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Märchenadaptionen - Toller Trend oder zu viel des Guten?

Begonnen von Silvia, 28. September 2017, 14:07:56

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Evanesca Feuerblut

@Aphelion "Wolfsfrau" nicht, aber ich hatte mal ein Buch für die Uni gelesen, das zwar nicht nur Märchen behandelt hat (es kam auch Shakespeares "King Lear" am Rande vor), aber auch in die Richtung ging, nur ohne den Ratgeberaspekt. Ich müsste den Titel nur wieder heraussuchen.
Sowas finde ich immer sehr interessant, auch psychoanalytische Deutungen von Märchen. (Wobei da zu den Grimm'schen mehr publiziert wurde als zu den russischen oder ich finde es nicht).

Dieses Herausholen der alten Intentionen und DIE noch mal zu reflektieren, ist auch ein Grund für mich gewesen, mit den Adaptionen anzufangen. Falls ich je Dornröschen adaptiere, wird das alles, nur nicht romantisch.

Mindi

Prinzipiell mag ich Märchen sehr gerne, auch viele der (alten, vorwiegend DDR-Tschechische) Verfilmungen. Gelesen habe ich erst eine wirkliche Märchenadaption - und die mochte ich nicht. Vielleicht schrecke ich deshalb auch etwas davor zurück.

Was ich jedoch sehr interessant finde, ist, wenn ein Buch von einem Märchen inspiriert ist und man es letztendlich nichteinmal merkt, außer man wird mit der Nase darauf gestoßen.

Spontan fallen mir dazu die Bücher von Sarah J. Maas ein.
Die eine Reihe "Throne of Glas" ist von Aschenputtel inspiriert. Das ist jedoch kaum merklich, aber sie hat es selbst einmal irgendwo geschrieben. Sie wollte wissen, was passieren würde, wenn Aschenputtel kein normales Mädchen, sondern eine Assasinin wäre, die auf den Ball des Prinzen gehen soll, um ihn zu töten. Fand ich sehr spannend (zumal diese Grundsätzliche Idee zur Geschichte erst in 3. oder 4. Buch der Reihe aufgegriffen wird.) Die andere Reihe von Maas "A Court of Thorns and Roses" ist merklich von "Der Schönen und das Biest" inspiriert, wendet sich aber auch deutlich davon ab, außer dass das Grundidee im ersten Band hin und wieder deutich erkennbar ist.
Das war eigentlich das erste Mal in den letzten Jahren, dass ich (unbewusst) auf eine Märchenadaption gestoßen bin, wenn man es so nennen kann.
"When we are asleep in this world, we are awake in another." - Salvador Dalí

canis lupus niger

#17
Meine Meinung dazu ist zwiegespalten. Moderne Märchenadaptionen mag ich, wenn es Märchen (oder märchenhafte Geschichten) bleiben, auch wenn die Erzählungen in ein anderes Setting verlagert werden (egal jetzt, welchen Genre). Oder wenn eine Grundidee in moderneren Geschichten aufgegriffen wird. Die Harry-Dresden-Reihe gefällt mir z.B. diesbezüglich ganz gut. Auch beim "Hexer" Geralt von Riva" werden traditionelle mittel- und osteuropäische Märchen in den kulturellen und historischen Hintergrund des Settings auf angenehme Weise eingebaut.  Und die Anthologien "Grimms Märchen Update 1.1" und folgende von Machandel finde ich teils zum Brüllen komisch.

Was ich aber überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn traditionelle Sagen, Märchen und reale historische Persönlichkeit für Action-Metzel-Abenteuer à la "Hänsel und Gretel - Hexenjäger" oder "Abraham Lincoln als Vampirjäger" stillos verwurstet werden. Auch die Fernsehserie "Grimm" geht da schon an die Grenzen meiner Toleranz, je weiter sie voranschreitet, desto mehr.

Vielleicht könnte ich als mein Kriterium nennen, dass ich die traditionellen Märchen etc. bei einer Adaption mit Respekt verwendet sehen möchte, damit es mir gefällt. Ich weiß aber, dass das absolut Geschmackssache ist und viele das anders sehen als ich.

Blu_Ravn

Ich habe mal bei einer Anthologier mitgemacht, bei der man Märchen neu erzählen sollte. Mittlerweile finde ich aber auch, dass es das echt häufig gibt, momentan ...

Als ich mal für meinen Sohn eine Märchensammlung bei Amazon heruntergeladen habe, habe ich entdeckt, wie viele Märchen es gibt, die gar nicht bekannt sind. Davon könnte man sicherlich mal eins nehmen und umschreiben - merken bestimmt nur wenige, dass es das schon mal gab.

Pandorah

@Blu_Ravn Hast du mir mal einen Linkd zu der Sammlung? :D Das klingt gut.

Blu_Ravn

Da gibt es ziemlich viele zur Auswahl, ich habe das hier gemeint:
https://www.amazon.de/Das-gro%C3%9Fe-M%C3%A4rchenbuch-Illustrierte-%C3%BCberarbeitete-ebook/dp/B008ENGJBY/ref=sr_1_4?ie=UTF8&qid=1506710134&sr=8-4&keywords=kindle+m%C3%A4rchenbuch

Da sind z.B. Märchen wie "Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst" oder "Von der Serviette, dem Tornister, dem Kanonenhütlein und dem Horn" dabei  :hmmm: :rofl:

Fledermaus

Interessanter Thread! Ich gebe mal kurz meinen Senf dazu ... Ich liebe Märchen und ich mag auch Märchenadaptionen oft sehr gerne, vor allem wenn sie ins Düster-Surreale umschwenken. Mir kommt auch vor, die Märchenadaptionen nehmen zur Zeit zu. Ich beschwere mich darüber auf keinen Fall, weil ich es wirklich gerne lese.

Ich habe da auch mal eine wirklich äußerst interessante Vorlesung dazu besucht. In dieser Vorlesung ging es auch viel um die "Ursprünge" von Märchen und man glaubt heutzutage fast nicht, wie grausam manche Märchen eigentlich in ihren Ursprüngen waren. Das Märchen von Dornröschen, das heutzutage vielleicht romantische Gefühle und Erinnerungen an die Kindheit wachruft, als die Eltern aus dem Märchenbuch vorgelesen haben, behandelt in der ersten niedergeschriebenen Fassung z.B. eine lupenreine Vergewaltigung. Ein anderes richtig "grausames" Märchen, das mir spontan einfällt ist "Von dem Machandelboom". Da bringt die Stiefmutter ihr ungeliebtes Stiefkind um und setzt es der Familie zum Abendbrot vor.

Also eigentlich kein Wunder, dass mich die düsteren Adaptionen mehr ansprechen ;D

Aber jedenfalls, um nochmal auf diese wirklich spannende Vorlesung einzugehen (bzw. auf das, was ich davon mitgenommen habe): Märchen sprechen uns meiner Meinung nach so sehr an, weil da (finde ich) in intertextuellen Verwebungen die gesamte Geschichte der Menschheit behandelt wird. Die Ursprünge unserer heutigen Volksmärchen sind unglaublich alt und in der Märchenforschung wird dann oft versucht, die wirklichen Ursprünge herauszufinden. Da möchte ich gerne kurz die Mythemtheorie erwähnen: Ein Mythem ist quasi für Märchen oder für Mythen, was für die Linguistik ein Morphem ist (oder, meine eigene Interpretation, für Menschen ein Gen ist). Fundamentale Elemente, die in einem narrativen Netz weitertradiert werden und das über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg. Alles beeinflusst sich gegenseitig und alles lebt in gewisser Weise weiter. Die alten Geschichten haben also längst ein Eigenleben und das schon seit sehr langer Zeit. Finde ich unglaublich spannend! Und ich sage auch mal, kein Wunder, dass das die Leute fasziniert.

Aber: Ich glaube, ich könnte das nicht, also eine Märchenadaption schreiben. Einerseits lebe ich dafür zu sehr in meiner höchstpersönlichen Fantasiewelt, andererseits hätte ich panische Angst, diese alten Mytheme zu "entehren". Weil das ist schon etwas, das mich stört: Wenn Märchen adaptiert werden, ohne dass die Autoren oder Autorinnen sich wirklich mit Ursprüngen beschäftigt haben. Wie oben schon angesprochen: Dornröschen als romantische Kitschgeschichte funktioniert für mich einfach nicht. Das wird unglaublich zynisch, wenn man um die Hintergründe weiß.

Etwas anderes ist für mich, wenn nur Elemente eines Märchens hergenommen werden. Da berufe ich mich wieder auf die Mythemtheorie und meine: Das kann man eigentlich überhaupt nicht vermeiden. In jeder Geschichte steckt ein Stück Märchen. In jedem von uns steckt ein Stück Märchen. Das können wir gar nicht vermeiden, wir sind alle viel zu sehr in diesem narrativen Netz gefangen, das in uns weiterlebt.

So, das ist jetzt fast ein Aufsatz geworden ;D Aber vielleicht ist es ja ganz spannend zu dem Thema.


FeeamPC

Ha! Das von dem Machandelboom, das ist sozusagen das Stamm-Märchen meines Verlages. Und ich habe mehrere Märchen-Adaptionen im Verlagsprogramm, bislang wurde das von den Lesern sehr gut akzeptiert (bloß, dass ich dafür halt zu wenig Leser habe, weil der Verlag einfach noch zu klein und unbekannt ist.)
Und ich muss sagen, ich liebe Märchen-Adaptionen. Allerdings auch nicht weichgespült.

Silvia

Oha ... Dornröschen und Vergewaltigung ... bei meiner gestrigen Suche nach "irgendwas in Richtung 'Wasser des Lebens'" in meinen alten Märchenbüchern stieß ich auf eine dieser 3-Prinzen-suchen-was-der-Jüngste-findets-Geschichten, wobei der Jüngste da u.a. in ein Schloß kommt, wo er eine schlafende Schöne findet, mit der er "sich vermählt, während sie schlief". DAS ist doch mal ein positiver Held!  :nöö:  :brüll:  :hmhm?:

Pandorah

@Blu_Ravn Danke! :vibes: Ich liebe Märchenadaptionen und lasse mich gerne inspirieren!

Zit

Hm, ich frage mich gerade, ob es die "ursprünglichen" Fassungen zu besorgen gibt? Projekt Gutenberg hat, glaube ich, auch die geschönten Fassungen, wenn ich mich nicht irre.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

July

Ganz kurz hierzu:

Zitat von: Silvia am 28. September 2017, 14:07:56
oft drängt sich mir bei den Klappentexten der Eindruck von "Hauptsache Lovestory ist drin!" mit auf.

Diesen Eindruck habe ich, bezogen auf phantastische Literatur, schon seit gut zehn Jahren. Gefühlt hat alles mit der Twilight-Welle angefangen und seit dem gibt es kaum ein Fantasy-Buch mit weiblicher Heldin, die sich nicht unsterblich in einen überaus gut aussehenden Burschen verliebt. Nicht, dass es mich sonderlich stören würde. Ich mag Romantik. ;D

Zum eigentlichen Thema kann ich aber gar nicht allzu viel sagen. Ich habe noch nie bewusst eine Märchenadaption gelesen und bin auch sonst nicht allzu bewandert in dem Gebiet. Dass der Trend auf dem Buchmarkt zum Märchen geht ist mir allerdings auch schon aufgefallen.

Selbst könnte ich sowas auch nicht schreiben. Zum einen würde ich mich von der Vorlage selbst zu eingeengt fühlen. Und zum anderen hätte ich stets das Gefühl, ich müsse bestimmte Erwartungen erfüllen, da die potentiellen Leser sehr wahrscheinlich auch die Märchenvorlage kennen und dementsprechend bereits eine gewisse Vorstellung von meiner Adaption haben. Im Endeffekt habe ich mich für Fantasy als "mein" Genre entschieden, weil ich hier ein wenig freier bin als in zeitgenössischen oder gar historischen Settings. Diese Freiheit würde ich wieder aufgeben, würde ich eine Märchenadaption schreiben (zumindest fühlt sich der Gedanke so an).

Fianna

#27
In jedem phantastischen Subgenre gibt es doch bestimmte Stereotypen. Die meisten Autoren lieben es, mit diesen Stereotypen zu spielen, sie aufzubrechen und etwas anderes daraus zu formen, oder sie ins Gegenteil zu verkehren.
Inwiefern unterscheidet sich das also von der "Vorgabe" eines Märchens? Auch da ist man doch ziemlich frei, dies ins Gegenteil zu verkehren (was ist, wenn eine Prinzessin den Prinz rettet? Wenn man das Ganze in ein modernes Setting pflanzt oder mit einem Krimi mixt? Was passiert, nachdem Rapunzel gerettet wurde?)
Nichts anderes macht man doch, wenn man eine Märchenadaption schreibt. Auch da gibt es eine stereotype Vorlage, ein bestimmtes Setting, eine Genre-Erwartung, mit der man spielt, die man verdreht, umkehrt oder in ein anderes Genre pflanzt.
Oder etwas vollkommen Seltsames draus macht.

Eigentlich warte ich noch auf eine apokalyptische Zombie-Version eines Märchens. Pride and Prejudice wurde schon mit Zombies gemixt, warum nicht ein Märchen? Dieser stereotyp der unsterblichen, blinden Liebe bietet das doch geradezu an.

July

Zitat von: Fianna am 30. September 2017, 03:08:10
In jedem phantastischen Subgenre gibt es doch bestimmte Stereotypen. Die meisten Autoren lieben es, mit diesen Stereotypen zu spielen, sie aufzubrechen und etwas anderes daraus zu formen, oder sie ins Gegenteil zu verkehren.
Inwiefern unterscheidet sich das also von der "Vorgabe" eines Märchens? Auch da ist man doch ziemlich frei, dies ins Gegenteil zu verkehren (was ist, wenn eine Prinzessin den Prinz rettet? Wenn man das Ganze in ein modernes Setting pflanzt oder mit einem Krimi mixt? Was passiert, nachdem Rapunzel gerettet wurde?)

Vielleicht fühlt es sich für mich nach Unterschied an, weil ich nicht eine von den angesprochenen "meisten Autoren" bin, die bewusst mit Stereotypen spielt. Wenn ich Figuren und Geschichten erschaffe, dann so, wie sie mir in den Sinn kommen. Wenn dabei Stereotypen bedient werden, meinetwegen. Wenn Klischees ins Gegenteil gewandelt werden, auch gut. Aber ich habe weder das Bedürfnis, die entstandenen Stereotypen aufzubrechen, noch mit voller Absicht welche einzubauen.

Trotzdem würde ich auch objektiv betrachtet sagen, dass eine Märchenadaption ein sehr viel engeres Korsett darstellt, als es ein ganzes Genre tut. Zumindest, wenn man unter "Märchenadaption" versteht, dass auch wirklich mit der Vorlage (zum Beispiel das von dir angesprochene Rapunzel) gearbeitet wird und man sich nicht einfach nur einzelner märchenhafter Elemente bedient.

Nehmen wir mal Fantasy und den Herrn der Ringe als Beispiel, um das etwas besser zu erläutern: Ein Fantasy-Roman kann einzelne Elemente aus dem Herrn der Ringe enthalten, kann mit diesen spielen oder sie ins Gegenteil verkehren. Dadurch wird der Roman aber nicht automatisch zu einer Adaption. Um eine waschechte Adaption zu schreiben, müsste man sich eingehend mit den tragenden Figuren, sowie der Geschichte des Herrn der Ringe auseinandersetzen und diese in eine eigenständige Geschichte umwandeln.

Eine Adaption zu Der Herr der Ringe hat also wesentlich enger geschnürte Vorgaben als ein Fantasy-Roman. Genauso hat eine Märchenadaption enger geschnürte Vorgaben als ein märchenhafter Roman.

Aber wie schon gesagt, das Gefühl der Einschränkung ist sehr subjektiv. Wenn andere dieses Gefühl nicht haben und dadurch tolle Geschichten schreiben können, umso besser. ;D

canis lupus niger

#29
Zitat von: Silvia am 29. September 2017, 23:20:19
[...] stieß ich auf eine dieser 3-Prinzen-suchen-was-der-Jüngste-findets-Geschichten, wobei der Jüngste da u.a. in ein Schloß kommt, wo er eine schlafende Schöne findet, mit der er "sich vermählt, während sie schlief". DAS ist doch mal ein positiver Held!  :nöö:  :brüll:  :hmhm?:

Ha, hast Du mal die Geschichte des "Helden" Siegfried/Sigurd aus der Niebelungensage richtig gelesen? Ein frauenverachtender Betrüger, Mörder und Vergewaltiger wie aus dem Bilderbuch. Aber das ist hier ein bisschen OT. Helden dieser Sorte findet man bestimmt in vielen Geschichten. Kommt halt immer darauf an, wer diese Geschichte erzählt, und wie er es macht.