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Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen

Begonnen von Rabengetint, 05. April 2017, 16:34:34

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Marta

@Witch : Ich weiß nicht, ob dir das weiterhilft, aber: Ich habe früher auch extrem kurze Romane geschrieben. Mit der Zeit sind die automatisch immer länger geworden. Keine Ahnung, warum. Ich glaube, ich lasse mir etwas mehr "Zeit", betrachte die Blumen am Wegesrand und schreibe allgemein entspannter. Von einigen Autoren, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten schreiben, habe ich Ähnliches gehört. Einer meinte, dass alte Menschen einfach mehr schwafeln.  ;D Das Problem könnte sich also mit der Zeit von selbst lösen.

HauntingWitch

ZitatWenn du oder deine Leser das Gefühl haben, dass die Handlung zu gehetzt und nicht richtig ausgearbeitet ist, dann musst du was machen.

Ja, das ist es eben. Ich habe nicht nur "zu wenig Seiten", sondern auch das Gefühl, es fehlt an Tiefe und Aussagekraft. Oder vielleicht meine ich damit Komplexität, bin nicht sicher.

@Marta: Hm, naja, das weiss ich nicht. Ich schreibe eigentlich schon recht lange, so ungefähr vierzehn Jahre (ich bin jetzt 28). Ich höre das öfter, dass man ein gewisses Lebensalter erreicht haben sollte/muss, um ein richtig guter Autor zu sein, der episch und/oder tiefgründig schreibt und mich frustriert das, ehrlich gesagt. Ich will doch nicht warten müssen, bis ich pensioniert bin, ich will es doch jetzt machen! ;D

Naja, ich werde mal die Tipps aus dem Internet ausprobieren (das Meiste ist etwa das, was Nina sagt, nur ausführlicher erklärt). Und dann schaue ich mal, ob das hilft. Ich hoffe doch.

Marta

@Witch : Viel Erfolg!  :jau: Falls du Lust hast, erzähl doch in ein paar Monaten mal, ob und was dir geholfen hat. Das würde mich sehr interessieren.

Trippelschritt

Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten, wenn einem die eigenen Romane zu kurz geraten. Und in jedem Fall möchte ich Churke zustimmen, dass ein aufgeblähter Text nicht die Lösung für das Problem ist. Wenn Du das Gefühl hast, dass Dir die Tiefe fehlt, kann dir die Frage helfen, wie man Tiefe erzeugt. Das ist eine rein handwerkliche Frage. Es kann aber auch sein, dass die Ideendichte nicht hoch genug ist. Ideen zu bekommen ist zwar ein Talent, aber wie viele Talente lässt sich auch dieses üben. Und wenn ich von Ideen spreche, dann meine ich nicht alle möglichen Dinge, die man sich ausdenken kann, sondern die Ideen, die eine Geschichte von sich aus anfordert oder haben möchte. Da helfen zwei Dinge. Man muss seine Figuren sehr gut kennen. Und man muss wissen, warum man seine Geschichte schreiben möchte. Das ist nur zur Hälfte Handwerk. Da geht es darum wie ich in meiner Grundidee mein Thema finde und wie dieses Thema auszusehen hat. Und damit ist man wieder zurück zu dem gekommen, was jede Geschichte ausmacht. Figuren und Plot.

Tut mir Leid, dass ich kein Kochrezept habt, aber das sind die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, wenn es mal mal so richtig haken sollte.

Liebe Grüße
Trippelschritt

FeeamPC

Das erste Buch meiner derzeitigen Serie war zu kurz. Viel zu kurz. Aber die Handlung war isn sich rund, da konnte ich einfach nicht mehr rausquetschen, ohne ins Schwafelsnzu geraten. Da habe ich kurzerhand einen zweiten Handlungsstrang zugefügt. Und der hat dann überhaupt erst dafür gesorgt, dass daraus eine Serie wurde, denn erst mit diesem Handlungsstrang war der Plot tragfähig. Und das erste Buch lang genug.

Belle_Carys

Erstmal @Rabengetint 

Ich geh mal ein paar Sachen durch, die mir so in den Sinn kamen, als ich deinen Eintrag gelesen haben.

1.) Struktur - merkt der Leser welche Struktur du verwendet hast, und ob du von ihr abweichst? Ja und nein. Wenn wir mal von einem durchschnittlichen, nicht-schreibenden, nicht Literatur-studierenden Leser ausgehen, der von Text- und Erzähltheorie wenig bis nichts weiß, dann wird dieser Leser auch nicht erkennen, ob du eine 3-Akt, 5-Akt, 7-Punkte oder sonstige Struktur angewendet hast. ABER, und hier kommt das große aber: dein Leser wird sehr wohl merken, wenn deine Struktur nichts taugt. Denn nicht nur Leser, sondern alle Menschen suchen und finden Strukturen. Und wenn sie keine finden, sind sie weniger glücklich als wenn doch. Das heißt nicht, dass man sich sklavisch an Strukturen halten muss. Das heißt aber auch, dass es hilft, wenn man sich an ihnen orientiert, denn auch wenn der Leser es nicht weiß, sind sie ihm Leitsterne beim lesen. Der Leser hat vielleicht keine Ahnung, dass laut 7-Punkte-Plan in diesem oder jenem Moment pinch point 2 dran wäre. Aber er merkt wenn er nicht da ist. Wenn der Verlauf der Geschichte zu flach, zu sehr unter Dauerspannung oder einfach falsch aufgebaut ist. Deshalb, versteh mich nicht falsch, ist "dein" 5-Akter auch kein 5-Akter sondern eine Struktur Marke-Eigenbau. Die kann funktionieren. Aber ein 5-Akter ist sie eben nicht. Und du musst auch einrechnen, dass den meisten Lesern der Epilog nicht fürs Deneouement dient, sondern das erwarten sie vorher. Es ist schon alles gut (na gut, oder alle sind tot oder für welche Variante man sich immer entschieden hat) und es hat nach den großen Knall noch einen kurzen Ausklang gegeben. Der Epilog ist dann eben eine Nachrede oder ein Nachspiel. Also eher ein: ""Ach, übrigens ... " oder "Oh, und falls ihr euch wundert, ..."  Er ist ein Nachtrag. Deine eigentliche, die Handlung bestimmende Frage ist aber schon beantwortet. Siehe Harry Potter. Voldi tot, Harry noch am Leben. Fertig. Oh doch nicht, grauenhafter Epilog hintenran, damit auch alle wissen, wie die Blagen von Harry und Co heißen.

Kann man das anders machen? Ja, kann man. Wenn die Geschichte es fordert, wenn man einen Text schreibt, der literarisch vielleicht auch und gerade in seiner Form etwas "neues" darstellen soll etc. Aber vor allem: wenn man sein Handwerk sehr sehr sehr gut beherrscht. Warum? Weil Leser Dinge mögen, die sie schon kennen. Und wenn du ihre Erwartungen nicht erfüllst, musst du darin, sie zu enttäuschen und ihnen dafür etwas anderes zu präsentieren, so verdammt gut sein, dass sie sofort vergessen haben, dass sie sich das eigentlich ganz ganz anders vorgestellt hatten.

2.) Diversität im Zusammenhang mit ausufernder Cast - Wenn dir auffällt du hast 17 Männer und nur eine Frau und möchtest nicht, dass diese zur Token-Frau verkommt (was ich sehr begrüße!), ist ein meiner Meinung nach wesentlich fruchtbarerer Schritt der, dir anzugucken wen du schon alles hast, und einfach bei einigen Figuren das Geschlecht zu wechseln. Vorgeschichten funktionieren in den meisten Fällen für Männer wie Frauen. Es gibt in den wenigsten Fällen Gründe dafür, das eine Figur tatsächlich ein Mann sein MUSS. Meistens ist die Antwort "... äh ja, ist mir halt so eingefallen". Geht mir auch ständig so. Heißt aber auch: lässt sich problemlos ändern. Mary Robinette-Kowal vom Writing Excuses Podcast hat mal in einer Folge, die ich jetzt leider auf die Schnelle nicht finde, eine wunderbare Plotübung zur Schaffung einer diverseren Cast bereit gestellt: Du schreibst alle deine Figuren auf mit Name, Alter, Rolle, Geschlecht, Rasse und Klasse. Wenn du die Liste hast, gehst du sie durch und änderst für jede Figur zwei Charakteristika. Roland der 47-jährige Schwertkampfmeister aus einem recht kaukasisch anmutenden Volk und, sagen wir, dem niederen Adel, wird dann vielleicht zu Ngosi, der 47-jährigen Schwertkampfmeisterin aus einem Wüstenstaat, in dem sie ebenfalls dem niederen Adel angehört. Erstens merkt man in dieser Übung sehr schnell, wenn alle Leute immer in den selben Kathegorien untewegs sind und zweitens macht es verdammt viel Spaß, mit Erwartungen zu spielen. HIER ist das nämlich wesentlich sinnvoller als bei der Struktur und hält den Leser vermutlich sogar stärker bei der Stange, weil das neu und abenteuerlich und ungewohnt ist und er mehr wissen will.

Abschließend zur Frage des "Festbeißens" ... das ist deine Geschichte. Du bist Gott. Wer nichts beiträgt, fliegt. Wer überflüssig ist, wird in der ersten Überarbeitungsrunde raus geschmissen. Figuren können, wie andere das ja schon hinlänglich beschrieben haben, zusammen geführt werden, so dass eine Figur mehrere Funktionen hat. Deine Geschichte zu schreiben ist ja nur der erste Schritt. Was da nach Runde eins auf dem Papier steht ist ja weit davon entfernt, fertig zu sein. Und um einer zu großen Cast, zu viel verwirrenden Plotsträngen Herr zu werden, kannst du all das anwenden, was die anderen hier schon beschrieben haben.


@Witch

Was zu kurze Bücher angeht ... hast du genügend try-fail cycles drin? Wenn Dinge sehr geradlinig verlaufen, funktioniert manches manchmal zu leicht, ist meine Erfahrung. Wenn Figuren sich nach missglückten Versuchen erstmal wieder aufrappeln müssen, kann man ja durchaus ein paar Seiten investieren, genau wie auf das Finden neuer Ansätze, um das Problem zu lösen. Charakter-Subplots sind auch immer eine gute Möglichkeit, es gibt ja so dieses klassische A-Plot, B-Plot Modell, wenn wir jetzt mal einen Krimi zum Beispiel hernehmen, muss der Komissar das Verbrechen auflösen, hat aber vielleicht gleichzeitig seine 14-jährige Nichte an der Backe, die ihrer Mutter weggelaufen ist und sich jetzt weigert, zurück zu gehen. Oder aber etwas in der Art von Side-quests, das geht ein bisschen mit den try-fail-cycles zusammen. Wenn Figur A und B, um ein Problem zu lösen, C finden müssen (sei das nun Person oder Gegenstand), kann man da ja auch immer ganz gut ein Mini-Mystery draus machen.

All diese Dinge helfen, Atmosphäre zu schaffen, die Figuren besser kennen zu lernen und man kann die Geschwindigkeit des Hauptplots darüber steuern, dass man ab und zu auf Nebenkampfplätze schaut und Tempo raus nimmt, so dass der Leser nicht komplett durch das Buch gehetzt wird. Gerade wenn man ein Buch gern liest und die Figuren mag, möchte man ja auch ein bisschen Zeit mit ihnen verbringen und ein wenig hinter die Fassaden schauen.


HauntingWitch

Danke für eure vielen Antworten. :)

@Belle_Carys: Ja, die try-fail-cycles muss ich auch noch prüfen.

Leute, ich bin gerade total am Herumspinnen, ich glaube nämlich, ich habe einen Schlüsselfaktor für mein Problem gelöst. Ist nur einer und alles andere (die Plotsachen, die ihr angesprochen habt) werde ich ausprobieren müssen, deshalb ist das nicht abschliessend. Ich weiss es seit einer halben Stunde. Es fehlen Dinge. Nachdem ich diesen einen Artikel gelesen hatte (wenn es jemanden interessiert, suche ich morgen oder so nochmals den Link heraus) wurde mir einiges klarer und ich hatte heute Nachmittag beim Schreiben das Gefühl, jedes Wort ist schrott. Das stimmt so nicht, es fehlt nur an allen Ecken und Enden. Zum Beispiel sind einige Nebenfiguren bei mir mehr so etwas wie Standbilder und haben zu wenig Charakter (oder Charakterisierung, denn in meinem Kopf sind sie ja richtige Charaktere). Setting-Beschreibungen fehlen und so weiter und so weiter. Ich kann das gar nicht alles hier zusammenfassen.
Jedenfalls lässt sich daraus schliessen, dass mein grösster Fehler immer war, den ersten Entwurf als "richtigen" Entwurf für den fertigen Roman zu sehen. Soll heissen, ich wollte schon am Anfang einen fertigen Roman haben und habe durchgehetzt und auch bei der Überarbeitung immer nur das Notwendigste gemacht. Logik, Unklarheiten, fertig. Jetzt habe ich festgestellt, dass aber alle diese erwähnten Sachen (Standbilder und so) ebenfalls in diesem Stadium noch offen sind. Soll heissen, mein Entwurf kann nur als eine Art Blaupause fungieren und nicht als "fertiger Roman". Für die meisten klingt das jetzt sicher total logisch, aber für mich ist es, als wäre ich die ganzen Jahre seit ich meinen ersten Roman beendet habe (d.h. sieben oder acht Jahre) blind gewesen. Ich habe das Gefühl, ich schreibe hier gerade wirres Zeug, Entschuldigung. Bis morgen. ;)

Belle_Carys

@Witch Das ist doch super! Ich glaub wir haben alle immer mal wieder unsere Momente wo es uns wie Schuppen von den Augen fällt und wir uns denken ... wieso ist mir das denn NIE aufgefallen? Jetzt hast du was, woran du arbeiten kannst, worauf du deine Manuskripte abklopfen kannst und dann schön nachbearbeiten. Was kann einem besseres passieren als den Fehler im System zu finden?

Und ich glaube, da ist jeder anders. Ich kenne Leute, die genauso ihren ersten Entwurf schreiben wie du, nämlich erstmal quasi das "Skelett", um dann im Nachgang nach und nach Fleisch auf die Knochen zu bringen, und andere brauchen von Anfang an alles auf einmal. Wenn man erstmal weiß wie man arbeitet, ist glaub ich das schlimmste überstanden, dann ist es nur noch viel Aufwand, aber man weiß wenigstens, was zu tun ist  :rofl: Viel Erfolg beim Aufarbeiten! Und der Link zu dem Artikel würde mich interessieren, wenn du ihn also nochmal findest, gern her damit!

Trippelschritt

Ich habe über Nacht noch einmal über das Stichwort Ideendichte nachdenken können. Mein Posting gestern war doch etwas abstrakt. Aber ich habe ein Beispiel gefunden, das die Sache vielleicht etwas erläutert.

Ein großer Vogel trägt in seinen Klauen einen Drachen ohne Flügel über das Meer. Die beiden wollen/sollen alles über eine große Flotte herausbekommen, die sich nähert und bald angreifen wird. Das ist die Idee und die Notwendigkeit für diese Szene. Nenne ich es mal Sachidee, die ich brauche, damit es im Plot so weitergeht, wie ich es möchte.

Wenn das alles ist, was die Szene enthält, ist das flach und reicht nicht. Selbst dann nicht, wenn ich bei der Beschreibung der 120 Schiffstypen sechsundsechzig Völkern ins Detail gehen und alles ausmalen würde.

Es ist der erste und wohl auch einzige Flug des Drachen, den er jemals erleben wird. Fliegen kennt er nur aus seinem Volksgedächtnis (so etwas wie Instinkt). Also genießt er den Flug, erlebt, was er mit seinen Flügeln alles verloren hat, wird wehmütig, resigniert, rappelt sich wiededr auf und was mir sonst noch so einfallen könnte. Das ist eine zweite Idee. Sie ist für den Plot nicht essentiell, hilft aber die wichtige Figur des Drachen zu erleuchten und gibt der Szene einen zusätzlichen Wert.
Ich könnte zusätzlich auch noch etwas über die Beziehung zwischen großem Vogel und Drache hinzufügen, was auch von interesse ist, aber das passt besser an eine andere Stelle.

Wenn mir das immer noch nicht genügt, fällt mir vielleicht ein, dass auf den Schiffen Bewaffnete und Zauberer agieren. Oder Zauberer, die sich dafür halten, weil sie die Nacht rufen können - oder so etwas. Wenn jetzt ein Drache mit der vollen Stärke der Magie seiner Art über die Schiffe hinwegfliegt, wird das etwas in Gang setzen. vielleicht nur Unruhe oder Panik. vielleicht aber auch Zweifel an der eigenen Stärke oder eine zusätzliche Herausforderung. auf jeden Fall werden die Angreifer auf diesen einen Überflug reagieren. Und das ist die dritte Idee.

Je mehr Ideen sich in einer Szene versammeln, desto tiefgründiger wird sie und desto länger wird. Ost ist es aber so, dass die erste Idee den meisten Raum braucht und der Autor mit jeder folgenden Idee immer weniger Zeilen braucht. Mehr Ideen auf relativ weniger Platz erhöht nicht nur die absolute Zshl der Ideen, sondern auch deren Dichte, sodass man am Ende eine wohlgefüllte Szene hat.

Meine Art zu schreiben verträgt kein Skelett, das später gefüllt wird. Aber ich denke nicht, dass solche Fragen eine Rolle spielen. Es hängt alles vom individuellen Kreativitätsprozess ab. Aber gute Romane sind immer voller Ideen.

Viel Erfolg
Trippelschritt

HauntingWitch

Zitat von: Belle_Carys am 19. August 2017, 21:20:23
Ich glaub wir haben alle immer mal wieder unsere Momente wo es uns wie Schuppen von den Augen fällt und wir uns denken ... wieso ist mir das denn NIE aufgefallen?

Ja, genau das! Ich frage mich auch, wie ich das die ganze Zeit nicht sehen konnte... Auf einmal erscheint es mir so offensichtlich und logisch. Ich bin jetzt total zuversichtlich. ;D Bin gespannt, was am Ende dabei herauskommt, wenn ich alle diese Sachen beachte.

So, das ist der Link zu dem Artikel: https://thewritepractice.com/too-short/ (ist halt auf Englisch). Der trifft den Nagel auf den Kopf.

@Trippelschritt: Was du beschreibst, hat für mich aber nichts mit Tiefgründigkeit zu tun. Das ist Komplexität, das muss ich auch noch üben, aber Tiefgründigkeit ist für mich etwas anderes. Es ist schwer zu erklären, es braucht nicht einmal komplex zu sein. Tiefgründig ist für mich, wenn die Geschichte Wahrheiten (also im philosophischen Sinne) enthält oder alles sehr echt wirkt. Wenn man mit den Figuren mitfühlen kann und sich vorstellen kann, dass es genau solche Menschen, Gefühle und Situationen wirklich gibt und sie wirklich so agieren würden (okay, das mit den Situationen entfällt bei Fantasy meistens, aber da ist es etwas anderes. Nämlich, wenn die Fantasy-Welt quasi unsere spiegelt, siehe, z.B. "Die Tribute von Panem"). Oder wenn man das Gefühl bekommt, wie z.B. bei King, das einem alle grossen Fragen der Welt beantwortet werden (auch wenn es nicht wirklich so ist). So etwas ist für mich Tiefgründigkeit. Schwer zu erklären.

Leann

@Witch: Schön, dass du diese Erleuchtung hattest!  :vibes:  Solche Momente liebe ich am Autorenleben.

Übrigens finde ich, dass Tiefgründigkeit nichts mit der Länge eines Romans zu tun haben muss. Hab schon endlos lange Geschichten ohne jeglichen Tiefgang gelesen und kurze Werke, die ich sehr tiefgründig fand.

Trippelschritt

Zu Tiefgründigkeit, Kompexizität und Kompliziertheit könnte ich durchaus noch eine Menge beitragen, doch hätte das nur wenig mit der Ausgangsfrage zur Manuskriptlänge zu tun und wäre daher OT. Danke für den Link. Der Artikel könnte vielleicht helfen, den die dort erwähnten Punkte sind andere mögliche Ursachen neben der von mir erwähnten Ideendichte. Solltest Du einen guten Schreibratgeber zu diesen Fragen suchen, empfehle ich Rober McKee: Story. Auch wenn er sich aufs Drehbuchschreiben bezieht, gelten die von ihm angesprochenen Grundlagen auch für jeden Roman.

Du wirst Dich schon durchbeißen.
Viel Erfolg
wünscht trippelschritt

Belle_Carys

Zitat von: Witch am 20. August 2017, 11:37:55

So, das ist der Link zu dem Artikel: https://thewritepractice.com/too-short/ (ist halt auf Englisch). Der trifft den Nagel auf den Kopf.

Danke für den Link! Bei ein paar von den Sachen muss ich mich zwar wundern (wozu hat man denn ein Outline, wenn man sich beim Schreiben nicht direkt an ihm entlang hangelt?  :hmhm?: ) aber da hat ja auch so jeder seine Variante, wie er oder sie vorgeht. Im Großen und Ganzen ist das aber eine Zusammenfassung dessen, was ich schon von anderen gehört habe. Der A-Plot entwickelt für sie beim Schreiben soviel Zugkraft, dass der erstmal auf das Papier muss, bevor irgend etwas anderes mit in den Fokus rücken kann.

Allerdings, das stellt die Autorin ja auch fest, entstehen dann natürlich in der Nachbearbeitung eventuell ziemliche Szenen-Friedhöfe oder ganze Kapitel müssen generalüberholt werden. Ein besseres, wesentlich gründlicheres Outline könnte dabei eventuell helfen. Oder aber, vielleicht könntest du dich darauf konzentrieren, dir deine Schlüsselszenen schon mal grob von der Seele zu schreiben und diese dann mit deinem Outline zu kombinieren, um zu sehen, wo es mehr Interaktion, mehr Figurenplot, mehr Szenerie braucht, bevor du 250 Seiten zu Papier gebracht hast, die dann sehr sehr viel Nachjustieren und zusätzliches Rumgefrickel brauchen? Nur so ein Gedanke, ich überlege auch immer darauf rum, wie wohl mein bester Arbeitsprozess aussehen könnte, das ist im Moment alles mal wieder sehr in Bewegung.


@Trippelschritt Ich sehe in deinem Beispiel keine Repräsentation dessen was ich für mich bezogen auf Texte als Ideenreichtum, Tiefgründigkeit oder Komplexität bezeichnen würde. Für mein Empfinden beschreibst du einfach, wie eine vernünftige Szene ausgestaltet wird. Das erste ist eine Zusammenfassung der Szene, die, wie du ja selbst sagt, ihre Notwendigkeit beschreibt. Was passiert? Drache wird über das Meer getragen. Warum? Spionagemission. Jeder der das für eine fertige Szene hält, hat noch viel zu lernen. Die Ausgestaltung dessen, jenseits von der reinen Beschreibung (sie fliegen, sie sehen, ein paar Auflistungen) ist ... unser Job. Die Szene zum Leben erwecken, den Leser abholen und gefangen nehmen und ihn im Idealfall sehen lassen, was unsere Protagonisten sehen. Das hat mit der Komplexität der Geschichte oder der Idee der Geschichte für mich nichts zu tun. Es ist eben das, wovon Witch sagt, dass es ihr manchmal noch fehlt, weil sie erst einmal damit beschäftigt ist, den Verlauf der Geschichte über seine erzählerischen Höhepunkte hinweg zu Papier zu bringen. Die Ausgestaltung, die erzählerischen Details, das "in-Szene-setzen".

Das kann man aber im Zweifelsfall auch in einer kurzen Geschichte machen, denn sonst gäbe es nur sehr sehr blasse Kurzgeschichten und das lässt sich nun doch wirklich nicht behaupten.

Ideen braucht ein anständiger Roman meiner Meinung in der Basis im Idealfall zwei. Man kombiniert Dinge miteinander, die so vielleicht noch nicht verknüpft worden sind (oder einfach eine spannungsreiche Kombination abgeben, egal wie oft es sie schon gab), und deshalb neue oder doch zumindest sehr ergiebige Spielfelder eröffnen, auf denen man sich erzählerisch betätigen kann. Das bezieht sich natürlich eher auf "große" Ideen wie ... keine Ahnung, Windhunderennen und Space Opera . Natürlich ist der ganze Schreibprozess von kleineren Ideen durchdrungen, von Entscheidungen im Weltenbau hinweg bis zum Lieblingsgetränk des Protagonisten. Und all diese Dinge tragen sicherlich dazu bei, Szenen auszugestalten und Atmosphäre zu schaffen, aber meiner Meinung nach kann man, je nachdem, was für eine Geschichte es ist und was sie erreichen soll, auch mit sehr nüchternen Szenen auskommen, mit sehr klarer Sprache, die auf die Essenz eines Moments reduziert. Beides kann man gut und schlecht machen.

Die Ausgestaltung einer Szene mit ihrer Tiefgründigkeit gleichzusetzen, halte ich indes für sehr gewagt. Meinem Erleben nach sind die Dinge, die mir am längsten nachhallen, und die stärksten emotionalen und auch kognitiven Reaktionen nach sich ziehen, eher kurz und präzise. Weil sie einen punch liefern, den eine lange, ausgedehnte Beschreibung, egal wie gut sie ist, egal wie starke Bilder sie evoziert, mir persönlich nicht liefern kann. Letztendlich sagt Tiefgründkeit etwas darüber aus, ob eine Szene oder ein Satz nur auf das verweist, was in ihr oder ihm beschrieben wird, oder auf mehr. Ob man es vielfach interpretieren, zu "tieferen" Erkenntnissen kommen kann, die über das Gesagte/Geschriebene hinaus gehen. Ob das gelingt, hat wohl weniger mit der Ideendichte per Szene zu tun als mit der Wahl der übergreifenden Ideen, die man im Roman behandelt, und wie man diese instrumentalisiert.

Und das, da bin ich ganz bei @Leann, ist gänzlich unabhängig von der Romanlänge.

Zit

#28
Wobei so ein Ausgestalten der Szene, finde ich, auch darauf fokussiert sein sollte, welche Dinge am Ende relevant sind. Die Zauberer, die den Drachen sehen obwohl sie diese Tiere längst für ausgestorben hielten – das hat ja auch eine Plotrelevanz. Das schürt zugleich Angst und Begierde, und verändert vor allem, denke ich, auch ihre Strategie des Angriffs. (Gibt es nur diesen einen Drachen? Kommen wir gegen ihn in einem Seegefecht überhaupt an? Ist es nicht zu riskant und wir sollten lieber umkehren oder den Drachen zuvor ausschalten?) Die Backstory über die Beziehung des Drachen zum Mitreisenden halte ich allerdings für Fluff. Wenn das nicht etwas in der Charakterentwicklung hergibt, weil die beiden sich bald darauf böse fetzen – oder sie sie sich im Zuge des Kriegs vertragen müssen, der eine dem anderen trotzdem immer wieder gegen den Karren fährt, Spitzen verteilt oder ungehorsam ist, dann halte ich die Information für unrelevant. Im zweiten Fall wäre sie an der Stelle womöglich auch vergeudet, weil sie ja für den Leser die Spannung des/ Frage nach dem Warum des Ungehorsams auflöst bevor er relevant geworden wäre, die Entwicklung der Figuren gleichzeitig somit nicht voran treibt. Ich würde das eher in einem Streit auflösen, als Höhepunkt des Kampfes gegeneinander damit sich die beiden berappeln. Aber auch erst nachdem die Fehde beide, und vielleicht auch die Kriegspläne, in die Scheiße geritten hätte.
Entschuldigt, das artet etwas aus. Aber vielleicht hilft das auch bei der Frage der Plotplanung, wenn man nicht nur auf die eigentliche Quest sondern auch auf die Figurendynamik achtet. Das gilt im Hintergrund auch für die Entwicklung der Antagonisten oder der Welt. Ich versuche meistens alle diese Dinge vorher zu überdenken und auszubreiten. Das dauert leider meistens recht lange, weil ich etwas langsam bin. Die Geschichte wächst dann beim Schreiben von selbst.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Trippelschritt

Ich sehe schon, wir schreiben gewaltig aneinander vorbei. Starke emotionale und kognitive Reaktionen kennzeichnen einen Leser und nicht einen Text. Die Ausgestaltung einer Szene kann aus ganz vielen Dingen bestehen. Immer sind Ideen dabei involviert, aber wir müssen die verschiedenen Maßstabsebenen dabei berücksichtigen, auf denen die Ideen wirken. Ich habe nur ein Beispiel für Ideen auf der Szenenebene genannt. Wenn eine Szene geschrieben wird und es geht um den Text, werden selbstverständlich auch Ideen auf der Absatz-, Satz- und Wortebene gesucht. Das alles zusammen gehört zur Ausgestaltung einer Szene.

Aber bevor wir hier eine völlig unnötige Diskussion beginnen, wo jeder eine andere Vorstellung über Tiefgründigkeit hat, müssten wir erst klären, was wir unter den wichtigsten Begriffen verstehen. Deshalb ganz kurz meine Position (die von McKee), ohne dass ich damit einen Alleinanspruch anmelden möchte: Die Tiefe einer Person ergibt sich aus den Aspekten ihrer Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen. Wenn ich das auf eine Szene übertrage, wird eine Szene dann tiefgründig, wenn die in ihr angesprochenen Aspekte unterschiedliche Subplots oder Sublevels bedienen. Das klingt vielleicht ein wenig akademisch, ist aber egal. Wir könnten aber durchaus in einem abgetrennten Workshopthread einmal über Tiefgründigkeit diekutieren. Es wäre ein lohnendes Thema und ich wäre sofort dabei. Aber das hier ist der falsche thread dafür.

Liebe Grüße
Trippelschritt