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Qualitätsanspruch in der Fantasy/Phantastik

Begonnen von Trippelschritt, 23. Oktober 2017, 14:21:13

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Alana

Zitat von: Leann am 23. Oktober 2017, 17:56:50

Für mich bedeutet Anspruch in der Literatur, dass sowohl vom Autor etwas geliefert als auch vom Leser gefordert wird. Anspruchsvoll sind Romane, die ihre Themen innovativ und originell angehen, die keine vorgefertigten, altbekannten Lösungen vorgeben oder Althergebrachtes recyceln, sondern zum Nachdenken anregen. Sie bieten neue Sichtweisen und inspirieren. ... Allerdings können anspruchsvolle Bücher meiner Meinung nach auch sehr unterhaltsam sein. Ich gehe sogar noch weiter und finde, dass sie das sogar sein sollten.

Das hast du echt perfekt ausgedrückt! Genauso sehe ich das auch.
Alhambrana

Aphelion

Zitat von: canis lupus niger am 23. Oktober 2017, 18:26:06
Okay, aber auch Fastfood muss bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, damit es beim Konsumenten nicht zu Leibschmerzen und Erbrechen kommt.  :rofl:
Da stimme ich dir zu, siehe mein erster Absatz. ;)

Trippelschritt

Zitat von: Churke am 24. Oktober 2017, 00:24:13
Zitat von: Trippelschritt am 23. Oktober 2017, 17:14:29
Überraschenderweise habe ich meine weitreichendsten Erkenntnisse bezüglich der Qualität von Romanen in den Hinweisen für Drehbuchautoren gefunden.

Der Film ist ein durchkommerzialisiertes Produkt, bei dem es mehr als irgendwo sonst auf die Verkaufsfähigkeit ankommt. Darum befasst man sich beim Drehbuch mehr also irgendwo sonst mit dem Handwerk der Erzähltechnik. Wenn Millionen im Spiel sind, will man möglichst wenig dem Zufall überlassen.
Aber man kann keine Kreativität lernen, sondern nur, wie man sie umsetzt.

Bei Ratgebern zum Drehbuchschreiben hat es einen Boom gegeben, bei dem - so habe ich den Eindruck - jeder den anderen zu übertreffen versucht. Gut so, Konkurrenz belebt das Geschäft. Bei den allgemeinen Ratgebern für besseres Schreiben ist alles da: vom dicken Wälzer, der stilistische Fragen behandelt und auch noch Reportagen und Essays behandelt, bis zur persönlichen Erfahrung bekannter Schriftsteller. Das ist ein Sumpf. Beim Drehbuchschreiben geht es nur um die Frage: Wie erzähle ich eine Story. Und das ist schon mal die halbe Miete.

Bei Deiner Bemerkung zur Kreativität weiß ich jetzt nicht, ob ich laut applaudieren oder eine Debatte anfangen soll. Ich habe mal den Satz formuiliert: Kreativitätstechniken machen keine kreativen Köpfe, aber alle kreativen Köpfe nutzen Kreativitätstechniken. Und wer in seinem Leben kaum Ideen produziert, wird es schwer haben, jemals einen Roman zu schreiben, der nicht langweilt. Da stehe ich ganz eng neben Dir.
Aber ein Haufen Ideen bringt es auch nicht. Es müssen die richtigen an der richtigen Stelle sein und es müssen zumindest einige dabei sein, die die gängigen Klischees brechen, denn das ist immer eine der Hauptaufgaben beim Schreiben. Den Kampf gegen die Klischees nicht zu verlieren, denn die stecken überall. Und zumindest für das Finden starker Ideen gibt es Techniken und Konzeptionen, die einem autor helfen, mit seiner Intuitioin richtig umzugehen. Das wäre dann der Teil der Debatte.

Aber grunsätzlich stimme ich Dir eher zu, als dass ich eine Gegenposition einnehmen möchte. Oder vielleicht doch? Einfach so aus Spaß am Debattieren?

Liebe Grüße
Trippelschritt

Christopher

Zitat von: Trippelschritt am 24. Oktober 2017, 09:04:12
Aber ein Haufen Ideen bringt es auch nicht. Es müssen die richtigen an der richtigen Stelle sein und es müssen zumindest einige dabei sein, die die gängigen Klischees brechen, denn das ist immer eine der Hauptaufgaben beim Schreiben. Den Kampf gegen die Klischees nicht zu verlieren, denn die stecken überall.

Klingt für mich, als fändest du, dass Klischees etwas schlechtes sind. Zu dem Thema fällt mir der Romananfang eines Harry Potter Bandes ein, den ich mal gelesen habe (das einzige Stück Text von Harry Potter mit dem ich je in Berührung gekommen bin). Mir ist aufgefallen, dass J.K. Rowling absolut JEDES Klischee bediente. Jede Figur und das Setting waren genau so, wie man es erwarten würde, wenn man null Informationen hätte. Der Zauberer hat einen Zauberstab, in dem alten Englischen Zimmer gibt es natürlich einen Kamin, es wird ein typisch englisches Getränk zu sich genommen usw. usf.
Es machte die Vorstellung von dem Raum und den Personen sehr einfach und anschaulich, was definitiv eine gute Sache ist.

Kurz: Klischees in der Story sollte man vermeiden, aber Klischees nutzen um Beschreibungen einfacher und anschaulicher zu machen? Oft eine gute Sache.
Be brave, dont tryhard.

canis lupus niger

@Christopher
Ich hab Trippelschritt so verstanden, dass man nicht NUR Klischees verwenden, sondern sich AUCH durch eigene und orginelle neue Ideen vom gesichtslosen Einheitsbrei abheben sollte.

Trippelschritt

Klischees? Ein Minenfeld. Aber Christopher hat mich schon richtig verstanden. Grundsätzlich ist das Klischee der Hauptgegner eines Autors, der gut und berührend schreiben will. Und dann kommt das dicke Aber.

Zunächst einmal gibt es eine Menge Bücher, die bedienen die Sehnsucht nach Klischees, denn es gibt einen Markt für sie. Alle diese Herz-Schmerz-Liebesheftromane laufen alle nach demselben Schema ab und trotzdem können sie ach so schön sein. Und ich sage das ohne jegliche Ironie. Aber für einen Schriftsteller ist die Wiederholung einer Schablone nicht unbedingt eine Herausforderung. Und wenn er eine eigene Botschaft hat, wenn er ein Stück Leben zeigen will, dann darf er so nicht schreiben. Auch wenn grundsätzlich gilt, dass er alles schreiben darf.

Dann kommt dazu, dass es gar nicht so klar ist, was ein Klischee ist. Klischees entstehen durch Gewohnheiten und können durchaus einmal innovativ gewesen sein. Der Erste schaffte einen Durchbruch mit einer innovativen Lösung und alle anderen taten es ihm nach. Tolkien war großartig. Aber am Ende konnte niemand mehr High Fantasy in Tolkienart mehr sehen. Klischees sind Abkürzungen, die so bekannt sind, dass man keine Überraschung und keine Authentizität mehr erwarten kann. Und deshalb sind sie das Ende jeder guten Schreiberei.

Andererseits muss der Schreiber den Leser dort abholen, wo der sich befindet. Ein Autor kann also nicht jede Erwartung brechen. Aber Archetypen wie der jugendliche Held, der alte Magier etc. sind keine Klischees, sondern feste Erwartungen. Aber ein Elf mit spitzen Ohren ist kein Archetyp, sondern ein Klischee, was man leicht herausfindet, wenn man bei Elfen, Elben, Alben Dietrich von Bern irgendwann bei einem Zwerg landet.

Zu Harry Potter: Mindestens die ersten beiden Bände waren Kinder- oder Jugendbücher. Erst später wurden die Bücher Fantasy-Mainsttream. Kinder haben aber noch kein differenziertes Weltbild, und was für Erwachsene Klischees sind, können für Kinder atemberaubende Neuheiten sein. Deshalb spreche ich auch so gern vom Kampf mit den Klischees. "Alles neu macht der Mai" führt auch nicht zu einem guten Buch, sondern nur zu Durcheinander. Das macht es auch mit der Diversität so schwierig. Kaum einer weiß noch, dass Ursula LeGuin bereits 1970 ihrem Helden in der Erdseetrilogie einen dunkelhäutigen Helden eingeführt hat. Man liest einfach darüber hinweg, weil es auch in dem Setting nichts Besonderes und schon gar kein Problem war. Sie hat versäumt ihm einen rot-, gelb-, grün- oder andershäutigen Spieler gegenüberzustellen. Aber Diversifikation war auch nicht ihr Hauptthema, sondern ihr ging es um die Auseinandersetzung mit dem Ich.

Wie gesagt: Minenfeld!
Liebe Grüße
Trippelschritt

Nolgar

#21
Elfen haben nun mal spitze Ohren und Zwerge lange Bärte. Jeder weiß das und jeder erwartet es. Wenn das nicht so ist, fliegt das Buch ins Eck oder wird erst gar nicht verlegt. Jedes Genre hat nun mal seine Schablonen, die es zu bedienen gilt. Natürlich kann ein Autor innovativ sein und über kurzohrige Elfen und bartlose Zwerge schreiben, aber ob das dann jemand liest?

Trippelschritt

Ich denke schon, auch wenn Riesenzwerge wenig Sinn machen. Aber es gibt genügend Elfenbilder aus der Zeit vor Tolkien. Man muss in diesem Fall nur die Verbindng zu der alten Märchenwelt herstellen. Der Rest ist dem Geschick des Autors überlassen und wie er die Elfen einführt. Tolkiens Elfen leben im Wald. Ich könnte meine Elfengeschichte im Bergland spielen lassen wo alle Figuren stämmig verknotet und kurzohrig sind und mich dann langsam an eine Differenzierung wagen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Churke

Das Klischee verhält sich zum Topos wie nuttig zu sexy.  ;)

canis lupus niger

#24
Zitat von: Nolgar am 25. Oktober 2017, 08:54:54
Elfen haben nun mal spitze Ohren und Zwerge lange Bärte. Jeder weiß das und jeder erwartet es. Wenn das nicht so ist, fliegt das Buch ins Eck oder wird erst gar nicht verlegt. Jedes Genre hat nun mal seine Schablonen, die es zu bedienen gilt. Natürlich kann ein Autor innovativ sein und über kurzohrige Elfen und bartlose Zwerge schreiben, aber ob das dann jemand liest?
Bei Tolkien haben die Elben keine spitzen Ohren, aber der Herr der Ringe hat sich trotzdem ganz erfolgreich verkauft. Die spitzen Ohren werden in den Filmen nur verwendet, um Elben von den Menschen optisch unterscheidbar zu machen. Und seitdem weiß "jeder", dass sie so aussehen und übernimmt das Merkmal auch in entsprechende Bücher. So zum Beispiel in Gaymanns "Sternwanderer".  ;D Manche Klischees sind relativ jung.

Zitat von: Trippelschritt am 25. Oktober 2017, 09:40:37
[...] auch wenn Riesenzwerge wenig Sinn machen.
Ich glaube mich zu erinnern, dass in der Shannara-Buchreihe von Riesenzwergen die Rede ist.  :hmmm:

Vieles, was wir heute für Topoi halten, sind tatsächlich, wie @Trippelschritt ja bereits geschrieben hat, moderne und gar nicht so allgemeingültige Klischees. Und manches, was einem Leser einer jüngeren Generation großartig und innovativ erscheint, wurde bereits 30 Jahre zuvor von anderen Autoren kreiert (so wie beispielsweise Drachen, die sich beim Schlüpfen lebenslang an ihren zukünftigen menschlichen Partner binden von Anne McCaffrey zuerst und dann Jahrzehnte später von Christopher Paolini verwendet wurden).

Klischees helfen beim Schreiben, weil sie es dem Autor ersparen, das umständlich zu beschreiben, was ja "jeder weiß". Aber die höhere Kunst ist es, etwas Eigenes zu schaffen und in den Köpfen seiner Leser zum Leben zu erwecken.

Churke

Zitat von: canis lupus niger am 25. Oktober 2017, 13:10:50
(so wie beispielsweise Drachen, die sich beim Schlüpfen lebenslang an ihren zukünftigen menschlichen Partner binden von Anne McCaffrey zuerst und dann Jahrzehnte später von Christopher Paolini verwendet wurden).

Das ist kein Klischee, das machen Gänse genauso.  :engel:

canis lupus niger

Nur bis sie groß sind, Churke. Und nicht lebenslang mit telepathischer Verbindung.

FeeamPC

Ich finde, Qualität gibt es selbst bei Groschenromanen.
Woran mache ich Qualität fest?
1. Handwerklich: Das Ding sieht gut aus, ist ordentlich verarbeitet, anständig lektoriert und korrigiert, hat einen gut lesbaren, gefälligen Satzspiegel.
2. Inhaltlich: Das Buch hat eine Geschichte, die in sich rund ist und für den zu erwartenden Leser sowohl verständlich ist als auch eine zufriedenstellende Handlung und einen zufriedenstellenden Schluss hat. Und falls es ein Sachbuch ist, ist es sauber recherchiert und verständlich geschrieben.
Qualität ist immer relativ. Aber sie ist eben nicht nur in höherer Literatur zu finden.

Etwas anderes ist es wenn Sprachqualität ins Spiel kommt, wenn ich einen Autor habe, der virtuos mit der Sprache spielen kann.
Das ist dann wieder ein Kapitel für sich.

Coppelia

#28
Edit: Ich Doofie, ich hab hier die ganze Zeit über Anspruch geschrieben und nicht über Qualität. Qualität würde ich noch mal als etwas ganz anderes betrachten als Anspruch. Entschuldigung! Aber meinen Text über Anspruch lasse ich trotzdem stehen. ;)

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Ich habe die Diskussion natürlich auch verfolgt, weil "Anspruch" sowas wie meine Nemesis ist, meine Hassliebe.

Ich würde Anspruch in der Fantasy nicht von Anspruch in anderen Genres trennen.

Für mich bedeutet Anspruch ungefähr:Das Buch verlangt vom Leser Anstrengung. Ganz unabhängig davon, ob sich der Leser anstrengen möchte. Welche Form von Anstrengung, ist unterschiedlich. Sei es Anstrengung dabei, den Text im Detail oder in seiner Gesamtheit zu verstehen, sprachlich oder inhaltlich, oder die Notwendigkeit, gewohnte Denkpfade zu verlassen, liebgewonnene Überzeugungen zu überdenken, sich Schrecklichem zu stellen, sich ganz was Verrücktes vorzustellen, ... es sind sehr viele Möglichkeiten denkbar.
Je mehr der Leser Lust auf diese spezielle Anstrengung hat, desto mehr sind Leser und Buch kompatibel. Wird die Anstrengung gut gemeistert, ist das Leseerlebnis vermutlich eher positiv. Der Leser hat sowas wie ein Erfolgserlebnis und hat vielleicht etwas Neues gelernt. Ist die Anstrengung aber zu groß, "verliert" das Buch den Leser. Konnte ich in der Schule oft beobachten.
Deshalb ist die Leserschaft anspruchsvollerer Bücher tendenziell kleiner. Man liest ja normalerweise, um sich zu entspannen, und nicht als Herausforderung.
Man kann den Anspruch auch geschickt verpacken, sodass er dem Leser nicht so ins Auge springt und die Anstrengung, die er möglicherweise leistet, für ihn selbst nicht erkennbar wird. Darin bin ich leider nicht gut.

Anspruch kann Mainstream sein; das sehe ich allerdings in der Fanatsy eher nicht. Aber es gibt ja oft so Kultur-Zeug, das als anspruchsvoll gilt und es womöglich auch ist und von vielen Menschen konsumiert wird. ;D

Lightnik

Hallo zusammen,
Ich hoffe, dieser Thread ist noch aktuell genug, um mich hier zu beteiligen bzw. erlebt ein Revival.
Ich habe eine konkrete Frage: Ist es (angebrachte/vom Leser geforderte) Qualität, wenn ich möchte, dass meine Fantasy-Geschichten mehr oder weniger realen "Gesetzen" unterliegen?

Beispiel:
In einer Geschichte hätte ich gern 3 Monde eingebaut, weil das einfach ein starkes Bild ergibt. Aber noch bevor ich davon schrieb, fragte ich mich "Geht das überhaupt? Behindern sie sich nicht gegenseitig in Umlaufbahn/Schwerkraft? Was ist mit den Gezeiten?" Eine kurze Recherche ergab, dass dieser Weltenbau nicht ohne Weiteres möglich bzw. realistisch wäre (sofern alle Monde mindestens so groß sein sollen wie unserer).

Eine Freundin meinte dazu: "Das ist dämlich! Du bist Autorin von Fantasy. Wenn du willst, dass es 3 Monde gibt, schreib das! Ist doch völlig egal, ob das geht"

Was meint ihr? Wie viel Logik/Realismus brauche ich, um Qualität zu liefern? Wie viel ist gefordert?

Bin gespannt auf eure Antworten, vielen Dank schon mal dafür!  :jau: