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Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen

Begonnen von Rabengetint, 05. April 2017, 16:34:34

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Rabengetint

Ausgangssituation: Ich "kann" keine kurzen Geschichten schreiben. Die abstrakte Ursache dafür ist mir klar: Ich lese selbst am liebsten dicke Bücher. Nicht nur, nicht ausschließlich, aber die Bücher, die mir am besten gefallen, sind die von Rebecca Gablé, Tad Williams, George R.R. Martin, die wirklich dicken Bücher von Andreas Eschbach. Einzige Ausnahme ist Kai Meyer, aber der packt unglaublich viele Informationen in vergleichsweise wenige Seiten und erzählt damit auch kompexe Geschichten.

Jetzt gibt es Gründe, warum ich vielleicht doch kürzere Geschichten schreiben will, oder zumindest schreiben können will. Sei es Verlagssuche, sei es, dass es unbefriedigend ist: Egal wie ich plane, meine Geschichten machen, was sie wollen. (Man stelle sich an dieser Stelle eine von Handlungsstrang-Tentakeln gefesselte Autorin vor.)

So. Jetzt habe ich zwei Biester identifiziert, die vielleicht auf der technischen Ebene für meine Storylänge verantwortlich sind. Möglicherweise sorgen sie auch dafür, dass die Geschichten für den Leser unübersichtlich werden.

1. Die Handlung an sich. Ich schreibe nach einer Fünf-Akt-Struktur, aber die ist bei mir anders, als wenn man sie nachliest. Der 5. Akt ist bei mir der Endkampf, der Showdown, die finale Eskalation des Konflikts. Was die online nachzuschlagenden Konzepte "5. Akt" nennen (oder 3. Akt oder 7. Punkt), das nenne ich "Epilog".
-> Frage, die sich unmittelbar stellt: Merkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?
-> Frage, auf die ich hinaus will: Liegt da ein Romanlänge-Problem begraben? Wenn das normale Plotmuster so aussieht, "Am Anfang stellen sich alle vor, in der Mitte passiert ein Konflikt, am Ende gehen alle nach Hause", dann ist ja klar, dass meine Bücher länger werden. Einfach, weil es bei mir mehrere Sinnabschnitte gibt, in denen etwas passiert.
(- Man merkt, ich bin nicht so wahnsinnig überzeugt von diesen Konzepten. Aber möglicherweise verstehe ich sie auch falsch.)

2. Die Anzahl von Figuren. Viele Figuren = viele Handlungsstränge = längeres Buch. So weit, so klar.
- Was tun, wenn das Setting eine bestimmte Anzahl von Personen vorgibt? Aktuell: Krankenhaus, Psychiatrie. Analog, Schulklasse. Noch schlimmer, wirkmächtige Revolutionsbewegung oder so was. Das ist realistisch nicht mit unter xy Personen zu machen, und wenn die Figuren einmal da sind, dann neigen sie dazu, wichtig für die Handlung zu werden. Das endet dann mit gefühlt 1000 benannten und über 10 plotrelevanten Charakteren, selbst wenn ich einen Hauptplot um eine (1) Protagonistin und 1-3 weitere Hauptfiguren habe.
- Ich bekämpfe Klischeefallen, indem ich mehr Figuren einführe. Ich finde es doof, wenn es nur eine Frau gibt und deren wesentliche Eigenschaft dann ist, dass sie halt die Frau ist. Aber wenn ich mehrere Frauen, mehrere Männer, mehrere Krankheitsbilder, mehrere ethnische Minderheiten, mehrere Sexualitäten, mehrere Altersgruppen... habe, dann wird es immer noch irgendeine Gruppe geben, die ich vernachlässige. (George R.R. Martin sagt dazu, "The real world is complex, I want my fictional world to be complex." Man sieht, wozu das führt.)
- Und dann habe ich irgendwann mehrere Schauplätze, an denen verschiedene Sachen gleichzeitig passieren, entweder, um die Katastrophe herbeizuführen, oder, um den Konflikt zu lösen. (Das ist vermutlich meine Herr-der-Ringe-Prägung.)
-> Frage wäre, wie kriegt man diese Sachen in den Griff, ohne einen unüberschaubar riesigen Cast zu haben? Wie schafft man es, Figuren rauszustreichen, bevor sie sich festbeißen?
- Zu einem gewissen Grad ist das natürlich Geschmackssache. Die einfachste mögliche Geschichte ist nicht unbedingt die Geschichte, die ich erzählen will. Das ist ähnlich wie Worldbuilding, das kann man viel exzessiver betreiben, als objektiv "nötig" wäre. Man kann es auch ganz weglassen, dann hat man nur keine Fantasy mehr. Ein Mittelweg wäre schön.

Mensch, bin ich wieder gut darin, mich kurz zu fassen.

Eluin

ZitatFrage, die sich unmittelbar stellt: Merkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?
Kommt auf deinen Schreibstil an, würde ich sagen. Es gibt genug Bauchschreiber, deren Bücher ungeplottet sind und die trotzdem tolle Werke schreiben. Ich selbst zähle mich auch zu den entdeckenden Schreibern und ich habe nicht das Gefühl, dass es das Werk schlechter macht.

In meinen Augen kommen unnötige Längen vor allem dadurch zustande, dass der Autor versucht zu viel Weltenbau und Infodump + Charakterhintergründe unterzubringen, die aber für die Handlung nicht entscheidend sind oder weiterbringen.

Bei den Charakteren kannst du überlegen, ob wirklich alle die Handlung voranbringen oder ob es welche gibt, die du weglassen oder mit anderen Figuren verschmelzen kannst.

Warum zwingend Klischeefallen wie Minderheiten bekämpfen, indem du x einführst? Nicht jeder Plot braucht das. Nur weil es Minderheiten gibt, müssen sie in meinen Augen, nicht auch in jedem Buch ans Tageslicht gezerrt werden, weil eben nicht jeder Plot das hergibt. Nur um der Minderheiten willen, macht es für mich keinen Sinn. Einfach weil es unnötig aufbläht und dadurch reingequetscht und unnatürlich wirkt. Da, wo es passt - sehr gerne. Finde ich auch wichtig. Aber nicht, um Klischees aus dem Weg zu gehen oder eben den "Quoten-Schwarzen" unterzubringen.

Auch bei den Schauplätzen: Nicht alles muss der Leser aktiv lesen. Einiges kann im Off passieren.

Rausstreichen und co tue ich bei der Überarbeitung. Da ich Bauchschreiber bin, schreib ich eh erstmal und guck, wo mich alles hinführt.

Hast du mal überlegt, gerade wenn du mehrere Hauptfiguren hast, daraus mehrere Bände in der gleichen Welt, zu schreiben?

Auch beim Worldbuilding: Ich habe meistens eine grobe Idee und die arbeite ich da aus, wo ich etwas brauche. Meistens beim Schreiben selbst. Fantasy braucht nicht zwingend Unmengen an Worldbuilding. Aber das kommt auch auf den Autor selbst an.

Mir persönlich hat es sehr geholfen, Kinderbücher zu verfassen. Da muss ich mich auf einen roten Faden, wenig Worldbuilding usw. beschränken. Nur eine kleine Anzahl von Charakteren usw. Auch wenn die Story noch so komplex sein mag, muss ich sie auf das Notwendige runterbrechen. So handhabe ich das mittlerweile auch bei meinen Fantasy-Romanen und meinen Dystopien. Nicht alles muss im Detail auch im Buch stehen.

Über welche Längen sprechen wir bei dir eigentlich?
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Christopher

#2
Es ist durchaus möglich, auch "kurze" Bücher gut zu schreiben, das ist dir sicherlich auch so klar, ohne dass es jemand bestätigt.

Versuch mal folgendes: Fokussiere dich. Was ist das übergeordnete Thema der Geschichte? In einem Wort.

Sobald du das weisst, nimm deinen Plotplan, dein Exposeé oder die Gedanken die du dir einfach gemacht hast und schau, welche davon diesem übergeordneten Thema wirklich mehr Fülle und Raum geben. Die die das nicht tun, musst du nicht zwingend streichen, aber vermutlich kannst du es, ohne dass die Geschichte davon schlechter wird.

Nebencharakter Y kann durchaus weiterhin seine Nebengeschichte und seinen Hintergrund haben, aber trägt das nichts zum eigentlichen Thema der Geschichte bei, braucht er z.B. definitiv keine Perspektive. Die Perspektiven von solchen Nebencharakteren zu streichen kann enorm viel sparen.

Nebenplot Z kann durchaus spannend sein, aber trägt es zu der Grundidee der Geschichte bei? Versteh mich nicht falsch: Kleine Geplänkel am Rande sind wichtig um z.B. dem Prota mehr Tiefe zu geben, ihn dem Leser näher zu bringen und ihn sich entwickeln zu lassen, aber ist dieser Trip in das unwichtige Dörfchen um dort Müllers Tochter zu retten wichtig für die eigentliche Geschichte? Oder gehört das eher in ein kleines Bündchen mit Kurzgeschichten über deinen Prota?

Nächster Punkt, Weltenbau. Sicherlich sollte ein gewisses Maß da sein. Aber ist es notwendig, sich die ganze Predigt sowie Vorbereitung des Hohepriesters M anzusehen, oder reicht es, wenn ein betrunkener Mönchsbruder in der nächsten Kneipe einen Abriss davon gibt und auch gleich damit eine Meinung zeigt? Ich tendiere auch dazu, gerne alles zu beschreiben und schreibe auch lieber die dicken Wälzer. Aber auch bei denen ist weniger oft mehr.

Von der Aktstruktur musst du dich auch nicht verabschieden. Das Theater arbeitet auch danach und mir ist kein Theaterstück bekannt, das über mehrere dutzend Stunden geht.


Ich hoffe, du kannst mit den Punkten ein bisschen was anfangen :)

Be brave, dont tryhard.

Trippelschritt

Das ist eine interessant Frage und das sind interessante Missverständnisse oder falsche stillschweigende Voraussetzungen ("underlying assumptions" trifft es als Fachterm vielleicht besser).

Zunächst einmal: "Ich kann nicht" im Sinne von "Es geht nicht" akzeptiere ich nicht. Bestenfalls als "noch nicht". Lerne es, es wird Dir bei den anderen Punkten helfen, auch wenn es Dir noch nicht liegt und Du lieber dicke Wälzer liest.
Das zweite ist eine Empfehlung: Vergiss alles mit den Regeln. Worüber Du sprichst und was Dich verwundert, haben mehr mit Erzählkraft zu tun als mit Handwerk. Und der Leser merkt eh nichts davon, welche Struktur Du gewählt hast.
Drittens zweifele ich an, dass das Setting viele Figuren erfordert. Du kannst in jedem Setting in der Ich-Perspektive schreiben. Und dann gibt es nur eine Figur, die richtig wichtig ist.

Jede Entscheidung, die Du triffst, wenn Du sie überhaupt bewusst triffst, hat nichts mit den anderen Entscheidungen zu tun. Wenn es Dir gelingt, eine Geschichte gut zu erzählen, machst Du alles richtig. Die Regeln (z.B. 3- oder 5-Akter) haben nichts damit zu tun. Sie stellt sich beinahe von selbst ein.

Vielleicht kann ich Dich davon überzeugen, einen anderen Standpunkt einzunehme oder eine andere Perspektive zu wählen, ohne Deine Vorlieben aufgeben zu müssen. Denn Deine Vorlieben sind ein Teil von Dir und somit völlig in Ordnung. Aber wie wäre es hiermit:
Viele Szenen großartiger Erzähler sind nicht anderes als Kurzgeschichten plus einigen Dingen, die die Verbindung zu vorangegangenen oder folgenden Szenen ausmachen. Das gilt vor allem für den wichtigen Punkt der Ideendichte einer Szene. Ein guter Erzähler oder Romancier kann immer gute Kurzgeschichten schreiben. Ob er es dann auch tatsächlich tut, ist eine andere Seite. Unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, das Schreiben von Kurzgeschichten einer bestimmten Länge zu üben. Glücklicherweise ist die Standardlänge vieler Ausschreibungen von 10 000 Zeichen sehr gut dafür geeignet.

Die Dreiakter kommen vom Theater und haben sich dort bewährt. Der Fünfakter ist ein erweiterter Dreiakter. Wenn Du gerne so schreibst - und der Dreiakter hat sich vom Spannungsaufbau her bewährt - dann mache das. Aber es ist nicht so, als wäre das alternativlos. Wenn Du Martin gelesen hast, dann wirst du dort eine andere Struktur finden, weil er die Struktur einer Seifenoper gewählt hat. Never ending story! Das heißt jetzt aber nicht, dass Du den Dreiakter niemals bei ihm findest. Aber nur in Einzelplots/geschichten. Bei John Snow nicht. Wohl aber bei dessem Vater. Aufbau, Krisis, Exitus!

Und die vielen Figuren? Wer sie benutzt muss das Verweben der Handlungsstänge beherrschen, kann aber bei der Qualität der Figuren Abstriche machen. Schau Dir Harry Potter an. Liebevoll gezeichnete Figuren in den ersten Bänden und recht simple Plots. Dann komplexe Handlungsfäden in den späten Bänden und schwächere Figuren. Wie gut, dass man einige bereits gut kannte. Es gibt auch Erzähler, die beides beherrschen. Jeffrey Archer gehört dazu, wohingegen Dick Francis immer nur in Ich-Perspektive schrieb. (Beides keine Fantasyautoren) Auch James Clavell beherrschte beides, verlor sich in seinen späten Romanen aber auch in den Plots.

Alles, was ich sagen möchte, ist: Grübel nicht über die Regeln nach oder ihre Sinnhaftigkeit. Sie sagen Dir nur, was sich bewährt hat. Leider tun sie immer so, als wenn sich das Gegenteil niemals bewährt hätte. Und das stimmt nicht. Deshalb erzähl einfach Deine Geschichten und schu, wie sie ankommen bei Denen Lesern. Und wenn Dich was wundert, frag.

Liebe Grüße
Trippelschritt
(Liebhaber des Handwerks, aber Regelskeptiker)

Churke

Zitat von: Rabengetint am 05. April 2017, 16:34:34
-> Frage, die sich unmittelbar stellt: Merkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?

Der Durchschnittsleser wird deine Plotstruktur nicht erkennen. Aber er wird merken, wenn die Dramaturgie nicht funktioniert, weil zum Beispiel der Plot unstrukturiert und im Aufbau gescheitert ist.
Ich sehe die Sache etwas strenger als Trippelschritt: Ja, Regeln strukturieren das, was sich bewährt hat. Daraus folgt zwar nicht im Umkehrschluss, dass etwas anderes nicht funktioniert - aber warum sagt dann die Regel, dass man es so nicht machen soll? Ich meine, dass man von Regeln nur mit guten Grunden abweichen sollte. Was aber sind gute Gründe? Der beste Grund ist immer die Geschichte. Wenn man eine Geschichte erzählen will, zu der die Regeln nicht richtig passen. Da würde ich aber schon sehr kritisch hinschauen und prüfen, ob das wirklich der Fall ist.

Zitat
2. Die Anzahl von Figuren. Viele Figuren = viele Handlungsstränge = längeres Buch. So weit, so klar.
- Was tun, wenn das Setting eine bestimmte Anzahl von Personen vorgibt?
Dass das Setting die Figuren vorgibt, wage ich zu bezweifeln.
In einer Schulklasse z.B. bilden sich immer bestimmte Grüppchen. Wahrscheinlich wird sich die Handlung innerhalb von zwei oder drei solcher Gruppen abspielen. Klar, die Klasse hat 26, und sie sind da, aber sie treten nicht in Erscheinung. Wenn man fragt: "Was hast du heute in der Schule erlebt?" wird niemand einen erschöpfenden Tatsachenbericht über 26 Schüler abliefern. Solche Settings sind nicht leicht, weil man die 26 Figuren als existent im Kopf haben muss, ohne sie explizit zu erwähnen.

Ich weiß auch nicht, ob es unter dem Aspekt "Längenkontrolle" hilfreich ist, Quoten-Figuren einzuführen. Als Plot-driven Autor halte ich mich an die Regel, dass die Handlung die Figuren vorgibt. Man kann ihre Geschlechter, Hautfarben oder sonst etwas ändern, aber ihre Funktion gibt der Plot vor. Keine Rolle - keine Figur.

canis lupus niger

#5
Meiner Meinung nach ist die Länge eines Buches relativ. Es gibt 1000-Seiten-Wälzer und mehrbändige Reihen, die kann man nicht aus der Hand legen und verschlingt sie im Akkord. Für die gesamte Harry-Dresden-Reihe (15 Bände bisher) habe ich ab dem BuCon 2016 insgesamt drei Monate gebraucht. Aktuell beginne ich sie jetzt ein zweites Mal. Genauso gibt es Bücher unabhängig von ihrer Seitenzahl, die einfach ... Längen haben und bei denen man sich zwingen muss, dran zu bleiben.

Ob ein Autor beim Schreiben eine Struktur hat/plant, oder nicht, halte ich in diesem Zusammenhang nicht für relevant. Das Resultat ist es, das zählt. Solche Aspekte wie die Anzahl der Akte halte ich für Vorschläge, nicht für verpflichtende Regeln.

Die Komplexität eines Romans, so wie beispielsweise die Anzahl der involvierten Personen, lässt natürlich den Umfang eines Werks sehr schnell anschwellen. Das insbesondere, wenn der Autor versucht, die Komplexität durch umfangreiche Beschreibungen oder nicht-plotrelevante Ereignisse zu erzeugen. Letzteres ist eine Sache, zu der ich immer wieder neige. Es beruhigt mich, dass auch GRR Martin das von sich sagt und dazu steht, wie ich mal gelesen habe. Zuwenig nicht-Plotrelevantes lässt einen Roman irgendwann zu einem Bericht schrumpfen, der ja auch nicht so schön zu lesen ist. Aber man gerät doch leicht ins Schwelgen und schießt über das richtige Maß hinaus. Da braucht es schon Selbstdisziplin, die mit der Erfahrung und guten Betalesern erlernt werden kann. Ich habs schon mal zu einem anderen Thema gepostet: Nicht im Buch enthaltene, aber von mir geliebte Kapitel plane ich über einen Blog oder eine HP zu veröffentlichen, wenn ich erst erfolgreich geworden bin, als Geschenk für meine Fans. =D 

Sternenlied

Hallo Rabengetint

Ich kann dich sehr gut verstehen da ich gerade genau das gleiche Problem habe. Mein geplantes Projekt ist inzwischen so groß geworden das ich unzählige Charaktere habe die ich für wichtig halte. Das Problem ist dann aber, das man selber schnell die Übersicht verliert. Aus diesem Grund habe ich es erstmal in 2 Bücher geteilt. Dabei musste ich schon aussortieren welche Figuren in den ersten Teil kommen und welche nicht. Schon habe ich weniger. Da ging es weiter. Ich habe mich immer gefragt, welche Figur für was wichtig ist. Was passieren würde wenn sie sterben würde, würde dann meine Handlung stoppen? So konnte ich ein paar der "unwichtigeren" Figuren gleich mal aussortieren.
Jetzt habe ich von ca 12 Charakteren nur noch 4 die für meine Handlung wichtig sind, der Rest ist eher schmückendes Beiwerk. Wichtig ist wohl auch, das deine Personen eine Motivation in der Geschichte haben die auch mit der Handlung zu tun hat, sonst sind sie ja nicht so wichtig.

Ich persönlich lese auch gerne dicke Wälzer und verzeihe auch dem Autor wenn er sich manchmal in ausufernden Beschreibungen verliert, aber zur Geschichte müssen sie halt passen. Die Romanlänge ist mir dabei egal, das Buch kann auch 2000 Seiten haben- wenn es gut geschrieben ist lese ich das auch :)

Zit

#7
ZitatMerkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?

Was den Plot angeht, hilft dir vielleicht dieser Blogbeitrag zu verstehen, warum Plotstrukturen so sind wie sie sind: Story Structure: What's the Purpose...for Readers? by Jami Gold Welche Struktur du überhaupt wählst, ist völlig unabhängig davon. Viele Plots sind auch ein- und dasselbe Ideengerüst, verwenden jedoch andere Bezeichnungen.

Insofern ja, der Leser merkt es sehr deutlich, wenn du ihm nicht gibst, was du versprochen hast. Und ja, das "Buch" wird dadurch schlechter, eben weil der Leser unbefriedigt zurück bleibt.

ZitatEinfach, weil es bei mir mehrere Sinnabschnitte gibt, in denen etwas passiert.
(- Man merkt, ich bin nicht so wahnsinnig überzeugt von diesen Konzepten. Aber möglicherweise verstehe ich sie auch falsch.)

Vielleicht verstehe ich dich falsch oder gar nicht: En Buch = ein zentraler Konflikt = eine zentrale Frage, die der Leser beantwortet haben will. Im Liebesroman ist es das typische "Kriegen sie sich?", im High-Fantasy-Roman eher "Werden sie die Welt retten?". Sowas sollte sich, im Sinne des Romans als Langwerk, nicht in drei Szenen abhandeln lassen, das stimmt. Da gibt es also viele kleine und größere Probleme, die gelöst werden müssen, um die zentrale Frage am Ende auflösen zu können. In stupider Variante kann man das durch eine Questkette erledigen (sammel dies, bring mir jenes, töte dieses, etc.), wenn man es drauf hat, kann man aber auch Nebenplots einfügen. So hat der Love Interest im Liebesroman vielleicht noch ein Problem aus seinem alten Leben an der Backe, das ihn quält – und das ihn daran hindert, seine Liebe zu finden. In der High Fantasy kann im Hintergrund ein großer Krieg an den Landesgrenzen toben, die von einer Nebenfigur Kommandant Vonundzu erbittert gegen die Truppen des Oberschurken verteidigt werden während unsere eigentliche Heldentruppe durch verlassene Zwergenminen hetzt.
Allzu viele Nebenplots sollte man aber auch nicht einführen. Es gibt immer mehr zu erzählen, je näher man seine Welt und Figuren kennt als letztlich Platz ist. Wichtig ist, heraus zu filtern, was symptomatisch im Sinne der zentralen Frage ist. Vieles ist dann bei näherer Betrachtung nur Fluff, was die zentrale Frage verwässert oder überlagert.

Zitat- Was tun, wenn das Setting eine bestimmte Anzahl von Personen vorgibt? Aktuell: Krankenhaus, Psychiatrie. Analog, Schulklasse. Noch schlimmer, wirkmächtige Revolutionsbewegung oder so was. Das ist realistisch nicht mit unter xy Personen zu machen, und wenn die Figuren einmal da sind, dann neigen sie dazu, wichtig für die Handlung zu werden. Das endet dann mit gefühlt 1000 benannten und über 10 plotrelevanten Charakteren, selbst wenn ich einen Hauptplot um eine (1) Protagonistin und 1-3 weitere Hauptfiguren habe.

Mit so wenig wie möglich so viel wie möglich ausdrücken. Braucht es wirklich so viele Handlungsorte oder ist das nur der Coolness-Faktor? Und noch einmal: Was ist die zentrale Frage?
Stimme auch Churke mit seinem Klassenbesipiel zu. Nicht jede Figur, die existiert, findet auch Erwähnung.

Zitat- Ich bekämpfe Klischeefallen, indem ich mehr Figuren einführe. Ich finde es doof, wenn es nur eine Frau gibt und deren wesentliche Eigenschaft dann ist, dass sie halt die Frau ist. Aber wenn ich mehrere Frauen, mehrere Männer, mehrere Krankheitsbilder, mehrere ethnische Minderheiten, mehrere Sexualitäten, mehrere Altersgruppen... habe, dann wird es immer noch irgendeine Gruppe geben, die ich vernachlässige. (George R.R. Martin sagt dazu, "The real world is complex, I want my fictional world to be complex." Man sieht, wozu das führt.)

Komplexität ergibt sich daraus, wie eigen du die Figuren charakterisierst. Zu Diversität habe ich auch ein gutes Video auf youTube gefunden: Booktube Doesn't Want Diversity by Francina Simone. Ich weiß, es ist ein bisschen schwierig ihr zu folgen, aber es lohnt sich.
Diversität nur der Diversität Willen einzuführen, ist doof. Wie Eluin schon sagte, den Quoten-Schwarzen will keiner. Diversität funktioniert nur solange deine Story das auch hergibt, solange dein Setting das auch hergibt.

Zitat-> Frage wäre, wie kriegt man diese Sachen in den Griff, ohne einen unüberschaubar riesigen Cast zu haben? Wie schafft man es, Figuren rauszustreichen, bevor sie sich festbeißen?

Du kannst verschiedene Funktionen von verschiedenen Figuren in einer Figur verschmelzen. Figuren, die nur für eine Aufgabe oder zu einem Zwecke auftauchen, lassen sich sehr oft rausstreichen und ihr Zweck lässt sich gut anderen Figuren zuschieben.
Auch wenn ein Roman eine Langform ist, so ist er doch die reduzierteste und verdichteste Version der Geschichte, die du erzählen willst. Romane sind keine 1:1-Kopie der Realität. Sie nehmen die Realität und überhöhen sie, übersteigen sie, verdichten alles wie ein schwarzes Loch alles um sich herum schluckt und verdichtet.

Zitat- Zu einem gewissen Grad ist das natürlich Geschmackssache. Die einfachste mögliche Geschichte ist nicht unbedingt die Geschichte, die ich erzählen will. Das ist ähnlich wie Worldbuilding, das kann man viel exzessiver betreiben, als objektiv "nötig" wäre. Man kann es auch ganz weglassen, dann hat man nur keine Fantasy mehr. Ein Mittelweg wäre schön.

Fantasy geht auch ohne Worldbuilding. (Eher nicht, wenn wir hier von High-Fantasy-Ausmaßen sprechen, das stimmt.) Bezaubernde Jeannie hat auch kein sonderliches Worldbuilding, lebt aber sehr von den Figuren und der Tatsache, dass Jeannie es ehrlich gut meint, die Konsequenzen ihrer Zaubereien aber idR. problematisch sind (jedoch auf eine lustige Art).
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Rabengetint

Vielen Dank, da kommen ja einige Antworten zusammen! Ich komme nur leider gerade nicht so recht mit meinem Camp NaNoWriMo hinterher und muss erst mal Wörter aufholen (um sie hinterher wieder zu kürzen). Am Wochenende bin ich unterwegs, mal schauen, ob ich dann zu einer ausführlichen Antwort komme.

Aber diskutiert gerne weiter! Ich finde das alles sehr spannend.

Cailyn

Das mit den Plotpunkten - egal in welcher Struktur - heisst ja nicht, dass nur dort etwas passiert, wo ein Plot point vorkommt. Auch dazwischen kann es Action und viele Konflikte geben. Die Plotpunkte sind aber wie Meilensteine. Es sind die Eckpunkte, an welchen z.B. ein Plotturn geschieht oder wo beim Protagonist im Inneren eine wichtige Veränderung, z.B. eine Einsicht passiert. Zwischen diesen Meilensteinen kannst du ja alles Mögliche einbauen und somit auch die Länge des Romans beliebig variieren.
Zum Beispiel gäbe es im 1. Drittel einen ersten wichtigen Plotpunkt, der den Prota zu vielen Handlungen bringt. Diese Handlungen führen ihn irgendwann zum 2. wichtigen Plotpunkt. Zwischen 1. und 2. kann dann auch ganz viel Wichtiges und Spannendes passieren. Das könnte ein "Try-fall-cycle" sein, wo der Prota viel agiert und versucht, sich aus einer Situation zu hangeln, dann aber scheitert und irgendwann beim 2. Plotpunkt ankommt, wo sich etwas Tiefgreifenderes verändert, z.B. etwas Unerwartetes im Plot oder eine Einsicht des Protas.
So als Beispiel  ;)

HauntingWitch

@Rabengetint: Ich schliesse mich weitestgehend Zitkalasa und Christopher an. Ich denke, das hat auch viel mit Handwerk zu tun. Verstehe das jetzt bitte nicht falsch, aber gerade das Einführen von neuen Charakteren kann damit zu tun haben, dass man nicht weiss, wie man die Informationen anders vermitteln soll. Also bedient man sich kurzerhand eines neuen Perspektivträgers. Man kann aber sehr vieles so erzählen, dass das nicht nötig ist. Vielleicht kannst du das einmal als Übung machen. Bei jedem neuen Charakter überlegen: Brauche ich den wirklich? Wie könnte ich das sonst bringen?
Zum Beispiel: Ein Prota, nennen wir ihn Prinz Soundso, befindet sich an Ort X. Gleichzeitig passiert an Ort Y eine Explosion, bei der ein superwichtiger Gegenstand zu Tage gefördert wird und den man logischerweise gerne zeigen würde. Man kann jetzt eine zweite Figur Blabla einbauen, die die Explosion miterlebt (=plus 1 Szene oder Abschnitt, Roman wird länger). Oder Prinz Soundso kann irgendwann später von dem Gegenstand erfahren, z.B. durch die Erzählung eines Kneipenbruders Weissnicht o.ä. (er kann ihn ja auch bei sich haben und Prinz Soundso damit erpressen oder sowas) (=Handlung geht weiter und die Einführung des Gegenstandes braucht nicht so viele Seiten, Roman wird kürzer). Weil die Szene, in der Prinz Soundso davon erfährt, kommt ja sowieso, auch, wenn man die Szene mit Blabla einbauen würde. Blabla weglassen heisst also, eine Szene weniger.
Ist jetzt ein gebasteltes Beispiel, aber ich hoffe, es ist einigermassen verständlich.

So, und jetzt etwas in eigener Sache. Ich habe das umgekehrte Problem. Ich glaube, ich habe dazu irgendwann einmal einen Thread eröffnet, aber ich finde ihn nicht mehr. ??? Jedenfalls sind meine Romane meistens eher zu kurz. Ich meine wirklich kurz. Meine beiden veröffentlichten haben so um die knapp über 200 Seiten. Ich selber mag zu lange Romane nicht so, von dem her muss ich kein 600+-Seiten-Epos schreiben. Aber so um 300 Seiten wäre schon gut, denke ich. Nur, irgendwie schaffe ich das nicht. Vor Kurzem wurde mir klar, dass ich die Dinge teilweise einfach zu knapp beschreibe oder grosse Zeitsprünge mache. Also habe ich angefangen, ausführlicher zu beschreiben und die Ereignisse wirklich tageweise zu erzählen, ohne grosse Zeitsprünge. Das scheint aber nichts zu nützen, egal, was ich mache, ich habe das Gefühl, meine Geschichten sind immer so schnell erzählt. An zu wenig Plot kann es nicht liegen, ich kenne Bücher, die auch nicht mehr Plot haben, aber länger sind. Was mache ich falsch?

Angela

Frag mich mal, mir geht es auch so. Ab und zu lese ich ein Buch und da passiert ewig reichlich wenig, es ist aber dennoch unterhaltsam geschrieben, selbst die Beschreibung der Sofakissen. Das bewundere ich total, bei mir gibt es noch nicht einmal das Sofa, geschweige denn ein Sofakissen. Übergänge einzelner Szenen mache ich viel zu schnell, das wurde mir im Lektorat auch gesagt. Ich müsste echt einen Kurs machen, der mir da immer auf die Finger haut und sagt, nun mach da mal eine Beschreibung/Einführung  dazu.

Rumpelstilzchen

Meine Romane sind in der Rohfassung auch immer ziemlich kurz, weil ich beim Schreiben sehr zielstrebig in der Hauptgeschichte bin. Einleitungen, großartige Beschreibungen, Nebenhandlungen, ausgearbeitete Nebenpersonen sind für mich in dem Moment erst einmal zweitrangig und ist Sache der Überarbeitung.

Vielleicht helfen dir folgende Fragen dabei, herauszufinden, warum deine Romane so kurz sind:

  • Erfährt der Leser etwas über den Hintergrund der Nebenpersonen?
  • Haben die Nebenpersonen ein eignes Leben mit eigenen Problemen oder sind sie nur da, weil die Protas ihn für etwas brauchen?
  • Gehen deine Protas immer den direkten Weg oder machen sie auch Umwege?
  • Holen deine Protas zwischendurch auch Luft oder sind sie unentwegt in Action?
  • Erfährt der Leser auch etwas Unwichtiges über deine Protas, um ihn lebendiger zu machen?
  • Springst du bei jeder Szene sofort in die Handlung oder schaffst du erst Atmosphäre?

Zitat von: Witch am 18. August 2017, 11:23:47
Also habe ich angefangen, ausführlicher zu beschreiben und die Ereignisse wirklich tageweise zu erzählen, ohne grosse Zeitsprünge.
Den Roman tageweise zu erzählen, um ihn zu verlängern, halte ich nicht unbedingt für erfolgversprechenden, weil du so Gefahr läufst, dass es langweilig wird, wenn an den Tagen nichts handlungsrelevantes passiert oder zur Entwicklung deiner Protas beiträgt.

HauntingWitch

@Angela: So einen Kurs brauche ich auch.  ;D

ZitatDen Roman tageweise zu erzählen, um ihn zu verlängern, halte ich nicht unbedingt für erfolgversprechenden, weil du so Gefahr läufst, dass es langweilig wird, wenn an den Tagen nichts handlungsrelevantes passiert oder zur Entwicklung deiner Protas beiträgt.

:rofl: Entschuldigung, nicht falsch verstehen. Ich musste gerade sehr lachen, weil genau das jetzt mein neues Problem ist. Ich drifte dann in zu viel Blabla und stream of consciousness ab.

Das sind gute Fragen, das werde ich bei der nächsten Überarbeitung mal durchgehen. Ich habe jetzt auch noch ein bisschen gegoogelt und komme zu einem ähnlichen Schluss. Wahrscheinlich rase ich zu geradlinig durch die Geschichte. :hmmm:

Churke

Zitat von: Witch am 18. August 2017, 15:54:18
Wahrscheinlich rase ich zu geradlinig durch die Geschichte. :hmmm:

Definiere zu geradlinig.
In der Kürze liegt die Würze. Wenn du oder deine Leser das Gefühl haben, dass die Handlung zu gehetzt und nicht richtig ausgearbeitet ist, dann musst du was machen.
Geht es aber nur um Seitenzahlen, sieht die Sache anders aus. Zeilenschinderei macht ein Manuskript nicht besser!

Gib mir eine Zahl und ich schreibe genau so viele Seiten. Dazu lege ich zunächst einen Plot fest, der in dem Rahmen erzählbar ist (Erfahrungswert). Während des Schreibens füge ich Perspektivträger und Erzählstränge hinzu, bis die Länge ungefähr hinkommt. Am Schluss kürze ich, bis ich auf die gewünschte Seitenzahl komme.
Ich steuere die Länge über die Perspektivträger. Ich arbeite bereits in der Haupthandlung mit Sprüngen, also absichtlich kurz und knapp. Damit schaffe ich mir Spielräume für parallele Erzählstränge.