• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Entwicklung am deutschsprachigen Fantasymarkt

Begonnen von Franziska, 20. November 2014, 20:08:16

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Franziska

Na ja,  Tor ist ja in dem Sinn kein neues Label. Ich finde es eigentlich toll, dass endlich mal Autoren wie Guy Gavriel Kay eine Chance in Deutschland bekommen. Erstmal etwas zu nehmen, was sicher gut läuft ist ja für den Anfang eine gute Strategie. Wäre nur schön, wenn sie irgendwann auch neuen deutschen Autoren mehr Chancen geben würden. Von 12 Büchern sind immerhin drei von (etablierten) deutschen Autoren.

Judith

Zitat von: Franziska am 18. August 2016, 22:19:17
Na ja,  Tor ist ja in dem Sinn kein neues Label. Ich finde es eigentlich toll, dass endlich mal Autoren wie Guy Gavriel Kay eine Chance in Deutschland bekommen.
Wobei Guy Gavriel Kay ja bereits eine Chance in Deutschland bekommen hatte, aber leider sind seine Romane wohl nicht so gut angekommen wie erhofft.

Alana

#77
Zitatdieser elende Gedanke, dass "Schreiben" eine Kunst ist, die man nicht lernen kann, würde endlich mal schwinden

Das geht mir auch so. Man wird hier in Deutschland von vielen ja schon als minderwertig betrachtet, wenn man sagt, dass man gerne Schreibratgeber liest und sich handwerklich fortbildet. Denn ein guter Autor hat das nicht nötig. Das scheinen zumindest viele zu denken, und schauen dann auf einen herunter. Von Berufsautoren hingegen kommt meistens ein Kopfnicken. Die bilden sich eigentlich fast alle auf die eine oder andere Art fort. (Nicht unbedingt mit Ratgebern, jeder hat da seinen eigenen Weg.) Ich persönlich finde, dass amerikanische Autoren uns häufig bei der Dramaturgie ein Stück voraus sind. Die Bücher sind einfach von der ersten Seite an spannend und halten diese Spannung mühelos. Besonders amerikanische Jugendfantasy. Da findet man eigentlich nur Pageturner. Von den Ideen her vielleicht nicht außergewöhnlich, aber handwerklich so gut, dass man richtig darin versinkt und die Bücher verschlingt. Das bewundere ich und daran arbeite ich sehr stark, um mich zu verbessern. Natürlich sind nicht alle amerikanischen Bücher perfekt, aber ich finde, man merkt schon, dass sie das Handwerk richtig verinnerlicht haben. Und ich glaube, das fehlt vielen deutschen, oder sagen wir besser: vielen nicht amerikanischen Büchern, die oft sprachlich genial sind und voller toller Ideen stecken. Man liest sie gerne, aber es fehlt dieser letzte Funke. Dieser Effekt, dass man sie einfach nicht weglegen kann. Das zu erreichen ist zur Zeit mein größtes Ziel, auf das ich hinarbeite. Gib dem Leser keine Chance, das Buch weglegen zu können. ;D Ich denke, das ist es zum Teil, was im Artikel gemeint ist. Und natürlich ist das zu pauschal, denn es gibt auch viele deutsche Autoren, die das beherrschen. Ursula Poznanski, Ottfried Preußler, Michael Ende, Rebecca Gablé, um nur ein paar zu nennen.
Alhambrana

Kati

#78
Zitat von: KerstinWenn ich mich in anderen Foren oder auch meinen Schreibkursen umsehe, treffe ich immer wieder auf Leute, die zwar tolle Ideen habe, handwerklich aber leider (noch) eine Katastrophe sind.

Das wird es in den USA aber ganz genauso geben, wie hier. Der Mann spricht im Interview ja davon, dass durch die Größe und die daraus entstehende Marktgröße der USA sehr viel mehr gutes Material verfügbar ist – im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass es sicherlich auch sehr viel mehr nicht Gutes gibt, denn nicht jeder amerikanische Autor, der sein query-Briefchen an einen Verlag schickt, ist ein guter Autor. Diese amerikanischen Pendants zu den deutschen Autoren mit handwerklichen Defiziten erreichen einen deutschen Verleger sicherlich aber nicht – er kriegt nur vorgelegt, was von amerikanischen Verlagen schon durchgewunken wurde. Also natürlich wirkt es für ihn, als schwappte da aus den USA eine große Flut an qualitätsvollen Manuskripten zu uns, aber deshalb die einheimischen Autoren als weniger lesenswert abzustempeln, weil er schlechte Manuskripte zugesendet bekommt, finde ich einfach schade.

Zitat von: KerstinUnd ja, ich denke schon, dass die Tatsache, dass bei uns das gesamte Thema des Lernens vom Handwerk noch stiefmütterlich behandelt wird, einen Einfluss auf die Qualität hat. Nur weil es ein paar Genies gibt, die es auch ohne können, muss es ja nicht für den Rest (mich eingeschlossen) gelten. Ich finde diese Tatsache auch sehr schade - es gibt so viele Menschen mit tollen Ideen, aber viele kommen ja gar nicht erst auf die Idee, sich mit dem Handwerk auseinanderzusetzen.

Da stimme ich dir auf jeden Fall zu. Nur sind Schreibkurse und –seminare nicht der einzige Weg, sich mit dem Handwerk auseinanderzusetzen. Ich habe oft das Gefühl, dass es in den USA immer mehr in die Richtung geht, dass jemand, der keine ,,professionelle" Schreibausbildung hat, nicht für voll genommen wird und das finde ich schade und auch ziemlich elitär. Schreibseminare sind oft nicht gerade billig und auch zeitintensiv. Ich bin aber auf jeden Fall bei dir, dass hierzulande vielen Autoren noch das Verständnis dazu fehlt, dass man schreiben einfach lernen muss. Ich persönliche halte da Learning bei Doing (Schreiben, bewusst lesen und drauf achten, wie bestimmte Sachen gemacht werden etc.) für nicht zu verachten, es reicht aber natürlich nicht aus und muss ergänzt werden. Trotzdem muss es nicht immer das Schreibseminar sein, wie im Interview angedeutet wird. Allerdings ist das Interview wirklich kurz und vielleicht ist es auch missverständlich, was er da meint.

Zitat von: AlanaIch persönlich finde, dass amerikanische Autoren uns häufig bei der Dramaturgie ein Stück voraus sind. Die Bücher sind einfach von der ersten Seite an spannend und halten diese Spannung mühelos. Besonders amerikanische Jugendfantasy. Da findet man eigentlich nur Pageturner. Von den Ideen her vielleicht nicht außergewöhnlich, aber handwerklich so gut, dass man richtig darin versinkt und die Bücher verschlingt.

Ich höre in letzter Zeit immer öfter von amerikanischen Jugendbuchbloggern, dass sie genau das langsam nervt, der immer gleiche Aufbau bei immer weniger spannenden Ideen dahinter und kann das auch ein Stück weit nachempfinden. Wie Liebesgeschichten verlaufen, Plothandlungen, ganze Twists kann man immer mehr voraussehen, weil sehr viele Geschichten gleich aufgebaut sind. Dazu kommt, dass die amerikanische YA sich einfach nichts traut, was auch oft kritisiert wird. Dasselbe Muster wird immer und immer wieder angewandt und abgewichen wird wirklich selten. Ich finde in der amerikanischen YA eigentlich nur noch selten Bücher, die mich genug interessieren, um sie zu lesen, auch wenn vieles handwerklich gut gemacht ist. Ich habe oft das Gefühl, dass deutsche (aber auch britische) YA da origineller ist, das kann aber auch dran liegen, dass man als nicht-amerikanischer Autor mehr abliefern muss, um überhaupt einen Verlagsplatz zu bekommen. Jedenfalls finde ich es schade, dass sehr viel "durchschnittliche" YA aus den USA zu uns kommt. Ein guter Stil reicht einfach auch nicht, wenn der Plot nichts reißen kann.

Kerstin

#79
Zitat von: Charlotte am 19. August 2016, 12:50:55
Das wird es in den USA aber ganz genauso geben, wie hier. Der Mann spricht im Interview ja davon, dass durch die Größe und die daraus entstehende Marktgröße der USA sehr viel mehr gutes Material verfügbar ist – im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass es sicherlich auch sehr viel mehr nicht Gutes gibt, denn nicht jeder amerikanische Autor, der sein query-Briefchen an einen Verlag schickt, ist ein guter Autor.
Das stimmt zwar auf der einen Seite, aber ich wage zu behaupten, dass die Prozentzahl an handwerklich zumindest halbwegs tauglichen Manuskripten in den USA z.B. deutlich größer ist. Ganz einfach, weil dort eben in den Menschen verankert ist, dass das Schreiben auch handwerkliche Aspekte hat.
Das sehe ich hier in Deutschland so gar nicht. Wie @Alana hatte ich es im Gegenteil auch schon, dass auf mich herabgesehen wurde, weil ich mich handwerklich eben weiterbilde. Selbst einige meiner Schüler halten mich glaube ich für eine zweitklassige Autorin - nicht wegen meiner Texte, sondern weil ich es "gelernt habe", bzw. immer noch lerne.
Die Widerstände sind da bei großen Teilen der schreibenden Bevölkerung enorm - trotzdem schicken sie es an Agenten, Lektoren ...

Es geht dabei ja auch nicht nur um Schreibkurse. Ich habe selbst nie einen besucht, da ich genau dieses Problem hatte. Keine Kurse in meiner Nähe und der Rest zu teuer. Das war auch einer der Gründe, warum ich inzwischen an der VHS Kreatives Schreiben unterrichte - genau um das zu ändern.
Ich stoße aber z.B. immer wieder auf das Problem, dass es kaum bezahlbare, gute Schreibratgeber auf deutsch gibt - maximal für Anfänger, aber nicht für Fortgeschrittene. Einige meiner Schüler würden gerne mehr lernen, können es aber aus diesem Grund nur eingeschränkt.
Ebenso wie Webseiten über das Schreiben - viele Infos findet man nicht auf deutsch.
In den USA hält dagegen einfach mal ein Stephen King einen Vortrag an einer Uni über das Schreiben oder man kann sich bei Bestseller-Autoren einschreiben ...

Wenn man also bedenkt, dass wir eben kleiner sind und dementsprechend weniger Autoren und dann noch berücksichtigen, dass die durchschnittlicher handwerkliche Qualität zwangsweise schlechter sein muss, wundert es mich nicht, dass es schwierig sein kann, passende Manuskripte zu finden. (Mal abgesehen davon, dass Leser leider immer noch vor deutschen Autoren zurückschrecken - ich habe schon so oft gehört "eigentlich lese ich ja nichts von Deutschen, aber ...").

Versteh mich bitte nicht falsch - ich finde auch, dass die deutsche Phantastik mehr gefördert gehört (oder allgemein Autoren), aber ich bin mir nicht sicher, ob das bei den Verlagen anfangen sollte. In meinen Augen fängt es bereits bei unserem Bildungssystem an - kein Kreatives Schreiben in der Schule, nur E-Literatur im Unterricht ...
Der Tintenzirkel spiegelt in meinen Augen die Realität auch nicht wieder - das Niveau hier ist verdammt hoch.


Zitat von: Charlotte am 19. August 2016, 12:50:55aber deshalb die einheimischen Autoren als weniger lesenswert abzustempeln, weil er schlechte Manuskripte zugesendet bekommt, finde ich einfach schade.
Hat er ja nicht - er sprach von manchmal.
Es war sicher ungeschickt formuliert (wie du ja sagtest, dass es in den USA auch schlechte Skripte ist ja kein Geheimnis), aber ich lese daraus keine grundsätzliche Ablehnung.

Zitat von: Charlotte am 19. August 2016, 12:50:55Ich höre in letzter Zeit immer öfter von amerikanischen Jugendbuchbloggern, dass sie genau das langsam nervt, der immer gleiche Aufbau bei immer weniger spannenden Ideen dahinter und kann das auch ein Stück weit nachempfinden.
Ich weiß nicht, wie repräsentativ das ist. Blogger sind meistens ja Vielleser und eher jung - das man da irgendwann von einem Genre übersättigt ist, wundert mich nicht. Ich lese aus diesem Grund seit ein paar Jahren auch weniger Fantasy und dafür mehr Thriller (und bekomme da von immer demselben Aufbau nicht die Nase voll :P).
Der Durchschnittsleser liest so wenig, dass ihn immer derselbe Aufbau wenig stören dürfte. Ganz im Gegenteil - meistens ist es genau das, was die Leute wollen - einfach eine Variation einer Geschichte, die ihnen richtig gut gefallen hat.
Ich finde, dass man das auch gut daran sieht, dass meiner Meinung nach, gerade die ausgefalleneren Bücher, die Verlage durchaus auch wagen, oft ziemlich floppen. Gerade bei deutschen Autoren waren in den letzten Jahren originelle Stoffe dabei, aber viele sind einfach nicht beim Leser so gut angekommen, wie die Tausendste Wiederholung derselben Geschichten.

Zitat von: Charlotte am 19. August 2016, 12:50:55Ein guter Stil reicht einfach auch nicht, wenn der Plot nichts reißen kann.
Da stimme ich dir zu - umgekehrt geht es aber ja auch nicht. :)

Alana

#80
@Charlotte: Da gebe ich dir absolut recht und ich mag das auch nicht. Aber das meinte ich nicht mit Dramaturgie. Unterhaltungsliteratur hat seit Urzeiten einen tieferliegenden Rhythmus, der durch die 7 Plotpunkte wiedergegeben wird. Diese Struktur macht Geschichten spannend, sie liegt dem Menschen im Blut. Diese Struktur ist aber lediglich ein Gerüst, das man verwenden kann, wie man will. Und diese Gerüst beherrschen amerikanische Autoren perfekt, deshalb lesen sich ihre Bücher oft besser und spannender. Die immergleichen Twists und immer gleichen Romances sind das, was auf der Struktur oben drauf liegt, und das kann jeder anders machen. Da fehlt es dann oft bei den amerikanischen Jugendbüchern. Vielleicht wäre es fruchtbar, deutsch-amerikanische Autorenteams zu bilden. ;D

@Kerstin: Ich glaube auch, dass vor allem die deutsche Einstellung zu Kunst das Problem ist. Und die kann man nicht erst ändern, wenn die Leute an die Verlage herantreten.
Alhambrana

canis lupus niger

#81
Zitat von: Kerstin am 19. August 2016, 13:18:05
Zitat von: Charlotte am 19. August 2016, 12:50:55Ich höre in letzter Zeit immer öfter von amerikanischen Jugendbuchbloggern, dass sie genau das langsam nervt, der immer gleiche Aufbau bei immer weniger spannenden Ideen dahinter und kann das auch ein Stück weit nachempfinden.
Ich weiß nicht, wie repräsentativ das ist. Blogger sind meistens ja Vielleser und eher jung - das man da irgendwann von einem Genre übersättigt ist, wundert mich nicht. Ich lese aus diesem Grund seit ein paar Jahren auch weniger Fantasy und dafür mehr Thriller (und bekomme da von immer demselben Aufbau nicht die Nase voll :P).

Meine Wahrnehmung ist das aber auch, dass die Fantasy aus großen Verlagen eine immer einheitlicher werdende Ware ist, dass sie unabhängig von Subgenre der immer gleichen Aufbau hat. Wie beim klassischen Sonntagabend-Heimatfilm von Inga Lindström weiß man nach wenigen Minuten schon, wer wer ist und wie die Geschichte ausgehen wird. Das ist meiner Medinung nach eine Folge des zu sklavischem Befolgens von Schreibregeln und -ratgebern. Ein bisschen weniger professionelle Routine wäre da durchaus erfrischend und aus meiner Sicht als Leserin auch wünschenswert.

Die Aussagen zu den Fähigkeiten deutscher Fantasy-Autoren finde ich ziemlich beleidigend. Wenn sie "nur" missverständlich waren, umso schlimmer, dass sie in diesem Interview zum Programm des neuen Labels genau so getroffen wurden.

Alana

Ehrlich gesagt glaube ich absolut nicht, dass das Leute sind, die Schreibratgeber lesen. Denn wer das tut, erwirbt das Handwerkszeug, gute Geschichten zu schreiben, ohne sich an ausgelutschte Plots zu halten. Wer die Grundstrukturen des Erzählens kennt, kann sie abwandeln oder brechen. (An diesen Punkt kann man natürlich auch ohne Ratgeber kommen!) Wer sie nicht kennt, schreibt viel eher immer nach dem gleichen Schema, das er mal irgendwo als Vorlage abgeschaut hat. Und wer sich sklavisch an Schreibratgeber hält, muss sich auch an die wichtigste Regel halten, die in jedem guten Ratgeber steht: dass man sich an nichts sklavisch halten, sondern sein eigenes Ding daraus machen soll.
Alhambrana

Franziska

Ich finde die Diskussion hier gerade sehr interessant. Ich kann nicht beurteilen, inwiefern deutsche Autoren sich im Schnitt handwerklich bilden. Ich habe gerade das Gefühl, dass junge Autoren sich heute recht einfach forbilden können übers Internet und übers Vernetzten. Aber auch viele SPler beschäftigen sich überhaupt nicht damit und die Bücher verkaufen sich bestens. Das entspricht dann aber vielleicht nicht dem Anspruch eines solchen Verlages.
Ich finde eigentlich gar nicht, dass Fantay allgemein immer gelich ist. Ich weiß nicht, was ihr so liest, aber ich lese immer wieder tolle originelle Bücher mit spannenden Wendungen. Bei GoT zum Beispiel wüsste ich nicht, wie es ausgeht. Das ist doch das beste Beispiel für spannend geschrieben mit überraschenden Wendungen. Und das ist ja gerade das, was es so beliebt macht.
Ich habe hier ja immer wieder Bücher deutscher Autoren genannt, die ich interessant finde und die sich auch öfter originell anhören. Ich bin gerade dabei, auch mal mehr davon wirklich zu lesen.
Ich denke, mit "provinziell" meinte er vielleicht, dass sich deutsche Autoren eben mehr an anderen deutschen Autoren orientieren und nicht das Können der amerikanischen haben. Wäre für mich die logischte Erklärung.  :hmmm:
Na ja, ich will das jetzt auch nicht so an dem Interview festmachen. Viele Verleger denken wahrscheinlich ähnlich.
Übrigens hatte ich in letzter Zeit immer wieder Bücher amerikanischer Autoren, erfolgreiche Bücher wohlgemerkt, wo ich mich gefragt habe, ob der Autor jemals ein Schreibseminar besucht hat. Aber bei der einen Serie fand ich das Setting so originell und die Figuren so toll, dass ich es trotzdem gerne gelesen habe. Von einem Siieben-Punkte-Plot war da jedoch keine Spur.  ::)

Aber ich finde es auf jeden Fall auch mal richtig, nicht immer nur auf die Verlage zu schimpfen, sondern mal ehrlich zu sagen, ja vielleicht ist da wirklich was dran, was kann man machen, um handwerklich besser zu werden? Sind wir wirklich so toll, wie wir denken? Das heißt ja nicht, dass man jetzt die Masche von Autor x und y kopieren muss.

canis lupus niger

#84
Zitat von: Franziska am 19. August 2016, 17:06:28
Ich denke, mit "provinziell" meinte er vielleicht, dass sich deutsche Autoren eben mehr an anderen deutschen Autoren orientieren und nicht das Können der amerikanischen haben.

Gerade eine derartige Verallgemeinerung fände ich aber unkorrekt, denn ich halte das Können amerikanischer Autoren nicht grundsätzlich für größer als das deutscher Autoren. Möglicherweise könnte man sagen, dass es quantitativ mehr fähige amerikanische Autoren gibt, als deutsche, denn die US-Bevölkerung und damit die absolute Anzahl schreibender Personen ist ja auch größer als die deutsche. Aber es gibt ganz sicher zahlreiche fähige deutsche Autoren, die keinen Fuß in die Tür deutscher Verlage oder deutscher Töchter internationaler Verlagskonzerne bekommen, weil sie eben "nur" deutsche Autoren sind. Dieses Vorurteil hindert mMn manches sehr gute Manuskript deutscher Autoren am Erfolg. Jeder Autor, der gut werden will, bemüht sich lebenslang darum, immer noch dazu zu lernen, egal wo. Ob man Kursen im "creative writing" belegt, sich im Internet kundig macht, in Autorenforen austauscht, an Messen oder anderen Veranstaltungen teilnimmt, Ratgeber liest oder einfach viele gute Bücher, - es gibt nicht nur einen guten Weg, sein Können zu vergrößern. 

Natürlich muss man auch gelten lassen, dass jedem sehr guten Manuskript vielleicht 5000 mittelmäßige, unausgereifte bis sogar sehr schlechte gegenüberstehen. Da ist es schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Aber ich weigere mich zu glauben, dass das hier anders ist als in den USA. Man muss als Verleger halt hinschauen, was etwas taugt, hier wie dort.

Auch ich habe in den letzten Jahren einige wirklich gute und innovative Fantasy-Romane aus deutscher Feder gelesen, und nicht nur von Autoren mit großen Namen. Und ich habe einige wirklich schlechte Bücher aus amerikanischer und deutscher Feder gelesen, die mit einem immensen Marketingaufwand trotzdem erfolgreich gemacht wurden.

Tintenteufel

@Kerstin
Was meinst du mit nur E-Literatur im Unterricht? Ich habe keine Schreibkurse besucht, aber ein paar Seminare an der Uni mit einem ganz phantastisch engagierten Dozenten - und in Schule und Uni wird immer noch mit Büchern gelehrt.

Der Sache mit den Kurzgeschichten würde ich aber zustimmen.
Das hängt wahrscheinlich auch stark mit der fehlenden Schreibausbildung zusammen. Wenn Anfänger über die Literatur zum schreiben kommen - also sozusagen das Endprodukt "Buch" und nicht über den Prozess, den täglichen Kampf mit der leeren Seite - dann kupfern die natürlich von der Literatur ab, die sie mögen, und versuchen das nachzuempfinden. Und gerade das führt dann zu einer Ablehnung von Kurzgeschichten, weil die in der breiten Masse eben nicht gelesen werden. Sondern hauptsächlich Mehrteiler.
Niemand muss Kurzgeschichten mögen oder gut können - aber an ihnen übt man sehr gut, sehr schnell Dramaturgie, Handlungsaufbau und Spannungsbögen. Man übt, wie man auf fünf Seiten einen spannenden Charakter gestaltet und nicht auf zweihundert.
Und verliert nicht so schnell die Lust, wie an einem lächerlich überzogenen fünfteiligen Epos, das als Erstlingswerk natürlich unbedingt an die Öffentlichkeit muss, wo man aber nach fünfzig Seiten kein Interesse mehr hat, weil die Idee eben doch nicht so genial war wie gedacht.

Zitat@Charlotte: Da gebe ich dir absolut recht und ich mag das auch nicht. Aber das meinte ich nicht mit Dramaturgie. Unterhaltungsliteratur hat seit Urzeiten einen tieferliegenden Rhythmus, der durch die 7 Plotpunkte wiedergegeben wird. Diese Struktur macht Geschichten spannend, sie liegt dem Menschen im Blut. Diese Struktur ist aber lediglich ein Gerüst, das man verwenden kann, wie man will.
Dem widerspreche ich vehement. Es ist doch grade die Modulation des Rhythmus', die eine Kurzgeschichte von einem Roman unterscheidet. Die eine herzhafte Komödie von einer tragikomödie unterscheidet oder einer eierlegenden Wollmilchsau, die alles machen will und nix tut.
Ob ich jetzt eine Romantasy über Bob, der Vampir Alice liebt, oder Charlie, der Werwolf Jack liebt, oder Denis, der Hexe Linda liebt, lese...ist da gleichgültig, wenn alles nach sieben Punkten abgehakt wird. Das ist dann eine Überbetonung von handwerklichem Geschick, die im Extrem (auch wenn du das nicht so meinst, weiß ich auch) genau so fad wird - egal, wie viele Tropes da ausgetauscht werden.
Das unterschiedliche Grundgerüst unterscheidet die.

Und damit möchte ich mal wieder eine Lanze für elitäreres Kunstverständnis brechen.
Klar hat das deutsche System einige Nachteile und ist sicher nicht perfekt. Ganz besonders wenn Verlage eben auf den Absatzmarkt schauen und an die Gewöhnung an angelsächsische Fantasy und dann eben nur noch nach diesen Gesichtspunkten aussuchen. Weswegen ich das Interview mit dem Herrn auch nicht sehr gut finde.
Aber nur auf handwerkliches Geschick zu schauen oder auch nur hauptsächlich, und das dann lehren zu wollen, das bringt meiner Meinung nach vor allem eines hervor: Einheitsliteratur. Die Bücher von Stephen King sind gut geschrieben, klar. Aber bis auf eine knappe Handvoll vielleicht absolut vergessbar, nach dem immer gleichen Schema aufgebaut, mit dem gleichen Rhythmus und oft genug dem gleichen enttäuschenden Ende, sobald das Schema sich wieder erfüllt.
Das ist dann Massenware, keine Kunst.
Es will nicht jeder Kunst machen, schon klar. Aber dann möchte ich mir auch nicht von jemanden, der "eh nur unterhalten" will erzählen lassen, was ich über Kunst zu denken habe.

Ich finde auch, dass es gute deutsche Autoren gibt. Und ich finde die Entwicklung sehr schade, dass so viele Leser und Professionelle der Sache keine Chance geben - mich schließe ich da nicht einmal aus.
Aber man sollte handwerkliche Schulungen auch nicht über glorifizieren. Alle unsere Filmemacher haben Schulungen und Lehrgänge und Studiengänge besucht und der deutsche Film ist mit der langweiligste auf diesem Planeten.
Man braucht mehr davon, keine Frage. Mehr engagierte Dozenten, wie meinen allerliebsten Lieblingsdoktor, für den ich auch sinnlos dreimal den gleichen Kurs mache. Aber Pflicht, wie teilweise in Amerika, sollte es auch nicht sein. Ich fürchte mich vor dem Tag, wo man nirgendwo mehr genommen wird, weil man nicht mindestens einen B.A. mit 2,3 in "creative writing" und ein Praktikum beim "Weltbestseller Dan Brown" gemacht hat.

Alana

#86
@Tintenteufel: Ich spreche von Romanen der Unterhaltungsliteratur, nicht E-Literatur und Kurzgeschichten. Die sieben Punkte hat sich niemand ausgedacht und wenn du dir alle wirklich guten Romane der Weltliteratur anschaust, wirst du feststellen, dass du in den meisten diese 7 Plotpunkte findest. Die 7 Plotpunkte sind kein Schema, das abgehakt werden muss. Sie sind die Grundstruktur, die sich bei Analysen uralter Geschichten und Romane als allgegenwärtig herauskristallisiert hat. Die 7 Plotpunkte lassen sich sehr stark abstrahieren und können ganz anders aussehen, als in 0815 Plots. Jedoch findet man sie in den meisten Geschichten, die von vielen Menschen als spannend und gut erzählt wahrgenommen werden. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Alhambrana

Tintenteufel

Jede Erwähnung der 7-Plot-Punkte Methode, die ich eben gefunden habe, nennt einen Mann namens Dan Wells als Inspiration oder wenigstens als ersten Aufschreiber dieser Methode, laut einigen Seiten sogar in Anlehnung an den Star Trek RPG Narrators Guide - ein Buch aus dem Jahre 2002.
Die 7-Punkte-Methode ist eine Form von vielen, einen Roman zu strukturieren. Auch vor dem Stark Trek Narrators Guide gab es eine bunte Palette an Schreibratgebern. In vielen dieser Schreibratgebern und in vielen anderen Standardwerken zu Poetik ganz allgemein finden sich andere Rhythmen und Grundstrukturen - wie etwa das Aristotelische 3-Akt-Prinzip, das sich ebenfalls in praktisch jedem Roman der Welt finden lässt. Ausnahmen bestätigen die Regel. ;)
Selbst wenn wir uns auf Romane beschränken und auf Ratgeber, die explizit für diese geschrieben worden sind, findet sich eine Fülle von anderen Vorschlägen und Möglichkeiten, einen solchen zu strukturieren.

Es ist sicherlich nicht falsch, dass man jeden Roman nach der 7-Punkte-Methode lesen kann. Die Frage bleibt, ob diese Methode die eine, einzig wahre ist für Romane oder erfolgreiche Romane - was ich bezweifle. Ich kann jede "uralte Geschichte" auch nach der 3- oder 5-Akt-Struktur lesen, genau so wie auch jede neuere. Genau so, wie sie auch nach völlig anderen Strukturen gelesen werden können - der Heldenreise etwa (17 Punkte btw.) oder der etwas Blockbusterlastigen 9-Akt-Struktur. Mit genau der Berechtigung, mit der ich die 7 Punkte suchen kann.
Die sieben Punkte sind eine Methode von vielen und kein verschüttetes Geheimnis der Antike, das jetzt erst wieder entdeckt worden ist. Erzählungen sind komplexer als eine einzelne Grundstruktur.

Kati

Die sieben Punkte sind tatsächlich allgegenwärtig. Ich arbeite seit einem knappen Jahr bewusst damit und nehme sie als Richtlinie, habe aber bemerkt, dass ich auch schon vorher instinktiv all meine Geschichten (keine einzige Ausnahme) an diese Struktur angelehnt habe. Seit ich bewusst damit arbeite, werden meine Spannungsbögen aber tatsächlich besser, die Handlung ist dichter, ich mache prägnantere Plots. Es stimmt auch, was Alana sagt. Das hat sich niemand ausgedacht, es ist eine uralte Struktur, die sich durch Jahrtausende zieht und auf dem alten griechischen Dramenaufbau basiert. Warum wir gerade diese Struktur als besonders spannend empfinden, weiß ich nicht. Aber die meisten Plottechniken, die man lernen kann, basieren auf den sieben Punkten oder beziehen sie sogar ein.

Zitat von: AlanaAber das meinte ich nicht mit Dramaturgie. Unterhaltungsliteratur hat seit Urzeiten einen tieferliegenden Rhythmus, der durch die 7 Plotpunkte wiedergegeben wird. Diese Struktur macht Geschichten spannend, sie liegt dem Menschen im Blut. Diese Struktur ist aber lediglich ein Gerüst, das man verwenden kann, wie man will. Und diese Gerüst beherrschen amerikanische Autoren perfekt, deshalb lesen sich ihre Bücher oft besser und spannender. Die immergleichen Twists und immer gleichen Romances sind das, was auf der Struktur oben drauf liegt, und das kann jeder anders machen. Da fehlt es dann oft bei den amerikanischen Jugendbüchern. Vielleicht wäre es fruchtbar, deutsch-amerikanische Autorenteams zu bilden. ;D

Das hatte ich falsch verstanden, aber ich gebe dir Recht, wie du es jetzt erklärt hast. Wenn ich es richtig sehe, sind die 7 Punkte oder ein darauf aufbauendes Plotsystem auch tatsächlich mit das Erste, das amerikanische Autoren lernen, während sie hier nicht so verbreitet sind. Ich habe ziemlich lang gebraucht, um davon zu hören, aber seit ich es kenne, plotte ich besser, wie oben beschrieben. Also ja, da muss was dran sein, dass amerikanische Autoren diese Struktur viel mehr verinnerlicht haben, weil sie sie einfach mit als erstes lernen, wenn sie anfangen sich mit dem Schreiben zu beschäftigen.

@Kerstin: Danke für die Ausführungen. Ich finde es erstmal total gut und cool, dass du selbst Kurse anbietest. So wie du es jetzt erzählt hast, kann ich mir das auch eher vorstellen. Dass es zwischen amerikanischen und deutschen Autoren so große Unterschiede im Lernprozess gibt, hatte ich bis gestern/heute gar nicht auf dem Schirm, obwohl ich wusste, wie viel amerikanische Autoren auf handwerkliche Weiterbildung legen. Aber wenn man das einbezieht ergibt es schon Sinn, dass es in Deutschland durch die "Schreiben ist Kunst, das muss ich nicht lernen"ö´-Mentalität sicherlich mehr Autoren mit guten Ideen gibt, die aber das Handwerk nicht beherrschen, was schade ist. Danke für's nochmal ausführlicher erklären, jetzt bin ich schlauer!  :knuddel:

Zitat von: TintenteufelDas ist dann Massenware, keine Kunst.
Es will nicht jeder Kunst machen, schon klar. Aber dann möchte ich mir auch nicht von jemanden, der "eh nur unterhalten" will erzählen lassen, was ich über Kunst zu denken habe.

Ich glaube, niemand hier würde abstreiten, dass Literatur auch Kunst ist. Ich verstehe mich als Künstlerin, wenn ich schreibe. Aber ein Künstler, der sein Handwerk nicht beherrscht, dessen Kunst ist nicht halb so gut, wie sie sein könnte. Ich musste auch Malen, was als Kunst schlechthin verstanden wird, schwer lernen. Vor meinen zwei Jahren Kunst-Leistungskurs habe ich auch gern gemalt. Nach den zwei Jahren hatte ich Ahnung von verschiedenen Kunstrichtungen, von Farb- und Formenlehre, von Perspektiven, vom Material. Das ist mein Handwerk, wenn ich male. Wenn ich einen dreieckigen Hut male, dann wirkt das Dreieck auf 99% der Betrachter auf eine bestimmte Weise, auch, wenn es als Hut versteckt ist. Genauso ist es beim Schreiben mit den sieben Punkten auch. Ich kann nicht bestimmen, wie Betrachter mein Dreieck wahrnehmen und ich kann nicht ändern, dass die sieben Punkte bei den Lesern seit Jahrhunderten am besten ankommen aber beides kann ich als Künstler nutzen, um gute Kunst zu machen, die Leuten gefällt oder auf die Weise auf die Leute wirkt, die ich beabsichtigt habe. Handwerk ist wichtig und es gibt bestimmte Formeln, die seit Jahrhunderten wirken. Damit kann man natürlich spielen, aber nur, weil ein Dreieck immer als Dreieck wahrgenommen wird, ist ja auch nicht jedes Bild, in dem dreieckige Formen vorkommen, gleich oder Einheitsbrei. Dasselbe ist es mit Romanen, die die sieben Punkte als Basis verwenden.

Alana

@Charlotte: Danke, das hast du gut erklärt und ergänzt.  :knuddel:

@Tintenteufel: Tatsächlich ist es so, dass sich die 7 Punkte und die anderen Strukturen nicht ausschließen. Sie beinhalten sich. Die 7 Punkte markieren ganz bestimmte wichtige Stellen in der Drei-Akt-Struktur. Bevor man die 7 Punkte lernt, lernt man erst die drei Akte und auch in der Heldenreise findet man die 7 Punkte, nur dass es eben noch ein paar zusätzliche gibt.

Zum Thema Kunst: Kunst liegt im Auge des Betrachters. Für mich bedeutet Kunst, mit einem bestimmten Werk genau die Wirkung zu erzielen, die man erreichen wollte. Dafür muss man das Handwerk beherrschen, denn nur dann kann man sich bewusst dafür entscheiden, eine Leinwand einfarbig blau anzumalen, um damit etwas auszusagen. Die Künstler, die solche auf den ersten Blick sinnfreien Kunstwerke erschaffen, beherrschen alle die Grundlagen des Zeichnens etc. bis zur Perfektion. Aber sie brechen die Regeln ganz bewusst, um etwas bestimmtes zu erreichen. Manch einer will vielleicht nur beweisen, dass er jeden Mist teuer verkaufen kann. Andere drücken damit Nihilismus oder Dadaismus aus. Klar kannst du ein Buch ohne die 7 Punkte schreiben. Die Kunst ist aber, damit genau die Wirkung zu erzielen, die du dir vorstellst.

Dass ein Maler aus diesem Grund das Handwerk beherrschen sollte, wird akzeptiert. Dass er das lernen muss, auch. Aber ein Schriftsteller nicht? Da muss es Gott gegeben sein? Das verstehe ich nicht.
Alhambrana