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Welches ist das erste Kapitel?

Begonnen von Aquila, 04. Februar 2010, 09:28:39

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Blackhat

#30
Kinder, jetzt möchte ich auch mal meinen Senf dazugeben.  :lehrer:

Ich persönlich baue alle meine Romane auf dem dramaturgischen Dreiaktmodell auf (3 Akte und dazwischen zwei Wendepunkte). Der erste Akt ist (wie die anderen) zweigeteilt. Die erste Hälfte bildet die »Exposition«. Hier wird der Held in seiner natürlichen Umgebung gezeigt, die Welt befindet sich für ihn noch im Gleichgewicht. Die Exposition endet mit dem »Auslösenden Ereignis«, das den Helden aus seiner gewohnten Welt reißt.  Dabei können bereits in der Exposition Konflikte auftreten, die möglicherweise zum auslösenden Ereignis führen (Held wird von Zuhause rausgeworfen, what else). Ebenso kann man hier schon ein drohendes Unheil andeuten, wodurch beim Leser die Spannung erhöht wird. Wer Angst hat, den Leser damit dennoch zu langweilen, der kann als zusätzlichen Kunstgriff einen knackigen Prolog wählen (was ich gerne mache, ich gebe es zu  ;D)

Wem das alles zu akademisch daherkommt, dem lass gesagt sein, dass beinahe alle Blockbuster, ob nun Buch oder Film, sich an dem klassischen Aufbau in der Dramaturgie halten (neben dem Konstrukt mit drei Akten gibt es noch ein paar andere, aber das ist in diesem Zusammenhang zweitrangig).

Um noch einmal auf das Beispiel des Kriegers zurückzukommen: Auch Krieger haben nicht rund um die Uhr gekämpft. Einige hingen in Tavernen bei Glücksspielen herum andere hatten vielleicht auch eine Familie, was auch immer. Eines sollte man nie verwechseln: Action bedeutet per se nicht gleich Spannung!


Siara

#31
In meinen Augen ist am Anfang nicht das Was wichtig, sondern vielmehr das Wie.

Für mich zählt erst einmal vor allem die Erzählstimme. Zumindest bei einem personalen Erzähler reicht diese Stimme oft schon aus, um dem Protagonisten Charakter zu verleihen. Klingt er sarkastisch, herablassend, ängstlich, genervt, überbegeistert, aufgeregt, vielleicht selbst gelangweilt? Seine Stimme gibt etwas über ihn preis - ganz ohne Infodump. Außerdem ist es oft ja auch gerade diese Erzählstimme, die bei einer Einführungsphase trotzdem keine Langeweile aufkommen lässt. Bei einem sofortigen Einstieg in die Handlung hingegen liefert sie etwas etwas "Festes", auf das der Leser sich einstellen kann.

Das gilt im Übrigen auch für das zwangläufig irgendwann folgende Geben der Informationen: "Infodump" ist für mich nichts weiter als schlecht verpacktes Baumaterial für das Fundament des Romans. Ein bisschen in buntes Geschenkpapier einwickeln und schon macht das Aufreißen viel mehr Spaß. (Haben wir dafür eigentlich schon einen Thread - wie man nötige Infos auf interessante Weise geben kann?) Auch hier finde ich aber, dass sich durch die Erzählstimme schon einiges bewirken und trockener Langeweile vorbeugen lässt.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

HauntingWitch

@Siara: Das ist ein interessanter Aspekt, der sich mir gerade bestätigt. Habe ich doch gestern noch grossmütig behauptet, ich fände das nicht gut, las ich noch am selben Abend in einem Buch, das genau so gemacht ist: Inciting Incident in Kapitel 1, Hintergrundinfo über den Protagonisten in Kapitel 2 (da bin ich jetzt). Aber es stört mich gar nicht, ich muss mich also wohl korrigieren. Es scheint wirklich sehr auf das Wie und den tragenden Charakter der Geschichte anzukommen.

DoroMara


Früher habe ich mein Manuskript von der ersten bis zu letzten Seite linear durchgeschrieben. Meine ersten Kapitel waren aber total mit Informationen überladen. Dann habe ich mal gelernt, man solle besser mit dem Höhepunkt anfangen und von dem aus "rückwärts- und vorwärts-" schreiben. Versucht das mal! Ich habe es nie geschafft.
Mein aktuelles Manuskript habe ich wieder - fast mit einem schlechten Gewissen - mit dem ersten Kapitel begonnen (Charakter in seiner gewohnten Umgebung beim Handeln mit ein paar Hinweise auf Zukünftiges).  Jedoch kannte ich den Plot ziemlich genau. So konnte ich mich beim Schreiben besser ausrichten. @Siara, ich stimme dir zu, dass die Erzählstimme total wichtig ist.
Ich finde, im ersten Kapitel soll der Leser sich möglichst schnell in die fiktive Welt hineinversetzen können, ohne belehrt zu werden. Puh, das ist eine Kunst.

Entropy

#34
Ich muss sagen, dass ich ich sehr linear schreibe. Bei mir muss zuerst ein Anfang bestehen, auf den ich aufbauen kann, sonst fühle ich mich bei Folgeszenen zu unsicher. Dabei besteht natürlich das Problem, dass der Anfang informationsüberladen ist. Ich weiß nie wirklich, wie ich einen guten Ausgleich finde. Mir ist auch aufgefallen, dass viele Bücher direkt mit einer Action-Szene starten, die den Leser fesseln soll, was meistens auch eine gute Wirkung hat. Bei meiner "Erzählstimme" bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt eine habe. Ich kann eigentlich keine Erzählstimmen erkennen. ;D

Eine wichtige Frage ist mit welcher Zeitebene man den Roman starten lässt. Bei vielen Büchern spielt der Prolog lange vor der eigentlichen Handlung, erklärt die Vorgeschichte oder ein wichtiges Ereignis, was die heutige Handlung und Situation maßgebend beeinflusst. Bei anderen Romanen startet man direkt im Geschehen mit der Einführung der Hauptfigur. Was haltet ihr eigentlich von Anfangsszenen, in denen, für die weitere Handlung unwichtige Personen die Perspektive übernehmen? Und glaubt ihr wörtliche Rede und damit Dynamik sind unerlässlich im Anfangskapitel? Muss der Roman unbedingt mit der direkten Einführung der Hauptfigur(en) beginnen?

Christopher

Unwichtige Personen als Perspektivträger? Kommt drauf an. Sie müssen schon mindestens ein wichtiges Ereignis beobachten, sonst macht die Szene ja keinen Sinn. Ob dieses Ereignis von einer wichtigen oder unwichtigen Person gezeigt wird, ist denke ich recht Banane. Nur auf eines sollte man achten: Ich habe genau das schon mal gemacht, dabei aber den "Fehler" gemacht, dass die Szene recht lang war und die Gefühlswelt dieser Person zu sehr beleuchtet wurde. So sehr, dass die Leser diese Person irrtümlich für wichtig gehalten haben und teilweise sehr enttäuscht waren, dass sie so getäuscht wurden.

Unerlässlich ist die wörtliche Rede sicher nicht und es gibt auch andere Möglichkeiten, Dynamik in eine Handlung zu bringen  :hmmm:

Die unmittelbare Einführung der Hauptfigur ist für mich nicht zwingend erforderlich, aber je länger man damit wartet, desto mehr riskiert man oben genanntes Problem. Mich persönlich stört es auch sehr, wenn ich über lange, lange Zeit keine Vorstellung der Hauptfigur habe. Manche Autoren ziehen das ja knallhart durch, über das ganze Buch bloß 2-3 Details zu nennen und den Rest dem Leser zu überlassen. Finde ich persönlich nicht gut, einen groben Anhalt brauche ich schon mindestens einmal ;)
Be brave, dont tryhard.

Entropy

Zitat von: Christopher am 05. Dezember 2014, 19:18:56
Nur auf eines sollte man achten: Ich habe genau das schon mal gemacht, dabei aber den "Fehler" gemacht, dass die Szene recht lang war und die Gefühlswelt dieser Person zu sehr beleuchtet wurde. So sehr, dass die Leser diese Person irrtümlich für wichtig gehalten haben und teilweise sehr enttäuscht waren, dass sie so getäuscht wurden.

Ich glaube diesen Fehler begehe ich auch gerade. Man erhält schon einen ausgiebigen Einblick in die Gefühlswelt und Liebesbeziehung der Person. Allerdings sollte das Gefühl der Wichtigkeit nicht lange anhalten, da die Person am Ende der Szene schon stirbt. ;D

Der Anfang mit einer "unwichtigen" Person ist meiner Meinung nach besonders bei Geschichten mit vielen Perspektiventrägern beliebt. Dadurch sticht keine der Hauptpersonen/POV-Personen heraus, weil sie den allerersten Auftritt bekommt.

Zitat von: Christopher am 05. Dezember 2014, 19:18:56
Mich persönlich stört es auch sehr, wenn ich über lange, lange Zeit keine Vorstellung der Hauptfigur habe. Manche Autoren ziehen das ja knallhart durch, über das ganze Buch bloß 2-3 Details zu nennen und den Rest dem Leser zu überlassen.

Das würde mich allerdings auch stören. Klar, große Teile sind der eigenen Vorstellungskraft überlassen, aber irgendeinen Anhaltspunkt braucht man, was Aussehen, Selbsteinschätzung, ... betrifft. Die Persönlichkeit kommt durch Auftreten und Verhalten der Personen meist schnell zur Geltung. Aber es kommt eben manchmal auch auf zusätzliche Informationen und Details an, die eine Person einzigartig machen. Ich finde, man muss wie immer einen guten Ausgleich finden. Zu viel Charakterbeschreibung am Anfang beschränkt die Wirkung der Handlung nur auf diese eine Person und kann mitunter nach dem dritten Absatz anfangen zu nerven.

Christopher

Zitat von: Entropy am 05. Dezember 2014, 19:39:55
Ich glaube diesen Fehler begehe ich auch gerade. Man erhält schon einen ausgiebigen Einblick in die Gefühlswelt und Liebesbeziehung der Person. Allerdings sollte das Gefühl der Wichtigkeit nicht lange anhalten, da die Person am Ende der Szene schon stirbt. ;D

Und genau so beendete meine Person auch ihren Auftritt und das wurde mir böse angekreidet ;D
Be brave, dont tryhard.

Dämmerungshexe

Jetzt, da ich es nochmal durchlese fällt mir auf, dass ich es ebenfalls genauso gemacht habe: zunächst werden meine Protas durch die Augen ihres Vaters vorgestellt, der kurz darauf stibt - allerdings wird sein Tod (in der Schlacht) angekündigt.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Entropy

Zitat von: Christopher am 05. Dezember 2014, 19:57:01
Und genau so beendete meine Person auch ihren Auftritt und das wurde mir böse angekreidet ;D

Ich glaube ich kann das sogar ein bisschen nachvollziehen. Da liest man was von einer Person, die einem vielleicht sogar gefällt, man bekommt einen umfassenden Einblick in Gedanken und Gefühle - und dann stirbt sie einfach und man weiß nie was aus ihr geworden wäre...

Deswegen ist mir gerade der perfekte Plan eingefallen: Ich schreibe für die Anfangsszene einfach zwei Versionen. Eine Version aus der Sicht besagten Todeskandidatens und eine Version aus der Sicht meiner Protagonistin, welche für den Tod verantwortlich ist. ;D Dann gebe ich beide Szenen einer neutralen Person, die nichts von meinem Projekt weiß, zum Lesen und frage sie welchen Eindruck sie davon hatte und welche Szene sie eher zum Weiterlesen anregen würde.

Ich habe mich eben noch ein bisschen auf Amazon umgesehen und dort in den Leseproben verschiedene Anfangsszenen/Prologe miteinander verglichen. Bei nahezu allen begann es mit einer dynamischen, actionreichen Szene mit vielen Dialogen und wenigen Informationen über die Weltgeschichte oder das Beziehungsgefüge.

Merrit

Ich gebe es zu, schon im ersten Kapitel direkt in die Geschichte geworfen zu werden, mitten in einer bereits wichtigen Szene anzusetzen, das mag ich. Lange Landschaftsbeschreibungen, oder ähnliches schreckt mich eher ab. Auch wenn ich für meine Geschichte tatsächlich eine zweiseitige Einführung geschrieben habe,...in eine Geschichte geworfen zu werden ist für mich immernoch am reizvollsten. Ich habe dann dann das Gefühl, mich konzentrieren zu müssen, um ja nichts Wichtiges zu verpassen.
Ob das so auf andere übertragbar ist, ich weiß es nicht...

Windstoß

ZitatOb das so auf andere übertragbar ist, ich weiß es nicht...
Auf mich auf jeden Fall, Merrit.  :)
Ich will gleich mittendrin sein, aber trotzdem dabei die Protagonisten kennenlernen und ich will den Konflikt sehen und die ersten Seiten müssen eine spannende Geschichte versprechen und ...
Ich erwarte ziemlich viel von einem ersten Kapitel und lege ein Buch auch ziemlich schnell wieder weg, wenn es mich nicht packt.

So versuche ich aber auch zu schreiben, was nicht immer einfach ist.  ;)

Guddy

Es gibt ja auch nicht nur A und B, sondern diverse Abstufungen :)
Da ich im Laden auch immer die ersten Seiten lese, bevor ich etwas kaufe, sind sie für mich auch unglaublich wichtig. Das erste Kapitel muss mir Lust auf mehr machen und die Charaktere in Grundzügen vorstellen, damit ich einen ersten Eindruck von ihnen und dem Setting bekomme.

Habe mein Kapitelproblem jetzt damit gelöst, dass ich das, was ich geschrieben habe, als platzhalter sehe, das ist einfacher für mich und nimmt erstmal den Druck  ;D

Tigermöhre

Was ich schon mehrfach gelesen habe und ziemlich blöd finde, ist, wenn man direkt in eine Aktionszene gerät, die dann mit einem Cliffhänger beendet wird und dann ein "5 Monate früher" kommt.
Sozusagen das Ende des Romans ganz am Anfang.

Ansonsten achte ich bei einem Buch am Anfang eher auf die Sprache. Ich kann mit einem etwas langweiligen Anfang leben, wenn er gut geschrieben ist. Andersrum lege ich das Buch meistens ziemlich schnell weg.

FeeamPC

Ein Anfang muss nicht rasante Aktion enthalten, um interessant zu sein. Er muss nur neugierig machen auf mehr - und wenn es nur ist, dass wir wissen wollen, ob der Akteur sich tatsächlichzu dem lange überfälligen Telefonanruf an seinen verfeindeten Bruder durchringt oder doch lieber einen Whiskey trinkt.