Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Allgemeines => Tintenzirkel => Thema gestartet von: Derexor am 31. Dezember 2011, 14:49:46

Titel: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Derexor am 31. Dezember 2011, 14:49:46
Hallo liebe Zirkler!


Ich beschäftige mich schon eine Weile mit der Gewalt und ich bin sehr unsicher darüber, deswegen wollte ich einfach mal euch fragen.

Ich denke Gewalt wird gebraucht, weil Gewalt eine Möglichkeit zur Lösung von Problemen ist.
Wahrscheinlich ist es die letzte Möglichkeit und die Schlechteste, aber es ist eine Möglichkeit.
Aus Problemen erwachsen ja bekanntlich Geschichten, die sich mit ihrer Lösung beschäftigen, meistens, also brauchen wir Gewalt, wenn uns keine andere Möglichkeit einfällt das Problem zu lösen oder wenn wir die Probleme so weit, wie meistens in der Fantasy, in die Höhe getrieben haben, dass keine andere Lösung mehr möglich scheint oder logisch ist als die Gewalt.
Ich hoffe, dass ist halbwegs verständlich.

Das wäre meine Begründung, warum ich Gewalt in meinen Geschichten verwende.


Warum werden die Geschichten gelesen?
Macht Gewalt Spaß? Warum? Gibt es einen tierischen Trieb?

Wie wirkt sich die Gewalt, ob auf den Leser oder den Autor, aus? Ich habe dazu nichts brauchbares gefunden, aber wenn man von der Annahme ausgeht, dass man mit all seinen Gedanken sein Leben, sich selbst, seine Gefühle beeinflusst, ist dann eine Beschäftigung mit Gewalt nicht kontraproduktiv? Gibt es spielerische Gewalt?

Diese Fragen wirken sich jetzt auf mein Schreiben aus, weil mir irgendwie, als harmoniebedürftiger und auch sonst immer nach positivem strebender Mensch, der philosophisch-theoretische Unterbau für meine Beschäftigung mit Gewalt, psychisch labilen Menschen oder Extremsituationen fehlt. Wollen wir als Autor und Leser einfach leiden? Wollen wir alle Gefühle erfahren, die wir können?

Ich hoffe, es wird relativ klar, worauf ich hinaus will. Wie ist euer Meinung?


Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?



Viele Grüße

Rotkehlchen


PS: Schande über mein Haupt, wenn das nicht das richtige Unterforum ist, aber da es mit Fantasy und mit Schreiben zu tun hat, in letzter Konsequenz zumindest, dachte ich, dass es hier hergehört.  :)
Wenn es so einen Thread schon gibt, dann doppelte Schande auf mein Haupt, ich habe ihn nicht gefunden.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Ary am 31. Dezember 2011, 14:57:44
Die Frage ist, ob wir Gewalt wirklich *brauchen*. Und wenn ja, welche Art von Gewalt. Physische, psychische? Ich bin kein Fan von Splatter und Horror, ich lese über Schlachtszenen, wenn sie nicht gut geschrieben sind, oft einfach nur weg. Es sei denn, die Schlachtszene wird so präsentiert, dass man dabei ganz dicht bei einem ist, der mitten drin steckt im Dreck. Der das Sterben sieht, der den Freund an seiner Seite fallen sieht, der vielleicht selbst etwas abkriegt. Wenn die Gewalt nicht nur um der Gewalt willen beschrieben wird, sondern, um zu zeigen, was sie aus einem Menschen (stellvertretend für alle Arten von Protagonisten) machen kann.
Ja, ich finde es spannend, solche Entwicklungen zu lesen und selbst auch zu beschreiben.
Psychische Gewalt ist da, finde ich, noch "schlimmer". Wie weit geht ein Wesen unter Zwang? Ist jemand erpressbar, wenn ja, womit?
Wegen solcher Fragen verwende ich durchaus Gewalt in meinen Geschichten und gebe damit auch zu, dass ich sie brauche. Eine geschichte ohne Konflikte, ohne Reibungspunkte, einfach nur pure Harmonie? Geht das überhaupt? Und könnte man sowas spannend schreiben? Irgendwo müsste für mich in dem ganzen Harmoniegefüge ein Punkt der Unstimmigkeit sein. Es gibt keine perfekte, friedliche, gewaltlose Welt.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Rigalad am 31. Dezember 2011, 15:04:38
Ich glaube nicht, dass wir Gewalt in unseren Büchern brauchen, um damit Probleme zu lösen. Oft ist doch die Gewalt selbst das Problem der Geschichte, egal in welcher Form. Sei es der Mörder in Krimis, der tyrannische König in Highfantasy oder oder oder.
Natürlich wird gerade in Highfantasy Gewalt oft "gebraucht", um das noch größere Böse zu vernichten. Als ich neulich Eragon 4 gelesen habe, ist mir wieder bewusst geworden, wie viel darin geschlachtet wird - als Mittel zum Zweck. Aber es wird auch darüber reflektiert, dass sie Lösung nicht die beste ist, sondern dass es nur eben nicht anders geht.

Ob wir diesen Ansatz nun wirklich brauchen? Ich denke ja, denn anders ist die Realität oder auch eine erfundene Welt nicht logisch zu tragen. Gewalt gehört zur Natur des Menschen, leider. Deswegen ist sie, mehr oder weniger, auch immer ein Teil einer Geschichte.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Erdbeere am 31. Dezember 2011, 15:33:47
Gewalt, Aggressivität, Angst, das sind alles Faktoren, die den Menschen seit Urzeiten leiten und ja, teilweise Urinstinkte sind. Sie helfen uns seit frühester Zeit zu überleben und untereinander auszumachen, wer der Stärkere ist, wer das Recht hat, zu überleben. Erst die Moral und Ethik haben den Menschen gelehrt, dass Gewalt etwas schlechtes ist. Trotzdem kann sich der Mensch nicht gegen seine Urinstinkte wehren und ist und bleibt gewaltbereit, ob nun bewusst oder unbewusst.
Natürlich spielen jeweils verschiedene Faktoren und Auslöser eine Rolle dabei, ob ein Mensch nun aggressiv ist oder harmoniebedürftig, doch wäre es falsch anzunehmen, der Mensch bräuchte Gewalt nicht.

Gewalt kann sich in vielen Aspekten zeigen, es muss nicht immer gleich ein Gemetzel oder Folter sein. Auch Machtkämpfe um das Hierarchiegefüge innerhalb eines Teams auf der Arbeit ist eine Form von Gewalt, dies in den meisten Fällen nur psychisch. Mobbing und Schikane gehört für mich in die selbe Kategorie.
Bei Streit hauen wir uns nicht mehr gleich gegenseitig die Köpfe ein (zum Glück), trotzdem gibt es immer noch vielerorts Krieg, und das seit Jahrzehnten. Es ist wie mit dem bissigen Wachhund, der sein Revier verteidigt.

Ob wir Gewalt in Büchern brauchen? Ich finde ja. Mir persönlich wäre das sonst zu langweilig, ehrlich gesagt. Ich mag keinen Splatter und zu explizite Folterdarstellungen, dennoch braucht es Gewalt, um Konflikte auszulösen und auch zu beheben. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Harmoniemenschen, die sich Frieden auf Erden wünschen und keine Ecken und Kanten haben (wollen), einfach naiv finde und teilweise nicht ausstehen kann. Das Leben braucht Konflikte, Höhen und Tiefen, Angst, Furcht, Glück und Zorn. Ich könnte mir nicht vorstellen, eine Geschichte zu lesen oder zu schreiben, in der alles gewaltfrei und harmonisch ist - Aryana fragte ganz richtig - geht das überhaupt?
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Runaway am 31. Dezember 2011, 15:47:40
Ich hab mal "Gewalt" geforensucht, weil ich mich dran erinnern konnte, daß ich schon mal was dazu geschrieben hab. Und siehe da :)

Brutale/Blutige Szenen (http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,8851.0.html)
Gewalt und Folter (http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,4708.0.html)
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Zanoni am 31. Dezember 2011, 15:50:21
Hallo Rotkehlchen,

eine sehr interessante Frage, die Du da stellst. Allerdings würde ich sie nicht nur allein auf das Genre der Fantasy beziehen, sondern generell auf jede Art von Literatur und sogar noch darüber hinaus, wie z.B. im Schauspiel, Film und in Computerspielen.

Und ich denke, Du hast selbst schon einen sehr guten Erklärungsansatz gefunden, mit dem Hinweis darauf, dass Gewalt die einfachste Weg ist auf Probleme zu reagieren.

Absolut richtig - eine Geschichte, in der es keine Probleme (gleich welcher Natur) zu bewältigen gibt, ist eine langweilige Geschichte. Menschen interessieren sich in erster Linie für Geschichten, in denen die Hauptfigur(en) mit Problemen konfrontiert werden und sie entweder bewältigen oder daran scheitern. In aller Regel wollen wir sie jedoch siegen sehen und nicht scheitern, denn das ist es doch, was uns wirklich interessiert:
Wie gehen sie mit diesen Problemen um? Wie schaffen sie es, sie zu lösen?

Das scheint mir der primäre Antrieb zu sein, Geschichten erzählt zu bekommen (in welcher Form auch immer das jeweils geschieht).
Wir wollen daraus lernen, wie man bestimmte Probleme lösen kann.

Und wie Du schon richtig feststellst, ist die einfachste Form einer möglichen Problembewältigung Gewalt. Aber ganz sicher nicht die beste. Und die intelligenteste sicher auch nicht.

Daher denke ich, dass Autoren - wie grundsätzlich jeder "Geschichtenerzähler" - eine gewisse Verantwortung hat. Hinsichtlich dessen, was er schreibt und wie er seine Hauptfigur(en) die jeweiligen Probleme lösen lässt. Auf die ganz simple Art ... Hau drauf und fertig ... oder vielleicht doch etwas zivilisierter, intelligenter und ausgewogener. Denn das, was in seinen Romanen als "Problemlösungsstrategie" idealisiert wird, hat Vorbildcharakter - insbesondere in der Jugendliteratur. Wenn wir - als Gesellschaft - den gewaltorientierten Umgang mit Problemen bevorzugen, dann muss das in unseren Geschichten, die wir erzählen ... als Roman, Film oder Computerspiel ... auch genau so idealisiert werden. Wenn wir das nicht möchten, brauchen wir andere Geschichten. Geschichten, in denen die Hauptfiguren zeigen, vorleben, dass es auch anders geht.

Also ich glaube wirklich, dass Autoren insgesamt einen ziemlich starken Einfluss auf die Gesellschaft haben, auch wenn das meist nicht unmittelbar so deutlich erkennbar ist.

Eine völlig andere Frage ist, warum Gewalt überhaupt so viel in Geschichten präsent ist. Und da glaube ich, dass es an unseren Instinkten liegt. Die tiefere, animalisch-triebhafte-gewalttätige Bewusstseinsebene, die wir alle in uns tragen. Auch wenn sich der Mensch im Laufe der Evolution darüber hinaus entwickelt hat - intelligenter wurde, sowie moralische und ethische Werte und Ideale entwickelt hat - ist dies immer noch ein Teil von uns. Aber bei jedem Menschen ist dieser Teil unterschiedlich gut unter Kontrolle ... oder bildlich gesprochen: gezähmt ... vielleicht wie eine Art wildes Tier.

Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, warum sich so viele Autoren der Gewalt und diesem niederen Teil hingeben. Weil es das erste ist, was einem begegnet, wenn man die bewusste Kontrolle lockert, und sich den Bildern und Ideen "hingibt", die in einem aufsteigen, wenn man auf der Suche nach einer Geschichte ist. Es ist möglicherweise wesentlich einfacher, "wilde" (oder "dunkle") Geschichtsideen zu entwickeln als andere, die sich an "höheren" Idealen orientieren.

Viele Grüße
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Derexor am 31. Dezember 2011, 16:30:23
Ich möchte noch etwas an meinen Startpost anhängen:

Eine Studie hat belegt, dass es für das Gehirn keinen Unterschied macht, ob man sich das Bild eines Apfels vorstellt oder ob man den Apfel durch seine Augen sieht. Das bedeutet, dass auch die Gewalt, die durch die Bücher in die Köpfe gesetzt wird, im Endeffekt wahrscheinlich genau so starke Gefühle auslösen könnte, als wenn sie echt wäre und wir dabei zusehen, oder durch die subjektive Interpretation des Buches sogar daran teilnehmen.
Was macht diese Gewalt mit uns?

Zanoni,
ZitatWeil es das erste ist, was einem begegnet, wenn man die bewusste Kontrolle lockert, und sich den Bildern und Ideen "hingibt", die in einem aufsteigen, wenn man auf der Suche nach einer Geschichte ist.
Diesen Gedanken finde ich sehr interessant, aber das könnte ja zweierlei bedeuten: Entweder wir haben wirklich den tierischen Trieb der Agression oder wir wurden nur so oft mit Gewalt beeinflusst, dass sie in unser Unterbewusstsein eingedrungen ist.
Die Menschheitsgeschichte ist ja voller Gewalt, aber liegt das an dem tierischen Trieb oder daran, dass sich irgendjemand nicht zu helfen gewusst hat und dann feststellte, dass die Gewalt eine einfache Möglichkeit ist sein Problem zu lösen und seitdem viele es so machen?
Es wird ja irgendwie immer von ersterem ausgegangen, aber was wenn es anders wäre und genau wegen diesem Gedanken "Das es ja ein Trieb und damit Teil des Menschen ist" alles so ist, wie es ist?
Müsste man da nicht irgendwie ein Zeichen setzen? Ich meine keine naive Weltanschauung. In unserer Welt gibt es Gewalt, ja, damit muss man leben, aber die Beschäftigung damit ist doch wohl auch nicht der richtige Weg, denn Gegengewalt erzeugt neue Gewalt, oder nicht?
Wenn wir also schon Gewalt durch die Vorstellung von Gewalt, wie oben begründet wurde, säen, dann kann das nicht der richtige Weg sein, oder?
Oder benutzen wir unsere Geschichten nur um etwas darzustellen, nicht um etwas zu verändern?

Wahrscheinlich habe ich nicht genug Erfahrung, um das zu beurteilen, aber es beschäftigt mich.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Talea am 31. Dezember 2011, 16:50:31
Habe es irgendwann mal in einem Computerspiel erlebt, dass es eine Stadt gab, wo es eigentlich keine Kämpfe gab, aber durch die Protagonisten auch die Kämpfe dorthin gebracht wurden. Der Protagonist musst dann kämpfen und meinte, wenn es einen anderen Weg als diesen geben würde, würde er ihn wählen, aber dazu müssten seine Gegner ihm ja auch zuhören.
Ich glaube da genau besteht das Problem in der menschlichen Natur. Wir haben zwar eine Sprache, die wir benutzen können, doch sind Diskussionen viel langwieriger und schwieriger, weswegen es natürlich einfacher ist seinen Gegenüber aus dem Weg zu räumen, als mit ihm ewig darüber zu diskutieren, wenn man sich die Geschichte anschaut.
Der Mensch geht also wirklich lieber den einfachen Weg als lange zu diskutieren und am Ende vielleicht auch im Kauf zu nehmen zu verlieren. 
Heutzutage wissen wir, dass lange Diskussionen besser sind und deswegen kann man auch sagen, dass es weniger Kriege heutzutage gibt als früher, da die Länder doch mehr und auch viel schneller miteinander kommunizieren.
Da wir ganz oft auch in der Fantasy von einer Gesellschaft ausgehen, die in der Vergangenheit gelebt hat, als Jahrhunderte als wir, so geht man davon aus, was wir aus dem Geschichtsunterricht kennen.
Bei Krimis ist es wohl ein wenig anders, aber auch aus einem Streit kann Gewalt ja kommen, da dem einem Streitpartner einfach die Geduld zum streiten fehlt oder er sich möglicherweise auch am verlieren sieht.

Im Allgemeinen denke ich, dass Gewalt immer der letzte Weg ist vom Menschen der Versuch eine Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen, die ihm unter Füßen weg gezogen wird, wenn Worte nicht mehr der Ausweg für ihn zu sein scheinen.

In unseren Geschichten glaube zeigen wir oft, wie etwas ist und man versucht ja schon irgendwie zu zeigen, dass es oft ganz anders geht. Wenn man schon früher an Fabeln oder sowas denkt, dann versucht man schon Moral in die Geschichte zu bringen.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Churke am 31. Dezember 2011, 17:19:46
Gewalt bedeuet Gefahr und Abenteuer und aktiviert im Erfolgsfall das Belohnungssystem. Den Punkt Gefahr und Abenteuer halte ich für Bücher oder Filme sehr wichtig.
Außerdem ist Gewalt ein Mittel, Figuren zu charakterisieren. Wer macht was an wem wozu? Oder auch nicht. Eine Figur kann sich der Gewalt ja auch verweigern.

Zitat von: Rotkehlchen am 31. Dezember 2011, 16:30:23
Eine Studie hat belegt, dass es für das Gehirn keinen Unterschied macht, ob man sich das Bild eines Apfels vorstellt oder ob man den Apfel durch seine Augen sieht. Das bedeutet, dass auch die Gewalt, die durch die Bücher in die Köpfe gesetzt wird, im Endeffekt wahrscheinlich genau so starke Gefühle auslösen könnte, als wenn sie echt wäre und wir dabei zusehen, oder durch die subjektive Interpretation des Buches sogar daran teilnehmen.
Was macht diese Gewalt mit uns?

Der Vergleich mit dem Apfel hinkt. Das Gehirn erkennt den Apfel und assoziiert mit ihm Erinnerungen und Sinneseindrücke. Ein Bild eines Kettensägenmordes wird wahrscheinlich nicht die selben Emotionen auslösen wie tatsächlich Zeuge eines Kettensägenmordes zu sein. Sprich: Die Gefühle des Bildes sind falsch.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Derexor am 31. Dezember 2011, 17:38:55
Was meinst du, der Vergleich hinkt? Es sind exakt die gleichen Gehirnregionen, die aktiviert werden, also keine besonderen Regionen, die andeuten könnten, dass es nur Erinnerungen sind. Es ist, als würde man den Apfel gerade sehen.

Edit: Mir ist gerade etwas eingefallen. Es werden die selben Regionen aktiviert, aber heißt das, dass in diesen Regionen auch das selbe geschieht? Ich denke nicht, die Beschaffenheit von Gedanken konnte ja immer noch nicht geklärt werden.

@Churke; was wird dann denn aktiviert, wenn der Erfolgsfall nicht eintritt? Solche Bücher gibt es ja auch, oder bereiten diese dann halt intellektuelles Vergnügen?

Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Rakso am 31. Dezember 2011, 17:59:17
Ich würde nicht behaupten, dass Gewalt ein Urinstinkt ist. Gewalt ist nur das Resultat aus Angst, Unsicherheit oder Unbehagen. Und wir haben lange noch nicht die Stufe erlangt, in der man Probleme durch Diskussionen und Kompromisse löst, anstelle von Gewalt. (Auch wenn man uns das vormachen möchte)

Gewalt ist aber auch eine Form der Kommunikation. Wenn ich jemanden vermöble, signalisiere ich anderen, dass ich nicht wehrlos bin und deshalb würde man in den meisten Fällen in Ruhe gelassen, bis jemand stärkeres auftaucht und mich besiegt. Gewalt kann auch ein Schutz sein, physisch wie psychisch. Aber Gewalt wird nie eine Lösung für etwas sein, weil eine Aktion folgt immer eine Reaktion, löst also wieder Gewalt aus und so weiter und so weiter.

Die Gewalt in der Literatur ist, meiner Meinung nach nur eine Reflexion unserer Welt. Ein Beispiel: Die meisten High-Fantasy-Romane sind an eine europäisch-mittelalterliche Welt angelehnt. Und damals pflegte man eben Konflikte mit Gewalt zu lösen oder die eigene Machtbasis mittels Gewalt zuverbreitern. Deshalb kommt Gewalt auch in den Romanen vor, weil es eben irgendwie dazu gehört und es kömisch wirkt, wenn man mit den Orks diskutiert, anstatt ihnen eins auf die Mütze zu geben.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Churke am 31. Dezember 2011, 18:02:51
Wenn ich die These richtig verstanden habe, lautet sie plump gesagt: Auf das Bild eines Apfels reagiert das Gehirn wie auf einen Apfel.
Das Gehirn erkennt den Apfel eben wieder.
Ich bezweifle, dass man mit dem Bild eines Baseballschlägers die selben Effekt erreichen kann. Selbst wenn du abstrakt weißt, dass man ich mit einem Baseballschläger zu Brei hauen kann, wird das Bild in der Mehrzahl der Fälle nicht die entsprechenden Emotionen auslösen. Es sei denn vielleicht, du wärst schon mal das Opfer eines solchen "Sportlers" geworden. Ist einem Kumpel von mir mal passiert. Er lag auf dem Boden und der Typ schlug direkt auf die Rübe. Dank guter Reflexe hat er's überlegt. Mir persönlich geht diese Erfahrung völlig ab. Ich denke höchstens "ey, cool, ein Baseballschläger."
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Zanoni am 31. Dezember 2011, 18:11:39
ZitatEine Studie hat belegt, dass es für das Gehirn keinen Unterschied macht, ob man sich das Bild eines Apfels vorstellt oder ob man den Apfel durch seine Augen sieht. Das bedeutet, dass auch die Gewalt, die durch die Bücher in die Köpfe gesetzt wird, im Endeffekt wahrscheinlich genau so starke Gefühle auslösen könnte, als wenn sie echt wäre und wir dabei zusehen, oder durch die subjektive Interpretation des Buches sogar daran teilnehmen.
Genau diesen Punkt halte ich für den allerwichtigsten!

Ganz allgemein formuliert: Das, womit wir uns gedanklich beschäftigen, also das, was wir in unserer Vorstellung erschaffen, hat Auswirkungen auf die wirkliche Welt, in der wir leben. Wir tragen all diese Ideen, Gedanken, Bilder und Konzepte nicht nur allein in uns, sondern wir multiplizieren sie durch die Texte auf ganz viele andere Menschen. Und all diese Gedankenbilder beeinflussen natürlich das Verhalten, die Meinungen usw. usw.

Irgendwer hat mal gesagt, den Charakter einer Gesellschaft könne man an den Geschichten erkennen, die in ihr bevorzugt erzählt werden.

ZitatEntweder wir haben wirklich den tierischen Trieb der Agression oder wir wurden nur so oft mit Gewalt beeinflusst, dass sie in unser Unterbewusstsein eingedrungen ist.
Das muss jedoch kein Entweder-Oder sein - es könnte sogar beides gleichzeitig zutreffen.

Einerseits sind wir eindeutig die Gesamtsumme aller Evolutionsschritte, die nötig waren, um uns - so wie wir heute sind - hervorzubringen. Und mit Sicherheit tragen wir vieles davon noch in uns. Andererseits werden wir selbstverständlich auch von dem beeinflusst, was um uns herum geschieht. Alle Eindrücke, Erfahrungen, Gedanken und Gefühle sammeln sich in unserem Unterbewusstsein - das lässt sich überhaupt nicht verhindern.

Ein gewisser "Automatismus" ist also klar vorhanden. Aber dennoch sind frei in der Entscheidung. Wenn zwei Menschen exakt das gleiche erleben, heißt das nicht, dass beide zwangsläufig gleich reagieren. Wenn zwei Menschen exakt die gleiche unerfreuliche Kindheit erleben, kann der eine dadurch zum Verbrecher und der andere zum Heiligen werden. Natürlich werden wir alle immer wieder mit Problemen konfrontiert, aber sind frei in der Entscheidung, wie wir darauf reagieren. Einer benutzt diese Probleme, um daran zu wachsen, und ein anderer benutzt sie als Entschuldigung für sein Verhalten.

Und wenn wir uns mal die "ganz großen" Geschichten anschauen, dann sind es genau diese Momente, die am Spannendsten sind. Die Frage, wie der/die Held/in reagieren wird.

Wenn die Bösen in Star Wars dem Helden empfehlen sich der dunklen Seite der Macht hinzugeben, sich dem Zorn hinzugeben.
Oder wenn die Verlockungen des Rings in HdR immer größer und größer werden.

Wir bangen dann mit und fragen uns, ob die Hauptfigur der Versuchung erliegen wird oder ob es ihr gelingt, sich über sie zu erheben.
Das ist dann das ganz große Kino. ;-)

ZitatMüsste man da nicht irgendwie ein Zeichen setzen? Ich meine keine naive Weltanschauung. In unserer Welt gibt es Gewalt, ja, damit muss man leben, aber die Beschäftigung damit ist doch wohl auch nicht der richtige Weg, denn Gegengewalt erzeugt neue Gewalt, oder nicht?
Wenn wir also schon Gewalt durch die Vorstellung von Gewalt, wie oben begründet wurde, säen, dann kann das nicht der richtige Weg sein, oder?
Oder benutzen wir unsere Geschichten nur um etwas darzustellen, nicht um etwas zu verändern?
Eindeutig ja ... meiner persönlichen Meinung nach. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass es auch ganz andere Meinungen dazu gibt.

Es gibt Autoren, denen es wichtig ist, die Wirklichkeit möglichst ungeschminkt zu beschreiben (oder zumindest das, was sie dafür halten). Andere hingegen versuchen Ideale oder Potentiale zu beschreiben, als Alternative zu dem, was jetzt wirklich ist. Das sind halt zwei völlig unterschiedliche Ansätze.

Traditionell waren die früheren Geschichtenerzähler häufig Leute, welche die Ideale, Ziele und Werte einer Gesellschaft weitergetragen, und sie so zusammen gehalten haben. Aus Geschichten wurden Mythen, und teilweise sogar hochkomplexe Mythologien. Heute gibt es so etwas zwar nicht mehr, aber das Interesse an interessanten Geschichten ist natürlich ungebrochen.

Insofern ist heute sehr vieles reine Unterhaltung, aber jede/r Autor/in ist natürlich frei in der Entscheidung, ob er/sie darüber hinaus gehen möchte oder nicht ...
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Zanoni am 31. Dezember 2011, 18:28:43
Zitat von: Churke am 31. Dezember 2011, 18:02:51
Ich bezweifle, dass man mit dem Bild eines Baseballschlägers die selben Effekt erreichen kann.
Im Prinzip schon.

Im Grunde haben ja all unsere Erfahrungen, die wir machen, einen Lerneffekt. Wir lernen aus ihnen ... zumindest im Idealfall.

Ein anderes Beispiel:
Ein kleines Kind fasst an eine heiße Herdplatte. Aus dieser Erfahrung lernt es (hoffentlich).
Ein anderes Kind erfährt davon durch Erzählung.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten:
a) das Kind kann nichts aus der Erzählung lernen und muss diese Erfahrung irgendwann selbst machen.
b) das Kind kann sich diese Erfahrung so gut vorstellen, dass es diese Erfahrung nicht zu machen braucht.

Im zweiten Fall war die Vorstellung des "Apfels" genau so gut wie ein echter "Apfel".
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Lomax am 31. Dezember 2011, 18:53:38
Zitat von: Zanoni am 31. Dezember 2011, 18:28:43Nun gibt es zwei Möglichkeiten:
a) das Kind kann nichts aus der Erzählung lernen und muss diese Erfahrung irgendwann selbst machen.
b) das Kind kann sich diese Erfahrung so gut vorstellen, dass es diese Erfahrung nicht zu machen braucht.
Meiner Erfahrung nach gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich Möglichkeit a). Ich hab noch kein Kind getroffen, dass nicht erst mal was heißes anfassen und sich verbrennen musste, bevor es was gelernt hat, selbst wenn man ihm das vorher gesagt hatte - mich selbst eingeschlossen  ;D.
  Wenn man Glück hat, macht es diese Erfahrung nicht an einer Herdplatte, sondern an etwas Harmloserem, und mit dem Fingernagel und nicht mit der Handfläche. Man kann Erfahrungen nämlich transponieren und etwas lernen, wenn man schon vergleichbare eigene Erfahrungen gemacht hat und daraus Analogieschlüsse ableiten kann. Irgendwann hat man so viele Erfahrungen, dass man durchaus komplexere Lehren ohne "Ausprobieren" "sich denken" kann.

Aber nur durch Vorstellung ohne Erfahrung klappt erfahrungsgemäß nicht. Insbesondere nicht bei Herdplatten.  :)
  Und auch bei allem anderen muss man vermutlich irgendwann was selbst erfahren haben, damit die Vorstellung das Verhalten beeinflusst, sonst sind alle Worte in den Wind gesprochen. Zum Frust aller Eltern, die's trotzdem immer wieder versuchen. (Und auch zum Frust aller Lehrer und beruflichen Ausbilder, die regelmäßig feststellen müssen, dass Neulinge doch immer wieder genau dieselben guten Ideen erneut haben, die man selbst schon vor zehn Jahren hatte und bei denen man feststellen musste, dass sie in der Praxis nicht funktionieren. Das nervt so sehr, dass man den Leuten das haarklein auseinanderklamüsiern kann, warum das nicht funktioniert, und sie's trotzdem tun, um dann über dieselben Punkte zu stolpern, die man ihnen vorher angekündigt hat  :brüll:. Lehren kann frustrierend sein. Nicht weniger frustrierend können dann die Fälle sein, wo's die Neulinge dann entgegen der guten Ratschläge doch ausprobieren, und bei ihnen klappt es dann - was vermutlich der evolutionäre Grund dafür ist, dass es nur Lernmodell a) gibt und Menschen nur sehr ungern aus Erzählungen lernen  ;))
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Mogylein am 31. Dezember 2011, 19:05:15
Zitat von: Lomax am 31. Dezember 2011, 18:53:38
Meiner Erfahrung nach gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich Möglichkeit a). Ich hab noch kein Kind getroffen, dass nicht erst mal was heißes anfassen und sich verbrennen musste, bevor es was gelernt hat, selbst wenn man ihm das vorher gesagt hatte - mich selbst eingeschlossen  ;D.

Naja, mir ist aber auch noch kein Kind begegnet, dass unbedingt einen Stromschlag gebraucht hat, um zu kapieren, dass man die Finger nicht in Steckdosen steckt..
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Grummel am 31. Dezember 2011, 19:10:33
Dann wird es Zeit, dass wir uns kennen lernen. ;D

Mein Sohnemann hat wie er noch gaaaaanz klein war, immer an der Terassentür rumgespielt. Sei vorsichtig, du klemmst dir die Finger hat nie wirklich Wirkung gezeigt. Dann habe ich einen seiner Bundstifte genommen, in an den Türrahmen gehalten und die Tür zugeschlagen. Knack. Danach hat er immer einen Bogen um die Tür gemacht. (Hab ich mal in irgend einem Film gesehen. :D )
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Sanjani am 31. Dezember 2011, 19:14:26
Hallo,

gerade bei Kindern spielt die Entwicklung eine große Rolle. Erst ab einem bestimmten Alter - ich weiß leider nicht mehr, welches - können Kinder möglichkeit B zum Lernen nutzen. Ich glaube sechs oder sieben, weil sie da allmählich vorausschauend denken können. Vorher nicht.

Bei Erwachsenen spielen sicher mehr Faktoren eine Rolle, z. B. der Ehrgeiz es besser zu schaffen als der Lehrer, der an den Ideen vor 10 Jahren gescheitert ist.

Ansonsten habe ich mir über dieses Thema noch nie so viele Gedanken gemacht. Ich schreibe über Gewalt, weil sie zu unserer Welt dazugehört und es unrealistisch wäre sie völlig herauszulassen. Was das mit mir macht, keine Ahnung, beim Lesen ist ein bisschen Sensationslust bestimmt auch dabei, aber andererseits werde ich vom Lesen gewaltvoller Bücher nun auch nicht übermäßig gewalttätig. Ich finde einfach, dass es in Maßen dazugehört. Das Maß bestimmt aber natürlich jeder Autor selbst und ich habe durchaus schon Bücher gelesen, wo mir ziemlich anders wurde und ich dachte, weniger wäre mehr gewesen.

LG

Sanjani
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Lomax am 31. Dezember 2011, 19:27:42
Zitat von: Mogylein am 31. Dezember 2011, 19:05:15Naja, mir ist aber auch noch kein Kind begegnet, dass unbedingt einen Stromschlag gebraucht hat, um zu kapieren, dass man die Finger nicht in Steckdosen steckt.
Mir ist aber auch noch kein Kind begegnet, dass seinen Finger nicht in Steckdosen gesteckt hat, weil man ihm das gesagt hat. Das mit den Steckdosen lernt man im Idealfall allerdings auch so früh, dass mit "erzählen" eh nicht viel läuft. Dann geschieht das über eine Art Konditionierung - und das ist auch eine Form der eigenen Erfahrung, bei der das Kind lernt, (negative) Ereignisse mit dem Objekt Steckdose zu verbinden. Nur halt im günstigsten Fall negative soziale Ereignisse wie die Ablehnung der Eltern bzw. ein zurückziehen der Hand, wenn das Kind der Steckdose zu nahe kommt.
  Das klappt mal besser, mal schlechter - aber ein Lernen durch Vorstellung ist es trotzdem nicht, sondern immer auch ein lernen durch unmittelbar erfahrenen Reiz auf die (versuchte) Handlung.
Zitat von: Sanjani am 31. Dezember 2011, 19:14:26gerade bei Kindern spielt die Entwicklung eine große Rolle. Erst ab einem bestimmten Alter - ich weiß leider nicht mehr, welches - können Kinder möglichkeit B zum Lernen nutzen. Ich glaube sechs oder sieben, weil sie da allmählich vorausschauend denken können. Vorher nicht.
Nope, so ganz klappt das mit dieser Altersgrenze nicht - sonst würden die Eltern von Heranwachsenden nicht so oft verzweifeln, und zwar definitiv bei Dummheiten, bei denen kein Ehrgeiz dahintersteckt  ;).
  Ich denke mal, dass das Lernen ohne unmittelbare Erfahrung mit steigendem Alter vor allem darum besser klappt, weil mehr Erfahrung da sind, von denen man mittelbar profitieren kann. Und die Fähigkeit zum vorausschauenden Denken hilft dann vor allem bei der Bildung von Analogien - aber sie führt nicht dazu, dass das Kind jemals irgendwas ohne eigene, anwendbare Erfahrung nur durch Erzählung und Vorstellung lernt. Theoretisch lernt ja, aber nicht so, dass es nachhaltig handlungsbestimmend verinnerlicht wird.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Angela am 31. Dezember 2011, 20:24:49
Ich habe als Kind mal in eine Lampenfassung gegriffen, um zu sehen, ob Strom drauf war. Kann mein Arm bis heute noch von erzählen. Mein Bruder hat Nägel in die Steckdose gesteckt und meine Schwester versuchte, Leucht-Legosteine anzuschließen.
Survival of the fittest ist das nicht gerade gewesen.
Gewalt in Fantasy ist wie Gewalt in Märchen. Nur ein Abklatsch der Wirklichkeit, nicht echt unsere Wirklichkeit. Wir in unserer westlichen Welt leben in relativer Sicherheit, sterben nicht auf Schlachtfeldern oder werden nur zum Spaß gequält und gedemütigt. Wie kommt ein Folteropfer mit einer solchen Beschreibung klar? Ein Überlebender eines Krieges, einer Vergewaltigung?
Keine Ahnung. Da kommt es mit dem Apfel dann schon hin, denke ich. Alte Erinnerungen werden hochgeholt. Vieles wirkt dann sicher auch falsch, weil man als Autor nur mutmaßen kann, wie sich etwas anfühlt.
Warum aber schreiben wir über diese Dinge? Weil es uns fasziniert, so sind wir angelegt. Ein wenig Raubtier dabei.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: HauntingWitch am 31. Dezember 2011, 20:58:00
Zitat von: Churke am 31. Dezember 2011, 18:02:51
Ich bezweifle, dass man mit dem Bild eines Baseballschlägers die selben Effekt erreichen kann. Selbst wenn du abstrakt weißt, dass man ich mit einem Baseballschläger zu Brei hauen kann, wird das Bild in der Mehrzahl der Fälle nicht die entsprechenden Emotionen auslösen. Es sei denn vielleicht, du wärst schon mal das Opfer eines solchen "Sportlers" geworden. Ist einem Kumpel von mir mal passiert. Er lag auf dem Boden und der Typ schlug direkt auf die Rübe. Dank guter Reflexe hat er's überlegt. Mir persönlich geht diese Erfahrung völlig ab. Ich denke höchstens "ey, cool, ein Baseballschläger."

Einerseits ja. Es kommt aber auf die Ausführung an, denn: Umgekehrt löst das Bild einer aus einem Fernseher steigenden Horrorfilmfigur unmittelbar einen Fluchtinstinkt aus. Obwohl der Zuschauer sich die ganze Zeit über im Klaren ist, dass das nur ein Fernsehbild ist und das nicht passieren wird. Die Reaktion des Gehirns ist dieselbe, als würde sie tatsächlich aus dem eigenen Fernseher kriechen. Obwohl man weiss, dass sie das nicht tut, bekommt man Angst vor ihr. Das liegt an den von Rotkehlchen erwähnten Gründen. Im Gehirn passiert dasselbe.

Desweiteren macht es einen Unterschied, ob du liest "er schlug sich den Baseballschläger sachte wiederholt in die andere Hand" - das ist tatsächlich ziemlich cool und zu diesem Zeitpunkt ist auch noch keine explizite Gewalt passiert. Wird aber in allem Detail beschrieben, wie der andere von diesem Baseballschläger zermatscht wird, wirst du dich zumindest ekeln (also "du" allgemein gesprochen). Je nach Abgebrühtheit und persönlicher Erfahrung kann man das abstrahieren, wenn man in sich in dem Moment an einem sicheren Ort befindet oder man wird es nicht ertragen, weil man regelrecht fühlt, was die zusammengeschlagene Person in dem Buch fühlt.

Dann gibt es Unterschiede zwischen Gewalt im Buch und Gewalt im Film. Ein vorgesetztes Bild erreicht einen unmittelbar und wenn man es merkt, ist es bereits drin. Im Buch wird das Bild langsam aufgebaut und man kann es sich nach belieben "schön" denken. Bitte nicht falsch verstehen jetzt. Natürlich halte ich es nicht für "schön", wenn einer die Kniescheibe zerschlagen wird. Das ist grausig und hässlich und der Autor des Buches sagt mir das auch zur Genüge. Aber ich habe immer noch die Möglichkeit, innerlich gewisse Details auszublenden oder meine Vorstellung so zu modifizieren, dass es für mich ertragbar wird, was bei einem Film nicht möglich ist, da ich es effektiv durch die Augen sehe. Deshalb schaue ich zum Beispiel so gut wie keine Horrorfilme, lese aber ebensolche Bücher en masse. ;)

Ob wir Gewalt in Büchern brauchen? Nun, ich bin da ähnlich gestrickt wie Erdbeere. Ich denke, ja. Denn zum einen sind ebendiese krassen Gefühle, die im Gehirn passieren, die stärksten Gefühle, von denen wir uns am Längsten einnehmen lassen. Kennt ihr das, dass euch ein abstossendes Bild länger im Kopf bleibt, als ein einfach schönes? Warum ist das so? Ich denke, weil das hässliche Bild uns mehr Futter gibt. Wo alles perfekt und alles schön ist, gibt es auch nichts zu sagen, wird somit uninteressant. Wo aber etwas nicht stimmt oder etwas verstört, gibt es nachzudenken, sich aufzuregen, oder was man dann tut, was wiederum Inspiration birgt. Denn meiner Meinung nach bewegt man sich auch geistig nur weiter, wenn auch das Gehirn in Bewegung bleibt.

Zweitens glaube ich mal gehört zu haben, dass bei Angst- oder Schmerzgefühlen ein Adrenalinausstoss passiert, aber da spricht das Halbwissen aus mir. Nur was macht Adrenalin? Es bringt uns wieder dazu, uns zu bewegen. Und da wir ja meistens abstrahieren können, werden wir nicht durchs Wohnzimmer rennen ab einer brutalen Buchszene. Bei einem Film werden wir vielleicht den Fernseher ausschalten. Aber schon beschäftigt uns etwas. Meiner Meinung nach gibt es für den Autor kaum etwas Besseres, als ständig in Bewegung zu bleiben, um auch neue Ideen zu haben. Kommt auf dasselbe heraus wie oben schon gesagt. ;)

Ausserdem gibt es kein Leben ohne Gewalt, denn Gewalt kann jedwegliche Formen annehmen. Google Earth ist gewissermassen Gewalt, wenn du so willst. Es dringt in unsere Privatsphäre ein, ohne dass wir es wollen, das ist eine Grenzüberschreitung. Somit Gewalt. So hart das jetzt klingt, aber ein Leben gänzlich ohne Gewalt existiert nicht, ergo wäre ein Buch gänzlich ohne Gewalt unglaubwürdig. Oder eine Utopie. Und selbst die Vorstellung einer Utopie ist eigentlich eine dystopische, denn ganz ehrlich: Da würden wir ein Gefühl von Falschheit entwickeln, wenn alles nur schön und gut wäre, irgendetwas stimmt dann nicht mehr.

Ob das ein tierischer Trieb ist? Gute Frage. Gerade erst vor zwei Tagen habe ich eine Dokumentation über die Antarktis gesehen. Da wurde dann auch gezeigt, wie Orcas Robben von Eisschollen schütteln, indem sie unten durch schwimmen und eine Welle erzeugen, die das Eis zum kippen bringt. Rutscht die Robbe ab, packen sie sie an der Schwanzflosse und ertränken sie, bevor sie sie fressen. Die Töten also langsam und gemein, Katzen übrigens die Mäuse auch (wie die meisten von uns wissen, nehme ich an ;)). Daraus schliesse ich, dass die Natur brutal ist und Gewaltätigkeit ergo gewissermassen etwas Natürliches ist. Ohne ist ein gutes Buch nicht möglich. Oder ein Film oder auch ein Lied. Die besten Lieder sind die mit den negativen Texten, genau aus diesen Gründen. Es ist lebensnah.

Noch zum Schluss: Das Ausgeführte ist natürlich absolut keine Entschuldigung für Gewaltverbrechen und wirft die Frage auf, wo denn die Grenze ist. Denn auch Grenzen gibt es immer und gehören dazu. ;) Soviel zu meiner bescheidenen Meinung, die hoffentlich nicht allzu lang und einigermassen verständlich geraten ist. ;)
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Dogtales am 01. Januar 2012, 14:47:17
Im Großen und Ganzen kann ich nur dem zustimmen, was schon gesagt wurde, ich möchte aber noch etwas Kleines hinzufügen:

Meiner Ansicht und Erfahrung nach, ist der Mensch nicht nur ein Gewohnheitstier, sondern dazu noch ein faules Gewohnheitstier. Auf die Gewalt bezieht sich das folgenderweise: Schon immer, wie bereits erwähnt wurde, ist die gewaltvolle Konfliktlösung die einfachere Lösung gewesen. Bei den Urmenschen schon und bisher hat sich das nicht wirklich geändert. Warum nicht? Weil diese Lösung nicht nur einfach, sondern auch effektiv ist. Jemanden mit Worten zu überzeugen dauert Zeit, ist schwieriger und setzt vor allem ein gewisses Maß an Intelligenz voraus. Überzeugung oder Konfliktlösung durch Gewalt ist schnell und bedarf höchstens etwas körperlicher Kraft.
Auf heutige Sicht übertragen sind wir zwar "weiter entwickelt" und "intelligenter", können also sagen, wir müssen/wollen/können Konflikte auch auf andere Art klären, dagegen spricht aber diese gewisse Faulheit des Menschen. Je langwieriger und komplizierter ein Vorgang ist, desto höher stehen die Chancen, dass man auf den "neuen"Weg verzichtet und doch wieder auf den alten zurückgreift. Ist dieser dann auch noch erfolgreich gewesen, hat die erste Konditionierung stattgefunden.
Und diese bezieht sich nicht nur auf ein Individuum, sondern wird weitergegeben. Jeder, der meint, etwas gut zu können, möchte dies gern weitertragen und somit, vor allem von Eltern an Kinder, wird die Erfahrung weitergegeben.

Wir sind also Gewalt gewohnt, aus unserem täglichen Umfeld. Wir erwarten von unserer Umwelt ein gewisses, erträgliches Maß an Gewalt. Ich finde jegliche Gewalt, nicht dass mich jemand falsch versteht, die verletzt oder tötet grausam, aber leider gehört auch diese Gewalt zu unserem Leben. Das macht die Menschen aus.
Wenn wir also schreiben versuchen wir, in das Ungewohnte, dass ja durchaus mit der Fantasy verknüpft ist, vielleicht sogar nur unwillkürlich, etwas Vertrautes einfließen zu lassen. Gewalt gehört ebenso dazu. Und der Leser erkennt die Gewalt, Gewalt sorgt für Spannung, für Mitgefühl mit dem Opfer, für Abneigung gegen den Täter, ruft also durchaus gewünschte Reaktionen hervor.
Jedoch sind wir mittlerweile weit genug entwickelt, zu verstehen, dass Gewalt schlecht ist. Aber meiner Meinung nach geht es noch nicht ohne. (Und ich lese auch ganz gern moderate Gewalt. Lesen. Denn wie HauntingWitch gesagt hat, es ist nochmal etwas anderes, wenn sich alles nur in meinem Kopf abspielen darf, als wenn ich es als fertiges Bild serviert bekomme.)
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Alana am 01. Januar 2012, 14:51:53
Ich glaube nicht, dass man Gewalt für eine gute Geschichte braucht. Jedenfalls nicht in ausufernder Form. Natürlich braucht man einen Antagonisten, oder etwas, das Gewalt oder Konflikt in Aussicht stellt. Aber Gewalt in blutrünstiger Beschreibung braucht man nicht unbedingt. Spannung kann man auch ohne Splattereffekte erzeugen.
Grundsätzlich braucht man aber natürlich das Negative für eine Geschichte, ganz einfach für den Kontrast oder auch für den Konflikt. Kontraste und Konflikte erzeugen Spannung und starke Gefühlsreaktionen. Ein Gedicht kommt vielleicht ohne Konflikt aus, aber kein Roman.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Dogtales am 01. Januar 2012, 14:56:28
@Alana: Ich wollte damit auch nicht sagen, dass es nur Gewalt braucht, um irgendetwas zu erzielen, ich wollte nur sagen, Gewalt kann durchaus etwas Vertrautes sein und würde, rein prinzipiell, funktionieren. Ich meine nicht, dass man Gewalt verwenden muss.
Und Splatter finde ich sowieso ... unnötig.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Alana am 01. Januar 2012, 14:59:03
@Dogtales: Mein Post war auch nicht auf deinen bezogen. Obwohl du ja schon sagst, dass du denkst, es geht noch nicht ohne Gewalt. Es ist vielleicht auch die Frage, wie man Gewalt definiert.

Zur Frage, was macht das mit uns:
Ich frage mich manchmal, ob meine geringe Bereitschaft, Gewalt einzubauen oder auch die Neigung dazu andere Dinge rauszlassen, die mir unangenehm sind, meinen Geschichten schadet.Nicht, weil ich denke, dass der heutige Leser das erwartet, sondern weil ein bischen Gratwanderung vielleicht in eine gute Geschichte gehört und wenn ich als Autor auf der sicheren Seite bleibe, dann bleibt es meine Geschichte vielleicht auch, in negativem Sinne. Oder vielleicht nicht. Ich weiß es nicht.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Churke am 01. Januar 2012, 15:18:06
Zitat von: Dogtales am 01. Januar 2012, 14:47:17
Meiner Ansicht und Erfahrung nach, ist der Mensch nicht nur ein Gewohnheitstier, sondern dazu noch ein faules Gewohnheitstier. Auf die Gewalt bezieht sich das folgenderweise: Schon immer, wie bereits erwähnt wurde, ist die gewaltvolle Konfliktlösung die einfachere Lösung gewesen. Bei den Urmenschen schon und bisher hat sich das nicht wirklich geändert. Warum nicht? Weil diese Lösung nicht nur einfach, sondern auch effektiv ist. Jemanden mit Worten zu überzeugen dauert Zeit, ist schwieriger und setzt vor allem ein gewisses Maß an Intelligenz voraus. Überzeugung oder Konfliktlösung durch Gewalt ist schnell und bedarf höchstens etwas körperlicher Kraft.

Gewalt sieht einfach aus, ist sie aber nicht. Gewalt bringt immense Risiken mit sich. Man kann den Falschen geraten. Oder die Gewalt schafft nur neue Probleme. So kam es ja zum 1. Weltkrieg: Jede Seite wollte damit schnell und einfach ihre Probleme lösen.

Außerdem behaupte ich, dass es Konflikte gibt, die sich nicht weg verhandeln lassen. Sonst ließe sich jede gescheiterte Ehe durch eine Mediation beim Eheberater retten.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Alana am 01. Januar 2012, 15:28:55
ZitatAußerdem behaupte ich, dass es Konflikte gibt, die sich nicht weg verhandeln lassen.

Das sehe ich auch so und das bietet eine Menge interessanter Möglichkeiten. Wenn sich jeder Konflikt zur Zufriedenheit aller auflösen ließe, wäre das ganz schön langweilig, wenn auch im echten Leben wünschenswert.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Nirathina am 01. Januar 2012, 18:07:33
Ich finde diese Fragestellung recht interessant und den meisten Gedanken hier kann ich zustimmen.

Gewalt fasziniert den Menschen, deshalb fördert er sie, auf die eine oder andere Weise, immer wieder zu Tage. Gewalt ist das letzte Mittel (oder sollte es sein), mit dem man einen Konflikt oder ein anderes Problem löst. Gewalt in der Fantasy resultiert, denke ich, zum einen aus den Hintergründen: Die Gewalt in einer mittelalterlichen High Fantasy-Welt erklärt sich manchmal anders als jene, die in der Urban Fantasy vorkommt, also eine Gewalt, geboren aus gesellschaftlichen Umständen.
Die Auslöser dieser Gewalt sind natürlich wir Menschen. Die menschliche Gewalt sprießt aus unserem Überlebenswunsch und dem (unterschwelligen) Willen, stets besser zu sein und eine höhere Position als andere anzustreben. Gewalt existiert, weil Gefühle existieren - es ist ein in sich geschlossenes System, Gefühle bedingen Gewalt, Gewalt bedingt Gefühle. Selbst eingefleischte Pazifisten können sich der Gewalt nicht entziehen, irgendwann wird es auch sie treffen; und die Unterdrückten werden Gewalt immer mit Gegengewalt erwidern.

ZitatZur Frage, was macht das mit uns:
Ich frage mich manchmal, ob meine geringe Bereitschaft, Gewalt einzubauen oder auch die Neigung dazu andere Dinge rauszlassen, die mir unangenehm sind, meinen Geschichten schadet.Nicht, weil ich denke, dass der heutige Leser das erwartet, sondern weil ein bischen Gratwanderung vielleicht in eine gute Geschichte gehört und wenn ich als Autor auf der sicheren Seite bleibe, dann bleibt es meine Geschichte vielleicht auch, in negativem Sinne. Oder vielleicht nicht. Ich weiß es nicht.

Ich glaube, das hängt, wie so vieles, immer von dir selbst und vom Leser ab. Wenn du Gewalt verabscheust, aber weißt, dass sie unumgänglich ist und dennoch versuchst, sie zu umgehen, dann ist das keine Verweigerung, sondern ein mutiger Schritt. Wer auch immer es erträgt, sich einen Tag lang das deutsche Fernsehprogramm samt Werbung anzutun, der merkt vielleicht irgendwann gar nicht mehr, wie sehr er mit Sex und Gewalt zugedröhnt wird - es wird, wie schon erwähnt, zur Gewohnheit. Wenn du deine Geschichte so formen kannst, dass sie keine (massive) Gewalt benötigt, dann zeugt das a) von stilistischer Gewandtheit und b) von klarer Ablehnung der Volksverdummung.  ;)

In vielen Fantasy-Romanen resultiert Gewalt ja meist aus unaufhaltsamen Kriegen. Natürlich, wo Menschen mit verschiedenen Meinungen und Persönlichkeiten aufeinandertreffen, ist das meist eine "mitgelieferte Möglichkeit". Erklärt man Gewalt aber an irgendwelchen Kreaturen, die den Menschen nicht ähnlich sind, ist das schon wieder etwas anderes und man muss dem auf den Grund gehen.

Was ich damit sagen will: Auch bei mir kommt Gewalt vor und ja, sehr selten übertreibe ich mit ihrem Auftreten, weil ich dem Leser auf die Füße treten will; aber das ist, wie ich offen zugebe, sehr schwierig: Zu wissen, wann ein gewisses Maß an Gewalt nötig oder unnötig ist, ist eine Wissenschaft für sich. Versuch und Irrtum, anders geht es wohl nie.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Moa-Bella am 01. Januar 2012, 19:07:44
Natürlich brauchen wir Gewalt in Büchern. Ganz einfach, weil Gewalt auch Stilmittel sein kann. Und weil Gewalt nunmal in der Realität vorkommt. Es gibt einen Unterschied zwischen Gewaltverherrlichung und der Darstellung von Gewalt. In den richtigen Kontext gesetzt kann man durch Gewalt an selbiger Kritik üben. Sie auszuklammern wäre dasselbe wie Krankheiten und Tod einfach außen vor zu lassen. In Kinderbüchern vielleicht sinnvoll, ansonsten nicht realistisch.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Kati am 01. Januar 2012, 19:32:06
Ich hole mal eins meiner liebsten Beispiele dazu aus dem Keller, ja? Nämlich das vierte Buch von Twilight, Breaking Dawn. Am Ende, als die Volturi-Vampire anrücken, um gegen die Cullens zu kämpfen und dann doch nicht mehr geschah, als ein laues Gespräch. Nachdem sie dann wieder nach Hause gingen, wer war da beim Lesen nicht ein bisschen enttäuscht? Ich habe da auf den großen Knall gewartet, die dramatische Schlacht, die entscheidet, wer von beiden Gruppen der Sieger sein wird. Und dann kam der einfach nicht. Das Fehlen dieser Schlacht, die ja auch bloß Gewalt wäre, hat mich enttäuscht und das hat mich damals auch nachdenklich gemacht. Wieso freut man sich als Leser nicht, dass alles so problemlos abgelaufen ist und niemandem wehgetan wurde?

Ich glaube, es ist alles noch viel einfacher, als zu sagen: Gewalt fasziniert uns Menschen einfach. Das tut sie sicher, es fasziniert uns Menschen, zu welchen Gräultaten wir fähig sein können, welche Abgründe sich auftun können. Aber ich denke, es kommt eher auf die Stärke der Emotionen, mit der wir auf Gewalt reagieren, an. Wenn der Held einer Geschichte dramatisch in der Schlacht fällt, empfinden wir Trauer. Wenn er sich blutig rächt, vielleicht seine Wut. Wenn er gerade so dem fiesen Folterer entkommt und seine große Liebe heiratet, empfinden wir Freude, oder? Aber, wenn alles ganz leicht und ohne Konflikte läuft, dann sind diese Emotionen viel schwächer, weil der Held niemals in Gefahr war und wir gar nicht richtig mit ihm mitfühlen können. Mit der Liebe in Romanen ist es dasselbe: Je dramatischer die Liebesgeschichte, desto romantischer finden wir sie. Vielleicht spinne ich hier einfach rum, aber ich glaube, es ist so.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Dealein am 02. Januar 2012, 18:34:42
Ich glaube wir machen in unseren Büchern viel mehr mit Gewalt wie "Probleme lösen" oder das Darstellen unserer Welt. Wir wecken z.B. auch Sympathie. Wenn plötzlich ein ungeliebter Charakter einen geliebten Charakter rettet, obwohl man es nie erwartet hätte. So kann man eben die Sympathie des Lesers wecken. Oder wen dieser Charakter sich opfert, dann kommt vielleicht der Gedanke: "Der war doch gut! Das hätte ich jetzt nicht erwartet . . ." Außerdem werden in solchen Schlachten oft Tapferkeit und Mut bewiesen und das haben wir Jahrzentelang gelernt. Wer weiß wie es wäre, wenn dies nicht die Herrschende Meinung wäre. Sich selbst für das "Bessere" zu opfern lässt positive Empfindungen in uns auftreten. Selbstlosigkeit, ja ein Wille sogar. Man kann so oder so argumentieren. Zerstörungstrieb oder Überlebenstrieb. Ist es dann Wille, wenn man sein Leben opfert und nicht dem Trieb folgt? Welcher ist stärker. Eine Diskussion, die zahlreiche Parteien besitzt und kein richtiges Ergebnis kennt.

Dramatik kann man gut darstellen, man muss nur an das Liebespaar denkt, dass Seite an Seite kämpft und wobei einer der beiden stirbt. Herzzerreissen pur. Schmiedekunst gewinnt eine andere Perspektive. Wir lernen welch tolle Rüstungen hergestellt werden. In Büchern dreht sich vieles um Gewalt und wir müssen sie manchmal auch benutzen wenn wir es nicht wollen. Doch wir verherrlichen sie nicht immer, denn manchmal brauchen wir sie um andere, auch positive, Dinge darzustellen. Noch ein Beispiel wäre der "Böse" Offizier, der in der Schlacht erst sieht welch Unheil er anrichtet nur um dem Herrscher seinen Willen zu geben.

Klar könnte ich jetzt fortfahren und andere Beispiele nennen, die mir einfallen, doch ich glaube, dass ihr alle wisst was ich meine ;).
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Lomax am 02. Januar 2012, 19:25:18
Zitat von: HauntingWitch am 31. Dezember 2011, 20:58:00Obwohl der Zuschauer sich die ganze Zeit über im Klaren ist, dass das nur ein Fernsehbild ist und das nicht passieren wird. Die Reaktion des Gehirns ist dieselbe, als würde sie tatsächlich aus dem eigenen Fernseher kriechen. Obwohl man weiss, dass sie das nicht tut, bekommt man Angst vor ihr. Das liegt an den von Rotkehlchen erwähnten Gründen. Im Gehirn passiert dasselbe.
Dazu noch: Man sollte das Beispiel mit dem Apfel auch nicht überschätzen. Das Gehirn ist einfach faul. Es gibt beispielsweise mehrere spezialisierte visuelle Zentren im Gehirn, die für die Auswertung visueller Eindrücke zuständig sind. Wenn man sich nun etwas visuell vorstellt, benutzt das Gehirn einfach gerne auch diese auf Bildbearbeitung spezialisierten Zentren, um das innere Bild zu generieren - und für die Weiterverarbeitung werden dann natürlich auch viele weitere Gehirnzentren aktiviert, die damit verbunden sind und denen es ziemlich egal ist, ob das Bild in diesem visuellen Zentrum vom Auge reingeschoben wurde oder aus einer anderen Ecke des Gehirns als "Vorstellung" da reingeschoben worden ist. Je nachdem, wie das Gehirn diese visuelle Vorstellung bearbeitet, wird also auf die gleichen Bereiche zugegriffen, die das Gehirn auch verwendet, wenn es visuelle Eindrücke auf dieselbe Weise verarbeiten würde.
  Aber das heißt nicht automatisch, dass alle Abläufe im Gehirn genau gleich sind. Das heißt halt nur, dass man sehr viele Bereiche gleichermaßen aktiviert findet, egal, ob man sich den Apfel vorstellt oder ihn sieht. Was aber in diesen aktivierten Bereichen abläuft, kann durchaus trotzdem unterschiedlich sein, und was dann des weiteren daraus folgt, ebenfalls. Nur weil der eine Moment des Ansehens ein ähnliches Bild aktivierter Gehirnregionen liefert, ist das für sich genommen nur ein interessanter Schnappschuss, der aber über die komplexeren Vorgänge, in die das ganze eingebunden ist, erst mal wenig aussagt.
  Noch viel weniger lassen sich Analogieschlüsse zu anderen Bereichen der Gehirntätigkeit ziehen. Nur, weil sich erst mal ein recht ähnliches Bild ergibt, ob ich mir einen Apfel vorstelle oder ihn sehe, lässt sich daraus nicht schließen, dass sich diese Ähnlichkeit auf abstrakte Vorstellungen wie "Gewalt" ausdehnen lässt, oder auf in erster Linie über das Sprachzentrum induzierte Vorstellungen, die ich aus Büchern gewinne. Davon geht vielleicht ein Teil in bildliche Vorstellungen über, mit ähnlichen Konsequenzen wie beim "Apfel vorstellen"; und gewisse Konzepte, die sich aus Buch und Vorstellung ergeben, erachte ich vielleicht auch für eine reale Situation für relevant, so dass die entsprechenden Gehirnbereiche sowohl beim Buch wie auch in der Realität aktiviert werden. Vieles von so komplexen Abläufen wie "lesen" und "Handlungszusammenhänge vorstellen" dürfte dann allerdings auch erheblich von der Auswertung realer Situationen abweichen und für ein grundsätzlich anderes Gesamterleben sorgen.
  Die korrekte Schlussfolgerung aus dem Apfel-Beispiel wäre meiner Einschätzung nach also nicht: "Das Gehirn verarbeitet einen vorgestellten Apfel sehr ähnlich zu einem gesehen Apfel, als verarbeitet es jede Vorstellung genauso wie ein reales Erleben." Als Gegenthese würde ich eher mal formulieren: "Simple Vorstellung, die sich 1:1 auf konkrete sinnliche Wahrnehmung übertragen und reduzieren lassen, kann das Gehirn noch sehr ähnlich wie eine reale Wahrnehmung verarbeiten, aber je komplexer die Vorstellung wird, umso weniger hat beides dann miteinander zu tun."
  Tatsächlich dürften die Abläufe im Gehirn irgendwo in der Mitte zwischen den beiden Thesen liegen und sowohl davon abhängen, wie sehr der Leser es schafft, in der Vorstellung zu "versinken" und sie auf konkrete sinnliche Wahrnehmungen zu reduzieren - wie sehr er also die "Bilder im Kopf" sieht und sich als Teil davon verstehen kann; wie auch davon, wie gut seine Vorstellungen im Gehirn mit realen Gefühlen und Erleben verknüpft sind.

Und zu dem Thema der Rolle von Gewalt in Büchern fallen mir jetzt vor allem die "Sieben Zitadellen" ein, eine Fantasyreihe meiner Jugend, die ich eigentlich erst mal als ganz normal empfunden habe, also ein typisches Fantasywerk, das man ganz nett lesen kann, das aber auch nicht so viel neues und großartiges bietet. Bis mir dann irgendwann bewusst wurde, dass ich da jetzt jede Menge Szenarien gelesen habe, die zwar durchaus "fantasytypisch" waren, die aber in anderen Büchern immer irgendwie auf eine gewaltsame Lösung hinausliefen - sich aber in dem Buch letztlich anders auflösten.
  Das fand ich sehr beeindruckend, und es hat maßgeblich dazu beigetragen, dass mir diese Reihe bis heute als "gut" bzw. "originell" im Gedächtnis geblieben ist. Und dass sich bei mir seitdem das Vorurteil vorgesetzt hat, dass gewaltsame und actionreiche Lösungen immer auch ein Zeichen für Einfallslosigkeit sind und dass es irgendwie beeindruckend ist, wenn einem Autor dazu etwas anderes einfällt.
  Nicht, dass ich das bei meinen eigenen Büchern unbedingt schaffen würde ... Aber es beeindruckt mich mehr, wenn ein Kampf unerwartet nicht stattfindet. Allerdings nur dann, wenn es so gut gemacht ist, dass ich erst im nachhinein bemerke, dass schlechtere Autoren da einen Kampf hingesetzt hätten, den man in dem speziellen Werk an der speziellen Stelle aber gar nicht vermisst hat  ;D
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Rika am 15. Januar 2012, 21:39:01
Ich denke, Gewalt wird nicht unbedingt gebraucht, Konflikt und/oder Wachstum in irgendeiner Form aber schon.

Daß Gewalt so oft vorkommt ist aber auch nicht überraschend, denn sie ist eine menschliche Charakteristik. Und eine mögliche Lösung für "A und B wollen beide X haben, es gibt aber nur ein X."
Ist Gewalt schlecht? Wie steht es mit Selbstverteidigung - Überlebenswille ist doch gut? Verteidigung der eigenen Familie? Und wenn X lebensnotwendig ist, also nur entweder A oder B damit überleben, kann, weil es nur eins gibt? Die Frage, wo die Grenze der eigenen Gewaltbereitschaft liegt ist schon faszinierend. So extrem wird es im Leben für viele von uns ja zum Glück nicht, aber das ist auch Glückssache.

Gewalt muß aber nicht immer als Problemlösung auftreten, wie schon vorher erwähnt kommt sie auch als Problemerzeuger vor. Sowohl in der Fiktion, als auch im realen Leben. Läßt sich das überhaupt trennen? Des einen Problemlösung "Gewalt" ist für das Opfer doch immer auch Problemerzeugend, oder nicht?

...und damit bin ich jetzt erstmal nur bei der physischen und direkten Gewalt geblieben.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: Nebeldiener am 16. Januar 2012, 21:43:26
Ich sehe es so, dass Gewalt in Fantasy (vorallem Highfantasy) zu den Charakteren besser passt, als das "liebe miteinander Reden".
Mal angenommen, einen Königssohn "stiehlt" einem König seine Tochter (aus welchen Beweggründen auch immer). Da ist es:
a) Spannender, wenn der König einen Krieg anfängt, als nur blöd zum Königssohn zu laufen und ihn zu fragen, ob er seine Tochter wiederbekommt,
und
b) es entspricht eher der Person, wie ich finde. Mal angenommen, du bist in diesem Szenario ein Köing im Mittelalter. Da hasst du keine rechtlichen Konsequenzen, wenn du gegen irgend jemanden Gewalt anwendest. Also wieso den Übeltäter der (ich nenne sie mal so) "Polizei" aushändigen, wenn du ihn auch selber verurteilen kannst und darfst?

Und ich finde, dass man beim Thema "Gewalt in Fantasy" zwischen Gewalt und Krieg unterscheiden soll.

Nehmen wir mal Herr der Ringe als Beispiel für einen Krieg:
Ganz vereinfacht greifen die Bösen (die Orks) die Guten (Menschen, Elben, Zwerge ...) an. Ohne Krieg würde dieses Buch gar nicht funktionieren. Ich glaube, dass die meisten Fantasy Bücher eben auf solchen Gewaltebenen aufgebaut werden und die Geschichte ohne den Krieg dann recht schnell nicht mehr funktionieren würde.

Als Beispiel für "Gewalt" nehme ich mal mein derzeitiges Projekt:

Der Zweitprota wurde als Kind gefoltert, was bei einem Rückblick auch genauer beschrieben wird. Diese Folter entstand, als eben der Zweitprota als kleines Kind von den Menschen (er ist ein Nebeldiener -nicht so wichtig was das ist-) gefangen genommen. Da habe ich mir überlegt, was die Menschen einem solchen Kind antun würden, wenn ihnen von Kindesbeinen an beigebracht wird, dass sie die Nebeldiener hassen sollen. Mir wurde recht schnell bewusst, dass sie dem Kind grausame Dinge antun würden.
Nun, mit dieser Information, kann ich die Folterszene nicht einfach so weglassen. Klar, ich könnte schon, aber ich weiss, dass das Kind gefolter wurde. Auch wenn ich es nicht beschreibe weiss ich es und der Prota verhält sich auch "anders", weil er als Kind vergewaltig wurde.

Ich benutze Gewalt, weil es zur Handlung gehört, nicht weil ich in der Geschichte unbedingt jemandem Gewalt zufügen will und ich dann überlege, wer als Opfer in frage kommt.
Titel: Re: Warum brauchen wir Gewalt in der Fantasy und was macht das mit uns?
Beitrag von: feelingSouldream am 09. März 2012, 18:06:19
Ich für meinen Teil benutze Gewalt in meinen Romanen, weil immer irgendwie eine böse Seite vorkommt.

Und die böse Seite ist grausam, kalt und zu allem bereit (ups, das hat sich jetzt doch tatsächlich gereimt  ;D) um an ihr Ziel zu gelangen.

Ohne Gewalt wird es zwar nicht langweilig, aber ich denke sie gehört einfach dazu.
Vor allem in den Bereich der Fantasy.

Bei Thrillern ist das wohl klar, dass die ohne Gewalt nicht existieren können,
denn sie basieren ja darauf.