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Ich bin dein Vater! - Verwandtschaftliche Beziehungen unter den Protagonisten

Begonnen von Mithras, 15. Februar 2015, 00:42:11

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Mithras

Salvete! 8)

Seit einiger Zeit zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie viele verwandtschaftliche Beziehungen unter den Charakteren eine Geschichte verträgt. Diese Frage stellt sich natürlich nicht, wenn die Charakteren ohnehin weit verzweigten Adelsgeschlechtern angehören, die nur untereinander heiraten und ihren Stammbaum über Jahrhunderte zurückverfolgen können - hier ist jede verwandtshaftliche Beziehung bekannt, von Fällen gelegentlicher Untreue mal abgesehen. Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn sich Charaktere, die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben, als enge Verwandte entpuppen. Der Waisenjunge, der sich als Seitensprung des Königs oder als Sohn des Dunklen Lords herausstellt, ist da nur das gängigste Beispiel - so gängig, dass man es in der Regel als Klischee abtut. Da stellen sich natürlich einige Fragen: Wann kann man so etwas tun? Sollte man die geheimnisvolle Herkunft eines Protagonisten aufklären oder überhaupt thematisieren? Und wie viele Verflechtungen dieser Art verträgt eine Geschichte, ehe sie konstruiert wirkt? Wie seht ihr das? Und wie geht ir damit in euren eigenen Werken um?

Mit meiner eigenen Geschichte habe ich mich in ein Beziehungsnetz verstrickt, aus dem ich mich weder lösen kann noch will, da es für die Handlung von entscheidender Bedeutung ist. "Ich bin dein Vater!"-Enthüllungen will ich aber um jeden Preis vermeiden, obwohl genau das unweigerlich passieren muss. Ausgangspunkt ist eine Dynastie, die an der Amarna-Dynastie um Echnaton und Nofretete angelehnt ist und sich wie diese auf eine göttliche Abstammung beruft. Anders als in der Realität haben jedoch einzelne Personen tatsächlich das Geschenk der Unsterblichkeit empfangen und leben nun seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden unter den Sterblichen, wo sie jedoch mittlerweile untergetaucht sind und ein mehr oder minder unspektakuläres Leben führen. Die Gabe der Unsterblichkeit - oder zumindest eines außergewöhnlich langen Lebens - geben sie jedoch teilweise weiter, so dass bisweilen Jahrhunderte zwischen zwei Generationen liegen. In der Folge sind gleich zwölf der zentralen Handlungsträger - ob Protagonisten oder Antagonisten, PoV-Charaktere oder nicht - direkt oder übereinander miteinander verwandt, ohne zwangsläufig davon zu wissen bzw. ihre Verwandtschaft zu kennen, weil vieles davon einfach geheim ist. Ich sehe aktuell keinen anderen Weg, damit umzugegehen, ohne es konstruiert wirken zu lassen, als es totzuschweigen - zumindest im im Großteil aller Fälle - und lediglich Informationen zu streuen, die den Leser zum Grübeln über die wahren Zusammenhänge anregen.

Ich habe kein konkretes Thema gefunden, das sich mit dieser oder einer ähnlichen Frage befasst. Falls ich mit Blindheit gestraft sein sollte, bitte ich um Verzeihung! :P

Dämmerungshexe

Also so wie das in deinem konreten Fall klingt, hätte ich keien Probleme damit diese Verwandschaftsbeziehungen auch so aufzulösen wie sie sind.

Allgemein habe ich persönlich eh einen Hang zu solchen Beziehungen: mir ist neulich aufgegangen, dass sich die meisten meiner Storys um Brüder drehen.
In "Der Feuerberg" habe ich auch das typische "Prota ist Kind einer berühmten Persönlichkeit, ohne das zu wissen und auch Bruder vom Anta".
In "Königskinder" geht es natürlich gleich um eine ganze Sippschaft, allen voran zwei (Halb)Brüder, die sich von klein auf kennen, immer streiten und sich zusammenraufen müssen, sowie den verlorenen Sohn und Erben eines untergegangenen Reiches.
In einem Projekt, das noch auf Halde liegt, dem ich mich aber bald widmen will, steht die Beziehung zwischen zwei "Brüdern" im Vordergrund, die eigentlich keine sind - der eine ist ein Findelkind und entwickelt irgendwann auch ganz "unbrüderliche" Gefühle für den anderen.

Ich weiß nicht, warum mich das Thema so ganz offensichtlich fasziniert, vielleicht gerade wegen der "Unbedingtheit" der Beziehung, der Blutsbande und was daraus gemacht wird. Dann es herrscht ja ganz klar nicht immer Bruderliebe, und wenn doch, dann ist die Frage, wie die tatsächlich zu Stande kommt. Ich denke da gibt es viele verschiedene Ausgestaltungen, deswegen würde ich mir an deiner Stelle auch keine allzu großen Sorgen drum machen, da auf Klischees herum zu reiten (etwas anderes, für das ich offenbar ein Händchen habe).
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

FeeamPC

Neben Liebe ist Verwandschaft immer noch die Sorte Beziehungskiste, mit der sich die Leser am schnellsten einfühlen können. Da würde ich also kein Hindernis sehen.

Sternsaphir

Verwandtschaftsbeziehungen behören zu einem Leben dazu und wenn der Prota mit der geheimnisvollen Vergangenheit plötzlich entdeckt, dass sein Vater oder seine Mutter xyz ist, macht ihn das auch gleich viel menschlicher. Beziehungen, ob nun über das Blut oder über die Liebe sind sehr emotional geprägt, was auch den Leser tiefer berührt.

Allerdings sollten Verwandtschafts-Enthüllungen noch halbwegs plausibel sein und im überschauberen Rahmen bleiben. Seinen Vater oder seine Mutter plötzlich kennenzulernen ist vollkommen in Ordnung, aber wenn sich der beste Freund als Bruder, der Mentor als Onkel und der Lieblingsschneider als Schwager 2. Grades entpuppt, sind das zuviele Zufälle aufeinmal und wirken dann sehr gestellt.

Ich war bei meinen Amazonen auch am Überlegen, ob ich meiner Prota einen Vater spendiere, den sie unterwegs kennenlernt. Ich habe mich schließlich dafür entschieden, weil ich auch eine Person brauchte, der meine Prota zumindest schneller vertraut als einem Fremden.


Aylis

Hm, wahrscheinlich wiederhole ich nur das Wort meiner Vorgänger.
Aber so wie du das schreibst klingt es, als könnte es durchaus spannend werden und vor allem plausibel.
Da diese gesamte Unsterblichkeitsgeschichte ziemlich kompliziert und neuartig zu sein scheint, kann ja niemand (auch nicht der Leser) wissen, inwiefern das nun authentisch oder "richtig" ist.
Richtig ist es, wenn du es als richtig empfindest.

Was mich stören würde wäre, wenn sich alles auf einen Charakter fokussiert. Also XY ist die Mutter von Fiffi, Z ist sein entfernter Cousin und apropos, UVW scheint sein Onkel zu sein!
Das wäre dann nur noch nervtötend. Auf der anderen Seite darf es natürlich nicht so unübersichtlich und verwirrend werden, dass der Leser es irgendwann nicht mehr versteht. Da ist dann wieder die Frage, wie viel Verwandtschaft eigentlich nötig ist.

Wann und ob man etwas tun sollte, ist für mich einfach darin beantwortet: Wenn es für dich und den Plot deiner Story relevant ist. Wenn sich aus dieser Verwandtschaft Konflikte ergeben können, aus denen man die Story vorantreiben kann.
Interessant wäre es natürlich auch, ganz geschickt Andeutungen zu verweben, aber nie ganz aufzulösen, ob es wirklich stimmt.
Also, ein Beispiel wäre, wenn zwei Charaktere dieselbe Augenfarbe haben, die besonders selten ist. Zufall? Gemeiner Trick der Natur? Oder doch die Verwandtschaft?

Meiner Meinung nach hast du da ganz viel Potenzial, die Geschichte zu entfalten. Du musst "bloß" abwiegen, wie viel Sinn solch eine Enthüllung hat.
Wo genau sollen wir einbrechen? - In die namenlose Festung.

Klecks

Ich finde Verwandtschaftsbeziehungen sehr faszinierend, deshalb haben sie oft eine wichtige Rolle in meinen Plots.  :D  Vor allem die Frage, ob Blut immer dicker ist als Wasser, ergründe ich gern, weil ich zu einem Teil meiner Familie keinen Kontakt habe und sie gewissermaßen Fremde für mich sind.

Da ich keine Geschwister habe, interessiert mich diese Form von Verwandtschaft ganz besonders, weil sich da so komplexe Konflikte ergeben können, und ich habe kaum Einzelkinder in meinen Plots, wie mir eben aufgefallen ist.  :rofl: 

Churke

Ich bin da grundsätzlich sehr, sehr vorsichtig.
Der unbekannte Vater, der tot geglaubte Bruder, beides am besten weit, weit weg von zuhause, auf benachbarten Claims am Klondike - das wirkt reichlich hintertreppenromanig.
Man braucht schon sehr gute Gründe/Argumente dafür. Ich habe das bislang einmal gemacht, und das war gezielt gesteuert, keine Anhäufung seltsamer Zufälle. Also: Kriegerin wird von 3 Rittern vergewaltigt. Die Hexenkönigin verlangt das dabei gezeugte Kind für sich, weil sie weiß, dass daraus eine große Kriegerin werden wird.
Als diese dann groß & stark ist, bekommt sie von der Hexenkönigin einen Prinzen als Sklave geschenkt - mit der merkwürdigen Auflage, dass sie niemals mit ihm schlafen darf.
Der Grund dafür wird später klar: Die Hexenkönigin weiß, dass einer der 3 Ritter der Vater des Prinzen und jetzige König ist.
Also selbst mit Steuerung durch die Hexenkönigin beträgt die Wahrscheinlichkeit nur 1/3. Und dann ist da noch das Ding, dass der Prinz überhaupt nicht der Prinz ist, sondern nur ein Double...  ;D


Zitat von: Mithras am 15. Februar 2015, 00:42:11
Anders als in der Realität haben jedoch einzelne Personen tatsächlich das Geschenk der Unsterblichkeit empfangen und leben nun seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden unter den Sterblichen, wo sie jedoch mittlerweile untergetaucht sind und ein mehr oder minder unspektakuläres Leben führen.
Da bist du wahrscheinlich automatisch von der Hintertreppe weg. Menschen, die ewig (oder sehr lange) leben, steigen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in die Oberschicht (1 %) auf. Es wäre sogar zu erwarten, dass sich nach einer Weile dort die Vettern ansammeln.

Mithras

Zitat von: Aylis am 15. Februar 2015, 20:57:02
Da diese gesamte Unsterblichkeitsgeschichte ziemlich kompliziert und neuartig zu sein scheint, kann ja niemand (auch nicht der Leser) wissen, inwiefern das nun authentisch oder "richtig" ist.
Mir persönlich kommt das Konzept gar nicht so neu vor; die Idee ist zumindest angelehnt an den Devanthar und seine Kinder in Hennens Elfenromanen. Die sind zwar nicht unsterblich, jedoch ebenso mit besonderen Gaben gesegnet und haben sich über Jahrhunderte ebenso weit aufgefächert wie die Nachkommen meiner Dynastie.

Unsterblich bedeutet natürlich nicht, dass sie durch nichts zu töten sind. Sie altern jedoch nicht mehr, sind gregen die allermeisten Krankheiten und Gifte immun und haben erhöhte Selbstheilkräfte.

Zitat von: Aylis am 15. Februar 2015, 20:57:02Interessant wäre es natürlich auch, ganz geschickt Andeutungen zu verweben, aber nie ganz aufzulösen, ob es wirklich stimmt.
Das ist meine favorisierte Lösung. Mein Vorbild ist da die vermeintlich klare, un Wahrheit aber doch sehr ominöse Herkunft von Jon Snow in A Song of Ice and Fire, die in den Büchern immer wieder angedeutet, ab noch nicht aufgeklärt wurde.

Zitat von: Churke am 15. Februar 2015, 22:47:29Da bist du wahrscheinlich automatisch von der Hintertreppe weg. Menschen, die ewig (oder sehr lange) leben, steigen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in die Oberschicht (1 %) auf. Es wäre sogar zu erwarten, dass sich nach einer Weile dort die Vettern ansammeln.
Und woher willst du wissen, dass es meine Unsterblichen tatsächlich in die Oberschicht zieht? :P
Zugegeben, auf manche trifft es zu. Da sie verfolgt wurden, haben sie sich jedoch in alle Winde verstreut und wissen zum großen Teil nichts voneinander, weshalb ein Motiv der Geschichte auch die Suche nacheinender sein wird, sei es mit guten oder mit schlechten Absichten.

Zitat von: Sternsaphir am 15. Februar 2015, 14:51:57Allerdings sollten Verwandtschafts-Enthüllungen noch halbwegs plausibel sein und im überschauberen Rahmen bleiben. Seinen Vater oder seine Mutter plötzlich kennenzulernen ist vollkommen in Ordnung, aber wenn sich der beste Freund als Bruder, der Mentor als Onkel und der Lieblingsschneider als Schwager 2. Grades entpuppt, sind das zuviele Zufälle aufeinmal und wirken dann sehr gestellt.
Und genau darüber zerbreche ich mir den Kopf: Praktisch jede zweite Person, zu der meine Hauptprotagonistin im Laufe der Geschichte eine besondere Beziehung aufbauen wird, wird sich als ein Verwandter herausstellen. Ihre Eltern kennt sie nicht und weiß auch zunächst nichts von ihrer Unsterblichkeit, da ihre Mutter sie schützen will; diese hilft dem Zufall auf die Sprünge, heftet sich an ihre Fersen, begegnet ihr in verschiedenen Gestalten und weiht auch den Vater ein, damit er sie aus der Gefahrenzone bringen kann. Und dann ist da auch noch ein anderer vermeintlich elternloser Protagonist, der meiner Hauptperson im Laufe der Geschichte immer näher kommt und sich als Cousin ihres Vaters herausstellt, von den Verflechtungen zwischen seiner Mutter und den übrigen Strippenziehern gsanz zu schweigen... Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, und ich befürchte, dass es konstruiert wirken könnte. Einziger Ausweg: Vieles nur andeuten und Raum für Speulationen lassen, die nie bestätigt werden.

Sunflower

Zitat von: Mithras am 16. Februar 2015, 22:55:28
Und genau darüber zerbreche ich mir den Kopf: Praktisch jede zweite Person, zu der meine Hauptprotagonistin im Laufe der Geschichte eine besondere Beziehung aufbauen wird, wird sich als ein Verwandter herausstellen. Ihre Eltern kennt sie nicht und weiß auch zunächst nichts von ihrer Unsterblichkeit, da ihre Mutter sie schützen will; diese hilft dem Zufall auf die Sprünge, heftet sich an ihre Fersen, begegnet ihr in verschiedenen Gestalten und weiht auch den Vater ein, damit er sie aus der Gefahrenzone bringen kann. Und dann ist da auch noch ein anderer vermeintlich elternloser Protagonist, der meiner Hauptperson im Laufe der Geschichte immer näher kommt und sich als Cousin ihres Vaters herausstellt, von den Verflechtungen zwischen seiner Mutter und den übrigen Strippenziehern gsanz zu schweigen... Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, und ich befürchte, dass es konstruiert wirken könnte. Einziger Ausweg: Vieles nur andeuten und Raum für Speulationen lassen, die nie bestätigt werden.

Wenn es wirklich so extrem ist, müsstest du dir vielleicht wirklich überlegen, ob du einiges nur andeutest. Ich finde auch, wenn Verwandtschaftsbeziehungen so gehäuft auftreten, wird es irgendwann (meistens) absurd. Bei der Serie "Once Upon A Time" gibt es das auch - die Enthüllungen in der 1. Staffel waren noch total in Ordnung, über ein paar spätere kann man streiten, aber dann wurde es zunehmend absurder. Irgendwann war ziemlich jeder mit jedem verwandt und jeder kannte sich irgendwo her, dass es einfach nicht mehr glaubhaft war. Da kommt es aber auch auf die Häufung an.

Und ich finde es eigentlich auch ganz gut, wenn sich die angeblich niedrig geborene Prota nicht jedes Mal als Königstochter o.ä. herausstellt. Manchmal erreichen auch Leute aus der Unterschicht was und die Botschaft "Nicht wegen der Geburt, sondern wegen ihrer Leistungen" finde ich eigentlich auch ganz gut, und manchmal auch besser, als alles mit der Geburt noch hinzubiegen. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine? Natürlich können Enthüllungen der Verwandtschaft immer für einen Schockmoment sorgen und wenn es gut gemacht ist, warum nicht? Gerade die ominöse Herkunft von Jon Snows Eltern ist eines der Themen, warum ich Game of Thrones so gern mag und damit erfindet GRRM das Rad keineswegs neu. Er webt es nur so geschickt ein, und die ganzen Vermutungen, dass man gar nicht anders kann, als Theorien aufzustellen und gespannt zu sein, wer es denn schlussendlich sein wird.

Verwandtschaftsbeziehungen spielen in meinen Projekten aber eigentlich auch immer eine große Rolle. Nur gibt es da meistens keine Enthüllungen, sondern eher allgemein die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Geschwistern. Familienbande sind sehr stark, eine sehr starke Motivation und ich finde es faszinierend, damit zu spielen und diese Bande auf die Probe zu stellen  :darth:
"Stories are, in one way or another, mirrors. We use them to explain to ourselves how the world works or how it doesn't work. Like mirrors, stories prepare us for the day to come. They distract us from the things in darkness."
- Neil Gaiman, Smoke and Mirrors