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Regeln und Gesetze des Schreibhandwerks - darf man sie brechen?

Begonnen von Ratzefatz, 04. Mai 2016, 07:00:17

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Churke

Die Frage ist aber doch, was die Leser vom Regelbruch halten:

Zitat von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17
Selbst Leser, die nicht schreiben und keine Schreibratgeber lesen, würden instinktiv merken, dass da etwas nicht stimmt, und das Buch dann (für sich oder öffentlich) schlecht bewerten.

Das ist halt wie ein Schönheitswettbewerb: "Du musst dir die Haare färben, sonst bist du der Jury nicht blond genug."
Ist das wirklich so?
Alleine das Risiko wäre doch ein Argument, es mit den Regelbrüchen nicht zu übertreiben.


Tigermöhre

#16
Ich finde, schreiben ist wie kochen. Am Anfang sollte man sich an das Rezept/die Regeln halten, damit man sie kennenlernt. Aber wenn man sie sicher beherrscht, probiert man, schließt die Augen und kommt darauf: »Da muss noch Zimt ran!«
Die Prise Zimt wirst du wahrscheinlich in keinem Kochbuch finden, aber sie gibt dem Essen genau die richtige Würze. Wenn du jetzt aber mit dem Zimtpott rumläufst, und das wahllos überall großzügig reinkippst, kommt da nur eklige Pampe raus.

Übrigens sind die wenigstens Bestseller regelkonform. Beispiel »Die Wanderhure« In der ersten Szene gibt es ein munteres Headhopping durch die Köpfe von lauter unwichtigen Nebencharakteren.
Oder »Illuminati« Da gibt es eine Verfolgungsszene, Schnitt, Rückblende zu einer ruhigen Szene, in der sich der Chara an etwas erinnert, Schnitt, die Verfolgung geht weiter. Und dann diese absolut lächerlichen Cliffhanger an jedem Kapitelende ...
Beim ersten Mal lesen ist mir das überhaupt nicht aufgefallen. Erst seitdem ich mich selber mit dem Schreiben befasse, merke ich, wie schlecht diese Bücher überhaupt sind.

Terry Prachett zoomt gerne am Anfang von der auktionalen in eine personale Perspektive. Das stört mich überhaupt nicht. Aber er ist ja auch der Meister der Fußnoten. Ist auch nach den Regeln total verboten. ;D

Fianna

Der einzige Regelbruch, der mir negativ auffällt, ist Headhopping innerhalb einer Szene.
Ansonsten mache ich mir zwar als Schreiber viele Gedanken um Akzeptanz, als Leser hsbe ich bisher alles akzeptiert. Vielleicht fand ich es nicht gut (bei "Wen du nicht töten darfst"-Regeln z.b.), aber ich habe das Buch deswegen nicht als handwerklich schlecht gemacht empfunden.

Es soll nicht böse klingen, aber ich glaube Deine Freundin steht noch recht am Anfang ihrer schreiberischen Entwicklung. Da klammert man ja grundsätzlicher an Regeln.

Übrigens finde ich, dass die meisten Leser ganz uninformiert sind, was das Handwerkliche angeht. Die meisten würden nicht mal mehr eine Analyse wie im Deutschunterricht hon bekommen, und freiwillig sezieren die einen Text nicht so genau, war er ihnen gefällt oder nicht gefällt. Hinterfragende Leser (Autoren, Blogger, Rezensenten) sind die Minderheit.


Antigone

Ich glaube, so in etwa könnte die natürliche Entwicklung im Leben eines Schriftstellers ablaufen:
1. Man schreibt einfach mal so drauf los, ohne sich weiter Gedanken übers Handwerk zu machen
2. Man beginnt, sich mit dem Handwerk zu befassen, es anzuwenden (oft besonders dann, wenn man sich fundierter "Kritik" , zb. in Schreibforen, zu stellen beginnt. Als kritiker kann man bei einer Szene nun mal leichter auf die Schreibregeln eingehen, als darauf, ob die ganze Story funktioniert)
3. Man hat die Schreibregeln verinnerlicht
4. Man beginnt sich wieder davon zu lösen, quasi, seinen eigenen Stil, seine eigenen Eigenheiten auszubilden.

Insofern: ja, man darf sie brechen. Idealerweise weiß man aber dabei, was man tut. Und ist nicht einfach auf Punkt 1 stehengeblieben.

Nichtsdestotrotz gibt es genug bücher, in denen davon nicht die Spur vorhanden zu sein scheint, und man sich fragt, ob die Autoren schon jemals was von diesen Schreibregeln gehört hat....

Ratzefatz

#19
Zitat von: Maubel am 04. Mai 2016, 08:00:19
Als Leser macht mir die Zusammenfassung deiner Regelbrüche ehrlich gesagt Angst, ABER ich kenne das Buch ja nicht und fände es vielleicht toll.

Keine Angst, die finden sich nicht alle im gleichen Buch. Das wäre dann wirklich Effekthascherei und etwas, was ich jedenfalls vermeiden will. Aber wie auch Alana gesagt hat - ich schreibe so, dass ich eine bestimmte Wirkung erziele. Und das kann manchmal auf konventionellem Weg gelingen, manchmal aber muss man dazu, finde ich, auch unkonventionellere Pfade einschlagen.

Zitat von: Fianna am 04. Mai 2016, 10:29:40
Es soll nicht böse klingen, aber ich glaube Deine Freundin steht noch recht am Anfang ihrer schreiberischen Entwicklung. Da klammert man ja grundsätzlicher an Regeln.
Sie veröffentlicht nach eigener Aussage sehr erfolgreich und arbeitet zudem als Lektorin. :-) Daher eben meine Frage, ob ich mit meiner bisherigen Ansicht so völlig allein stehe - aber wie ich der Diskussion hier entnehme, tue ich das nicht.

Zitat von: Trippelschritt am 04. Mai 2016, 07:19:57
Das Urteil fällt immer der Leser.
Klar entscheidet der Leser! Meine Frage bezieht sich eher darauf, ob Leser eurer Erfahrung nach rein nach "gefällt mir/gefällt mir nicht" urteilen oder eben nach "kann mir gar nicht gefallen, weil es die Regeln im Schreibratgeber bricht und somit stümperhaft sein muss".

Liebe Grüße

Ratzefatz
,,Dein Name ist Venko", raunte Zoya in sein Ohr. ,,Venko, Venko, Venko." Sie gab ihm für jedes ,,Venko" einen Kuss und ermahnte ihren Mann: ,,Vergiss deinen Namen nicht!"
,,Wie könnte ich ihn vergessen, meine Zoya", raunte er zurück, ,,wenn ihn vergessen auch dich vergessen hieße?"

Alana

Erfolg ist ja sehr subjektiv (für manche sind 500 verkaufte Bücher ein Erfolg, für andere ist unter 20K alles nur Peanuts) und außerdem kein Qualitätskriterium. Dazu kommt, dass das, was für den einen funktioniert, nicht für den anderen passen muss. Deswegen wehre ich mich gegen "Regeln muss man ...". Außerdem glaube ich nicht, dass Leser Schreibratgeber lesen und wenn jemand in eine Rezi über mein Buch schreiben würde: tolles Buch, die Kapitel sind alle gleich lang, würde ich mich fragen, was ich falsch gemacht habe. ;D Das ist jetzt natürlich überzogen. Aber ich denke, Regeln sind Sicherheitsnetze und ein wirklich gutes Buch braucht keine. Und man merkt auch leider, wenn jemand sich zu sehr daran klammert. Siehe der neue Star Wars Film. Ein guter Film, aber eben nicht mehr, weil total auf Sicherheit gegangen wurde. Jammerschade. :)
Alhambrana

Fianna

Oh, ich kannte es bisher nur so rum. Aber wenn sie so viel schreibt und veröffentlicht, bricht sie ja meine Vorurteile. Dann ist sie vielleicht nur Purist. Das ist jeder in gewissen Dingen. Ich hab auch ein paar harte unbeugsame Einstellungen, die die meisten Leute verwundern, nur eben in anderen Bereichen des Schreibens.

Sunflower

Zitat von: Antigone am 04. Mai 2016, 12:52:41
Insofern: ja, man darf sie brechen. Idealerweise weiß man aber dabei, was man tut. Und ist nicht einfach auf Punkt 1 stehengeblieben.

Das finde ich sehr wichtig. Meiner Meinung nach kann, darf und soll man Regeln brechen - aber nicht blindlings, sondern bewusst. Wenn man eine Regel bricht, dann - und das ist wirklich meine subjektive Meinung, nicht mehr - mit einer gewissen Intention. Man sollte sich darüber klar sein, was man tut, wenn man Regel xy bricht. Regeln im Schreibhandwerk haben schon ihre Daseinsberechtigung und sind nicht aus Lust und Laune entstanden. Man ist gut bedient, wenn man sie kennt und meistens auch, wenn man sich (grob) an sie hält. Eine Regel zu brechen sollte also bewusst passieren. Wenn man weiß, was man tut, darf man alles.

Oder, noch einfacher - wenn es funktioniert, darf man alles. Einfach ausprobieren, was geht und wenn es nicht geht, dann werden gute Betaleser schon darauf aufmerksam werden. Die Bücher, die mich im vergangenen Jahr am meisten beeindruckt haben (Extremely Loud & Incredibly Close von Jonathan Safran Foer, Cloud Atlas von David Mitchell), brechen wahrscheinlich ein ganzes Dutzend Regeln. Trotzdem funktionieren sie, gerade deshalb bieten sie ein außergewöhnliches Leseerlebnis.
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors

Zit

Zitat von: Ratzefatz am 04. Mai 2016, 07:00:17
Nun hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Bekannten, die genau der gegenteiligen Meinung ist: Das Brechen von Konventionen ginge gar nicht. Ihre Begründung: Viele Leser würden auch selbst schreiben und daher Schreibratgeber lesen und wenn solche "Fehler" gemacht würden, werfe das auf den Autor und den Verlag ein schlechtes Licht. Selbst Leser, die nicht schreiben und keine Schreibratgeber lesen, würden instinktiv merken, dass da etwas nicht stimmt, und das Buch dann (für sich oder öffentlich) schlecht bewerten. Als ich darauf hinwies, dass es heutzutage ja auch Bücher gäbe, die sich ganz offensichtlich, auf den ersten Blick erkennbar nicht an die Regeln halten (zB indem sie ausschließlich Kleinschreibung verwenden), verglich mich meine Bekannte mit einem Verkehrssünder, der denkt, nur weil andere über die rote Ampel fahren, wäre das erlaubt!

Ulkigerweise lässt sich ihr Vergleich mit der Ampel auch auf ihre Haltung anwenden. Regeln sind Richtlinien und diese werden von Instanzen oder Institutionen geschaffen. Nur weil hundert Leute dasselbe sagen, wird es auch nicht wahrer. ::) So viel dazu.

Wenn sie für sich selbst so hart urteilt, okey. Aber als Lektorin würde ich nicht mit ihr arbeiten wollen. Lektoren dienen dem Text. Meiner Meinung nach können sie das aber nicht, wenn 1 plus 1 für sie immer starr 2 ist. Insofern schließe ich mich dem allgemeinen Konsens an: Wisse, was du tust, dann kannst du machen, was du willst.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

LinaFranken

#24
Was befähigt einen Ratgeber zu schreiben?  Das man viele Bücher verkauft hat?  Das hat  Dan Brown mit Sicherheit, trotzdem waren seine letzten vier Bücher so langweilig und vorhersehbar wie ein Busfahrplan. Würde er jetzt also einen Ratgeber schreiben, würden sich sicher viele danach richten wollen und der Markt wäre geflutet mit Busfahrplänen.  Eine gruselige Vorstellung. Also nein zu Ratgebern! Und dazu auch noch nein zu Regeln! Das klingt jetzt vielleicht etwas hart,  aber wer Regeln und Richtlinien bei einem kreativen Handwerk braucht, der führt meiner Meinung nach das Wort "kreativ"  ad absurdum.  Regeln und Dienst nach Vorschrift gehören sicher in viele Berufe, aber doch nicht in eine kreative Tätigkeit, bei der es darum geht sich selbst zu verwirklichen und auszudrücken. Also ein dickes "nein" zu Autoren-Regeln und ein dickes "ja"  zu Experimenten,  wagemutigen Abenteuern und zur Fantasie!

Dämmerungshexe

Lina, doch, auch in kreativen Berufen braucht es Regeln an die man sich halten muss, weil sonst der Zweck der Arbeit nicht erfüllt wird. Es ist immerhin Handwerk, nicht Kunst.
Als Grafikerin muss ich mich um Lesbarkeit und Aufmerksamkeit bemühen.
Als Autor muss mein Text nachvollziehbar sein.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Shedzyala

Also ich habe all die Regeln der Ratgeber (von denen ich weitaus mehr online als in gebundener Form gelesen habe) immer als Tipps aufgefasst. "Wenn du willst, dass der Leser ganz in die Figur eintaucht, nutze Show, don't tell" oder "Wenn du willst, dass das Kopfkino ein schärferes Bild zeichnet, benutze starke Verben". Wenn ich einen Tipp nicht annehme, riskiere ich, dass ich den damit verbundenen Effekt nicht erziele. Aber es ist eben nicht mehr als das: ein Risiko.
Die Tipps machen mir das Autorenleben einfacher, weil sie mir ein Gerüst geben, an dem ich mich festhalten kann, während ich den Weg zum fertigen Roman erklimme. Aber manchmal ist es einfach schöner, den sicheren Weg zu verlassen, um beim Freeclimbing die Landschaft zu erkunden, die einem sonst verborgen blieb. Das kann schief gehen, muss aber nicht.

Und über Kapitellängen sage ich jetzt mal lieber nichts. In meinem aktuellen Roman schwanken die zwischen 20 und 70 Seiten ... Ich stelle mir meinen Plot eben las Serie vor, und ein Kapitel ist eine Folge. Und wenn eine Folge fast nur aus Dialogen besteht, die enorm gut Seiten strecken können, dann ist sie eben auch 70 Seiten lang. Meine Kapitel haben meistens 2-4 Szenen und bilden in sich eine kleine Einheit, haben also auch einen kleinen Spannungsbogen. Und da kann ich doch nicht einfach so in der Mitte abbrechen, das würde sich schlicht falsch anfühlen.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Sipres

Ich hatte in meinem Leben einen Schreibratgeber in der Hand, aus dem ich nur eine Sache für mich entnommen habe - wie ich Figuren gestalte, weil ich das nicht konnte. Alles andere habe ich mir durchs Lesen von Romanen, wiederholte Schreibversuche und gute Betas angeeignet. Keine Ahnung, ob ich regelkonform schreibe (wobei meine Kapitel zwischen einer und sieben Seiten lang sind und jeweils nur eine Szene beinhalten) oder nicht. Die Erfahrung hat mir aber gezeigt, dass es keine Rolle spielt. Es gibt Leuten, denen gefällt, was ich fabriziere. Das ist doch das Wichtigste. Deswegen würde ich sagen, dass Schreibratgeber ein "Kann" sind, aber kein "Muss".

Alana

#28
@Lina Franken: Schreiben ist ein Handwerk, das man beherrschen muss. Wenn du das ohne Ratgeber perfekt kannst, dann bitte. :) Ratgeber per se abzulehnen halte ich allerdings für ziemlich unsinnig, denn irgendwoher muss man sein Wissen ja ziehen und die meisten von uns sind nicht von Geburt an perfekte Schriftsteller. ;) Weiterbildung und ständiges Lernen sind meiner Meinung nach in jeder Kunstsparte und überhaupt in jedem Beruf die Grundlage für dauerhafte Weiterentwicklung, ohne die man irgendwann nur noch Content-Produzent ist. Ratgeber komplett als sinnlos abzulehnen ist in meinen Augen genauso kontraproduktiv, wie alle Regeln immer befolgen zu wollen. Ich lese Schreibratgeber, wie andere Romane lesen, weil ich es unheimlich spannend und inspirierend finde, was man alles machen kann und wie. Und ich kann das jedem nur empfehlen. :)
In jeder Kunststparte ist es anerkannt, dass man die Grundlagen beherrschen muss, schau dir mal die ganzen berühmten Künstler an. Sogar der, der mit einer rein blauen Leinwand berühmt geworden ist, ist ein Meister in den Grundlagen des Zeichnens und der Malerei. Beim Schreiben grassiert jedoch immer noch die Meinung, man würde sich in seiner Kreativität einschränken, wenn man das Handwerk lernen möchte. Warum das so ist, ist mir unbegreiflich.
Alhambrana

Guddy

#29
Es gibt sicherlich etliche Arten, etwas zu erlernen. Der eine erlernt es durch Ratgeber, der nächste besser durch Beobachten/Sehen, der übernächste übt bis zum Umfallen... Das ist beim Zeichnen so, beim Schreiben auch und bei vielleicht den meisten anderen (kreativen) Dingen ebenfalls.

Da muss man nicht über die  Weisen/Ratgeber/Methoden  Anderer urteilen oder abtun, finde ich. Ist ja nichts besser oder schlechter. :hmmm: