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Märchenadaptionen - Toller Trend oder zu viel des Guten?

Begonnen von Silvia, 28. September 2017, 14:07:56

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Silvia

In den letzten Monaten sind mir jede Menge Märchenadaptionen auf dem Buchmarkt aufgefallen. Ob nun Selfpublisher oder Verlag mit Anthologien oder gar Romanen - nach den Einhörner springen, so scheint es, jetzt alle auf das Märchenpferd.

Ich muss gestehen, ich habe bisher noch nicht so recht zugreifen wollen. "Die 13. Fee", auch so eine böse-Fee-Dornröschen-Geschichte, hat mich jetzt nicht so mitgerissen und oft drängt sich mir bei den Klappentexten der Eindruck von "Hauptsache Lovestory ist drin!" mit auf. (Hauptthema schmachtendes-Mädchen/totalsympathischer oder anfangs miesgelaunter, aber immer top-aussehender Prinz? - Weiche von mir!  ;D ) Irgendwie habe ich auch ein wenig Angst, mir altgeliebte Geschichten durch weichgespülte, vermodernisierte Love-Story-Märchen zu vermiesen.  ;D Vielleicht bin ich aber auch einfach ARD-ZDF-geschädigt, von den ganzen neuen Märchenfilmadaptionen, die ich größtenteils zum Weglaufen überzogen finde  :hmmm:

Habt ihr schon mal mit dem neuen Trend mitgelesen oder gar mitgeschrieben? Mögt ihr neue Märchennacherzählungen?
Bietet einem das etwas Interessantes und Neues - als Leser oder Schreiber - oder ist das nur ein Aufguss des Altbekannten (ein besserer oder gar schlechterer)?


PS an die Admins: Ich fürchte, das ist doch eher ein Thema für die Fantasy-Sektion gewesen ... falls ihr das auch so seht, könnt ihr bitte einfach rüberschieben? Danke!

Maubel

Also da kann ich als Mitglied der Tintenzirkeleigenen Märchenspinnerinnen natürlich nur eine Lanze für Märchenadaptionen brechen. Die kamen übrigens nicht vor den Einhörnern, sondern parallel, bzw. im englischsprachigen Bereich sind sie schon lange ein Trend und da gibt's auch einige schöne. Wir als Gruppe haben ja nun unsere modernen Märchenadaptionen rausgebracht, nicht zwingend mit Liebesgeschichten, eigentlich eher weniger, dafür mit aktuellen Problematiken.

Mir macht es Spaß, Märchen neu zu beleben oder etwas neues zu interpretieren. Allein die Aschenputtelthematik gibt's ja in unzähligen Werken umgesetzt. Steht nur nicht immer Märchenadaption drauf. Der Reiz an Märchenadaptionen ist, dass man dieses märchenhafte drin hat und gleichzeitig eine oft tiefgründigere Geschichte schreibt/liest. Klar, klappt nicht bei allen, aber die meisten Märchen zu Hause haben von Charakterentwicklung auch noch nie was gehört ;) Märchenadaptionen machen mich neugierig, aber wie bei allen Büchern gibt es gute und schlechte. Nora Bendzkos Galgenmärchen finde ich zum Beispiel sehr gut und interessant umgesetzt. Fallen Queen hatte ich letztens abgebrochen, da das Buch sich wie eine Rohfassung las und mich überhaupt nicht mitnahm.

Silvia

#2
Tintenzirkeleigene Märchenspinnerinnen? So was gibt's? Was macht ihr und wo?

Klärt uns auf!  :D


Waldhex

Die Märchenspinnerinnen vom Tizi haben aktuell den achten Band veröffentlicht.
Bei meinem Buch "Kein Schnee im Hexenhaus" gibt es gar keine Lovestory. Bei den anderen schon. Allerdings werden bei unseren Adaptionen Themen wie Cybermobbing, Rassismus, Drogenmissbrauch, PTBS und ähnliches thematisiert. Also trotz Lovestory sicherlich nichts Weichgespültes. Auch für die Krimifraktion haben wir mit "Meerschaum" was dabei.
Das Hexenhaus hält sich ziemlich dicht an die Vorgabe von Hänsel und Gretel, andere Adaptionen sind wesentlicher freier, von daher würde ich nicht sagen, dass es einfach ein neuer Aufguss ist.
Wenn es Dich interessiert, kannst Du ja mal auf www.maerchenspinnerei.de vorbeischauen, oder auf unserer facebook-Seite.

Das was Du ansprichst, gibt es aber sicherlich auch. Ich selbst habe allerdings noch nichts davon gelesen (die 13. Fee ist allerdings auf meinem Kindle). Nur eine weichgespülte Lovestory würde ich persönlich auch nicht lesen wollen.

Maubel

Zitat von: Silvia am 28. September 2017, 14:45:58
Tintenzirkeleigene Märchenspinnerinnen? So was gibt's? Was macht ihr und wo?

Klärt uns auf!  :D

Es hat sich vor etwas mehr als einem Jahr eine Plotgruppe gebildet: Die Märchenspinnerei. Seit Februar veröffentlichen wir je eine Märchenadaption und unterstützen uns gegenseitig in Lektorat, Korrektorat, und vor allem Marketing. Und unser Motto sind eben "Alte Märchen in neuem Gewand". Waldhex hat ja schon die Webseite verlinkt.

Silvia

Ich hab da auch immer so eine kleine Stimme im Hinterkopf, die dann gerne sagt: "Jetzt nehmen sich alle Geschichten, die schon da sind, puffern die auf und machen sie zu Geld. Fällt den Autoren denn nichts eigenes mehr ein?"  ;D (quasi eine andere Variante von Fan Fiktion ... die ich ja eigentlich selber schreibe, vor allem wenn mir die Plotlöcher zu groß sind)

Also ihr meint, man kann solchen Sachen auch mal wirklich Unterbau und Inhalt zutrauen?
Muss mir eure Seite demnächst mal angucken.  :D

Silvia

Zitat von: Maubel am 28. September 2017, 14:41:12
die meisten Märchen zu Hause haben von Charakterentwicklung auch noch nie was gehört ;)


Oh, da fallen mir spontan aber gleich jede Menge von diesen russischen oder usbekischen ein, wo immer der Jüngste von drei Brüdern als Dummkopf verschrien ist, trotzdem alle Aufgaben mit Bravour löst und auf dem Weg zum Ziel ständig von seinen missgünstigen Brüdern umgebracht und von seinen Hilfskräften (wahlweise Wolf oder Vogelviech) wieder zum Leben erweckt werden musste. Und ich als Kind saß immer davor und hätte die zwei Älteren zu gerne mal zurechtgeschüttelt, was ist denn bei euch schiefgelaufen, Leute?

Jetzt bringt mich bloß noch auf Ideen hier!  :hmmm:

Waldhex

Zitat von: Silvia am 28. September 2017, 14:58:45
Zitat von: Maubel am 28. September 2017, 14:41:12
die meisten Märchen zu Hause haben von Charakterentwicklung auch noch nie was gehört ;)

Jetzt bringt mich bloß noch auf Ideen hier!  :hmmm:

Gerne doch.  :engel:
Der aktuelle Band Zarin Saltan beruht übrigens auf einem russischen Märchen.

Maubel

Och, da ist schon viel eigenes dabei. Also kommt natürlich drauf an. Es gibt ja doch sehr verschiedene Märchenadaptionen - die habe ich mal grob in fünf Kategorien in diesem Blogartikel einsortiert. Aber das Eigene würde ich den Adaptionen nicht per se absprechen. Da sind doch meist sehr schöne Ideen dabei, die fernab einer aufgefüllten Nacherzählung sind.

Aber wie gesagt. Manche haben den Unterbau und Inhalt (ich würde natürlich sagen mein Buch trotz einer Lovestory auch ;)), aber es gibt auch die Trendaufspringer. Wobei die dreizehnte Fee ja wohl auch schon länger draußen ist.

Zitat von: Silvia am 28. September 2017, 14:58:45
Zitat von: Maubel am 28. September 2017, 14:41:12
die meisten Märchen zu Hause haben von Charakterentwicklung auch noch nie was gehört ;)


Oh, da fallen mir spontan aber gleich jede Menge von diesen russischen oder usbekischen ein, wo immer der Jüngste von drei Brüdern als Dummkopf verschrien ist, trotzdem alle Aufgaben mit Bravour löst und auf dem Weg zum Ziel ständig von seinen missgünstigen Brüdern umgebracht und von seinen Hilfskräften (wahlweise Wolf oder Vogelviech) wieder zum Leben erweckt werden musste. Und ich als Kind saß immer davor und hätte die zwei Älteren zu gerne mal zurechtgeschüttelt, was ist denn bei euch schiefgelaufen, Leute?

Jetzt bringt mich bloß noch auf Ideen hier!  :hmmm:

Ja, eben, aber der Jüngere entwickelt sich meist nicht, sondern er hat das gute Herz und es geht eher um die Botschaft, dass ein reines Herz am Ende belohnt wird (und man dafür nicht intelligent sein muss). Die Brüder sehen das ja am Ende auch nicht ein, sondern bleiben die Tölpel vom Anfang. Und da kann man in einer Adaption zum Beispiel viel mehr draus machen.

Silvia

Na toll, dank Maubel versucht sich hier gerade ein russisches Plotbunny anzuschleichen für eine Sache, mit der ich doch eigentlich gar nichts am Hut haben wollte.
:rofl:
Ist ja nicht so, dass hier nicht noch anderes Zeug aufs Weiterschreiben wartet.
Nein, dieses Tierchen will mich, wenn ich wieder zu Hause bin, doch tatsächlich zum Bücherregal schieben, um einen dieser alten Schinken zu suchen.
Ich glaub's nicht, hihi ...
Aber wenn ich das ganze vom Standpunkt "Plotlöcher zuschütten und der Geschichte mal beibringen, was Logik und vernünftige Charakterentwicklung ist" betrachte, wäre das durchaus mal ein Gedankenspiel wert. Das mach ich gerade selber an anderer Stelle zu gerne.

hinterhältige Plotbunnies ...

Evanesca Feuerblut

Für mich sind Märchenadaptionen - ich bin auch eine Märchenspinnerin - auch eine Möglichkeit, Dinge zu aktualisieren. In den meisten Märchen findet sich ein überholtes Menschen- und vor allem Frauenbild, also habe ich in meiner "Zarin" der Figur eine Stimme verliehen, die im Original außer am Anfang keine Zeile Text hat und mit der nur getan wird, die aber selbst nichts tut.
Es ist für mich also auch eine weltanschauliche  bzw. im Fall der Zarin feministische Aufgabe :).

Waldhex

#11
 :rofl:

Ich möchte nur ganz dezent darauf hinweisen, dass Du den Thread aufgemacht hast, Silvia.  :engel:

Silvia


Maubel

Tja, so schnell kann's gehen. Willkommen in der Märchenhölle ... äh, du weißt schon  :darth:

Aphelion

Ich bin eine Märchentante und auch Märchenadaptationen gefallen mir im Prinzip.

Was ich nicht mag, ist erzwungene Romantisierung. Viele Märchen enthalten Liebesgeschichten, die natürlich auch in einer Adaptation aufgegriffen werden können. Aber ich mag es nicht, wenn auf Teufelkommraus eine Love Story in die Geschichte gequetscht wird - und sich dadurch sowohl die Atmosphäre als auch die Bedeutung völlig verändert. Und zwar nicht zum Guten... Weder Gretel noch Holle brauchen einen Lover, dem sie schnurrend zu Füßen liegen.

Ich finde es interessant, mehr Grautöne in Märchen zu bringen als diese ursprünglich hatten - oder diese Grautöne zurückzuholen, die heute die meisten nicht mehr verstehen. Ich finde es interessant, wenn die (vermutete) Intention verstärkt und ausgeschmückt wird. Aber wenn ein Märchen eigentlich eine wirklich tiefgründige Bedeutung hat und auf "Frau trifft Mann, sie verlieben sich" nach Schema F reduziert wird, dann nervt mich das. Kann man machen, ist aber trotzdem nicht unbedingt gelungen. Ein Roman mit 300 Seiten sollte z.B. schon etwas mehr Inhalt haben als das zugrundeliegende Märchen, das eine A4-Seite einnimmt. Hingegen finde ich Umdeutungen okay oder sogar gut, wenn sie gehaltvoll sind.

Wie so oft: Es kommt immer darauf an.

Ich finde es an sich schön, dass Märchen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen - gerade auch die, die nicht jeder kennt.

Ich mag Adaptationen, die näher am richtigen Märchenfeeling dran sind, lieber. Moderne Aaptationen gehen auch, aber für mich sind sie oft zu weit vom Ursprung entfernt. Eine Adaptation muss natürlich selbst kein Märchen sein, aber ich mag die (relative) Zeitlosigkeit von Märchen nunmal. Adaptationen, die spürbar nach 1500, heute oder in der Zukunft spielen, können sehr gut sein - aber ich persönlich nehme sie nicht in erster Linie als Märchenadaptation wahr, auch wenn sie welche sind.

@Evanesca Feuerblut

Kennst du "Die Wolfsfrau"? Das ist ein schönes Buch zur Rolle der Frauen und Mädchen in Märchen, aus moderner Sicht, das einen konstruktiven Deutungsansatz verfolgt. (Naja "modern"... Das Buch hat auch wieder ein paar Jahre auf dem Buckel. ;D)