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Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?

Begonnen von Derexor, 31. Dezember 2011, 14:49:46

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Dealein

Ich glaube wir machen in unseren Büchern viel mehr mit Gewalt wie "Probleme lösen" oder das Darstellen unserer Welt. Wir wecken z.B. auch Sympathie. Wenn plötzlich ein ungeliebter Charakter einen geliebten Charakter rettet, obwohl man es nie erwartet hätte. So kann man eben die Sympathie des Lesers wecken. Oder wen dieser Charakter sich opfert, dann kommt vielleicht der Gedanke: "Der war doch gut! Das hätte ich jetzt nicht erwartet . . ." Außerdem werden in solchen Schlachten oft Tapferkeit und Mut bewiesen und das haben wir Jahrzentelang gelernt. Wer weiß wie es wäre, wenn dies nicht die Herrschende Meinung wäre. Sich selbst für das "Bessere" zu opfern lässt positive Empfindungen in uns auftreten. Selbstlosigkeit, ja ein Wille sogar. Man kann so oder so argumentieren. Zerstörungstrieb oder Überlebenstrieb. Ist es dann Wille, wenn man sein Leben opfert und nicht dem Trieb folgt? Welcher ist stärker. Eine Diskussion, die zahlreiche Parteien besitzt und kein richtiges Ergebnis kennt.

Dramatik kann man gut darstellen, man muss nur an das Liebespaar denkt, dass Seite an Seite kämpft und wobei einer der beiden stirbt. Herzzerreissen pur. Schmiedekunst gewinnt eine andere Perspektive. Wir lernen welch tolle Rüstungen hergestellt werden. In Büchern dreht sich vieles um Gewalt und wir müssen sie manchmal auch benutzen wenn wir es nicht wollen. Doch wir verherrlichen sie nicht immer, denn manchmal brauchen wir sie um andere, auch positive, Dinge darzustellen. Noch ein Beispiel wäre der "Böse" Offizier, der in der Schlacht erst sieht welch Unheil er anrichtet nur um dem Herrscher seinen Willen zu geben.

Klar könnte ich jetzt fortfahren und andere Beispiele nennen, die mir einfallen, doch ich glaube, dass ihr alle wisst was ich meine ;).

Lomax

Zitat von: HauntingWitch am 31. Dezember 2011, 20:58:00Obwohl der Zuschauer sich die ganze Zeit über im Klaren ist, dass das nur ein Fernsehbild ist und das nicht passieren wird. Die Reaktion des Gehirns ist dieselbe, als würde sie tatsächlich aus dem eigenen Fernseher kriechen. Obwohl man weiss, dass sie das nicht tut, bekommt man Angst vor ihr. Das liegt an den von Rotkehlchen erwähnten Gründen. Im Gehirn passiert dasselbe.
Dazu noch: Man sollte das Beispiel mit dem Apfel auch nicht überschätzen. Das Gehirn ist einfach faul. Es gibt beispielsweise mehrere spezialisierte visuelle Zentren im Gehirn, die für die Auswertung visueller Eindrücke zuständig sind. Wenn man sich nun etwas visuell vorstellt, benutzt das Gehirn einfach gerne auch diese auf Bildbearbeitung spezialisierten Zentren, um das innere Bild zu generieren - und für die Weiterverarbeitung werden dann natürlich auch viele weitere Gehirnzentren aktiviert, die damit verbunden sind und denen es ziemlich egal ist, ob das Bild in diesem visuellen Zentrum vom Auge reingeschoben wurde oder aus einer anderen Ecke des Gehirns als "Vorstellung" da reingeschoben worden ist. Je nachdem, wie das Gehirn diese visuelle Vorstellung bearbeitet, wird also auf die gleichen Bereiche zugegriffen, die das Gehirn auch verwendet, wenn es visuelle Eindrücke auf dieselbe Weise verarbeiten würde.
  Aber das heißt nicht automatisch, dass alle Abläufe im Gehirn genau gleich sind. Das heißt halt nur, dass man sehr viele Bereiche gleichermaßen aktiviert findet, egal, ob man sich den Apfel vorstellt oder ihn sieht. Was aber in diesen aktivierten Bereichen abläuft, kann durchaus trotzdem unterschiedlich sein, und was dann des weiteren daraus folgt, ebenfalls. Nur weil der eine Moment des Ansehens ein ähnliches Bild aktivierter Gehirnregionen liefert, ist das für sich genommen nur ein interessanter Schnappschuss, der aber über die komplexeren Vorgänge, in die das ganze eingebunden ist, erst mal wenig aussagt.
  Noch viel weniger lassen sich Analogieschlüsse zu anderen Bereichen der Gehirntätigkeit ziehen. Nur, weil sich erst mal ein recht ähnliches Bild ergibt, ob ich mir einen Apfel vorstelle oder ihn sehe, lässt sich daraus nicht schließen, dass sich diese Ähnlichkeit auf abstrakte Vorstellungen wie "Gewalt" ausdehnen lässt, oder auf in erster Linie über das Sprachzentrum induzierte Vorstellungen, die ich aus Büchern gewinne. Davon geht vielleicht ein Teil in bildliche Vorstellungen über, mit ähnlichen Konsequenzen wie beim "Apfel vorstellen"; und gewisse Konzepte, die sich aus Buch und Vorstellung ergeben, erachte ich vielleicht auch für eine reale Situation für relevant, so dass die entsprechenden Gehirnbereiche sowohl beim Buch wie auch in der Realität aktiviert werden. Vieles von so komplexen Abläufen wie "lesen" und "Handlungszusammenhänge vorstellen" dürfte dann allerdings auch erheblich von der Auswertung realer Situationen abweichen und für ein grundsätzlich anderes Gesamterleben sorgen.
  Die korrekte Schlussfolgerung aus dem Apfel-Beispiel wäre meiner Einschätzung nach also nicht: "Das Gehirn verarbeitet einen vorgestellten Apfel sehr ähnlich zu einem gesehen Apfel, als verarbeitet es jede Vorstellung genauso wie ein reales Erleben." Als Gegenthese würde ich eher mal formulieren: "Simple Vorstellung, die sich 1:1 auf konkrete sinnliche Wahrnehmung übertragen und reduzieren lassen, kann das Gehirn noch sehr ähnlich wie eine reale Wahrnehmung verarbeiten, aber je komplexer die Vorstellung wird, umso weniger hat beides dann miteinander zu tun."
  Tatsächlich dürften die Abläufe im Gehirn irgendwo in der Mitte zwischen den beiden Thesen liegen und sowohl davon abhängen, wie sehr der Leser es schafft, in der Vorstellung zu "versinken" und sie auf konkrete sinnliche Wahrnehmungen zu reduzieren - wie sehr er also die "Bilder im Kopf" sieht und sich als Teil davon verstehen kann; wie auch davon, wie gut seine Vorstellungen im Gehirn mit realen Gefühlen und Erleben verknüpft sind.

Und zu dem Thema der Rolle von Gewalt in Büchern fallen mir jetzt vor allem die "Sieben Zitadellen" ein, eine Fantasyreihe meiner Jugend, die ich eigentlich erst mal als ganz normal empfunden habe, also ein typisches Fantasywerk, das man ganz nett lesen kann, das aber auch nicht so viel neues und großartiges bietet. Bis mir dann irgendwann bewusst wurde, dass ich da jetzt jede Menge Szenarien gelesen habe, die zwar durchaus "fantasytypisch" waren, die aber in anderen Büchern immer irgendwie auf eine gewaltsame Lösung hinausliefen - sich aber in dem Buch letztlich anders auflösten.
  Das fand ich sehr beeindruckend, und es hat maßgeblich dazu beigetragen, dass mir diese Reihe bis heute als "gut" bzw. "originell" im Gedächtnis geblieben ist. Und dass sich bei mir seitdem das Vorurteil vorgesetzt hat, dass gewaltsame und actionreiche Lösungen immer auch ein Zeichen für Einfallslosigkeit sind und dass es irgendwie beeindruckend ist, wenn einem Autor dazu etwas anderes einfällt.
  Nicht, dass ich das bei meinen eigenen Büchern unbedingt schaffen würde ... Aber es beeindruckt mich mehr, wenn ein Kampf unerwartet nicht stattfindet. Allerdings nur dann, wenn es so gut gemacht ist, dass ich erst im nachhinein bemerke, dass schlechtere Autoren da einen Kampf hingesetzt hätten, den man in dem speziellen Werk an der speziellen Stelle aber gar nicht vermisst hat  ;D

Rika

Ich denke, Gewalt wird nicht unbedingt gebraucht, Konflikt und/oder Wachstum in irgendeiner Form aber schon.

Daß Gewalt so oft vorkommt ist aber auch nicht überraschend, denn sie ist eine menschliche Charakteristik. Und eine mögliche Lösung für "A und B wollen beide X haben, es gibt aber nur ein X."
Ist Gewalt schlecht? Wie steht es mit Selbstverteidigung - Überlebenswille ist doch gut? Verteidigung der eigenen Familie? Und wenn X lebensnotwendig ist, also nur entweder A oder B damit überleben, kann, weil es nur eins gibt? Die Frage, wo die Grenze der eigenen Gewaltbereitschaft liegt ist schon faszinierend. So extrem wird es im Leben für viele von uns ja zum Glück nicht, aber das ist auch Glückssache.

Gewalt muß aber nicht immer als Problemlösung auftreten, wie schon vorher erwähnt kommt sie auch als Problemerzeuger vor. Sowohl in der Fiktion, als auch im realen Leben. Läßt sich das überhaupt trennen? Des einen Problemlösung "Gewalt" ist für das Opfer doch immer auch Problemerzeugend, oder nicht?

...und damit bin ich jetzt erstmal nur bei der physischen und direkten Gewalt geblieben.

Nebeldiener

Ich sehe es so, dass Gewalt in Fantasy (vorallem Highfantasy) zu den Charakteren besser passt, als das "liebe miteinander Reden".
Mal angenommen, einen Königssohn "stiehlt" einem König seine Tochter (aus welchen Beweggründen auch immer). Da ist es:
a) Spannender, wenn der König einen Krieg anfängt, als nur blöd zum Königssohn zu laufen und ihn zu fragen, ob er seine Tochter wiederbekommt,
und
b) es entspricht eher der Person, wie ich finde. Mal angenommen, du bist in diesem Szenario ein Köing im Mittelalter. Da hasst du keine rechtlichen Konsequenzen, wenn du gegen irgend jemanden Gewalt anwendest. Also wieso den Übeltäter der (ich nenne sie mal so) "Polizei" aushändigen, wenn du ihn auch selber verurteilen kannst und darfst?

Und ich finde, dass man beim Thema "Gewalt in Fantasy" zwischen Gewalt und Krieg unterscheiden soll.

Nehmen wir mal Herr der Ringe als Beispiel für einen Krieg:
Ganz vereinfacht greifen die Bösen (die Orks) die Guten (Menschen, Elben, Zwerge ...) an. Ohne Krieg würde dieses Buch gar nicht funktionieren. Ich glaube, dass die meisten Fantasy Bücher eben auf solchen Gewaltebenen aufgebaut werden und die Geschichte ohne den Krieg dann recht schnell nicht mehr funktionieren würde.

Als Beispiel für "Gewalt" nehme ich mal mein derzeitiges Projekt:

Der Zweitprota wurde als Kind gefoltert, was bei einem Rückblick auch genauer beschrieben wird. Diese Folter entstand, als eben der Zweitprota als kleines Kind von den Menschen (er ist ein Nebeldiener -nicht so wichtig was das ist-) gefangen genommen. Da habe ich mir überlegt, was die Menschen einem solchen Kind antun würden, wenn ihnen von Kindesbeinen an beigebracht wird, dass sie die Nebeldiener hassen sollen. Mir wurde recht schnell bewusst, dass sie dem Kind grausame Dinge antun würden.
Nun, mit dieser Information, kann ich die Folterszene nicht einfach so weglassen. Klar, ich könnte schon, aber ich weiss, dass das Kind gefolter wurde. Auch wenn ich es nicht beschreibe weiss ich es und der Prota verhält sich auch "anders", weil er als Kind vergewaltig wurde.

Ich benutze Gewalt, weil es zur Handlung gehört, nicht weil ich in der Geschichte unbedingt jemandem Gewalt zufügen will und ich dann überlege, wer als Opfer in frage kommt.

feelingSouldream

Ich für meinen Teil benutze Gewalt in meinen Romanen, weil immer irgendwie eine böse Seite vorkommt.

Und die böse Seite ist grausam, kalt und zu allem bereit (ups, das hat sich jetzt doch tatsächlich gereimt  ;D) um an ihr Ziel zu gelangen.

Ohne Gewalt wird es zwar nicht langweilig, aber ich denke sie gehört einfach dazu.
Vor allem in den Bereich der Fantasy.

Bei Thrillern ist das wohl klar, dass die ohne Gewalt nicht existieren können,
denn sie basieren ja darauf.