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Zeitsprünge; Spannungserzeuger oder billige Effekthascherei?

Begonnen von Lukas, 20. Oktober 2016, 22:27:22

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Lukas

Es handelt sich ziemlich genau um obige Frage; ich habe in meinem momentanen Projekt von Anfang an einen ziemlich wichtigen Tod am Ende des Buches geplant. Es handelt sich um die Zwillingsschwester meines Protagonisten. Und weil ich nur sehr grob plotte und eine Weile nicht mehr weiter kam, aber genau wusste, wo der erste Roman (der Reihe, evtl. 2 Bände) hinwill begann ich die Szenen zu schreiben, die kurz nach dem Tod besagter Schwester von statten gehen. Nur zum Spaß habe ich jetzt immer eine Szene aus der "Zukunft" als Interponat zwischen meine andere Kapitel gestellt, da sie aus einer anderen Perspektive geschrieben sind merkt man das aber erst im Verlauf des Buches.

Jetzt meine Frage: Ist das zu komplex für ein Jugendbuch? Ist das überhaupt komplex? Oder ist sowas Effekthascherei? BIn da extrem unsicher. Ich habe inzwischen auf 4 Perspektivträger verzichtet, aus exakt dem gleichen Grund  ;) und das noch bevor der first-draft vorbei ist :P

Hat da jemand eine Meinung dazu?

Fianna

#1
Hm. Verstehe ich das richtig, dass Du die "Zukunftsszenen" gar nicht entsprechend kennzeichnest? Und den entsprechenden Erzähler auch nicht? Das halte ich für schwer umsetzbar. Also, in dem Sinne umsetzbar, dass die Masse Deiner Leser es trotz der Unklarheiten bis zum Ende durchhält und dann noch versteht.

Was soll denn das Ziel dieser Zeitsprünge sein - schöne Stellen des First Draft behalten und gleichzeitig Verwirrung stiften?

Klassischerweise werden solche Zeitsprünge genutzt für Hintergrundwissen / Infodump, oder um Spannung zu erzeugen. Beispielweise Rückblenden zum Erleben des Todesopfers, wodurch der Leser einen Informationsvorsprung vor dem Detektiv bekommt oder das Grauen hautnah miterleben soll. Oder bei zukünftig spielenden Szenen werden diese oft eingespielt, weil sie eine gegensätzliche Position des POVs (in Bezug auf die Einstellung / Motivation oder auf die tatsächliche Position / Beruf / Status) zeigen. Durch den Gegensatz wird die Spannung erzeugt: wie kommt er dahin? Warum hat er seine Absichten geändert / seine Position verloren?


Was ist denn, mit Deinen eigenen Worten umschrieben, Sinn und Zweck Deiner Zukunftsszenen?

Lukas

Ich neige dazu Kapitel mit eindeutigen Cliffhangern abzuschließen, die am besten funktionieren wenn man im nächsten Kapitel von jemand anderem/einer anderen Perspektive/Zeit hört. Meine Kapitelenden haben immer etwas Finales, was es für mein Sprachgefühl unmöglich macht im nächsten Kapitel an exakt der gleichen Stelle weiter zu machen. Das war der ursprüngliche Grund warum ich mit den Interponaten angefangen habe.
Das wechseln der Perspektive war zuerst dem Umstand geschuldet, dass ich mehrere Protagonisten habe und von allen PoVs geschrieben habe. Inzwischen habe ich aber ein Gedankenspiel daraus gemacht. Ganz im  Sinne deines letzten Punktes
ZitatDurch den Gegensatz wird die Spannung erzeugt wie kommt er dahin? Warum hat er seine Absichten geändert / seine Position verloren?

Man erfähr im ersten Vorgriff, dass jemand wichtiges im Leben der erzählenden Person gestorben ist, weil sie auf einer recht großen Beerdigung ist und trauert. Auch wird klar, dass es eine der im Buch getroffen 6 Hauptpersonen sein muss, die gestorben ist. Interponat für Interponat erfährt man mehr über den Erzähler/die Erzählerin (er/sie ist völlig anders geschrieben als mein eigentlicher Protagonist). Im Laufe der Zeitsprünge in die Zukunft geht der/die Protagonist/in auf die Suche nach den übrig gebliebenen Mitgliedern der Gruppe. Man trifft sie nach und nach völlig verändert, im Vergleich zu Ihren früheren Erscheinungen. Dem Leser bleibt so das Rätsel, welcher der Hauptcharaktere nun gestorben ist, während sich die übrig gebliebenen nach und nach finden und auf die Suche nach den verlorenen Mitstreitern machen. Ich verwende es also um eine gewisse Spannugn aufzubauen.
Der Perspektivwechsel erfüllt insofern seinen Zweck, dass er im dritten oder vierten Interponat aufgelöst wird und so die Spannung über den Verbleib des bisherigen Protagonisten erhöht. Ich glaube ich rede unorganisiert.....

Ich wollte gar keine spezielle Antwort auf meine Frage(auch wenn ich dankbar bin, wenn jemand versuch aus meinem Gelaber schlau zu werden), ich wollte vielmehr eine grundsätzliche Meinung zu Vorgriffen in Büchern. Ein Beispiel wäre "Der Name des Windes" bei dem man von Anfang an weiß, dass der Hauptcharakter überlebt aber schwer psychisch geschädigt ist.

Klecks

Also, ich finde die Idee toll. Zu wissen, dass jemand tot ist, zu wissen, was das mit den anderen Figuren macht, aber nicht zu wissen, wer der Tote ist und wie das alles passiert - für mich klingt das enorm spannend.  :D  Ich finde, dass man solche dramaturgischen Mittel nicht immer rechtfertigen müssen sollte, sonst ist irgendwann alles, was wir Autoren Spannendes schreiben wollen, Effekthascherei.

Und um jetzt zu Vorgriffen allgemein etwas zu sagen: Da muss ich die klassische, wenig hilfreiche Antwort geben, dass es für mich aufs Projekt und noch mehr auf die Umsetzung ankommt. "Der Name des Windes" ist für mich ein Beispiel, in dem der Vorgriff gut gemacht ist (ich finde das Buch an sich langweilig und nicht gut, aber das tut hierfür nichts zur Sache): Man kennt die zukünftige Situation, aber man hat keine Ahnung, wie es dazu gekommen ist. Das lässt genug Freiraum, um noch mitzufiebern, wenn die Hauptperson ihre Geschichte erzählt, weil man nichts weiß, außer, dass sie irgendwann in einem Gasthaus sitzen wird, noch dazu mit einer recht interessanten Nebenfigur (ich rede von Bast), die neugierig macht.

Schwierig werden Vorgriffe für mich, wenn sie zu viel von der Handlung preisgeben und es kaum mehr Gelegenheit gibt, mitzufiebern, weil man zu genau weiß, was geschieht. Der Reiz muss ausreichen, trotz dem Vorgriff das Buch lesen zu wollen, sonst ist der Vorgriff ein falsch eingesetztes Stilmittel. Außerdem muss etwas geboten werden, das neugierig macht, zum Beispiel die erwähnte interessante Nebenfigur, etwas, von dem im Vorgriff noch nicht die Rede war, irgendein interessanter Subplot, der ermöglicht, dass man nach dem Vorgriff trotzdem noch spannende Fakten erfährt und gewisse Dinge noch nicht weiß.

Das ist meine Meinung zu diesem Thema. Ich finde, Vorgriffe sind ein tolles Stilmittel, mit dem man viel erreichen kann, aber nur, wenn sie richtig eingesetzt werden, sonst vermasseln sie einem schnell das Projekt.

Araluen

Der Vorgriff darf nicht zu viel verraten, aber an der richtigen Stelle eingesetzt, ist er ein gutes Mittel um Spannung zu erzeugen und den Leser an die Geschichte zu binden, selbst wenn das folgende erst einmal weniger spannend sein sollte, aber für den Plotaufbau einfach wichtig ist. Wenn du die Befürchtung hast, es könnte Effekthascherei sein, dann solltest du noch einmal nachforschen, weshalb du es tust. Für ein Jugendbuch ab 10 oder 12 finde ich einen Vorgriff auch tragbar, selbst wenn er nciht eindeutig als solcher markiert ist. Die Jugend ist ja zum Glück nicht so doof, wie man manchmal annehmen möchte, sondern im Gegenteil sehr findig und imstande auch komplexere Zusammenhänge zu begreifen. Man sollte nur nicht die Geschichte mit solchen Vorgriffen fluten, sodass der Leser bald gar nicht mehr weiß, in welcher Zeit er sich eigentlich befindet. Einfacher, gerade für Jugendliche, wird es, denke ich mal, auch, wenn du dir feste Plätze für diese Vorgriffe suchst - alle drei Kapitel zum Beispiel. Dann treten sie in einer gewissen Regelmäßigkeit auf und Muster helfen immer den Überblick zu behalten.

Bei "Lycidas" von Christoph Marzi gab es auch einen netten Vorgriff, der auch sehr gut an diese Stelle passte. Das Buch ist im Grunde in zwei Teile geteilt.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Nach dem ersten Teil ist man eigentlich in der guten und zufriedenen Stimmung das Buch als beendet zur Seite zu legen, aber es geht nun einmal weiter mit frei zusammengefasst diesen Worten:
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Na, wenn so ein Einstieg nicht wach rüttelt aus der süßen und zufriedenen Lethargie. Da hat es dann auch nicht gestört, dass zunächst ein wenig normaler Alltag eingestreut wurde, da einfach etwas Zeit vergehen musste, ehe die eigentlichen Probleme begannen.

Tanrien

#5
ZitatSchwierig werden Vorgriffe für mich, wenn sie zu viel von der Handlung preisgeben und es kaum mehr Gelegenheit gibt, mitzufiebern, weil man zu genau weiß, was geschieht.
Das ist bei deinem mit eingeschlossen, aber für mich ist es auch gerade die Antwort der Hauptfrage bzw. des Hauptplots des Buchs, der durch die Vorgriffe nicht verraten werden sollte. Ganz schlimm finde ich es bei "klassischen"/nach Genre-typischem Schema ablaufenden Liebesgeschichten, wo ein wesentlicher Teil der Spannung durch "Will they, won't they" entsteht und auch, wenn man natürlich weiß, dass die Antwort "they will!" ist, ruinieren Vorgriffe - auch wenn sie sich gar nicht explizit darum drehen, sondern es nur tangieren - für mich da das ganze Buch. Um das abschätzen zu können ist es natürlich wichtig, zu wissen, was die Hauptfrage überhaupt ist.

Wie bei vielen Stilmitteln, würde ich auch sagen, dass eine frühe Einführung wichtig ist. Also nicht erst im zehnten von fünfzehn Kapiteln mit den Zukunftsszenen anfangen, weil sie meine Erwartungsparameter als Leser ja schon stark beeinflussen. Am Anfang des Romans bin ich dafür noch offen, aber später will ich eigentlich schon wissen, was ich spannend finde.

Gerade aber beim First Draft und wenn noch ein weiteres Buch folgen soll, kann man diese Szenen ja auch gut hin und her schieben und schlicht gucken, wo sie am besten passen.

Churke

Ehrlich gesagt hat mich so etwas noch nie überzeugen können. Meistens endete es damit, dass ich einen Erzählstrang präferierte und den anderen eher als lästige Seitenschinderei empfand. Es ist noch niemandem gelungen, seine 2 Zeitebenen so zu verknüpfen, dass ich beide unbedingt lesen wollte. Dass man straflos ganze Kapitel überblättern kann, um mit dem präferierten Helden weiterzufieberm, macht die Sache nicht besser.

Ich würde davon abraten. Wenn du die Geschichte erzählen willst, dann erzähl sie, aber gib ihr ein eigenes Buch. Wenn du meinst, dass sie das nicht wert ist, bist du wenigstens um eine Erkenntnis reicher.

canis lupus niger

Ich sag es mal so: Wie billig der Effekt wirkt, liegt in der Hand des Autors. Wie alle anderen auch kann man dieses Stilmittel gut oder schlecht einsetzen. In viele sehr guten Büchern hat das gut funktioniert.