumgespielt. Sei vorsichtig, du klemmst dir die Finger hat nie wirklich Wirkung gezeigt. Dann habe ich einen seiner Bundstifte genommen, in an den Türrahmen gehalten und die Tür zugeschlagen. Knack. Danach hat er immer einen Bogen um die Tür gemacht. (Hab ich mal in irgend einem Film gesehen. :D )
"Kaffee?"
"Ja, gerne."
"Wie möchtest du ihn?"
"Schütte ihn mir einfach ins Gesicht!"

Sanjani

Hallo,

gerade bei Kindern spielt die Entwicklung eine große Rolle. Erst ab einem bestimmten Alter - ich weiß leider nicht mehr, welches - können Kinder möglichkeit B zum Lernen nutzen. Ich glaube sechs oder sieben, weil sie da allmählich vorausschauend denken können. Vorher nicht.

Bei Erwachsenen spielen sicher mehr Faktoren eine Rolle, z. B. der Ehrgeiz es besser zu schaffen als der Lehrer, der an den Ideen vor 10 Jahren gescheitert ist.

Ansonsten habe ich mir über dieses Thema noch nie so viele Gedanken gemacht. Ich schreibe über Gewalt, weil sie zu unserer Welt dazugehört und es unrealistisch wäre sie völlig herauszulassen. Was das mit mir macht, keine Ahnung, beim Lesen ist ein bisschen Sensationslust bestimmt auch dabei, aber andererseits werde ich vom Lesen gewaltvoller Bücher nun auch nicht übermäßig gewalttätig. Ich finde einfach, dass es in Maßen dazugehört. Das Maß bestimmt aber natürlich jeder Autor selbst und ich habe durchaus schon Bücher gelesen, wo mir ziemlich anders wurde und ich dachte, weniger wäre mehr gewesen.

LG

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Lomax

Zitat von: Mogylein am 31. Dezember 2011, 19:05:15Naja, mir ist aber auch noch kein Kind begegnet, dass unbedingt einen Stromschlag gebraucht hat, um zu kapieren, dass man die Finger nicht in Steckdosen steckt.
Mir ist aber auch noch kein Kind begegnet, dass seinen Finger nicht in Steckdosen gesteckt hat, weil man ihm das gesagt hat. Das mit den Steckdosen lernt man im Idealfall allerdings auch so früh, dass mit "erzählen" eh nicht viel läuft. Dann geschieht das über eine Art Konditionierung - und das ist auch eine Form der eigenen Erfahrung, bei der das Kind lernt, (negative) Ereignisse mit dem Objekt Steckdose zu verbinden. Nur halt im günstigsten Fall negative soziale Ereignisse wie die Ablehnung der Eltern bzw. ein zurückziehen der Hand, wenn das Kind der Steckdose zu nahe kommt.
  Das klappt mal besser, mal schlechter - aber ein Lernen durch Vorstellung ist es trotzdem nicht, sondern immer auch ein lernen durch unmittelbar erfahrenen Reiz auf die (versuchte) Handlung.
Zitat von: Sanjani am 31. Dezember 2011, 19:14:26gerade bei Kindern spielt die Entwicklung eine große Rolle. Erst ab einem bestimmten Alter - ich weiß leider nicht mehr, welches - können Kinder möglichkeit B zum Lernen nutzen. Ich glaube sechs oder sieben, weil sie da allmählich vorausschauend denken können. Vorher nicht.
Nope, so ganz klappt das mit dieser Altersgrenze nicht - sonst würden die Eltern von Heranwachsenden nicht so oft verzweifeln, und zwar definitiv bei Dummheiten, bei denen kein Ehrgeiz dahintersteckt  ;).
  Ich denke mal, dass das Lernen ohne unmittelbare Erfahrung mit steigendem Alter vor allem darum besser klappt, weil mehr Erfahrung da sind, von denen man mittelbar profitieren kann. Und die Fähigkeit zum vorausschauenden Denken hilft dann vor allem bei der Bildung von Analogien - aber sie führt nicht dazu, dass das Kind jemals irgendwas ohne eigene, anwendbare Erfahrung nur durch Erzählung und Vorstellung lernt. Theoretisch lernt ja, aber nicht so, dass es nachhaltig handlungsbestimmend verinnerlicht wird.

Angela

Ich habe als Kind mal in eine Lampenfassung gegriffen, um zu sehen, ob Strom drauf war. Kann mein Arm bis heute noch von erzählen. Mein Bruder hat Nägel in die Steckdose gesteckt und meine Schwester versuchte, Leucht-Legosteine anzuschließen.
Survival of the fittest ist das nicht gerade gewesen.
Gewalt in Fantasy ist wie Gewalt in Märchen. Nur ein Abklatsch der Wirklichkeit, nicht echt unsere Wirklichkeit. Wir in unserer westlichen Welt leben in relativer Sicherheit, sterben nicht auf Schlachtfeldern oder werden nur zum Spaß gequält und gedemütigt. Wie kommt ein Folteropfer mit einer solchen Beschreibung klar? Ein Überlebender eines Krieges, einer Vergewaltigung?
Keine Ahnung. Da kommt es mit dem Apfel dann schon hin, denke ich. Alte Erinnerungen werden hochgeholt. Vieles wirkt dann sicher auch falsch, weil man als Autor nur mutmaßen kann, wie sich etwas anfühlt.
Warum aber schreiben wir über diese Dinge? Weil es uns fasziniert, so sind wir angelegt. Ein wenig Raubtier dabei.

HauntingWitch

Zitat von: Churke am 31. Dezember 2011, 18:02:51
Ich bezweifle, dass man mit dem Bild eines Baseballschlägers die selben Effekt erreichen kann. Selbst wenn du abstrakt weißt, dass man ich mit einem Baseballschläger zu Brei hauen kann, wird das Bild in der Mehrzahl der Fälle nicht die entsprechenden Emotionen auslösen. Es sei denn vielleicht, du wärst schon mal das Opfer eines solchen "Sportlers" geworden. Ist einem Kumpel von mir mal passiert. Er lag auf dem Boden und der Typ schlug direkt auf die Rübe. Dank guter Reflexe hat er's überlegt. Mir persönlich geht diese Erfahrung völlig ab. Ich denke höchstens "ey, cool, ein Baseballschläger."

Einerseits ja. Es kommt aber auf die Ausführung an, denn: Umgekehrt löst das Bild einer aus einem Fernseher steigenden Horrorfilmfigur unmittelbar einen Fluchtinstinkt aus. Obwohl der Zuschauer sich die ganze Zeit über im Klaren ist, dass das nur ein Fernsehbild ist und das nicht passieren wird. Die Reaktion des Gehirns ist dieselbe, als würde sie tatsächlich aus dem eigenen Fernseher kriechen. Obwohl man weiss, dass sie das nicht tut, bekommt man Angst vor ihr. Das liegt an den von Rotkehlchen erwähnten Gründen. Im Gehirn passiert dasselbe.

Desweiteren macht es einen Unterschied, ob du liest "er schlug sich den Baseballschläger sachte wiederholt in die andere Hand" - das ist tatsächlich ziemlich cool und zu diesem Zeitpunkt ist auch noch keine explizite Gewalt passiert. Wird aber in allem Detail beschrieben, wie der andere von diesem Baseballschläger zermatscht wird, wirst du dich zumindest ekeln (also "du" allgemein gesprochen). Je nach Abgebrühtheit und persönlicher Erfahrung kann man das abstrahieren, wenn man in sich in dem Moment an einem sicheren Ort befindet oder man wird es nicht ertragen, weil man regelrecht fühlt, was die zusammengeschlagene Person in dem Buch fühlt.

Dann gibt es Unterschiede zwischen Gewalt im Buch und Gewalt im Film. Ein vorgesetztes Bild erreicht einen unmittelbar und wenn man es merkt, ist es bereits drin. Im Buch wird das Bild langsam aufgebaut und man kann es sich nach belieben "schön" denken. Bitte nicht falsch verstehen jetzt. Natürlich halte ich es nicht für "schön", wenn einer die Kniescheibe zerschlagen wird. Das ist grausig und hässlich und der Autor des Buches sagt mir das auch zur Genüge. Aber ich habe immer noch die Möglichkeit, innerlich gewisse Details auszublenden oder meine Vorstellung so zu modifizieren, dass es für mich ertragbar wird, was bei einem Film nicht möglich ist, da ich es effektiv durch die Augen sehe. Deshalb schaue ich zum Beispiel so gut wie keine Horrorfilme, lese aber ebensolche Bücher en masse. ;)

Ob wir Gewalt in Büchern brauchen? Nun, ich bin da ähnlich gestrickt wie Erdbeere. Ich denke, ja. Denn zum einen sind ebendiese krassen Gefühle, die im Gehirn passieren, die stärksten Gefühle, von denen wir uns am Längsten einnehmen lassen. Kennt ihr das, dass euch ein abstossendes Bild länger im Kopf bleibt, als ein einfach schönes? Warum ist das so? Ich denke, weil das hässliche Bild uns mehr Futter gibt. Wo alles perfekt und alles schön ist, gibt es auch nichts zu sagen, wird somit uninteressant. Wo aber etwas nicht stimmt oder etwas verstört, gibt es nachzudenken, sich aufzuregen, oder was man dann tut, was wiederum Inspiration birgt. Denn meiner Meinung nach bewegt man sich auch geistig nur weiter, wenn auch das Gehirn in Bewegung bleibt.

Zweitens glaube ich mal gehört zu haben, dass bei Angst- oder Schmerzgefühlen ein Adrenalinausstoss passiert, aber da spricht das Halbwissen aus mir. Nur was macht Adrenalin? Es bringt uns wieder dazu, uns zu bewegen. Und da wir ja meistens abstrahieren können, werden wir nicht durchs Wohnzimmer rennen ab einer brutalen Buchszene. Bei einem Film werden wir vielleicht den Fernseher ausschalten. Aber schon beschäftigt uns etwas. Meiner Meinung nach gibt es für den Autor kaum etwas Besseres, als ständig in Bewegung zu bleiben, um auch neue Ideen zu haben. Kommt auf dasselbe heraus wie oben schon gesagt. ;)

Ausserdem gibt es kein Leben ohne Gewalt, denn Gewalt kann jedwegliche Formen annehmen. Google Earth ist gewissermassen Gewalt, wenn du so willst. Es dringt in unsere Privatsphäre ein, ohne dass wir es wollen, das ist eine Grenzüberschreitung. Somit Gewalt. So hart das jetzt klingt, aber ein Leben gänzlich ohne Gewalt existiert nicht, ergo wäre ein Buch gänzlich ohne Gewalt unglaubwürdig. Oder eine Utopie. Und selbst die Vorstellung einer Utopie ist eigentlich eine dystopische, denn ganz ehrlich: Da würden wir ein Gefühl von Falschheit entwickeln, wenn alles nur schön und gut wäre, irgendetwas stimmt dann nicht mehr.

Ob das ein tierischer Trieb ist? Gute Frage. Gerade erst vor zwei Tagen habe ich eine Dokumentation über die Antarktis gesehen. Da wurde dann auch gezeigt, wie Orcas Robben von Eisschollen schütteln, indem sie unten durch schwimmen und eine Welle erzeugen, die das Eis zum kippen bringt. Rutscht die Robbe ab, packen sie sie an der Schwanzflosse und ertränken sie, bevor sie sie fressen. Die Töten also langsam und gemein, Katzen übrigens die Mäuse auch (wie die meisten von uns wissen, nehme ich an ;)). Daraus schliesse ich, dass die Natur brutal ist und Gewaltätigkeit ergo gewissermassen etwas Natürliches ist. Ohne ist ein gutes Buch nicht möglich. Oder ein Film oder auch ein Lied. Die besten Lieder sind die mit den negativen Texten, genau aus diesen Gründen. Es ist lebensnah.

Noch zum Schluss: Das Ausgeführte ist natürlich absolut keine Entschuldigung für Gewaltverbrechen und wirft die Frage auf, wo denn die Grenze ist. Denn auch Grenzen gibt es immer und gehören dazu. ;) Soviel zu meiner bescheidenen Meinung, die hoffentlich nicht allzu lang und einigermassen verständlich geraten ist. ;)

Dogtales

Im Großen und Ganzen kann ich nur dem zustimmen, was schon gesagt wurde, ich möchte aber noch etwas Kleines hinzufügen:

Meiner Ansicht und Erfahrung nach, ist der Mensch nicht nur ein Gewohnheitstier, sondern dazu noch ein faules Gewohnheitstier. Auf die Gewalt bezieht sich das folgenderweise: Schon immer, wie bereits erwähnt wurde, ist die gewaltvolle Konfliktlösung die einfachere Lösung gewesen. Bei den Urmenschen schon und bisher hat sich das nicht wirklich geändert. Warum nicht? Weil diese Lösung nicht nur einfach, sondern auch effektiv ist. Jemanden mit Worten zu überzeugen dauert Zeit, ist schwieriger und setzt vor allem ein gewisses Maß an Intelligenz voraus. Überzeugung oder Konfliktlösung durch Gewalt ist schnell und bedarf höchstens etwas körperlicher Kraft.
Auf heutige Sicht übertragen sind wir zwar "weiter entwickelt" und "intelligenter", können also sagen, wir müssen/wollen/können Konflikte auch auf andere Art klären, dagegen spricht aber diese gewisse Faulheit des Menschen. Je langwieriger und komplizierter ein Vorgang ist, desto höher stehen die Chancen, dass man auf den "neuen"Weg verzichtet und doch wieder auf den alten zurückgreift. Ist dieser dann auch noch erfolgreich gewesen, hat die erste Konditionierung stattgefunden.
Und diese bezieht sich nicht nur auf ein Individuum, sondern wird weitergegeben. Jeder, der meint, etwas gut zu können, möchte dies gern weitertragen und somit, vor allem von Eltern an Kinder, wird die Erfahrung weitergegeben.

Wir sind also Gewalt gewohnt, aus unserem täglichen Umfeld. Wir erwarten von unserer Umwelt ein gewisses, erträgliches Maß an Gewalt. Ich finde jegliche Gewalt, nicht dass mich jemand falsch versteht, die verletzt oder tötet grausam, aber leider gehört auch diese Gewalt zu unserem Leben. Das macht die Menschen aus.
Wenn wir also schreiben versuchen wir, in das Ungewohnte, dass ja durchaus mit der Fantasy verknüpft ist, vielleicht sogar nur unwillkürlich, etwas Vertrautes einfließen zu lassen. Gewalt gehört ebenso dazu. Und der Leser erkennt die Gewalt, Gewalt sorgt für Spannung, für Mitgefühl mit dem Opfer, für Abneigung gegen den Täter, ruft also durchaus gewünschte Reaktionen hervor.
Jedoch sind wir mittlerweile weit genug entwickelt, zu verstehen, dass Gewalt schlecht ist. Aber meiner Meinung nach geht es noch nicht ohne. (Und ich lese auch ganz gern moderate Gewalt. Lesen. Denn wie HauntingWitch gesagt hat, es ist nochmal etwas anderes, wenn sich alles nur in meinem Kopf abspielen darf, als wenn ich es als fertiges Bild serviert bekomme.)

Alana

Ich glaube nicht, dass man Gewalt für eine gute Geschichte braucht. Jedenfalls nicht in ausufernder Form. Natürlich braucht man einen Antagonisten, oder etwas, das Gewalt oder Konflikt in Aussicht stellt. Aber Gewalt in blutrünstiger Beschreibung braucht man nicht unbedingt. Spannung kann man auch ohne Splattereffekte erzeugen.
Grundsätzlich braucht man aber natürlich das Negative für eine Geschichte, ganz einfach für den Kontrast oder auch für den Konflikt. Kontraste und Konflikte erzeugen Spannung und starke Gefühlsreaktionen. Ein Gedicht kommt vielleicht ohne Konflikt aus, aber kein Roman.
Alhambrana

Dogtales

@Alana: Ich wollte damit auch nicht sagen, dass es nur Gewalt braucht, um irgendetwas zu erzielen, ich wollte nur sagen, Gewalt kann durchaus etwas Vertrautes sein und würde, rein prinzipiell, funktionieren. Ich meine nicht, dass man Gewalt verwenden muss.
Und Splatter finde ich sowieso ... unnötig.

Alana

@Dogtales: Mein Post war auch nicht auf deinen bezogen. Obwohl du ja schon sagst, dass du denkst, es geht noch nicht ohne Gewalt. Es ist vielleicht auch die Frage, wie man Gewalt definiert.

Zur Frage, was macht das mit uns:
Ich frage mich manchmal, ob meine geringe Bereitschaft, Gewalt einzubauen oder auch die Neigung dazu andere Dinge rauszlassen, die mir unangenehm sind, meinen Geschichten schadet.Nicht, weil ich denke, dass der heutige Leser das erwartet, sondern weil ein bischen Gratwanderung vielleicht in eine gute Geschichte gehört und wenn ich als Autor auf der sicheren Seite bleibe, dann bleibt es meine Geschichte vielleicht auch, in negativem Sinne. Oder vielleicht nicht. Ich weiß es nicht.
Alhambrana

Churke

Zitat von: Dogtales am 01. Januar 2012, 14:47:17
Meiner Ansicht und Erfahrung nach, ist der Mensch nicht nur ein Gewohnheitstier, sondern dazu noch ein faules Gewohnheitstier. Auf die Gewalt bezieht sich das folgenderweise: Schon immer, wie bereits erwähnt wurde, ist die gewaltvolle Konfliktlösung die einfachere Lösung gewesen. Bei den Urmenschen schon und bisher hat sich das nicht wirklich geändert. Warum nicht? Weil diese Lösung nicht nur einfach, sondern auch effektiv ist. Jemanden mit Worten zu überzeugen dauert Zeit, ist schwieriger und setzt vor allem ein gewisses Maß an Intelligenz voraus. Überzeugung oder Konfliktlösung durch Gewalt ist schnell und bedarf höchstens etwas körperlicher Kraft.

Gewalt sieht einfach aus, ist sie aber nicht. Gewalt bringt immense Risiken mit sich. Man kann den Falschen geraten. Oder die Gewalt schafft nur neue Probleme. So kam es ja zum 1. Weltkrieg: Jede Seite wollte damit schnell und einfach ihre Probleme lösen.

Außerdem behaupte ich, dass es Konflikte gibt, die sich nicht weg verhandeln lassen. Sonst ließe sich jede gescheiterte Ehe durch eine Mediation beim Eheberater retten.

Alana

ZitatAußerdem behaupte ich, dass es Konflikte gibt, die sich nicht weg verhandeln lassen.

Das sehe ich auch so und das bietet eine Menge interessanter Möglichkeiten. Wenn sich jeder Konflikt zur Zufriedenheit aller auflösen ließe, wäre das ganz schön langweilig, wenn auch im echten Leben wünschenswert.
Alhambrana

Nirathina

Ich finde diese Fragestellung recht interessant und den meisten Gedanken hier kann ich zustimmen.

Gewalt fasziniert den Menschen, deshalb fördert er sie, auf die eine oder andere Weise, immer wieder zu Tage. Gewalt ist das letzte Mittel (oder sollte es sein), mit dem man einen Konflikt oder ein anderes Problem löst. Gewalt in der Fantasy resultiert, denke ich, zum einen aus den Hintergründen: Die Gewalt in einer mittelalterlichen High Fantasy-Welt erklärt sich manchmal anders als jene, die in der Urban Fantasy vorkommt, also eine Gewalt, geboren aus gesellschaftlichen Umständen.
Die Auslöser dieser Gewalt sind natürlich wir Menschen. Die menschliche Gewalt sprießt aus unserem Überlebenswunsch und dem (unterschwelligen) Willen, stets besser zu sein und eine höhere Position als andere anzustreben. Gewalt existiert, weil Gefühle existieren - es ist ein in sich geschlossenes System, Gefühle bedingen Gewalt, Gewalt bedingt Gefühle. Selbst eingefleischte Pazifisten können sich der Gewalt nicht entziehen, irgendwann wird es auch sie treffen; und die Unterdrückten werden Gewalt immer mit Gegengewalt erwidern.

ZitatZur Frage, was macht das mit uns:
Ich frage mich manchmal, ob meine geringe Bereitschaft, Gewalt einzubauen oder auch die Neigung dazu andere Dinge rauszlassen, die mir unangenehm sind, meinen Geschichten schadet.Nicht, weil ich denke, dass der heutige Leser das erwartet, sondern weil ein bischen Gratwanderung vielleicht in eine gute Geschichte gehört und wenn ich als Autor auf der sicheren Seite bleibe, dann bleibt es meine Geschichte vielleicht auch, in negativem Sinne. Oder vielleicht nicht. Ich weiß es nicht.

Ich glaube, das hängt, wie so vieles, immer von dir selbst und vom Leser ab. Wenn du Gewalt verabscheust, aber weißt, dass sie unumgänglich ist und dennoch versuchst, sie zu umgehen, dann ist das keine Verweigerung, sondern ein mutiger Schritt. Wer auch immer es erträgt, sich einen Tag lang das deutsche Fernsehprogramm samt Werbung anzutun, der merkt vielleicht irgendwann gar nicht mehr, wie sehr er mit Sex und Gewalt zugedröhnt wird - es wird, wie schon erwähnt, zur Gewohnheit. Wenn du deine Geschichte so formen kannst, dass sie keine (massive) Gewalt benötigt, dann zeugt das a) von stilistischer Gewandtheit und b) von klarer Ablehnung der Volksverdummung.  ;)

In vielen Fantasy-Romanen resultiert Gewalt ja meist aus unaufhaltsamen Kriegen. Natürlich, wo Menschen mit verschiedenen Meinungen und Persönlichkeiten aufeinandertreffen, ist das meist eine "mitgelieferte Möglichkeit". Erklärt man Gewalt aber an irgendwelchen Kreaturen, die den Menschen nicht ähnlich sind, ist das schon wieder etwas anderes und man muss dem auf den Grund gehen.

Was ich damit sagen will: Auch bei mir kommt Gewalt vor und ja, sehr selten übertreibe ich mit ihrem Auftreten, weil ich dem Leser auf die Füße treten will; aber das ist, wie ich offen zugebe, sehr schwierig: Zu wissen, wann ein gewisses Maß an Gewalt nötig oder unnötig ist, ist eine Wissenschaft für sich. Versuch und Irrtum, anders geht es wohl nie.

Moa-Bella

Natürlich brauchen wir Gewalt in Büchern. Ganz einfach, weil Gewalt auch Stilmittel sein kann. Und weil Gewalt nunmal in der Realität vorkommt. Es gibt einen Unterschied zwischen Gewaltverherrlichung und der Darstellung von Gewalt. In den richtigen Kontext gesetzt kann man durch Gewalt an selbiger Kritik üben. Sie auszuklammern wäre dasselbe wie Krankheiten und Tod einfach außen vor zu lassen. In Kinderbüchern vielleicht sinnvoll, ansonsten nicht realistisch.

Kati

Ich hole mal eins meiner liebsten Beispiele dazu aus dem Keller, ja? Nämlich das vierte Buch von Twilight, Breaking Dawn. Am Ende, als die Volturi-Vampire anrücken, um gegen die Cullens zu kämpfen und dann doch nicht mehr geschah, als ein laues Gespräch. Nachdem sie dann wieder nach Hause gingen, wer war da beim Lesen nicht ein bisschen enttäuscht? Ich habe da auf den großen Knall gewartet, die dramatische Schlacht, die entscheidet, wer von beiden Gruppen der Sieger sein wird. Und dann kam der einfach nicht. Das Fehlen dieser Schlacht, die ja auch bloß Gewalt wäre, hat mich enttäuscht und das hat mich damals auch nachdenklich gemacht. Wieso freut man sich als Leser nicht, dass alles so problemlos abgelaufen ist und niemandem wehgetan wurde?

Ich glaube, es ist alles noch viel einfacher, als zu sagen: Gewalt fasziniert uns Menschen einfach. Das tut sie sicher, es fasziniert uns Menschen, zu welchen Gräultaten wir fähig sein können, welche Abgründe sich auftun können. Aber ich denke, es kommt eher auf die Stärke der Emotionen, mit der wir auf Gewalt reagieren, an. Wenn der Held einer Geschichte dramatisch in der Schlacht fällt, empfinden wir Trauer. Wenn er sich blutig rächt, vielleicht seine Wut. Wenn er gerade so dem fiesen Folterer entkommt und seine große Liebe heiratet, empfinden wir Freude, oder? Aber, wenn alles ganz leicht und ohne Konflikte läuft, dann sind diese Emotionen viel schwächer, weil der Held niemals in Gefahr war und wir gar nicht richtig mit ihm mitfühlen können. Mit der Liebe in Romanen ist es dasselbe: Je dramatischer die Liebesgeschichte, desto romantischer finden wir sie. Vielleicht spinne ich hier einfach rum, aber ich glaube, es ist so.