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LGBT: Diversität in der Fiktion und wie man sie schreibt

Begonnen von Nachtblick, 23. Oktober 2013, 20:51:35

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Golden

#105
Zitat von: Maja am 01. August 2015, 14:33:05
Jetzt stehe ich aber vor einem kleinen Dilemma: Ich schreibe gerade den Schluss vom »Glasaugenhaus«, meinem Nano-Roman vom letzten Jahr. Eigentlich hatte ich vor, dass Reenas Freundin Jascha, quasi die dritte Hauptfigur der Geschichte, am Ende des Buches vor dem Leser als lesbisch geoutet wird (Reena weiß das schon lange und Jascha sowieso), wenn der volle Name von Jaschas ominösem Schwarm Ole endlich als Olivia aufgelöst wird und Jascha am Ende mit Gothic-Marie zusammenkommt. Eigentlich war das so gedacht, dass ich dem Leser die lange Nase drehe, "Ich habe nie behauptet, dass Ole ein Junge ist - wovon du immer gleich ausgehst ...", um mit dem zu spielen, was Leser für selbstverständlich halten.

Auf der anderen Seite will ich aber nicht, dass Homosexualität als Knalleffekt eingesetzt wird, und ich würde natürlich lesbischen oder bisexuellen Leserinnen von Anfang an eine Identifikationsfigur haben.
Die Erwartunghaltung der Leser resultiert ja nunmal aus der Realität und den eigenen Erfahrungen. Weshalb sollten sie also bei 90-95% Heterosexuellen davon ausgehen, dass jemand im Zweifelsfall dann nicht heterosexuell ist? Sehe ich persönlich einfach keinen Sinn drin und würde mich daran als Leser in diesem Fall auch eher stören. Wobei in diesem Fall aufgrund der Thematik auch noch ein Zeigefinger vom Autor mitschwingen würde, was ich persönlich echt unsympathisch finde (hat etwas Erzieherisches und Bevormundendes vom Autor gegenüber den Lesern), im Gegensatz zu Fällen, in denen so eine Wendung storyrelevant ist.

Wenn aber ohne großen "Kracheffekt" sich einfach ein Charakter irgendwann als schwul herausstellt, ist das soweit ja kein Problem. Wird es besonders hervorgehoben beziehungsweise wie von dir als Irreführung des Lesers geplant, hat es für mich irgendwie etwas vom nicht existierenden Mörder, weil der Prota in Wahrheit der Mörder ist und eine multiple Persönlichkeit hat. ::) Mag ich einfach nicht.

Bei deinem Fall finde ich den Namen "Oli" eher unglücklich. Auch "Ole" als eindeutig männlichen Name als Frauennamen zu verwenden ist komisch (könnte auch wieder ein Klischee sein, dass alle Homosexuellen eigentlich das andere Geschlecht sein wollen - "Herbert, die Lesbe" ;D). Mit "Oli" wird der Leser ab Anfang an wahrscheinlich merken, dass etwas nicht stimmt. :hmmm: Ansonsten wäre vielleicht ein wirklich männlicher und weiblicher Name wie "Alex" die bessere Wahl. :hmmm:

Tanrien

#106
Ich würde es am Anfang erwähnen, Maja. Nicht unbedingt wegen des Überraschungseffekts/Homosexualität als Gimmick, oder weil heteronormativ denkende Leser nicht auch mal auf die Nase fallen sollen, sondern weil du, wie du sagst, natürlich da auch eine, wenn nicht sogar die Identifikationsfigur "wegnimmst". Bei einem als heterosexuell wahrgenommenen Charakter kann man ja auch einfach nicht so gut mitfühlen, gerade wenn die Romanze mit Ole/Gothic-Marie recht, vergleichsweise zu anderen Plots, präsent ist.

HauntingWitch

Zitat von: Maja am 01. August 2015, 14:33:05
Ich glaube, das ist der Punkt, an dem wir grundlegend voneinander abweichen. Ich habe weibliche und nicht-heterosexuelle Figuren nicht, weil ich das für etwas Besonderes halte, sondern im Gegenteil, weil es für mich normal ist und ich mir wünsche, dass meine Leser das auch als etwas Normales wahrnehmen.

Ich verstehe das für mich eigentlich eher so, dass man vermeintliche Besonderheiten als normal darstellt, weil jeder etwas Besonderes ist und somit wiederum jeder normal, so wie er ist, mit seinen Besonderheiten. Ich gebe meinen Charakteren auch oft "besondere" Jobs oder andere Eigenschaften, gerade weil ich diese festgefahrenen Bilder (was, der ist Rockstar, oh, das ist total aufregend - ähm, nein, nicht unbedingt) aufbrechen möchte. Nur so als Beispiel. So halte ich es auch mit der Sexualität.

Zu deinem Problem: Hm, ich bin auch hin- und hergerissen. Einerseits finde ich deine Idee, mit den Erwartungen zu spielen total super. Andererseits, stört es mich als Leser grundsätzlich, wenn ich ein ganzes Buch lang von einem Zustand X ausgehe und dann am Ende erfahre, das ist doch nicht so. Habe ich euch das mit der Haarfarbe in einem meiner Lieblingsbücher erzählt? 200 Seiten lang habe ich geglaubt, der Protagonist wäre blond und dann wird erwähnt, dass er braune Haare hat. Das hat mich gestört, weil mein inneres Bild nicht mehr stimmte. Ich denke, bei deinem Buch würde es mir ähnlich gehen, wobei ich jetzt mit diesem Post zugebe, dass ich bei Ole auch erstmal an einen Jungen denken würde. Und ich halte mich für offen, was dieses Thema angeht, also von dem her wäre es vielleicht gut.

Golden

Im Grunde genommen setzt es den Leser ja auch aus der Geschichte heraus. Mit der Vorstellung eines "männlichen" Oles ergibt sich ja auch ein ganz anderes Bild für alle anderen Charaktere, die mit diesem beziehungsweise der Partnerin interagieren. Wenn dann später der "Ole" eine sie ist, verändert es ja auch nochmal grundlegend diese Personen, selbst wenn sie nur Nebencharaktere wären. Und nachträglich dann ein Gefühl zu bekommen, dass alle kein Problem mit Homosexuellen haben, wäre irgendwie auch schwer.

Thaliope

Aber es gibt doch eine ganze Reihe Bücher/Flime, die genau von dem Reiz leben, dass man nach einer überraschenden Entdeckung am Ende die ganze Geschichte mit anderen Augen/in einer anderen Perspektive sieht. Und vielleicht Anzeichen oder Hinweise erkennt, die man vorher einfach überlesen hat. Ich find das Konzept spannend.

Golden

#110
Klar, wenn es funktioniert - war vielleicht einen Ticken vorschnell mit dem Schreiben. Fight Club war beim zweiten Mal anschauen echt witzig. Aber so wie ich Maja verstanden hatte, war das bei ihr eher ein absoluter Nebenstrang.

Vielleicht war mein letzter Beitrag bisschen übertrieben und zu verallgemeinert, aber bin mir nicht sicher, ob es bei dem von Maja beschriebenen Fall unbedingt funktioniert bzw. so wie sie möchte.

[EDIT: Wäre ja fast schon für einen eigenen Thread gut, wenn wir noch keinen hierzu haben.]

Angela

Bei einem Film habe ich in der Regel die Chance, die wahre Bedeutung einer Sache zu erkennen, was beim wiederholten Ansehen endgültig klar wird. (Mein Mann ist so einer, der oft exakt diese Stellen schon beim ersten Sehen mitbekommt. Der Spielverderber.)
Bei einem Buch müsste es auch so sein, sonst würde ich mich am Ende ganz arg veralbert vorkommen. Nur so, nun ist der Mann eine Frau, ätsch, das fände ich zu wenig und ärgerlich.

Fianna

Zitat von: Maja am 01. August 2015, 14:33:05
Ich glaube, das ist der Punkt, an dem wir grundlegend voneinander abweichen. Ich habe weibliche und nicht-heterosexuelle Figuren nicht, weil ich das für etwas Besonderes halte, sondern im Gegenteil, weil es für mich normal ist und ich mir wünsche, dass meine Leser das auch als etwas Normales wahrnehmen.
Mist, jetzt habe ich mich unklar ausgedrückt.

Ich meine damit nicht, dass ich das grundlegend als etwas Besonderes empfinde. Aber es ist schon ungewöhnlich in literarischen Subgenres, das auch entsprechend darzustellen. Ich habe z.B. vorher gesehen, was Bastei da so immer für Plots hat und da schien es nur heteros zu geben.
In den meisten literarischen Genres müssen es dann immer irgendwelche harten Konflikte sein, die heraus geholt werden im Zusammenhang mit LGTB-Figuren. Das will ich aber gerade nicht, weil ich keine LGTB-Literatur schreibe, sondern andere Subgenres (in dem Fall jetzt Thriller oder Krimi), und wenn ich da eine LGTB-Figur einbaue, dann ist die eben einfach so, ohne dass jetzt irgendwelche Konflikte ihrer Orientierung eine Rolle spielen. (Wobei, man könnte sich ja vor irgendeinem intoleraten Pack verstecken und dann zufällig in seiner dunklen Ecke Augenzeuge von etwas werden... Das wäre ein Beobachtungsposten eines Verbrechens, den man ansonsten nur schwer begründen könnte.... Aber ich schreibe doch grade keinen Krimi in unserer Welt, also raus aus meinem Kopf!)
Dann kann man mir natürliches "mangelndes Problembewusstsein" vorwerfen. Oder dass es "nur" eine Nebenfigur ist. Wie mans macht, macht mans falsch.


Das "besonders" war von mir in dem von Dir zitierten Abschnitt in rein literarischem Kontext gemeint: weil es in diesen Subgenres ungewöhnlich ist, das darzustellen. Hätte ich besser kennzeichnen sollen.

Andere Worte fielen mir da nicht ein, weil ich ansonsten "normal" als Synyonem für hetero hätte nehmen müssen, und das wollte ich nicht. Ich habe den Satz im Prinzip auf eine Weise angefangen (allgemein/gesellschaftlich), dann in rein literarischem Kontext weitergeführt und das war dann natürlich nicht ersichtlich, weil ich vergessen haben, es eindeutig dazu zu schreiben.

Moni

Zitat von: Golden am 03. August 2015, 14:27:34
[EDIT: Wäre ja fast schon für einen eigenen Thread gut, wenn wir noch keinen hierzu haben.]

Es steht dir frei, einen Thread dazu aufzumachen.  ;D  (Soll heißen: husch, husch, mach mal, ich hab leider gerade keine Zeit  ;) ) In der Tat ein sehr interessantes Thema für den Workshop.
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

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ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
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Golden

Zitat von: Moni am 04. August 2015, 09:45:58
Es steht dir frei, einen Thread dazu aufzumachen.  ;D  (Soll heißen: husch, husch, mach mal, ich hab leider gerade keine Zeit  ;) ) In der Tat ein sehr interessantes Thema für den Workshop.
Habe ich frühestens heute Abend/Nacht oder morgen Zeit für. Kann ich aber machen. :)

canis lupus niger

Hallo, zusammen, wenn es recht ist, hole ich diese interessante Diskussion aus aktuellem Anlass wieder ein bisschen nach oben. Ich musste nämlich Mitte Fünfzig werden, um die Maßstäbe meiner erzkonservativen Erziehung infrage zu stellen und nach echter (nicht nur intellektuell beschlossener) Aufgeschlossenheit im Zusammenhang mit sexueller Diversität zu streben.  ::) Das ist gar nicht so einfach, wisst Ihr? Aber den Anstoß dazu haben mir die entsprechenden Diskussionen hier im TiZi gegeben.

Also werde ich diese Diskussion nochmal rauf und runter durchlesen, weil ich gleichgeschlechtlichen Sex in meiner pseudomittelalterlichen Social Fantasy Reihe thematisieren möchte. In DEM Setting ist das natürlich echter Sprengstoff, bedenkt man die religiösen und sozialen Tabus, mit der Homosexualität (galt auch als "Sodomie"!) im Mittelalter belegt war, obwohl die homosexuellen Aktivitäten zwischen Angehörigen der Kirche kein rein heutiger Fakt sind.  :darth:

Argh, dadurch verschiebt sich der Schwerpunkt des dritten Bandes ganz gewaltig in diese Richtung. Aber das ist, glaube ich gar nicht schlecht, denn der bisherige Plotentwurf war ohnehin ziemlich farblos. Ich werde sehr viel fragen müssen, habe aber die Gewissheit, hier einfühlsame und bereitwillige Unterstützung zu finden. Einen bereitwilligen Helfer hab ich schon!  ;) Danke!

HauntingWitch

@canis lupus niger: Ich bin zwar noch etwas jünger (no offence), aber ich musste im Verlauf der letzten Jahre ähnliche Feststellungen bei mir machen. Es ist interessant und gleichzeitig auch ein bisschen verstörend, wie tief gewisse Vorstellungen aus der eigenen Erziehung tatsächlich sitzen. Aber seit ich hier im TiZi und auch in meinem Umfeld LGBT+-Leute kenne (und herausgefunden habe, dass ich mich auch selbst dazu zählen kann), weiss ich, dass es besser ist, einmal zu viel zu fragen als zu wenig und dann irgendeinen Nonsense rauszulassen. Also frag ruhig.  :knuddel:

Nolgar

#117
Interessanter Thread. Ich habe auch einen bisexuellen Charakter in einem veröffentlichten Roman und denselben in einem noch unveröffentlichten. Anfangs fand ich es ein bisschen merkwürdig, darüber zu schreiben, zumal ich selbst hetero bin und deshalb keine entsprechenden Erfahrungen haben kann. Andererseits habe ich auch noch nie die Großen Alten beschworen oder bin in andere Dimensionen gereist, von daher also alles eine Frage der Gewohnheit  ;).
Die Bisexualität ist außerdem nicht Hauptthema der beiden Romane, ganz im Gegenteil, sie passte einfach zur Figur und erklärt ihre Beziehung zu anderen Figuren.

Evanesca Feuerblut

ZitatAndererseits habe ich auch noch nie die Großen Alten beschworen oder bin in andere Dimensionen gereist, von daher also alles eine Frage der Gewohnheit  ;).
Das war das, was mich dazu brachte, darüber zu schreiben. Wenn mir meine Charaktere über sich verraten, dass sie pansexuell sind, sind sie es halt.
Und dann spielt es keine Rolle mehr, ob ich die Erfahrung gemacht habe. Mit Recherche, einer Portion gesundem Menschenverstand und etwas Wissen darüber, was anatomisch nicht funktioniert, kriegt man auch die Sexszenen hin, die jenseits der eigenen Erfahrung liegen.
Ich kann mich ja auch in Römer*innen, Vampir*innen und Magier*innen hineinversetzen, letztere auch von einem anderen Planeten. Wieso soll ausgerechnet die Sexualität eine Hürde sein?

AlpakaAlex

Das Thema ist für mich (als pansexuelle* Enby) durchaus ein wichtiges. Deswegen kommen - oh wunder - in meinen Geschichten immer massenhaft LGBTQ* Figuren vor.

In meiner Romanreihe ist die Protagonistin bisexuell und weint zu beginn gerade ihrer lesbischen Exfreundin hinterher (die in späteren Bänden auch noch einmal eine größere Rolle spielt). Auch im erweiterten Cast haben wir recht viel Diversität. So hat das Werwolfsrudel, das eine Zentrale Rolle in der Geschichte spielt, eine aroace Anführerin und ein vorkommender Werwolf in der Geschichte ist schwul (und zudem neurodivers). Auch unter den Magiern finden wir vor allem bi- und pansexuelle relativ häufig, haben sexuelle Innuendos doch in vielen magischen Ritualen eine größere Bedeutung.

Generell ist die magische Gesellschaft deutlich offener der Homosexualität und auch Transgender und anderen Dingen gegenüber. Magie ist halt ein großer ausgleichender Faktor, da Magie hier vieles kann. Es ist magisch zumindest für Lesben möglich von ihren Lebensgefährtinnen schwanger zu werden. Wobei das halt eben der große Faktor ist: Schwangerschaft. Denn das ist die eine Sache, die in meiner Welt oft von Mitgliedern der magischen Community erwartet wird. Sie müssen Kinder zeugen, damit die Community am Leben bleiben kann.

Was ich übrigens nicht mache, ist tiefgehend über Homophobie, Biphobie und dergleichen zu schreiben. Ich bin es einfach leid, dass es dahingehend so viel Kram gibt, dass in Geschichten immer LGBTQ* als etwas gesondertes und mit viel Leid dargestellt werden müssen. Das mag ich nicht sehen und ist als betroffene Person auch immer wirklich furchtbar. Man bekommt den Eindruck, man könne als LGBTQ* Person kein normales Leben führen. Deswegen schreibe ich über Charaktere, die ein (für das, was sie sind) normales Leben führen. Wenn sie leiden, liegt es nicht daran, dass sie LGBTQ* sind, sondern dass sie bspw. als Werwölfe großgezogen wurden. Und dieses Leid trifft die heterosexuellen Rudelmitglieder oft genau so, wie die anderen.

Allerdings bring ich am Rand ab und an Themen wie Bi-Erasure ein. Allerdings werden die nicht zum Anker für ein ganzes Drama-Lama.