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Präsens-Trend

Begonnen von Cailyn, 04. März 2016, 09:48:44

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JarlFrank

Präsens gefällt mir ganz und gar nicht. Erste Person finde ich je nach Buch ganz okay, aber gerade da finde ich Präsens irgendwie störend, da die Ich-Perspektive ja das Gefühl vermittelt, dass der Hauptcharakter selbst seine Geschichte erzählt. Und wenn das dann im Präsens geschrieben ist... äh... ist er dann gerade mitten in der Actionszene dabei, dem Leser die Geschichte zu erzählen? Nee, ich kann mich überhaupt nicht damit anfreunden. Ich lese viel auf Englisch und gerade in der englischen YA Literatur scheint dieser Trend herumzugeistern. Mir gefällt es im Englischen genausowenig wie im Deutschen, weil es einfach nicht passt.

Bei Textlastigen Computerspielen (oder solchen die nur aus Text bestehen: Text-Adventures!) finde ich es passend, weil man selbst als Charakter in der Geschichte mitspielt und alles was passiert, im *Jetzt* passiert. Aber das ist für mich der einzige Fall, wo Präsens angebracht ist.

LinaFranken

Ich habe mal ein (sehr kurzes) Kapitel in Ich-Präsens geschrieben und es hat eigentlich auch großen Spaß gemacht. Es fühlte sich an, wie BlairWichtProject oder Cloverfield: Eine verwackelte Kamera, die mir folgt.  :darth: Aber einen ganzen Roman möchte ich in dem Stil weder lesen, noch schreiben. Ich und Du erinnern mich auch meist an Rollenspiele und die machen mir inzwischen keinen Spaß mehr. Im Grunde ist es aber auch wirklich eine Gewohnheit. Früher mochte ich Ich-Perspektiven nicht, inzwischen komme ich damit klar, sofern mir der Ich-Erzähler sympathisch ist. Mit Trends spielen macht definitiv Spaß, aber klasische Autor-Präteritum-Version wird mir vermutlich immer die liebste bleiben.

Zit

Um ehrlich zu sein, ist mir Präsenz in letzter Zeit gar nicht unter gekommen. Kann daran liegen, dass es nur in bestimmten Genres eingesetzt wird, wie Alana schon meinte. :hmmm: Insofern kann ich da natürlich keinen Trend ausmachen.
Nichtsdestotrotz finde ich es wie JarlFrank aus dem gleichen Grund seltsam. Ich könnte damit nur leben, wenn Charaktere das in wörtlicher Rede verwenden: "Ich stehe also in dieser Bruchbude von ihm und von der Decke tropft diese braune Brühe, tropft mir genau auf die Kopf, und ich will noch sagen: 'Hey, Alter, lass uns gehen, hier gibt's nix' -- da zieht der Wi*er seine Knarre. Stell dir das vor. In seiner abgefuckten, abgebrannten Bruchbude zieht der W* seine Waffe und zielt auf mich. Auf mich! Seinem beschissenen besten Freund." (Sry, es ging grad durch. :engel:) Aber ein ganzer Roman oder auch nur eine Kurzgeschichte in dem Stil wären mir zu anstrengend. Wenn mir ein Ich-Erzähler seine Geschichte erzählt, dann doch bitte schön im Präteritum wie jeder andere Erzähler auch. ;D

(Naja, und Du-Perpsektive finde ich immer sehr bevormundend und beleidigend.)
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Maubel

Auch hier würde ich sagen, dass es Gewöhnungssache ist. Ich habe bisher nur im Rollenspiel im Präsens geschrieben, wo das natürlich Sinn macht. Aber als ich nach drei Jahren intensivstem Rollenspiel wieder ein normales Buch geschrieben hat, klang die Vergangenheit plötzlich ganz falsch. Albern oder? Da hatte ich dann auch nachgedacht im Präsens zu schreiben, aber mich dann doch relativ schnell an die Form zurückgewöhnt. Ich würde Präsens tatsächlich nicht für einen Roman wählen, aber ich muss auch sagen, dass ich den Trend nicht wirklich mitbekommen habe.

@Evanesca Feuerblut Vielleicht liegt das nur an mir, aber alle fünf Sätze geben mir genau die gleiche Wirkung. Vielleicht bin ich da etwas unempfindlich geworden. Auch dein Spoiler wirkt auf mich genauso wenn er in der Vergangenheit geschrieben wäre.  :hmmm: Vielleicht liegt es ja wirklich an mir, aber bei mir sind es die Worte selber, die den Effekt auslösen, nicht die Stilform.

Lediglich die Du-Perspektive kommt bei mir nicht so rüber. Nicht, weil sie generell doof ist oder unpassend, sondern einfach, weil sie mich direkt anspricht und mir sagt, wie ich mich gerade fühle, obwohl ich ganz genau weiß, wie ich mich gerade fühle. Da kann ich mich irgendwie nicht so gut reinversetzen. Das geht leichter mit dem Ich. Klar, die Abenteuerbücher von Stevenson waren total spannend, aber mitgefiebert habe ich nicht, weil ich ja doch ganz sicher war in meinem Zimmer ^^

JarlFrank

Das Du funktioniert für mich NUR in Spielen, seien es Computerspiele oder eine gemütliche pen and paper Runde. Denn da spielt man wirklich den Charakter, der angesprochen wird, und da lasse ich mir auch so Sachen durchgehen wie "Du fühlst dich XY als du in den Raum hineingehst und siehst was da abgeht", weil das ja dann nicht direkt *meine* Gefühle sind die mir da vorgeschrieben werden, sondern die meines Charakters. Und wenn ich in einem Computerspiel einen Charakter spiele, der in dieser Welt verschiedene Beziehungen hat, dann ist es natürlich klar dass er gewisse Gefühle haben wird wenn er z.B. den Tod eines Freundes mitbekommt.

Aber in Büchern? Nee, gar nicht. In einem Rollenspiel ist zwar das "Du" an der Tagesordnung, aber damit wird nicht der Spieler, sondern der Charakter den man als Spieler verkörpert angesprochen. In einem Buch mit Du-Perspektive kann ich mir das nicht vorstellen. Warum sollte man die Perspektive verwenden, wenn man einen Protagonisten mit eigenen Eigenschaften einführt? Kommt dann erst so ein "Du bist ein hochgewachsener Mann mit blonden Haaren und starken Muskeln, der als Ritter im Dienste des Königs kämpft und sehr loyal ist"? Dann würde ich mich daran stören dass ich die Entscheidungen meines Charakters, anders als in einem Spiel, nicht steuern kann. Wenn jedoch bloß das generische "Du" verwendet wird und der Leser der Protagonist sein soll, dann würde mich es sogar noch mehr stören wenn der Protagonist dann Entscheidungen trifft, die ich nie im Leben getroffen hätte, oder Gefühle zeigt, die ich nie zuvor gefühlt habe.

Mit gut geschriebenen Charakteren kann man mitfühlen, man kann sich in sie hineinversetzen - deshalb stört das "Du" in einem Spiel auch nicht weil man sich in seinen Charakter hineinversetzt, und dieser Charakter angesprochen wird und nicht man selbst. Aber so in nem Buch das den Leser als Protagonisten annehmen würde... neee, kann ich mir so gar nicht vorstellen!

Hab bisher auch noch nie ein Buch gelesen in dem die zweite Person verwendet wird. Die Abenteuerbücher würde ich nicht als normale Bücher sehen, die sind ja auch mehr eine Art Spiel, da man während des Lesens Entscheidungen treffen kann: wenn du dich für X entscheidest, blättere zu Seite 100, wenn du dich für Y entscheidest zu Seite 110. Aber so ein ganz normales, lineares Buch in zweiter Person? Das kann doch gar nicht funktionieren.

Tigermöhre

Ich lese eigentlich lieber in der Vergangenheitsform. Aber ich bevorzuge auch eindeutige die 3. Person.
Wobei mir gestern aufgefallen ist, dass ich die Zeitform nicht bewust wahrnehme. Kinderbücher werden ja auch häufig im Präsens geschrieben. Jetzt hat meine Tochter gerade ein Buch mit 6 Kurzgeschichten geschenkt bekommen. Ich las es durch und bei der 5. Geschichte stolperte ich über die Form. Es brauchte eine Weile, bis ich bemerkte, dass sie als Einzige in der Vergangenheit geschrieben war. (Wer macht sowas? Wo war da der Lektor?)
Also, ich lese beides, aber ein Wechsel mitten im Buch stört ich sehr.

Drachenfeder

Ich spreche nicht gerne von Trends. Die meisten Bücher sind in den uns bekannten Vergangenheitsformen geschrieben. Zum Glück gab und gibt es aber auch Erzählungen im Präsens. Diese haben in der letzten Zeit erheblich zugenommen, aber warum nicht? Ich lese diese Bücher ab und an ganz gerne und ich finde es wundervoll, dass es so viele verschiedene Möglichkeiten für Leser gibt. Daher warum nur ein Trend? Ich habe nichts dagegen, auch wenn ich selbst eher zu Büchern im Präteritum greife.

Selbst schreibe ich meine Kurzgeschichten meistens in der Ich-Form und im Präsens. Bei Romanen habe ich mich noch nicht an die Gegenwart herangewagt.



Slenderella

Ich-Form und Präsens wäre jetzt nix, was ich schreiben würde :)
Aber Präsens an sich habe ich immer gern geschrieben und würde ich auch durchaus mal wieder.
Ich brauch noch eine Katze
Und ein Beil wär nicht verkehrt
Denn ich gehe heute abend
Auf ein Splatter-Pop-Konzert

Acrosen

#23
Ich finde, es ist eigentlich egal, in welcher Zeitform und Perspektive geschrieben wird, solange es der Szene angemessen ist und der Autor/die Autorin es entsprechend beherrscht.
Ich würde auch nicht sagen, dass das ganze eine Art "Trend" ist. Es ist ein altbekanntes Stilmittel, welches momentan eine intensive Auslebung durch verschiedenste Genres erlebt.

Ich persönlich spiele sehr gerne mal mit dem Präsens, oft kombiniert mit einem Wechsel in die Ich-Perspektive oder (z.B. in Traumszenen) auch bei einer Art der Perspektivlosigkeit. Genauso habe ich mich mal daran versucht, eine komplette Gedankensequenz über emhrere Seite im Futur durchzuhalten. Das war zwar ein Fehlschlag, aber trotzdem eine interessante Erfahrung, und irgendein Autor/irgendeine Autorin wird garantiert auch daraus eine wunderbare Geschichte machen können.

Man sollte wissen, wo die eigenen Schwächen und Stärken liegen. In manchen neueren Büchern hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass eine Präsens-Szene oder ein Perspektivwechsel verwendet wurde, nur um dem aktuell vorherrschenden Stilmittel zu entsprechen. Sowas ist Quatsch. Der Leser merkt, wenn der Autor sich aus seinem eigenen Stil heraus verbiegt.

Es gibt aber auch positive Beispiele, wo das Präsens meiner Meinung nach eine unerreichte Wirkung entfalten kann.
Aber letztendlich ist das, wie hier im Thread bereits aufgezeigt, eine Geschmackssache.

Slenderella

Kombiniert mag ich es zum Beispiel gar nicht. Das wirkt immer so (auf mich jetzt, ich unterstelle um Himmels Willen dem Autor nicht, dass er sich das dabei gedacht hat) - "Wechseln wir Stil und am besten Schriftart, damit der Depp von Leser merkt, dass es sich hier um eine Traumsequenz, oder Rückblende oder was auch immer handelt."

Keine Ahnung, warum ich das immer denke, aber das mag ich einfach nicht :D
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Eluin

Ich persönlich denke alles ist Gewöhnungssache bei Perspektive und Zeitform. Wenn der Stil stimmt, dann ist es mir völlig egal. Auch beim Schreiben. Manche Projekte schreiben sich besser in der 1. andere in der 3. Person und ebenso verhält es sich bei mir auch beim Tempus.

Lediglich bei Kinderbüchern für die Jüngeren tendiere ich primär zum Präsens. Einfach weil erst ab einem bestimmtem Alter (hab das Jahr gerade nicht im Kopf) die Zeitwahrnehmung entsprechend vorhanden ist, dass die Kinder nicht mehr im "Jetzt" verwurzelt sind.
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Cailyn

Hätte ich den Thread hier nur nicht aufgemacht!   :d'oh:
Unterm Strich findet die Mehrheit die Ich-Perspektive zum Lesen ja nicht so toll, und meine Schreibbeine werden langsam wackelig, wo ich doch vorher noch so felsenfest überzeugt war, die 1. Person für meinen nächsten Roman zu wählen. Ihr seid schon ne Truppe... schafft es, meinen Dickschädel aufzuweichen. Tztz...

Evanesca Feuerblut

Cailyn  :knuddel:
Falls es dich beruhigt, ich mag erste Person und Präsens, so es denn gut gemacht ist.

Von mir kam in dieser Diskussion ja - wenn auch mit scheinbar ungeeigneten Beispielsätzen - das "alles ist erlaubt, womit der Text so, wie er von dir gedacht ist, am Besten klingt".

Das Problem sind die Lesegewohnheiten. Jemand, der schon so lange liest, wie ich überhaupt auf der Welt bin, dabei aber kaum Bücher mit 1. Person Präsens vorgefunden hat, für den ist das natürlich "seltsam", "komisch", ungewohnt, was weiß ich. Teenager, die eben erst anfangen zu lesen, sich auf YA stürzen und dort eine bunte Vielfalt in Bezug auf Perspektiven und Zeitformen vorfinden, sind da weniger vorbelastet und müssen nicht erst für eine bestimmte Erzählform "gebrochen" werden.

Merke ich bei mir selbst, verwöhnt von den modernen Erzählstimmen, wenn ich mal wieder einen Klassiker in der Hand halte und von der auktorialen, allwissenden dritten Perspektive eines belehrenden Autoren ganz schnell so genervt bin, dass ich das Buch an die Wand klatschen würde, wenn ich nicht so einen Respekt vor Büchern hätte. (Es gibt auch Klassiker, die auktorial, allwissend, dritte Perspektive sind und trotzdem gut und lesbar und alles, aber es auch die Bücher aus der Hölle, wo dauernd gesagt wird, was gottgefällig ist und alle drei Sätze ein anderer Charakter die Perspektive trägt und args...)
Als die von mir wenig euphorisch wahrgenommenen Bücher aktuell waren, war aber genau das progressiv und "in" im Vergleich zu irgendwas anderem.

Daher sehe ich Trends in der Literatur eher immer als Chance. Also als "Oh, so kann man es auch erzählen? Wusste ich gar nicht, ich teste das mal für mein nächstes Projekt, ob das gut klingt".


Eluin

@Cailyn lass dich nicht verunsichern. Du bist die einzige, die wirklich sagen kann, was für dein Projekt passt. Bei manchen Projekten sind viele Perspektiven und Zeitformen denkbar. Bei anderen gibt es genau eine richtige. Im Zweifelsfall probier es aus. Schreib bspw. das erste Kapitel einmal aus dieser Perspektive und Zeitform, dann aus der anderen. Guck, was sich besser anfühlt. Wenn du dich nicht entscheiden kannst, zieh vielleicht 1-3 Testleser mit ins Boot. Aber auch da wirst du wahrscheinlich wieder ganz unterschiedliche Meinungen hören.

Ich vermute, dass du auch unterschiedliche Antworten zwischen "Autoren" und "nur Lesern" bekommen wirst. Ergo: nicht verunsichern lassen, sondern geh deinen Weg.
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Cailyn

Danke Evanesca und Eluin!  :knuddel:
Ich werde sicher beim Plan A) bleiben, aber eben auch eine andere Vairante machen, um zu sehen, was besser wirkt.

Und jetzt dürft ihr wieder übers Präsens verhandeln, was ich ja für meine Bücher ohnehin nicht in Betracht ziehe. Ich war dahingehend nur neugierig, ob man sich als Autorin nun auf den Präsens-Trend einstellen muss, ob sich das plötzlich etabliert und das Präteritum ersetzt oder ob der Trend (wie einige ja meinten) schon wieder zurückgeht.  :buch: