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Handwerkliches => Das Sprachbastelboard => Thema gestartet von: Pinnie am 05. Mai 2016, 00:10:48

Titel: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Pinnie am 05. Mai 2016, 00:10:48
Es geht ja schon seit einiger Zeit ein ziemlicher terminologischer Wandel durch die deutsche Sprache. "Sprichwörtlich" wird falsch wie "buchstäblich" benutzt, Akzeptanz und Toleranz sind nahezu austauschbar und so weiter. Diese "Neudefinitionen" von Wörtern haben mittlerweile so eine Allgemeingültigkeit bekommen, dass sie sogar öfters mal im Journalismus so benutzt werden.
Ist das noch Entwicklung? Oder De-Evolution? Oder sollte man das wertungsfrei sehen? Ich meine nicht mal den Einfluss, den andere Sprachen auf die deutsche nehmen, das ist ja relativ natürlich, sondern wirklich Neudefinitionen vorhandener Wörter.

Wie geht ihr damit in euren Werken um? Nehmt ihr darauf Rücksicht? Haltet ihr euch an die eigentliche Definition eines Wortes? Oder fällt euch dieser Wandel überhaupt nicht auf bzw. stört euch überhaupt nicht?

Edit: Sind euch noch weitere Beispiele bekannt?
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Sprotte am 05. Mai 2016, 00:15:22
Meine "liebste" Falschverwendung ist "realisieren". Ich kriege Plaque, wenn das vom englischen to realize hergeleitet als begreifen, verstehen benutzt wird. Es bedeutet schlichtweg, etwas wahr werden zu lassen, etwas zu erschaffen. Architektenträume kann man realisieren. Oder einen Plan, einen Wunsch, ein Vorhaben.

Ich gebe mir viel Mühe, Wörter korrekt zu benutzen. Klopfer baue ich dabei bestimmt auch mit ein, aber ich schlage auch vieles nach, wenn ich mir nicht ganz sicher bin, ob das nun die richtige Bedeutung ist.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Snöblumma am 05. Mai 2016, 00:33:24
Ich war mal eine Zeit lang sehr allergisch gegen "Sinn machen".  Dinge sind entweder sinnvoll oder haben Sinn... Inzwischen habe ich mich allerdings daran gewöhnt. Mein neuester Liebling ist die wunderschöne Wendung "Da bin ich fein mit". Mir stellen sich da maximal die Haare zu Berge, wenn ich das höre.

Im Alltag versuche ich, solche Wendungen zu vermeiden, allerdings schleifen die sich mit der Zeit einfach ein. Und insgesamt bin ich ja eher leidenschaftslos in dieser Hinsicht: Sprache entwickelt sich eben. Wenn ich mir überlege, wie viel eigentlich französische Sprache war und nun angeblich richtiges Deutsch ist, ist so was eben immer Mode.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Denamio am 05. Mai 2016, 00:34:03
Wenn es mir bei etwas begegnet, dass für mich wichtig ist, dann nervt es mich. Zugleich entwickelt sich Sprache beständig weiter und dazu gehören eben auch verschobene Bedeutungen. Auf lange Sicht kann man da nichts dran ändern und stur auf die Definition pochen sorgt auf lange Sicht nur für Feinde und der Gewinn ist gleich null. Entweder es setzt sich durch, dann kann man eh nix gegen machen, oder es stirbt wieder aus.
Persönlich trifft es mich beim Begriff "Roguelike", der bei Videospielen gebräuchlich ist. Ursprünglich stand es für Spiele die wie das alte Spiel "Rogue" sind, also like rogue. Das war über lange Jahre ein absolutes Nischengenre, hatte seine Fans und konnte mit dem Begriff gut identifiziert werden. Dann kamen ein paar faule Blogger, kannten den Begriff nicht, hatten keinen Bock nachzuschauen und haben halt angefangen es falsch zu verwenden. Eine neue Gruppe Leute lernte den Begriff kennen, verband ihn mit der neuen Interpretation. Heute hat das Genre Roguelike kein eigenes Genre mehr, um sich zu identifizieren und jede Flitzpiepe benutzt Roguelike für was auch immer sie wollen, weil es das neueste ausgehöhlte Marketing Buzzword geworden ist.

Resultat:
Das Roguelike Crawl ist bitte nicht zu verwechseln mit dem Roguelike Crawl. ::)
Aber eben, Ärger bringt da nichts. Egal wie sehr ich mich dagegen sträube, die Definition ist platt und es bedeutet heute einfach etwas anderes.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Sipres am 05. Mai 2016, 00:39:45
Zitat von: Sprotte am 05. Mai 2016, 00:15:22Meine "liebste" Falschverwendung ist "realisieren". Ich kriege Plaque, wenn das vom englischen to realize hergeleitet als begreifen, verstehen benutzt wird. Es bedeutet schlichtweg, etwas wahr werden zu lassen, etwas zu erschaffen. Architektenträume kann man realisieren. Oder einen Plan, einen Wunsch, ein Vorhaben.

Ich habe es gerade mal gegoogelt, weil ich "realisieren" auch gerne als "begreifen/verstehen" verwende, und auf der Duden-Website (http://www.duden.de/rechtschreibung/realisieren) herausgefunden, dass es tatsächlich auch dafür verwendet werden kann. Warum auch nicht? Man realisiert etwas - begreift, dass es echt/real ist.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Maubel am 05. Mai 2016, 00:47:04
Mein Pet Peeve (ha... noch ein Anglizismus, aber ich darf das nach 6 Jahren NZ ;)) ist "konsistent". Nein, Charaktere sind nicht konsistent in ihrem Verhalten. Das wird einfach schön aus dem englischen "consistent" abgeleitet, dieses wird aber allerhöchstens mit konsequent, besser noch gleichartig, folgerichtig, beständig, widerspruchslos u.ä. in dem Kontext übersetzt. Es gibt zwar auch im Deutschen das Wort konsistent, das stammt aber wiederum aus der Mathematik. Anmerkung: Laut Leo kann consistently (also das Adverb) mit konsistent übersetzt werden. Ist das jetzt schon durch den Sprachgebrauch? Wenn nicht, ist es natürlich klar, dass sich das langsam als Adjektiv einbürgert. Ich kriege trotzdem jedes Mal die Krise.

Persönlich bin ich der Meinung, dass Sprache lebendig ist und sich immer entwickeln wird, aber ich selber versuche meistens recht lange am "korrekten" Stil fest zu halten. Erst wenn etwas wirklcih in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen ist, benutze ich das auch so beim Schreiben. Ich bin noch immer nicht über die Eindeutschung der französischen Begriffe hinweg gekommen und laufe bei einer Frisöse schreiend davon. Und Neudefinitionen das ist ebenso natürlich. Man siehe nur im Englischen "gay" - wer denkt denn da noch an die ursprüngliche Bedeutung "fröhlich"? Bei Sprichwörtlich und buchstäblich finde ich es doof, da nun genau die Gegensätze ebenbürtig sind, während Akzeptanz und Toleranz denke ich nur im populistischen Sprachgebrauch gleichwertig benutzt werden, aber ihre eigentlichen Bedeutungen in anspruchsvolleren Texten behalten haben.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Aircaina am 05. Mai 2016, 00:56:51
Seit meine Mitbewohnerin mich dahingehend dreitausend Mal korrigiert hat, fällt mir immer auf, wenn "schwer" und "schwierig" vertauscht werden. Eine Aufgabe ist nicht schwer, sie wiegt in der Regel nichts. Aber es ist nun einmal total normal geworden, "schwer" anstelle von "schwierig" zu benutzen und ich würde da jetzt auch kein großes Drama drum machen. Es fällt mir nur immer auf.
Zitat von: Snöblumma am 05. Mai 2016, 00:33:24
Ich war mal eine Zeit lang sehr allergisch gegen "Sinn machen".  Dinge sind entweder sinnvoll oder haben Sinn... Inzwischen habe ich mich allerdings daran gewöhnt.
Das kann ich gut nachvollziehen. Das ist auch soetwas, das wirklich sehr oft verwechselt wird. Nur gilt hier wohl dasselbe wie für "schwer" und "schwierig".
Inzwischen ist es vermutlich auch offiziell erlaubt, das so zu nutzen. Müsste man vielleicht mal im Duden nachschlagen.

Sprache ist halt einem ständigen Wandel unterworfen. Persönlich stört es mich sehr viel weniger, wenn Wörter plötzlich andere Bedeutungen bekommen, oder neue eingeführt werden, die in meinen Ohren ganz grässlich sind, wie z.B. "Yolo". Viel trauriger finde ich, dass ältere Worte aussterben. :seufz:

Zitat von: Sipres am 05. Mai 2016, 00:39:45
Zitat von: Sprotte am 05. Mai 2016, 00:15:22Meine "liebste" Falschverwendung ist "realisieren". Ich kriege Plaque, wenn das vom englischen to realize hergeleitet als begreifen, verstehen benutzt wird. Es bedeutet schlichtweg, etwas wahr werden zu lassen, etwas zu erschaffen. Architektenträume kann man realisieren. Oder einen Plan, einen Wunsch, ein Vorhaben.

Ich habe es gerade mal gegoogelt, weil ich "realisieren" auch gerne als "begreifen/verstehen" verwende, und auf der Duden-Website (http://www.duden.de/rechtschreibung/realisieren) herausgefunden, dass es tatsächlich auch dafür verwendet werden kann. Warum auch nicht? Man realisiert etwas - begreift, dass es echt/real ist.
Das dachte ich allerdings auch. Ist es da vielleicht schon seit längerem zu einem Wandel gekommen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich "realisieren" schon immer sowohl für "verwirklichen", als auch für "begreifen" verwendet.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Sprotte am 05. Mai 2016, 01:01:18
Der Duden zeigt nicht unbedingt die korrekte Herkunft an, sondern ist ein Abbild dessen, wie Wörter benutzt werden. Er schaut dem Volk sozusagen aufs Maul, und der verschleifende Sprachgebrauch wird dort dokumentiert. Wenn viele Leute ein Wort nur lange genug falsch benutzen, wird es dort auftauchen.

Ich finde diese Verwendung von realisieren ebenso gruselig wie "Kommas", "Pizzas" und Ähnliches - auch wenn diese laut Duden inzwischen als nutzbar geführt werden. Weil "verstehen, begreifen" eine aus der englischen Sprache eingeschlichene Falschbedeutung ist.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Malinche am 05. Mai 2016, 01:25:59
Es gibt Anglizismen, die ich auch nicht unbedingt mag. "Sinn machen" und "realisieren" versuche ich z.B. gerade in meinen Texten zu vermeiden, wobei ich auch sehe, dass sich das mittlerweile schon sehr etabliert hat. Gruselig finde ich "Das habe ich neulich auf der Straße überhört", weil "etwas überhört haben" im Deutschen ja ein stehender Begriff ist mit einer völlig anderen Bedeutung als das englische "overheard".

Auch sonst gucke ich beim Schreiben nach Möglichkeit darauf, mit sauberen Bedeutungen zu arbeiten, auch jenseits von Anglizismen. Das sind vermutlich auch "Folgeschäden" meines Langzeitstudiums, weil es beim wissenschaftlichen Arbeiten schon immer wichtig ist, mit Begriffen sorgfältig umzugehen, auch wenn das in der Regel ja andere Zusammenhänge sind. Es  ist mitunter schon ein schmaler Grat zwischen dem Anspruch an korrekten Sprachgebrauch einerseits und übertriebenem Purismus andererseits. Natürlich lässt sich auch nicht alles rechtfertigen mit "aber Sprache ändert sich eben", es ist, denke ich, auch eine spezifische Perspektive, dass wir bei manchen Begriffen gerade mitten im Prozess stecken, wo wir es aus Gewohnheit lieber noch statisch hätten.

Mehr als Bedeutungsänderungen, die sich immer noch mit dem natürlichen Wandel von Sprache erklären lassen, gruseln mich persönlich konsequent falsch benutzte Wendungen, die es so überhaupt nicht gibt: "sich dem Ende neigen" (aua!), "Zeit und Muse haben" (für Autoren zwar passend, aber dennoch falsch). Manches davon lese ich mittlerweile so oft, dass es vielleicht auch nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich das als richtig etabliert hat (wie es ja auch beim Dativ in vielen Genitivkonstruktionen der Fall zu sein scheint), und da verwende ich dann erst recht bewusst die richtige Variante in der Hoffnung, dass das was bringt.

Umgekehrt gibt es natürlich auch genug Begriffe, deren ursprüngliche Bedeutung in der heutigen Alltagssprache schon völlig von einer neuen überlagert ist, was verwirrend sein kann. Da finde ich aber auch, es kann nicht schaden, sich bewusst zu machen und zu lernen, dass Wörter eben auch mal was anderes bedeutet haben - auch wenn eine Betaleserin mal sehr angewidert reagierte, als mein Held ein Siegel erbrach. ;D

Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Zit am 05. Mai 2016, 01:41:06
Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr lustig, was für euch alles "falsch" ist. Gerade ein konsistenter und ein konsequenter Charakter sind für mich zwei Sachen, können aber beide benutzt werden, um Charaktere zu beschreiben. (konsistent: der Charakter ist so geschaffen, dass alles in sich stimmig ist und er keine Sachen macht oder sagt, die eben out of character erscheinen; konsequent: der Charakter ist fest entschlossen und tut Dinge, die sich aus seinen Eigenschaften logisch ableiten; das eine bezieht sich eben auf die Erschaffung, das andere auf die Ausführung)
Insofern: Ich habe mir über solche Sachen nie Gedanken gemacht und benutze Wörter wie sie im Duden stehen. Manchmal sind ein paar Sachen dabei, die ich als Neuschöpfung komisch finde (simsen, brr). Andererseits nehme ich mir gelegentlich aber auch das Recht heraus, Wörter selbst in einem völlig anderen Kontext zu benutzen um ungewöhnliche Bilder zu schaffen. Bin ein bisschen überrascht, was alles falsch sein soll.

Wenn ihr ein Wort in den Raum werft, könnt ihr bitte erklären, was an der Benutzung falsch sein soll? Ich kann bei vielem nur raten, was euch stören könnte. Was ist an "Zeit und Muse" zum Beispiel falsch? Wenn ich das benutze, meine ich damit, dass ich keine Zeit habe und keine Einfälle bzw. dass ich keine Einfälle und geistige Ressourcen habe, weil ich keine Zeit habe. ;D Wie sollte das sonst gemeint sein?
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Malinche am 05. Mai 2016, 01:49:42
@Zit: Ich dachte irgendwie, das wäre klar. :) Es ist "Zeit und Muße" und hat mit Musen überhaupt nichts zu tun. Auch wenn ich die Verwendung in Autorenkreisen ja schon irgendwie witzig finde, weil es ja in dem Kontext Sinn ergibt, aber wenn es nicht mit einem gewissen Augenzwinkern als Wortspiel benutzt wird, sondern als vermeintlich feststehende Wendung ... öhm. Und ich meine, ich lese es recht oft auch in anderen Kontexten, wo die Leute mit Musen noch weniger am Hut haben.

Ich habe mir übrigens fest vorgenommen, als nächstes "Zeit und Mousse" zu etablieren, weil ich beides grundsätzlich gern haben möchte. Mjam. Dann klappt's bestimmt auch mit der Muse. ;)
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Zit am 05. Mai 2016, 02:02:27
 :rofl: Okey, womöglich ist es mir deswegen nie als Schreibfehler aufgefallen. Asche auf mein Haupt. Habe gerade mal Muße nachgeschlagen... Demnach heißt es sozusagen "Zeit und Zeit" haben. :hmmm: So ein bisschen wie "Bemme mit Brot", wobei letzteres bewusst scherzhaft so benutzt wird, um das Spärliche einer belegten Scheibe Brot hervor zu heben.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Sprotte am 05. Mai 2016, 02:09:48
Muße ist ja auch Ruhe und Insichruhen. Zit, Du bist jetzt die Erste, die mir das mit der Muse erklärt, ich hab "Zeit und Muse" oft für eine Falschschreibung gehalten, dass da jemand mit dem ß nicht umgehen kann  :versteck: , bevor ich auf die Idee kam, dass es als Wortwitz gemeint sein könnte.

Eine Freundin verwürfelt immer Sprichwörter, weil sie sich diese nicht merken kann. "Du hast ja nicht mehr alle Socken in der Schüssel" statt der berühmten Tassen im Schrank war da noch das Harmloseste. Oft hat sie auch mehrere Sprichwörter miteinander verknotet, sodass es wirklich Hirnschmalz braucht, um den angestrebten Sinn zu begreifen. Vielleicht stehe ich deswegen solchen Spielereien kritisch gegenüber, weil ich immer ihr negatives Beispiel im Hinterkopf habe.

Mousse - da war noch was. Ja, die Frau im Supermarkt, die ihrem Mann begeistert zurief, daß Torten mit Muße im Sonderangebot wären.

Noch ein eingeschlichener Anglizismus ist für mich "Charakter", wenn von einer Romanfigur die Rede ist.
Ich habe - hoffentlich - Charakter, und ich statte meine Figuren mit Charakter aus. Und ja, ich weiß, dass dieser Begriff sich immer weiter etabliert und bestimmt auch im Duden als Synonym für Figur steht. Mir tut das trotzdem weh.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Zit am 05. Mai 2016, 02:27:45
Mein Freund macht das mit den Sprichwörtern auch. ;D Dafür benutze ich "Dings" für alles und jeden, weil ich oft die Bilder im Kopf habe, aber mein Sprachzentrum nicht hinterher kommt. Aber ich wollte etwas anderes: Ja, Charakter für Figur ist mir auch schon aufgefallen. Aber letzen Endes ist das eine Entwicklung, der ich mich gebeugt habe. Für mich ist die Bezeichnung aber auch nicht so weit hergeholt, weil ich den Begriff meistens dann benutzt lese/ sehe, wenn die Leute in erster Linie eine Figur auch wirklich auf ihre Eigenschaften, die sie ausmachen, reduzieren bzw. sich darauf beziehen. Das tun wir hier ja auch, wenn wir bei Problemen fragen: "Wie hast du denn den Charakter angelegt -- Dieb oder Priester? Beide können gewieft sein." Imho bezieht sich das auf das Konstrukt aus Eigenschaften hinter der eigentlichen Figur. Der Begriff Figur würde in dem Zusammenhang erstmal nur beschreiben, dass ein Wesen existiert, das einen eigenen Willen, Ziele, Prinzipien und Handlungen hat, hat aber keinerlei Bezug dazu, wie diese Figur (also ihr Charakter) angelegt ist.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Maubel am 05. Mai 2016, 07:01:09
Zitat von: Zitkalasa am 05. Mai 2016, 01:41:06
Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr lustig, was für euch alles "falsch" ist. Gerade ein konsistenter und ein konsequenter Charakter sind für mich zwei Sachen, können aber beide benutzt werden, um Charaktere zu beschreiben. (konsistent: der Charakter ist so geschaffen, dass alles in sich stimmig ist und er keine Sachen macht oder sagt, die eben out of character erscheinen; konsequent: der Charakter ist fest entschlossen und tut Dinge, die sich aus seinen Eigenschaften logisch ableiten; das eine bezieht sich eben auf die Erschaffung, das andere auf die Ausführung)

Ja, so wirds benutzt, aber bedeutet es im deutschen nicht - das Adjektiv konsistent ist wirklich nur ein mathematischer Begriff. Im englischen hingegen ist consistent genau richt und beschreibt das, was du meinst. Also im Grunde sollte man einfach den Charakter als in sich stimmig bezeichnen, wenn man ganz korrekt sein will. Aber wie du merkst, etabliert es sich eben schon sehr im Sprachgebrauch und ich verspreche, irgendwann werde ich mich auch dran gewöhnen.  ;D
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Churke am 05. Mai 2016, 10:35:52
Bedeutungsverschiebungen sind normal. Ein schönes Beispiel ist das Wörtchen "geil", das sich nach einem Ausflug in die Schmuddelecke nun wieder der Semantik nähert, die es im Mittelalter schon einmal hatte.

Wo sich mir aber die Fußnägel aufrollen, das ist, wenn Wörter einfach falsch übersetzt werden. Der "Charakter" wurde schon genannt. Ein anderer Fall ist die "Legende". Ein Legende ist ein Heiligengeschichte oder deine falsche Identität. Durch solche Entwicklungen erfährt die Sprache eine Verarmung, weil sich gewisse Nuancen nicht mehr ausdrücken lassen.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Tigermöhre am 05. Mai 2016, 12:26:04
Ich finde die Quelle gerade leider nicht, aber "Sinn machen" soll es schon im 17. oder 18. Jahrhundert gegeben haben.

Mich stört es, wenn zwischen das Gleiche und das Selbe kein Unterschied gemacht wir. Schwer und schwierig fällt mir im Moment auch häufiger auf. Anscheinend und scheinbar gehört da auch noch zu. Das sind alles kleine aber feine Unterschiede, die in ihren Nuancen wichtig sind. Deshalb ist es mir auch wichtig, auf eine korrekte Sprache zu achten, und diese Unterschiede zu nutzen, und auch meinen Kindern zu erklären.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Shedzyala am 05. Mai 2016, 13:11:48
Mich stört der oftmals fehlende Unterschied zwischen "scheinbar" und "anscheinend", das wird ja auch gern als Synonym genutzt. Allerdings sehe ich inzwischen ein, dass sich Sprache ändert und Begriffe aufgeweicht werden, so traurig das auch ist. Denn ich mag es, dass ich mich durch die richtigen Wörter sehr präzise ausdrücken kann.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Siara am 05. Mai 2016, 15:34:27
Wow, und ich habe mich immer für jemanden gehalten, der sehr genau auf seine Ausdrucksweise achtet. Dabei gehen die meisten von euch wirklich viel strenger mit den Begriffen um als ich. Vieles ist für mich tatsächlich in die "falsche" Bedeutung hineingerutscht. Beim Nachdenken fällt mir auf, dass ich vor allem ein Problem mit neuer Bedeutung von Wörtern habe, wenn Unterschiede wegfallen. Zum Beispiel das von Tigermöhre genannte "dasselbe" und "das gleiche" oder auch "anscheinend" und "scheinbar". Das ist einfach schade, weil das Verschwimmen der Bedeutungen die Möglichkeiten der Sprache einschränkt. Dafür stört mich "konsistent" überhaupt nicht, wenn man es nicht länger nur mathematisch anwendet, sondern es auch auf andere Gebiete (z.B. die Literatur) bezieht. Das erweitert die Möglichkeiten der Sprache ja eher.

Zitat von: Zitkalasa am 05. Mai 2016, 01:41:06
Wenn ihr ein Wort in den Raum werft, könnt ihr bitte erklären, was an der Benutzung falsch sein soll? Ich kann bei vielem nur raten, was euch stören könnte. Was ist an "Zeit und Muse" zum Beispiel falsch?
Da muss ich auch noch mal nachfragen, @Malinche: Was ist daran falsch, wenn sich etwas "dem Ende neigt"? Im Duden steht es sogar als Beispiel, allerdings unter "zuneigen". Fehlt dir nur das "zu", oder ist noch etwas daran falsch?
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Malinche am 05. Mai 2016, 16:58:48
Zitat von: Siara am 05. Mai 2016, 15:34:27
Da muss ich auch noch mal nachfragen, @Malinche: Was ist daran falsch, wenn sich etwas "dem Ende neigt"? Im Duden steht es sogar als Beispiel, allerdings unter "zuneigen". Fehlt dir nur das "zu", oder ist noch etwas daran falsch?

Genau, das "zu" fehlt einfach (Entschuldigung noch mal, dass ich in beiden Fällen nicht die Erklärung dazugegeben hatte, für mich sind das so offensichtliche Beispiele, dass ich auf die Idee einfach nicht kam). Ohne das "zu" ist die Wendung meiner Meinung nach schlichtweg falsch. Wir würden ja auch nicht sagen "Ein langer Tag geht Ende", um mal einen etwas holprigen Vergleich zu ziehen. Oder "Er kam mit großen Schritten auf ihn".

Man kann zwar vom Sinn her sagen, dass "etwas sich neigt", also zu Ende geht, wobei das dann wieder einen etwas angestaubten und damit unfreiwillig komischen Beiklang hat, weswegen das wohl kaum jemand machen wird ("Hach! Schon neigt sich die Fußballweltmeisterschaft" ... äh, nein), aber wenn das Ende direkt in die Wendung soll, braucht es meines Wissens eben das "zu", damit die Sache Sinn ergibt.

Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Hanna am 05. Mai 2016, 17:29:58
Ich fürchte, ich verwende auch vieles falsch, weil ich es einfach nicht besser weiß. Trotzdem habe ich meine Begriffe, die mich immer dazu bringen, mir die Haare zu raufen. Zum Beispiel hasse ich "imho" und "afaik" wie die Pest. Abkürzungen für englische Redewendungen. Was soll das? Was ist so schwer daran "meiner Meinung nach" und "soweit ich weiß" zu schreiben? Da könnte ich echt schreien.

Und ich schreie auch bei "Lange Rede, kurzer Sinn". Eigentlich schreie ich da grundlos, weil man das ja durchaus so verwenden kann. Trotzdem will ich, dass man "Langer Rede, kurzer Sinn" sagt, obwohl es bei Goethe ja sogar "der langen Rede kurzer Sinn" hieß, wenn ich es richtig im Kopf habe.

Und noch etwas, das mich zum Schreien bringt: "unterbewusst". Sorry, aber Dinge, die sich im Unterbewusstsein abspielen, geschehen unbewusst, nicht unterbewusst.  :brüll:
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Maubel am 05. Mai 2016, 18:44:01
Wenn du "Langer Rede kurzer Sinn" schreiben willst, muss es aber ohne Komma sein, da zwischen Genitiven kein Komma kommt. Daher geht "Lange Rede, kurzer Sinn" durchaus auch, es ist eben dann kein Genitiv mehr sondern eine elliptische Gegenüberstellung Lange Rede vs Kurzer Sinn, zeigt also, dass da viel drum rum geschwafelt wurde, während das andere mehr nach schnell zusammengefasst klingt.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Hanna am 05. Mai 2016, 20:39:33
Richtig, das Komma muss weg. Sorry.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: JarlFrank am 11. Mai 2016, 13:14:00
Ich glaub gerade bei den Anglizismen muss ich mich als schuldig bekennen, die benutze ich im normalen Sprachgebrauch sehr häufig und auch in meinen Texten schlüpfen die sehr oft mit rein. Da ich mich im Internet eigentlich nur auf englischen Seiten und Foren herumtreibe (der TiZi ist tatsächlich die einzige Deutsche Seite, die ich regelmässig besuche), mir meine Bücher, Filme und Computerspiele eigentlich immer auf Englisch besorge (außer die Urheber sind deutsch), und sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch schreibe, ist die Sprache für mich so präsent dass da einiges mit in meinen deutschen Sprachgebrauch rüberrutscht.

Deswegen sind Sachen wie "es macht Sinn" für mich völlig natürlich. Ich kann daran beim besten Willen nichts Falsches sehen, auch wenn es im Deutschen der Grammatik nach falsch ist.
Aber für mich selbst - im persönlichen Sprachgebrauch - existiert es so und ist richtig. Und das ist einer dieser Fehler, die so viele Leute machen, dass es eigentlich gar kein Fehler mehr ist.

Bei mir läuft es deshalb einfach darauf hinaus, dass ich Redewendungen oder Wortgebrauche, bei denen ich mir nicht 100% sicher bin, einfach kurz im Internet nachschaue.
Das größere Problem: wenn einem in einer Sprache eine Redewendung einfällt, die gerade PERFEKT in den Text passen würde, man aber auf der anderen Sprache schreibt und es keine Übersetzung dafür gibt... :brüll:
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: JarlFrank am 11. Mai 2016, 13:38:53
Zitat von: Denamio am 05. Mai 2016, 00:34:03
Wenn es mir bei etwas begegnet, dass für mich wichtig ist, dann nervt es mich. Zugleich entwickelt sich Sprache beständig weiter und dazu gehören eben auch verschobene Bedeutungen. Auf lange Sicht kann man da nichts dran ändern und stur auf die Definition pochen sorgt auf lange Sicht nur für Feinde und der Gewinn ist gleich null. Entweder es setzt sich durch, dann kann man eh nix gegen machen, oder es stirbt wieder aus.
Persönlich trifft es mich beim Begriff "Roguelike", der bei Videospielen gebräuchlich ist. Ursprünglich stand es für Spiele die wie das alte Spiel "Rogue" sind, also like rogue. Das war über lange Jahre ein absolutes Nischengenre, hatte seine Fans und konnte mit dem Begriff gut identifiziert werden. Dann kamen ein paar faule Blogger, kannten den Begriff nicht, hatten keinen Bock nachzuschauen und haben halt angefangen es falsch zu verwenden. Eine neue Gruppe Leute lernte den Begriff kennen, verband ihn mit der neuen Interpretation. Heute hat das Genre Roguelike kein eigenes Genre mehr, um sich zu identifizieren und jede Flitzpiepe benutzt Roguelike für was auch immer sie wollen, weil es das neueste ausgehöhlte Marketing Buzzword geworden ist.

Resultat:
Das Roguelike Crawl ist bitte nicht zu verwechseln mit dem Roguelike Crawl. ::)
Aber eben, Ärger bringt da nichts. Egal wie sehr ich mich dagegen sträube, die Definition ist platt und es bedeutet heute einfach etwas anderes.

Für die Roguelikes, die sich ein paar Elemente des Genres schnappen ohne wirklich welche zu sein (sowas wie FTL oder Ziggurat, nicht-Roguelike Spiele mit zufallsgenerierter Welt), gibt es mittlerweile den Begriff "Roguelike-Like". :rofl:

Das Ding bei Begriffen, die für etwas stehen, das sich noch weiterentwickeln kann, ist, dass das, was sie bezeichnen, sich mit der Zeit ändert oder wächst. Ähnlich ist es doch mit dem "RPG", das Rollenspiel an sich. In den 70ern, als es entwickelt wurde, stand der Begriff noch für "Wargame with a small set of characters, where each figure on the field represents a single character instead of multiple soldiers", um es ganz grob zu definieren. Von Storytelling war damals noch nicht die Rede. RPG = Spiel mit einer handvoll Charaktere, die in Dungeons Monster metzeln.
Und heute? Heute würden einige die frühen RPGs vielleicht gar nicht mehr als "richtige" Rollenspiele ansehen, wobei andere den Begriff so weit ausdehnen dass jedes Spiel, in dem Charaktere vorkommen die irgendwelche Eigenschaften haben, als RPG gewertet wird. Für manche ist Zelda ein RPG, obwohl es überhaupt nichts mit dem Genre am Hut hat.

Ähnlich der Begriff "Fantasy". Was zählt alles zur Fantasy? Zählen wir Literatur, die wenn sie heute geschrieben worden wäre eindeutig zur Fantasy gezählt würde, obwohl der Begriff zu ihrer Entstehungszeit noch gar nicht existierte, zur Fantasy? Es gibt welche, die zählen einzelne Geschichten aus 1001 Nacht zur "Proto-Science Fiction" weil sie Elemente der SciFi enthalten (Reise zu anderen Planeten und der Versuch das mit dem damals als wissenschaftlich korrekt angesehenen Weltbild in Einklang zu bringen), aber als diese Geschichten entstanden, gab es noch nicht einmal ein Konzept der SciFi.

Genrebegriffe sind richtig, richtig komplex weil das, was durch sie bezeichnet wird, nicht in Stein gemeißelt ist. Neue Sub-Genres entstehen, einige Leute verdrehen das Genre fast bis zur Unkenntlichkeit ohne es dabei völlig hinter sich zu lassen, andere nehmen die Regeln des Genres und spielen damit herum bis was völlig neues dabei herauskommt.

Das geht so weit, dass man sich schon über den Grundbegriff "Kunst" streiten kann, wenn man möchte. Wenn ein moderner Künstler in Dosen kackt und das verkauft (hat tatsächlich mal einer gemacht, eine dieser Dosen ist bei einer Auktion sogar mal für 100.000 Euro verschachert worden), ist das dann noch Kunst? Vor 200 Jahren hätte jeder gesagt, nein, niemals! Ich würde auch nein dazu sagen weil ich den Großteil der modernen Kunst an sich nicht als besonders kunstreich empfinde, aber es gibt Leute die es dafür halten, und deshalb wird der Begriff diskutiert. Was ist eigentlich Kunst?

Genauso die Fragen: was ist ein RPG? Was ist ein Roguelike? Was ist Fantasy? Was ist ein Roman? Was ist ein Gedicht? Braucht ein Gedicht ein Versmaß oder Reime um ein Gedicht zu sein? Was ist ein Buch? Muss es gedruckt sein, um als Buch zu gelten, oder wenigstens per Hand geschrieben wie die Bücher die entstanden bevor es Druckmaschinen gab, oder ist ein eBook auch ein Buch?

Die Antwort: das, was durch diese Begriffe definiert wird, ändert sich ständig, und deshalb sind die Begriffe auch nicht in Stein gemeißelt.

Gleiches könnte man auch auf andere Begriffe anwenden. Was ist ein Baum? Klar, jeder weiß, was ein Baum ist. Aber stellen wir uns vor, in 100 Jahren erforscht die Menschheit das All und landet auf einem Planeten, auf dem es pflanzenartige Lebewesen gibt, die unseren Bäumen ähneln. Sie sehen ähnlich aus, aber sie sind biologisch völlig unterschiedlich von dem, was wir auf der Erde als Baum kennen. Die Wissenschaftler werden natürlich einen eigenen Begriff dafür erfinden, aber im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Dinger höchstwahrscheinlich als "Baum" bezeichnet werden. Auch wenn es eigentlich keine Bäume sind.

Aber mit der Veränderung der Welt, und mit der Veränderung der Wahrnehmung, verändert sich auch die Sprache. Wäre dem nicht so, würden wir heute noch alle Mittelhochdeutsch sprechen. Ich finde Mittelhochdeutsch zwar sehr schön, aber heute sprechen wir halt Neuhochdeutsch... und ich glaube, keiner hier würde sich beschweren, dass das Wort "Hochzeit", das sich aus dem Mittelhochdeutschen "hochzite" entwickelt hat, heute nur für eine bestimmte Feierlichkeit - die Vermählung - steht, obwohl es ursprünglich alle Arten von Feierlichkeit bezeichnete. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich Wortbedeutungen mit der Zeit wandeln, und das ist auch ok so.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Cailyn am 13. Mai 2016, 09:14:24
Ich verstehe sehr gut, dass sich manche über falsch benutzte Worte ärgern. Das tu ich manchmal auch. Aber nur selten.

Was nicht vergessen werden sollte: Es ist nicht so, dass die schriftliche Sprache die gesprochene Sprache vorgibt, sondern umgekehrt. Die schriftliche Sprache richtet sich nach der Gesprochenen. Natürlich werden Rechtschreibung und Grammatik für eine gewisse Zeit in Vertrag genommen und man sollte sich an jene Regeln halten. Zumindest solange es keine neuen Regeln gibt. Aber der Witz an den Veränderungen der Sprachen war ja schon immer, dass die Schriftsprache sich der gesprochenen Sprache anpasst. Einen schönen Gruss auch an die Gebrüder Grimm an dieser Stelle  :winke:. Der Strukturalismus der Grimms ist kein topdown-Geschehen, sondern bottom-up. Und es gibt tausende von Wörter, die jetzt aktuell im Duden verankert sind und früher was anderes bedeutet haben. Aber irgendwann wurden sie angenommen und mit der anderen als der eigentlichen Bedeutung akzeptiert. Und so wurde irgendwann auch das Wort "realisieren" um seine Bedeutung erweitert. Das ist der normale Lauf der Dinge. Das ist natürliche Sprachentwicklung. Und wenn man sich darüber ärgert, dann sollte man sich immer bewusst sein, dass es nur deshalb ist, weil man sich halt an einen "temporären Sprachvertrag" gewöhnt hat und nicht einfach so bereit ist, diesen aufzugeben. Aber falsch sind diese Veränderungen nicht. Das gab es schon immer und ist Teil des Funktionierens einer Sprachentwicklung.

So, Linguisten-Modus aus  ;D
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Churke am 15. Mai 2016, 17:29:54
Zitat von: Cailyn am 13. Mai 2016, 09:14:24
Was nicht vergessen werden sollte: Es ist nicht so, dass die schriftliche Sprache die gesprochene Sprache vorgibt, sondern umgekehrt.

Wesentliche Teile des Deutschen wurden in mittelalterlichen Klöstern erfunden, um lateinische Texte zu übersetzen. Die 2 Zeitformen des Althochdeutschen, nämlich Präsens und Präteritum, waren den Mönchen einfach zu wenig.
Ich bin außerdem der Meinung, dass ein Schriftsprache konservierend wirkt. Und ich finde es ausgeprochen spannend, mit überkommener Grammatik und antiquierter Semantik moderne Texte zu verfassen.

Wenn ich dagegen sehe, dass die alten Germanen jetzt schon in ZDF History mit Schildern in die Schlacht ziehen...  :wums: Da stand wahrscheinlich "Romani eunt domus" drauf oder so... 

Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Churke am 15. Mai 2016, 17:30:28
Zitat von: Cailyn am 13. Mai 2016, 09:14:24
Was nicht vergessen werden sollte: Es ist nicht so, dass die schriftliche Sprache die gesprochene Sprache vorgibt, sondern umgekehrt.

Ich sehe da eher eine Wechselwirkung. Wesentliche Teile des Deutschen wurden in mittelalterlichen Klöstern erfunden, um lateinische Texte zu übersetzen. Die 2 Zeitformen des Althochdeutschen, nämlich Präsens und Präteritum, waren den Mönchen einfach zu wenig.
Ich bin außerdem der Meinung, dass ein Schriftsprache konservierend wirkt. Und ich finde es ausgeprochen spannend, mit überkommener Grammatik und antiquierter Semantik moderne Texte zu verfassen.

Wenn ich dagegen sehe, dass die alten Germanen jetzt schon in ZDF History mit Schildern in die Schlacht ziehen...  :wums: Da stand wahrscheinlich "Romani eunt domus" drauf oder so...
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Lukas am 15. Mai 2016, 18:07:43
Hmm. Ich stoße mich da an sehr wenigen Sachen. Natürlich ist es schön, wenn man im Deutschen mehr Nuancen ausdrücken kann als in anderen Sprachen. Es ist auch immer lustig wie viele Falsch- oder Andersverwendungen gerade im Journalismus vonstatten gehen. ABER: Nichts ist nerviger als jemand, der ewig in alten Strukturen denkt und der Meinung ist alle anderen hätten Unrecht. Ich habe eine Kumpel, der sich maximal über "Sinn machen" aufregen kann, weil es ja "Sinn ergeben" heißt. Dabei steht "Sinn machen" inzwischen im Duden (auch wenn ich es selbst nur ungern verwende).

Die meisten Ausdrücke sind so geprägt von Dialekten und Redensarten, dass ich mir selbst auch gar nicht mehr zutraue, den genauen Unterschied zwischen "falsch" und "Mundart" zu erkennen. Mich regt zum Beispiel das klassische "ich gehe nach/auf ALDI" maßlos auf. Dementsprechen würde ich es nie verwenden. Aber evtl. ist es in dem Dialekt eben so akzeptiert, dass ich mit meinem "zu Aldi" komisch auffalle? Ein anderes Beispiel ist "das Monat". "Monat" ist bei mir männlich. Als ich einen Kumpel nett darauf hinwies, nahm ihn seine Freundin mit der Bemerkung: "Na und, ich sage auch manchmal "DER TELLER"..." in Schutz. Jap. Wir sind abgebrochen. Vor Lachen. Seitdem ist bei uns "das Teller" fest ins Repertoire aufgenommen, wann immer diese Freundin zugegen ist. Selbiges Pärchen kannte auch den Unterschied zwischen "das/der Rost" nicht.

Naja, what shalls, manchmal entwickeln sich Sprachen und Sprichwörter eben anders als wie man denkt. ;) Ob man das in der Schriftsprache übernimmt, hängt viel vom eigenen Geschmack, den Figuren und dem Genre ab.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Cailyn am 15. Mai 2016, 18:55:36
Zitat von: Churke am 15. Mai 2016, 17:30:28
Wenn ich dagegen sehe, dass die alten Germanen jetzt schon in ZDF History mit Schildern in die Schlacht ziehen...  :wums: Da stand wahrscheinlich "Romani eunt domus" drauf oder so...
:rofl:
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: wortglauberin am 15. Mai 2016, 23:43:47
Sehr viele Dinge, denen ich zustimmen würde, wurden schon gesagt- ich persönlich bin immer ein bisschen zwiegespalten.
Zum Einen bin ich der Meinung, dass Sprache sich verändern darf und das auch tut, und dass dadurch ja auch eine durchaus gewollte Abgrenzung kultureller oder geographischer Millieus erfolgt; zum anderen ist da mein Germanistinnen- Tochter- Herz, das bei gewissen Falschverwendungen einfach zu bluten beginnt, zum Beispiel bei dem bereits erwähnten "Verhunzen" von aus dem Lateinischen stammenden Worten oder bei eingedeutschten Ausdrücken aus dem Englischen, die auf deutsch einfach grausig klingen ("da bin ich fein mit").

Englische Begriffe an sich benutze ich allerdings auch sehr, sehr häufig- mir ist das schon fast wieder unangenehm, weil man schnell riskiert, "pretentious" zu klingen (Hah!); manchmal beschreibt aber ein Wort aus einer anderen Sprache einfach besser, was man sagen möchte, und bis zu einem gewissen Grad gibt es entlehnte Worte ja schon immer. Ich finde nur ein bisschen lächerlich, wenn Dinge anglisiert werden, um dem Gesagten einen "cooleren" Touch zu verleihen.
Neuestes Beispiel: in meiner Heimatsstadt gibt es sowohl einen "City- Manager" als auch ein "Cityfest", da musste ich bei einer urschwäbischen Stadt schon ein bisschen schmunzeln  ;)

Oh, und was mir dazu noch einfällt: Meike Winnemuth hat zu dem Thema mal eine Kolumne (http://www.stern.de/panorama/winnemuth-kolumne/winnemuth-kolumne--fein-mit-mir-6684932.html) geschrieben.  ;D
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Waldhex am 16. Mai 2016, 12:59:31
Zitat von: wortglauberin am 15. Mai 2016, 23:43:47
Ich finde nur ein bisschen lächerlich, wenn Dinge anglisiert werden, um dem Gesagten einen "cooleren" Touch zu verleihen.
Neuestes Beispiel: in meiner Heimatsstadt gibt es sowohl einen "City- Manager" als auch ein "Cityfest", da musste ich bei einer urschwäbischen Stadt schon ein bisschen schmunzeln  ;)


Besonders "toll" ist es, wenn Sachen im Deutschen einen englischen Namen bekommen, der aber im englischen etwas völlig anderes bedeutet. Bestes Beispiel "Handy". Da frage ich mich schon, ob es unbedingt ein englischer Begriff sein muss.
Wobei es ja Leute gibt, die behaupten, dass das ein schwäbisches Wort ist, weil ein Schwabe dazu meinte: "ja hendie den koi Kabl?" oder hochdeutsch "ja haben die denn kein Kabel?" OT, passte aber gerade so schön.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Tigermöhre am 19. Mai 2016, 23:24:55
Zitat von: Waldhex am 16. Mai 2016, 12:59:31
Besonders "toll" ist es, wenn Sachen im Deutschen einen englischen Namen bekommen, der aber im englischen etwas völlig anderes bedeutet. Bestes Beispiel "Handy". Da frage ich mich schon, ob es unbedingt ein englischer Begriff sein muss.

Da sind meine Lieblinge "Public Viewing" und "Bodybag" (das hat irgendein Geschäft mal ernsthaft versucht als Begriff für einen Rucksack zu etablieren)

Ok "ich gehe mit meinem Bodybag zu einem Public Viewing" ergibt auch im Englischen einen gewissen Sinn, aber ob man das wirklich will ... :rofl:
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: wortglauberin am 22. Mai 2016, 19:03:49
Zitat von: Waldhex am 16. Mai 2016, 12:59:31
Wobei es ja Leute gibt, die behaupten, dass das ein schwäbisches Wort ist, weil ein Schwabe dazu meinte: "ja hendie den koi Kabl?" oder hochdeutsch "ja haben die denn kein Kabel?"

Ohh aber das ist großartig, das kannte ich gar nicht  ;D Wieder eine große Errungenschaft, die sich zu Spätzle und Maultascha g'selle ko...

Und @Tigermöhre, die Bodybag war mir bisher unbekannt! Was ich aber beinahe genauso schlimm finde wie Worte, die vollkommen ihre Bedeutung wechseln, sind die Ausdrücke, die eine deutsche Schreibweise verpasst bekommen- bringt nichts, sieht nur weitaus grausliger aus. Ich denke hier beispielsweise an den Diskonter (wobei ich grade mal gegoogled habe und nicht weiß, ob das nicht einfach ein österreichischer Begriff ist) oder auch an Verben wie googeln, downloaden, snowboarden... die auch ich häufig verwende, mich aber deshalb nicht weniger vor der Konjugation grusele.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Pestillenzia am 24. Mai 2016, 00:25:13
Ich bekomme kreisrunden Haarausfall bei dem Satz "Ich habe Rücken". Entweder hat man einen Rücken - was bei der Mehrheit der Menschen der Fall sein dürfte, denn zwei Rücken oder einen Hals, der direkt aus dem Becken wächst, hat wohl kaum jemand. Oder man hat Rückenschmerzen. Ähnlich geht es mir mit: "Kann ich Schokolade?". Ja, was kannst du denn mit der Schokolade? Sie essen, kaufen, aus dem Fenster werfen?
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Big Kahuna am 24. Mai 2016, 09:53:25
ZitatIch bekomme kreisrunden Haarausfall bei dem Satz "Ich habe Rücken". Entweder hat man einen Rücken - was bei der Mehrheit der Menschen der Fall sein dürfte, denn zwei Rücken oder einen Hals, der direkt aus dem Becken wächst, hat wohl kaum jemand. Oder man hat Rückenschmerzen. Ähnlich geht es mir mit: "Kann ich Schokolade?". Ja, was kannst du denn mit der Schokolade? Sie essen, kaufen, aus dem Fenster werfen?

Oooh ja, da dreht es mir auch die Zehennägel hoch.
Ebenso solche geistreichen Satzkonstruktionen, die ich als Teenager häufig gehört habe und leider heute noch höre: "Lass heute JUZ (Jugendzentrum) gehen". Ist es denn so schwer, hier noch ein "uns" und ein "ins" zu spendieren, damit es "Lass uns heute ins JUZ gehen" heißt?!  :wums:
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: Tigermöhre am 24. Mai 2016, 10:45:36
Zitat von: Big Kahuna am 24. Mai 2016, 09:53:25
Ebenso solche geistreichen Satzkonstruktionen, die ich als Teenager häufig gehört habe und leider heute noch höre: "Lass heute JUZ (Jugendzentrum) gehen". Ist es denn so schwer, hier noch ein "uns" und ein "ins" zu spendieren, damit es "Lass uns heute ins JUZ gehen" heißt?!  :wums:

Soweit ich weiß, kommt das ganz stark aus dem Türkischen. Dort gibt es diese ganzen Präpositionen nicht, oder nur sehr eingeschränkt. Mich nervt es aber auch.
Titel: Re: Terminologische Entwicklung
Beitrag von: JarlFrank am 24. Mai 2016, 11:30:33
Zitat von: wortglauberin am 22. Mai 2016, 19:03:49
Was ich aber beinahe genauso schlimm finde wie Worte, die vollkommen ihre Bedeutung wechseln, sind die Ausdrücke, die eine deutsche Schreibweise verpasst bekommen- bringt nichts, sieht nur weitaus grausliger aus. Ich denke hier beispielsweise an den Diskonter (wobei ich grade mal gegoogled habe und nicht weiß, ob das nicht einfach ein österreichischer Begriff ist) oder auch an Verben wie googeln, downloaden, snowboarden... die auch ich häufig verwende, mich aber deshalb nicht weniger vor der Konjugation grusele.

Diese Verben haben doch herrliches Potential...
"Hey, was hast du vor diesen Winter zu machen?"
"Ach, ich denke ich mach Urlaub in den Alpen. Ich boarde gerne snow, und da gibt es tolle Skigebiete!"

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"Ich hab hier sonen Link gefunden auf dem man sich Filme downloaden kann, aber auf meinem PC funktioniert das nicht. Loade mir doch bitte mal den neuen Batman down."


Ich finde es wundervoll. Einfach wundervoll. ;D