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Wie viel von euch steckt in euren "Bösen"?

Begonnen von Tejoka, 02. März 2017, 10:11:21

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Tejoka

Tut mir leid, falls es so einen Thread schon gibt, ich habe ihn nicht gefunden.

Dass oft viel von einem Autor in seinen Helden steckt, ist, denke ich, klar. Wobei wir auch gern darüber diskutieren können  ;) Aber wie sieht es mit unseren Antas und Schurken aus? Es würde mich interessieren, wie es anderen damit geht.

In dem einen Projekt, dass ich vielleicht bald anfange, zu schreiben, hat die Antagonistin nämlich einige Züge, die ich in mir selbst gesehen habe. Da habe ich durchaus mit Absicht versucht, sie als meine "dunkle Seite" in bestimmten Bereichen anzulegen.  :darth: Um mir zu helfen, mich in sie hineinzuversetzen und ihre Motivation klar zu bekommen, aber auch als Experiment.

Andererseits sind unter den Figuren, die mir so im Kopf herumschwirren, auch einige Protagonisten, die in Richtung dunkel bzw. "böse" gehen. Solche Figuren zählen definitiv auch, würde ich sagen. Hier könnte es sogar schwieriger werden, damit umzugehen, weil man ja viel Zeit im Kopf und in der Sichtweise der Protas verbringt und sie dem Leser auch zumindest teilweise sympathisch machen will.  :snicker: Aber wenn man sie zu arg an sich selbst orientiert und sie dann schlimme Dinge machen lässt, kann das vielleicht zum Problem werden?

Wie ist das bei euch? Gebt ihr grundsätzlich jeder (wichtigen) Figur etwas von euch selbst (ich habe das schon mehrmals als Empfehlung gelesen), oder wollt ihr sie lieber ganz anders machen? Solange die Figuren da mitspielen, natürlich  :P Haben eure Antagonisten eine Eigenschaft, die ihr bei euch selbst nicht mögt, oder doch eine gute, um ihnen Graustufen zu geben?


HauntingWitch

Gegenfrage: Was ist "böse"? Ich finde es sehr schwierig, sich in jemanden, der wirklich "böse" ist, hineinzuversetzen. Kann man das überhaupt sein? Bei manchen Charaktertypen, die zwar nicht "böse" sind im Sinne wie, sagen wir in einem Kinderfilm, aber dennoch für mein Empfinden einfach schreckliche, unmögliche Menschen, finde ich es ebenfalls schwierig. Gleichzeitig weiss ich aber auch, dass in manch einem solchen Menschen im Grunde auch nur eine kaputte Seele steckt. Wie findet man die Balance, das nicht zu verharmlosen und jenen nicht zu entschuldigen, sich aber dennoch tief genug hineinzuversetzen, um ihn vielschichtig und glaubhaft und nicht schwarz-weiss zu machen? :hmmm: Das ist ein spannendes Thema. ;D

Zu deinen Fragen. Ich denke, dass grundsätzlich etwas von einem selbst in den Figuren steckt, in allen ein bisschen etwas, aber auch in allen etwas anderes. Ich habe mal ein schönes Zitat dazu gelesen, kann das aber auf die Schnelle gerade nicht finden. Das passiert aber unbewusst, gezielt einfliessen lassen würde ich so etwas nie. Wenn ich merke, dass es zu viel wird, (sprich eine Figur mir selber zu ähnlich wird), nehme ich eher mal bewusst etwas raus, weil mir das sonst zu persönlich ist. Das bei den Positiven wie auch bei den Negativen.

Was, denke ich, jeder macht, ist von eigenen Erfahrungen zehren, um die Gefühle der Figuren zu beschreiben. Je nachdem, was es ist, kann das schon eine sehr persönliche Angelegenheit sein, also während dem Schreibprozess. Das kann in beide Richtungen gehen. Jeder hat doch seine dunklen Seiten. Die Frage ist, wie nah man sich an diese herantasten möchte, um davon zu zehren. Und ob es wirklich von Nutzen ist. Ein starkes Einfühlungsvermögen braucht man als Autor ja sowieso, sonst könnte man über gar nichts mehr schreiben, was man nicht selbst erlebt hat oder nicht dem eigenen Charakter entspricht.

Evanesca Feuerblut

Früher habe ich es gebraucht, dass in den Figuren etwas von mir steckt. Mehr noch, meine Figuren waren meine Alter Egos, mit denen ich irgendwas ausgelebt und verarbeitet habe. Mit "bösen" Figuren auch schon mal Wut wegen einer ungerechten Situation etc.

Seit ich aber grundsätzlich keine bösen Figuren, sondern nur noch graue Figuren anlege und seit ich außerdem so weit abstrahieren kann, dass keine Figur mehr so richtig mein Alter Ego ist, ist das Ganze... schwieriger.
Bei mir ist es eher so, dass ich mich als Person dann vollständig zurücknehme und beim Schreiben aus der Perspektive derer, die als Antagonisten gelten, dann eben für kurze Zeit meine Persönlichkeit abstreife und beim Schreiben ihre annehme. Und damit auch ihre Gefühle, ihre Weltbilder kurz in mich reinlasse, so lange, bis ich die Stelle geschrieben habe.
Und dann muss ich wieder raus aus deren Haut und rein in meine eigene.

Klingt vermutlich esoterischer, als es für mich der Fall ist, aber sowas ist auch saublöd zu erklären. Also: Meine Bösen sind nicht ich. Aber ich bin für kurze Zeit meine "Bösen". Sofern man bei mir, wie gesagt, überhaupt von Bösen sprechen kann.
Eigentlich sind 95% meiner Charaktere grau.

Caestron

Das mit den Bösen ist bei mir eine schwierige Sache. Da ich eine klassische Fantasystory schreibe, ist mein "Böser" eher so der typische "Weltherrscher-Muhaha"-Typ, wobei mein Protagonist diese Blaupause eines Bösewichts gar nicht erst trifft.

Wichtig ist für mich bei einem Charakter eher, dass es nachvollziehbare Gründe für sein Handeln gibt. Bei meinem Bösewicht ist es so, dass er zum einen ein Ork ist (und meine Orks zum großen Teil in die Standardantagonisten stellen), und zum anderen im so ziemlich kargsten Gebiet meiner Fantasywelt lebt. Als Kampfmeister ist es also für ihn verständlich, auf Eroberungszüge zu gehen, um ihm und seinem Volk Gebiete einzuverleiben, in denen man angenehmer leben kann. Aber wie schon erwähnt, hält mein Bösewicht eher als McGuffin her, um ein wenig Action in die Geschichte zu bekommen.

Was die Frage angeht, wie viel von mir in meinen Charakteren steckt, dann muss ich sagen, dass da nicht viel drin ist, abgesehen von meinem Protagonisten, durch dessen Augen man die Geschichte verfolgt. Die restlichen Charaktere habe ich bewusst sehr unterschiedlich gehalten, damit die Dialoge nicht zu einem Austausch zweier fast identischer Figuren wird. Als Beispiel habe ich meinen Protagonisten, der zu Anfang der Geschichte ein Berufspessimist ist, zwei lebensfrohe Elfenzwillingsbrüder, die gerne Schürzenjäger wären, und einen Elfenprinz, der unter seinesgleichen versucht, bescheiden zu sein, auf Menschen aber herabsieht.

Worauf ich also achte, ist, dass meine Figuren eine gute und/oder interessante Chemie haben. So haben mein Protagonist und der Elfenprinz viel Potenzial für Konflikte innerhalb der Gruppe, woran die Charaktere wachsen können.

Um nochmal zurück zur Ursprungsfrage zu kommen: Meine Bösewichte sind in meinen Geschichten Mittel zum Zweck, den die Geschichte überspannenden Konflikt voranzutreiben, während mein Hauptaugenmerk, also Charakterentwicklung und Interaktion der Hauptfiguren, den kleineren Konflikt darstellen.

Tejoka

Danke für eure interessanten Antworten! 

@Witch: Was ist "böse"? Das ist eine gute Frage  ;D Da könnten wir lange diskutieren. Hier meinte ich vor allem solche Figuren, die egoistisch sind und handeln, denen es vielleicht egal ist, welche Folgen ihr Handeln auf andere hat, und ihnen damit schaden, oder die einfach sehr schlimme Dinge tun.
Dass immer unsere Erfahrungen in unsere Charaktere einfließen, ist auch ein guter Punkt. Daran hatte ich in dem Zusammenhang noch gar nicht gedacht, aber du hast natürlich recht. Letztlich sehen wir alles durch unsere Brille. Wahrscheinlich kommt es darauf an, wie gut wir selbst mit bestimmten Sachen zurechtkommen, wenn es darum geht, ob wir sie für unser Schreiben benutzen. 

@Evanesca Feuerblut: Wirklich mit meinen Figuren etwas ausgelebt habe ich noch nie, aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Ich versuche prinzipiell auch, nur graue Figuren zu schreiben und keine, die nur schlecht ist. Aber manche sind natürlich ein dunkleres Grau als andere. Deine Methode klingt interessant. Method acting für Schriftsteller!  :P Wobei wir das wahrscheinlich alle zu einem gewissen Grad tun.

@Caestron: Das klingt interessant. Ein guter Hinweis darauf, nicht alle Charaktere gleich sein zu lassen. Wobei das natürlich der ursprünglichen Frage auch nicht im Weg steht. Und in so einen gesichtslosen Bösewicht, der gar nicht vorkommt, muss man sich natürlich nicht hineinversetzen. Aber dass Charakterentwicklung wichtig ist, bestreitet hier wahrscheinlich niemand  ;)

Inea

Bei meinen Geschichten ist es ganz unterschiedlich. Manchmal, wenn ich einfach nur drauflos schreibe und ohne eigentlichen Plan Szenen und Charaktere verfasse, finde ich so gut wie immer etwas von mir in den Personen. Zeitweise spiegeln sie meine Launen zu dieser Zeit wieder, manchmal sind es regelrechte Verkörperungen ganzer Wesenszüge von mir. Als Beispiel hatte ich mal einen Charakter, der grundsätzlich immer genau das Gegenteil von dem tat, was ihm gesagt wurde. Im echten Leben kann ich selbst mit "Tu das, weil ich das sage" ganz und gar nicht umgehen, da muss schon eine gute Begründung her. Der Charakter hat das die ganze Zeit in der Geschichte ziemlich gut durchgezogen. Das ist jetzt ein sehr allgemeines Beispiel, aber jeder setzt sich ja schließlich aus einfachen und spezielleren Zügen zusammen. ;)

Nehme ich mir allerdings Zeit für Plot und Charakterausarbeitung, gibt es durchaus auch Personen und Charaktere, die ganz und gar nichts mit mir zu tun haben. Dort frage ich mich dann nämlich bei jeder Handlung "Was würdest du tun? Und was würdest du nicht tun?" und dann gehe ich verschiedene Alternativen durch. Und wenn ich dann mehrere Szenarien im Kopf durchspiele, kann ich das finden, was zu diesem Charakter passt. Ob ich es nun selbst so machen würde oder nicht. Da ich dann in solchen Bereichen keine Erfahrungen habe, ich würde es ja selbst so gar nicht machen, versuche ich mich hauptsächlich auf Recherche zu beziehen.

Auf jeden Fall finde ich das ein sehr spannendes Thema, mit dem ich mich immer und immer wieder beschäftige. Mal gewollt, mal ungewollt, wenn ich meine eigenen Szenen lese und denke: "Huch, das sieht dir mal wieder ziemlich ähnlich." :)

Möchtegernautorin


Hmm, eigentlich ist die Frage ganz interessant :) Allerdings muss auch ich mir da immer die Frage stellen, was ist denn eigentlich Böse? Es kommt doch immer auf die Sichtweise an. In meinem Blog-Roman zum Beispiel stand von vornherein fest, wer die Protagonistin ist und wer der Antagonist. Von dem, was meine Protagonistin tut, wäre sie per Definition eigentlich aber die Böse.

Was ich mittlerweile aber vor allem gelernt habe ist, dass ich den Charakteren Persönlichkeiten geben muss - und zwar nicht meine. Da gibt es diese ,,Alter-Ego-Falle", wie sie irgendwer mal betitelt hat. Meine erste Protagonistin war mein Alter Ego und sie ist langweilig. Von daher suche ich mir lieber Eigenschaften zusammen, die zu einem Charakter und dessen Motivation passen. Da ist die Vorgehensweise beim Antagonisten die gleiche, wie beim Protagonisten. Sie sollen beide nachvollziehbare Gründe haben, gute und schlechte Seiten. Ich finde, man sollte schon mit beiden mitleiden können ;) Das geht aber natürlich nur, wenn man sich als Autor gut einfühlen kann und glaubhaft rüberbringen, was in dem Charakter vorgeht. Und ich denke, da liegt der Knackpunkt. Der Antagonist braucht also eine Motivation, in die ich mich auch wirklich einfühlen kann, um auch darüber zu schreiben. Einen Weltherrschafts-Antagonisten wird es daher bei mir sicherlich eher nicht geben - eher die variante Weltenzerstörer  :darth:

Her plants and flowers, they're never the same - Blue and silver, it's all her gain
flying dragons, an enchanted would - She decides, she creates
It's her reality
Within Temptation - "World of Make Believe"

Tejoka

@Inea: Das ist ja interessant. Die Tendenz, Charaktere nach meiner eigenen Persönlichkeit handeln zu lassen, wenn ich nicht aufpasse, habe ich auch schon bemerkt.

@Drachenelfe: Jetzt bin ich neugierig auf deinen Roman geworden ;D Das mit der Motivation ist mir vorher noch nie aufgefallen, aber jetzt, wo du es sagst, stimme ich dir zu. Ob ich mich in die Motivation einfühlen kann, scheint wirklich das Wichtigste zu sein. Deshalb gibt es zum Beispiel einen Charakter, dessen Ziele ich selber nie übernehmen würde, der sich aber in meinem Buch ziemlich selbstständig aus einer Nebenfigur zum Hauptgegner gemausert hat. Wenn ich genauer darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich die darunter liegenden Konflikte und Motivation sehr gut nachvollziehen kann. Komisch, wie so was funktioniert ...
Und Weltenzerstörer würde ich auch gern mal schreiben  :P


Trippelschritt

Ich habe Antagonisten, aber ich habe keine Bösen. Und mit Ausnahme meiner ersten Trilogie versuche ich so wenig wie möglich von mir in meine Figuren zu stecken, weil das mein auswahlspekturm ganz erheblich einschränken würde. Aber es schadet auch nichts, wenn man zunächst darüber anfängt zu schreiben, was man gut kennt. Nämlich sich selbst.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Möchtegernautorin

Interessanter Weise habe ich auch eine ganze Weile gebraucht, bis ich hinter das Ding mit der Motivation gekommen bin :) Entsprechend muss ich gerade da, wo ich das noch nicht getan habe, wirklich tiefgehender meine Antagonisten nochmal analysieren. Zumindest da, wo ich auch auf deren Perspektive zugreife, denn vor allem da muss sie ja für den Leser deutlich.

Zitat von: Tejoka am 04. März 2017, 16:08:25
@Drachenelfe: Jetzt bin ich neugierig auf deinen Roman geworden ;D
Falls du neugierig genug bist, ich suche derzeit noch Betaleser für den Blog-Roman ;)
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Tejoka

@Trippelschritt: Deshalb habe ich "böse" immer in Anführungszeichen gesetzt. Ich denke, wir versuchen alle, keine platten Bösewichter zu schreiben. Und ganz so ein blutiger Anfänger, dass ich nur über Alter Egos schreiben würde, bin ich auch nicht  ;)

@Drachenelfe: Ich habe zwar keine Erfahrung im Beta-Lesen, stelle mich aber gern zur Verfügung :)


Angela

Bei den Bösen verwurste ich gerne Leute, denen ich im Leben begegnet bin und die mich mit ihrer abgründigen oder schlicht dummen Grausamkeit schwer beeindruckt haben. Klar tobe ich mich dann auch mal aus und spiele böse Sachen/Rachegedanken durch, aber das geht immer nur bis zu einem bestimmten Punkt, dann wird mir vor mir selbst übel.

Antonia Assmann

Bei meinen "Bösen" steckt sehr oft derjenige drin, der ich gerne mal wäre - also was ich gerne gesagt hätte und natürlich wieder nicht getan habe. Da kann ich alle "bösen" Rachegedanken, die ich nie im Leben ausleben werde, reinpacken. Also nicht eins zu eins, aber es kommen schon so Sachen hoch und dann kann ich mich besser in die Figur hineinversetzen  ;D

Faye

In meinen Bösen steckt eher wenig von mir selbst drin. Wenn ich ihnen etwas von mir mitgebe, dann sind es meist ihre Ängste, Sorgen oder ähnliches. Ansonsten gebe ich ihnen meine positiven Eigenschaften  ;D
Also doch einiges, aber insgesamt finde ich mich in ihnen wenig wieder, aber mir ist es wichtig, dass ich ihre Ziele und Sorgen verstehe, denn dann kann ich sie leichter schreiben und ihre Handlungen besser absehen.

Cailyn

Ein Stück vom Bösen ist von mir sicherlich auch drin, aber eher im Sinne von Fragmenten. In meinem aktuellen Buch habe ich einen Antagonisten, der aus Missgunst und Neid zum Bösen wird. Ich selber war auch schon neidisch und missgünstig, aber nur zu einem gewissen Punkt und dann konnte ich es ablegen. Aber der Antagonist kann das nicht. Also steigert sich diese Missgunst und der Neid, und er handelt auf eine Weise, wie ich niemals handeln würde.

Insofern kann man schon sagen, dass auch im Bösen etwas von mir steckt. Aber eben nur ein Hauch davon.