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Präsens-Trend

Begonnen von Cailyn, 04. März 2016, 09:48:44

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Churke

Zitat von: Cailyn am 11. März 2016, 07:58:33
Ich war dahingehend nur neugierig, ob man sich als Autorin nun auf den Präsens-Trend einstellen muss, ob sich das plötzlich etabliert und das Präteritum ersetzt oder ob der Trend (wie einige ja meinten) schon wieder zurückgeht.  :buch:

Trends kommen, Trends gehen, aber das Präterium als Erzählzeit dominiert seit 5.000 Jahren. Und ebensolange gibt es Autoren, die mit guten Gründen das Präsens verwenden. Vielleicht bekommt man heute mehr Präsens durchs Lektorat als früher, aber in meinen Augen sollte man irgendwelchen Moden hinterherhecheln, sondern praxisbezogen anhand des Einzelfalls entscheiden.

Cailyn

Hinterherhecheln war ja auch nie meine Absicht. Das läge schon mal gar nicht in meiner Natur.  ;D

Aber ich denke nicht, dass das Pritäritum sich in Sicherheit wähnen kann, nur weil es schon so lange angewandt wurde. Das ist eine Art Hochrechnung von dir persönlich. Allerdings hoffe ich, dass du Recht hast.  ;)

Amberle

Ich mag Präsens in Geschichten auch nicht. Tatsächlich habe ich mal ein halbes Buch gelesen bevor ich gemerkt habe, dass es im Präsens geschrieben wurde und ich die ganze Zeit ins Präteritum übersetzt habe ohne es zu bemerken.
Ich habe auch schon kurze Szenen im Präsens geschrieben, weil ich damit etwas über den Geisteszustand der Figur unterstreichen konnte, der in dem Moment ziemlich miserabel war. Aber ein ganzes Buch würde ich so auch nicht schreiben wollen. Ich lese es wenn es sein muss, aber Präteritum würde ich immer vorziehen.

Ich kann auch keinen Trend ausmachen. In den letzten Jahren kommt es in der Jugendliteratur öfter mal vor. Aber ich kann mich nicht daran erinnern wann ich das letzte Mal etwas im Präsens gelesen habe, das nicht YA war.

Das erinnert mich außerdem daran, dass ich immer noch eine Geschichte in 2. Person Futur schreiben muss.

DodyLuNatic

Zitat von: Lina Franken am 04. März 2016, 23:10:58
Ich habe mal ein (sehr kurzes) Kapitel in Ich-Präsens geschrieben und es hat eigentlich auch großen Spaß gemacht. Es fühlte sich an, wie BlairWichtProject oder Cloverfield: Eine verwackelte Kamera, die mir folgt.

Genau das ist es, was mich persönlich am Präsens stört. Der Text wirkt auf mich hektischer, als müsste ich beim Lesen eines Satzes den nächsten schon gleich mitlesen, damit ich nichts verpasse. Wobei auch für mich da die Ausnahme geschriebenes Rollenspiel ist, weil da die Geschichte ja gerade auch "lebt" und nicht bereits abgeschlossen ist. Dazu passt dann die erhöhte Aufmerksamkeit oder Alarmbereitschaft, wenn man so will, die ich beim Präsens empfinde.

Klecks

#34
Ich kenne den Präsens-Trend, wenn es ihn denn als Trend gibt, ebenfalls hauptsächlich aus YA-Romanen. Außerdem sind viele der Gay Romances, die ich gelesen habe, ebenfalls im Präsens geschrieben. Außerhalb dieser beiden Genres habe ich Präsens bisher nur extrem selten gelesen. In Gay Romances bin ich es schon sehr gewöhnt, weil es meinem Gefühl nach oft vorkommt.  ;D  Ich schätze, dass diese Erzähzeit in gewissen Genres - vielleicht auch noch anderen, zusätzlichen Genres als den genannten beiden - zu einer Konvention geworden ist, die oft eingehalten wird.  :hmmm:

Cailyn

Zitat von: Amberle am 19. März 2016, 20:21:06
Ich mag Präsens in Geschichten auch nicht. Tatsächlich habe ich mal ein halbes Buch gelesen bevor ich gemerkt habe, dass es im Präsens geschrieben wurde und ich die ganze Zeit ins Präteritum übersetzt habe ohne es zu bemerken.
Ich musste lachen, weil mir das auch mal passiert ist. Lange habe ich mich gefragt, was so komisch ist an diesem Buch, bis mir dann das Licht aufging.  ;D
Allerdings fand ich es bei diesem Buch dann ziemlich angenehm geschrieben und es sprach für sich, dass ich das Präsens gar nicht bemerkt habe.

DodyLuNatic
Die Sache mit der Hektik hat schon was. Präsens wirkt dann halt fast wie ein Film, wo alles schneller erzählt wird.

Sturmloewin

Ich finde, es kommt ganz stark auf die erzählte Geschichte an. Zu manchen passt nun mal Präsens, zu anderen überhaupt nicht. Deswegen finde ich es manchmal ganz cool und manchmal stört es mich total. Ich denke, wenn da der Autor gut gearbeitet hat, ist alles in Ordnung.
So when the world knocks at your front door
Clutch the knob tightly and open on up
And run forward and far into its widespread, greeting arms
With your hands outstretched before you
Fingertips trembling, though they may be
--- Anis Mojgani "Shake the Dust"

Kati

Präsens ist denke ich einfach sehr viel näher, das Präteritum wirkt oft ein wenig distanzierter. Deshalb wird Präsens glaube ich auch oft für Geschichten verwendet, in die man den Leser wirklich reinziehen will - Dystopien, aber auch oft Thriller - während man historische Romane oder Fantasy oft im Präteritum erzählt. Mir kommt es auch oft vor, als wäre die Sprachmelodie im Präteritum schöner, man kann mehr mit Atmosphäre spielen, was in Fantasy oft wichtiger ist, als viel Action (jedenfalls im Jugendbuchbereich). Das ist jedenfalls mein Eindruck.  :) Ich habe allerdings auch schon historische Romane im Präsens gelesen. Erst dachte ich, das ginge gar nicht, aber es war dann wirklich gut gemacht und wirklich sehr schön. Ich finde Ich-Perspektive im Präsens immer fast ein bisschen unangenehm, wenn sie gut gemacht ist, eben weil man plötzlich so nah dran ist, das mag ich aber besonders bei Thrillern oder bei düsteren Dystopien sehr gern. Die Hunger Games würden denke ich im Präteritum nicht so gut wirken, eben weil oft spontan gehandelt werden muss und die Hauptperson eher im Moment leben muss, was durch das Präsens sehr gut deutlich wird.

Ich schreibe mittlerweile auch gern beides und entscheide das eigentlich danach, worauf es mir ankommt: Möchte ich den Leser richtig reinziehen und gibt es viel Action, spontane Entscheidungen, spielt alles eher so "im Moment", ohne, dass die Figuren lange über etwas nachdenken können oder sich Gedanken über die Zukunft machen können, wähle ich Präsens. Bei Romanen, die ehr "ruhiger" sind und es eher ums Miträtseln geht, wähle ich dann das Präteritum. Das fußt aber natürlich nur darauf, was ich persönlich mit den beiden Zeiten verbinde und sicherlich empfinden andere Autoren oder Leser das komplett anders. Ich würde das Präsens aber gar nicht unbedingt als neuen Trend bezeichnen, besonders im Jugendbuch ist es mir auch schon früher öfter untergekommen. Dass es im Moment so allgegenwärtig wirkt, könnte daran liegen, dass Dystopien im Trend sind und diese sehr oft in Ich und Präsens erzählt sind. So oder so, ich finde es schön, dass es so verschiedene Mittel gibt Geschichten zu erzählen. Wenn man es gut macht, können beide Perspektiven ziemlich gut wirken.  :)

moonjunkie

Ich lese auch gerade ein Buch im Präsens, Ich-Perspektive. Und hier passt es wirklich wunderbar, weil es auch um Wiedergeburten geht und es immer mal wieder Rückblenden gibt, wenn sich die Hauptfigur an frühere Leben erinnert. So kann man das sehr gut auseinanderhalten. Es ist ein Jugendbuch oder YA, da kommt es ja scheinbar öfter vor. Ich kann mich allerdings nicht dran erinnern, dass ich schon viele Bücher im Präsens gelesen hätte.

Mir wäre definitiv auch danach, es mal auszuprobieren. In Ich-Perspektive habe ich bisher erst einen einzigen Roman geschrieben (und da auch hinterher wieder geändert), aber ich probiere es mit Sicherheit noch mal aus.

canis lupus niger

Hm, spontan hätte ich geäußert, dass ich Erzählungen im Präsens gar nicht mag. Aber aktuell lese ich ein Buch, bei dem mir erst nach einigen Seiten überhaupt aufgefallen ist, dass im Präsens geschrieben wurde. Kann mich also doch nicht soo sehr stören.

Grundsätzlich hängt es wohl davon ab, was geschrieben wird. In den modernen Erlebnisbericht, den ich zurzeit lese, passt es irgendwie. In einem epischen Roman, Fantasy oder nicht, würde ich es für unpassend halten.

magico

Eindeutig eine Perspektivfrage. Wie schon erwähnt, sind Fantasy-Geschichten, Epen oder historische Romane im Präteritum ganz sinnvoll. Ich kenne allerdings auch historische Romane, die im Präsens funktionieren oder gerade deshalb. Ist eben mal etwas anderes.

Ich finde Präteritum für Science Fiction-Geschichten, Dystopien, Utopien oder allgemein alles, das in der Zukunft spielt, ziemlich fragwürdig. Man schreibt in der Vergangenheitsform über die Zukunft? :hmhm?:

Aber letztendlich ist eine gute und gutgeschriebene Geschichte wichtiger, als die Zeitform. Bei Präsens kommt man zumindest nicht in die Verlegenheit das doofe Plusquamperfekt anwenden zu müssen. ;D (Das gibt's ja tatsächlich nur in Schriftform.)

Sturmbluth

Zitat von: magico am 30. Mai 2016, 14:17:06Ich finde Präteritum für Science Fiction-Geschichten, Dystopien, Utopien oder allgemein alles, das in der Zukunft spielt, ziemlich fragwürdig. Man schreibt in der Vergangenheitsform über die Zukunft? :hmhm?:
Hm, da sehe ich kein Problem. Ich bin großer Fan der Präteritums-Erzählung in dritter Person. Für mich muss es immer so sein, dass der Erzähler irgendwie "dabei" war, selbst wenn er ein auktorialer Erzähler ist. Und wenn die Geschichte in der Zukunft spielt, dann ist sie eben schon passiert und der Erzähler erzählt aus seiner Sicht die Vergangenheit, da er ja in der Zukunft lebt.

PS: Danke für den Thread. Endlich ein Platz wo ich zum Ausdruck bringen kann, wie sehr mich die Ich-Perspektive im Präsens nervt. Ich dachte schon, ich sei der einzige, den das stört ...

Lukas

Zitat von: Sturmbluth am 30. Mai 2016, 21:54:47

PS: Danke für den Thread. Endlich ein Platz wo ich zum Ausdruck bringen kann, wie sehr mich die Ich-Perspektive im Präsens nervt. Ich dachte schon, ich sei der einzige, den das stört ...
Ich wollte eigentlich nichts hierzu schreiben, weil ich nicht behaupten kann einen "Trend" ausmachen zu können. In der englischen Literatur (vor allem Contemporary) war es schon ewig so, dass man im Präsens geschrieben hat. Ich finde es interessant und mich "nervt" das alte, brottrockene und langweilige Präteritum. Ich schreibe allerdings trotzdem viel im Präteritum, nur um später festzustellen, dass ich meine Actionsequenzen soooo viel lieber im Präsens schreiben würde. Oder Dialoge. Die sind einfach schlagfertiger.
Aber dank der MAcht der Gewohnheit, hab ich im momentanen PRojekt von dritte Person personal Präteritum auf erste Person Präasens gewechselt. Und sowiet bin ich damit zufrieden. Außerdem macht es unfassbar viel Spaß zwischen Schreibstilen zu wechseln, sowie deine PoVs wechseln. Das lässt einen quasi 2-4 Bücher gleichzeitig schreiben und es wird nie langweilig.

P.S.: Ich verabscheue das Präteritum nicht halb so sehr, wie mein Statement vermuten lässt, ich wollte nur einen starken Konstrast zu dem "nerven" in Sturmbluths post bringen. Ich hab mich ein  bisschen angegriffen gefühlt, als jemand der jetzt fast ausschließlich Präsens schreibt. Nichts für ungut :knuddel: :knuddel:

Evanesca Feuerblut

Man kann mit Präsens übrigens faszinierende Effekte schaffen. Ich plane gerade einen Roman - und dazu gehört, einzelne Szenen schon mal zu schreiben und grob in eine Reihenfolge zu bringen - bei dem die Hauptprotagonistin in der Ich-Form und in Präsens dargestellt wird, während alle anderen Figuren in der dritten Person und im Präteritum agieren.
Das ist die einzige Form, die mir ermöglicht, die Hauptprotagonistin immer "im Augenblick" darzustellen. Sie hält eine intersexuelle Person für eine Frau? Also kann sie im Präsens auch von einer Frau sprechen und erst im Verlauf der Geschichte dann feststellen "Oh, doch keine Frau" und anders von der Person sprechen. Und ich vermeide alle Situationen, in denen ich rückblickend eigentlich anders hätte schreiben müssen.

Wenn Präsens einfach ohne besonderen Grund verwendet wird (zum Beispiel bei den Krimis von Lars Keppler, die vermutlich genauso gut im Präteritum gewirkt hätten) und die möglichen Effekte nicht genutzt werden, ist es für mich beliebig und unnötig.

criepy

Ich bin kein Freund des Präsens. Beim lesen wirkt das so unwirklich für mich, viel distanzierter als Präteritum. Ich finde es komisch etwas in der Gegenwart zu lesen, was schon vor längerer Zeit geschrieben wurde und demnach auch nicht mehr gegenwertig passiert...wenn das Sinn ergibt.
Allgemein wirkt diese Zeitform für mich holprig und irgendwie...falsch beim lesen. Und beim schreiben. Bei mir kommt da nie Stimmung auf.
Auch mag ich diesen Ich-Erzähler nicht und beides in Verbindung ist für mich einfach...neee.  :-[