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reale, erfundene oder miteinander verwobene Orte verwenden

Begonnen von Chrissy, 31. Januar 2016, 15:02:00

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Chrissy

Hallo zusammen,

ich brüte nun schon länger vor mich hin aber vielleicht könnt ihr mir ein wenig Einblick in eure Sichtweise gewähren.

Ich versuche mich an meiner ersten größeren Geschichte und überlege, wo ich meine Protas hinsetzen soll. Dass sie in eine kleinere Stadt gezogen sind, habe ich schon festgelegt.
Aber: Soll es eine reale Stadt sein oder eine erfundene oder kann ich beide Welten irgendwie vermischen? Klar, alles reale muss wirklich gut recherchiert sein und erfundenes ist sozusagen freier aber sinnvoll zu gestalten aber eine Komination könnte interessant sein, stelle ich mir aber im Moment sehr schwierig vor (Übergänge schaffen, wo genau ansiedeln usw.). Jetzt versuche ich irgendwie herauszufinden, worauf man bei diesen Dingen überhaupt achten muss.
Wie handhabt ihr diese Fragen und wo siedelt ihr vorzugsweise eure Figuren/Geschichten an?
Lg Chrissy

Sascha

Ich hab bis jetzt entweder alles an ganz realen Orten spielen lassen (München, Leipzig, mein Wohndorf, ..., das ist die Urban Fantasy) oder an komplett erfundenen, dann ist es aber auch eine völlig andere Welt.
Zu komplett erfundenen Orten muß man nicht viel sagen. Sie sollten, soweit Du sie beschreibst, glaubhaft sein, wenn Du nicht gezielt absolut märchenhaft sein willst, aber wo welches Gebäude steht usw., das entscheidest Du. Wer will das überprüfen?
Zu realen Orten: Ich hab mich mal tatsächlich um einen Termin in Leipzig gerissen, nur, um da zu recherchieren. Nachdem ich bereits im Netz einiges rausgefunden hatte. Für die deutsche Leserschaft ist das schon ganz sinnvoll. Einige Orte in Italien hab ich mir nur über Google Maps/Streetview und vllt. noch deren Homepages (falls in Englisch oder gar Deutsch verfügbar) angeschaut und hoffe einfach, daß es nicht grad jemand liest, der die Nester kennt. Ich hab weder Zeit noch Lust, dafür extra nach Italien zu gondeln. Und die Wahrscheinlichkeit ist ja doch seeehr gering.
Eine Mischung ... wird wirklich schwierig. Letztlich hast Du dann nur die Kombination aus beidem, und wenn Du wirklich Übergänge bauen willst zwischen den beiden "Dimensionen", dann mußt Du gerade dafür passende Orte finden (wo es z.B. nicht auffällt, wenn sich jemand in Luft auflöst).

Denamio

Je nachdem was die Geschichte braucht. Wenn es eine real existierende Stadt sein soll, benutze ich manchmal frech Google Streetview um mir ein Gefühl davon zu verschaffen, wie es sich dort anfühlt. Idealerweise schaut man auch mal persönlich vor Ort vorbei, aber das ist mitunter unrealistisch. Alzu genau mache ich es nicht, aber sich hier und da auf real existierende Dinge zu beziehen kann ungemein die Wirkung vertiefen.
Wenn das ganze mit erfundenen Ort verknüpft werden soll, geht das meinem Empfinden nach dann recht gut, wenn man nicht exakt festlegt wo der Ort zu finden ist. Schreibt ein Autor "Wirmelheimen lag abgeschieden zwei Kilometer südlich von Bielefeld. Die Ausfahrt war unpraktisch und nur wenige fanden hier je hin", dann pack ich mir auch mal die Karte und schau nach. Steht da hingegen, "Wirmelheimen lag im weiteren Dunstkreis von Bielefeld. Nicht viele Wege führten hin, aber Fluchtwege gab es genug", glaub ich das Unbesehen und lese weiter.

Real und Fiktion lässt sich recht gut kombinieren. Aber wenn etwas aus der realen Welt ist, sollte der Text dann auch schon halbwegs dem entsprechen, was dort zu finden ist. Und wenn man eine bestehende Sache modifiziert, also einer großen Stadt einen neuen Stadtteil andichtet, dann braucht es für mich einen Grund warum den keiner kennt. Das kann ganz einfach sein, dass die Geschichte schon vorher klargemacht hat das sie sich nur an unsere Welt anlehnt aber in wesentlichen teilen abweicht. Fliegen Drachen mit Zeppelinen? Pfft, was interessiert mich da noch ob es Wirmelheimen bei Bielefeld wirklich gibt? Dann ist das schon in Ordnung wenn es abweicht. Oder aber es gibt einen Grund in der Geschichte selbst. Vielleicht ist der Stadtteil so ausgestorben, das die meisten ihn direkt vergessen? Oder es hat genug Einbahnstraßen das es zu einem Labyrinth wird, in das keiner rein will. Kleine glaubwürdige Lügen praktisch.


Chrissy

Danke für die Antworten.
Sind das eure Beweggründe für bzw. gegen reale Orte für euch persönlich oder allgemein gemeint? Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht, wenn ich so frech fragen darf?
glg Chrissy

Denamio

In meinem Fall war das persönlich. Es gibt für mich keine allgemeingültigen Regeln beim kreativen Schreiben. Da geht alles. Allerdings muß man sich bewußt sein, dass manche Dinge sich schlußendlich besser verkaufen als andere. In dem speziellen Fall hier:

Ich schreibe häufig Urban Fantasy, dementsprechend laufe ich der Frage ständig über den Weg. Gemotzt hat darüber noch keiner, wie ich das mache. Aber verkaufen tut es sich bisher auch nicht, von daher. Aber ich kann dir Beispiele aus der Literatur geben, wo das auf die eine oder andere Art geklappt hat.


  • Harry Potter. Der berühmte Bahnsteig 9¾ wurde geradewegs dem Londoner Bahnhof King's Cross aufgepflanzt. Magie war hier die Erklärung.
  • Nightside. Irgendwo bei London, nicht genau definiert. Erreichbar über versteckte magische Wege und spezielle U-Bahn Stationen.
  • Shadowrun. Speziell Deutschland in den Schatten. Hier kannte ich viele Orte persönlich und die Erklärung "50 Jahre in der Zukunft" hat gereicht um Unstimmigkeiten aus dem Weg zu räumen.
  • Dresden Files. Da geschieht es mitten in der Stadt, aber die Zaubergesellschaft hat alles streng reguliert und die meisten Menschen glauben ohnehin sie spinnen, wenn sie magisches sehen.

Speziell Shadowrun ist da interessant, weil sie in einem anderen Roman, der in Amerika spielte, sich auf eine Monorail bezogen, die dort seit zig Jahren stehen soll. Leider gab es die nicht und der Autor hatte es mit einer anderen Stadt verwechselt. Ups. Da wollten sie zu genau sein und haben daneben gelangt. Aber so oder so, reales lässt sich also problemlos mit anderen Welten verknüpfen. Hey, fast das komplette Urban Fantasy Genre basiert darauf. Es braucht nur kreativen Klebstoff, um es glaubwürdig zu machen.

Lothen

#5
ZitatDer berühmte Bahnsteig 9¾ wurde geradewegs dem Londoner Bahnhof King's Cross aufgepflanzt.
Wobei Mrs. Rowling hier sogar einen Fehler gemacht hat. ;) Der Bahnhof, den sie im Roman beschreibt und der in den Filmen zu sehen ist (dieses hübsche Backsteingebäude), ist eigentlich St. Pancras, direkt neben King's Cross. Gestört hat es am Ende niemanden, aber man sieht: Solche Schnitzer können jedem passieren.

Als Autor kann ich dazu wenig sagen, weil ich a) derzeit kein contemporary schreibe und b) noch nicht veröffentlicht habe, aber als Leser finde ich es schade, wenn reale Orte thematisiert werden, es aber an den Details hakt. "Illuminati" ist so ein Beispiel. Viele Orte oder Gegebenheiten waren in der Realität überhaupt nicht vorhanden, sodass man die beschriebene Schnitzeljagd im Nachhinein gar nicht nachvollziehen konnte. Das ist dann schade. Wenn schon Realitätsbezug, dann auch richtig.

Insofern würde ich im Zweifel eher auf eine fiktive Stadt ausweichen und ihr irgendeinen Namen geben, den es in diesem Bundesland o.ä. nicht gibt. Beides zu kombinieren finde ich schwierig, außer du hast wirklich einen guten Grund dafür (ein Teil der Stadt wurde von einem Hochwasser zerstört und neu aufgebaut, irgendein markantes Gebäude wurde abgerissen, ein neuer Stadtteil wurde entwickelt o.ä.). Alles andere könnte wirken, als hättest du schlampig recherchiert. Wobei ich sagen muss: Eine fiktive Disko oder ein fiktives Gasthaus in einer realen Stadt wäre für mich absolut okay.

Mogylein

   "Weeks of Writing can save you hours of plotting."
- abgewandeltes Programmiersprichwort

Sascha

Für mich war klar, daß das eine (Kurt) in der realen Welt spielen soll, da ich auch komplett hiesige Gottheiten thematisiere und es wirklich auch auf die Gegenwart beziehe.
Das andere mußte ich in eine fiktive Welt schubsen, weil die Gesellschaften dort ganz andere sind und sich nur aus unserer entwickelt haben sollen (Erklärung dafür geht dann in Richtung SciFi). Das hätte ich so bei uns nicht ansiedeln können.
Also generell denke ich, daß es einfach vom Stoff abhängt, welche Kulisse man wählt. Manches (wie Harry Potter) geht eben nur in einer Mischung aus realer und fiktiver Welt, oder ganz fiktiv natürlich, aber niemals komplett real. So ein mords Schloß wie die Zauberschule kann man nur in einer Art Parallelwelt verstecken.

sirwen

Ich denke, diese Frage muss jeder Autor für sich und seine eigene Geschichte entscheiden, von Fall zu Fall. Persönlich finde ich es leichter, einen Ort, den es tatsächlich gibt, zu beschreiben. Es macht den Ort authentischer, weil man viel besser ein Flair und stimmige Details einflechten kann. Ich nehme es einem Autor auch nicht übel, wenn er sich Freiheiten nimmt und einen Ort so verändert, dass es in die Geschichte passt – solange der Ton der Geschichte auch dazu passt. Bei einem historischen Roman, der so tut, als wäre er gut recherchiert, erwarte ich auch gute Recherche, bei etwas freier ausgelegten Urban Fantasy würde ich jetzt Mal ein Auge zudrücken.
Hauptsache, das Ganze ist stimmig und stört nicht. Tendenziell finde ich aber schon, dass man nicht einfach einen Ort sich aussuchen soll, von dem man keine Ahnung hat. Ist einfach schwieriger, denke ich.

Selber habe ich in einem Roman reale Städte als Inspiration genommen und ihnen einfach einen anderen Namen gegeben, weil es mir nicht darum ging, die Story genau dort spielen zu lassen, mir aber die Stimmung gut gepasst hat (und die Orte selbst sehr inspirierend waren).
Bei einem anderen Projekt habe ich die Stadt, in der ich wohne, genommen ... das war vor 5 Jahren, als ich hierhergezogen bin, und festgestellt, dass ich die Stadt noch gar nicht so gut kenne und das Flair nicht richtig rüberkommt. Ähm ja, die Story ist jetzt auch erst einmal liegen geblieben. Versetzen kann ich die Story aber nicht, weil die Figuren, die mich inspiriert haben, mit der hiesigen "Mythologie" verbunden sind. ;D