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Begriffe von heute in einen Roman mit historischem Hintergrund?

Begonnen von Feuertraum, 27. September 2006, 23:41:02

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Feuertraum

Hallo liebe Tintenzirkler!

Das ist jetzt eine allgemeine Frage: ich lese gerade Jugendfantasy, die im Mittelalter spielt. Ardin, einer der Prots, kämpft mit seinem Schwert gegen einen Baumdämonen, richtet aber keinen Schaden an, da die Äste "so hart waren wie Stahlseile"

Nun mag es sein, dass man vielleicht tatsächlich schon Stahl kannte, kann mir aber schwerlich vorstellen, dass man diesen nutzte, um Seile daraus herzustellen.
Dennoch interessiert es mich mal: kann man Vergleiche ziehen mit Begriffen, die in der heutigen Zeit sicherlich allseits bekannt sind, man aber in der Zeit des Mittelalters nicht kannte ?
Wie halten Sie das?

LG

Feuertraum
Ein Bekannter von mir liebt Bier so sehr - ich bekam als Schutzimpfung gegen Corona Astra Zenica, er Astra Pilsener ...

sanuk

Hallo.

Stahl ist im Mittelalter sicherlich ein Fremdkörper. Es wurde erst im 18. oder 19. Jahrhundert erfunden.

Aber wenn es in jener Fantasy-Welt Stahl schon im Mittelalter gegeben hat? - Why not.

Generell denke ich aber, es wäre besser, ZU moderne Begriffe in einem Mittelalter-Setting zu vermeiden - es irritiert einfach. Andererseits würde das mit dem Stahlseil wahrscheinlich nicht jedem auffallen - weil er garnicht drüber nachdenkt und nur der (hoffentlich spannenden) Story folgt.

Schlimmer wär da schon: "Der Burgwächter hörte in der Ferne ein Klingeln, wie von einem Handy  ;)

Kalderon

#2
Ich versuche so etwas zu vermeiden. Ganz klar ist es bei Dingen wie: "Ludwig XXIV. fühlte sich als hätte ihn ein Auto überfahren." Entweder fange ich an zu lachen und genieße die Komödie oder ich drücke das Buch in die Mülltonne.
Anders ist es natürlich bei: "Ludwig XXIV. fühlte sich als hätte ihn ein Pferd getreten."

Unklar wird es bei Redewendungen. Ich hatte letztens wieder eines. Das hieß: "abgekartet". Da muss man dann immer erst überlegen, woher dieses Wort und die Bedeutung kommt. Das ist manchmal ziemlich kompliziert. Ich versuche dann entweder, mir die Bedeutung zu denken, oder ich ersetze das Wort durch ein passendes Synonym.

Ich für meinen Teil halte nichts von Fantasyromanen, in denen Sätze stehen wie: "Sein Schlag war hart wie Kruppstahl." (Krupp-Konzern, heute ThyssenKruppAG - falls sich jemand fragt, woher der Begriff stammt).

Liebe Grüße: Kalderon

P.S.: Magst du den Titel vielleicht ändern? Der ist arg lang. Wie wäre es mit "Neumodische Begriffe im Mittelaltersetting"? Nicht viel kürzer, aber ein wenig.

Hr. Kürbis

Ich finde sowas geht gar nicht, man solte schon im Setting bleiben und dort auch nur Wörter verwenden, die in diesem Setting bekannt sind.

Das gilt aber eigentlich für jedes Genre. In einem Star Wars Roman war mal von "Röntgenstrahlen" die Rede, fand ich auch blöd. Aber da gibt es natürlich keinerlei Alternative, schon klar, und im Englischen sind es ja auch die X-Rays (wenn ich das noch richtig im Kopf hab).
Trotzdem fand ich die Vorstellung komisch, das Hr. Röntgen seine Entdeckungen auch "A long time ago in a Galaxie far far away" gemacht hat! ::)

Arielen

Stahl gab es im gewissen Sinne schon im Mittelalter, ich denke da nur an die Damaszenerklingen, die Entwicklung fand nur gerade erst statt. so gesehen ist Stahlseide nur ein bißchen anachronistisch.

Ich würde abwägen, und vermutlich auch Anachronismen zulassen, wenn ich wirklich nichts anderes finde, oder den Begriff nicht vernünftig umschreiben kann. So ist das ja auch mit dem "fotografischen Gedächtnis". Hier weiß jeder, was gemeint ist, in einer Fantasy-Geschichte kann man nur schreiben "er vergaß nichts, was er einmal gelesen oder gesehen hatte".

Manche Worte sind auch seit Jahrzehnten so in unserem Sprachgebrauch eingebettet, daß es uns gar nicht bewußt ist, wie wir sie verwenden. Ich denke nur an "Feuer", den Befehl zum Abfeuern von Waffen. Das mag ja bei Schützen mit Gewehren (so primitiv sie auch sind) angehen, nicht aber bei Bogenschützen. Die "feuern" nicht, die "schießen".
Das sind die kleinen feinen Besonderheiten, die dann allerdings kaum einem auffallen.
Alles liegt im Auge des Betrachters

Aneirin

Mir rollen sich die Fußnägel auf, wenn ich so was lese   :wums:

Das Setting muss stimmen und das zeigt sich an solchen Kleinigkeiten. Ich verwende einige Mühe darauf, genau solche Vergleiche zu vermeiden und einen Begriff zu finden, der zu den Begrifflichkeiten der Welt passt. Nun kann man zwar in der Fantasy machen, was man will und im MA Stahlseile haben, aber wenn sie nirgendwo sonst in der Geschichte eine Rolle spielen, finde ich den Vergleich immer noch unpassen.

Grüße
Aneirin

LaMaga

Interessantes Thema.
Dass Stahlseile und Autos in "historischen" Kontexten fehl am Platz wirken, ist klar; ich versuche sowas zu vermeiden.

Aber wie haltet ihr es mit "modernem" Vokabular und Fremd/ Lehnwörtern aus unserer gewohnten Umgangssprache in solchen Texten? Damit meine ich Sätze wie "Burgfräulein Kunigunde fand den edlen Ritter sehr sympathisch", oder "der Schurke hatte einen cleveren Plan, die Weltherrschaft an sich zu reißen" oder "die Durchreise der Trolle hatte destruktive Auswirkungen auf die Umgebung"?  :hmhm?:
Darf eine Figur in einem mittelalterlichen Setting anmerken, dass sie "zwielichtige Typen" bemerkt hat?


Manja_Bindig

Da relativiere ich.
"Clever" nehme ich nciht, das ist dann doch zumindest im deutssprachigen Raum ZU modern. Latinische oder griechische Entlehnungen nehme ich allerdings gern, wenn sie gebräuchlich genug sind, um nicht als Fremdkörper empfunden zu werden.
Allerdings - wenn mein Fantasyroman in einer modernen Epoche beginnt, kann es gut sein, dass jemand "clever" ist. ;)

Linda

Natürlich kannte man im Mittelalter Stahl - man war wohl nur nicht in der Lage, den zu dünnen Drähten zu "ziehen" um Drahtseile herzustellen.
Jedenfalls würde ich mir den Vergleich auch sparen: Arme stark wie Eisenketten ist ein genausogutes, aber passendes Bild. Da haben Autor bzw Übersetzer einfach ein bisschen geschlafen, denn "Stahlseile" gehören ja auch nicht unbedingt zur Lebenswirklichkeit heutiger Jugendlicher, auch wenn sie theoretisch bekannt sind. Eine schwere Kette aber hat sicherlich jeder schon mal gesehen.

Modernismen sind nicht unbedingt das Gelbe vom Ei - als Mitglied der Gesellschaft zum Schutz aussterbender Worte stehe ich ja auf altertümliche Wortklingelei :-)

La Magas Beispiele jedoch halte ich in einem entsprechenden Umfeld (Roman mit ironischem Touch oder Erzähler) für statthaft. Jetzt krampfhaft jedes Lehnwort zu entfernen führt auch zu unnötigem Aktivismus. Und wo fängt das an. Sind griechisch/lateinische Worte noch erlaubt, französische/englische aber nicht mehr?
Wichtig ist nur, dass es im Kontext passend ist. Und wie soll ich einen gebüldeten Charakter, oder einen angeberhaften Stutzer in seiner Sprache von einem Bauern abheben, wenn ich nun jedes Fremdwort meiden müsste?

Gruß,

Linda

Hr. Kürbis

Also das "Lesegefühl" sollte auf jeden Fall im Vordergrung stehen, deswegen ist der Mittelweg bestimmt eine gute Lösung. Denn wer will schon einen Roman mit mittelalterlichem Hintergrund lesen, in dem die Charaktere sich auch so ausdrücken oder der Text in seiner Erzählweise hier angelegt ist. Jeder, der schon mal einen Text aus der Epoche gelesen hat, weiß bestimmt was ich meine. Kann sehr ermüdend sein...

Trotzdem sollte man die Epoche doch manchmal "zitieren" und nicht überstrapzieren mit Fremdwörtern (auf den Kontext bezogen).

:nöö:"Der Kutscher gab Vollgas und die Pferde schossen los, als hätte man ihnen literweise Kaffee eingeflöst." :nöö:

Schelmin

Kaffee gibt es bei mir übrigens auch. Es ist meine Welt, ich habe sie erfunden, und eine Welt ohne Kaffee kann nicht meine Welt sein!

Manja_Bindig

*Schelmin grinsend die Hand reich*
Bei mir ham se auch Kaffee... einer der letzten Reste, die sie von ihrer großartigen Neuzeit gerettet haben... ^^

Was die französischen Spracheinflüsse betrifft - wenn man alle Wörter fremdländischen Ursprungs verbannen will - dann bleibt herzlich wenig um damit zu schreiben.

Schelmin

Das habe ich mir überlegt bei dem Damaszenerstahl. Denn der bekam seinen Namen vermutlich von Damaskus, und Damaskus gibts in meiner Welt definitiv nicht. Es gibt auch ein asiatisches Pendant, aber das wäre im Grunde genommen genauso fehl am Platz (Namen habe ich vergessen).

Aber dann habe ich mir überlegt, daß solche Überlegungen einfach zu weit gehen. Das Zeug heißt in unserer Welt einfach so, und die Leser aus unserer Welt sollen verstehen, was ich meine.

Linda

Zitat von: Schelmin am 28. September 2006, 18:33:19
Das habe ich mir überlegt bei dem Damaszenerstahl. Denn der bekam seinen Namen vermutlich von Damaskus, und Damaskus gibts in meiner Welt definitiv nicht. Es gibt auch ein asiatisches Pendant, aber das wäre im Grunde genommen genauso fehl am Platz (Namen habe ich vergessen).

Aber dann habe ich mir überlegt, daß solche Überlegungen einfach zu weit gehen. Das Zeug heißt in unserer Welt einfach so, und die Leser aus unserer Welt sollen verstehen, was ich meine.

eng betrachtet ist Damaszenerstahl eben nur Stahl, der auf bestimmte Weise geschmiedet / bearbeitet wurde. In dem nämlich hartes "Eisen" mit einem geringeren Kohlenstoffgehalt (ich glaube, unter 3 %, aber nagelt mich nicht drauf fest") und weicheres Eisen mit höherem Kohlenstoffgehalt) immer wieder abwechselnd aufeinandergeschmiedet und dann umgefaltet werden. Somit ist die Klinge hart (der Stahlanteil) und gleichzeitig flexibel (durch den Eisenanteil der immer wieder Energie wegpuffert). Diese Technik heißt damaszieren - aber auch in anderen Erdteilen hat man auf diese oder ähnliche Weise gearbeitet.  Ferner Osten, Japan z.B.
Malaiische Kris-Dolche etwa sind ähnlich gefertigt, und daran waren sicher keine Damaszener beteiligt :-)

Eine solche Technik kann sich also durchaus in einer Fantasy-Welt entwickeln. Es sollte nur glaubwürdig auch eine Kultur mit hochentwickelter "Technologie" und Erfahrung mit Eisen/Stahlsein und nicht unbedingt die Waldelfen-Kommune...

LaMaga

Ich hatte in einem Text einmal das Problem, dass eine Gruppe "Mittelalter-Kids"  ;D   im Gespräch untereinander sinngemäß äußern sollte, dass ein vorbeiziehender Rittersmann sie zutiefst beeindruckt hat. Ich hab mich dabei im Dialogtext zunächst zu dem Wörtchen "cool" hinreißen lassen, bei der Bearbeitung aber schnell wieder getilgt, es war mir einfach zu anachronistisch. Aber wie mag ein in das Ambiente passender "Jugend-Slang" geklungen haben?   ???

Bezüglich Fremd- und Lehnwörtern denke ich persönlich, es macht einen Unterschied, ob sie im Dialog oder im Erzähltext verwendet werden. Um bei dem Beispiel mit den Stahlseilen zu bleiben: Ich würde es als weniger störend empfinden, wenn im Text (mit Setting, in dem Stahlseile nicht existieren) stünde "die Äste waren hart wie Stahlseile" als wenn eine Figur zur anderen sagte: "Du hast Nerven wie Stahlseile".

Oder im Erzähltext: "Die beiden Kämpfer waren einander unsympathisch" statt Krieger 1 (zu Krieger 2): "Du, ich find dich unsympathisch."