• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Wie geht eigentlich Schreiben?

Begonnen von chaosqueen, 24. Februar 2015, 11:48:56

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

HauntingWitch

Erstens: Ich glaube sehr wohl, dass man das Schreiben, zumindest den Antrieb dafür, "in sich haben" muss. Aber ich glaube auch, jemand, der seit Jahren regelmässig schreibt und nicht aufgibt, obwohl sie denkt, schlecht zu sein, es in sich hat.  ;)

Was die Umsetzung angeht, ist es meiner Meinung nach eine Mischung aus beidem: Handwerk und Gefühl. Handwerk kann man lernen. Gefühl muss man finden, aber auch da gibt es Tricks.

Zitat von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 11:48:56
Ich zäume das Pferd mal von hinten auf: Mein Output ist unterirdisch. Und zwar qualitativ (quantitativ auch, aber das hat damit zu tun, dass ich einfach nicht noch mehr Schrott schreiben will als eh schon).

Das hier klingt für mich sehr, als ob du dich selbst blockierst. Du denkst, es ist qualitativ nicht gut genug und schreibst deswegen lieber gar nichts als das Schlechte, das du erwartest. Aber wenn du gar nicht schreibst, kannst du auch nicht üben und auch nicht besser werden. Löse dich von dem Gedanken, etwas Schlechtes sei nicht schreibenswert. Es ist eine Übung. Vielleicht wird es mit der Zeit etwas Gutes und wenn nicht, hast du etwas draus gelernt. Ein schlechter Entwurf ist besser als gar keiner. Ich kenne diese Ängste von mir selbst und für mich gibt es nur ein Mittel dagegen: Grosszügig ignorieren und trotzdem weitermachen.  ;)

Zitat von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 11:48:56
Mein Problem: Ich sehe meine Figuren nicht. Ich habe ein grobes Konzept, wie meine Geschichte verlaufen soll, aber mehr nicht. Für mein konkretes Projekt lautet das: Sechs Menschen stehen in unterschiedlicher Beziehung zueinander. Einer von ihnen entpuppt sich nach und nach als starker Narzisst, auch wenn er selber sich für einen Altruisten hält. Durch den Verlauf der Handlung wird immer deutlicher, wer er wirklich ist, die fünf anderen wenden sich einer nach dem anderen von ihm ab, bis er alleine dasteht.

[]

Aber: Ich sehe sie nicht, spüre sie nicht, bin nicht "in ihnen drin". Ich sitze mit dem Fernglas auf dem Berg, beobachte, was im Dorf passiert und interpretiere aus der Entfernung Taten, Handlungen und Emotionen der Handelnden. Das klappt nicht.

Hörst oder fühlst du sie vielleicht eher, als sie zu sehen? Wenn du sie hörst: Schreib auf, was sie sagen. Wenn du sie fühlst: Beschreibe genau diese Gefühle. Falls nicht: Warum nicht? Vielleicht liegt die Antwort da.

Oder fehlen dir vielleicht Vorlagen? Ich kann nur von mir sprechen und bestimmt gibt es so viele Wege wie Autoren. Aber ich erschaffe keine einzige Figur aus dem Nichts heraus, ich habe immer eine Vorlage. Das kann eine reale Person sein oder eine Mischung aus mehreren Personen, eine Filmfigur, eine andere Buchfigur, ja, sogar der Erzähler eines Liedes oder das Gesicht auf einem gemalten Bild. Es geht nicht darum, diese zu kopieren und so zu übernehmen, das versuche ich tunlichst zu vermeiden. ;D Aber ich brauche ein existentes Bild, woran ich mich orientieren kann. Das kann auch etwas aus meiner Erinnerung sein oder irgendein beliebiges Bild von irgendjemandem aus dem Internet. Mein Vater sagte immer "von nichts kommt nichts" und das gilt meiner Meinung nach auch für Inspiration.

Zitat von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 11:48:56Schreibratgeber haben für mich übrigens das Problem, dass sie mich überfrachten. Da sind dann ganz viele tolle Ideen drin, die ich eine Weile alle der Reihe nach umzusetzen versuche, aber irgendwann geraten sie wieder in Vergessenheit, zumal es einfach zu viele sind und ich eh nicht alles auf einmal umsetzen kann.
Und dann ist da halt wieder das Problem der Wichtigkeit: Was ist wichtig, was nicht so? Welchen Tipp sollte ich unbedingt umsetzen, welchen nicht?

Ich glaube, das Schlüsselwort hier ist "alles auf einmal". Du musst ja gar nicht alles auf einmal. Wie wäre es, wenn du so einen Ratgeber mal Schritt für Schritt, Tipp für Tipp durchgehst und jeden einzeln auf eine bestimmte Szene oder Sequenz anzuwenden versuchst. Alles nacheinander. Es gibt ja keinen Stress, es muss nicht morgen fertig sein und es muss auch nicht auf Anhieb perfekt sein. Du kannst üben und ich denke, üben ist das Wichtigste, denn man übt sowieso das ganze Leben lang. Was ich vor ein paar Jahren super fand, betrachte ich heute bestenfalls als Übung und in ein paar Jahren wird es mir mit den jetzigen Projekten so gehen, da bin ich sicher.

Nycra

Einen Punkt möchte ich gerade mal rausgreifen, die anderen haben ja mehr oder minder schon ähnliche Ratschläge gegeben wie ich im anderen Fred bzw. dasselbe gesagt.

Du sagst, du hast mit einem Narzissten zusammengelebt und weißt, wie es ist, sich als "Opfer" eines solchen zu fühlen, kannst aber seine Gefühlswelt nicht transportieren. Da frag ich mich, warum überhaupt versuchen? Es heißt doch immer, wir Autoren sollen über das Schreiben, was wir kennen. Ergo: Versuch es mal aus einem ganz anderen Blickwinkel. Nicht, indem du seine Sicht verwendest, sondern eine Gegenfigur nimmst und aus deren Blickwinkel schreibst. Die Ich-Form könnte ganz nützlich in so einem Fall sein, auch, weil es für dich die Nähe zur Figur besser darstellt. Du schreibst also im Prinzip deine eigenen Emotionen auf. Als Fingerübung könntest du ggf. vielleicht eine Art Tagebuch schreiben, in der du Szenen eures Lebens rekapitulierst?

Mein erster selbstgeschriebener Roman, der bei mir tiefergehende Emotionen transportieren konnte, war auch in der Ich-Perspektive geschrieben, alles davor war nur Blablubb. Durch die Ich-Perspektive war ich es, die die Gefühle empfand und nicht die Figur. Das hat mir geholfen, mich einzufühlen, bis es irgendwann nicht mehr reichte, nur in dieser Perspektive zu bleiben. Inzwischen - und ich schäme mich nicht das zuzugeben -  spiele ich die Szenen sogar nach, versuche die Figur zu sein, die leidet, auch das hilft. Nicht immer, aber hin und wieder.

Vielleicht ist das ja für dich ein Weg, näher an deine Figuren ranzukommen?

Pandorah

Huhu chaos,

ich glaube, dein Problem liegt gar nicht an deinem Schreiben. Ich glaube, dein Problem liegt an einer ganz anderen Stelle: Du vergleichst deine Rohfassung mit dem fertigen Schliff anderer Schreiber.

Egal, wo du etwas von anderen liest, es sind immer (immer, immer, immer!) Schnipsel oder Werke, die bereits eine Zensur durchlaufen haben. Die des Schreibers, der beschloss, dass der Text gut genug ist, um präsentiert zu werden. Bei fertigen Büchern ist es die Zensur von Schreiber, Lektoren, Korrektoren, ... Da *kann* dein Text in der Rohfassung nicht gegenanstinken.

Das, was du beschreibst, klingt nach dem, was auch bei mir der Fall ist. Schreiben. Einen Rohentwurf hinschmeißen. An dem es an allen Ecken und Enden fehlt. Ein Gerüst, wenn du das so willst. Und sobald das Gerüst steht, setze ich mich hin und kleide es aus. Hier füge ich Beschreibungen hinzu, achte drauf, dass nicht nur die Handlung dran ist, sondern dass man die Szene auch riechen, hören, schmecken kann. Ich füge ein, dass meine Hauptfigur nicht nur herumfährt, sondern beschreibe, warum sie das tut, lausche auf ihre Empfindungen.

Und das ganze passiert stückchenweise. Mir hat es enorm geholfen zu entdecken, dass ich kein Schreibgärtner, sondern ein Schreibarchitekt bin. Ich pflanze nicht wie Sprotte zum Beispiel einen Geschichtensamen und weiß, dass eine Tomate (in Sprottes Fall ein Heroic) herauskommt, muss mich aber erst unterwegs mit der richtigen Menge der Düngung und des Gießens und des Schädlingsbekämpfens beschäftigen. Kann ich nicht. Mache ich das, geht meine Geschichte ein.

Ich bin ein extremer Fall. Ich plane die Geschichte vorher sehr genau. Von der Idee über eine Zusammenfassung in Kurzform über eine Zusammenfassung in Langform hin zu einem Szenenplan. Und im Grunde genommen ist mein erster Rohentwurf eine sehr, sehr, sehr ausführlicher Szenenplan. Man kann ihn schon lesen, alle wichtigen Dinge sind vorhanden, aber ein Roman ist es noch lange nicht. Es fehlt an allem - an Atmosphäre, an Gedanken, an Gefühlen, an Sinnen. Das kommt im ersten Durchgang des Editierens hinzu. Und das ist immer der Durchgang, der mir am schwersten fällt. Weil es eben an allen Ecken und Enden fehlt. Weil die Sätze schief und krumm sind. Weil die Wörter blass und schlurrig sind.

Und erst, wenn ich diesen Durchgang hinter mir habe, bin ich auf einem Level, den andere bereits mit dem ersten Schreiben erreichen. Weil ich anders arbeite. Und vergleiche ich meinen Rohentwurf mit dem eines Gärtnerschreibers, kräuseln sich meine Zehennägel vor Schmerz, weil alles von mir so tot ist.

Und wie du siehst - deine von dir auserwählten Szenen für die NaNo-Schnipsel sind auf Gegenliebe gestoßen. Weil du nicht nicht schreiben kannst. Sondern weil du Schnipsel präsentiert hast, die dir gefallen. Die du geschliffen hast. Auch wenn es länger dauert, lohnt es sich. Das Endergebnis wird schön.

Pestillenzia

Es ist zwar schon eine kleine Ewigkeit her, seit ich im NaNo-Board aktiv war, aber ich weiß noch, dass mir deine Schnipsel gefallen haben (wie vielen anderen ja auch). So schlecht, wie du dich siehst, bist du als Autorin also schon mal auf gar keinen Fall.

Trotzdem versuche ich es mal mit einem ganz anderen Ansatz: chaos, hast du dir schon mal überlegt, ob du dir einen Schreibstil aufzwingen willst, der gar nicht deiner ist? Ich habe letztes Jahr an einem Krimi-Workshop teilgenommen. Dazu mussten wir zuvor eine mehrseitige Textprobe einschicken, die dann in der Runde besprochen wurde. Eine Teilnehmerin stach mit ihrer Textprobe extrem heraus. Sie warin der Ich-Perspektive geschrieben, sprachlich sehr karg, sehr reduziert, bestand überwiegend aus Dialogen, wobei die Personen jeweils kaum mehr als einen, maximal zwei Sätze sagten. Gefühle wurden so gut wie gar nicht konkret benannt, höchtens z.B. "Er packte mich am Arm. Es tat weh." Und trotzdem hatte der Text eine Wucht, die mich fast vom Stuhl gefegt hätte. Er hat trotz seiner Reduziertheit so viel zwischen den Zeilen transportiert; das hätte nie im Leben funktioniert, wenn sie eine emotionalere Sprache oder genauere Schilderungen benutzt hätte.

Vielleicht wäre das mal ein Ansatz?

Churke

Zitat von: chaosqueen am 24. Februar 2015, 11:48:56
In der Theorie ist das prima, meine Figuren haben Stärken und Schwächen, alles toll.

Aber: Ich sehe sie nicht, spüre sie nicht, bin nicht "in ihnen drin". Ich sitze mit dem Fernglas auf dem Berg, beobachte, was im Dorf passiert und interpretiere aus der Entfernung Taten, Handlungen und Emotionen der Handelnden. Das klappt nicht.

Ich könnte mir vorstellen, dass du dir über deine Figuren einfach zu viele Gedanken machst und dann - vergeblich - versuchst, diese Gedanken zu bebildern und szenisch umzusetzen. Du willst character-driven schreiben, dabei vom Abstrakten ins Konkrete wechseln und findest aber keinen Zugang dazu.

Ich bilde ein Beispiel: Der König speist zu Abend und du willst zeigen, dass der König seine Frau liebt. Schön. Wie macht man das? Ich sag's ganz offen: Ich habe keine Ahnung. Und es ist mir auch egal, weil, wenn ich keine Ahnung habe, dann mache ich es nicht.
Gewiss, man kann gegenseitige Liebesschwüre ("Ich liebe dich!") einflechten oder Kosenamen verwenden. Aber ist das nicht nur blabla?
Aber wenn die Königin im Sterben liegt und der König einen Dämon beschwört, um sie zu retten, dann wissen wir, dass er sie liebt.

Figuren sind nicht vielschichtig, weil es auf dem Charakterbogen steht. Sie sind vielschichtig, weil die Story ihnen die Chance dazu gibt, sich in allen Facetten zu offenbaren und trotzdem noch Geheimnisse für sich zu behalten.
Mein Rat wäre: Die innere Handlung einfach ignorieren und sich auf das äußere Geschehen konzentrieren. Der Rest ergibt sich dann.

Maja

#20
Chaos, vielleicht ist es ein schwacher Trost, aber du bist nicht allein. Silvester 2007/08 bin ich, auf dem Zirkeltreffen, nach einer Kritik zu dem Text, den ich gelesen hatte, heulend zusammengeklappt, weil ich verstanden habe, dass ich nicht schreiben kann, und niemals schreiben können werde, und mein größter Lebenstraum nur eine Illusio war. Das Schreiben ist mir so wichtig, dass ich drei Tage später mit Selbstmordgedanken bei meinem Nervenarzt saß, und das war das erste Mal und zum Glück auch das Letzte, dass ich so etwas ernsthaft in Betracht gezogen habe.

Dabei war die Kritik damals mitnichten ein "Du kannst nicht schreiben". Es war nur die Anmerkung, dass Elena das Gefühl hatte, meinen Figuren mangle es an Sinneseindrücken, und man hätte nicht das Gefühl, dass dort überhaupt eine Umwelt wäre, die man wahrnehmen könnte. Mein Perspektivträger agierte quasi in einer Taucherglocke, hatte ein Fenster und konnte Geräusche wahrnehmen, agierte aber sonst im Luftleeren Raum. Mein Problem, das ich sofort identifizieren konnte, war ein Strukturelles: Nicht mein Held nahm seine Umwelt so wahr. Ich selbst tat es. Und wie sollte ich etwas, das ich selbst nicht beherrsche, in meine Geschichten transportieren?

Ich habe mir nicht das Leben genommen, und ich habe auch nicht zu Schreiben aufgehört. Meinen Lernprozess habe ich außerhalb des Schreibens auf mich genommen, indem ich mich bewusst damit auseinandergesetzt habe, wie ich die Welt wahrnehme, und wie ich mein eigenes sensuelles Empfinden steigern konnte, um das wiederum in meine Bücher zu portieren. Ich bin noch nicht am Ende angekommen, aber ich überspiele es inzwischen ganz gut. Jedenfalls ist seitdem kein Leser mehr mit der Kritik gekommen, dass man meine Romane durch eine Taucherglocke erleben müsste.

Und ich denke, in deinem Fall ist es genauso. Dein Problem liegt nicht im Schreiben, sondern in deiner Wahrnehmung der Welt und der Schwerpunkte, die du dabei setzt - und dass du deine Eindrücke nicht zu Ausdrücken machen kannst. An einer Taucherglocke wird es bei dir nicht liegen, im Gegenteil - ich wette, du kannst mir erklären, was für großartige Sinneseindrücke man eben beim Tauchen hat. Ich panike ja schon, sobald ich keinen Boden mehr unter den Füßen habe, darum ist das für mich die absolute Horrorvorstellung.

Meine Lösung war, mich auf Gerüche zu konzentrieren, das Gefühl von Wind auf der Haut oder der Resonnanz des Bodens unter den Füßen. Du kannst genau das Gegenteil tun. Du kannst tauchen. Du erträgst es - ich vermute, liebst es sogar - dass um dich herum nur Raum ist. Wo meine Sicht komplett nach innen gekehrt ist, bist du in der Lage, dich loszulösen und Teil deiner Umwelt zu werden, in allen Dimensionen auf einmal. Ich weiß nicht, was dein Patenrezept sein wird. Aber du hast so viele Ansätze, dir bewusst zu werden, wie du die Welt wahrnimmst, und warum das anders ist als bei allen anderen Menschen, und warum diese Sicht besonders ist. Und wenn du das Besondere einmal gepackt hast, kannst du dein Schreiben darum herumfließen lassen.

Schreiben fängt mit Sehen, Hören und Fühlen an, lange bevor auch nur das erste Wort gedacht ist. Schreiben heißt, deine Welt mit anderen zu teilen. Aber dafür musst du sie selbst erst einmal kennen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Judith

Zitat von: Witch am 24. Februar 2015, 13:13:47
Oder fehlen dir vielleicht Vorlagen? Ich kann nur von mir sprechen und bestimmt gibt es so viele Wege wie Autoren. Aber ich erschaffe keine einzige Figur aus dem Nichts heraus, ich habe immer eine Vorlage. Das kann eine reale Person sein oder eine Mischung aus mehreren Personen, eine Filmfigur, eine andere Buchfigur, ja, sogar der Erzähler eines Liedes oder das Gesicht auf einem gemalten Bild. Es geht nicht darum, diese zu kopieren und so zu übernehmen, das versuche ich tunlichst zu vermeiden. ;D Aber ich brauche ein existentes Bild, woran ich mich orientieren kann. Das kann auch etwas aus meiner Erinnerung sein oder irgendein beliebiges Bild von irgendjemandem aus dem Internet. Mein Vater sagte immer "von nichts kommt nichts" und das gilt meiner Meinung nach auch für Inspiration.
Genau das mit den "Vorlagen" ist mir auch als erstes eingefallen. Ich persönlich tu mir sehr schwer damit, wirklich Neues zu entwerfen und damit meine ich nicht unbedingt einen einzigartigen, originellen Plot, sondern auch das Rundherum: Landschaften, Gebäude, Menschen.
Du hast im anderen Thread geschrieben, dass du dir deine Figuren und manchmal auch ihre Umwelt nicht so recht bildlich vorstellen kannst. Ich kann das auch nur, wenn ich auf Vorlagen bzw. bereits Bekanntes zurückgreife und das dann nach meinen Vorstellungen verändere/anpasse.
So habe ich für Figuren auch meist eine Inspiration - sei es jemand aus dem tatsächlichen Leben (selten) oder jemand aus einer Serie oder einem anderen Buch (häufiger). Das heißt nicht, dass ich diese Figur dann so übernehme und in meinen Roman setze. Es ist wirklich nur eine Inspiration - ein erster Ausgangspunkt, von dem aus ich dann meine persönliche Version dieser Figur entwickle. Oft verändert sie sich bei mir dann so sehr, dass sie letztendlich gar nichts mehr mit der Vorlage gemeinsam hat. Aber das wichtige für mich ist einfach, dass ich nicht bei "Null" anfangen muss, sondern schon eine kleine Starthilfe habe, wenn man es so nennen möchte.
Und so ist es auch mit Landschaften oder Gebäuden: Ich gehe von etwas aus, das mich inspiriert hat (oft in einem Museum oder z.B. einer antiken Ausgrabungsstätte, oft auch einfach nur ein Foto) und entwickle von dem dann meine Umgebung im Roman. Meistens sind es ganz viele verschiedene Vorlagen, die ich im Kopf habe.

Ich weiß nicht, ob dir das zumindest schon einmal bei einem Teil deines Problems helfen kann.

Was schließlich die Atmosphäre, das Tempo und all diese Dinge betrifft, so habe ich damit auch sehr zu kämpfen und kann nur sagen, dass das bei mir in der Rohfassung meist alles noch nicht so recht stimmt. Darum kümmere ich mich im Detail dann bei den Überarbeitungen.
Und wenn du selbst nicht mehr weiter kommst beim Überarbeiten, dann such die Betaleser, damit sie dich genau bei diesen Dingen "an der Hand nehmen".

Miezekatzemaus

Zitat von: Witch am 24. Februar 2015, 13:13:47
Das hier klingt für mich sehr, als ob du dich selbst blockierst. Du denkst, es ist qualitativ nicht gut genug und schreibst deswegen lieber gar nichts als das Schlechte, das du erwartest. Aber wenn du gar nicht schreibst, kannst du auch nicht üben und auch nicht besser werden. Löse dich von dem Gedanken, etwas Schlechtes sei nicht schreibenswert. Es ist eine Übung. Vielleicht wird es mit der Zeit etwas Gutes und wenn nicht, hast du etwas draus gelernt. Ein schlechter Entwurf ist besser als gar keiner. Ich kenne diese Ängste von mir selbst und für mich gibt es nur ein Mittel dagegen: Grosszügig ignorieren und trotzdem weitermachen.  ;)
Das möchte ich gerne unterschreiben. Ich will dir außerdem sagen, nicht aufhören darfst, dein Geschriebenes zu lieben. Die Wörter, die in deinen Dokumenten stehen, sind es wert, geliebt zu werden. Denn sie sind mit Herzblut entstanden.

Anderer Lösungsansatz: Das ist nur eine Kann-Lösung, aber ich glaube, sie kann helfen. Nimm dein aktuelles Manuskript und druck zwei Seiten aus. Dann lies die zwei Seiten, leg sie eine halbe Stunde beiseite und geh konzentriert spazieren oder tauchen oder so. (Aber ich schätze, tauchen dauert länger, oder?) Lass dabei die Wörter auf dich wirken. Und dann nimmst du die zwei Seiten wieder in die Hand und streichst ohne noch einmal zu lesen, was danach kommt, alles, was du nicht magst. Dann spazierst du wieder eine halbe Stunde oder tauchst oder tust was-auch-immer. Schlafen wäre auch eine Option. Oder Seifen herstellen. Und dann schreibst du die zwei Seiten um, wenn du irgendwo etwas ändern oder ergänzen willst. Dann lässt du sie wieder liegen und dann liest du sie noch einmal. Vielleicht siehst du dann, was du kannst. Was für Worten du mächtig bist. (Der vorletzte Satz klingt hart, soll aber eigentlich weich formuliert sein.)

Und ich habe auch deine NaNo-Schnipsel gelesen und sie sind gut. Sehr gut. Wenn du willst, kannst du mir auch zwei Seiten schicken und ich zeig dir, was mir daran gefällt und was ich ändern würde.  :knuddel:

Snöblumma

Ohne jetzt auf die Antworten vorher im Einzelnen eingehen zu wollen, aber wie wäre es mal wieder mit einer Weisheit aus Star Wars? Lernen musst du nichts mehr, wissen tust du schon alles, junger Padawan ;).

Nein, im Ernst, ich glaube wirklich, dass du dein Handwerk inzwischen beherrscht. Da liegen deine Probleme sicher nicht, zumal du ja sagst, dass du Fehler in Texten anderer findest und auch bei deinen eigenen Texten die notwendige Distanz wahren kannst, um sie in Sachen Technik zu überarbeiten. Kann es aber sein, dass du dich zu sehr in Technik verloren hast? Schreiben ist doch so viel mehr, schreiben ist fühlen und mit-leiden, nicht nur Technik. Kann es sein, dass du aus irgendwelchen Gründen (Angst vor dem Erfolg? Angst vor deinen eigenen Gefühlen? Perfektionismus?) unbewusst nicht zulässt, dass diese intuitive Seite die Kontrolle übernimmt?

Meiner Meinung nach besteht Schreiben aus beidem, aus Handwerk und Intuition. Ich würde nun nicht so weit gehen und behaupten, dir würde die intuitive Seite einfach fehlen - sonst wärest du ja nie auf dieses Hobby gekommen. Das Schreiben ist also irgendwo in dir drin, sonst hättest du ja nie angefangen ;).

Zitat von: Maja am 24. Februar 2015, 17:13:37
Schreiben fängt mit Sehen, Hören und Fühlen an, lange bevor auch nur das erste Wort gedacht ist. Schreiben heißt, deine Welt mit anderen zu teilen. Aber dafür musst du sie selbst erst einmal kennen.
Das kann ich nur unterschreiben. Schreiben ist für mich ganz viel beobachten in der realen Welt. Sich einfach mal in ein Café setzen und beobachten, wie Menschen interagieren. Das Gespräch am Nebentisch belauschen. In der U-Bahn überlegen, was das Gegenüber wohl gerade denkt, wo es hinfährt und zu welchem Zweck. Diese Eindrücke sammeln und auch bewusst zu verarbeiten gehört für mich zum Schreibprozess dazu. Was ich ebenfalls gerne mache: Anderen Emotionen unterstellen und Geschichten dazu spinnen, wie es dazu gekommen sein könnte. Wenn ich jemanden in der U-Bahn weinen sehe, zum Beispiel - das kann Glück sein, das kann Trauer sein, das kann Angst sein. Und es kann tausende Ursachen haben, und jede davon wäre eine Geschichte wert

Genauso geht es mir mit Emotionen - ich muss Emotionen gewissermaßen tanken. Nicht selber fühlen, im selber fühlen bin ich ziemlich schlecht und ganz ehrlich, ich habe so viel noch nicht mitgemacht. Ich hatte noch nie Liebeskummer, ich kenne keine Todesangst, ich hatte eigentlich noch nie existenzielle Sorgen. Aber darum geht es doch gar nicht, finde ich. Klar, wenn du Situationen kennst, in denen solche Gefühle auftraten, umso besser (vielleicht?), aber letztlich geht es in Texten doch darum zu beschreiben, wie es sein könnte. Ich wünschte, ich könnte besser ausdrücken, was ich meine... ich bin ja Bauchschreiber, plotte nicht und kenne, wenn ich mit einem Buch anfange, nur die Ausgangssituation. Und meine Charaktere - ich muss sie so lange mit mir herumtragen, bis ich sie fühlen kann. Wenn ich eine Situation schreibe, dann öffne ich mich ihren Gefühlen, lasse sie ein wenig die Kontrolle übernehmen und schreibe das, was der Charakter jetzt machen/fühlen/sagen würde. Das klingt jetzt alles vielleicht ein wenig irr und seltsam, aber das trifft es vielleicht am besten. Ich höre in dem Moment ein wenig auf, ich zu sein, und fühle nur noch "im Charakter". Ich kann dir nur leider nicht beschreiben, wie man dazu kommt (bei mir dauert es immer ein paar Gespräche mit der Figur lang, bis ich so weit bin), aber dieses Loslassen und Sich-Öffnen für den Charakter spielt bei mir eine ganz große Rolle.

Zugleich ist dieses Offensein für Emotionen für mich allerdings oft anstrengend. Ich versuche, mich im Alltag bewusst abzuschotten gegen zu viele Emotionen von anderen, was leider nicht immer gelingt. Aber ich denke im Grundsatz schon, dass man es lernen kann, Gefühle und Schwingungen um sich herum entweder bewusst wahrzunehmen oder abzuschotten. Wenn du also meinst, das derzeit noch nicht zu können, weil dir andere Menschen ein Rätsel sind: Fang einfach mal an damit, dich in Wildfremde hineinzudenken. Es muss ja nicht stimmen. Lass zu, dass du wahrnimmst, was sie aussenden. Diese feinen Signale zwischen all dem Alltagslärm wahrzunehmen ist sicher nicht ganz einfach, aber lohnenswert ;).

Falls es dich übrigens beruhigt: Äußerlichkeiten meiner Figuren kenne ich z.B. auch nicht. Mehr als "schwarze Haare, blaue Augen, halbwegs groß" ist da eigentlich nie vorhanden ;). Das ist nämlich etwas, das Figuren von sich selbst nicht wahrnehmen, oder zumindest nicht so bewusst beschreiben würden, also ist es für mich nicht greifbar. Ich sehe die Welten meiner Bücher eigentlich nur durch die Augen der Figuren, und höchst selten gibt es Dinge, die ich als Autor weiß, meine Figuren aber nicht. Eher läuft das andersherum, dass meine Figuren mit etwas ankommen, das ich so noch nicht wusste.

Mein erster Gedanke bei deinem Startpost war, ob du nicht vielleicht gerade vor diesem Kontrollverlust Angst hast oder dich zu starke eigene Gefühle in irgendeiner Form blockieren? Ich glaube, um Charaktere zu erfühlen muss man sich selbst ziemlich zur Seite schieben, wenn man mehr will als bloße Abklatsche von einem selbst zu schreiben. Kann es sein, dass da der Hund begraben liegt bei dir?

Den Hinweis auf den eigenen Stil fand ich übrigens auch sehr, sehr wichtig. Vielleicht schreibst du einfach nüchtern und reduziert? Dann ist das so. Dann ist das zwar gerade nicht in, aber eben dein Stil. Dich verbiegen wird dir nicht wirklich helfen, sondern dich nur unglücklich machen. Dann hol lieber das aus deinem Stil raus, was geht - und nüchtern und reduziert wird sicher auch mal wieder in Mode kommen.

Hast du schon einmal den Tipp benutzt, pro Szene einen Sinn anzusprechen? Wahrscheinlich hast du, aber ich lasse den Tipp trotzdem nochmal da. Wenn du dir vornimmst, pro Szene eine markante Äußerlichkeit, die in irgendeiner Form etwas aüber die Figur aussagt (Beispiel: Bild von sich selbst auf dem Schreibtisch -> zeugt für gewisse Selbstverliebtheit und ist definitiv seltsames Verhalten, und ruft ein Bild hervor) sowie einen Sinn anzusprechen (Geruch, Gehör, Tasten) und die jeweiligen Eindrücke deines PoV-Charakters zu schildern (findet er das komisch? Lustig? Hat er genau das auch zuhause? Erinnert ihn das an irgendetwas?), dann bist du ohne großes Hexenwerk sofort sehr viel näher dran an den Figuren. Wenn du solche Reaktionen deiner Figuren gerade nicht beschreiben kannst, dann würde ich ja einfach behaupten, dass du einfach noch etwas mehr Zeit mit ihnen brauchst. Setze sie in ein ganz normales Haus. Lass sie beschreiben, was sie wahrnehmen. Wie sie die Welt sehen. Wohin blicken sie zuerst? Was stört sie? Was würden sie anders machen? Was denken sie über den Hausbesitzer? All solche Aussagen einer Figur über andere und die Welt drumherum sagt ja nicht nur etwas über die Welt aus, sondern auch darüber, wie diese Figur selbst ist. Auf diese Weise arbeite ich mich jedenfalls an meine Figuren heran, und meistens klappt es ganz gut - und vollkommen unabhängig davon, ob ich die jeweiligen Aussagen selbst nachvollziehen kann oder so schon einmal selbst gefühlt habe.

KaPunkt

Ich glaube, Snö hat etwas sehr wichtiges geschrieben, ohne es selbst zu bemerken:
Zitatgeht es in Texten doch darum zu beschreiben, wie es sein könnte
(Hervorhebung von mir.)

Du musst nicht wissen, wie es in anderen Personen drinnen aussieht und wie sie wirklich, wirklich fühlen.
Das tut niemand von uns. Auch die besten Autoren können nicht Gedankenlesen. Zumindest bin ich mir da ziemlich sicher. (Da ich nicht Gedankenlesen kann, kann ich auch nicht ausschließen, dass es jemand anders vielleicht doch kann  :P)

Was wir alle statt dessen machen ist vermuten, raten, extrapolieren, kurz, wir stellen uns vor, was in den Köpfen anderer und denen unserer Figuren vorgeht, und zwar so gut wir eben können.
Mehr wird nicht verlangt.

Das man dabei auch mal falsch liegt, lässt sich nicht vermeiden.
Aber was heißt in diesem Zusammenhang schon falsch?
Es ist eine erfundene Figur, und solange sie innerhalb ihrer Persönlichkeit nachvollziehbar bleibt, ist sie eben schlimmstenfalls ein komischer Kauz, den andere nicht so Recht verstehen können.
Wenn die Figur, (wie eine Welt, nur so nebenbei) in sich selbst nicht nachvollziehbar ist, dann gibt es ein Problem, aber diesen Punkt kann man finden und lösen.

Und was hier auch schon geschrieben wurde: Auch vielschichtige, komplexe Figuren sind niemals so vielschichtig und komplex wie ein echter Mensch. Geht gar nicht. Zumindest nicht konstruktiv.
Ein Mensch kann nichts bauen, was ebenso komplex ist wie ein Mensch. Wenn wir das könnten, könnten wir auch künstliches Leben konstruieren, dass echtem ebenbürtig ist.
Dass Figuren uns trotzdem lebendig erscheinen liegt mM.n. zum Teil an der Unschärfe.
Es wird nicht alles gezeigt, nicht alles ausgeleuchtet, sondern manches nur angedeutet. Man sieht, dass es da hinten im Schatten noch weitergeht, aber man weiß nicht, wohin. Dieses Wissenslücke füllt der Leser mit seinen eigenen halbbewussten Vorstellungen und erschafft so in seinem eigenen Kopf einen vollständigen Menschen.

Ich glaube, das war jetzt ein wenig wirr, aber hoffentlich zumindest ein wenig hilfreich.
:knuddel:

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Snöblumma

Nein, das war schon sehr bewusst so geschrieben, aber es ist gut, dass du das noch mal betonst. In Gefühlen und Empfindungen gibt es keine Wahrheit, kein richtig oder falsch. Niemand kann behaupten, dass es so nicht sein kann.

Eine Figur kann nicht nachvollziehbar handeln - dann hat der Autor vergessen, zu erklären, warum sie jetzt "out of character" handelt. Meiner Meinung nach gibt es so etwas nämlich eigentlich nicht, sondern es handelt sich hier um Lücken in der Darstellung, solange es um die subjektive Seite geht. Vielleicht blockiert sich also auch nur der Anspruch, es richtig machen zu wollen?

chaosqueen

Puh, da ist aber viel zusammengekommen, danke euch allen! :gruppenknuddel:

Es ist ja tatsächlich nicht so, dass ich nicht fühle oder nicht empathisch sei. Auch wenn mir das viereinhalb Jahre lang eingeredet wurde. ;) Ich bin vermutlich tatsächlich so sehr davon beeinflusst, dass ich nicht interpretieren "darf", wie es meinem Gegenüber geht, dass ich das auf meine Figuren übertrage. Ich habe irgendwoher (Schreibratgeber? Deutschlehrer? Dozent? Ich weiß es nicht mehr) auch das "unumstößliche Gesetz" in meinem Kopf, dass man aus der einen Perspektive heraus keine Aussagen über die Emotionen des anderen machen darf. Ich vermute, das ist auch so ein SdT-"Gesetz".

Beispiel:

Klaus und Erna sitzen am Küchentisch. Perspektivträger ist Klaus. Erna zieht eine Augenbraue hoch. Klaus darf bemerken, dass sie das tut und darf denken "sieht aber ganz schön süffisant aus". Nicht schreiben darf der Autor aber "Klaus sah Erna an. Diese zog süffisant eine Augenbraue in die Höhe", weil er dann (angeblich?) in Erna hineinschaut und eine Emotion als gegeben nimmt, die Klaus nur vermuten kann.

Ich fürchte, ich hab eine Menge solcher seltsamer Weisheiten im Kopf ... Wenn ich euch richtig verstehe, dann darf ich das sehr wohl schreiben, weil Klaus dieses Augenbrauenhochziehen (ich liebe deutsche Substantivierungsmöglichkeiten! :D) eben als süffisant empfindet und sich in dem Moment sicher nicht fragt, ob es auch wirklich von Erna so gemeint ist. Es ist seine Wahrnehmung, die besagt "süffisant", gut ist.

Das ist nur ein winziger Aspekt meines Problems, aber sicher ein nicht unwichtiger. Genauso, wie ich so wahnsinnig darauf achte, immer in der Perspektive zu bleiben, damit ich eben nicht von Klaus in Ernas Kopf und wieder zurück wandere - darunter leiden dann aber eben auch Klaus' Sinnenseindrücke, weil man eben doch immer seine Umwelt interpretiert und ich ihm das regelrecht verbiete. Hm.

Was die Beobachtung von Menschen in "freier Wildbahn" angeht: Das mache ich. Leider bleibt das wenigste bei mir auch hängen. Und ich kann nicht immer eine Notizbuch zücken oder gar die Diktierfunktion im Handy benutzen. ;)
Anjanas Beschreibung ihrer Emotionen und Empfindungen, als ihr Hund angefahren wurde, sind gerade unglaublich beeindruckend für mich: Denn genau diese Dinge sind es, die mich in Romanen beeindrucken und die meinen völlig abgehen, weil ich es nicht weiß. Ich kann es mitempfinden, wenn ich es lese oder höre, ich empfinde es auch, wenn ich selber in einer solchen Situation stecke, aber wenn man mich fragen würde "welche (körperlichen) Empfindungen hast Du, wenn Du ahnst, dass gleich etwas passiert und Du wütend, sauer und ängstlich bist? Dann kommt von mir vermutlich der berühmte Kloß im Hals und der genauso abgegriffene Schauer über den Rücken, aber das ist stereotyp abgespult, weil man halt weiß, dass diese Emfindungen da sind, und nicht, weil ich sie in dem Moment nach-empfinden kann.

Ich bin mir total sicher, dass die meisten Betaleser meine Texte einigermaßen okay finden werden - aber da ist halt das Problem, dass sie auch nicht wissen, was ich wirklich schreiben will. Fiktives Beispiel: Ich will schreiben wie Juli Zeh (okay, das ist nicht ganz fiktiv, aber dass ich davon weit entfernt bin, ist mir klar) und am Ende kommt Erma Bombeck dabei heraus. Die hat ihre Berechtigung und die Bücher sind witzig, aber ihr Stil ist nicht das, was ich schreiben will. Ich will keine seichten Chick-Lit-Romane schreiben, sondern Unterhaltungsliteratur mit dem Anspruch, Menschen zu berühren. Und zwar nicht nur ihren Sinn für Humor. Also keine E-Literatur, aber eben auch keine Romane, die man liest, weglegt und vergisst.

Ja, ich weiß, hohe Ansprüche. ;)

Ich nehme einfach mal den ganzen Haufen guter Ratschläge, zerrupfe meinen Roman und schreibe die eine oder andere Szene neu. Und dann gucke ich, ob ich vielleicht auch eher ein Architekt als ein Gärtner bin. ;)

Pan, Du hast Sprotte ins Feld geführt, ich mache das auch mal, weil sie mein erster "ja, aber"-Gedanke war, als Du schriebst, dass das, was ich von anderen zu sehen bekomme, ja schon durch diverse Überarbeitungsläufe durch ist. Ich kenne Rohfassungen von Sprotte, und die sind toll. So sind meine Texte nach drei Überarbeitungsläufen nicht. Ich schreibe keine Heroics, insofern kann ich leider nicht einfach bei Sprotte "spicken", aber es beeindruckt mich, wie man als ersten Entwurf bereits so schreiben kann (gilt auch für Nycra und sicher noch andere, deren Entwürfe ich nicht kenne).

Meine Frage "wie geht Schreiben?" bezieht sich auch tatsächlich auf den ganzen Prozess, insofern war der Gärtner-/Architektenvergleich durchaus auch hilfreich. Dann muss ich ja "nur noch" lernen, meine mistigen Entwürfe nicht gleich töten zu wollen und ihnen später Struktur zu verschaffen. Wie man das macht, ist mir in etwa so schleierhaft, wie die Frage, wie man von vornherein so schreibt, dass es einem selber gefällt (wer schrieb hier, man solle für das anspruchsvollste Publikum, nämlich sich selbst schreiben? Tja, da haben wir sie wieder, meine drei Probleme ...). Aber mit etwas Glück lebe ich ja noch 40-50 Jahre, da hab ich ja noch Zeit, es zu lernen.

Da war irgendwie noch mehr, worauf ich eingehen wollte, aber bevor meine W-LAN-Verbindung wieder alles frisst, kopiere ich das hier mal und sende es dann ab. Sicher ist sicher! :)

HauntingWitch

Ganz allgemein klingt dein Beitrag für mich, als ob du dir zu viele Gedanken machst, Chaos. Du fragst dich, ob man dieses oder jenes darf und wie es geht, bevor du überhaupt anfängst. Ich glaube, du musst diese fiesen Gedanken überwinden und lernen, einfach drauflos zu schreiben. Ich weiss, es klingt einfacher, als es ist. Was ich gerne mache, als Übung, sind z.B. irgendwelche völlig zusammenhanglosen Alltagsszenen von irgendwelchen Charas (von denen ich manchmal nicht einmal weiss, ob sie je eine Geschichte bekommen). Das ist nur für mich, da muss nichts stimmen, es muss niemandem gefallen, es ist völlig egal, wie schlecht es ist. Das hilft mir sehr, dieses "Geht das nun oder geht das nicht?" abzuschalten. Und meistens sind sie nicht einmal so schlecht.

Churke

Zitat von: chaosqueen am 25. Februar 2015, 10:07:48
Klaus und Erna sitzen am Küchentisch. Perspektivträger ist Klaus. Erna zieht eine Augenbraue hoch. Klaus darf bemerken, dass sie das tut und darf denken "sieht aber ganz schön süffisant aus". Nicht schreiben darf der Autor aber "Klaus sah Erna an. Diese zog süffisant eine Augenbraue in die Höhe", weil er dann (angeblich?) in Erna hineinschaut und eine Emotion als gegeben nimmt, die Klaus nur vermuten kann.
Äh, nein. Klaus sieht nicht in Erna hinein, sondern interpretiert ihre Mimik. Wie nehmen wir ein Gegenüber wahr? Wir lesen, deuten und ziehen Schlüsse. Wir interpretieren sogar Motive hinein. Wir werten unsere Umwelt. Damit schafft man als Autor Atmosphäre, Erzählstimme und Stil. Ich liebe es, wenn der POV über andere mal so richtig herzieht.


ZitatEs ist ja tatsächlich nicht so, dass ich nicht fühle oder nicht empathisch sei.
Tut mir leid für das Klugscheißen, aber beim Konjunktiv I als Irrealis rollen sich mir jedes Mal die Fußnägel hoch.

chaosqueen

Zitat von: Churke am 25. Februar 2015, 11:17:51
Äh, nein. Klaus sieht nicht in Erna hinein, sondern interpretiert ihre Mimik. Wie nehmen wir ein Gegenüber wahr? Wir lesen, deuten und ziehen Schlüsse. Wir interpretieren sogar Motive hinein. Wir werten unsere Umwelt. Damit schafft man als Autor Atmosphäre, Erzählstimme und Stil. Ich liebe es, wenn der POV über andere mal so richtig herzieht.

Aber die Übergänge sind so fließend. Wenn man in der dritten Person und eindeutig aus Klaus Sicht erzählt, dann wird es halt irgendwann schwierig:
Klaus beißt geräuschvoll in sein Brot. Erna zieht süffisant eine Augenbraue hoch. - Geht vielleicht noch als eine Erzählperspektive durch, weil er ihre Reaktion auf seine Handlung halt als süffisant wahrnimmt.
Aber wenn es danach heißt Sie konnte es nicht leiden, wenn er beim Essen Geräusche machte - ist das dann noch seine Perspektive? Oder schon ihre Innenansicht?

diese ganze Diskussion hier zupft immer wieder Einzelheiten heraus, weil ich sie gerade als Beispiel nehme, und anders geht es auch nicht. Aber es trifft alles nicht den Kern der Sache. Der Kern der Sache könnte sein, dass ich kein Gefühl für meine Texte habe. Ich baue ein Gerippe und schaffe es nicht, es mit Fleisch und Haut zu überziehen und am Ende sogar zum Leben zu erwecken. Meine Texte sind Versatzstücke aus guten, mittelmäßigen und richtig schlechten Szenen, die kaum einen Zusammenhang haben. Ich erzähle noch immer so wie mit 15. und ich habe keine Ahnung, wie ich das ändere. Ich werde - sobald ich meinen Text wieder öffnen mag - den einen oder anderne eurer Tipps beherzigen, aber vielleicht haben eben auch diejenigen Recht, die sagen, dass ich versuche, ein totes Pferd zu reiten und endlich mal absteigen sollte. Vielleicht sollte ich einfach Ideen liefern, die dann jemand anders zu Geschichten macht. Ich hab keine Ahnung.