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Handwerkliches => Workshop => Weltenbau => Thema gestartet von: Vic am 21. August 2014, 20:25:00

Titel: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Vic am 21. August 2014, 20:25:00
Ich schreibe im Schnitt eher Urbane Fantasy (soll heißen, es ist alles heutzutage und in unserer Welt angesiedelt, mit der Annahme, dass es eben Vampire, Werwölfe, Magier und Dämonen, etc gibt, die unter uns weilen).
Dabei komme ich bei so ziemlich jedem meiner Plots irgendwann zu dem Punkt wo ich mich frage, wie realistisch ist es eigentlich, dass die "Normale Bevölkerung" davon nichts mitbekommt?

Also wenn ich mir moderne Klassiker so ansehe, ist es ja im Schnitt eher so, dass das Ganze wie eine Art "Welt in unserer Welt" ist, die aber relativ getrennt voneinander ablaufen. Also bei Harry Potter weiß der Otto Normalbürger nichts von Hogwarts. Bei Twilight weiß der Durchschnittsschüler nichts von Vampiren und Werwölfen. Bei Supernatural sind auch nur wenige eingeweiht in das Wissen, dass es Monster und Dämonen gibt. Etc. Als Gegenbeispiel fällt mir höchstens Buffy ein, wo wenigstens angedeutet wird, dass die Leute von Sunnydale wissen, dass "irgendetwas merkwürdiges" vor sich geht und dass Buffy und ihre Freunde irgendwie immer darin verwickelt sind. Bzw in einer der späteren Staffeln wurde ja klar, dass es sogar eine Regierungseinheit gibt, die sich mit dem Übernatürlichen auseinander setzt.

Und da ist meine Frage an euch: Was für einen Durchdringungsgrad haltet ihr für realistisch?
Denkt ihr es ist möglich, dass es außer ein paar Eingeweihten niemand mitbekommen würde, dass übernatürliche Wesen unter uns weilen?
Und wie wäre die Reaktion wenn es rauskäme? Wären die Leute heutzutage überhaupt offen für so etwas oder wäre die generelle Reaktion eher "pffft, nettes Photoshop" oder "cooles Make up, spielst du in nem Gruselfilm mit, oder was?"  :pfanne:

Kurz, ich bin nicht ganz sicher, wie die Menschheit auf so eine Enthüllung regieren würde, wenn sie denn passiert. Und wenn es nicht passiert - ist es überhaupt realistisch so lange etwas geheim zu halten?
Wie seht ihr das? :)  Meinungen? Ansichten? Kluge Ratschläge? Immer her damit!
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Churke am 21. August 2014, 21:30:58
Zitat von: Vic am 21. August 2014, 20:25:00
Und da ist meine Frage an euch: Was für einen Durchdringungsgrad haltet ihr für realistisch?
Denkt ihr es ist möglich, dass es außer ein paar Eingeweihten niemand mitbekommen würde, dass übernatürliche Wesen unter uns weilen?

Du stellst die falsche Frage. Die richtige lautet: Wer würde es glauben? Würdest du überall herumerzählen, dass du vorhin einen Dämon gesehen hast? Ich würde davon jedenfalls dringend abraten.  ;D

Ich betrachte mich ja als Gründer des Genres der historischen Urban Fantasy. Bei der historischen Urban Fantasy sind die übernatürlichen Ereignisse durch Quellen belegt. Wenn man die Quellen mit dem selben Ernst liest wie bei anderen Fakten, MUSS man zu dem Schluss kommen, dass Zauberei, Dämonen usw. existier(t)en. Es sei denn, man tut es von vornherein als Aberglaube ab. Dan ist man schnell fertig. ;)
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: HauntingWitch am 22. August 2014, 10:35:27
Hallo Vic! Ein spannendes Thema. :) Als Contemporary-Schreiber (läuft auf dasselbe wie Urban hinaus, nur dass meine Stories halt nicht ausschliesslich in der Stadt spielen) möchte ich auch mal meine 5 Cents dazu geben.

ZitatDenkt ihr es ist möglich, dass es außer ein paar Eingeweihten niemand mitbekommen würde, dass übernatürliche Wesen unter uns weilen?

Ja, ich denke durchaus, dass das realistisch ist. Wie Churke schon sagt, würden die meisten Menschen es wahrscheinlich gar nicht glauben (wollen) und mit einer wissenschaftlichen Erklärung abtun. Jene, die es glauben, würden es wohl kaum herum erzählen, aus Angst davor, für verrückt gehalten zu werden. Wer es herum erzählt, wird entweder für verrückt gehalten oder sonstwie nicht ernst genommen. Wir leben ja schliesslich in einer aufgeklärten Welt, in der es nichts Übernatürliches gibt. ;) Was ich mir allerdings vorstellen könnte, ist, dass es kleinere Grüppchen gibt, die diese Dinge glauben und darauf reagieren. Im Grossen passiert das wohl erst, wenn es wirklich offensichtlich und nicht mehr zu leugnen ist (Buchtipp an dieser Stelle: "So ruhet in Frieden" von John Ajvide Lindqvist. Da stehen eines Tages die Toten in ganz Stockholm auf und beginnen, umher zu wandeln und so. Lindqvist war früher Journalist und stellt in dem Roman die allgemeine öffentliche Verwirrung sehr gut dar. "Die Saat" von Guillermo del Toro zeigt ein ähnliches Szenario mit einem Vampir-Virus in New York, ist allerdings eher hollywood-mässig).

ZitatUnd wenn es nicht passiert - ist es überhaupt realistisch so lange etwas geheim zu halten?

Ja, ich denke, es ist als übernatürliches Wesen sicher möglich, sich völlig zu verbergen, wenn man das möchte und darauf achtet. Ich halte diese Variante vieler Bücher und Filme also nicht für abwegig. Gerade bei Harry Potter ist es ja z.B. so, dass Gleis 9 3/4 nur von Zauberern betreten werden kann. Für die Menschen ist da ein völlig normales Perron (wenn ich mich richtig erinnere, ist schon eine Weile her). Das ist natürlich durchaus möglich, so nach dem Motto "man sieht, was man sehen möchte" bzw. "man sieht es nur, wenn man daran glaubt". Bei Melissa Marrs "Wicked Lovely" z.B. sehen die Feen für normale Menschen aus wie ganz normale Menschen, nur auserwählte und andere Feen können ihr wahres Ich sehen.

ZitatUnd wie wäre die Reaktion wenn es rauskäme? Wären die Leute heutzutage überhaupt offen für so etwas oder wäre die generelle Reaktion eher "pffft, nettes Photoshop" oder "cooles Make up, spielst du in nem Gruselfilm mit, oder was?"

Da halte ich drei Möglichkeiten für wahrscheinlich, abhängend davon, wie diese Eröffnung vonstatten geht. Taucht das Übernatürliche plötzlich auf und stellt eine Bedrohung dar, werden die meisten mit Panik reagieren (siehe auch oben). Dies wird vor allem der Fall sein, wenn die Wesen in grosser Anzahl Radau machen oder sehr viele merkwürdige Ereignisse nacheinander passieren.

Sind es nur vereinzelte Erscheinungen, mal ein Vampir in einer Seitengasse, mal ein ungeklärter Tod, wird es wohl eher so sein, wie du bereits vorgeschlagen hast. Die Leute werden sich irgendetwas denken, es als nicht weiter interessant abtun und mit ihrem Leben weitermachen. Das kommt aber natürlich auch sehr stark auf den individuellen Menschen an, die einen werden es als witziges Kostüm wahrnehmen, andere werden Angst bekommen und wieder andere kümmert es einfach nicht. Vereinzelte werden an so etwas glauben und es akzeptieren, aber das dürften die wenigsten sein.

Zuletzt, die "True Blood"-Variante. Die Übernatürlichen offenbaren sich - bewusst und gezielt, mit grossem Tamtam und sorgfältig formulierten Erklärungen - und die Menschen akzeptieren es, mehr oder weniger. Die Mehrheit wird argwöhnisch sein, aber irgendwie damit umgehen. Manche sind auf der Seite der Übernatürlichen und unterstützen diese, die anderen eher nicht. Dieses Szenario halte ich allerdings für weniger wahrscheinlich als die ersten zwei.

ZitatWas für einen Durchdringungsgrad haltet ihr für realistisch?

Für mich ist das nicht die Frage. Meine Frage ist immer: Welchen Durchdringungsgrad möchte ich denn haben? Möchte ich die Zombies oder Vampire als Bedrohung, die eine Stadt ins Chaos stürzen? Möchte ich eine Parallelwelt innerhalb unserer Welt, die nur von Auserwählten und Gläubigen gesehen werden kann? Oder möchte ich meinen Protagonisten als einzelnen Menschen mit dieser anderen Welt konfrontieren, und nur ihn? Ich glaube, was da realistisch ist und welche Möglichkeiten sich bieten, hängt davon ab, was man möchte.

Ja, das ist es etwa von mir. Ich hoffe, es hilft. ;)
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Dogtales am 22. August 2014, 12:52:34
Hallo, das ist eine sehr gute Frage, weil das nämlich auch die Grundlage meiner neuen Idee ist.

Im Großen und Ganzen hat Witch bereits das Wichtigste gesagt, für mich kommt aber noch ein Aspekt dazu:
Zum einen wäre wichtig zu klären, wie die Übernatürlichen wollen, dass man auf sie reagiert. Daran könnten sie ihre "Enthüllung" anlehnen. Eher unauffällig, dann machen sie das subtil und leise. Wollen sie Angst und Schrecken verbreiten, dann wohl mit großem Getue, um so viel Aufmerksamkeit wie nur möglich zu erreichen. Und dann kommen wir zu dem Punkt, auf den ich eigentlich hinauswollte, wie wollen die Normalen das auffassen? Wenn eine Regierung davon Wind bekommt, will die Regierung, dass die Bevölkerung davon erfährt? Unterstützen sie die Übernatürlichen und ermöglichen ihnen eine Integration in die Gesellschaft oder werden sie von den Übernatürlichen gezwungen und müssen sie integrieren. Je nach Einstellung der Regierung wird wohl auch die Reaktion der Bevölkerung ausfallen. Oder, um mal als Beispiel eine Theorie zu Außerirdischen anzuführen, vielleicht möchte die Regierung überhaupt nicht, dass die Bevölkerung von den Übernatürlichen weiß (aus Eigennutz, aus Angst vor einer Panik, aus Angst vor Aggressionen von Seiten der Bevölkerung oder Übernatürlichen) und versucht mit allen Mitteln deren Existenz geheimzuhalten.

Ob realistisch weiß ich nicht, vorstellbar wären auf jeden Fall all Möglichkeiten. Es kommt eben tatsächlich, wie bereits erwähnt, auf das an, was du erreichen möchtest.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Vic am 27. August 2014, 18:36:35
@Churke: Damit hast du natürlich recht. *g* Wenn man sich historische Aufzeichnungen ansieht, muss man praktisch zu dem Schluss kommen, dass das Übernatürliche existiert. ;) Oder man tut alles als Aberglauben ab, was widerrum plausibel macht, wieso heutzutage niemand (mehr) dran glaubt.

@HauntingWitch: Contemporary ist genau das Wort was ich gesucht habe. *g* Ich meinte auch eher zeitgenössische Fantasy, als konkret "Urban Fantasy". Danke auch für Buch-Tipps! :) Du hast schon recht mit dem Einwand, dass das meiste Übernatürliche mit Magie zu tun hat und es dementsprechend leicht fallen sollte, ihre Welt geheim zu halten, bzw zu verstecken.
Danke für die ausführliche Antwort.
Ich glaube ich bin aktuell noch etwas unsicher, inwieweit ich diese Welt für die normalen Menschen "öffnen" möchte. Ich finde alle Varianten sehr spannend, aber auch gerade dieses Durchsickern gefällt mir ...

@Dogtales:
Zitat von: Dogtales am 22. August 2014, 12:52:34
Und dann kommen wir zu dem Punkt, auf den ich eigentlich hinauswollte, wie wollen die Normalen das auffassen? Wenn eine Regierung davon Wind bekommt, will die Regierung, dass die Bevölkerung davon erfährt? Unterstützen sie die Übernatürlichen und ermöglichen ihnen eine Integration in die Gesellschaft oder werden sie von den Übernatürlichen gezwungen und müssen sie integrieren. Je nach Einstellung der Regierung wird wohl auch die Reaktion der Bevölkerung ausfallen.

Diesen Punkt durchdenke ich auch gerade die ganze Zeit! *g*
In meiner Geschichte ist es schon so, dass die Regierung davon weiß, aber bisher noch versucht das vor der Bevölkerung geheim zu halten, aus variierenden Gründen.
Ich frag mich nur wie lange das gut geht ... ;)
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Waldkatze am 07. September 2014, 21:27:02
Das Meiste wurde ja schon gesagt, aber ich hätte noch zwei Ergänzungen  ::)

Die Frage nach dem "Wie bekannt ist das Übernatürliche", hängt sehr vom Ort des Geschehens ab. In einer westlichen Großstadt werden - wie ihr schon festgestellt habt - nur die Psychiater gut zu tun bekommen. Anders sieht es jedoch an abgeschiedenen Orten aus, bei denen Wörter wie "Flachbildfernseher" oder "Internet" noch unbekannt sind.
Ich kenne einige "Geschichten" von Leuten in unserer Gegend, die noch heute  :seufz:  der Hexerei bezichtigt werden.

Zur Frage nach der Reaktion:
In einem Buch, das ich kürzlich gelesen habe, kam es anfangs zu einem Outing der Vampire. Aus anfänglicher Euphorie und Neugierde wurde bei den meisten schnell Hass, Angst, Ablehnung und schließlich Verfolgung.
Für mich sehr realistisch.
Die meisten Menschen neigen dazu, das, was sie nicht kennen und daher fürchten, auszulöschen.
Wenn ich ein übernatürliches Wesen wäre, würde ich garantiert den Mund halten  :gähn:
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Sanjani am 07. September 2014, 22:12:05
Ich glaube, dass es sehr davon abhängt, wie bestimmte Dinge passieren. Ein kleines reales Beispiel: Meine Großeltern sind seit 4 Jahren beide tot. Deren Haus gehört meiner Tante und ist schon recht verfallen, weil sie selten hingeht. Im Wohnraum hängt eine Uhr, die schon vor mehreren Jahren stehen geblieben ist, kurz nach dem Tod meines Großvaters. Einmal vor einiger Zeit hat es dort aber eine Art Familienfeier gegeben. Meine Tante war mit Kindern und Enkelkindern da, meine Mutter und noch ein Bruder meines Großvaters mit seiner Frau und deren Kindern. Das Haus war jedenfalls voll, fast so wie früher. Und meine Mutter erzählt, dass als die ganzen Leute da waren, die Uhr wieder anfing zu ticken und weiterzulaufen. Meine Mutter und meine Tante haben es beide bemerkt. Aber als die Gäste alle gegangen waren, stand die Uhr wieder still. Wie klingt das für euch? Für mich klang es ziemlich abstrus, und es fällt mir schwer, das zu glauben. Andererseits finde ich die Vorstellung aber auch irgendwie gruselig und faszinierend zugleich. Ich stelle mir vor, dass viele Leute sagen würden, dass sie nicht an Übernatürliches glauben, aber insgeheim würden sie sich schon Gedanken machen und wären vielleicht fasziniert oder sogar geängstigt. Aber kleine Vorkommnisse würden wahrscheinlich auf- und wieder abtauchen ohne nennenswertes Aufsehen zu erregen.

Ich habe bisher noch keine realistischen Beispiele für gute Geheimhaltung gesehen, aber vermutlich geht es ja auch in Serien oft darum, dass das eben nicht optimal funktioniert. Bei Potter z. B. war es doch meines Wissens so, dass die gegen irgendeine Trennwand mit dem Wagen fahren mussten und sich die Wand vor ihnen auftat und sie auf dem geheimen Gleis auftauchten. Ich hab mich immer gefragt, wieso denn keiner gemerkt hat, dass da Leute vom Gleis verschwunden sind. Ok, dass eine kleine Familie nicht bemerkt wird, leuchtet noch ein, aber Rons Familie war ja sehr groß, so was wäre bestimmt aufgefallen.

Anderes Beispiel: Bei Charmed passieren immer komische Sachen, wo die drei Schwestern drin verwickelt sind und die von dem Inspektor vertuscht werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht auffällt, wenn ständig Leute auf mysteriöse Weise sterben und wenn ständig gut gegen böse kämpft. Bei Charmed war das ja auch oft mit viel Lärm verknüpft und bei denen ging im Haus auch ständig irgendwas kaputt. Außerdem sind die Dämonen ja auch manchmal offen auf der Straße herumgerannt und all das. Irgendwann hätte das doch Passanten oder Nachbarn oder sonstjemandem auffallen müssen. Ich fand das in dieser Serie oft etwas unrealistisch, dass das alles noch vertuscht werden konnte.

Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass es in manchen Kulturen oder gar Regionen der westlichen Welt noch Hexenanschuldigungen geben könnte und glaube unterm Strich, dass man da eigentlich fast alles machen kann. Hauptsache, man stellt es realistisch und nachvollziehbar dar.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: LinaFranken am 08. Dezember 2015, 20:24:14
Auch wenn das Thema schon älter ist, möchte ich hier gerne noch einen Aspekt näher beleuchten.
Wie der "Normal-Verbraucher" reagieren würde, wurde hier schon sehr schön von allen Seiten beleuchtet. Es gibt da aber auch die Regierungen und Gruppierungen, die gerne riegieren würden.
Darum geht es in meinem Buch größtenteil. Ich stelle mir vor, dass allein schon die Regierungen unterschiedlicher Länder eine unterschiedliche Vorgehensweise hätten. Wenn also solche Fälle eine Häufigkeit erreichen würden, bei der man nicht mehr von "einzelnen Spinnern" ausgehen kann, könnte das so aussehen:
In Nordkorea würde vermutlich jeder, der auch nur mit einem übernatürlichen Wesen in einem Raum war ohne Gerichtsverhandlung vor einem Erschießungskommando landen. In USA würde man sicher die Selbstjustiz an den Monstern mit nem Achselzucken hinnehmen. In Polen (meiner Heimat) würde selbst die Regierung  gar nicht erst versuchen, dem wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, sondern die örtlichen Prieseter aufrufen, mehr zu beten ::). Länder, in denen Wissenschaft, Aufklärung und Demokratie einen hohen Stellenwert haben, würden vermutlich ein Heilmittel suchen oder spezielle Krankenhäuser oder Gefängnisse errichten.

Dann gäbe es noch Organisationen und Wirtschafts-Bereiche, die sicher versuchen würden Profit draus zu schlagen. Angefangen bei dem Versuch einen Vampir militärisch zu nutzen bis zum Kunsthändler, der "orginal-Vampirzähne" im Angebot hätte und kriminelle Organisationen würden so einen sicher als Waffe haben wollen während Pharma-Konzerne sich vielleicht mithilfe von Gentechnologie was "hübsches" draus bauen würden.

Wenn irgendjemandem noch mehr länderspezifische oder wirtschaftsspezifische Reaktionen einfallen, würde mich das sehr interessieren!
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: FeeamPC am 28. Dezember 2015, 16:48:53
Die Menschen haben zu allen Zeiten mit dem Übernatürlichen gelebt, egal, ob es jetzt real oder eingebildet war.
Visionen konnten von Gott oder vom Teufel kommen.
Dass Tote zu Widergängern wurden, hat früher oder in anderen Kulturen niemand ernsthaft in Abrede gestellt.
Menschen, die mit Tieren sprechen können oder sich in Tiere verwandeln, kommen in fast allen Kulturen vor, wenn auch bei uns nur noch im Märchen (Der Bärenhäuter, z.B.)
Hexen gab es und gibt es auch heute noch ganz offiziell.
und diejenigen, die es nicht zu Hexen oder Dämonen schafften, wurden Heilige.
Ob die Menschen damit leben können, hängt vermutlich davon ab, wie sehr sie Anzahl oder Aktivitäten eher belächeln oder fürchten. Wir tendieren eher zum Belächeln. In Afrika tendiert man eher zum Fürchten.
Entsprechend sind die Reaktionen.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Romy am 29. Dezember 2015, 01:25:29
Oh, interessantes Thema, das mir wie gerufen kommt. Ich plane derzeit meinen allerersten Contemporary-Roman und habe da auch Protas, die mit dem Übernatürlichen in Berührung kommen und unterschiedlich darauf reagieren. Vom Zweifeln, aber dann glauben, weil plötzlich alles Sinn ergibt, bis zum völligen Unglauben und der Suche nach rationalen Erklärungen, was trotz übernatürlicher Ereignisse direkt vor seinen Augen schon in Richtung Realitätsverweigerung geht. :P

Als Beispiele würde mir noch "Grimm" einfallen, wo nur einige wenige und die Wesen selbst, andere Wesen erkennen können.
Im aktuellen Marvel-Universum ist auch nicht alles eitel-Sonnenschein und nicht jeder jubelt den Superhelden zu. In der Serie Jessica Jones beispielsweise:
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Der Film "District 9" würde mir auch noch einfallen, wo ein Alien-Raumschiff über Südafrika verunglückt und die Aliens Hilfe von den Menschen brauchen und schließlich in ein Ghetto eingesperrt werden und alles schließlich ziemlich eskaliert ...
In den Helden-Serien "Heroes" und "Alphas" outen sich die Begabten auch, mehr oder weniger freiwillig, wobei leider beide Serien dann auch enden ... In "Heroes:Reborn" (was ich noch nicht gesehen habe), wird aber wohl gezeigt, wie die Menschen auf die Helden reagieren.
"True Blood", was Witch ja schon genannt hat, fand ich in der Hinsicht, was das "outing" angeht, auch sehr interessant.

In unserer "aufgeklärten" westlichen Welt ist Unglaube und die Suche nach rationalen Erklärungen normal, denke ich. Wir sehen ja auch nur, was wir sehen wollen und erklären uns oftmals lieber selbst für verrückt, übermüdet o.ä., als das zu glauben, was nicht sein kann. ::) Und selbst, wenn wir es dann glauben würden, würden wir uns kaum trauen, es weiter zu erzählen, aus Angst für verrückt gehalten zu werden ...
Geheimhaltung schützt vermutlich auch beide Seiten vor Eskalation und den bösen Folgen, deshalb könnte ich jede Regierung verstehen, die sich allein aus Schutz-Gründen dafür entscheidet.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Maubel am 06. Februar 2016, 13:35:13
Ein sehr interessantes Thema, mit dem ich mich im Zuge meiner Serie auch beschäftigen muss und zwar immer wieder aufs Neue.

In den ersten Staffeln, ist es tatsächlich so, dass nur Auserwählte etwas von den Monstern und Dämonen mitbekommen, aber auch eine Erklärung warum es diese nun hauptsächlich in das Wohngebiet meiner Helden zieht. Da haben dann die anderen Einwohner sehr selektiv Sachen wahr genommen. Manche haben sogar bewusst diesen Schritt gemacht und die Helden alarmiert und dann so getan, als wüssten sie gar nicht warum. Nach dem Motto: "Ich habe den Wiedergänger am Friedhof gesehen - also vielleicht, schönnen Tag noch." Häufig wird da "fourth wall" mäßig sich auch etwas drüber lustig gemacht.

In der dritten Staffel kam dann so eine Art Harry-Potter Methode dazu. Man fand heraus, dass es auch global Hexen und Zauberer etc gibt, die sich aber ähnlich Harry Potter tarnen und nicht in die "Muggelwelt" eingreifen. Einer meiner Charaktere hat damit ein massives moralisches Problem. Und er und die Zitadelle zoffen sich immer noch deswegen. Am Ende der dritten Staffel laden die Helden alle Nachbarn ein um ihnen zu erklären was abläuft. Die meisten gehen, weil sie schon immer wussten, dass nicht alles geheuer ist. Manche glauben es natürlich dennoch nicht. Aber da Grüntal eh etwas merkwürdig ist, wird das so akzeptiert.

In der vierten kam nun endlich das Szenario, des neuen Polizisten, der den ganzen auf den Grund geht und erst mal die Helden verdächtigt, da es meistens so abläuft, dass etwas schreckliches passiertt und unsere Helden da auftauchen, die Monster aber nicht da sind und wenn das öfter passiert, denkt man halt, dass die dahinter stecken. Zumal nicht alle von ihnen gänzlich unschuldig sind.

Diese Entwicklung führte nun dazu in der fünften, dass das ganze immer mehr an die Öffentlichkeit gerät. Der Bürgermeister entscheidet schließlich öffentlich die Magie für real zu erklären und macht sich damit national zum Gespött, woraufhin er zurück rudert und das ganze als PR-Gag verkauft um Touristen anzulocken. Es gibt aber auch einen Mob und Missverständnisse. Unbemerkt bleibt so etwas nicht und so schalten sich schließlich die Geheimdienste ein, welche feststellen, dass sich das nicht mehr lange verstecken lässt.

Und so beginnt jetzt in den letzten beiden Staffeln ein interessanter und tückenreicher Prozess, den ich mit Samthandschuhen anpasse: Die Magie wird gesellschaftlich anerkannt und eingegliedert. Da wir uns in der EU befinden, bedeutet das zu allererst natürlich eins: EU-Richtlinien. Eine Aufsichtsbehörder wurde gegründet und diese wird heranwachsen zum Ministerium/Abteilung mit eigenen Geheimdienst. Ich stelle mir das ganze wirklich subtil vor. Das man erst einmal im kleinen Rahmen bleibt ohne die Aufmerksamkeit der Presse (die ist in Grüntal zum Glück schon längst eingeweiht), aber es kommen eben auch viele Probleme auf einen zu:


Ich finde es sehr schwierig da die richtige Balanz zu finden zwischen Bürokratie, allgemeiner Panik und meinem eigentlich Plot. Ich denke mir aber auch, dass, wenn diese anfänglichen Probleme langsam in den Hintergrund treten, sich die Welt sehr schnell verändern wird. Ähnlich wie nach der Industriellen Revolution. Wenn nicht schneller, weil die Magie schon gut entdeckt wurde. Eine Generation später wird es so alltäglich sein, wie dass wir heute überall vernetzt sind und ständig ins Internet können.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Waldhex am 17. Februar 2016, 21:40:57
Ich finde den Thread total interessant. Vor allem auch, weil ich mir diesbezüglich bisher nicht die geringsten Gedanken gemacht habe. Meine bisherigen Romane spielen auch im "Jetzt" und meine Werwölfe leben in ihrer Werwolfstadt und die Vampire in der Vampirstadt. Es gibt sogar eine überregionale Werwolfzeitung. Die Menschen im Umland wissen davon, lassen die anderen Rassen aber mehr oder weniger in Ruhe - oder eben nicht  :-X
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Denamio am 17. Februar 2016, 23:30:16
Was in meinen Augen gerade bei Urban Fantasy und der Reaktion auf Magie auch noch ein interessanter Punkt ist, wäre das vielzitierte dritte Gesetz von Arthur C. Clarke: "Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic."1 Dafür gibt es (nicht nur) zwei mögliche Interpretationen, die beide für Urban Fantasy interessant sind.


Da stellt sich die Frage, ob es Magie und Mystik überhaupt geben kann. Sobald die Zauberei etwas ist, das kontrolliert werden kann, dann fällt sie ja automatisch in das System der Welt hinein. Ich konstruier ein Beispiel was ich damit sagen möchte:


In beiden Fällen folgt die Wirkung auf die Ursache, ein fest geschriebenes Regelwerk an Aktionen resultiert in einem bestimmten Resultat: Kabumm. Warum sollte die Magie in dem Fall also als etwas Besonders gelten, nur weil sie anderen Abläufen folgt? Sie ist Teil des Systems, an die Regeln des Systems gebunden und interagiert darin. Dementsprechend verliert sie ihre mystische Wirkung und sobald die nicht-Magischen längere Zeit damit zu tun hatten, wird das Ganze alltäglich und banal.
Für Urban Fantasy würde das ja bedeuten, dass wenn Magie auftritt, innerhalb kürzester Zeit Wissenschaftler die dahinterliegenden Gesetze erforschen würden. Im ersten Moment wäre wahrscheinlich schon eine panische Reaktion da, aber das Zwischenspiel zwischen Gesellschaft und Wissenschaft würde womöglich dazu führen, dass schon einfachste rationale Erklärungen die Magie quasi komplett entmystifizieren.

"Oh nein der Feuerball" "Waren Spezialeffekte" "Oh? Na dann"
"Oh nein, ein Dämon aus der Urzeit!" "Der? Das ist Karl, totaler Cosplay Fan" "Oh? Na dann"

Die Technologie ist heute an einem Punkt, wo vieles was vor hundert Jahren Magie war, mit Technologie erzielt werden kann. Globale Kommunikation, Chemie, selbstbetriebene Maschinen, Genmanipulation und der ganze Spaß. Dementsprechend würde ich fast argumentieren, dass wenn Magie in der Geschichte mystisch bleiben soll, der Kontakt zur anderen Welt denkbar gering sein soll. Das funktioniert im echten Leben ja auch, ich sage nur Landstraße mit Knick in Island2, weil unsichtbare Elfen dort wohnen sollen.
Wenn ich so an die typischen Urban Fantasy Romane denke, dann handeln sie fast immer von versteckten Gesellschaften, die allerlei Tricks anwenden damit um nicht entdeckt zu werden. Spontan fällt mir eigentlich nur Shadowrun aus dem Cyberpunk ein, wo Magie und Technologie gleich stark und öffentlich vertreten sind. Und da ist das Resultat auch, dass Magie alltäglich geworden ist. Ich denke das ist der ganze narrative Trick an der Sache. Magie in der heutigen Zeit kann gut funktionieren, aber jeder Kontakt mit der Außenwelt hat zugleich einen entmystifizierenden Charakter.

1 https://en.wikipedia.org/wiki/Clarke's_three_laws
2 http://www.nzz.ch/panorama/ein-land-nimmt-ruecksicht-auf-elfen-1.18211000
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Maubel am 18. Februar 2016, 00:05:40
Denamio, ich stimme dir da vollkommen zu, liebe es aber auch damit rum zu experimentieren.

Beispiel 1: Die oben erwähnte Entwicklung führt tatsächlich eines Tages dazu, dass die Magie alltäglich geworden ist. Das heißt, dann wird es sicher die Magie auch als Forschungsgebiet geben mit allen lustigen Unterarten wie Geomagie oder Magische Chemie - Experimentalmagie irgendwer?
Interessant wäre es auch, zu sehen, wie es sich im Alltag benutzen lässt, da nicht jeder - genau genommen wenige - mit dem Talent Magie zu manipulieren geboren werden. Ist das wirklich vergleichbar mit einer mathematischen Begabung, die man sich theoretisch anlernen kann? Es wird einen Haufen Gesetzesänderungen geben, um sicher zu stellen, dass Magie kontrolliert benutzt wird, nicht ausgenutzt wird und reguliert wird - Sagen wir so, unsere Welt wird danach nicht mehr die selbe sein, vielleicht vergleichbar wie die Industrialisierung. Ein paar Jahre wird es aber dauern, bis Magie tatsächlich entmystifiziert ist.

Beispiel 2: Eine reine Fantasywelt, die so hochmagisch ist, dass Magie den Alltag bestimmt. Es gibt keine Magier - jeder wird mit mehr oder weniger Begabung geboren. Magie ersetzt Technologie, es gibt zum Beispiel Gefrierschränke, die von Technikern gewartet werden müssen - nur dass die Techniker eben Eismagier sind und die Kühlschränke nicht mit Strom laufen, sondern Magie. In dem Fall ist Magie nichts mystisches für die Bewohner dieser Welt, aber durchaus für den Leser.
Hier war aber auch interessant, wie schnell man umdenken muss. Meine geliebten Charaktere mit Schwert und Rüstung kämpfen zu lassen, ist zum Beispiel blanker Unsinn gegen einen Feuerball - also muss die Hypermagische Welt weiter gesponnen werden - es gibt Techniken Magie in Metall einzuwirken (z.B. um Rüstungen zu durchbohren) etc. Wichtig war mir bei der Erschaffung aber auch, sie keinesfalls statisch zu machen. Die Universitäten forschen und machen auch während des Romans Entwicklungen, manchmal auch nur Weiterentwicklungen - andere Artens sind als altertümlich oder überholt abgetan und es gibt massive Qualitätsunterschiede.
Obwohl Magie in der Welt alltäglich ist, verliert sie für den Leser oder mich als Autor nichts von ihrer Faszination. Allerdings habe ich lange überlegt, ob ich es überhaupt Magie nenne und habe mich schlussendlich dafür entschieden, weil es eben nicht Physik ist oder Chemie und irgendeinen Sammelbegriff werden sie auch für diese alltägliche Kraft benutzen.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Churke am 18. Februar 2016, 00:30:00
Zitat von: Denamio am 17. Februar 2016, 23:30:16
Da stellt sich die Frage, ob es Magie und Mystik überhaupt geben kann. Sobald die Zauberei etwas ist, das kontrolliert werden kann, dann fällt sie ja automatisch in das System der Welt hinein. Ich konstruier ein Beispiel was ich damit sagen möchte:

Da zitiere ich doch mal das Edikt vom 4. Dezember 356:

ZitatViele zaudern nicht, sich Zauberkünste herauszunehmen, in die Natur einzugreifen, das Leben Unschuldiger zu gefährden, und erlauben sich, durch Heraufbeschwören der Geister Unruhe zu stiften. Diese soll, weil sie außerhalb der Schöpfung stehen, die Geißel wilder Tiere vernichten.
- Mailand, Constantius II., Edikt vom 4. Dezember 356
Codex Theodosianus 9, 16,5

Übersetzung: Wer zaubert, wird an die Löwen verfüttert.

Der Grund dafür steht zwischen den Zeilen: "weil sie außerhalb der Schöpfung stehen". Zauberei bedient sich dämonischer Mächte und ist damit gegen Gottes Schöpfung gerichtet. Wenn man im Namen Christi über die Welt herrscht, muss man mit aller Schärfe gegen diese Umtriebe vorgehen.

Die "so what?" Haltung passt auf einen modernen, säkularen Staat. Es ist allerdings auch durchaus denkbar, dass ein moderner Staat magische Umtriebe als Kapitalverbrechen verfolgt, weil ER SELBST sie nicht kontrollieren kann.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Denamio am 18. Februar 2016, 12:05:55
Zitat von: Churke am 18. Februar 2016, 00:30:00
Da zitiere ich doch mal das Edikt vom 4. Dezember 356:

Interessantes Zitat, sicherlich. Es unterstützt recht gut die erwähnte These. In dem Fall funktioniert der Glaube an die Magie, weil sie als außerhalb des Systems stehend wahrgenommen wird. Sie ist eben nicht Teil des Systems und kann deshalb mystisch wirken. Zugleich ist es aber auch die Realisation der Moderne: Der Glaube an das Übernatürliche entsteht aus einem Mangel an Wissen.
Und hier kommt gerade der Aspekt der Moderne rein, der Soziologe Max Weber hat es sehr hübsch als die "Entzauberung der Welt"1 bezeichnet. Mit fortlaufender technischer Entwicklung ersetzte langsam aber sicher der Glaube an die Rationalität und Erklärbarkeit von Phänomenen, die Kraft der Magie und Geister.
Es ist ein zentrales Umdenken in Folge der Renaissance und Aufklärung. Man kann diese Entwicklungen natürlich ausklammern, dann kommt man aber zwangsläufig in den Bereich der Alternate History, weil gerade diese Epochen doch sehr stark prägend für unser heutiges Verständnis waren. Die besondere systemische Anfälligkeit und Demystifizierung des Übernatürlichen ist direkt mit der Säkularisierung verbunden.
Besagte Entzauberung der Welt informiert die sozialen Handlungen im Falle einer Konfrontation mit übernatürlichen. Entweder es ist für das System fremd, dann entsteht natürlich Panik, benötigt aber eine klare Trennung der Welten (Harry Potter, Nightside, Dresden, etc). Oder es ist dem System eigen und ist somit per Definition nicht mehr übernatürlich, weil es in den Apparat der Wissenschaft gerät. Das sind alles durchlässige Faktoren, in der Fantasy beliebig änderbar. Aber jede Änderung hier dran bringt massive gesellschaftliche Änderungen mit sich und dann ist es irgendwo auch nicht mehr die normale Bevölkerung heutzutage, wie im Eingangspost gefragt, sondern eine alternative Geschichte, die wiederum eigene Reaktionen darauf bringt. Stichwort ist hierbei der kulturelle Wandel im Laufe der Jahrhunderte.

Zitat
Die "so what?" Haltung passt auf einen modernen, säkularen Staat. Es ist allerdings auch durchaus denkbar, dass ein moderner Staat magische Umtriebe als Kapitalverbrechen verfolgt, weil ER SELBST sie nicht kontrollieren kann.

Auch dem widerspreche ich nicht. Allerdings ist zu sagen, dass gerade das Eingreifen der ganzen staatlichen Maschinerie die ultimative Entmystifizierung der Magie ist. Es gibt nichts, was Magie schneller tötet als Bürokratie und Paragraphen. ;D

Zitat von: Maubel am 18. Februar 2016, 00:05:40
Denamio, ich stimme dir da vollkommen zu, liebe es aber auch damit rum zu experimentieren.

Experimentieren ist toll, experimentieren ist heilig. ;D
Dein erstes Beispiel erinnert mich recht stark an Shadowrun. Dort war der grundsätzliche Aufbau so, dass die Magie eines Tages zurückkehrt. Und in dem Szenario hat das hübsch zu Aufständen, Gewaltverbrechen und ähnlichem geführt (die Übergangsphase) und schließlich zum Zeitpunkt wo die Stories dann wirklich spielen, war Magie so alltäglich, dass es in Labors erforscht und in Medien kommerzialisiert wurde.

ZitatObwohl Magie in der Welt alltäglich ist, verliert sie für den Leser oder mich als Autor nichts von ihrer Faszination. Allerdings habe ich lange überlegt, ob ich es überhaupt Magie nenne und habe mich schlussendlich dafür entschieden, weil es eben nicht Physik ist oder Chemie und irgendeinen Sammelbegriff werden sie auch für diese alltägliche Kraft benutzen.

Na, auch demystifizierte Magie kann für Leser und Autor faszinierend sein. Das wirkt dann wunderbar durch die exotische Fremde der Welt. Meine Argumentation bezieht sich ja mehr auf den Blick der einzelnen Charaktere in der betreffenden Welt. In deinem zweiten Beispiel, würde ein nicht-magischer Arbeiter wirklich noch staunen, wenn ein Eismagier arbeitet - oder wärs für ihn alltäglich? Ich finde für den Charakter wäre es alltäglich, nicht aber für den Leser/Autor weil diese im Bezugssystem der heutigen Welt stecken.

Vielleicht muß ich anhängen: Wenn ich schreibe das Magie in dem Fall banal wäre, dann meine ich damit nicht "banal zu lesen" sondern "banal für die Charaktere in dem Szenario".


1 https://de.wikipedia.org/wiki/Entzauberung_der_Welt
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Churke am 18. Februar 2016, 12:35:24
Zitat von: Denamio am 18. Februar 2016, 12:05:55
Es ist ein zentrales Umdenken in Folge der Renaissance und Aufklärung. Man kann diese Entwicklungen natürlich ausklammern, dann kommt man aber zwangsläufig in den Bereich der Alternate History, weil gerade diese Epochen doch sehr stark prägend für unser heutiges Verständnis waren. Die besondere systemische Anfälligkeit und Demystifizierung des Übernatürlichen ist direkt mit der Säkularisierung verbunden.

In der Viktorianischen Gesellschaft boomte das Übernatürliche. Wahrscheinlich war das die Sehnsucht nach dem Unerklärbaren in einer rationalen, fortschrittsgläubigen Welt.
Gut, wenn man soweit kommt, das Unerklärbare erklären zu können, dann ist damit die Entmystifizierung eingetreten, und die Magie wird zum normalen Wissenschaftszweig.

Es ist aber keineswegs so, dass historische Epochen wie Renaissance und Aufklärung ewig nachwirken. Ein paar hundert Jahre später kann das alles vergessen sein.

Aber was ich wegen der staatlichen Kontrolle sagen wollte: Nehmen wir an, eine Person hätte magische Fähigkeiten, könnte durch Wände gehen, sich unsichtbar machen, die Schlagbolzen von Maschinenpistolen festklemmen, telepathisch (= abhörsicher) kommunizieren usw.. Einem totalitären Staat wäre eine solche Person hochgradig unangenehm, denn sie wäre nicht zu kontrollieren. Der Staat würde diese Person kriminalisieren, sie zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklären, die Bevölkerung aufhetzen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln jagen. 
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: HauntingWitch am 18. Februar 2016, 12:38:21
Wow, die Diskussion ist gerade total spannend. ;D

Eine sehr gute Darstellung des Umgangs mit Magie von Seiten Gesellschaft und Politik kommt in den X-Men-Filmen vor, finde ich. Die einen akzeptieren die "Magischen" (in diesem Fall Mutanten), die anderen halten sie für eine Bedrohung, wieder andere verstehen es einfach nicht und noch einmal andere benutzen und instrumentalisieren sie. Derweil mischen die Mutanten sich selbst in die Diskussion ein, wiederum mit ihren unterschiedlichen Ansichten über die Menschen und wie mit ihnen umzugehen ist.

Ein Szenario, wie Denamio es beschreibt, dass Magie wissenschaftlich so sehr zerlegt wird, bis sie normal wird, wäre mit sehr viel Zeit verbunden, denke ich. Das Genre geht ja von unserer heutigen Gesellschaft, wie sie ist, aus. Wenn nun also heute ein magisches Wesen entdeckt würde, denke ich, würde man es vermutlich erst einmal gefangen nehmen und erforschen wollen (sofern die anderen Punkte, die schon genannt wurden, wegfallen). Erst nach eingehenden Analysen und neuen Definitionen wird man es als eine Normalität akzeptieren und entsprechend in Gesetzestexte, amtliche Prozesse etc. integrieren. Eine Welt, in der diese Normalität bereits eingetroffen ist, wäre ja schon wieder eine zukünftige und greift somit  in die Sci-Fi über.

Oder man erschafft eine komplett eigene Welt, dann ist es aber nicht mehr Contemporary, sondern High Fantasy. ;) Ich lese zurzeit gerade "Die Greifen Saga I" von C.M. Spoerri, das spielt in einer Welt, in der magische Begabungen normal und erwünscht sind und eher die nicht-magischen Leute diskriminiert werden. Habe aber erst angefangen, stütze mich also nur auf einen eingeschränkten Eindruck des Buches. Es ist aber eine eigene Welt und nicht unsere.

Stichwort Diskriminierung, das wäre auch noch ein interessanter Punkt. Angenommen, man entdeckt die Magie bzw. die magischen Wesen jetzt heute und es gibt keine Panik, keine grösseren politischen Eindämmungsmassnahmen und keine Möglichkeit, es zu verbergen. Würde es den Wesen z.B. in Deutschland so ergehen, wie es Menschen mit Migrationshintergrund geht oder wäre das noch einmal etwas anderes? So etwas wäre aber vermutlich dann auch wieder 1-2 Generationen später denkbar, also schon wieder Zukunftsmusik.

Eine andere Überlegung ist, was wäre, wenn die magischen Wesen tatsächlich die Kontrolle über unsere Welt übernehmen würden? Weil sie in der Überzahl sind, weil sie in Politik und wichtigen gesellschaftlichen Positionen ihre Leute haben und die Menschen sozusagen "unterwandern" oder wie auch immer, sie es anstellen. Wie würden sie wohl über uns denken? ;-)

Etwas, das ich selbst sehr oft verwende, weil mich das einfach fasziniert, ist die Vorstellung, dass die magischen Wesen gar nichts von ihrer Magie wissen und sich für gewöhnliche Menschen halten. Das schweift aber jetzt etwas ab, denn da geht es immer mehr um Einzelschicksale und die eigene Reaktion des jeweiligen Charakters auf die Offenbarung. Wäre da noch interessant, Reaktionen von Freunden etc. zu erforschen.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Maubel am 18. Februar 2016, 12:38:33
Zitat von: Denamio am 18. Februar 2016, 12:05:55
Na, auch demystifizierte Magie kann für Leser und Autor faszinierend sein. Das wirkt dann wunderbar durch die exotische Fremde der Welt. Meine Argumentation bezieht sich ja mehr auf den Blick der einzelnen Charaktere in der betreffenden Welt. In deinem zweiten Beispiel, würde ein nicht-magischer Arbeiter wirklich noch staunen, wenn ein Eismagier arbeitet - oder wärs für ihn alltäglich? Ich finde für den Charakter wäre es alltäglich, nicht aber für den Leser/Autor weil diese im Bezugssystem der heutigen Welt stecken.

Es ist für ihn tatsächlich alltäglich. Niemand reißt die Augen auf, wenn der Kühlschrank dank Magie wieder läuft. Genauso normal ist es, dass Charaktere Illusionsmagie auflegen wie Make-up - manche eben mehr als andere. Was für Staunen sorg,t sind eben ganz besondere Anwendungen, die eben vergleichbar sind mit hohen Leistungen, z.B. Sportweltmeister. Auch unter den Kühlschrank wartenden Eismagiern gibt es schnellere und langsamere und solche, die gleich mal einen Gefrierfach ohne Abgrenzung einbauen.

Also ja, in der Welt, in der Magie alltäglich ist, ist die Anwendung dieser kein Wunder.

Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Loki am 24. Juli 2017, 11:07:40
Obwohl die Diskussion schon länger im Sande verlaufen zu sein scheint möchte ich zu den extrem umfangreichen Kommentaren noch anmerken, dass in einem Buch, das heute spielt, die momentane Gier/wirtschaftliche Nutzung von allen Ressourcen etwas zu kurz kommt. Es wurde ja zwischendurch schon angeschnitten - Vielleicht würden alle, sogar die Regierungen beide Augen zu drücken aber irgendwelche Organisationen würden versuchen alles magische irgendwie zu Geld zu machen. Ein eher wackeliges Beispiel dazu sind die X-Men und Deadpool. Wie sich das im Einzelnen entwickeln würde kann sich jeder selber vorstellen denke ich ;D Nur als kleiner Nachtrag  :engel:
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Soly am 26. Juli 2017, 11:12:43
Da würde ich mich Loki gleich mal anschließen und auch noch etwas nachtragen.

Vielleicht habe ich beim Überfliegen was übersehen, aber ich habe das Gefühl, die Diskussion dreht sich hauptsächlich darum, was passiert, wenn das Übernatürliche/Magische/Mystische in unserer Menschenwelt bekannt und alltäglich wird. Die Antworten sind Eingliederung, Integration, Ablehnung, Realitätsverweigerung, Hass, etc... alles klar, müssen wir nicht weiter darüber reden.

Ich möchte allerdings einwerfen, dass wir in der Urban Fantasy ja davon ausgehen, dass das Übernatürliche existiert, genauso wie alles, was wir in unserer Realität als normal betrachten. In unseren Welten sind Vampire, Werwölfe, Geister und Magier keine umstrittenen Spukgestalten, sondern harte Fakten. Es gibt sie, denn wir beschreiben deren Geschichten.
Ergo entstehen sie nicht einfach so in die normale Welt hinein, sondern werden von uns in eine Welt hineingeschrieben, in der sie schon immer fester Bestandteil waren.

Deshalb jetzt mein großes rhetorisches Fragezeichen:
Warum gehen wir davon aus, dass die Menschen im Status Quo nichts vom Übernatürlichen wissen? Wir diskutieren über "Coming-Outs" und Hexenjagden und die Angst vor dem Unbekannten, aber übernatürliche Wesen, die in den von uns erschaffenen Welten schon immer existiert haben, sind nichts Übernatürliches. Sie sind für die in dieser Welt lebenden Menschen ebenso alltäglich und schon immer da wie Vögel und Wildschweine und Elefanten.
Die andere Möglichkeit wäre, dass die übernatürlichen Wesen sich mit Absicht versteckt haben und deshalb nicht bekannt sind. Dann stellt sich aber die Frage: Warum offenbaren sie sich jetzt doch plötzlich?

Das ist so ein generelles Problem von mir, wenn es um Urban Fantasy geht. Vielleicht gibt es von den erfahreneren Autoren hier ein paar Antworten darauf? Ich würde mich freuen.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Zit am 26. Juli 2017, 13:01:56
Wenn wir unsere Welt als Maßstab heran ziehen, dann würde ich auf deinen Einwurf generell mit "Postmoderne" antworten. Für uns gibt es nichts Neues unter der Sonne, alles war schon da, wir sind sicher, noch in diesem Jahrhundert in der absoluten Katastrophe zu enden und für Märchen und Träume sind wir längst zu desillusioniert. (Es gibt vielleicht Einzelne, die noch etwas zu blauäugig sind oder die sich gerade wegen der Desillusion in das Romantische flüchten.) Ich denke, wir sind uns dazu auch einig, dass wir in einer Welt der Wissenschaft leben, was mich zu deiner Frage führt: Wir kennen die Geschichten, aber halten sie nicht für real. Es sind Märchen, keine Tatsachenberichte. Wenn du jemandem erzählst, du bist ein Vampir und kannst tagsüber nicht raus, dann werden viele dich für verrückt halten, manche juckt es nicht und sie lassen dich einfach leben, andere werden dir nahe legen, dir Hilfe zu holen. Und natürlich wird es trotzdem einige Romantiker geben, die dir nur zu gern glauben wollen. Ob sie dann tatsächlich daran glauben oder ob sie dein Spiel mitspielen wie es LARPer tun (alle wissen, es ist nicht real – für die Zeit des LARPs sind sich aber alle einig, es als real anzunehmen), sei dahingestellt.
Ich denke, dass es für Welten wie unserer keine generelle Verhaltensweise gibt, weil ziemlich viele Menschen ziemlich viele Ansichten dazu haben. Es gibt ja auch weiterhin Zeitgenossen, die die Wissenschaft für Ammenmärchen halten und lieber an anderen Vorstellungen festhalten. Wobei ich letztlich schon denke, dass der Standartfall in der Urban Fantasy der ist, dass Übernatürliches für ein Märchen gehalten wird und der Held/ die Heldin anfangs erst von der Existenz überzeugt werden muss. (Hängt vielleicht auch mit der Heldenreise zusammen: Könnte der Plotpunkt "Verweigerung des Rufs zum Abenteuer" sein.)

Edit

Zu dem Punkt "Warum erst jetzt?" noch: Warum sollten sie sich nicht schon zuvor offenbart haben? Weiß mans? Wenn wir wieder bei unserer Welt bleiben, dann kann man ja schön in der Geschichte sehen, was mit Hexen passiert ist. Wenn wir unsere Welt für geld- und machtgeil halten, dann wäre ich doch ziemlich doof, meiner Konkurrenz zu verraten, dass ich eine Hexe habe, die meinen Superbestseller braut. So fortschrittlich wir in einigen Bereichen sind, so hinterwäldlerisch sind andere Gegenden. Wenn sich Hexen generell offenbaren würden, würde das ziemlich viel Chaos verursachen.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Aphelion am 26. Juli 2017, 13:14:54
@Solmorn

Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze dazu.

Bei der einen Variante schaffst du eine Welt, die fast so ist wie unsere. Du kannst dann natürlich von der Prämisse ausgehen, dass Magie etwas ganz Normales ist.

Die andere Variante nimmt sich eine Welt zum Vorbild, die genau so ist wie unsere - jedenfalls an der Oberfläche. Dahinter steckt oft das Gedankenspiel: Was wäre, wenn Menschen, die an XYZ glauben (und dafür ausgelacht werden), doch Recht haben?

In dem Fall wären die Menschen eben nicht an das Übernatürliche gewöhnt, weil sie es ja nicht als Teil der Realität akzeptieren oder nichts von verborgenen Vorgängen wissen. :) "Men in Black" wurde hier ja schon als Beispiel genannt; der Film geht sehr humoristisch damit um.

Beide Varianten sind möglich. Man unterscheidet zwar zwischen High Fantasy und Low Fantasy, aber dabei handelt es sich nicht um zwei Stufen, sondern um ein Spektrum. Du kannst deine Welt mehr oder weniger fantastisch gestalten.

Mit Erfahrung, Wissen oder Können hat das aber nichts zu tun - es ist deine Entscheidung, deine Welt und deine Geschichte. :)
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Peftrako am 26. Juli 2017, 13:49:40
Wie bereits Maubel etwas früher geschrieben hat, sehe ich die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung.

Auf der einen Seite die "normale" Bevölkerung, deren Glaubensspektrum von "alles" bis "nichts" reichen wird. Die einen glauben fest an das Übernatürliche und haben dies auch schon vor dessen Offenbarung getan. Die anderen glauben nicht daran und werden im Extremfall auch offensichtlich Übernatürliches mit rationalen Mitteln zu erklären versuchen.

Auf der anderen Seite "die Offiziellen": Politik, Verwaltung und Staat. Es gilt, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Wie geht man mit jemandem um, der sich magisch aus jedem Gefängnis befreien kann? Welche Straftaten müssen in ein Strafgesetzbuch aufgenommen werden, die nur durch Übernatürliches begangen werden können und sich nicht mit den üblichen Gesetzen vereinbaren lassen? Welche Einschränkungen gelten hinsichtlich der Nutzung des Übernatürlichen?

Neben dem persönlich Aspekt, der die Betrachtung eines Einzeln betrifft und dem politischen Aspekt, der den Umgang des Staates/der Verwaltung mit dem Übernatürlichen betrifft, sehe ich auch eine soziale Komponente.

Personen mit übernatürlichen Fähigkeiten stellen vermutlich eine Minderheit dar, deren Ausgrenzung nur eine Frage der Zeit ist. Schilder an Läden mit "nur für nicht-Magier" oder an Fußballstadien "nur für nicht Telekineten" sind denkbar oder gar wahrscheinlich. Darf ein Telepath Polizist werden und bei Verhören mit seiner Fähigkeit das Aussageverweigerungsrecht umgehen?

Eine perfekt durchdachte Welt ist meines Erachtens sehr schwierig umzusetzen, da jeder einzelne noch so kleine Aspekt berücksichtigt werden müsste. Eine plötzliche Offenbarung des Unnatürlichen ("Buh! Ich kann zaubern und so ganz nebenbei bemerkt: ich bin nicht alleine") dürfte im Chaos enden und vermutlich nicht selten im Untergang der Minderheit, wenn diese nicht mächtig genug ist, um sich zu erwehren. Eine schleichende Offenbarung bietet die Zeit zur Anpassung der Gesellschaft an die neue Sachlage und scheint meines Erachtens die beste Lösung (siehe auch Beitrag Maubel).
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Churke am 26. Juli 2017, 13:53:48
Zitat von: Solmorn am 26. Juli 2017, 11:12:43
Ich möchte allerdings einwerfen, dass wir in der Urban Fantasy ja davon ausgehen, dass das Übernatürliche existiert, genauso wie alles, was wir in unserer Realität als normal betrachten.

Urban Fantasy ist kein Gedankenexperiment, dafür gibt es historische Vorbilder. Darum habe ich oben auch ein Zaubereigesetz aus dem Codex Theodosianus zitiert.
Für die Menschen vergangener Epochen waren Magie und übernatürliche Wesen so real wie für uns Terroristen. Sie waren überall, schlugen jederzeit zu und gaben sich nie zu erkennen.
Wie konnten sich die Menschen das einbilden, wenn es nicht existierte?
Und, mehr noch, wie konnte es, unabhängig vom Bildungsstand, auch schon damals Menschen geben, die das Übernatürliche für Aberglauben hielten?
Das zeigt, dass "Realität" eine subjektive Angelegenheit ist.
Man kann nicht einfach sagen: "Wenn es Dämonen gäbe, dann hätten wir das gemerkt".
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Trippelschritt am 26. Juli 2017, 14:26:38
Die Hexen hat man verbrannt. Und damit war das Problem weitgehend gelöst. Könnte man meinen. Aber diese Lösung hatte auch eine günstige Voraussetzung. Es gab eine gewaltige Gegenmacht. Die römische Kirche mit der scharfen Waffe der Inquisition.
Als Autor und Weltenbauer bin ich für die Randbedingungen der jeweiligen Welt ebenso verantwortlich wie für die dort ablaufenden Prozesse. Es wird das geschehen, was der Autor sagt, dass es geschieht. Er muss nur dafür sorgen, dass es plausibel erscheint. Und das ist einfach, weil er Herr über alle Faktoren ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Soly am 26. Juli 2017, 14:44:50
Zitat von: Churke am 26. Juli 2017, 13:53:48
Urban Fantasy ist kein Gedankenexperiment, dafür gibt es historische Vorbilder.

Na ja... doch. Zumindest in meinem Verständnis.

Der wesentliche Unterschied zwischen dem Übernatürlichen in unserer eigenen Welt und der Welt der Fantasy-Geschichte ist doch der zwischen Wirklichkeit und Wahrheit. Du sagst, dass Realität etwas Subjektives ist - genau das ist mein Punkt (abgesehen davon, dass Realität als Begriff schon die Objektivität in sich trägt; subjektiv ist die Wirklichkeit).

Nehmen wir das populäre Beispiel Werwölfe. Für dich und mich sind sie die Handlungsträger unzähliger Geschichten, Legenden, Sagen etc., wir haben aber noch nie einen gesehen. Wir können nicht wissen, ob es sie tatsächlich gibt, genauso wie wir nicht wissen können, dass es sie explizit nicht gibt. Wir können höchstens daran glauben und innere Gewissheit haben, aber wir wissen nicht, ob Werwölfe existieren. Werwölfe gehören also zu unserer subjektiven Wirklichkeit - wir glauben an ihre Existenz oder eben nicht.
Wenn ich ein Urban-Fantasy-Buch lese, dann lerne ich darin werwölfische Perspektivträger kennen, die mit der "normalen Menschheit" interagieren. Ich verfolge ihre Handlungen und Gedanken und ihre Interaktion mit den Menschen. Innerhalb der Geschichte, also in dieser Welt zwischen den Buchdeckeln, sind sie mit absoluter Sicherheit vorhanden, ob der einzelne Mensch an sie glaubt oder nicht. Ihre Existenz ist objektive Wahrheit und damit Realität.
Was zur Frage führt: Wie kann etwas objektiv Reales, dessen Existenz nicht von Glauben und subjektiven Vorstellungen des individuellen Betrachters zusammenhängt, gleichzeitig etwas Übernatürliches sein?

Zitat von: Churke am 26. Juli 2017, 13:53:48
Man kann nicht einfach sagen: "Wenn es Dämonen gäbe, dann hätten wir das gemerkt".

Nein, kann man nicht.
Wir sehen die Welt um uns herum mit ihren Geschehnissen, die am Ende irgendwelcher Kausalketten hängen (in denen durchaus auch übernatürlicher Glieder sein können). Wir als Teil unserer Wirklichkeit sehen: "Das ist passiert. Es gibt verschiedene Erklärungen dafür. Es könnte ein Zeichen für das Wirken eines Dämons sein. Vielleicht existieren Dämonen, vielleicht nicht."
In der Welt der UF-Geschichte ist es andersherum. Da heißt es: "Das ist der Dämon. Er ist 6375,846 Jahre alt und heißt Larry. Das hat er gemacht und das ist dabei rausgekommen."
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Denamio am 26. Juli 2017, 16:54:18
Nicht umsonst wird Urban Fantasy häufig im Kontext mit der Postmoderne gesetzt, häufiger noch als Science Fiction und Fantasy selbst. Das Fehlen einer objektiven Wahrheit ist einer der Eckpfeiler dieser Philosophie. An ihrer statt treten eine beliebige Anzahl subjektiver Wahrheiten, von denen manche dominanter sind als andere, aber nicht zwangsläufig wahrer.

Sobald Menschen davon überzeugt sind, ja es gibt Werwölfe, ab da verändern die Werwölfe das soziale Gefüge. Da ist es unerheblich ob es sie wirklich gibt oder nicht, das Resultat ist identisch.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Immortal am 26. Juli 2017, 16:56:48
Ich habe ja im NaNo 2015 selbst an einem Urban Fantasy Roman geschrieben.

Dabei habe ich es tatsächlich so gemacht, dass die fünf Fraktionen (Menschen, Engel, Hexen, Vampire, Werwölfe) schon immer zusammenleben, ja einen eigenen Senat haben, an dem alle Regierungen zusammenkommen. So haben Menschen und Engel im Mittelalter besonders eng zusammen gearbeitet, während Hexen damals die erklärten Feinde waren. Werwölfe leben bei mir am Rand der Gesellschaft, sind zumeist ziemlich kriminell (aber nicht alle), weshalb von vielen einfach alle Werwölfe das Stigmata kriminell verpasst bekommen, einfach nur weil sie ein Werwolf sind. Vampire sind bei mir kulturell sehr interessiert und Hexen mischen ziemlich groß in der Weltwirtschaft mit. Engel halten sich aus allem ziemlich zurück, die sind mehr mit dem Gottproblem beschäftigt, aber zum Beispiel auch gläubig und besuchen gerne Kirchen.
Ich habe durchaus Parallelgesellschaften, es gibt Vampirbars, Werwolfclubs etc., aber es ist nicht verboten als Mensch dorthin zu gehen, man muss eben nur die Kultur mögen.

So, lange Rede kurzer Sinn. Ich bin dieser Diskussion komplett aus dem Weg gegangen, in dem es in meiner Welt schon immer alles gab. Genauso gibt es auch niedere Wesen wie Gargoyles, Ghule, Geister... Und dafür gibt es eben gewissen Jäger bei den Menschen, da sie nicht so viele Fähigkeiten wie die anderen besitzen.  :)

Prinzipiell kommt es glaube ich immer auf den Typ Mensch an. Es gibt ja wirklich Menschen, die an Geister etc. glauben und sich da vielleicht einfacher tun, weil sie esoterisch angehaucht sind. Es kommt denke ich auch immer darauf an, seit wann es das erste "Auftreten" dieses Übernatürlichem gab.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Churke am 26. Juli 2017, 22:16:41
Zitat von: Solmorn am 26. Juli 2017, 14:44:50
Was zur Frage führt: Wie kann etwas objektiv Reales, dessen Existenz nicht von Glauben und subjektiven Vorstellungen des individuellen Betrachters zusammenhängt, gleichzeitig etwas Übernatürliches sein?
Unvollständige Information.
Unser Bild der Wirklichkeit besteht nur zu einem Bruchteil aus selbst Erlebtem oder Erkanntem.
Beispiel: Wir halten die Kugelgestalt der Erde für eine Tatsache. Aber wie viele Menschen sind dazu in der Lage, den Beweis zu führen? Für uns ist die Kugelgestalt Realität, weil wir denen vertrauen, die es uns sagen. Aber was, wenn die Vertrauensleute erzählen, dass die Erde eine Scheibe ist?
Die Scheibe wird zur wissenschaftlich anerkannten Tatsache.  ;D Und wenn sie das erst einmal ist, spielt es auch keine Rolle mehr, wenn jemand den Erdumfang berechnen kann. Man wird den Spinner auslachen.  :pfanne:

Wenn wir etwas nicht selbst erlebt haben - und auch da können wir uns täuschen - richten wir uns nach der Glaubwürdigkeit der Information, und diese richtet sich überwiegend nach der Vertrauenswürdigkeit der Quelle. Den Vampir in der Bild-Zeitung werten wir als Ente, den Vampir in der Tagesschau als sensationelle Entdeckung.
Und wenn sich die UNO mit Vampirrechten befasst, dann gehen wir vielleicht sogar dafür (oder dagegen) auf die Straße.
Aber was ist, wenn die Tagesschau Fake News verbreitet hat?

Noch weitreichender ist das Unterdrücken wahrer Informationen. Was wäre, wenn Vampire existiertet, aber die Tagesschau beschlossen hätte, nicht darüber zu berichten? Einem Menschen, der einen Vampir gesehen hätte, würde man nicht glauben, weshalb der Augenzeuge es klugerweise auch verschweigen würde.
Das sind natürliche gruppendynamische Prozesse. Wenn alle Nazis sind, sind wir auch Nazi. Wenn alle gegen Nazis sind, wir auch gegen Nazis.  ::)

Realitätsmanagement und Spin Doctoring sind wiederkehrende Themen in meinen Geschichten.  ;)
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Soly am 26. Juli 2017, 23:16:51
Zitat von: Churke
Unvollständige Information.
Unser Bild der Wirklichkeit besteht nur zu einem Bruchteil aus selbst Erlebtem oder Erkanntem.

Alles, was wir nicht selbst erlebt, sondern von anderen mitgeteilt bekommen haben, ist nicht mehr nur unsere eigene Wirklichkeit, sondern eine allgemeine Wirklichkeit vieler Menschen.
Tut aber eigentlich nichts zur Sache, wir gehen wohl einfach von leicht verschiedenen Definitionen dieser Begriffe aus...

Das klingt insgesamt alles interessant, aber ich hab irgendwie das Gefühl, dass das nicht so richtig zu der Frage passt, die du eingangs zitiert hast... vielleicht verstehe ich dich auch falsch; kannst du mir nochmal den wesentlichen Kern deines letzten Posts erklären? :versteck:
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Churke am 27. Juli 2017, 00:21:17
Zitat von: Solmorn am 26. Juli 2017, 23:16:51
Alles, was wir nicht selbst erlebt, sondern von anderen mitgeteilt bekommen haben, ist nicht mehr nur unsere eigene Wirklichkeit, sondern eine allgemeine Wirklichkeit vieler Menschen.

Vollkommen korrekt. Aber wer unterscheidet das?
Nach deinem Realitätsbegriff ist ein Dämon erst real, wenn du ihn selbst gesehen hat.
So lange du den Dämon nicht gesehen hast, ist dessen Existenz eine Glaubensfrage.
Aber würdest du ihn überhaupt erkennen?
Und würdest du darüber reden, wenn du dafür ausgelacht würdest?

Multipliziere diese Probleme mit 80 Millionen, und es wird auf einmal möglich, dass es hier und jetzt Dämonen geben könnte, wie es ebenso möglich ist, dass wir überall Dämonen zu sehen glauben, obwohl es keine gibt.

Die Realität ist so verschwommen, dass das Übernatürliche immer Platz hat.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Trippelschritt am 27. Juli 2017, 11:54:54
Da es jetzt langsam philosophisch wird, erweitere ich die Angelegenheit noch ein wenig.

Der Mensch sieht seine Welt nur in einem kleinen Spektrum, den wir sichtbares Licht nennen (so zwischen 300 und 700 nm und noch etwas darüber hinaus.
Der Mensch hört seine Welt nur in einem Bereich von 20 bis 30 000 Hertz. Fledermäuse hören darüber hinaus.
Er riecht ungemein viele Düfte, braucht dafür aber recht hohe Konzentationen. Jede Hundenase ist ihm überlegen.
Er spürt Gravitationsunterschiede kaum, Magnetismus und Radioaktivität gar nicht.
Kurzum: Seine Wahrnehmung der Welt ist höchst begrenzt. Dass er trotzdem in seiner Umwelt überlebt wie andere Tiere auch, liegt daran, dass er sich aus seinen Eindrücken ein Modell für die Welt gebaut hat, das ihm erklärt, was er tun kann und was er besser zu lassen hat. Jeder Mensch hat sein höchstpersönliches Modell. Ob es etwas taugt, merkt man daran, ob er im Leben zurechtkommt. So viel zum Begriff Realität. Es gibt einige wenige Menschen, die sehen die Welt anders. Verzerrt nennen wir das oder in Wahnbildern. Und in der Tat kommen diese Menschen nicht zurecht mit ihrem Leben. Das nennen wir krank.
Aber auch im gesunden Bereich gibt es eine große Bandbreite von Wahrnehmungen und Weltmodellen. Z.B. welche mit Engeln und ohne. In einem Zweig meiner Familie gingen Engel ein und aus und niemand dachte sich etwas Böses dabei. Engel waren Teil unserer Welt.

Was ich mit all dem sagen möchte, ist, dass allein durch die begrenzte und höchst subjektive Wahrnehmung unserer Spezies es eine große Zone gibt, wo sich Realität und Irrealität überlagern. Da gehören auch viele Phobien hin und alte Angstbilder als Vorstufen auf dem Weg zur Phobie, die noch aus der Urzeit der Menschen stammen. Und zuletzt ist alles, was wir wahrnehmen ein Gehirnprodukt und nicht mehr als eine Interpretation von Signalen. Und in diesem Raum der Unschärfe werden Werwölfe, Trollbäume, bösartige Felsen und Ähnliches geboren. Manchmal sind es aber auch nur Versatzstücke aus Erinnerungen, die sich im Lauf der Zeit ständig verändern und nicht konstant sind.

Und deshalb liebe ich fantastische Geschichten so sehr, weil sie von einer Ecke, in der es um Dinge geht, die nicht sind, einen Blick auf den Teil werfen, der ist. Und die Grenze zwischen diesen beiden Teilen gibt es nicht. Es ist ein Übergangsraum, keine Grenze.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Aphelion am 27. Juli 2017, 15:26:15
Zitat von: Churke am 26. Juli 2017, 22:16:41
Unser Bild der Wirklichkeit besteht nur zu einem Bruchteil aus selbst Erlebtem oder Erkanntem.
Beispiel: Wir halten die Kugelgestalt der Erde für eine Tatsache.
Ich muss noch eins draufsetzen.  ;D Das ist übrigens kein Widerspruch zu deinem Posting, sondern eine Ergänzung.

Wir sehen nicht nur einen Ausschnitt, sondern haben auch unsere ganz eigene Verzerrung. Nicht nur bei sozialen Themen (wo sie sicherlich nicht bestritten wird), sondern auch bei physikalischen. Aus der "Sicht" bestimmter Partikel ist die Erde zum Beispiel keine Kugel.

Eine Sichtweise, die zu anthropozentrisch ist, ist problematisch - aber ganz ohne geht es auch nicht bzw. dann müssen Bedinungen definiert werden.

Das bringt mich aber auch wieder zu meiner Sichtweise auf Urban Fantasy: Es ist sowohl möglich, sehr nah an "unserer" Realität zu bleiben, als auch neue Bedingungen zu definieren.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Soly am 28. Juli 2017, 08:38:04
@Churke
Okay, jetzt hab ich es verstanden...
Danke für die Erklärung!
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Tintenteufel am 26. August 2018, 13:10:35
Ich zerr den Thread mal aus der Gruft, weil es mich gerade wieder gestochen hat und die Diskussion doch sehr spannend war.

Erst einmal möchte ich anmerken, dass ich eine der Eingangsfragen für etwas schief gestellt halte und stimme darin sogar mit Churke überein - gasp!  :hmhm?:
Zitat von: Vic am 21. August 2014, 20:25:00
Und da ist meine Frage an euch: Was für einen Durchdringungsgrad haltet ihr für realistisch?

Realismus ist in der Fantasy nicht das A und O, nicht mal in der modernen "Urban Fantasy". Die Trennung zwischen Übernatürlichem und Natürlichem selbst ist ja bis zu einem gewissen Grad schon unrealistisch. Einerseits weil das Übernatürliche ja nur in gegenseitiger Konstitution mit dem Natürlichen abläuft und andererseits die meiste moderne Fantasy sich ja ziemlich unverblümt bei Vorbildern bedient. Es ist schon etwas albern zu behaupten, Vampire und Werwölfe wären allen Menschen völlig fremd, während im Fernsehen Draculafilma von 1922 rauf und runter laufen und jedes Jahr im Oktober zehntausende Menschen sich als Vampir verkleiden.

Die Frage würde ich daher auch nicht zu sehr vereinfachen. Abgesehen davon, dass das natürlich im Ermessen des Autors liegt, spielen da meiner Ansicht nach komplexere Zusammenhänge eine Rolle, die bisher noch etwas kurz gekommen sind.

Erstens ist die Normalbevölkerung, auch im Westen, auch in Großstädten, divers, vor allem was die Neigung zu teleologischem Denken (https://de.wikipedia.org/wiki/Teleologie) angeht. Mehr als zwei Drittel der Amerikaner glauben an die Existenz von Engeln, mehr als drei Viertel an eine höhere Gewalt. Auch in Europa ist zumindest die Zahl mit der höheren Gewalt ähnlich (Eurobarometer 2010: 51% glauben an Gott, weitere 26% an eine höhere Gewalt, Geist, Kraft oder was auch immer). Für einen ziemlich großen Teil der Weltbevölkerung ist das Übernatürliche nicht direkt übernatürlich, sondern eher un-alltäglich. Es existiert, nicht losgelöst vom Leben sondern vom Alltag im Büro.
Klar kann es zu gewalttätigen Reaktionen auf eintretendes Übernatürliches kommen, aber das kann ebenso pro wie kontra sein.

Zweitens halte ich es für viel zu simpel, pauschal "Angst und Verfolgungswut" als Grundeinstellung einer Reaktion anzunehmen. Die Menschen schaffen es, Jeffrey Dahmer Liebesbriefe in den Knast zu schicken, da werden sich genug Leute finden, die noch Teufel höchst persönlich für einen eigentlich ganz netten Kerl halten würden - unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen in der Fiktion. Also ob die Vampire eh eigentlich ganz lieb sind, wie bei Twilight, oder gefräßige Menschenfresser wie bei "The Strain".

Drittens wurde meines Erachtens bislang in der Diskussion die "Burden of Proof" etwas vernachlässigt. Sicherlich, man würde mich für verrückt erklären, wenn ich behaupten würde, die Wiedergeburt von Jesus zu sein - bis ich Wasser in Wein verwandle, Tote wieder auferstehen lasse und HIV und Krebs durch Handauflegen heile. Das sind verdammt überzeugende Argumente, auch in einer mehr oder minder aufgeklärten Gesellschaft. Gerade in einer angeblich empirischen Wissenschaft ist das Unerklärliche ein ziemlich guter Widerspruch gegen gängige Theorien. ("Friss meine nuklearen Wein-Tanspositionskräfte, Masseerhaltungsgesetz!")

Viertens ist das Welt-Konzept aus meiner Sicht ein wenig... Hm. Problematisch. Also ich meine die Idee, dass es einerseits die sterbliche Welt gäbe und andererseits eine versteckte, übernatürliche. Das jetzt akademisch auseinander zu nehmen würde etwas in die Breite gehen - etwa 80 Seiten breit, so lang ist meine Masterarbeit zu dem Thema -  aber das grundlegende Konzept scheint mir da fehlerbehaftet zu sein. Vor allem, weil es bereits von so einer festen Grenze ausgeht, die eben völlig und vollständig voneinander abtrennt. Also das hier die menschenfressenden Vampire in ihrer völligen Isolation leben und dort die normalen Menschen ohne Magie. Wenn die Orte nicht physisch strikt voneinander getrennt sind, als Narnia-Portalwelt z.B., ist das ein ziemlicher theoretischer Sumpf, diese Grenze zwischen Normalwelt und Anderswelt aufrecht zu erhalten. Selbst bei der World of Darkness wird die Brüchigkeit dieser Grenze immer wieder thematisiert und selbst mit Magie ist es echt schwer, so etwas völlig zu verbannen.

Denamios Einwand finde ich da übrigens sehr vernünftig. Ich würde nur anmerken wollen, dass Magie nicht unbedingt Regeln folgen muss. Es kann, denke ich, eine übernatürliche Komponente erzielt werden, indem man sich einer Rationalisierung durch Wissenschaft schlicht verweigert. Die selben Materialien können unter gleichen Bedingungen verschieden existieren und reagieren oder völlig unverständlich sein. Eine Art von magischer Unschärrelation.

In der Philosophie (genauer gesagt der Phänomenologie des Fremden) hat Waldenfels ein interessantes Konzept eingeführt, "die Verordentlichung des Außerordentlichen", das ich für geeigneter halte als das etwas simplistische Romantik-Konzept von Weber. Hauptsächlich, weil Waldenfels von verschiedenen Graden von Fremdheit ausgeht: Außeralltägliches, das innerhalb einer Ordnung liegt, Außerordentliches, das dieser Ordnung strukturell fremd ist, und radikal Fremdes, das völlig unvergleichlich und entrückt ist. Diese Fremdheiten sind natürlich relativ, bezogen auf das jeweils innerhalb der Ordnung stehende Subjekt. Es gibt im menschlichen Sinne kein "reales" Fremdes - was mir fremd ist, ist dem Fremden höchst vertraut. Es lässt sich leicht vorstellen, dass die Elfen in ihrem Portal jenseits der Welt von der Existenz der Menschen genau so geschockt sind, wie anders herum.

Grob gesagt ist die Verordentlichung des Außerordentlichen das Phänomen, bei dem sich die Ordnung umstellt, um das Außerordentliche zu integrieren. Dem gläubigen oder abergläubischen, der immer schon an die Existenz der Magie glaubte, ist Magie nicht unbedingt fremd, sie ist nur anders als seine gelebte Alltagswelt. Der Wissenschaft wird durch das Außerordentliche, d.h. außerhalb des komplexen Theorienetzwerks des 21ten Jahrhunderts stehendes, eine große Aufgabe gegeben. Wissenschaft müsste sich entweder ändern, das Außerordentliche verordentlichen, die Ordnung umstellen und eben nicht nur akzeptieren, dass Magie existiert, sondern auch offenbar bestimmten Theorien widerspricht und diese widerlegt - oder das Außerordentliche auslöschen.
Interessant wird's dann, wenn wir uns das radikal Fremde anschauen...  ;D

Die sich andeutende Debatte um Wahrheit und Realität würde ich mal ausklammern wollen, v.a. im Hinblick auf mögliche soziale Einflüsse auf die Konzeption von "Wahrheit". Das ist eine Schlangengrube an der sich zehntausend schlauere Menschen als wir die Köpfe zerbrechen und die nur relativ am Rande mit der Weltendebatte bei Urban Fantasy zu tun hat. Obwohl der Gedanke, UF als postmodern zu sehen, was hat.

*Natürlich muss man hier bitte im Kopf behalten, dass es um kulturelle Fremdheit geht, die nur mit viel zusammen gekniffenen Augen auf Phantastik übertragen werden kann.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Pandorah am 28. August 2018, 13:22:14
Ich denke nicht, dass es bei Urban Fantasy wirklich darum geht, einen echten Realismus aufzubauen, warum die Menschen und die Gesellschaft nicht wissen, dass es das Übernatürliche gibt. Es geht darum, die Leser*innen dort abzuholen, wo sie sind: Es gibt keine Magie, es gibt keine Elfen, Engel, Dämonen, Vampire, Werwölfe, usw. Und dann den Vorhang beiseite zu ziehen und eben gerade glaubwürdig genug, um den Bühnenzauber nicht zu durchbrechen, zu sagen: "Aber sieh mal, jenseits dem, was du kennst und weißt, gibt es eben doch das Phantastische. Du siehst es nicht, aber wenn du nur ein Quentchen Glück (oder Pech) hast, kannst auch du in einen schillernden Vampir oder einen leidenschaftlichen Werwolf stolpern."

Im Grunde genommen arbeitet Urban Fantasy mit dem gleichen Gedankengut wie Portal Fantasy. Hier gibt es nichts Magisches, aber wenn du durch das Tor trittst, dann hast auch du die Chance, am Ort deiner Sehnssucht zu leben und Abenteuer zu erleben. Als Autor*in nehme ich bei diesen Genres die Leser*innen an die Hand und bezaubere sie mit der Möglichkeit, dass ihnen eben genau das auch passieren *könnte*. Klar wissen 99% der normalen Lesenden, dass das nicht passieren kann und wird. Aber darum geht es nicht, es geht um das "könnte".

Verfolge ich Kriegerin Ronda und Magier Orrak auf ihrer Reise durch Akbarian'ha-Iljáhak, beobachte ich. Lebe und liebe mit ihnen, gerate mit ihnen in Gefahr auf einem unpersönlicheren Level. Begleite ich aber Sophia und Horst, die durch das Portal gestolpert sind oder nach einem Besuch im Night Crawler Club das falsche Getränk serviert bekommen haben und plötzlich Fähigkeiten entwickeln oder damit phantastische Wesen sehen (und damit auch eine Art Portal durchschritten haben), kann mir das in Theorie auch passieren! Wie aufregend! Ich kenne hier und jetzt keine phantastischen Wesen - Sophia und Horst kannten sie bis zu ihrem Schritt durchs Portal auch. Also theoretisch, möglicherweise, eventuell könnte das so passieren.
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: Trippelschritt am 28. August 2018, 14:27:56
Ich habe an der alten Diskussion nicht teilgenommen, aber die Menschen wissen alle, dass es etwas Über- oder Außernatürliches gibt. Wenn es auch nicht alle zugeben. Es gibt genügend Phänomene, die Außerhalb und nicht zugreifbar für wissenschaftliche Erklärungsmodelle sind. Ich lasse dabei einmal offen, ob diese Phänomene alle wirklich sind. Einige sind es bestimmt, und jeder muss damit so umgehen, dass er seinen Seelenfrieden behält. Für mich als Schreiber bedeutet das, dass die Bevölkerung von totalen Agnostikern bis hin zu den albersten Esoterikern und Verschwörungstheoretikern reicht. Und irgendwo in diesem breiten Spektrum gibt es auch welche, die sich für die Durchdringung der beiden Welten des Beweisbaren und des Unbeweisbaren interessiert.

Magie muss nicht wirklich sein, sondern nur plausibel. Für die nötige Plausbilität zu sorgen, ist die Aufgabe des Schriftstellers, wenn er sich denn dieses Thema auf die Fahnen schreibt. Ob ich dabei meine magische Welt in eine ausgedachte vorindustrielle, in den Steam Punk Bereich oder die Neuzeit lege, ist im Grunde genommen egal. Was die Angelegenheit so spannend macht, ist, dass die beiden Welten sich reiben und nicht unbedingt vertragen.

Liebe Grüße
Trippelsshritt
Titel: Re: Urban Fantasy - Reaktionen der Normal-Bevölkerung auf Übernatürliches
Beitrag von: AlpakaAlex am 31. Januar 2019, 10:49:42
Als jemand, der vorrangig Urban Fantasy schreibt, bin ich ja jetzt ein paar Tage um dieses Thema herumgeschlichen.

Es sei dazu gesagt, dass diese ganze Geschichte von Menschen und Magie eine der Sachen ist, die ich an Urban Fantasy so faszinierend finde. Halt der Hauptgrund für mich meistens dieses Genre zu schreiben. Gleichzeitig gibt es sehr, sehr viele Reihen im Genre, wo mich der Umgang mit der Thematik ärgert, weil schnell die Sache mit "Ja, die normalen Menschen sind so dumm, die merken das nicht" oder "Die wollen das gar nicht glauben" abgetan wird. Gleichzeitig ist es allerdings auch sehr, sehr schwer in der modernen Welt damit zu arbeiten, dass wirklich niemand etwas gesehen hat, wo doch tausend Leute wundervolle Kameras in der Hosentasche tragen.

Auf der anderen Seite jedoch: Ich interessiere mich sehr für das Paranormale. Inwieweit ich daran glaube, kann ich selbst nicht sagen, aber es hat zumindest dazu geführt, dass ich in meinem Leben schon hunderte, wenn nicht mittlerweile tausende Videos gesehen habe, in denen man etwas Seltsames sieht. Und entgegen dem allgemeinen Vorurteil, sind auch nicht alle verpixelt. Dennoch ist die allgemeine Einstellung meistens: "Das ist ein Special Effect" oder "Das ist jemand im Kostüm". Kaum jemand glaubt deswegen an Geister oder Bigfoot.

Gleichzeitig gibt es aber auch Gegenden, in denen zumindest bestimmte religiöse Aspekte, mit magischen Auswirkungen, praktisch zum Alltag gehören. Wo man teilweise sogar Magier, die magische Dienste gegen Bezahlung anbieten, wie andere Dienstleister finden kann.

Bei mir ist es daher so, dass es diesbezüglich keine globale Antwort gibt. Es ist innerhalb der einzelnen Länder unterschiedlich, wer aus den magischen Kreisen sich inwieweit zeigt und zeigen darf und wie verhindert wird, dass etwas an die Außenwelt dringt. Dabei kann es durchaus auch sein, dass verschiedene Fraktionen der magischen Community sehr unterschiedliche Ansichten haben, wie das zu tun sei. So haben zum Beispiel die schottischen Magier und die schottischen Werwölfe immer wieder Streit darüber, ob es nun moralisch richtiger sei, Menschen mit Geistesmagie zu manipulieren oder einfach zu töten, damit sie nichts ausplaudern.

Es sei allerdings auch gesagt: Die Regierungen wissen praktisch überall Bescheid - immerhin muss ja auch ein etwaiger Präsident oder ein sonstiges Staatsoberhaupt vor magischen Angriffen geschützt werden. Auch in den Strukturen, die zum organisierten Verbrechen gehören, ist es ein offenes Geheimnis. Es wird nicht drüber gesprochen, aber dass der eine oder andere, den der Chef gerne um sich hat, so ein paar seltsame Fähigkeiten hat, ist bekannt. Man fragt nur einfach besser nicht.

Doch selbst da, wo Geheimhaltung betrieben wird, ist den meisten klar, dass diese Geheimhaltung nicht ewig so weitergehen kann. Deswegen gibt es auch immer wieder Konflikte in der Community, frei nach dem Motto: "Wir haben die Wahl. Entweder wir zeigen uns jetzt, gehen das ganze dabei geordnet und organisiert an, oder es wird irgendwann einen Vorfall geben, den niemand mehr anzweifeln kann und dann werden wir ins Rampenlicht gezwungen."