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Muss jeder Charakter relevant für die Handlung sein?

Begonnen von Wolkentänzerin, 13. September 2016, 22:07:52

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Wolkentänzerin

Ich bin gerade dabei, den Anfang meines neuen Projekts zu schreiben, und mir ist dabei aufgefallen, dass viele Nebencharaktere im ersten Kapitel auftreten, wo ich nicht weiß, ob ich sie später noch "benötige" oder "benutze". Das liegt vor allem, daran, dass nach wenigen Kapiteln sich der Ort der Handlung wandelt und ich noch nicht genau weiß, in wie weit der Protagonist wieder zurück kehren wird.

Dadurch habe ich mir Gedanken gemacht, ob es nicht völlig sinnlos ist, diese Charaktere zu Beginn vorzustellen, wenn sie nicht unbedingt relevant für die Handlung sind. Sie schmücken das erste Kapitel aus, welches aber eher ein "Vorspann" zur eigentlichen Handlung ist. Ich habe einen der Nebencharaktere schon lieb gewonnen und mich gefragt, was passieren würde, wenn ich ihn einfach weglasse. An der Handlung würde nichts geschehen, außer, dass das erste Kapitel seine Lebendigkeit verliert.

Ich habe ein wenig nachgedacht und vor allem mit dem Buch verglichen, was ich gerade lese ("Die rote Königin"). Mir ist aufgefallen, dass eigentlich jeder Charakter, der dort vorgestellt wurde, auch eine tragende Rolle für die Handlung hat. Ansonsten wurden Namen nicht genannt. Jeder wird noch einmal wichtig im Laufe des Buches.

Wie ist das bei euch? Habt ihr Personen, die die Handlung nicht wirklich voran bringen? Wenn ja, streicht ihr sie dann, falls ihr so etwas bemerkt? Ich habe schon öfter gehört, dass viele bei Szenen da großen Wert darauf legen, dass sie nicht "unnötig" sind.
Ich freue mich auf eure Antworten.

Ich hoffe, der Thread ist hier richtig gelandet, durch die Suchfunktion konnte ich keinen spezifischen Thread zu dieser Thematik finden.

Araluen

Also ein Statist, der nur einmal durch den Raum läuft, muss jetzt nicht unbedingt vorgestellt werden. Die Figuren sollten für mich schon einen Mehrwert in der Geschichte haben. Wenn dieser Mehrwert darin liegt, dass das Kapitel lebendig ist, dann reicht das vielleicht sogar als Begründung. An deiner Stelle würde ich sie erst einmal drin behalten. Was man hat, hat man. Wer weiß, ob du sie noch einmal brauchst? Und wenn du eine Figur lieb gewonnen hast, dann wird sie auch ihren weiteren Weg in die Handlung finden. Ansonsten kannst du die Figuren immernoch streichen, wenn du fertig bist. Das erste Kapitel wird meistens ohnehin mehr als einmal geschrieben ;)

Lothen

Hm, also ich finde, Charaktere können auch ganz andere Funktionen erfüllen, als nur die Handlung voranzubringen. Sie können die Welt mit Leben füllen, den Protagonisten durch seine Interaktionen charakterisieren und politische oder gesellschaftliche Hintergründe illustrieren.

Ich denke, man muss nicht jedem Nebencharakter eine komplexe Einführung oder wilde Hintergrundstory auf den Leib schneidern, aber wir begegnen in unserem Leben ja auch Personen, die nicht gleich unser ganzes Dasein beeinflussen. Ich glaube, mir käme es sogar ein wenig konstruiert vor, wenn wirklich jede Nebenfigur plötzlich eine Schlüsselrolle im Plot spielt.

/EDIT: Hat sich mit Araluen überschnitten. Die Unterscheidung zwischen Figur und Statist finde ich auch wichtig, wobei selbst Statisten einen Namen haben können, wenn es eine Funktion erfüllt.

Sukie

Ich sehe das ganz genauso. Frei nach der Devise...löschen kann man am Ende immernoch. Besser so, als sie später doch zu missen. Und coole Nebencharaktere tragen viel zur Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit einer Welt bei. 
"Impossibility is a kiss away from reality." (Sense8)

Mondfräulein

Jede Figur im Roman muss zumindest eine Funktion für irgendetwas haben. Ob für die Handlung oder um das Umfeld der Figur zu repräsentieren, den Roman und das Setting mit Leben zu füllen... einen Grund sollte es schon haben, dass die Figur vorkommt. Wenn man sie weglassen könnte und dem Roman würde es an nichts fehlen, nicht nur von der Handlung her, dann sollte man sie weglassen. Aber die Funktion muss eben nicht nur beinhalten, die Handlung voran zu bringen. In meinem Roman kommen viele Figuren vor, die man von der Handlung her weglassen könnte, aber dann würde der Roman ziemlich leblos wirken, wenn immer nur dieselben fünf Figuren vorkommen. Eine Figur beispielsweise, die alkoholkranke Mutter des Protagonisten, ist nur dazu da, den Hintergrund und Konflikt der Hauptfigur zu verdeutlichen und an einer Stelle Informationen weiterzugeben, die das Setting lebendiger machen. Sie trägt nichts zur Handlung an sich bei, aber sehr viel zum Roman und die Szenen mit ihr werden denke ich ziemlich gut.

Gerade am Anfang würde ich aber versuchen, weniger Figuren einzuführen. Hier muss man sich erst auf den Roman einstellen und zu den wichtigen Figuren schon so viel Wissen aufsaugen und verinnerlichen, dass gerade hier "unnötige" Figuren leicht stören können, weil sie noch mehr Informationen und Details einstreuen. 10 Figuren am Anfang werde ich mir nie merken können, aber vier Figuren am Anfang und die anderen nach und nach im Laufe des Buches eingestreut sind kein Problem. Am Anfang sollte man den Leser nicht mit zu vielen Informationen überfordern, denn er kann noch nicht differenzieren, was für das Buch wichtig ist und die wichtigen Informationen gehen so leicht unter.

Tigermöhre

Ich führe im ersten Kapitel auch so einige Nebencharaktere ein, von denen ich nicht weiß, ob ich sie später noch brauche. Und jedes Mal, wenn ich einen neuen brauche, überlege ich, ob ich nicht einen bereits vorhandenen dafür nutzen kann. So halte ich meine Nebencharaktere überschaubar, und sie sind dann doch wichtiger, als vorher gedacht. Und rausstreichen oder zusammenfassen kannst du sie ja immer noch.

Ich gebe zwar nicht jedem Händler einen Namen, aber wen mein/e Prota kennt, der bekommt einen Namen. Mir ist es mal in einem Roman sehr negativ aufgefallen, dass die Autorin es nicht für nötig gehalten hatte, die relativ unwichtigen Onkel und Tanten des Protas zu benennen. Die hießen einfach "die Onkel und Tanten" und ich habe nichtmal herausgefunden, wie viele diese ominösen Verwandten waren.

Romy

Die Unterscheidung zwischen Nebenfigur und Statist finde ich auch wichtig. Statisten können ja viele drin sein und auch einen Namen haben, das stört nicht, aber darüber hinaus werden Statisten eigentlich nicht weiter "vorgestellt". Sie tauchen mal kurz auf und sind wieder weg. Nebenfiguren, die später noch mal vorkommen, kann man ausführlicher beschreiben und vorstellen. Als Leser geht man natürlich davon aus, dass eine Figur, die näher beschrieben wird, auch noch irgendwie wichtig ist, ob sie nun die Handlung voran bringt, oder zu irgend etwas anderem beiträgt.
Mir geht es aber auch oft so, dass Figuren, die ich anfangs für Statisten hielt, sich im Laufe der Handlung zu (wichtigen) Nebenfiguren mausern, bzw. gab es auch schon den umgekehrten Fall. An Deiner Stelle würde ich erst mal weiter schreiben. Falls Du am Ende feststellst, dass die Figur nicht weiter auftaucht, kannst Du sie später beim Überarbeiten immer noch entweder komplett löschen, oder die ausführliche Beschreibung im ersten Kapitel entsprechend anpassen, damit der Leser sie nicht für wichtiger hält, als sie am Ende ist. Aber falls sie doch wieder auftaucht und noch eine Bedeutung hat, hast Du schon ein gutes Fundament geschaffen. :)

Wolkentänzerin

Danke erst einmal für eure Antworten. :)

Ich bin ziemlich erleichtert, dass ihr das alle ähnlich seht wie ich, und nicht jede Figur unbedingt sehr wichtig für die Handlung oder eben auch die Weitergabe von Informationen sein muss. Dass sie nicht ohne Grund da sein darf, ist mir auch klar. Aber das Flair, wie schon gesagt, spielt ja auch einen wichtigen Punkt. In dem Fall muss ich mir später noch überlegen, welche dieser Nebenpersonen/Statisten jetzt wirklich bei Namen genannt werden müssen. In dem Fall habe ich aber das Problem, dass diese Personen vorkommen müssen, jedoch ich sie eigentlich nicht alle beschreiben möchte. (Es handelt sich unter anderem um 5 Geschwister, davon habe ich 3 mit Namen vorgestellt.) Allerdings wäre es ja auch unlogisch, wenn die Ich-Erzählerin die Personen nicht bei Namen nennt, wenn sie die Namen kennt... Aber das ist noch einmal eine andere Frage.
Außerdem, kürzen kann ich wie gesagt immer noch.
Romy, deinen Beitrag fand ich auch noch sehr gut, an diese Unterscheidung hätte ich jetzt gar nicht gedacht. Aber ein wichtiger Punkt.

criepy

An sich würde ich sagen, dass du jetzt nicht jeden Charakter in einem größeren Absatz vorstellen musst. Wenn du das möchtest, kann man das ja in der Handlung des Kapitels natürlich mit einbinden. Charakter ausführlich einzuführen, die keinen eigenen Satz haben oder nicht einmal wirklich vorkommen, würde ich jedoch lassen, wenn das alles nur im ersten Kapitel Relevanz zeigt. Ich bin auch allgemein eher ein Freund davon, wenn Charakter erst vorgestellt werden, wenn sie ihren ersten Auftritt haben.
Allgemein würde ich von langen Beschreibungen absehen, wenn es sich erst um das erste Kapitel handelt. Ich fühle mich auch immerzu erschlagen, wenn man im ersten Kapitel erstmal nur jede Menge Beschreibungen erhält. In der kürze liegt die Würze.
Was ich aber problematisch finde, ist dieses Namedropping. (Mir fällt gerade keine kurze deutsche Bezeichnung ein.) Das kann einen vor allem am Anfang extrem schnell verwirren.

Aber ich stimme meinen Vorpostern zu, man kann das ja noch immer alles streichen und kürzen wie man möchte. Vorher vielleicht jemanden drüber lesen lassen, nach dem Motto "Welche Figuren könnte ich rausnehmen?" oder so.

Sternsaphir

Es kommt darauf an, wie weit der Charakter im Plot eine Rolle spielt.
Soll er nur das Szenario beleben, bleibt er eher ein namenloser Statist, der durch das Bild huscht.
Wechselt der Prota ein paar Worte mit ihm, könnte eventuell noch ein Name fallen.
Je mehr Einfluss der Charakter auf die Geschichte hat, desto mehr gebe ich von ihm preis und er wird vom Statist zum Nebencharakter.

Daher finde ich es manchmal verwirrend, wenn voll ausgearbeitete Charaktere plötzlich nicht mehr erwähnt werden, weil sie nur eine winzige Nebenrolle hatten.
Aber es hängt von der Rolle ab.
Ich neige dazu, dass ich gerne im Prolog oder im ersten Kapitel einen Nebencharakter einbaue, der quasi die Einleitung darstellt.
z.B. der alte Geschichtenerzähler, der eine Sage vorträgt. Oder ein Mädchen aus dem Dorf, das der neuen Bedrohung aus dem Wald zum Opfer fällt.
Um dann diese Charaktere später nicht völlig aus den Augen zulassen, stricke ich oft einen Übergang weiter später in der Geschichte, wo diese Personen nochmal vorkommen. z.B.  findet der Prota bei seiner Erkundung die Leiche des Mädchens oder er trifft sie als alte Frau, die damals vor der Gefahr doch noch hatte fliehen können.

Cailyn

Nebencharaktere können einen tollen Charme haben. Und das dürfen sie auch. Aber gerade im ersten Kapitel sind sie für mich ein rotes Tuch. Das ist für ich als Leserin nur anstrengend,vor allem, wenn ich nicht weiss, ob ich mir diese alle merken muss. Von daher würde ich im ersten Kapitel nur Hauptfiguren und Wenig Nebenfiguren nehmen.

Churke

Ich führe Figuren erst ein, wenn sie durch Handlung hervortreten. Wer sich in der Statisterie bewegt, wird vielleicht mal mit einem Nebensatz erwähnt. Vorstellung erst bei Betreten des Rampenlichts.

Big Kahuna

Ich habe anfangs auch dazu geneigt, wirklich jede Nebenfigur detailliert vorzustellen, einfach nur, damit der Leser ein Bild vor Augen hat. Wurde aber mehrfach als negativ empfunden, zumindest dann, wenn diese Figur nur einen Auftritt im ganzen Buch hat.
Ansonsten finde ich aber, dass man Nebenfiguren - sofern sie das Kapitel wie bereits erwähnt auf irgendeine Form bereichern (ich z.B. habe einen alten Knecht, der den ganzen Tag über einen nicht anwesenden Ritter schimpft, was das Lesen sehr unterhaltsam macht, wie ich mir habe sagen lassen) - durchaus vorstellen darf. Vielleicht nicht unbedingt so detailliert wie Hauptfiguren, aber zumindest so, dass man als Leser eine grobe Vorstellung hat.

Aber für einen einzigen Auftritt kann man sich die Mühe sparen.

zDatze

Statisten können sehr viel zum Ambiente beitragen, seien es Kleidung/Verhalten/Gesten ... mir kommen Geschichten oft sehr leer vor, wenn man zwar eine riesige Welt baut, sich aber dann um die Menschen, die dort wohnen nicht wirklich Gedanken macht. Dann wandert der/die Prota durch ewig lange und einsame Straßen und begegnet keiner Menschenseele, obwohl er/sie sich in einer Metropole befindet.

Vielleicht tummeln sich in meinen Geschichten ein paar Statisten, die ich durchaus streichen könnte, aber da mache ich mir beim Schreiben weniger Gedanken. Das ist für mich etwas, worauf ich primär beim Überarbeiten achte.

Lucien

Ich sehe es, wie die anderen hier auch. Ich würde nicht unbedingt zu viele Nebenfiguren gleich im ersten Kapitel einführen, aber sie dürfen durchaus in der Geschichte vorhanden sein, um zum ganz besonderen Flair beizutragen.
Bei mir persönlich ist es so, dass ich diese Nebenfiguren dann nach und nach vorstelle und je häufiger sie auftauchen, desto besser lernt man sie kennen. Wie im echten Leben. In manchen Situationen tauchen diese Nebenfiguren auch automatisch auf. Wenn der Held z.B. regelmäßig in einem bestimmten Wirtshaus einkehrt, wird er zwangsläufig auch mit dem Wirt/der Wirtin bekannt sein. Eine solche Figur führe ich dann auch kurz mit Namen und einer groben Beschreibung ein.

Mir ist es auch mal passiert, dass explizit nach einer Nebenfigur verlangt wurde. Ich habe mein Herzenprojekt meiner Schwägerin zum Lesen gegeben und mein Bruder bekam ein bisschen was davon mit. Da auch ein König eine größere Rolle spielt, fragte mein Bruder mich, ob denn auch ein Hofnarr vorkommt und war ganz empört, als ich das verneinte. Es scheint also auch Nebenfiguren zu geben, die bei Lesern gerne gesehen sind oder deren Existenz bewusst oder unbewusst vorausgesetzt wird, ob sie nun eine wichtige Rolle spielen oder nicht. :hmmm: