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Ein Roman ohne wörtliche Rede - geht das überhaupt?

Begonnen von Mondscheinhagel, 09. Mai 2014, 15:11:35

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Mondscheinhagel

Hallo :)

Also, meine Frage steht ja eigentlich schon im Betreff. Ein Roman ohne wörtliche Rede, ohne Dialog - geht das überhaupt? Will das überhaupt jemand lesen?

Ich schreibe im Moment an so einem Text und muss sagen, es ist eigentlich sehr spannend, wenn auch furchtbar anstrengend.
Aber kann das überhaupt funktionieren, wenn die Person mit anderen interagiert? Was sollte man beachten, wenn man wörtliche Rede vermeiden will, genauso wie indirekte Rede?
Wie würdet ihr sowas angehen?

Ganz liebe Grüße,

Mondscheinhagel

moonjunkie

Ich bin mir nicht ganz sicher, was du meinst. Vermutlich komplett die Dialoge wegzulassen? Was passiert denn dann? Nur Handlung? Hmm. Das geht bestimmt, bin mir jetzt aber nicht sicher, ob ich das schon mal irgendwo gelesen habe.
Was man tatsächlich weglassen kann, sind die Anführungszeichen. Das habe ich schon öfters in Romanen gesehen, aber das meinst du glaube ich nicht.

Ich denke mal, wenn es zu anstrengend ist zu lesen, sogar für dich, dann hält man das sicher nicht bei einem sehr langen Text durch als Leser. Eher bei einer Kurzgeschichte. Aber es käme natürlich auf den Versuch an. Hast du es mal jemandem gezeigt? Ich kann mir das gerade ganz schwer vorstellen, wie sowas aussehen könnte ohne Dialoge (ich liebe Dialoge ... vielleicht finde ich es deshalb schwer vorstellbar).

Mondfräulein

Zitat von: moonjunkie am 09. Mai 2014, 15:45:04
Was man tatsächlich weglassen kann, sind die Anführungszeichen. Das habe ich schon öfters in Romanen gesehen, aber das meinst du glaube ich nicht.

Das habe ich auch schon öfter gelesen. So spontan fallen mir da Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm und Medea ein. Ersteres fand ich... nicht nur in der Hinsicht misslungen, aber auch da besonders. Das ganze Buch war geschrieben wie ein normales Buch sonst auch, nur als hätte vor der Veröffentlichung noch schnell jemand alle Anführungszeichen geklaut. Das hatte (zumindest auf mich) den Effekt, den Leser vom Buchgeschehen zu entfernen, weil alles etwas lebloser und dumpf wirkte, schließlich konnte man nicht sofort sehen, was gerade gesagt wurde und was nicht, meistens eben erst einen Moment später als sonst. Dadurch versinkt das Geschriebene im Text und es wirkt irgendwie... tot. Nicht, als würde man das gerade direkt lesen, sondern als würde es einem jemand erzählen (was im Roman ja durchaus auch so ist, allerdings sind in der Rahmenhandlung auch keine Anführungszeichen und es hat einfach nicht funktioniert). Ich würde absolut jedem davon abraten, das so zu machen, der nicht ganz genau weiß, dass er genau diesen Effekt da so haben will.

In Medea hat das halbwegs funktioniert. Das ganze Buch war ja als Stream of consciousness geschrieben, von dem, was ich bisher gelesen habe, passt das vielleicht auf deinen Roman ganz gut. Die wörtliche Rede war bewusst in diesen Gedankenstrom eingebettet, das ganze Buch war eben aber auch so geschrieben und nicht wie oben einfach als normaler Roman ohne Anführungszeichen. Das Problem bei solchen Romanen ist meiner Meinung nach immer, dass so ein Stil oft nur über kurze Strecken funktioniert. Das kann für ein Kapitel oder so wunderbar poetisch und toll sein, aber diese Wirkung verliert sich nach einer Weile, wenn eben alles im selben Tonfall geschrieben ist und nicht mal variiert. Das ist, als würde man eine Kreuzfahrt machen und währenddessen nur Desserts serviert bekommen. Das mag am ersten Abend toll sein und vielleicht auch noch fürs Frühstück, aber nach ein paar Tagen würde man alles für eine einzige deftige Malzeit tun. In normalen Romanen wechselt sich das ja (zumindest sofern sie gut sind) meistens sowieso ab, indem mal mal rasantere Szenen hat und mal innere Monologe, Szenen für die Charakterentwicklung und Szenen, in denen etwas Spannendes passiert. Romane ohne Dialoge fallen meiner Meinung nach eher noch in die Risikogruppe, die leicht nur Desserts serviert, ohne Abwechslung hinein zu bringen, sofern sich das eben pberschlagen lässt. Gerade bei Medea zum Beispiel habe ich diese Abwechslung aber echt vermisst. Nach einer Woche geht einem auch der geliebte Schokoladenkuchen echt auf den Keks.

heroine

Erinnert mich spontan an ein Buch, in dem zwar wörtliche Rede vorkommt aber der Protagonist nur ein oder zwei Mal (auf jeden Fall sehr selten) von sich aus überhaupt was sagt. Ansonsten ist er Beobachter und integriert sich halt schweigend. Ist kein Fantasy-Buch aber ich fande es wirklich großartig, es nimmt sich auch etwas selbst auf die Schippe: Uniklinik.

Kati

Die fehlenden Anführungszeichen habe ich bis jetzt zweimal gesehen: Einmal in einem historischen Roman über ein Mädchen, das in der amerikanischen Wildnis groß wird und kaum zur Schule ging und einmal in einem Roman über einen depressiven Jungen, beide Male waren es Ich-Erzähler. Beide Male hat es wirklich gut gewirkt. Im ersten Buch, weil das Mädchen eben kaum zur Schule gegangen ist und der Stil an sich sehr flapsig und einfach gehalten war, was zur Figur sehr gut gepasst hat. Beim zweiten Mal, weil es die Antriebslosigkeit der Figur gut gezeigt hat. Ich denke aber, das muss man können, das ist schwer das so zu machen, dass es wirklich gut zum Roman passt und die Figur unterstreicht.

Wieso möchtest du denn alle Dialoge weglassen? Hat das einen bestimmten Grund, möchtest du damit etwas erreichen? Ich denke schon, dass das klappen kann, wenn man es wirklich gut macht, aber es müsste schon einen tieferen Sinn haben, nicht einfach so. Aber in den meisten Fällen führt es wohl eher dazu, dass der Text trocken und schwierig wird, weil einfach keine Abwechslung drin ist, und sich der Leser irgendwann fragt, was das überhaupt soll. Das gilt aber auch für fehlende Anführungszeichen und andere solche Späße: Wenn es zum Roman passt, also in der Figur oder den Umständen gut begründet ist, dann mag das funktionieren. Einfach so, weil es ganz besonders künstlerisch wirken soll, oder aus welchen Gründen auch immer, würde ich es nicht machen und auch nicht lesen wollen.

Klecks

Nun, dass es geht, beweist du ja, indem du es schreibst  ;D, aber ich würde so ein Buch nicht lesen wollen. Dialoge bringen Leben und Wendungen in eine Geschichte, zeigen den Einfluss anderer Charaktere auf die Protas, bringen Hintergedanken zum Vorschein, lösen Dinge in den Protas aus ... mir würde etwas sehr Wichtiges fehlen. Es würde sich anfühlen, als wäre ich extrem weit entfernt von allem, und einer der wichtigsten Punkte ist ja, dass man es schafft, den Leser zum Mitfiebern, Mitfühlen und Mitdenken zu bringen. Ein Fließtext ohne Dialoge ist auf Dauer außerdem ziemlich ermüdend - das Monotone daran kann schnell langweilen. Ich merke das oft, wenn ich ein Buch lese und auf einmal ziemlich lange kein Dialog mehr kommt. Wenn dann wieder einer kommt, fühlt es sich besser an, vollständiger. Das heißt aber natürlich nicht, dass dein Buch langweilig und ermüdend wird; es heißt lediglich, dass es schwer wird, den Leser trotzdem zu erreichen. Schaffen kann man das allemal, wenn man bereit ist, sich die Arbeit zu machen. :)

Nandriel

Zitat von: Mondfräulein am 09. Mai 2014, 17:16:48
Das habe ich auch schon öfter gelesen. So spontan fallen mir da Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm und Medea ein. Ersteres fand ich... nicht nur in der Hinsicht misslungen, aber auch da besonders. Das ganze Buch war geschrieben wie ein normales Buch sonst auch, nur als hätte vor der Veröffentlichung noch schnell jemand alle Anführungszeichen geklaut. [...]

Ah, welch ein wundervolles Buch... ich liebe es. Es ist, wie Mondfräulein schreibt... aber gerade das macht es für mich so eindringlich, so intensiv, so greifbar. Ist halt Geschmackssache (wie bei meinen Schülern - die eine Klasse fand es mehrheitlich grottig, die andere fast einstimmig großartig... so kann's gehen ;))
Doch nur das Weglassen der Anführungszeichen bedeutet ja gerade hier wie schon erwähnt eben nicht auch einen verzicht auf Dialoge / wörtliche Rede - und damit ist das wohl auch nicht ganz das, worauf Mondscheinhagel hinaus wollte, oder?

Ich persönlich bin auch ein großer Fan von direkter Rede; würde sie komplett fehlen, und das über einen kompletten Roman hinweg, würde mir das vermutlich schon sehr auffallen - und zwar negativ. Da ich aber glaub ich soetwas noch nie gelesen habe, kann ich es jetzt auch nicht mit Sicherheit sagen ;)

Churke

Zitat von: Mondscheinhagel am 09. Mai 2014, 15:11:35
Wie würdet ihr sowas angehen?

Die alles entscheidende Frage ist: Warum?
Immerhin amputiert man sich damit selbst.

Beispiel: Ein Wikinger begegnet Skrälingern (Indianer oder Inuit), kann deren Sprache nicht und lernt sie auch nicht. Wörtliche Rede ausgeschlossen und die wird plotbedingt auch niemand vermissen.

Mondscheinhagel

Es geht tatsächlich um fehlende Dialoge :)
Allerdings nur in geschriebener Form, sie finden statt und finden Erwähnung in den gedanklichen Ausführungen meiner Protagonistin. Die Dialoge werden nur nicht ausgeschrieben.
Zu lesen finde ich es sehr beruhigend, zu schreiben ist es lediglich anstrengend :) Aber das liegt auch am Stil des Ganzen.

Warum ich sie nicht schreibe, hat den einfachen Grund, dass es irgendwie nicht passt. Es passt nicht zu der Situation, zu der Geschichte, zu meiner Hauptfigur...
Aber ich glaube, nach euren Antworten werde ich das noch mal überdenken - schließlich soll das ja mal irgendjemand lesen :)

Merlinda

"Schweigeminute" von Siegfried Lenz.
Er hat es in dem Buch geschafft.
Ende vom Lied: Niemand aus meiner Klasse hat es jemals zu Ende gelesen. Die Infos für die Abfrage kamen alle aus dem Internet.
Eine KG meinetwegen. Ein Kapitel: Okay.
aber einen ganzen Roman?
Ähm... ich brauche wörtliche Rede um mich einzufinden und in die Figur versetzen zu können. :)


Mondfräulein

Zitat von: Mondscheinhagel am 10. Mai 2014, 14:36:06
Es geht tatsächlich um fehlende Dialoge :)
Allerdings nur in geschriebener Form, sie finden statt und finden Erwähnung in den gedanklichen Ausführungen meiner Protagonistin. Die Dialoge werden nur nicht ausgeschrieben.

Du entfernst den Leser dadurch eben sehr vom eigentlichen Geschehen. Das ist sozusagen die Überspitzung der personalen Erzählperspektive, alles, was man erfährt, nimmt man nur noch und ausschließlich durch die Gedanken der Protagonistin wahr. Das kann vielleicht funktionieren, aber meiner Meinung nach auch eher in kürzeren Texten. Es ist eine Gradwanderung, denn da steht und fällt natürlich alles mit deiner Protagonistin. Ich würde das ehrlich gesagt auch eher für Abschnitte verwenden und ein wenig durch Szenen in einem anderen Stil abwechseln, dann kann das richtig toll werden und die Szenen kommen gut zur Geltung. Ansonsten gerätst du sehr schnell in die Gefahr der Eintönigkeit.

Hanni

#11
Zitat von: Mondscheinhagel am 10. Mai 2014, 14:36:06
Es geht tatsächlich um fehlende Dialoge :)
Allerdings nur in geschriebener Form, sie finden statt und finden Erwähnung in den gedanklichen Ausführungen meiner Protagonistin. Die Dialoge werden nur nicht ausgeschrieben.
Zu lesen finde ich es sehr beruhigend, zu schreiben ist es lediglich anstrengend :) Aber das liegt auch am Stil des Ganzen.

Ich glaube, das ist nicht nur anstrengend zu schreiben, das ist auch anstrengend zu lesen. Wirklich beurteilen könnte man das allerdings nur, wenn man tatsächlich mal einen Ausschnitt des Textes lesen könnte. Wenn du zum Beispiel statt der direkten Rede immer so etwas schreibst wie "Er hatte gesagt, dass..., sie hatte gefragt, ob..." würde das für mich sehr nach Vorgeplänkel klingen und ich würde mich fragen, wann du im eigentlichen Geschehen ankommst. Ich schließe mich da der Meinung an, dass das in einem kurzen Text durchaus funktionieren kann, aber nicht einen ganzen Roman lang. Allerdings ist das ohne eine Textprobe sehr schwer zu beurteilen. Und letztendlich ist Stil natürlich immer auch Geschmackssache.

Szazira

http://www.amazon.de/Erkl%C3%A4rt-Pereira-Eine-Zeugenaussage-Roman/dp/3423124245/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1399875143&sr=1-1&keywords=erkl%C3%A4rt+pereira

"Erklärt Pereira" ist im Protokollstil geschrieben und enthält kein einziges Anführungszeichen. Ich fand dieses Buch sehr anstrengend zu lesen. Es war nicht schlecht, die schleichende Charakterentwicklung fand ich klasse. Wäre es nicht für den Lesezirkel gewesen, hätte ich es wohl nicht zuende gelesen und das Buch ist nicht wirklich lang.

Zit

Da Churke so ein Beispiel anbringt... Dialog und wörtliche Rede sind zweierlei. Denn gerade wenn ich die gesprochene Sprache des anderen nicht kenne, kann ich doch viel mit Körpersprache machen. Muss man unter Umständen natürlich auch lernen, lässt sich aber wohl leichter erkennen und imitieren als gesprochene Sprache. Auch jemand, der nicht sprechen kann, wird dann irgendwie anders mit seiner Umwelt kommunizieren. Wenn der Wikinger nicht gerade an den Inuit vorbei läuft, sondern etwas von ihnen will, muss er wohl oder übel sein Anliegen anders deutlich machen.

ZitatDas ist sozusagen die Überspitzung der personalen Erzählperspektive, alles, was man erfährt, nimmt man nur noch und ausschließlich durch die Gedanken der Protagonistin wahr.

Aber sind Gedanken nicht auch Monologe und Monologe sind Dialoge? Schließlich richtet sich das Geschrieben ja an den Leser. :hmmm: Die Aufgabe, ohne "Kommunikation" zu schreiben würde also auch bedeuten, so zu schreiben als gäbe es gar keinen Leser. Was das Schreiben an sich irgendwie ad absurdum führt. *Stirn runzelt*
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Mondfräulein

Zitat von: Zitkalasa am 12. Mai 2014, 12:17:48
Aber sind Gedanken nicht auch Monologe und Monologe sind Dialoge? Schließlich richtet sich das Geschrieben ja an den Leser. :hmmm: Die Aufgabe, ohne "Kommunikation" zu schreiben würde also auch bedeuten, so zu schreiben als gäbe es gar keinen Leser. Was das Schreiben an sich irgendwie ad absurdum führt. *Stirn runzelt*

Monologe sind eben nicht Dialoge. Wenn der Erzähler einen Monolog führt, indem er erzählt, was mit anderen geredet wird, dann ist das ja sozusagen eine Nacherzählung und entfernt vom Geschehen. Vor allem aber kommt nur der Erzähler zu Wort. Und ohne Dialoge heißt ja nicht Kommunikation. Die Kommunikation mit dem Leser in einem Buch ist immer einseitig und kann stattfinden, auch wenn ich einen Monolog habe. Insgesamt ist das dann aber alles, wie gesagt, eine Nacherzählung, denn normalerweise durchbrechen Dialoge und Handlung immer ein wenig diesen Monolog, den der Erzähler mit dem Leser führt, da findet ein sehr direktes Show statt. Ich kann ohne das alles schon Dinge zeigen, aber es ist doch mehr Tell und wirkt wie durch einen Schleier. Ich hoffe, das macht irgendwie Sinn, was ich hier sage...