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Werden die Verlage immer nachlässiger, was das Korrekturlesen betrifft?

Begonnen von Maria, 18. August 2017, 15:58:15

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Christopher

#30
Zitat von: Coppelia am 19. August 2017, 06:55:42
Weil sie jeder winzige Fehler - vorhanden oder nicht - in ihrer Theorie bestätigt, dass sie es besser wissen und andere ständig Fehler machen, kann ich mir gut vorstellen, dass sie dann solche Threads eröffnen und sich darüber auslassen, wie viele Fehler andere machen.

Das ist tatsächlich ein bekanntes psychologisches Phänomen. Die eigene "Richtigkeit" die man irgendwo mal erlebt hat (sei es, dass man mal ein Diktat mit einer 1- geschrieben hat oder sonst was), bewirkt, dass man auch weiterhin von seiner eigenen Kompetenz überzeugt ist - ob vorhanden oder nicht. Sich selbst in Frage zu stellen, ist sehr schwer.

Was die Fehler angeht:
In "Der Name des Windes" hab ich auch etliche Rechtschreibfehler gesehen und ein paar kleinere Logikfehler. Obwohl es mit Sicherheit ein extraklasse Lektorat bekommen hat und auch noch übersetzt ist. Stört mich das? Nein. Wer Leute anmeckert, die Texte mit mehreren hunderttausend Wörtern produzieren, weil sie da tatsächlich ein paar Fehler drin haben, sollte mal dringend seinen Kopf aus dem A*** ziehen  ::)
Be brave, dont tryhard.

Feuertraum

Zitat von: Zitkalasa am 19. August 2017, 20:20:40
Kann natürlich sein, dass auch Ihr journalistischer Background da reinspielt.

Das eher weniger, aber dazu zwei Punkte:

1. Ich versuche weiterhin mein Glück und schreibe fleißig Bewerbungen an Radiostationen, weil ich immer noch hoffe, eine Stelle als Volontär zu bekommen. Und in etwa fast allen Stellenanzeigen heißt es explizit: "Wir erwarten gutes Deutsch in Wort und Schrift."
Mit anderen Worten: auch rechtschreibfehlerfreies Deutsch.

2. Auch wenn ich bisher "nur" drei Praktika im medialen Bereich absolvieren durfte, so habe ich in jedem dieser Betriebe festgestellt, dass mindestens ein Duden im Regal/auf einem Schreibtisch stand.
Auch hatte ich zufällig in einer Radiosendung in einem Gespräch gehört, dass sich jemand ein wenig wunderte, dass ein Wörterbuch in der Redaktion stehe. Der Hörer würde doch nicht sehen, wenn ein Wort falsch geschrieben sei.
Die Antwort jedoch: "Das ist zwar richtig, aber Kollegen oder man selber stolpere darüber und stört sich dran."

Ich kann mich übrigens noch an einen Pauker erinnern (damals gab es noch die Orientierungsstufen, bei denen seinerzeit entschieden wurde, ob man auf die Haupt- oder die Realschule oder sogar aufs Gymnasium kam), der grundsätzlich eine Note tiefer ging, wenn einer seiner Schützlinge im Aufsatz einen Rechtschreibfehler begangen hatte. Brillanter Aufsatz, aber zwei RS-Fehler, darum leider nur eine 2  :gähn:
Aber das ist mittlerweile 37 Jahre her. Ich glaube, der Gutste dürfte inzwischen ein äußerst stattliches Alter erreicht haben.
Dennoch: So etwas prägt halt irgendwo.
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

Angela

Ich leihe mir in Kanada viele Bücher aus den Büchereien aus, das sind zum Teil auch ältere Werke, und ab und zu habe ich da welche dabei, bei denen mit Bleistift alle paar Seiten Fehler verbessert worden sind.
(Das erinnert mich dann immer übel an einen XY-Fall einer ermordeten Lehrerin, die Briefe einer Kontaktanzeige korrigiert hat)
Ein paar Fehler findet man wohl immer, aber ich sehe es schon so, dass ich nicht ständig über welche stolpern möchte.
Wobei mir die vor meiner Schreiberzeit nie aufgefallen wären, erst jetzt fallen mir Sachen wie fehlende Leerzeichen nach Punkten auf. Ein Bekannter von mir macht eine viel besuchte Juistseite. Er kümmert sich nicht um Rechtschreibung oder Kommasetzung, seine meisten User auch nicht, aber ab und an beschwert sich dann jemand bei ihm (oder meinem Mann, weil die beiden geschäftlich verbandelt sind).
@Denamio, same hier, ich habe eine Rechtschreibschwäche und weiß oft genug nicht, wie die einfachsten Wörter geschrieben werden.

Mein Sohn (alle meiner Kinder haben eine Rechtschreibschwäche) hatte übrigens eine Lehrerin, die ihm stumpf für seinen Aufsatz eine 5 gegeben hat, weil er genug Fehler zusammen hatte. Ich hatte auch so eine in meiner Schulzeit. Die machen so viel kaputt, diese kleinen Lichter.

Churke

Zitat von: Feuertraum am 20. August 2017, 09:39:44
Und in etwa fast allen Stellenanzeigen heißt es explizit: "Wir erwarten gutes Deutsch in Wort und Schrift."
Mit anderen Worten: auch rechtschreibfehlerfreies Deutsch.

Sie werden nicht viele Redakteure finden, die ein solches Deutsch erkennen können.  ::)

FeeamPC

@Angela: Einer der Söhne meiner Schwester ist ebenfalls Legastheniker. Sie hat mit ihm eine einwöchige Spezialschulung nach der Davis-Methode mitgemacht.  Oder besser gesagt, er hat, weil das ein mehrtägiger Kurs mit 1:1-Betreuung ist, der privat bezahlt werden muss. Teuer, aber danach hat  er gerne gelesen, sein Schreiben wurde drastisch besser, und er hat sich sich systematisch in der Schule auf bessere Noten arbeiten können, und heute schreibt er von meine drei Neffen die besten Briefe. Die Methode wirkt. Und sie kann auch bei Erwachsenen noch angewendet werden (wenn es auch heißt, die Erfolge sind bei Kindern besser).
Und es ist eben eine einmalige Sache.

Erdbeere

Als jemand, der eine monatliche Serie für einen Verlag schreibt: Ja, es schleichen sich Fehler ein. Fehler, die man selbst nach einem Dutzend Durchgängen inklusive zweimal Lektorat und Korrektorat nicht mehr sieht. Der zeitliche Druck, unter dem wir stehen, ist enorm hoch. Weder wir Autoren noch unsere Lektoren sind Maschinen, und nach einer gewissen Zeit stellt sich schlicht und einfach Betriebsblindheit ein. Da passiert es eben, dass ein vergessener Buchstabe übersehen wird oder ein Fallfehler drin ist (den statt dem z.B.).
Ich empfehle jedem Leser, der sich an solchen Sachen extrem stört, sich einmal in unsere Lage zu versetzen - und einmal für ein paar Monate unsere Arbeit zu machen. Dann darf er gerne weiter meckern. ;)


Als Leserin fallen mir Fehler nur auf, wenn mich das Buch zu wenig fesselt. Dann lese ich langsamer und damit genauer. Aber die Fehler stören mich nicht mehr, seit ich weiß, wie viel Arbeit tatsächlich in so einem Buch steckt.

Kerstin

@Aphelion: Ich habe den Duden-Korrektor und er ist nicht schlecht. Reicht bei mir aber nicht, um weniger als einen Fehler auf 15 Seiten zu machen. Trotzdem möchte ich nicht mehr ohne leben. :)

@Zitkalasa: Natürlich meine ich das nicht. Ich predige auch meinen Schülern immer, dass sie möglichst fehlerfreie Manuskripte abgeben müssen. Lässt sich ja auch recht einfach ausrechnen, was man selbst sich als Fehler leisten darf. Korrektoren haben meines Wissens nach eine Zielsetzung von etwa 95 %.
Hat man also ein 400 Seiten Manuskript und auf jeder Seite nur einen Fehler, bleiben noch 20 drin. Das wäre recht viel.
Kommt man aber auf etwa einen Fehler alle 4 Seiten, wären es nur noch 5 und das wäre für die meisten Leser im akzeptablen Bereich.
Das habe ich mir mal ausgerechnet und seither habe ich das als meine persönliche Zielsetzung.

Sturmbluth

Zitat von: Erdbeere am 20. August 2017, 12:15:24
Als jemand, der eine monatliche Serie für einen Verlag schreibt: Ja, es schleichen sich Fehler ein. Fehler, die man selbst nach einem Dutzend Durchgängen inklusive zweimal Lektorat und Korrektorat nicht mehr sieht. Der zeitliche Druck, unter dem wir stehen, ist enorm hoch. Weder wir Autoren noch unsere Lektoren sind Maschinen, und nach einer gewissen Zeit stellt sich schlicht und einfach Betriebsblindheit ein. Da passiert es eben, dass ein vergessener Buchstabe übersehen wird oder ein Fallfehler drin ist (den statt dem z.B.).
Ich empfehle jedem Leser, der sich an solchen Sachen extrem stört, sich einmal in unsere Lage zu versetzen - und einmal für ein paar Monate unsere Arbeit zu machen. Dann darf er gerne weiter meckern. ;)
Es geht doch nicht darum, dass da "mal ein Fehler" mit dabei ist, sondern um die Fälle, bei der sich gefühlt auf jeder dritten Seite einer findet und das dann eben klare Schlamperei ist. Das ist, was mich ärgert und nicht, dass es überhaupt mal Fehler gibt.

Erdbeere

@HSB Schlamperei? Hast du da vielleicht grad ein Beispielbuch rumliegen bei dir, wo sich so viele Fehler häufen? Dann könnte man das nachvollziehen. Gewisse Dinge sind ja auch sehr subjektiv.
Klar stehen die Lektoren alle unter enormem Zeitdruck ("da, korrigier mal 350 Seiten übers Wochenende"), aber sie sind keine Maschinen. Ich glaube nicht, dass auch nur irgend ein Lektor, Korrektor und Autor Fehler absichtlich stehen lässt - und genau das wäre Schlamperei. Es trotz besseren Wissens stehen lassen.

Churke

Zitat von: Erdbeere am 21. August 2017, 12:28:56
Klar stehen die Lektoren alle unter enormem Zeitdruck ("da, korrigier mal 350 Seiten übers Wochenende"), aber sie sind keine Maschinen.

Vom Lektor bekommt man übers Wochende kein fehlerfreies Manuskript zurück. Das muss ein Verlag wissen. Wenn er den Auftrag trotzdem so rausgibt, dann ist es ihm offensichtlich egal.

Faye

Ich muss sagen, ich stimme Kerstin in ihrem allerersten Beitrag zu diesem Thema zu (ich habe das Thema heute erst entdeckt).
Natürlich finde auch ich Fehler in teilweise sehr guten und bekannten Büchern. Meist sind es nur Tippfehler, die jedem beim Schreiben unterlaufen können und die beim Drüberlesen auch nicht immer direkt auffallen. Wenn der Leser die Fehler schon kaum findet, auch wenn er das Buch aufmerksam liest, dann denke ich nicht, dass man gegenüber Lektoren den Vorwurf äußern kann, dass sie nachlässig wären. Sie bekommen jeden Tag viel zu lesen und zu überarbeiten und das war auch früher nicht anders, so kann man schnell man einen Rechtschreibfehler oder irgendetwas übersehen. Und außerdem kann man als Leser kleinere Fehler auch getrost übersehen und wenn man sich nicht darüber aufregt, stören sie einem im Lesefluss überhaupt nicht. Bei gravierenden Logikfehlern sollte der Lektor natürlich aufmerksam werden, aber solche habe ich in guten Büchern noch nie gefunden.
Und ich kann Kerstin in noch einem Punkt zustimmen, denn früher sind mir solche Fehler tatsächlich weniger aufgefallen, was aber wohl daran lag, dass ich noch jünger war und selber die Regeln der Rechtschreibung noch nicht vollständig beherrschte und daher auch nicht darauf achtete.
Insgesamt, um nochmal auf die Hauptfrage zurückzukommen, meiner Meinung nach werden die Verlage nicht nachlässiger, jedenfalls meiner eigenen Erfahrung nach.

Slenderella

Doch an sich sind mir Lekoratsfehler (denn Rechtschreibung ist Sache des Korrektorats) schon untergekommen. Unter anderem in Hohlbein Büchern (Dreizehn weiß ich noch namentlich und ist immer mein Paradebeispiel für ein fehlerhaftes Lektorat).
Ich brauch noch eine Katze
Und ein Beil wär nicht verkehrt
Denn ich gehe heute abend
Auf ein Splatter-Pop-Konzert

Judith

Mir fallen in den letzten Jahren schon gehäuft Fehler auf (unabhängig ob Deutsch, Englisch oder Übersetzung) und ich lese zu 95% Bücher aus Publikumsverlagen. Ich habe den Eindruck, dass sie bei Ebooks etwas gehäufter auftreten und nein, es geht nicht um reine Ebook-Veröffentlichungen.

Mich reißt jeder Fehler, der mir auffällt, raus, da kann ich noch so gefesselt von dem Buch sein. Das Problem ist wohl, dass ich eine Weile nebenberuflich wissenschaftliche Arbeiten korrekturgelesen habe und diesen "Fehlerblick" nicht abstellen kann. Gleichzeitig graust es mir dann immer vor der Überlegung, wieviele Fehler mir wohl bei meinen Aufträgen durch die Lappen gegangen sind (in meiner Diplomarbeit habe ich auch etwa 4 Tippfehler übersehen, da ich sie nur selbst korrekturgelesen habe  :versteck:).
Ich würde wirklich gern meinen Fehlerblick für das Freizeitlesen abstellen. Ich kanns nur nicht und deshalb stört es mich, dass die Fehler mir in letzter Zeit gefühlt häufiger unterkommen. Zuletzt bei "The Lie Tree" von Frances Hardinge (Verlag ist Macmillan, also kein kleiner).

Churke

Alternative Theorie: Allgemeiner Verfall des sprachlichen Niveaus.  >:(

Habe das letzte Wochenende damit verbracht, herein lektorierte Fehler aus einem Manuskript wieder raus zu machen.
Es werden falsche Kasus gesetzt und es herrscht extreme Unsicherheit beim Gebrauch des Konjunktivs. Im Prinzip hat sie mir genau die Fehler rein gemacht, über die ich mich in anderen Büchern immer ärgere.
Hinzu kommen massenhaft Eingriffe in Formulierungen, die die Semantik verschieben und das – zweifellos unbewusste – Weglektorieren von Konnotationen. Dafür fordert sie deskriptive, austauschbare Floskeln ein wie ,,...strich sich über die braunen Haare", um dem Ganzen mehr ,,Tiefe" zu verleihen.

Das ist nicht meine erste Erfahrung dieser Art. Ihre Fehler sind so geläufig, dass sie längst für richtig gehalten werden. Sie stehen in den Büchern, alle machen sie nach. Nur wer vom alten Eisen ist, der steht daneben und fasst sich an den Kopf.  :ithurtsandstings!:

Angela

Churke, wenn das aber so Usus wird, ist es halt normal, und das, was wir gelernt haben, ist zwar richtig, aber keinen kümmert es.  ;D