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Entwicklung am deutschsprachigen Fantasymarkt

Begonnen von Franziska, 20. November 2014, 20:08:16

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Churke

Zitat von: Alana am 19. August 2016, 23:53:09
Die Künstler, die solche auf den ersten Blick sinnfreien Kunstwerke erschaffen, beherrschen alle die Grundlagen des Zeichnens etc. bis zur Perfektion. Aber sie brechen die Regeln ganz bewusst, um etwas bestimmtes zu erreichen.

Das war vielleicht früher mal so. Der Gerhard Richter hat in der DDR noch sozialistischen Realismus gelernt, aber die meisten zeitgenössischen Künstler können NICHT wirklich gegenständlich malen, weil ihnen die Ausbildung fehlt.

Aber ich fürchte, wenn man an die Sache mit dem Obersatz: "Ich will jetzt Kunst machen" herangeht, wird das wahrscheinlich nichts. Du schreibst allerdings sehr richtig, dass man als Künstler einen Effekt im Auge hat. Es geht darum, ergebnisorientiert zu arbeiten. Wenn dabei Kunst herauskommt, ist das eine möglicherweise nicht beabsichtigte Nebenfolge.

Noch ein Wort zu den deutschen Autoren und der Professionalität. Ich lese gerade einen SF-Roman von Mike Resnick. Das Buch ist vollkommen einfalls- und anspruchslos. Ein klischeebeladener Plot aus der Reihe "Freiheit & Abenteuer im Weltraum". ABER: Es ist routiniert heruntergeschrieben, kein Kapitel zu lang, keine Wiederholungen, alle Gags sind genau platziert, Spannungsbogen und Wendungen stimmen.
Für mich ist Resnick sicherlich kein guter Autor (trotz der 5 Hugos) - aber er beherrscht sein Handwerk. Bei deutschen Autoren sieht man das eher selten...




Judith

Bei Dan Brown stimmt auch der Spannungsaufbau - aber ich persönlich lese da lieber eine Geschichte, die mit der Erwartungshaltung bricht, ungeahnte Wendungen nimmt und sich mehr auf gut gezeichnete Figuren verlässt als auf das plotterische Handwerk. Oder anders gesagt: Ein klischeehaftes und einfallsloses Buch mag handwerklich gut sein können, aber ich als Leserin empfinde es nicht als gut.

Es wurde hier z.B. auch Rebecca Gable genannt und die ist für mich eins der abschreckendsten Beispiele par excellence. Sie mag gut schreiben können, aber nachdem ich von ihr zwei Bücher gelesen hatte, konnte ich beim dritten praktisch die gesamte Handlung vorhersehen, mir war dazwischen schon klar, wer als nächster sterben würde, in wen sich die Hauptfigur logischerweise noch verlieben müsste, etc. Dazu noch eine extreme gut-böse-Zeichnung, was den Helden und den Gegenspieler betrifft.
Ein ähnliches Problem habe ich mit einigen amerikanischen YA- und Fantasyautoren. Was hilft all das gute Handwerk, wenn eine Geschichte dermaßen vorhersehbar und uninspiriert ist, dass man sich einfach nur langweilt?

Klar, ein handwerkliches Können muss mal als Grundlage da sein. Aber ich sehe es wie Tintenteufel, dass zuviel Konzentration auf reines Handwerk schnell mal fade Massenware hervorbringt.

Abgesehen davon kann ich den Eindruck, dass amerikanische Bücher tendenziell (handwerklich) besser sind als deutsche überhaupt nicht teilen. Ich finde da und dort gleichermaßen Nieten wie Highlights und greife auch immer wieder sehr gern zu deutschen Autorinnen und Autoren.

Franziska

Judith, ich denke mal, du bist auch wesentlich anspruchsvoller als der durchschnittliche Leser. Rebecca Gable verkauft sich nun mal richtig gut. Ich denke mal, die meisten hier haben den Anspruch etwas zu schreiben, was sich nicht so leicht vorhersehen lässt. Und ich finde, die erfolgreichen Fantasy Autoren von heute schreiben auch nicht so vorhersehbar. GRRM, Patrick Rothfuss, Brandon Sanderson ... schreiben auch eher für etwas anspruchsvollere Leser. Ich glaube, das ist ein großes Missverständnis hier. Dass man das Handwerk beherrscht heißt ja nicht, dass man sich sklavisch an irgendwelche Regeln hält, die das Buch vorhersehbar machen. Im Gegenteil ich finde, wenn man das Handwerk beherrscht ist man gerade in der Lage ein spannendes Buch mit guten Wendungen zu schreiben.

Kati

Es ging ja auch nur um das Handwerk als Basis, auf der dann noch mehr aufbauen muss. Nur sein Handwerk zu beherrschen reicht nicht, das hatte ich ja selbst zu der amerikanischen YA, die sich seit langem nichts Neues mehr traut und die mich deshalb nur noch selten interessiert, geschrieben. Aber auch die Bücher, die mich wirklich überzeugen konnten, folgen dem 7-Punkte-Schema. Ich verstehe das als Skelett einer Geschichte und dann muss natürlich der ganze Rest auch noch dran und da fällt die amerikanische YA für mich persönlich oft durch, weil ich auch das Gefühl habe, ich lese immer wieder dieselbe Geschichte, auch, wenn sie gut erzählt ist. Bei deutscher YA (ich kann im Moment nicht wirklich auf deutsche Fantasy im Allgemeinen eingehen, weil ich da nicht so viel lese, aber es gilt auch für deutsche Thriller und Krimis und besonders für historische Romane) stecken oft wunderbare Geschichten und auch ein schöner Stil dahinter, aber was mich oft rausreißt, ist das Pacing, das sich unharmonisch liest und dahinter steckt halt meistens kein bewusster Versuch von der Norm abzuweichen, sondern ein Nichtverständnis von Spannungsbögen, Pacing und dergleichen. 

Ich hoffe, ich kann das hier so offen sagen, aber mir fällt das immer wieder bei Büchern aus dem Impress-Verlag auf. Impress macht teilweise richtig schöne Bücher und ich sage gleich dazu, dass mir noch kein Zirklerbuch aus dem Impressverlag untergekommen ist, bei dem ich das Problem bemerkt hätte (vielleicht, weil wie Kerstin sagte, das Niveau hier tatsächlich höher ist), aber oft haben Impressromane tolle Ideen, die Umsetzung ist dann aber leider nicht überzeugend. Ich habe letztens wieder eines gelesen, das eine tolle Prämisse hatte und toll anfing, wo der Stein dann aber bis zur Hälfte des Romans nicht ins Rollen gebracht wurde. Ich kann das natürlich nicht wissen, doch es las sich tatsächlich, als hätte die Autorin einfach geschrieben, ohne von Struktur, Pacing und dergleichen gehört zu haben und die Geschichte hat deshalb für mich nicht funktioniert. Weshalb ich trotzdem immer wieder an Impress hängen bleibe ist aber, dass sie bisher Ideen abseits von dem, was gerade gut läuft, und Diversity offener gegenüber zu stehen scheinen. Ich mache das jetzt am Beispiel Impress fest, weil ich finde, dass sich das handwerkliche Problem, über das Alana gesprochen hatte, dort oft zeigt. In anderen Verlagen begegnet es mir natürlich auch, aber dort hatte ich es gehäuft bemerkt (vielleicht auch immer einfach die falschen Bücher erwischt).

Zitat von: FranziskaDass man das Handwerk beherrscht heißt ja nicht, dass man sich sklavisch an irgendwelche Regeln hält, die das Buch vorhersehbar machen. Im Gegenteil ich finde, wenn man das Handwerk beherrscht ist man gerade in der Lage ein spannendes Buch mit guten Wendungen zu schreiben.

Ja, so habe ich die Diskussion bisher auch verstanden. Es ist ja nicht verkehrt, bewusst von der Struktur abzuweichen, aber um so etwas bewusst machen zu können, muss man sich mit der Struktur auskennen.

Silvia

Was ist denn "Pacing"?
Der Begriff begegnet mir heute zum ersten Mal.

Shedzyala

#95
Grob gesagt beschreibt Pacing das Tempo in einer Szene, und das ist mir bei manchen deutschen Büchern in der Tat etwas zu langsam in der Mitte. Oft habe ich das Gefühl, dass es daran hapert, dass sich die Autoren selbst nicht ganz vertrauen und deshalb jede Reaktion des Protagonisten sofort rechtfertigen, anstelle sie für sich wirken zu lassen, was eben das Tempo rausnimmt. Ausländische Autoren (da spreche ich nicht nur von den amerikanischen) scheinen da selbstbewusster zu schreiben. Andererseits stimmt es schon, was übersetzt auf dem deutschen Markt landet, musste zweimal durch die Qualitätskontrolle eines Verlags anstelle nur einmal.

Die Vorhersehbarkeit vieler Bücher ist aber in der Tat schlimm. Das sehe ich allerdings nicht nur bei amerikanischen Übersetzungen, sondern auch bei vielen deutschen SP-Titeln (natürlich gibt es da auch gleichzeitig echte Perlen zu entdecken!). Teilweise kann man schon dem Klapptext entnehmen, wie die Geschichte verlaufen wird – und das nicht, weil der Klapptext zu viel verrät.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Judith

Zitat von: Franziska am 21. August 2016, 12:59:40
Ich glaube, das ist ein großes Missverständnis hier. Dass man das Handwerk beherrscht heißt ja nicht, dass man sich sklavisch an irgendwelche Regeln hält, die das Buch vorhersehbar machen. Im Gegenteil ich finde, wenn man das Handwerk beherrscht ist man gerade in der Lage ein spannendes Buch mit guten Wendungen zu schreiben.
Es wurde hier allerdings vorher ein paarmal etwas in die Richtung gesagt, dass dieses oder jenes Buch zwar uninspiriert oder einfallslos gewesen wäre, aber handwerklich wenigstens gut geschrieben. Und dass die meisten amerikanische Autoren wenigstens das Handwerk beherrschen würden, auch wenn die Bücher vorhersehbar wären. Das war es im Grunde, worauf ich mich bezogen habe - weil ich einfach nicht weiß, was man von einem handwerklich guten Buch hat, wenn es aber die genannten Schwächen aufweist.

Ich halte Patrick Rothfuss übrigens nicht unbedingt für einen Autor, der sein Handwerk so gut beherrscht.  ;) In punkto Plotaufbau und Tempo stimmt da meiner Meinung nach so einiges nicht - was nichts daran ändert, dass ich seine Bücher sehr gern mag. Für mich wäre er sogar ein sehr gutes Beispiel für einen Autor, der stilistisch sehr gut schreibt, beim Handlungsaufbau aber deutliche Schwächen hat und trotzdem sehr erfolgreich ist.
Bei Brandon Sanderson hatte ich dagegen bislang tatsächlich das Problem, dass ich seine Bücher irgendwie "seelenlos" und zu sehr nach Schema F geschrieben gefunden habe. Aber vielleicht habe ich noch nicht so ganz das richtige Buch erwischt (bisher hatte ich es versucht mit "Elantris", "Kinder des Nebels" und "Alcatraz").

Kerstin

#97
Sorry, ich war von Freitag an unterwegs, deshalb ein sehr langer Beitrag.

Zitat von: canis lupus niger am 19. August 2016, 15:57:03
Meine Wahrnehmung ist das aber auch, dass die Fantasy aus großen Verlagen eine immer einheitlicher werdende Ware ist, dass sie unabhängig von Subgenre der immer gleichen Aufbau hat.
Empfindest du das nur so, oder hast du das auch mal ernsthaft überprüft? Hast du dir die Verlagsvorschauen mal angesehen?
Hier findest du z.B. alle von Randomhouse und von der Hobbit Presse .
Wenn du die durchgehst, findest du da wirklich nur Bücher, die einheitlich sind?
Ich so gar nicht ... Ganz im Gegenteil - ich schaffe nichtmal einen Bruchtteil der Bücher zu lesen, die ich spannend finde. Ein Teil davon enttäuscht mich und so viele finde ich überraschend.
Findest du z.B. "Willkommen in Night Vale" wirklich Standardware? Mir persönlich war es deutlich zu abgefahren - und dabei war das auf der Leipziger Messe eines der am stärksten beworbenen Bücher der Phantastik.
Oder Anne Leckie? Maschinen finde ich in so vieler Hinsicht genial und originell.
Die Reihe ist zwar nicht ganz neu - wusstest du bei Steven Erikson wirklich wie seine Bücher verlaufen?

Mal allgemein: Ich finde es bei dieser Diskussion schade, dass nur wieder die üblichen Bestseller genannt werden, um sie auseinanderzunehmen. Klar, wenn man in Buchhandlungen geht, findet man nur die üblichen Verdächtigen. Dafür können aber die Verlage nichts.
Mich bestätigt das nur in meiner Annahme, dass sich kaum noch einer die Mühe macht, sich Verlagsprogramme anzuschauen. Da wundert es mich nicht, dass man das Gefühl bekommt, dass es nur immer wieder dieselben Bücher gibt. Es sorgt aber auch dafür, dass originellere Stoffe auf der Strecke bleiben.

Und weil hier so auf TOR rumgehackt wird - habt ihr euch mal das Programm angesehen? Wollt ihr wirklich behaupten, dass dort keine deutschen Autoren vertreten sind und die Bücher reine Massenware? Hier ist der Link zu der Vorschau.

Zitat von: canis lupus niger am 19. August 2016, 15:57:03Die Aussagen zu den Fähigkeiten deutscher Fantasy-Autoren finde ich ziemlich beleidigend. Wenn sie "nur" missverständlich waren, umso schlimmer, dass sie in diesem Interview zum Programm des neuen Labels genau so getroffen wurden.
Wenn ich sage "Manchmal treffe ich auch der Autobahn auf verantwortungslose Vollidioten" - wäre das dann auch eine Beleidigung für alle Autofahrer?

Zitat von: Franziska am 19. August 2016, 17:06:28
Aber ich finde es auf jeden Fall auch mal richtig, nicht immer nur auf die Verlage zu schimpfen, sondern mal ehrlich zu sagen, ja vielleicht ist da wirklich was dran, was kann man machen, um handwerklich besser zu werden? Sind wir wirklich so toll, wie wir denken? Das heißt ja nicht, dass man jetzt die Masche von Autor x und y kopieren muss.
Danke! Genau dasfinde ich auch!  :vibes:

Zitat von: Tintenteufel am 19. August 2016, 20:18:04
Was meinst du mit nur E-Literatur im Unterricht? Ich habe keine Schreibkurse besucht, aber ein paar Seminare an der Uni mit einem ganz phantastisch engagierten Dozenten - und in Schule und Uni wird immer noch mit Büchern gelehrt.
Du willst von mir jetzt keine Defintion von E-Literatur in Gegenüberstellung zur U-Literatur, oder?  ;)
Vielleicht sollte ich genauer sagen - E-Literatur und Klassiker.
Es gab in der Schule wohl kaum ein Fach, dass ich so wenig mochte wie Deutsch (und wenn ich mir bei den Töchtern von Bekannten anschaue, was sie lernen und machen, hat sich daran nichts geändert) - und dabei hatte ich sehr gute Noten darin.
Die einzigen Bücher, die wir gelesen haben und besprechen durften, waren die üblichen Klassiker von Goethe, Schiller, Shakespear, Thomas Mann, Gottfried Keller ... Zeitgenössische durften wir uns nur raussuchen (bei den zwei Gelegenheiten, wo wir eigene Bücher aussuchen durften), wenn es ganz klar offiziell als anspruchsvolle Literatur angesehen wurde.
Wenn ich nicht schon seit meiner Kindheit gerne gelesen hätte, wäre meine Begeisterung fürs Lesen mit dem Deutschunterricht sicher abgetötet worden. Bei einigen Freunden war genau das der Fall. Wenn man Kindern schon in der Schule die Freude am Lesen nimmt, braucht man sich nicht wundern, wenn später so wenige lesen oder gar schreiben.
Ich war auch mit einer Freundin für unsere Schülerbibliothek verantwortlich - wir durften pro Schuljahr drei oder vier Neuanschaffungen vorschlagen (und Fantasy haben wir glaube ich nie durchgesetzt bekommen) - die restlichen Bücher wurden vom verantwortlichen Deutschlehrer nach ihrem Anspruch ausgesucht - demenstprechend viel wurden sie dann auch ausgeliehen ...
An Büchern wurde sicherlich gelehrt - Textinterpretationen, wo man das Wissen von irgendwelchen Literaturwissenschaftlern wiederkäuen musste, Gedichtsinterpretationen und Erörterungen.
Gelernt habe ich über das Kreative Schreiben, also wie man selbst Texte verfasst, in der Schule GAR NICHTS.
Ich bin sogar in die Stadtbücherei gegangen, um nach Schreibratgebern zu suchen, aber es gab nichts.

Wenn man in Deutschland mehr gute Autoren und auch mehr Leser haben will, muss sich meiner Meinung nach erst der Deutschunterricht ändern. Kindern muss erst Mal die Begeisterung für das Lesen vermittelt werden, ohne eine Wertung der Bücher vorzunhemen.
Und es gehört meiner Meinung nach auch Kreatives Schreiben auf den Unterrichtsplan. Warum man im Deutschunterricht nicht auch selbst schreibt, erschließt sich mir nicht.

Natürlich gibt es heute mehr Möglichkeiten (dank des Internets), aber das ist erst seit wenigen Jahren so und der größte Teil der Menschen 30+ dürfte nach meiner Erfahrung davon nichts mitbekommen haben.

@Charlotte: Danke!  :knuddel: Ich stimme deinem Beitrag vollkommen zu.
Deinem Beispiel mit Impress und amerikanischer YA kann ich zustimmen. Meine Theorie dazu ist, dass das Zielpublikum einfach noch weniger anspruchsvoll  ist (bevor sich jemand aufregt - bitte erst den Rest lesen, dann wird hoffentlich klarer, was ich meine). Es richtet sich ja vor allem an Teenies und wenn ich mir anschaue, was ich damals mit Begeisterung verschlungen habe ...  ::)
R. A. Salvatore habe ich z.B. heiß und innig geliebt - heute kann es nicht mehr lesen, weil mir das alles zu simple ist.
David Eddings lese ich zwar immer noch gerne, aber meine Güte ist das klischeehaft ...
Die Liste lässt sich endlos fortsetzen. Meine Asprüche waren echt nicht groß :D
In dem Alter hat man zwangsweise noch keine so große Leseerfahrung (und ja, ich war auch Vielleser als Kind und Teenie), ist oft begeisterungsfähiger und unkritischer. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
Wichtig als Teenie war mir vor allem, dass es ausreichend Lesenachschub gab. Ich konnte nie wieder so viel lesen, wie in dieser Zeit - oft mehrere Bücher pro Woche, 11 000 Seiten in einem dreiwöchigen Urlaub ... Ich habe manche Bücher mehr als zwanzig Mal gelesen ...
Wenn man so viel Zeit und Enthusiasmus beim Lesen hat, verschmerzt man auch eher mal ein mittelmäßiges Buch - hauptsache es ist neuer Lesestoff da.
Heutzutage bin ich kritischer - ich bin schon stolz auf mich, wenn ich 50 Bücher im Jahr schaffe. Da kann ich es mir nicht mehr leisten, meine Zeit mit Büchern zu verschwenden, die mich nicht begeistern.

Deshalb finde ich es auch so schwierig, wenn jemand mit dem "früher war alles besser" anfängt. Mag sein, aber ich vermute eher, dass sich die betreffende Person einfach geändert hat. Gerade als Autor liest man nicht mehr so unbedarft wie als Kind / Teenie, der sich nicht mit dem Schreibhandwerk beschäftigt hat.
Mein bestes Beispiel ist, dass ich vor einer Weile bei einem hochgelobtem, extrem erfolgreichen Thriller den Killer nach ein paar Seiten identifizieren konnte, nur weil die Autorin ihn auf eine bestimmte Weise beschrieben hat (und wohl eher das Gegenteil erreichen wollte). Das passiert einem Durchschnittsleser einfach nicht.

Sascha

@Kerstin: Bei allem, was Du zum Deutschunterricht an der Schule sagst, unterschreibe ich aus tiefstem Herzen. Ist auch exakt meine Erfahrung. Nichts kann einem etwas so vermiesen wie die Schule. Ist übrigens z.B. bei Sport ebenso. Ich bin so froh, daß ich meine beiden Biester rechtzeitig zum Lesen gebracht habe, bevor sie Opfer dieses Systems wurden ... (Und beide schreiben schon eifrig an eigenen Geschichten! :D )

Kati

Zitat von: KerstinFindest du z.B. "Willkommen in Night Vale" wirklich Standardware? Mir persönlich war es deutlich zu abgefahren - und dabei war das auf der Leipziger Messe eines der am stärksten beworbenen Bücher der Phantastik.

"Night Vale" würde ich vielleicht aus dem Vergleich rausnehmen, weil es kein eigenständiger Roman ist, sondern ein "Gimmick" für die Fans des Night-Vale-Radio-Podcasts. Ich liebe das Buch, aber ich liebe auch den Podcast und ich glaube, deshalb bin ich auch die Zielgruppe und Leute, die den Podcast nicht kennen, können mit dem Buch nichts anfangen. Also ja, "Night Vale" ist übelst abgefahren und sicherlich keine Standardfrage, aber wäre es veröffentlicht worden, wenn sich ein Autor damit "einfach so" beworben hätte und es nicht schon den gehypten Podcast gegeben hätte? Glaube ich nicht.

Zitat von: KerstinUnd weil hier so auf TOR rumgehackt wird - habt ihr euch mal das Programm angesehen? Wollt ihr wirklich behaupten, dass dort keine deutschen Autoren vertreten sind und die Bücher reine Massenware? Hier ist der Link zu der Vorschau.

Es ging ja darum, dass die deutschen Autoren bei TOR alle schon etabliert sind und sie keinen neuen Autoren eine Chance geben. Das Programm sieht tatsächlich spannend aus, aber wenn ich dann schon sehe, dass Dietmar Dath als "einziger relevanter SF-Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" bezeichnet wird... das klingt ja doch wieder sehr auch nach den Aussagen aus dem interview, die viele so verstanden haben, dass sich deutsche Literatur für den Verlag anscheinend nicht zu lohnen scheint. Massenware ist die Fantasy, auch die deutsche Fantasy, sicherlich nicht, ich finde, sie ist mit das Genre, in dem sich am meisten getraut wird. Aber es bleibt schade, dass auf einige wenige, bereits etablierte Zugpferde gesetzt wird (Meyer, Dath und Frenz). Ein Imprint wie TOR hätte sich glaube ich das "Risiko" leisten können, auch mal einem Debutautoren eine Chance zu geben. Sie hängen ja auf der einen Seite mit Fischer und auf der anderen Seite mit TOR USA zusammen und hätten die Finanzen sicherlich gehabt. Ich werde aber mal abwarten, was die Zukunft bringt. Vielleicht ist das auch ein Schachzug, um das Imprint erstmal bekanntzumachen und dann trauen sie sich mehr. Bei den in Deutschland noch unbekannten US-Autoren und britischen Autoren trauen sie sich aber jetzt schon deutlich mehr, da habe ich bis auf LeGuin und Kay noch keinen einzigen Namen gehört (obwohl zumindest Becky Chambers auf dem amerikanischen Markt bekannt zu sein scheint).

Aber natürlich stimme ich dir mittlerweile zu, was das vernachlässigte Handwerk in Deutschland angeht und, dass nicht nur die Verlage Schuld daran sind, dass es so wenig deutsche Fantasy auf dem Markt gibt. Ich bin mir trotzdem sicher, dass da bestimmt hin und wieder richtig gute Bücher übersehen werden, weil ein großer Teil der eingesendeten Manuskripte nicht überzeugt, und fände es schön, von Verlagsseite aus mehr "Mut" zu deutscher Fantasy zu sehen. Gleichzeitig ist es aber wirklich wichtig, sich klar zu machen, dass wir hierzulande wohl wirklich noch viel zu sehr dem Anspruch hinterherrennen Künstler sein zu wollen, die entweder schreiben können oder nicht und kein Handwerk lernen müssen. Daher verstehe ich die Verlage auch, dass sie so vorsichtig sind. Um dein Beispiel aufzugreifen: Wenn mir auf der Autobahn fünf Idioten entgegenkommen und mir beinahe das Auto kaputt fahren, dann bin ich beim sechsten auch misstrauisch und weiche lieber aus, auch, wenn die Chance besteht, dass der richtig gut fährt.

Mir gefallen deine Posts übrigens immer wieder richtig gut, @Kerstin, ich lese sie gern und sie haben für mich auch einiges zum Thema klarer gemacht.  :jau: Muss man ja auch mal sagen.

Kerstin

@Charlotte: Das Kompliment kann ich nur zurückgeben.  :vibes:

Zitat von: Charlotte am 23. August 2016, 12:57:33
"Night Vale" würde ich vielleicht aus dem Vergleich rausnehmen, weil es kein eigenständiger Roman ist, sondern ein "Gimmick" für die Fans des Night-Vale-Radio-Podcasts.
Teilweise hast du sicher recht - die Werbung von dem Buch erwähnte den Podcast allerdings nicht (ich habe auch erst nach dem Lesen davon erfahren). Zudem war die Werbung für ein "Gimmick" wirklich extrem. Kein anderes Buch ist mir auf der Messe so oft über den Weg gelaufen. Bedruckte Einkaufstaschen, Flyer, Leseproben, Bücherwände nur mit diesem Buch, Plakate, bedruckte Stände ... Das war schon heftig.
Demenstprechend überrascht war ich, als ich es gelesen habe.
Aber prinzipiell sind wir uns ja einig, was die Vielfalt der Fantasy auf dem Markt angeht. :)

Zitat von: Charlotte am 23. August 2016, 12:57:33
Das Programm sieht tatsächlich spannend aus, aber wenn ich dann schon sehe, dass Dietmar Dath als "einziger relevanter SF-Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur" bezeichnet wird... das klingt ja doch wieder sehr auch nach den Aussagen aus dem interview, die viele so verstanden haben, dass sich deutsche Literatur für den Verlag anscheinend nicht zu lohnen scheint.
Das ist ein reiner Werbespruch. Die Verlagsvorschauen sind ja in erster Linie dazu da, damit die Verlagsvertreter den Buchhändlern was zeigen können. Die Aussagen darin darf man so ernst nehmen, wie die von der Werbung für Diätpillen, die einem ein gesundes Abnehmen ohne Sport oder Verzicht versprechen. ;)
Du möchtest nicht wissen, was da über mich schon geschrieben wurde.  ;D
Dath kommt ja eher aus der anspruchsvollen Literatur und wird im Gegensatz zu den "normalen" Fantasy- / SciFi-Autoren vom Feuilleton ernst genommen. Das lässt sich perfekt für die Werbung ausschlachten mit einem "einzig relevant". Ich bezweifle aber stark, dass die Mitarbeiter eines reinen Fantasy- / SciFi-Verlags dieser Zweiklassengesellschaft von Autoren zustimmen würden.

Zitat von: Charlotte am 23. August 2016, 12:57:33
Aber es bleibt schade, dass auf einige wenige, bereits etablierte Zugpferde gesetzt wird (Meyer, Dath und Frenz). Ein Imprint wie TOR hätte sich glaube ich das "Risiko" leisten können, auch mal einem Debutautoren eine Chance zu geben.
Als etabliert würde ich Frenz nicht unbedingt bezeichnen - seine letzte Großverlagsveröffentlichung liegt einige Jahre zurück und er ist meines Wissens nach kein Bestseller-Autor. Wenn ich da auf meine eigenen Erfahrungen zurückblicke, ist er damit alles andere als etabliert. Aber er ist natürlich auch kein Debüt-Autor.

Zitat von: Charlotte am 23. August 2016, 12:57:33Sie hängen ja auf der einen Seite mit Fischer und auf der anderen Seite mit TOR USA zusammen und hätten die Finanzen sicherlich gehabt.
Finanziell hängen sie meines Wissens nach nicht mit TOR zusammen.
Tor in den USA und Großbritannien gehören zwar beide zum selben Konzern, agieren aber unabhängig voneinander. In Deutschland bekam S. Fischer den Zuschlag, [...]
Wie ich das Interview verstehe, musste Fischer eher Geld dafür zahlen, dass sie den Namen TOR verwenden dürfen. Sie bekommen ja auch nicht automatisch die Lizenzen, sondern können sich die Titel nur als erstes ansehen. Darauf bieten müssen sie trotzdem normal.
Zum Thema Finanzen: Auf der einen Seite wären sie sicher nicht gleich Pleite gegangen, wenn sie ein Debüt aufgenommen hätten. Auf der anderen Seite darf man aber auch die Verlage nicht überschätzen. Das sind keine gewaltigen Milliarden-Konzerne.
2010 hat der gesamte S. Fischer Verlag (dazu gehören Fischer Taschenbuch, Krüger Verlag, Scherz Verlag, Fischer FJB und Fischer Kinder- und Jugendbuchverlag) 73 Millionen Gesamtumsatz gemacht - dabei kam nur ein Sechstel aus den Büchern (Quelle).
Wenn man sich diese Zahlen anschaut, berücksichtigt, dass sie für den Namen TOR etwas zahlen mussten, dann wundert es mich nicht, dass sie erstmal auf größtmögliche Sicherheit konzentriert waren. Sie haben ja auch nur ein kleines Programm - gerade mal 11 Titel.

Und zuletzt muss man sich auch die Anzahl der Mitarbeiter anschauen - sie haben nur einen Vollzeitlektoren. Einen! Gerade am Anfang (das Team ist ja noch nicht eingespielt) dürfte er mit zwei neuen Romanen zum Lektorieren voll ausgelastet gewesen sein. Das ist ja nur das Programm für ein Halbjahr / möglicherweise sogar nur ein Vierteljahr, sollten sie auch Sommer- und Winterprogramme herausbringen.
Das man sich da nicht auch noch einen Debütanten ans Bein bindet, der meistens mehr Arbeit verlangt und über dessen Zuverlässigkeit man auch noch nichts weiß, wundert mich nicht.
Das Buch von Dath ist ja auch nur eine Taschenbuchausgabe von einem bereits erschienenen Buch.

Zitat von: Charlotte am 23. August 2016, 12:57:33Ich werde aber mal abwarten, was die Zukunft bringt. Vielleicht ist das auch ein Schachzug, um das Imprint erstmal bekanntzumachen und dann trauen sie sich mehr.  Bei den in Deutschland noch unbekannten US-Autoren und britischen Autoren trauen sie sich aber jetzt schon deutlich mehr, da habe ich bis auf LeGuin und Kay noch keinen einzigen Namen gehört (obwohl zumindest Becky Chambers auf dem amerikanischen Markt bekannt zu sein scheint).
Ich gehe davon aus. Lizenzen von Büchern, die sich im Ausland bereits gut verkauft haben, sind halt deutlich risikoärmer.
Sollte sich daran in der Zukunft allerdings nichts ändern, wäre ich auch sehr enttäuscht.

Zitat von: Charlotte am 23. August 2016, 12:57:33Ich bin mir trotzdem sicher, dass da bestimmt hin und wieder richtig gute Bücher übersehen werden, weil ein großer Teil der eingesendeten Manuskripte nicht überzeugt, und fände es schön, von Verlagsseite aus mehr "Mut" zu deutscher Fantasy zu sehen.
Da bin ich mir sicher - ist in den USA aber ja auch nicht anders. Es gibt einfach zu viele Bücher für zu wenige Programmplätze. Ändern wird sich das wohl nur, wenn die Menschen wieder mehr lesen.
Ich würde mir allerdings von den Lesern auch deutlich mehr Mut zur deutschen Fantasy wünschen. Es wird zwar langsam besser, aber ich stoße noch so oft auf dieses "uh, deutscher Autor, muss nicht sein" oder "eigentlich lese ich ja keine deutschen Autoren, aber ...".
Das finde ich persönlich sehr schade.

Blackhat

#101
Zitat von: Kerstin am 24. August 2016, 10:10:40
Ich würde mir allerdings von den Lesern auch deutlich mehr Mut zur deutschen Fantasy wünschen. Es wird zwar langsam besser, aber ich stoße noch so oft auf dieses "uh, deutscher Autor, muss nicht sein" oder "eigentlich lese ich ja keine deutschen Autoren, aber ...".

Das kann ich leider nur bestätigen. Einer meiner Freunde, ein echter Fantasy-Vielleser, der auch überwiegend auf die englischen Originale zugreift, hat mir letztens erst gesagt, deutsche Fantasyautoren würde er sich prinzipiell nicht antun. Ich finde diese Einstellung auch zu hart, aber sie zeigt doch, dass diese Meinung nicht nur bei den Verlagen zu finden ist. Umgekehrt ist es vielleicht auch so, dass die Verlage, die natürlich wissen sollten, wie die Fantasy-Leserschaft hier im Land tickt, diese Meinung dann nur zu gerne bedienen. Keine Ahnung, ob das wirklich so ist. Viel spannender ist für mich die Frage, warum offenbar nicht wenige Leser so denken. Dass es sich nur um Vorurteile handelt glaube ich nicht. Allerdings konnte mir mein Freund auch nicht genau sagen, wie er zu diesem Urteil gekommen ist. Seine Begründung war etwas nebulös und trotzdem sollten wir Autoren so etwas nicht einfach wegwischen nach dem Motto: Der oder die haben halt keine Ahnung. Denn bei meinem Bekannten muss ich sagen, er hat Ahnung. 

Leann

Wenn dein Bekannter deutsche Fantasyautoren prinzipiell nicht liest, frage ich mich allerdings, woher dann seine Meinung kommt, dass die schlecht sind. Ich finde es immer befremdlich und auch sehr schade, dass einige Leser sich selbst so stark einschränken. Schon dieser Ausdruck "prinzipiell" ... Wenn ihm also jemand einen Fantasyroman eines deutschen Autors empfiehlt, sagt er einfach "Nein danke, lese ich aus Prinzip nicht"? Wenn jemand keine deutschen Fantasyromane liest und sich trotzdem anmaßt, sie zu beurteilen, dann kann ich das sehr wohl mit einem "der hat keine Ahnung" wegwischen. Anders, wenn jemand einige Romane gelesen hat, sie ihm nicht gefallen haben und er das auch gut begründen kann. Ich habe auch schon einige Fantasyromane von deutschen Autoren gelesen, die ich überhaupt nicht gut fand (und auch von ausländischen Autoren), aber ich würde trotzdem nicht auf die Idee kommen, daraus zu schließen, dass alle schlecht sind und zukünftig keinen mehr lesen. Da wünsche ich mir wirklich auch mehr Offenheit und Neugier. 

Blackhat

#103
@Leann

Natürlich hat er Bücher von deutschen Fantasyautoren gelesen und ist danach erst zu seinem Urteil gekommen. Wie gesagt, seine Begründung war jetzt auch nicht sonderlich differenziert, leider, aber irgendetwas hat ihn gestört. Ich kann ja nochmal bei ihm nachhaken.

Drachenfeder

Ach Leann, ich stimme dir da voll und ganz zu, aber so ist es doch immer und überall. Leider.
Ich lese beispielsweise keine Liebesromane und ähnliches. Einfach nicht mein Ding, aber ich würde niemals behaupten, dass diese Bücher schlecht geschrieben sind oder das deutsche Autoren nicht können. Und ich würde ebenso wenig behaupten, dass ich niemals versuchen werde romantische Romane zu lesen. Bin ebenfalls für mehr Offenheit und Neugier, auch natürlich was die deutsche Fantasy-Szene betrifft. Ich persönlich lese sogar lieber deutsche Autoren, denn da kann ich, wenn es mir gefallen hat, wirklich behaupten "der schreibt gut!". Kann ich bei anderssprachigen doch gar nicht genau sagen, wenn ich nicht das Original gelesen habe.