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Erzählkunst

Begonnen von Trippelschritt, 08. Juli 2016, 21:09:04

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Trippelschritt

Stellen wir uns einmal vor: Wir haben uns interessante Figuren einfallen lassen. Wir haben einen Plot erfunden, der deutlich vom Schema "Märchenprinz tötet Drachen und bekommt dafür die jungfräuliche Prinzessin und das halbe Reich dazu" unterscheidet. Unser Schreibstil ist flüssig und korrekt und unser Wortschatz groß. Und jetzt erzählen oder schreiben wir, was ist und was geschieht. Und das Ergebnis ist höchstens mittelmäßig oder noch geringer, wenn wir den Kreis unserer Freunde und Verwandte unberücksichtigt lassen. Und der Grund? Schlecht erzählt. Offensichtlich reicht nicht aus, was wir angeboten haben. Und deshalb die Frage:

Was macht ihr, um so zu erzählen, dass die Leser in die Geschichte hineingezogen werden, denn es genügt nicht etwas Gutes zu schreiben, es geht auch darum, wie man es schreibt. Also: Was macht ihr?

Liebe Grüße
Trippelschritt
(wie immer neugierig)

Phea

#1
Ich versuche es mit perspektivwechsel. Leider gelingt es mir nicht so, wie ich es gerne hätte.
Ansonsten probiere ich einfach das Motto "wenn du Leser wärst". Heißt also: ich versuche mir vorzustellen, dass ich das Buch zum ersten Mal lese. Dann stelle ich mir die Fragen: "ist das logisch? Wie ist der Spannungsbogen? Passt die Wortwahl zu der Zeit?"
Und als letztes: in Schlachten oder besonders spannenden Szenen versuche ich es so zu beschreiben, als würde es schnell hintereinander passieren - was ja auch meistens der Fall ist. Ich möchte den Adrenalinschub möglichst genau hinbekommen und die Gefühle des Protagonisten rüber bringen, ohne viel auszuschmücken.

Das Wichtigste aber: ich schreibe nach Gefühl.

Tanrien

#2
Meinst du "schlecht erzählt" wie in "schlechter Sprachfluss/Wortwahl/etc." oder wie in "schlechte (Plot-/dramaturgische) Komposition/Vermittlung der Ideen/etc."?

Bei zweiterem kann man gut mit Betalesern arbeiten, die auf Struktur und Spannung achten können. Kann man selber vermutlich auch machen, wie @Macpheana beschreibt mit dem von Außen herantreten, aber eine ganz andere Perspektive macht das nochmal einfacher. Bei ersterem kann man sicher auch Betaleser verwenden, allerdings bezweifle ich persönlich sehr, dass Sprache so wichtig ist und würde das nicht als Grund für den ausbleibenden Erfolg betrachten. Grammatikalisch okay und semi-verständlich scheint für die meisten Bücher mit ausreichendem Erfolg auszureichen, schöne Sprache ist dagegen ein nicht unbedingt nötiges Sahnehäubchen.

Trippelschritt

Zitat von: Tanrien am 08. Juli 2016, 21:23:11
Meinst du "schlecht erzählt" wie in "schlechter Sprachfluss/Wortwahl/etc." oder wie in "schlechte (Plot-/dramaturgische) Komposition/Vermittlung der Ideen/etc."?

Es ist eher die zweite Alternative, aber ich hätte es gern positiv gesehen. Wenn man Fehler macht, ist das Ergebnis immer schlecht. Aber wenn man keine Fehler macht, ist das Ergebnis noch lange nicht gut. Es gibt geborene Erzähler. Ich kenne mindestens zwei aus meinem Bekanntenkreis. Wenn die etwas erzählen, sei es über eine überstandene Operation oder ihre erste Begegnung mit Paul XYZ, hängen alle an ihren Lippen. Es gibt auch solche Schriftsteller, die oft aus einer ganz bestimmten Tradition herkommen. Iren zum Beispiel. Wer aber gekonnt eine Erzählung schreiben will, muss sich ein paar Gedanken machen, wie er anstellt, dass es gut wird. Und diese Dinge stehen nicht in Schreibratgebern. Oder nur ein kleiner Teil davon.

Ich würde ja gern ein paar Beispiele aus meiner eigenen Küche geben, aber ich bin Bauchschreiber mit einer ganz bestimmten Bauchschreibertechnik, die wohl kaum allgemeingültig ist. Aber was ich sagen kann, ist, dass ich auf die Idee zu diesem Thread unter der Dusche kam. Ich hatte gerade eine Szene umgeschrieben, weil ich etwas einfügen musste, und sie auch gleich dabei verbessert. Und unter der Dusche fiel mir Auf oder ein, dass das, was ich da verbessert habe, das Potential dieser Szene höchstens zu vierzig Prozent nutzt und mir, als ich wieder trocken war, gleich ein paar Notizen gemacht. Und über solche Dinge liest man nichts in Schreibratgebern. Also habe ich mir gedacht, sammele ich mal bei euch.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Akirai

Zitat von: Trippelschritt am 08. Juli 2016, 21:46:02
Also habe ich mir gedacht, sammele ich mal bei euch.

Also wenn hier jemand ein Masterrezept hat, nach dem suche ich auch schon ewig  ;D
Nein, Scherz beiseite - wobei, es war eigentlich kein Scherz. Ich stelle mir diese Frage auch: Wieso klingt der und der Text gerade bescheuert langweilig / nüchtern / neutral / beliebiges Wort einsetzbar [...] und der andere Text reißt mich mit und lässt mich nicht mehr los? Und wieso liegt im besten Fall gerade mal ein Tag zwischen beiden Texten?
Auch ich stelle mir diese Frage. Und die Antwort, die ich bis jetzt gefunden habe, lautet: Ich habe beim ersten Text nicht nachgedacht.
Ich habe beschrieben, erzählt, die Geschichte meinetwegen nachgefühlt und war im Flow und und und.
Aber ich habe nicht gedacht.

Und daher dürfte das Geheimrezept tatsächlich sein:

Zitat von: Macpheana am 08. Juli 2016, 21:18:12

das wichtigste aber: ich schreibe nach Gefühl.

Ich korrigiere hier mal dezent, da ich ansonsten ganz bei dir bin, @Macpheana  ( :-* ):

ZitatDas Wichtigste aber: Ich schreibe nur mit Gefühl.

Jetzt fehlt mir nur noch der Masterplan, wie ich beim Schreiben meinen blöden Kopf ausschalten kann ....

LG
Aki

Maubel

Ich muss gestehen, ich verstehe nicht so ganz, was du mit gutem erzählen meinst. Für mich ist das zuallererst der Stil - der muss flüssig und mitreißend sein und dann die Charaktere und der Plot. Im Grunde, also all die Zutaten, die du in deinem ersten Posting nennst. Wenn die alle gut sind, dann ist meiner Meinung nach auch das Endprodukt gut. Was die Zutat Erzählkunst ist, erschließt sich mir aber noch nicht so wirklich.

Wie ich eine Szene oder das Buch gut mache, das kommt bei mir erst in der Bearbeitung. Zuallererst schreibe ich die Geschichte, die hat schon mal Plot und Charaktere und mehr oder weniger Stil. Dann kommt die erste Überarbeitung und zwar nachdem das Buch für längere Zeit in der Schublade war, damit man einen möglichst unverfänglichen Blick drauf hat. Nun manche können das, manche nicht - aber es ist wichtig, das Buch möglichst objektiv zu sehen - Ich lese das Buch komplett und schreibe mir alles an den Rand, was mir dazu einfällt. Dabei achte ich aber nicht penibel auf Grammatik/RS/Stil, sondern erst mal das grobe: Funktioniert der Plot - ist die Szene wichtig - Hat der Charakter einen runden Bogen? Was brauche ich noch um die Geschichte zu erzählen? Aber auch, hey, das war toll oder soooo traurig. Wenn mich meine eigene Geschichte mitreißt, dann bekommt sie auch ein Smiley.
Das ist die Grundlage für die erste Bearbeitung. Nach dieser sollte alles logisch und in sich rund sein. Augenmerk liegt auf sollte - das kann man ab einem gewissen Grad einfach nicht selbst beurteilen. Also gehts bei mir zu den ersten zwei Testlesern. Die Kommentare verarbeiten, ist dann Überarbeitung Nr. 2. Soweit so gut.
Gehen wir mal davon aus, dabei kam jetzt nichts unglaublich groß unterschiedliches heraus, dass wir noch mal einen Testleser brauchen, um zu schauen, dass wir das jetzt auch wirklich hinbekommen und nicht verschlimmbessert haben. Dann erst beginne ich nämlich mit dem Lineedit und da fummel ich an den einzelnen Wörtern herum, bis mir jeder einzelne Satz gefällt. Und an der Stelle wird auch geschnitten, wie bei einem Busch, alles überflüssige (Redundanzen, Tangenten, etc.) raus. Ich stelle mir dir Arbeit dabei gerne wie ein lose gewebten Stoff vor und was ich jetzt tue, ist die Maschen festziehen, bis jedes Wort zählt und jede Szene genau so wirkt, wie sie wirken soll, z.B. auch vom Passiv ins Aktiv. Diese Überarbeitung ist die ätzendste ;) Das Buch hängt einem zum Halse raus und man kommt kaum voran, weil man teilweise eine halbe Stunde oder länger an einem Absatz hängt, aber es lohnt sich - danach ist das Buch poliert.
Und danach? Dann geht es noch mal zu einem bisher unbenutzten Testleser und man hofft, dass der jetzt bloß nicht noch was Inhaltsmäßiges findet ;) Also meine Methode ist intensives Überarbeiten - dafür gibt es übrigens auch Ratgeber, z.B. Self-Editing for Fiction Writers (Browne & King) Ich habe ihn noch nicht gelesen, aber schon mal durchgeblättert und oh ja, da gibt es noch viele Überarbeitungsdurchgänge, die man machen könnte oder Dinge auf die man achten sollte um das Buch auf Hochglanz zu polieren.

Also meine Methode steckt komplett in der Überarbeitung um aus der tollen Geschichte auch ein gutes Buch zu machen :)

Dämmerungshexe

Den Leser ansprechen, ihm Rätsel stellen, sie ihn selber lösen lassen, ihm Dinge geben die er wieder erkennt, Aha!-Erlebnisse, Indentifijation ermöglichen - Spannung aufbauen - Katharsis, Timing, andeuten - ankündigen - auflösen, mehr verraten als der Protagonist weiß, Klammern bilden (Szenen am Anfang und am Ende die gleich/ähnlich sind), Details an denen er sich festhalten kann (Requisiten, Charakterzüge, Ticks, ...), Spiegel bauen (Charaktere oder Szenen die sich ähneln aber andere Vorzeichen und Ergebnisse haben), Verweise und Zitate anderer Werke, ...

Nein, ich plane so gut wie nichts davon, es passiert einfach. Die Kunst ist es zu erkennen und herauszuarbeiten. Nicht alles wird bewusst wahr genommen, aber unbewusst - erst wo Fehler und Ungereimtheiten sind fällt es auf.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Siara

Bestimmt gibt es irgendwo irgendwelche ganz schlauen Analysen dazu, warum manche Texte den Leser einfach hineinziehen und unterhalten und andere nicht. Allerdings möchte ich meine romantische Vorstellung, dass manch Worte eben einfach richtig und magisch sind, gern behalten. :P

Beim Schreiben ist mein Ziel immer, eine Szene zu schreiben, als wäre sie eine Kurzgeschichte. Kurzgeschichten nämlich sind der Natur nach mehr als bloßes Abrollen von Handlung in passabler Sprache, sondern sie entstehen zum Selbstzweck. Und genau so müssen sich in einem guten Buch meiner Meinung nach alle Szenen, am besten alle Sätze lesen lassen: Niemals nur, um das Geschehen voran zu treiben zu einer Stelle, an der es wieder spannend wird. Sondern auch für sich selbst genommen unterhaltsam, entweder durch schlagfertige Gespräche, durch eine kleine Zwischenpointe, etc.

Trotzdem glaube ich, dass es etwas auf tieferer Ebene gibt, das den Menschen (oder zumindest einige) besonders anspricht. Manchmal merke ich beim Lesen, dass ein Schreibstil nicht gerade überragend ist oder es den Charakteren an Glaubwürdigkeit fehlt, und trotzdem kann ich das Buch nicht zur Seite legen. Ein schöner Schreibstil mag wirksam sein, aber offenbar gibt es noch andere Faktoren, die einen Sog entwickeln können. Aber diese benennen? Vielleicht ist es die Authentizität, weil ein Autor im Moment des Schreibens so sehr mit der Welt, der Geschichte und seinen Charakteren verwachsen ist, dass er diese auch seinen Lesern spürbar nahebringen kann. Robert Frost sagte "No tears in the writer, no tears in the reader. No surprise in the writer, no surprise in the reader.", und meistens trifft das auch zu, denke ich. (Auch wenn manche Autoren sicher stumpfe Auftragsarbeit leisten können, selbst wenn sie mal keine Lust dazu haben).

Ein Gefühl für seine Geschichte zu haben, das ist für mich das Wichtigste. Schließlich entscheiden oft Kleinigkeiten im Erzählen, wie eine Geschichte wirkt. Wann reicht im Dialog ein "sagte xy", wann sollte man einen Einschub machen, das Erzähltempo durch eine Erklärung oder eine Beschreibung dosseln? Oft sind es Details in der Wortwahl oder im Aufbau, für die es vermutlich keine festen Regeln gibt. Sie entstehen aus dem Gefühl. Dieses Gefühl für das Erzählen speist sich meiner Meinung nach aus Talent und aus dem Lesen vieler, vieler guter Romane, aus denen man passiv lernt. Das enstpricht wohl dem Unbewussten, das auch Dämmerungshexe angesprochen hat.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Mondfräulein

Auf der einen Seite: Übung. Erfahrung. So bitter das ist, man muss schreiben und Dinge falsch machen, um es zu lernen, für sich persönlich. Ich glaube, vieles kann man nicht aus Ratgebern lernen, weil man für sich selbst die Erfahrung machen muss, um wirklich zu verstehen, was man da tut.

Was ich inzwischen viel öfter tue, ist bewusst darüber nachzudenken, warum ich eine Szene gerade so schreibe und nicht anders. Wenn ich eine Figur einführe, versuche ich darüber nachzudenken, welche Charaktereigenschaften ich über sie vermitteln will. Es ist anstrengend und macht keinen Spaß, aber genaues Planen und Ausarbeiten hilft mir sehr, meine Szenen zu verbessern. Also das Gegenteil von dem, was viele machen, und das Bauchschreiben mal komplett sein zu lassen, denn das funktioniert bei mir einfach nie.

Trippelschritt

Ich bin von euren Antworten wirklich begeistert. Dafür, dass einige sagen, sie hätten keine ahnung, was Erzählkunst überhaupt ist, liegt alles, was ihr dann aufzählt sehr nahe am Punkt. Und aus meiner eigenen ERfahrung kann ich nur sagen. Ein Flow hilft! Und deshalb versuche ich auch, täglich zu schreiben. Ein Flow ist aber nicht alles. Die zweite Hälfte entsteht bei der Überarbeitung. Beim Polieren, wie Maubel gesagt hat. Und eines kann ich Euch sagen: WEnn man erst schreiben muss, damit die Ideen kommen, wie es bei Bauschschreibern passiert, dann ist die erste Version mehr als nur grottenschlecht. Und die Geschcihte passiert erst beim Überarbeiten. Aber das geschieht bei mir bereits, wenn ich so um die ersten zehn Prozent geschrieben habe, weil eine gute Idee auf Seite 50 dazu führt, dass man die ersten Kapitel wieder neu schreiben muss.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Araluen

Ich bin Eckpunkte-Planer könnte man so sagen. Das Herzstück meiner Planung und auch meiner Geschichte sind die Figuren. Habe ich diese ausgearbeitet, lege ich die Wendepunkte des Plots fest und alles, was mir sonst spontan einfällt, gerade an Subplots, manchmal auch konkrete Szenen. Der Rest entwickelt sich dann. Ganz optimal fahre ich mit dieser Technik nicht, da ich öfter mal in einem Loch zwischen zwei Wendpunkten festhänge. Aber diese Methode gibt mir etwas Struktur und gleichzeitig Freiheit.

Mir wurde schon von unabhängigen Lesern (kenne ich nicht persönlich, sondern nur über ein Forum), dass ich einen sehr lebendigen Stil hätte. Irgendwie schaffe ich es wohl oft, den Leser direkt in die Szene und das Setting mit rein zu ziehen. Wie ich das genau anstelle, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Beschreibungen gehören eigentlich zu meiner Nemesis, da mich Beschreibungen langweilen (Thomas Mann war zu Schulzeiten für mich nur schwer erträglich - ich brauche keine seitenweise Beschreibung eines gelben Sofas mit Löwenkopffüßen... 15 Jahre her und dieses blöde Sofa hat sich eingebrannt). Was mache ich also? Ich stelle mir die Szene bildlich vor, versuche sie quasi wie einen Film ablaufen zu lassen und dann schreibe ich. Meist passiert dieser Szenenfilm immer leider dann, wenn ich nichts zu schreiben in der Nähe habe. Aber das ist ein anderes Problem. Ich halte dann die Eindrücke fest. Wichtig ist mir auch ein gutes Verhältnis zwischen Dialog und Handlung. Griffige Dialoge lockern das Textgeschehen auf und bringen einem die Figuren näher. Zudem können sie Erklärungen abkürzen. Zu viel Dialog bremst jedoch den Spannungsbogen aus. Und das wichtigste um aus dem Text eine richtig gute Geschichte zu machen ist die Überarbeitung, wie schon gesagt wurde. Ich habe immer das Gefühl, das ich mir die Geschichte erst selbst erzähle und dann in der Überarbeitung schaue, wie eine Geschichte draus wird, die auch anderen gefällt.

Cailyn

Hallo Trippelschritt

Hu, da hast du aber eine sehr schwierige Frage gestellt, weil damit ja so viele verschiedene Dinge zusammenhängen können. Ich beschäftige mich aber auch gerade intensiv mit genau diesem Thema  :). Momentan habe ich es mir zur Übung gemacht, dass ich Filme und Bücher, die mir gefallen, die mich in den Bann ziehen, für mich selber analysiere, um dahinter zu kommen, warum es bei mir zieht. Dabei habe ich Verschiedenes beobachtet, was sicher zur Fesselung des Lesers beitragen kann:

1) Das Versprechen
Am Anfang einer Geschichte kriegt der Leser eine Art Versprechen, damit er weiss, worauf er sich einlässt. Also wenn es eine Abenteuergeschichte ist, sollte das Abenteuerliche von Anfang an spürbar sein. Wenn es um Intrigen und Beziehungen geht, genauso. Und später muss dieses Versprechen eingehalten werden. Wenn ich am Anfang eines Buches ein verstecktes Versprechen erhalten habe, das nicht eingehalten wird, dann verliere ich während des Buches das Interesse daran. Als Extrembeispiel: Wenn ich in der ersten Szene von einem Mord lese, und 200 Seiten später merke ich, dass es sich um eine Liebesgeschichte handelt, dann ist die Luft irgendwie raus, ich bin enttäuscht.

2) Die Hauptfigur/en
Um Spannung aufzubauen, sollte eine Figur vor einem Ereignis entweder sympathisch, kompetent oder sehr aktiv sein. Oder eine Mischung von allem. Wenn diese drei Dinge zu wenig aufgebaut wurden, greift meist auch die Spannung nicht. Das aktiv sein ist dann noch ein Punkt, der sich durch das ganze Buch weiterzieht, den ich sehr wichtig finde. Wenn ein Prota immer nur reagiert und nicht agiert, dann bewirkt das bei mir als Leserin ein Unbehagen. Das sind dann die Momente, wo ich einen Prota am liebsten rütteln würde und ihm sagen: Tu doch was! Ich meine, Aktivität beschränkt sich da natürlich nicht nur auf Action im Sinne von Bewegung, Kampf, Rumrennen etc., sondern auch auf intellektuelle oder emotionale Vorgänge in der Figur.

3) Was steht auf dem Spiel?
Für mich als Leserin ist es immer wichtig zu wissen, was auf dem Spiel steht, wenn etwas nicht gelöst bzw. erreicht werden kann. Das erhöht automatisch den Drang, weiterzulesen. Wenn ich weiss, was die üblen Konsequenzen sind, dann ist das sicher ein Pageturner.

4) Schnelligkeit, in welcher Probleme gelöst werden
Ich finde oft, dass in Geschichten die Herausforderungen zu rasch gelöst werden. Das ist eines der Dinge, die auch ich immer wieder falsch angehe. Da wird Spannung aufgebaut und flaut sofort wieder ab. Häufig läuft man Gefahr, dass der Held in viele Probleme gerät und diese immer wieder was anderes von ihm abverlangen. Das ist dann so eine Aneinanderreihung von "tasks" wie in einem Rollenspiel, das ich für langweilig halte beim Lesen. Ich finde es daher wichtiger, dass der Held mehrmals scheitert, bis er es schafft, sich zu beweisen.

5) Steigerung der Konflikte und Herausforderungen
Gehört eigentlich als Ergänzung zu Punkt 4. Die Probleme und Herausforderungen sollten sich in einer Geschichte kontinuierlich steigern. Mein Interesse flaut ab, wenn plötzlich ein Problem daherkommt, das dem "neusten" Stand der Hauptfigur nicht mehr entspricht. Ich beziehe das jetzt nicht auf so Zwischenszenen, in welchen es auch mal ruhiger wird. Aber immer dann, wenn der Plot an sich vorangeht, wo ein Fortschritt angestrebt wird, sollten die Hürden für den Helden immer höher werden. Die immenseste Spannung entsteht meiner Meinung nach, wenn ein Prota mehrmals versagt und gleichzeitig die Herausforderungen noch grösser werden. Da denkt man als Leser ja irgendwann: Unmöglich, dass der Prota dies noch schaffen kann. Und ich will dann unbedingt wissen, wie er es schafft, aus dieser ausweglosen Situation rauszukommen.

6) Zeit und Handlung / die Lupe
Ich glaube, man sollte mehr Wörter für die spannenden Stellen aufwenden als für das dazwischen. Mich stört es enorm, wenn ich seitenlang etwas "Vorbereitendes" lese und der Moment, wo die Bombe explodiert, dies in drei bis vier Sätzen besteht. Daher lieber in entscheidenen Momenten durch die Lupe erzählen, den Rest kurz halten (ausser es ist wirklich sehr unterhaltend im Sinne von z.B. humorvoll).

Phea

Ich finde, Plot und Erzählkunst sind zwei verschiedene Dinge. Natürlich ist es wichtig, einen guten Handlungsstrang zu entwickeln - doch ist die Erzählkunst nicht die Kunst, den Leser zu fesseln? Spannung aufzubauen ist wichtig, ja. Und der Plot sollte nachvollziehbar sein. Aber meiner Meinung nach ist mein Ziel erreicht, wenn der Leser zu mir kommt und sagt "Also, Schreiben kannst du!" Wenn da noch ein "Aber" hinterherkommt, gehört es wieder in eine andere Schublade. Wenn er mir jetzt zum Beispiel sagt "Aber an der Handlung musst du noch feilen. Das ist unlogisch." - dann ist das zwar ein Fehler meinerseits, aber ich habe ihn ja in den Bann ziehen können. Und das, finde ich, ist die Kunst.

Cailyn

#13
Macpheana

Ich halte Stil für absolut zweitrangig in der Genreliteratur. Ich halte es sogar für einen krassen Fehler, "zu gut" schreiben zu wollen. Ich habe das bei meinem letzten Projekt so gemacht. Habe es ziemlich banal geschrieben, einfache Worte und Sätze und dachte, das Aufpolieren mache ich später. In der letzten Überarbeitungsrunde hab ich dann jeden einzelnen Satz angeschaut und versucht, literarisch klingen zu lassen. Da gab es dann tolle Metaphern, geschwungene poetische Ausdrucke etc. Kam überhaupt nicht an. Ein Lektor, den ich persönlich kenne, hat mir auch mal gesagt, das wird in der Bücherszene als ein typischer Anfängerfehler angesehen, wenn man versucht, in der Genre-Literatur literarisch zu schreiben. Klar gibt es gute und weniger gute Stile. Aber ich denke nicht, dass das viel Einfluss darauf hat, ob man an ein Buch gefesselt ist oder nicht. Es gibt eine deutsche Thrillerautorin, die ich hier nicht namentlich nennen will. Ich finde ihren Schreibstil echt schlecht. Aber dennoch packen mich ihre Bücher immer wieder. Natürlich fände ich es noch angenehmer, wenn sie schöner schreiben würde. Aber letztlich zählt für mich in der Genre-Literatur schon der Inhalt.

Darum finde ich es viel wichtiger, wie eine Szene aufgebaut ist, wie sich die Spannung aufbaut, wie die Figuren gezeigt werden als mit welchen Worten dies umgesetzt wird. Stil ist ja bekanntlich auch Geschmacksache. Manche mögen blumige Sätze, andere lieber kurze. Einzige Ausnahme finde ich die Dialoge. Dort sollte man schon sprachlich geschickt versuchen, jeder Figur eine eigene Sprache angedeihen zu lassen. Finde ich äusserst herausfordernd.

Trippelschritt

Dann will ich auch mal ein paar Dinge beisteuern, die ich mittlerweile gelernt habe. Und falls es sich noch nicht herumgeprochen hat ... Ich schreibe ja schon seit Jahren an einem Schreibratgeber, der wahrscheinlich niemals veröffentlicht wird und nur für einen einzigen Leser geschrieben wird. Mich. Und in diesem Schreibratgeber stehen viele Dinge, die man in anderen Schreibratgebern nicht findet. Und einige davon gehören auch zur Erzählkunst

Wer nicht bereits von zuhause aus ein großer Erzähler ist und es lernen möchte ein solcher zu sein, sollte zunächst einmal verstehen lernen, was ihn an manchen so Büchern fasziniert, dass er sie in einem Zug lesen möchte, auch wenn ihm die roten Augen zufallen. Oft sind es gar keine Bücher, sondern die Autoren und ihre Art zu schreiben. Manchmal liegt das Geheimnis nicht in der Schreibe, sondern im Thema, das einen im Augenblick besonders betrifft. Mir ging das einmal mit Somerset Maughams Razors Edge (Auf Messers Schneide). Ich halte ihn immer noch für einen guten Autor, aber andere Bücher von ihm hatten nicht diesen Sog.
Ganz anders bei Rothfuss, der für mich ganz gewaltige handwerkliche Defizite hat. Und trotzdem konnte ich sein erste Buch kaum aus der Hand legen. Es waren vor allem seine Dialoge, die einen besonderen Zauber ausstrahlten. Aber auch einige seiner Beschreibungen sind himmelszerreißend. Und dann muss man in Dialoge und Beschreibungen eintauchen, bis man herausfindet, was es darain ist.
So ist mein erster Ratschlag an mich: Lerne zu verstehen, warum dich etwas fsziniert.

Dialoge spielen eine große Rolle bei der Erzählkunst, weil sie sehr viel von Menschen handeln und Menschen sind es immer, die uns Bücher zu Herzeng ehen lassen. Schön, dass es gerade dazu einen Extrathread gibt, der im Augenblick aktiv ist.

Und die Figuren? Im Schreibratgeber steht, wie man interessante Menschen erfindet, die einen packen können. Aber sie sagen einem nicht, wie man sie einführt. Und für mich ist das der entscheidende Start in das Faszinosum Erzählkunst. Die Einführung und die Art, sie denken und sprechen zu lassen.

Und dann gibt es noch das Element der Spannung. Da geht es nicht um Fragen wie Cliffhanger oder nicht, sondern um so vage Dinge wie die Zahl und Art der kleinen Ideen, die Reihenfolge von Hinweisen und Halblösungen und auch darum, wie es einem Autor gelingt, eine Szene mit anderen zu verbinden. Um die innere Dynamik einer Szene, seiner Funktion und der Stringenz der Ideenverfolgung innerhalb der Szene. Darüber steht nichts in Schreibratgebern, aber Shakespear kann einem zeigen, wie man das macht.

Ich finde es faszinierend, dass man über die Schreiberei endlos philosophieren kann und nie aufhört dazuzulernen.

Liebe Grüße
Trippelschritt