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Gute Konflikte erarbeiten

Begonnen von Franziska, 05. April 2016, 21:09:31

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Alana

#30
Ich versuche schon, jede Szene mit einer Art Cliffhanger zu beenden. Der Leser soll ja keinen Grund haben, das Buch am Ende eines Kapitels wegzulegen. ;D Ich finde dabei den Tipp aus "Rock your plot" sehr hilfreich. Natürlich hat jede Szene eine Art Konflikt, sonst müsste man sie ja nicht schreiben. Das bedeutet aber, wie Denamio schon sagte, dass es auch einfach nur darum geht, die Handlung voranzubringen, also dass der Protagonist etwas erreichen will, was ihn näher an sein Ziel bringt. Das ist dann sozusagen das Szenenziel. Ich mache mir für jede Szene eine Aufstellung:

Szenenziel (sollte immer mit dem Gesamtziel der Figur zu tun haben, eine Szene, die kein klares Ziel hat, ist eine Szene, die man höchstwahrscheinlich weglassen kann.)
Motivation
Hindernisse (= Konflikt, können innere oder äußere Hindernisse sein, also Gefühle, die den Protagonisten daran hindern, sein Ziel zu erreichen, oder auch jemand, der ihn daran hindern will)

Das Ende einer Szene darf nie sein, dass der Protagonist sein Ziel erreicht und gut. Es sollte immer eine der drei Versionen sein:

Der Protagonist erreicht sein Ziel nicht.
Der Protagonist erreicht sein Ziel nicht und alles wird noch schlimmer, weil ...
Der Protagonist erreicht sein Ziel, aber ... (er hat sich zum Beispiel über seine Gefühle hinweggesetzt und jemanden verletzt etc. pp.)

Diese Methode ist sehr sinnvoll, um den roten Faden zu behalten. Außerdem umschifft man damit sehr leicht die Gefahr von Durchhängern. Wichtig ist dabei, dass man danach den Konflikt eskaliert. Also dass man nicht das gleiche Level von Konflikt noch mal verwendet. (Der Ritter fragt jemandem nach dem Artefakt, der sagt, dass er es nicht hat, also fragt der Ritter jemand anderen. Das ist nicht sehr spannend. Er kann einmal jemanden fragen und man kann natürlich sagen, dass er mehrere Leute gefragt hat, aber die nächste Szene sollte dann eine andere Handlung beinhalten.)

Das bedeutet nun nicht, dass eine Szene immer mit einem großen Knall enden muss. Man kann das auch sehr schön mit leisen inneren Konflikten und kleinen Details bewerkstelligen.

Die meisten dieser Tipps stammen übrigens aus "Rock your Plot", ein Buch, das ich jedem echt nur ans Herz legen kann.
Alhambrana

Trippelschritt

Ich sehe das nicht ganz so extrem. Zwar kann man die Bedeutung großer und kleiner Konflikte gar nicht genug betonen, aber trotzdem muss ich und sollte auch nicht jede Szene mit einem Cliffhanger beenden. Mein liebstes Szenenende ist die Lösung eines Konfliktes, wobei der Leser dann merkt, dass eigentlich gar nichts gelöst ist oder aber sich dadurch nur der nächste Konflikt ergibt, der größer ist, oder aber, dass sich eine Wenung im Plot ergibt, der dazu führt, dass einige der Konflikte neu bewertet werden müssen. Es gibt unzählige Varianten und kein Schema. Jedenfalls habe ich noch keines gefunden.
Unterstreichen möchte ich aber, dass jede Szene eine Funktion zu erfüllen hat und dass der Autor diese Funktion auch erkennen sollte. Das ist schon schwer genug.

Trippelschritt

HauntingWitch

Dieser Thread ist super, danke Franziska. :) Ich hadere teilweise auch immer noch mit Konflikten und finde das auch eher schwierig. Es geht mir aber besser von der Hand, seit ich mich wieder auf meine alte Arbeitsweise von früher besinne und aufgehört habe, um ein Thema herumzuplotten und dann die Charaktere da hineinzuquetschen, sondern die Themen (hier gleich Konflikte) aus den Charakteren entstehen lasse. Das ist in etwa auch die Botschaft von Elizabeth Georges Schreibratgeber "Wort für Wort oder die Kunst ein richtig gutes Buch zu schreiben", den ich nur wärmstens empfehlen kann. ;D

Heisst, nicht zu sagen, ich möchte etwas über Problem X schreiben und dann darauf aufzubauen (@Franziska, das habe ich auch bei dem Skript, das du betagelesen hast, gemacht),
sondern, zu schauen, was habe ich denn für Charaktere und welche Konflikte ergeben sich daraus. Ich muss dazu sagen, dass bei mir immer zuerst die Charaktere anklopfen. Also bei meinem neuen Projekt habe ich z.B. Charakter A, der Musiker ist. Daraus ergeben sich schon einmal gewisse Konflikte wie Probleme mit der Plattenfirma, Bandstreits, Stress im Job usw. Desweiteren, da er ja ein kreativer Mensch ist und die oft schwierig sind bzw. eine schwierige Vergangenheit haben (mich eingeschlossen, und nichts dagegen, nur als Feststellung ;)), ergeben sich daraus automatisch gewisse innere Konflikte oder Probleme. Er war zum Beispiel oft allein als Kind und denkt deshalb, dass ihm alleine alles besser gelingen würde und er eigentlich sowieso niemanden braucht, aber in Wirklichkeit braucht er halt doch Leute um sich (sowohl emotional als auch sozial/geschäftlich). Oder er steht z.B. auf seine Bandkollegin, ist sich dessen aber nicht bewusst...
In einem anderen Projekt habe ich einen Typ mit magischer Herkunft, der aber lieber einfach sein normales Leben weiterführen möchte (Klassiker, I know ;D). Die magischen Wesen möchten ihn aber alle für sich benutzen, Hexe A für ihre bösen Pläne, Hexe B für ihre guten Pläne - und schon wieder ein Konflikt, nämlich der, zwischen den beiden Hexen...

Dann fange ich an, mit diesen Dingen zu arbeiten. Mittlerweile mache ich sogar Listen für jede Figur und dann schiebe ich herum. Ich plane zwar nicht, das passiert bei mir, während ich wie zufällig Szenen sammle, einfach nur einzelne Szenen. Später kann man die dann zusammensetzen oder die einen Ideen daraus weiterentwickeln. So habe ich es bisher eigentlich bei allen Projekten gemacht, aus denen dann auch etwas Brauchbares wurde. Das gibt dann auch genug Material.

Wie man allerdings da den einen zentralen Konflikt herausfiltert und in eine klassische Romanstruktur bekommt, weiss ich auch noch nicht. Irgendwie ging das bei meinen bisherigen Projekten immer intuitiv und mit viel Gebastel.

Trippelschritt

@ witch Ob`s jetzt hilft, was ich zu erzählen habe?
Wenn ich eine Idee für eine Geschichte (Roman) habe, dann steckt mein zentraler Konflikt immer in diesem ersten Kern einer Idee und deshalb muss ich mich auch kaum darum kümmern, nur ihn sprachlich sauber fassen und so präzisieren. Ich muss aber auch dazu sagen, dass nie eine Idee zu einer Person Ausgangspunkt einer Geschichte ist und schon gar kein Plot oder Teilplot.
Und dann mache ich es so wie du. Ich gehe unbedingt von den beteiligten Figuren aus. Jede Figur hat ihre eigenen Probleme/Konflikte und dazu ihre rolle oder Funktion innerhalb des Gesamtkonflikts. Und der Plot? Der ergibt sich von selbst wie bei jedem Bauchschreiber. Meine Hauptarbeit steckt nicht im Plot, sondern in der Erarbeitung der Figuren und der Überarbeitung der ersten, meist grottenschlechten Grobfassung.

viel Erfolg Dir
Trippelschritt

wortglauberin

#34
Wie schön, zu wissen, dass man nicht alleine mit einem Problem ist!
Ich denke sogar sehr oft darüber nach in letzter Zeit, weil bei mir vor allem so ein bisschen der innere Betaleser mitschreibt; bei meiner jetzigen Geschichte würde ich so gerne über die inneren Konflikte der Figuren schreiben, so gerne zwischenmenschliche Verwicklungen zu den größten Plotpunkten machen- aber ich habe das Gefühl, das darf ich nicht, das macht es (in Ermangelung eines besseren Wortes) zu langweilig, geradlinig, flach- zu wenig actionlastig.
Ich möchte auch keinen Antagonisten, aber ohne einen äußeren Handlungsanstoß zu haben, geschehen viele der Entwicklungen innerhalb meiner Figuren eben gar nicht- und wenn, habe ich Angst, dass es zu alltäglich wirkt, zu gewollt, extreme Emotionen ohne einschlagende Ereignisse zu präsentieren. Obwohl ich natürlich weiß, dass das Blödsinn ist  ;)
Das Problem ist, dass ich in letzter Zeit viel Fanfiction mit Liebesgeschichten gelesen habe, und obwohl es da natürlich auch etliche ausgeklügelte Plots mit äußeren Handlungsanstößen gibt, liest man doch auch sehr viele emotionale Verwicklungen, Zustandsbeschreibungen und sehr detaillierte Entwicklungen von Beziehungen. Das gefällt mir! Ich weiß gar nicht, woran es liegt, dass ich mir, wenn ich so etwas selbst schreibe, seltsam vorkomme.  ???
Hat jemand vielleicht ein ähnliches Problem und kann mir da einen Rat geben?

Zitat von: Trippelschritt am 08. April 2016, 16:42:34
Ich glaube nicht, dass a. jede Szene einen Konflikt enthalten muss nd b. dieser Konflikt am Ende am stärksten ist. Jede Szene muss ene Funktion habe, die der ganzen Geschichte hilft.

Sehe ich ganz genauso.  :) Die Funktion einer Szene kann ja auch in der Übermittlung eines bestimmten Gefühls oder einer Information liegen, dem Leser etwas zeigen, das ihn auf kommende Geschehnisse vorbereitet, Atmosphäre aufbauen...

Maubel

@wortglauberin
Zitat von: wortglauberin am 12. Juni 2016, 19:16:42
Ich möchte auch keinen Antagonisten, aber ohne einen äußeren Handlungsanstoß zu haben, geschehen viele der Entwicklungen innerhalb meiner Figuren eben gar nicht- und wenn, habe ich Angst, dass es zu alltäglich wirkt, zu gewollt, extreme Emotionen ohne einschlagende Ereignisse zu präsentieren. Obwohl ich natürlich weiß, dass das Blödsinn ist  ;) ...
Hat jemand vielleicht ein ähnliches Problem und kann mir da einen Rat geben?

In einem schlauen Buch ;) habe ich mal was gelesen, was mir sehr eingeleuchtet hat. Ein Antagonist ist nicht immer eine Person. Ein Antagonist kann alles sein, was dem Protagonisten entgegen steht: Ein Widersacher, ja, aber auch eine Umweltkatastrophe, eine schwere Krankheit, eine chronische Krankheit, seine eigenen Unzulänglichkeiten, sein fehlendes Selbstbewusstsein, die (bisher) unerfüllte Liebe. Was auch immer der zentrale Konflikt deines Werkes ist, steht ganz nah am Antagonisten, dem großen Hindernis, dass es zu überwinden gilt.

Du merkst doch bereits beim Lesen, dass dir die emotionalen Verwicklungen gefallen. Und da bist du nicht die einzige. Den Autoren dieser Fanfics gefällt, den Lesern dieser Fanfics gefällt und es gibt eine Menge anderer Leute, denen das auch gefällt. Das heißt natürlich wiederum: Du darfst dein Buch genauso schreiben, denn die Zielgruppe existiert.
Sind deine extremen Emotionen nachvollziehbar? Ja? Prima, dann brauchst du auch kein schicksalsträchtigen Unfall.
Nein? Dann schau nach warum nicht? Kommen sie wirklich übertrieben vor oder hast du einfach noch nicht tief genug im Charakter gebohrt, um ihn zu verstehen?

wortglauberin

@Maubel Was du über die Antagonisten sagst, gefällt mir gut! Und ich weiß ja im Grunde, dass es auf jeden Fall eine Zielgruppe für "character driven" Geschichten gibt (wobei das, muss ich sagen, gar nicht so das Ausschlaggebende im Moment ist), aber ich muss einfach das Gefühl haben, dass die Geschichte in sich und ihrer Atmosphäre stimmig ist.
Ich denke, da wird es tatsächlich helfen, nochmal gaaanz tief in das Innenleben meiner Figuren einzutauchen und zu schauen, ob ihre Motivationen denn ihre Reaktionen rechtfertigen.  :)

Michael W

Bei der Suche nach einem Thread über Konflikte bin ich auf diesen hier gestoßen. Das Thema ist komplexer, als ich dachte. Ich finde, das hier sind gute Anhaltspunkte:
Zitat von: Churke am 06. April 2016, 00:03:07Es gibt innere Konflikte. Der Held tut Dinge, die er nicht tun möchte, oder er möchte Dinge, die er nicht tut.
Es gibt politische Konflikte. Da geht es um Interessen, um Überzeugungen, vielleich auch mal um Werte.
Es gibt persönliche Konflikte. Da geht einem jemand auf den Sack.
Es gibt familiäre Konflikte. Seine Familie kann man sich nicht aussuchen.
Zitat von: Lothen am 05. April 2016, 22:03:53Ich denke, die meisten Konflikte auf Personenebene ergeben sich durch ganz banale Dinge:
* Missverständnisse (klassisch z.B. das Vier-Ohren-Modell)
* divergierende Wünsche oder Lebensentwürfe (z.B. Kind vs. Karriere)
* oppositionelle Charaktereigenschaften (sanftmütig vs. launisch, perfektionistisch vs. entspannt)
* unterschiedliche Erwartungen an eine Person
* unterschiedliche Bedürfnisse
Genau diesen Wikipedia-Artikel über das Vier-Ohren-Modell hat mir erst vor wenigen Monaten jemand verlinkt. Da hat sich mir eine ganz neue Welt aufgetan, denn meistens achte ich in Gesprächen nur auf den Informationsgehalt. Auch beim Schreiben ging es mir lange so, dass ich selten aktiv an diese Komponente dachte. Aber damit lassen sich natürlich leicht Missverständnisse und damit Konflikte konstruieren.

Es ist in den meisten Fällen sehr hilfreich und sinnvoll, einen Roman auf den zentralen Konflikt herunterzubrechen, um einen Klappentext oder Pitch zu formulieren. Ich habe aber bemerkt, dass das bei vielen meiner Geschichten nicht die beste Methode ist. Einen Hauptkonflikt gibt es zwar meistens und der ist auch einfach zu benennen, aber für mich oft nicht das essentielle Element der Geschichte.
Ein Extrembeispiel: Der Protagonist erkundet aus Neugier eine leerstehende Villa. Was den Protagonisten und im Idealfall auch den Leser vorantreibt, ist die Neugier. Der Schwerpunkt ist die Erkundung, welche Geheimnisse gibt es zu entdecken? Zusätzlich kann man auch einen tieferen Sinn einbauen, damit es nicht zu platt wird.

Konflikte sind sehr nützlich, aber es gibt viele Möglichkeiten, eine Geschichte aufzubauen. Man muss nicht ganz bei Null anfangen, aber mir hat es zumindest geholfen, eine Methode zu wählen, mit der ich selbst zurechtkomme.

Mondfräulein

Ich glaube, Konflikte, die nur auf Missverständnissen beruhen, sind keine guten Konflikte. Gute Konflikte in Romanen sind finde ich solche, bei denen ich als Leserin nicht sofort weiß, wie man sie auflösen könnte. Also zum Beispiel: Figur A will nicht aus der kleinen Heimatstadt wegziehen, weil ihre Eltern dort leben und ihre Hilfe brauchen. Figur B wird in der Heimatstadt niemals glücklich werden und will zurück in die Stadt. Wie können die beiden zusammen sein? Beide haben unterschiedliche Interessen, die ich gut nachvollziehen kann. Da gibt es so auf Anhieb keine gute Lösung. Das erzeugt Spannung und ist gleichzeitig nachvollziehbar.

Aber wenn ich mir bei einem Konflikt denke, dass der sofort gelöst wäre, wenn die beiden nur mal miteinander reden würden (zum Beispiel, wenn Figur B nur denkt, dass Figur A in der Heimatstadt bleiben will, aber eigentlich hat sie das nie so gemeint, sondern wollte nur über die erdrückenden Erwartungen der Eltern reden), dann ist das nicht spannend, sondern einfach nur frustrierend.

Ein guter Konflikt erzeugt Spannung, weil er scheinbar unlösbar scheint. Aber wenn die Lösung für mich als Leserin absolut offensichtlich ist, die Figuren aber 200 Seiten Drama darum machen und einfach nicht darauf kommen, dann verliert mich das Buch.

Zitat von: Michael W am 10. Juni 2023, 18:36:13Ein Extrembeispiel: Der Protagonist erkundet aus Neugier eine leerstehende Villa. Was den Protagonisten und im Idealfall auch den Leser vorantreibt, ist die Neugier. Der Schwerpunkt ist die Erkundung, welche Geheimnisse gibt es zu entdecken? Zusätzlich kann man auch einen tieferen Sinn einbauen, damit es nicht zu platt wird.

Da würde mir aber persönlich noch irgendetwas fehlen. In dem Fall kann aber zum Beispiel das Geheimnis, das entdeckt werden soll, einen Konflikt beinhalten. Oder der Konflikt zwischen dem Protagonisten und jemandem, der nicht will, dass das Geheimnis entdeckt werden soll. Oder der innere Konflikt, wenn der Protagonist nicht weiß, was er mit dem Geheimnis jetzt tun soll. An die Öffentlichkeit bringen? Oder lieber doch nicht? Denn wenn der Protagonist wirklich nur durch die Villa schlendert, worum geht es in der Geschichte? Was ist die Handlung?

Ich habe auch zum Beispiel gerade beim Lesen von "Das Erbe der Elfenmagierin" gemerkt, dass mich Bücher unglaublich langweilen, in denen es keinen ernsthaften Konflikt gibt und in denen vor allem die Hauptfigur nichts hat, woran sie irgendwie zu knabbern hat. Der Protagonist ist mit sich selbst vollkommen im Reinen und stolziert fröhlich und freundlich durch die Welt. Das hat mich unglaublich gelangweilt. Dabei hätte man aus ihm einen interessanten Protagonisten machen können. Ich fand das wahnsinnig frustrierend zu lesen. Für mich persönlich geht es ohne Konflikt einfach wirklich nicht.

meeresschreiberin

ZitatIch glaube, Konflikte, die nur auf Missverständnissen beruhen, sind keine guten Konflikte. Gute Konflikte in Romanen sind finde ich solche, bei denen ich als Leserin nicht sofort weiß, wie man sie auflösen könnte. Also zum Beispiel: Figur A will nicht aus der kleinen Heimatstadt wegziehen, weil ihre Eltern dort leben und ihre Hilfe brauchen. Figur B wird in der Heimatstadt niemals glücklich werden und will zurück in die Stadt. Wie können die beiden zusammen sein? Beide haben unterschiedliche Interessen, die ich gut nachvollziehen kann. Da gibt es so auf Anhieb keine gute Lösung. Das erzeugt Spannung und ist gleichzeitig nachvollziehbar.

Das sehe ich auch so, vor allem, wenn man als lesende Person schon um das Missverständnis weiß, wie das bei manchen Liebesgeschichten der Fall ist. Natürlich kann es auch manchmal einen Reiz haben, aber es ist dann irgendwie auch ein wenig vorhersehbar. Ich denke aber der Kern des Problems ist, dass sich solche Konflikte zu schnell in Wohlgefallen auflösen.

Das wäre ein Punkt, der mich manchmal stört, wenn auch schwerwiegende Konflikte viel zu schnell aufgeklärt werden oder sich einfach in Luft auflösen. Wenn man einen Konflikt einbaut, dann sollte er am Ende nicht plötzlich verschwunden sein, außer es gibt hierfür einen wirklich guten Grund. Das ist mir beim Lesen manchmal schon aufgefallen, zum Beispiel ist Protagonistin A wütend auf Protagonistin B und in der nächsten Szene ist das komplett weggefallen und sie verstehen sich wieder so gut wie sonst auch, ohne dass je auf den Streit den sie hatten noch einmal eingegangen wird.

ZitatIn einem schlauen Buch ;) habe ich mal was gelesen, was mir sehr eingeleuchtet hat. Ein Antagonist ist nicht immer eine Person. Ein Antagonist kann alles sein, was dem Protagonisten entgegen steht: Ein Widersacher, ja, aber auch eine Umweltkatastrophe, eine schwere Krankheit, eine chronische Krankheit, seine eigenen Unzulänglichkeiten, sein fehlendes Selbstbewusstsein, die (bisher) unerfüllte Liebe. Was auch immer der zentrale Konflikt deines Werkes ist, steht ganz nah am Antagonisten, dem großen Hindernis, dass es zu überwinden gilt.

Finde ich einen sehr guten und wichtigen Punkt, dass auch widrige Umstände ein Antagonist sein können  :)
For whatever we lose(like a you or a me)
it's always ourselves we find in the sea

(E. E. Cummings)

Alana

#40
The Big Misunderstanding ist nicht zu Unrecht ein sehr beliebtes Trope, das man nicht vorschnell abtun sollte. Das Problem ist, dass es meistens schlecht umgesetzt wird. Dann finde ich es auch extrem nervig. Es kann aber auch extrem gut funktionieren, wenn es richtig gemacht wird. Essentiell ist dafür, dass die Gründe für das Missverständnis und die nicht erfolgende Aufklärung nachvollziehbar und logisch sind, und dass es nicht unnötig in die Länge gezogen wird. Ich habe einige Bücher gelesen, die das Trope meisterhaft umsetzen und in denen ich es sehr geliebt habe. Die pauschale Verurteilung ärgert mich deswegen immer etwas. Ich habe es selbst auch schon verwendet, bei einer Protagonistin, die erst lernen musste, zu sagen, was sie will, und das aus verschiedenen Gründen z.B. eine psychische Erkrankung nicht kann. Sie kann eben nicht "einfach mit ihm reden". Ein Thema, das ich persönlich als sehr realitätsnah und die Bearbeitung wichtig empfinde.

Bücher ohne Konflikt finde ich persönlich auch unerträglich. Habe lange gebraucht, bis mir klar wurde, wie viele Leute das aber tatsächlich mögen. Man lernt ja nie aus. ;D Ich wüsste aber wohl nicht, was diese Zielgruppe mag und könnte sowas nicht schreiben. Es gibt aber nicht wenig Interessenten dafür, wer also weiß, wie man das schreibt, kann auch damit viel Erfolg haben.

Was ich generell nicht gern mag, sind Dinge, die ich als non-problem problems betrachte. Zum Beispiel: "aber meine Freundin hat ihn zuerst gesehen und sich verliebt" oder "aber er ist mein Stiefbruder". Wers mag, solls gern lesen, diese Tropes / Konflikte haben ja auch viele Fabs, aber ich kann das nicht nachvollziehen und entsprechend auch nicht mitleiden. Dann schon eher sowas wie in "Der Tod in Venedig". Soll er den Jungen vor der Epidemie warnen und riskieren, ihn nie wiederzusehen? Oder es nicht tun und riskieren, dass er stirbt? Sowas finde ich sehr spannend. Abgründe halt. ;D

Generell finde ich, dass auch kleine und alltägliche Konflikte sehr interessant sein können. Es muss nicht immer um Leben und Tod oder den Weltuntergang gehen. Außerdem hängt es natürlich auch immer vom Genre ab, das man schreibt, wie man einen Konflikt gestaltet.

Ich habe eine Weile lang versucht, innere und äußere Motivation und Konflikte sehr akribisch zu plotten und habe festgestellt dass ich mich damit meistens in sehr unrealistische, konstruierte Situationen bringe. Inzwischen mache ich das Ganze eher nach Gefühl, nehme mir nur einen Startpunkt und entwickle diese Dinge dann innerhalb der Story, während ich schreibe, so wirkt alles organischer und natürlicher. Aber als Anhaltspunkte sind diese ganzen Tipps durchaus hilfreich.
Alhambrana

Mondfräulein

Zitat von: Alana am 09. März 2024, 02:09:22The Big Misunderstanding ist nicht zu Unrecht ein sehr beliebtes Trope, das man nicht vorschnell abtun sollte. Das Problem ist, dass es meistens schlecht umgesetzt wird. Dann finde ich es auch extrem nervig. Es kann aber auch extrem gut funktionieren, wenn es richtig gemacht wird. Essentiell ist dafür, dass die Gründe für das Missverständnis und die nicht erfolgende Aufklärung nachvollziehbar und logisch sind, und dass es nicht unnötig in die Länge gezogen wird. Ich habe einige Bücher gelesen, die das Trope meisterhaft umsetzen und in denen ich es sehr geliebt habe. Die pauschale Verurteilung ärgert mich deswegen immer etwas. Ich habe es selbst auch schon verwendet, bei einer Protagonistin, die erst lernen musste, zu sagen, was sie will, und das aus verschiedenen Gründen z.B. eine psychische Erkrankung nicht kann. Sie kann eben nicht "einfach mit ihm reden". Ein Thema, das ich persönlich als sehr realitätsnah und die Bearbeitung wichtig empfinde.

Ich habe persönlich noch nie ein einziges Buch gelesen, in dem das Trope gut umgesetzt war (außer das Missverständnis dauerte nur ungefähr 20 Seiten an). Ich würde aber auch behaupten, dass dein Buch (ich habe es nicht gelesen und gehe von dem aus, was du schilderst) nicht unter dieses Trope fällt. Das Trope ist für mich wirklich nur dann erfüllt, wenn das Missverständnis der Kern des Problems ist. Von dem, was du schilderst, ist der Kern des Konflikts, dass sie nicht sagen kann, was sie will. Das ist in dem Fall ein Konflikt zwischen ihr und sich selbst bzw. ihrer psychischen Erkrankung. In dem Fall kann ich mir gut vorstellen, dass das im Buch funktioniert, aber eben auch nur, weil mir dann als Leserin klar ist, dass das Missverständnis nicht das eigentliche Problem ist und dass die Aufklärung des Missverständnisses das eigentliche Problem nicht lösen würde. Aber sobald ich das Gefühl habe, das Missverständnis aufzuklären, würde das Problem lösen bzw. alles wesentlich vereinfachen, empfinde ich das beim Lesen einfach als wahnsinnig frustrierend. Das fühlt sich künstlich in die Länge gezogen an.

Alana

#42
Das sehe ich nicht so. Ein Trope wird nicht dadurch gelöscht, dass es nicht den Kern des Problems berührt. Das wirkt für mich eher so, als würdest du dagegen andiskutieren, dass man das Trope auch gut machen kann.  ;D (Nicht böse gemeint. Aber kommt bei mir so an.) Ich denke, es ist vielleicht immer so, dass das Missverständnis nicht das Hauptproblem sein kann, das ist vermutlich der große Fehler, den die meisten machen. Das Missverständnis ist eine von vielen Möglichkeiten, den Hauptkonflikt zu eskalieren, aber nie der Mittelpunkt aller Probleme. Abgesehen davon: jedes Buch, das auf einem einzigen Hauptkonflikt von vorn bis hinten aufgebaut ist, nervt schnell. Das ist ein typischer Anfängerfehler, den ich auch gemacht habe. Man startet mit einem Konflikt und der muss sich dann natürlich entwickeln.
Alhambrana

Franziska

Ich überleg gerade, ob das bei Stolz und Vorurteil auch zutrifft. Zumindest gibt es viele Missverständnisse über die Persönlichkeiten von Personen und deren Absichten

Mondfräulein

Ich würde sogar offen dazu stehen, dass man das Trope meiner Meinung nach nicht gut umsetzen kann, aber wir gehen da glaube ich vor allem darin auseinander, was unter das Trope fällt und was nicht. Das ist ehrlich gesagt auch nur meine persönliche Einschätzung und vielleicht liege ich falsch, aber auf der anderen Seite fällt ja auch nicht jedes Missverständnis unter dieses Trope. Ich persönlich verstehe darunter, dass es zu einem Missverständnis kommt, das den Hauptkonfliktpunkt darstellt und alleine das Aufrechterhalten das Missverständnisses dazu führt, dass die Figuren nicht zueinander finden. Da zähle ich auch zum Beispiel "Ich kannte die Person einfach nicht gut genug und hatte einen anderen Eindruck von ihr" nicht drunter.

Ich verstehe schon, was daran attraktiv erscheint. Man kann großes Drama durchspielen ("Er hat mich betrogen!", "Er hat gesagt, dass er mich hasst!", "Nächste Woche heiratet er eine andere!"), die Auflösung geht aber sehr bequem und einfach. Große Emotionen, aber wir müssen nichts davon wirklich auflösen. Es liest sich eben nur wahnsinnig frustrierend. Absolut nicht meins.

Das ist glaube ich einfach eine viel engere Definition als deine, weil ich solche Beispiele wie deins nicht darunter zähle. Aber letztendlich ist es ja auch nicht so wichtig, wie das Trope letztendlich definiert ist, weil wir uns im Kern glaube ich einig sind: Das Missverständnis sollte nicht der einzige Konfliktpunkt sein. Viele gute Konflikte werden glaube ich auch erst dann gelöst, wenn die Figuren eine Entwicklung durchmachen und das ist zum Beispiel in deinem Beispiel der Fall. Die Figur vom Anfang des Romans kann den Konflikt nicht auflösen, die Figur am Ende aber schon.