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Vom Mut, das Unschöne auszusprechen

Begonnen von HauntingWitch, 23. Dezember 2016, 12:42:51

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HauntingWitch

Seit Wochen möchte ich diesen Thread eröffnen, habe aber lange nicht gewusst, wie ich anfangen soll. @Mods: Ich habe mit der Suche nichts dergleichen gefunden und kann mich auch nicht erinnern, daher falls es das schon gibt, schon einmal Entschuldigung. ;)

Mich beschäftigt derzeit Folgendes. Wenn ich lese, fällt mir auf, dass ich die Autoren am besten finde, bei denen eben nicht alles schön und gut ist, sondern vieles - eigentlich das Meiste - eben nicht so schön und teilweise schrecklich, brutal, widerlich, hässlich etc. ist. Als Beispiel kann man Stephen King oder John Ajvide Lindqvist wählen, gibt aber auch noch andere. Das sind Autoren, die sich nicht scheuen, das Unschöne auszusprechen und eben auch die dazugehörige Sprache zu nutzen. Also, wenn der Perspektivträger alles Scheisse findet, dann benutzt er das Wort "Scheisse" auch regelmässig. Zum Beispiel. Aber auch die menschlichen Abgründe, dass die Gedanken und Gefühle eines narzisstischen Vaters oder einer Frau, die ihren Mann emotional fertigmacht, oder eines Drogensüchtigen usw. ausführlich dargestellt werden. Und da wird kein Wert auf political correctness oder eine schöne Kulisse gelegt. Da geht es nur darum, wie der Perspektivträger (gerade) ist und wenn er ein A*** ist, das Ausländer hasst und Frauen nur als Sexobjekte und Dienstmädchen betrachtet, wird das eben auch ausgeschrieben.

Als ich dann für meinen letzten Roman eine Kurzgeschichte, die ursprünglich die Idee losgetreten hatte, wieder gelesen habe, war ich erstaunt. Ich habe zwei Dinge festgestellt:
Erstens, dass mir dieser Mut fehlt. Ich lege zu viel Wert auf schöne Kulissen, meine Protas "müssen" auch immer gut aussehen und dürfen nicht entstellt werden bzw. ich kann/möchte ihnen das nicht antun. Ich verwende auch nicht gerne unschöne Wörter.
Zweitens: Ich hatte ihn einmal. In dieser Kurzgeschichte wird geflucht, es gibt "die behämmerte Tussi", die die eine Figur nicht ausstehen kann, halb verwesende Zombies werden beschrieben etc.

Ich habe mich dann gefragt, wann ich diesen Mut eigentlich verloren habe. Und ich glaube, ich weiss es auch: Seit ich angefangen habe, Rücksicht darauf zu nehmen, wie etwas eventuell ankommen könnte. Nun würde ich diesen Mut, das Unschöne direkt anzusprechen, gerne wieder finden, weiss aber noch nicht so recht wie. Ich übe.  :omn:

Mich würde nun interessieren, was ihr dazu sagt? Wie haltet ihr das? Was sind eure Gedanken dazu?

Maubel

Also ich glaube, mir fehlt es nicht an Mut, sondern mir gefällt es einfach nicht. Menschliche Abgründe okay, aber wenigstens ein sympathischer Aspekt muss dabei sein. Ich mag diese superdreckigen Arschlochfiguren nicht ;) Aber die habe ich durchaus drin.
Flüche tue ich mir sehr schwer. Ich mag sie einfach nicht. Und zwar weder zu schreiben, noch zu lesen. Und da schreibe ich einfach meine Geschichte so, wie ich sie lesen möchte.

Und wenn das bei dir anders ist und du gerne von diesen Figuren lesen möchtest und es magst, wenn sie so "dreckig" fluchen, dann schreibst du das :) Ich hoffe, du findest deinen Mut dazu, das zu schreiben, was du lesen möchtest.

Kati

Ich persönlich möchte keine Bücher lesen, die einen "politisch unkorrekten" Protagonisten haben, der dann auch schön vor sich hin hetzt. Ich hätte da persönlich keinen Spaß dran und der "Sinn" solcher Bücher erschließt sich mir auch nicht. Ich möchte jetzt aber niemanden angreifen, der sowas gern liest (vielleicht einfach, weil man es interessant findet, mal diese Sichtweise kennenzulernen), ich verstehe nur persönlich den Reiz nicht. Es kommt dabei für mich aber stark darauf an, wie es gemacht ist. Ein Roman voller Hass und Intoleranz nur dem Hass und der Intoleranz wegen würde mir persönlich absolut nicht gefallen und ich würde mich fragen, wieso der Autor beschlossen hat, so ein Buch zu schreiben. Weil er zeigen wollte, wie solche Menschen ticken? Weil er es cool findet, politisch unkorrekt zu sein und anzuecken? Weil er die Sichtweisen sogar teilt? Es kann aber natürlich auch so gemacht sein, dass durch das Vorkommen einer solchen Figur, vielleicht sogar als Hauptperson, genau diese Dinge kritisch gezeigt und angeprangert werden, was ich ganz interessant finde. Was ich schon gesehen habe, waren Bücher mit solchen Figuren, auch als Erzähler, bei denen man klar gemerkt hat, dass man die Figur als negativ wahrnehmen soll. Für mich war es da sehr unangenehm im Kopf dieser Figur stecken zu müssen, aber da ist jeder Leser anders.

Ich finde es persönlich auch nicht "mutig" einen frauenfeindlichen etc. Protagonisten zu schreiben. Dir werden leider bei sowas mehr Leute zustimmen, als wenn du zum Beispiel eine Feministin als Protagonistin hättest, weil solche Meinungen wie wir in letzter Zeit deutlich sehen, besonders was Ausländer angeht, noch sehr weit verbreitet sind. Für mich ist der Gedanke, dass jemand, der so denkt mein Buch liest und sich davon bestätigt fühlt, nicht schön. Ich würde das aber auch ganz klar in zwei Kategorien teilen (also für mich selbst), was du jetzt vermischt hast:

1. Frauenfeindlichleit, Rassismus etc. beim Protagonisten ausschreiben: Da sehe ich wie beschrieben den Sinn nicht, ich sehe nicht, was daran mutig ist und wieso ich es machen sollte. Mir ist persönlich nicht egal, wie meine Bücher bei meinen Lesern ankommen, weil ich zwar großteils für mich schreibe, aber auch möchte, dass das mal jemand liest und es ihm auch gefällt. Das ist aber nur, wie ich das persönlich handhabe. Es gibt ja auch Autoren, denen es egal ist, wem das Buch gefällt und wem nicht. Da gehöre ich einfach nicht dazu.

2. Unschöne Dinge wie Gewalt, Tod, Entstellung, Fluchen etc. ausschreiben: Da sehe ich es wie du und damit habe ich persönlich auch keine Probleme. Wenn jemand zum Beispiel tot ist, dann möchte ich auch, dass beim Leser ankommt, dass etwas Schlimmes passiert ist und das versehe ich dann auch nicht mit einer Schicht Zuckerguss. Das hat für mich aber eher damit zu tun, dass ich die Konsequenzen von Gewalt, Tod etc. einfach realistisch zeigen und nicht runterspielen möchte, weniger mit Mut.

Also zusammengefasst: Für mich sind das zwei Kategorien, die ich nicht gern vermischen würde. Ob ich Gewalt ausschreibe, Tod und dergleichen, ist etwas komplett anderes, als wenn ich meine Figuren frauenfeindlich oder ausländerfeindlich gestalte ohne selbst eine Wertung zu dem Verhalten abzugeben. Ob ich meinen "hässlichen" Prota wild fluchen lasse, während die Zombies seinen besten Freund fressen ist da einfach etwas ganz anderes, als wenn mein Prota denkt, Frauen sind nur Dienstmädchen für ihn und ständig negativ über Ausländer auf seiner Arbeit herzieht. Das erste finde ich für mich persönlich wichtig (in den entsprechenden Genres natürlich), bei dem zweiten bin ich nicht sicher, was der Mehrwert wäre. Für mich selbst und auch für den Leser. :hmmm:

Fianna

#3
Ich denke, das ist auch eine Genre-Frage. In manchen Genres ist es ja geradezu Pflicht, solche Dinge anzusprechen - vielleicht schreibst Du in genau den Teilbereichen, in denen es nicht der Fall ist?

Ich persönlich umgehe diese Hürde durch meine Fixierung auf Konflikte. Ich plotte viel damit (jede Story fängt bei mir an mit Hauptkonflikt + Lösung, die Subplots werden kreiert durch Konflikt + Lösung usw), und wenn ich mir denke, dass eine Person mit einer bestimmten Aussagen zu unsympathisch wirkt oder ein Charakterzug nicht gut ankommen könnte beim Leser - da überlege ich mir immer, inwiefern das für meinen Konflikt wichtig ist. In der Regel unterstreicht die unpopuläre Aussage eine Grundhaltung, die wichtig für die Position in diesem Konflikt ist oder ein unangenehmer Charakterzug ergibt sich direkt aus der Rivalität oder etwas anderem mit dem (Neben-)Antagonisten - die Figur wird also greifbar mit ihrer in diesem Fall unangenehmen Art, das hat alles einen Grund.

Indem ich in meinem Kopf solche Dinge mit bestimmten notwendigen Gegebenheiten des Plots verbinde, schwindet in mir der drang, die Person sympathischer zu machen.

Oder eine Figur hat eine bestimmte "Mission" (ob eine gute oder schlechte, das kann noch fraglich sein), der sie alles unterordnet und weswegen es zu diesen unsympathischen Zügen kommt.


Das klingt jetzt alles sehr begreifbar und relativiert, allerdings habe ich bei meiner Leipzig-Wohnungs-Truppe ein bisschen den Ruf düsterer Geschichten, also kommt das geschrieben nicht ganz so relativiert rüber.


Das könnte also ein zweiter Ansatzpunkt sein für Dich - die Notwendigkeit dieser Tatsache für einen Punkt der Geschichte (Plot, Konflikt, Characterbuilding), und deswegen kannst Du es einbauen.

Churke

Zwei Gedanken dazu. Eine Lektorin reagierte letztens ziemlich unbegeistert. Der Protagonist sei ein Arsch, keine Idenitifkationsfigur, total unsympathisch. Sie hat das emotional gespürt, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie das Warum erkannt hat: Der Protagonist verstößt gegen die ungeschriebenen Helden-Konventionen des Genres. Er ist, wenn man so will, politisch unkorrekt. Diese Wirkung auf den Leser sollte man nicht unterschätzen.

Ich denke auch, dass ein politisch korrekt denkender Autor nichts politisch Unkorrektes schreiben kann. Da muss man erst mal den Kopf frei machen.

Leann

Das, was du beschreibst, nenne ich für mich "Schreiben mit angezogener Handbremse". Jede Autorin hat vermutlich bei gewissen Dingen Hemmungen. Bei der einen mag das Gewalt sein, bei der anderen Sexszenen, etc.. Entweder man vermeidet dann solche Szenen, oder man schreibt sie halbherzig und gehemmt und schöpft das Potential der Geschichte nicht aus. Wenn man schon während des Schreibens der Rohfassung ängstlich darauf schielt, wie das Geschriebene bei den Lesern ankommt, zuckt die Hand schon zur Handbremse. Früher habe ich oft nicht genau gewusst, warum mir dieser Roman besser gefällt als jener. Mit mehr Schreiberfahrung glaube ich zu erkennen, dass bei den Passagen, die mich nicht packen, eben mit der angezogenen Handbremse geschrieben wurde. Da wird um die Gefühle der Protagonisten herumgeeiert und zu viel angedeutet, ohne richtig zu Potte zu kommen, oder da steuert alles auf ein grausames Gemetzel hin und dann verläuft es feige im Sande. Damit meine ich jetzt nicht, subtile, treffende Andeutungen zwischen den Zeilen, die ja oft eindrücklicher sein können als explizite Beschreibungen, denn manchmal ist es passender, einiges der Phantasie der Leser zu überlassen. Ich meine die Passagen, in denen sich der Autor drückt und, wie du es ausdrückst, den Mut verloren hat. Die eigentlich guten Geschichten werden dann irgendwie saft- und kraftlos und dümpeln ohne Pfeffer vor sich hin.

Zur Überwindung könntest du ja mal versuchen, einfach nur für dich zu schreiben. Sag dir vorher, dass es niemals jemand lesen wird, was du verfasst. Und dann leg los. Lös die Handbremse. Hol ordentlich Schwung (das kann evtl. ein paar tausend Wörter dauern) und geh in die Vollen, ohne Rücksicht auf Verluste. Danach legst du das Geschriebene weg und holst es erst nach ein paar Tagen wieder raus.


Merwyn

#6
Ich stimme dir da zu. Ich will als Leser ehrliche, glaubhafte Charaktere.
Wenn der beschissene Neonazi-Prota das N-Wort benutzt um afroamerikanische Mitbürger zu betiteln, dann sollte man das nicht schön umschreiben, sonst kann ich das nicht ernstnehmen.
Und ich denke auch, dass jemand, der sich political correctness auf die Fahne schreibt, Bücher mit z.B. eben Nazis als Protas gar nicht erst lesen wird, von daher muss einen meiner Meinung nach die Frage ob man das darf oder nicht, sich das traut oder nicht gar nicht übermäßig beschäftigen. Es kommt natürlich schon immer auf die Art der Geschichte an.
Erzähle ich, wie sich besagter Neonazi bessert und ein "normaler" Mensch wird? Dann sollte sich die Entwicklung, die er durchläuft, logischerweise auch in seiner Erzählperspektive spiegeln, so dass er eben irgendwann selber checkt, dass es scheiße ist, N**** [Edit Alana] Problematisches Vokabular entfernt[Edit] zu sagen. Will ich den Neonazi als Nebenfigur "einfach nur" rumstänkern lassen oder soll er gar der böse Anta sein, der so dumm bleibt, wie er ist, dann ist das eine ganz andere Sache.

Ich würde von mir schon behaupten, dass ich diesen Mut selbst habe, denn ich schreibe gern so, wie mir der Schnabel gewachsen ist, wozu auch gehört, die Dinge beim Namen zu nennen. Und fluchen ist ja quasi sowieso eines meiner liebsten Hobbies.
Dann aber halt auch richtig und nicht so was wie "Sch... nürsenkel" (außer vielleicht, wenn in der Szene gerade Kleinkinder anwesend sind ;)) oder "bei Merlins Barte" und anderer erfundener Fantasyquatsch. Das kann für mich in wirklich sehr wenigen Fällen gut funktionieren, die anderen 99,99% empfinde ich allerdings nur als megapeinlich mit  ::)-Charakter.
Das einzige, was ich tatsächlich aktiv versuche, zu vermeiden, sind Sachen wie "Oh mein Gott", "Um Himmels Willen", "Gott sei Dank" usw. Keine Ahnung, ob die einen Sammelbegriff haben.
Mir persönlich ist das schlicht zu religiös. Eine richtige Logik verbirgt sich dahinter bei mir aber auch nicht, denn Sachen mit Teufel und Verdammnis habe ich schon drin.

cryphos

Weiß auf Weiß sieht man nicht und schwarz auf schwarz ebenso wenig.
Der Kontrast zwischen den Elementen und Ebenen macht das Bild.

Dabei reicht es nicht einen schwarzen Bösewicht zu haben und einen strahlenden Helden, das ist zu einseitig, zu flach, zu eindimensional. Ebenso eindimensional ist der abgewichste Krüppel, Antisemit, Rassist, Arschlochheld wider Willen oder widerlicher Abschaum POV.

Ein interessantes Bild entsteht, wenn zum Kontrast noch Tiefe kommt.

Also vielschichtige Charaktere, innere Zerissenheit, innere Spannungen, Gesellschaftliche Zerissenheit, Unterschiede in Denken, Handeln und Sein das macht das Bild interessant.
Scheisse ja, wir dürfen politisch inkorrekt sein und verdammt nochmal, wir müssen es sogar sein, denn unsere Welt(en) leben davon.

Oder um es mit einem Gleichnis von Buddha zu umschreiben:
ZitatBuddha fragte ihn: "Bekommt man einen schönen Klang, wenn man die Saiten zu straff oder zu lose spannt?" Er antwortete: "Nein, beides wäre falsch. Wenn man die Saite zu sehr spannt, wird sie reißen. Wenn sie zu lose ist, ist der Klang nicht schön. Für einen schönen Klang sollte sie genau in der Mitte sein, weder zu straff noch zu lose".

Oder ganz einfach, wie so oft: Die Mischung machts.

Trippelschritt

Oh, dieses Ausgangsproblem klingt richtig böse, denn nichts ist schlimmer für einen Autor als eine Schere im Kopf.
Was mann dagegen tun kann? Schwierig. Man kann es mal mit nachdenken versuchen. Ein Autor wählt eine ganz bestimmte Geschichte, die er erzählen möchte. Diese Idee und die beteiligten Figuren bestimmen die Sprache. Und political correctness hat in der Literatur nichts zu suchen.

Ob diese Gedanken geholfen haben? Wahrscheinlich wenig. Und wenn man wirklich nur heile Welt schreiben will und die ganzen Arschköcher draußen vor lassen will, muss man über eine dreckige Sprache nicht nachdenken. Ich kann nur von mir sagen, dass ich es nicht so mit Grausamkeiten habe und lasse Menschen auch lieber am Leben, als dass ich sie umbringe, aber Fantasy und Mittelalterverschnitt ohne Tote geht auch nicht. Bleibt nur ein anderer Weg.

Schreib schmutzig!!! Zunächst nur für Dich. Bedecke eine Viertel Seite mit den Wort Scheiße oder arschlöcher und lass diese ganzen verrfickten Sternchen weg, die wohlerzogene Bürgerstöchter da immer einfügen, weil sie sich sonst den Mund mit Seife auswaschen müssen. Tjaaaa. Und wenn das geht, weil es ja keiner liest, dann kann man auch mal vorsichtig versuchen einen unkorrekten Text irgendwo einzustellen.

Und eine Lösung habe ich doch noch, weil ich ein ähnliches Problem hatte. Als älterer Herr, dessen Sturm- und Drangzeit schon etwas her ist, hatte ich allergrößte Schwierigkeiten mit Liebesszenen. Das war mir schlichtweg megapeinlich. Aber kein Buch verkauft sich, wenn da nicht irgendwo zarte Bande geknüpft werden. Was tun?

Ich habe mir einen Schrfeibratgeber gekauft, der versprach, jemandem zu erklären, wie man erotische Geschichten schreibt. Der eine oder andere Ratschlag klang interessant und ich begann zu experimentieren. Und dann habe ich Ein- oder Zweidutzend Pornos geschrieben so über drei Jahre und die in einem Forum eingestellt. Nachdem ich gelernt hatte, wie man Pornos schreibt, tat ich mich mit den Liebesszenen nicht mehr so schwer. Heute schreibe ich keine erotischen Geschichten mehr. Ich weiß, dass ich das kann und das genügt mir.

Bleibt also - scheint's - tatsächlich nur: Überwindung durch Tun. Und dazu kann ich dich nur ermuntern und ermutigen. Und wenn man über die Schwelle ins verbotene Land getreten ist und gemerkt hat, dass es gar nicht so schlimm ist und man damit umgehen kann, kann man später immer noch entscheiden, wie weit zu gehen man bereit ist, wenn es in einem Roman ernst wird. Es geht erst, wenn man es probiert hat.

Liebe Grüße
Trippelschritt

HauntingWitch

Danke für eure Antworten. Ich finde das alles sehr interessant. Ich kann nicht auf alle genauer eingehen, manches lasse ich einfach mal so stehen.

Zitat von: Charlotte am 23. Dezember 2016, 13:05:39
Was ich schon gesehen habe, waren Bücher mit solchen Figuren, auch als Erzähler, bei denen man klar gemerkt hat, dass man die Figur als negativ wahrnehmen soll. Für mich war es da sehr unangenehm im Kopf dieser Figur stecken zu müssen, aber da ist jeder Leser anders.

Ja, das ist auch das, was ich bevorzuge. In den Büchern, die ich meine, gibt es meistens auch einen Gegenpol zu der negativen Figur. Sehr oft wird es aber auch ohne Wertung des Autors dargestellt, einfach eine Schilderung eines Charakters. Aber die Autoren gehen da so tief rein, dass man selbst die nachvollziehen kann und das ist es, was mich beeindruckt. Das ist dann eine Schilderung und weniger ein moralischer Wink. Ich muss dazu ehrlich sagen, dass ich auch diese Geschichten nicht mag, aus denen der miese Charakter am Ende total geläutert hervorgeht und plötzlich zum Charity-Guru wird. Ich meine, viel realistischer ist doch das Szenario "Game Of Thrones" (Serie): Den einen (z.B. Cersei Lannister) kann da alle Scheisse passieren und die ändern sich doch nicht. Weil das einfach ihre Persönlichkeit ist. Das empfinde ich als realistischer, obwohl es die anderen auch gibt.

Die Sache ist halt, ich habe solche Menschen kennengelernt. In meinem vorherigen Job gab es viele sehr Rechte und ich habe Aussagen gehört, die ich nicht einmal denen selbst wünschen würde. Und auch wenn ich das nicht gut heisse, sind auch die Menschen, die am Abend zu ihrer Familie nach Hause gehen, die ihnen wichtig ist (oder auch nicht, aber das ist ja eben das Interessante). Was steckt also dahinter? Und ich als eher Linke sitze dann vor dem Manuskript und denke: Nee, das kannst du doch jetzt nicht bringen, das sendet evtl. eine falsche Botschaft! Das ist das Problem, man schränkt sich ein dadurch, finde ich. Muss aber jeder halten, wie er möchte.

Zitat von: FiannaIndem ich in meinem Kopf solche Dinge mit bestimmten notwendigen Gegebenheiten des Plots verbinde, schwindet in mir der drang, die Person sympathischer zu machen.

Das ist ein interessanter Ansatz, werde mich mal weiter damit befassen. :)

@Leann: Genau das. Handbremse ist ein gutes Stichwort. Ich übe zurzeit mit einem meiner aktuellen Projekte, die Handbremse zu lösen und Gas zu geben, aber ich finde es nicht einfach. Zwei Beispiele:
Ich habe eine Frau, die einen Fetisch hat. Der ist nicht so bekannt und wird von Aussen meistens eher als sonderbar gesehen. Ich traue mich dann nicht, das ausführlich zu schreiben, weil ich denke, dass es vielleicht peinlich rüberkommt bzw. die Prota weniger sympathisch macht. Für sie ist es kein Problem, sie hat auch einen Mann, der das mitmacht. Das Problem ist meins als Autorin, dass ich denke, dass das zu viele Leute nicht verstehen und den Roman deswegen schlechter finden oder so.
Dann habe ich einen Typen, der eine asexuelle Freundin hat. Nur weiss sie das noch nicht und stellt das erst fest, als sie es mit ihm versucht. Er versteht wiederum nicht, warum ihr das alles nicht gefällt und reagiert dann ungehalten. Dann denke ich mir, dass das vielleicht doof ist, weil er dann viellicht wie so ein Typ wirkt, der Frauen schlecht behandelt. Aber wenn er total nett und verständnisvoll wäre, gäbe es erstens keine richtige Story und zweitens wäre das total out of character.
Kurzum: Ich schätze, du hast recht, ich sollte nicht daran denken, das zu veröffentlichen.  :rofl: ;)

Zitat von: MerwynWenn der beschissene Neonazi-Prota das N-Wort benutzt um afroamerikanische Mitbürger zu betiteln, dann sollte man das nicht schön umschreiben, sonst kann ich das nicht ernstnehmen.

Ja, es gibt auch einfach Dinge, die kann man nicht schön schreiben, weil es nichts zu beschönigen gibt. Sprich Suchtproblematiken, das ist einfach etwas Trauriges, Hässliches und Schlimmes. Warum da herum reden? Man könnte das bloss meiden, wenn man es schön haben will in seiner Geschichte, aber das ist es ja. Eine Geschichte, die nur schön ist, funktioniert nicht. Und ich sehe es irgendwo als eine Art Aufgabe als Autorin, eben auch solche Themen anzusprechen.

criepy

Ich muss ehrlich sagen, jetzt wo ich so darüber nachdenke, hab ich das Problem auch. Wobei für mich das nichts mit Mut zutun hat - sondern mit Realismus. Kein Mensch ist der selben Meinung oder hat die gleichen Ansichten - es gibt nunmal auch Rassisten und Frauenfeindliche Menschen. Also sollte es sie in einem Buch auch geben, egal wie die Kernthematik aussieht. Wenn der Prota eine Weltreise macht begegnen ihm nicht nur Charaktere, die eine politisch korrekte Meinung haben. Das ist einfach unmöglich. Der Prota stößt genauso auf Menschen, die er wegen seiner Ansichten nicht leiden kann. Aber dieser Mensch/Charakter muss nicht gleich in die Position eines Antas springen. Denn auch homophobe Menschen können persönlich ganz nett sein. Man kann mit ihnen genauso gut klar kommen, wie mit nicht-homophoben Menschen, vor allem wenn man deren Meinung zu dieser Thematik noch nicht kennt. Jeder hat Ecken und Kanten, aber diese müssen nicht sofort beim ersten Treffen ersichtlich sein.
Selbst wenn man jetzt einen Frauenfeindlichen Protagonisten hat, hetzt er doch nicht in jedem Absatz darüber und sei es nur gedanklich. Wenn das erst am Schluss auffliegt, ist es doch auch in Ordnung und vermittelt auch irgendwie ein Bild an den Leser.

Ich persönlich habe denke ich auch das Problem, dass ich zu...steif schreibe. Meine Charaktere sprechen oft so, wie ich eben schreibe. Das wirkt meist steif und eben nicht "echt". Flüche passen da bei mir also gar nicht rein und wirken recht billig oder gezwungen. Da habe ich angefangen, für Charaktere ein gewisses Vokabular anzulegen, passend zum Hintergrund und versuche ihnen so individuelle Stimmen zu geben.
Ansonsten hat Leann denke ich schon extrem viel hilfreiches gesagt. Einfach mal ausprobieren und sehen, wie es läuft.
Dein Beispiel mit dem Typen und der asexuellen Freundin kann ich eig gut nachvollziehen. Ich bin selbst asexuell und für mich scheint das eine vollkommen gut nachvollziehbare Reaktion zu sein. Selbst für jemanden, der eigentlich der total liebe Kerl ist. Kann sein, dass ich das aus einer anderen Sicht sehe, aber für mich ist das komplett legitim und meiner Meinung nach kannst du da ruhig die Handbremse loslassen.

canis lupus niger

#11
Einerseits verstehe ich jedermanns inneren Widerstand dagegen, "Hässliches" oder sondern sogar Verurteilenswertes aufzuschreiben. Auch ich mag etwas, das meinen eigenen Überzeugungen so sehr widerspricht, weder gerne schreiben, noch lesen. Aber:

Zitat von: Trippelschritt am 24. Dezember 2016, 06:44:13
Ein Autor wählt eine ganz bestimmte Geschichte, die er erzählen möchte. Diese Idee und die beteiligten Figuren bestimmen die Sprache. Und political correctness hat in der Literatur nichts zu suchen.
Genau so!

Wenn man das nicht kann, dann muss man eben etwas anderes schreiben oder lesen. Oder - etwas netter ausgedrückt - man muss sich eine Welt, ein Setting, einen Protagonisten suchen, die mit dem eigenen Sinn für Ästhetik harmonieren. Wenn man jedoch die verurteilenswerten Gedanken eines verurteilenswerten Charakters, sowie dessen Wortschatz und viele andere Eigenschaften lebendig und nachvollziehbar darstellen will, dann muss man auch dessen Formulierungen verwenden. Wie soll man sonst "show, don't tell" praktizieren? Man muss halt deutlich machen, dass es sich um die Meinung des verwendeten Charakters handelt, und nicht um die des Autors. Wenn dagegen etwas nur beschrieben werden soll, dann kann man als Autor natürlich ganz anders (weil losgelöst vom Charakter) formulieren.

Andererseits kann etwas Unschönes zu sagen, bzw. zu schreiben ja auch eine Chance sein, mal ganz anders zu denken als sonst. Man kann Altlasten und Abgründe ausloten, die man sich selber vielleicht nie ehrlich eingestanden hat, und sich auf diese Weise selber besser kennenlernen, verstehen und vielleicht sogar von manchem Müll befreien, den man unbewusst mit sich herumschleppt. Das habe ich nicht nur über den Austausch hier im TiZi, sondern auch über die Beschäftigung mit meinen Buchcharakteren und "ihren" möglichen Abgründen kennen gelernt. Ein bisschen wie ein Maskenball, auf dem man jemanden darstellen kann, der man nicht wirklich zu sein glaubt. Ob man die Ergebnisse dieser Gedankenexperimente am Ende öffentlich macht, bleibt ja jedem selber überlassen.

Anj

Ich finde, das Thema ist deutlich vielschichtiger als es erstmal den Anschein hat. Geht es um den gesamten Ton des Buches, geht es um Nebenfiguren oder eben um die Figuren, in deren Köpfe wir direkt schauen?

Ich persönlich bin der Meinung, dass explizite Gewalt oder politisch nichtkorrekte Ansichten immer dann gut passen, wenn sie in ein passendes Setting eingebettet sind. Sie stehen ja nicht allein, sondern werden erst in der Interaktion mit anderen lebendig. Das bedeutet, es ist nicht nur wichtig, wie reagiert die "negative" Person, sondern mindestens genauso wichtig ist wie das Umfeld reagiert.
Da bilden sich dann tatsächlich Kontraste und Tiefe, die Denkanstöße geben und keine reine Verherrlichung sind. (Reine Verherrlichung finde ich als einziges wirklich problematisch)
Wenn ich also eine starke Sorge habe, dass ein Leser auf eine bestimmte Art und Weise reagieren wird, schaue ich, ob ich nicht eine Figur im Roman genauso reagieren lassen kann (oder die Figur selbst sich Gedanken über diese mögliche Reaktion machen). Und dann lasse ich ggf. die "Reizfigur" ebenfalls wieder reagieren. Und damit habe ich dem möglicherweise konsternierten Leser einen Spiegel vorgehalten. Und nun kann er überlegen, ob er sich Gedanken über seine eigene Meinung machen will oder die Geschichte halt einfach blöd findet oder einfach drüber wegliest, ohne sich weiter damit aufzuhalten. Hierfür sind für mich durchaus auch Betaleser während des Schreibprozesses sehr hilfreich, wenn ich da wirklich mal hadere. (Also vielleicht hebelt es den Zensor aus, seine Gedanken übungshalber neben den expliziten Inhalten ebenfalls zu thematisieren. Zumindest, wenn letztlich die Sorge dahintersteht, dass ich als Autor verurteilt werde und nicht "nur" meine Geschichte)

Ebenfalls wichtig ist für mich, dass die provokanten Anteile nicht zum Selbstzweck wird. Wenn jede Figur in jeder Situation nur Gossensprache kann, dann ist das genauso wenig realistisch, wie überall Zuckerguss. Ein Autor sollte meiner Meinung nach in der Lage sein, sich zumindest in seinen Geschichten in verschiedenen sozialen Schichten zu bewegen und dies auch darzustellen, wenn die Geschichte das eben fordert.

Dass man Menschen damit bestärkt, das ist etwas, bei dem ich persönlich weniger Verantwortung beim Autor sehe, solange er sich bewusst ist, warum und wie er diese Stilmittel in seiner Geschichte einsetzt. Wir können letztlich nicht kontrollieren, wie unsere Worte bei anderen ankommen und wer sich bestätigt fühlen will, kriegt das auch hin.

Aus rein menschlicher Sicht finde ich es übrigens sogar gut, wenn derartige Figuren nicht nur schwarz und weiß gezeichnet sind, denn im realen Leben sind sie das meist auch nicht. Und eine kontrastreiche Auseinandersetzung damit in einem Buch, kann auch eine Grundlage sein, damit sich Menschen annähern. Denn Verständnis dafür warum der andere bestimmte Meinungen ausgebildet hat/haben könnte, ist der erste Schritt zu einem echten Austausch von Meinungen, der Veränderungen möglich macht (wenn auch leider immer in beide Richtungen). Also weg von Pauschalisierungen und hin zu konkreten, individuellen Aussagen. Das ist zumindest meine Erfahrung.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Evanesca Feuerblut

Der Thread spricht mir aus der Seele, es hat tatsächlich mit Mut zu tun und mit Überwindung, Unschönes direkt auszusprechen und nicht zu verharmlosen.
Ich erinnere mich noch an die Rohfassung meines Erstlings, in dem die ganze "Folterszene" aus zwei eher lahmen Ohrfeigen bestand und schon das verlangte mir alles ab, was ich mit 17 an Mut und Energie aufbringen konnte. Die überarbeiteten Versionen fielen drastischer aus. Viel drastischer. Einer Betaleserin ist davon schlecht geworden. Und... mir beim Schreiben um ehrlich zu sein auch.
In meiner neunbändigen Vampirreihe habe ich unter anderem eine Perspektivträgerin, die aufgrund eines ganzen Clusters aus Traumata eine ungesunde Einstellung zu sich selbst und ihren Mitmenschen hat und ihren Ehemann emotional und sexuell missbraucht. Und diese Figur hat so einige Szenen (auch wenn sie in keiner davon direkt damit beschäftigt ist, ihren Ehemann zu vergewaltigen - das war dann meine persönliche Grenze).
Und allerlei andere Szenen.
Und jede Szene - so nötig sie für die Handlung ist - hat mich vollständig ausgelaugt und an meine Grenzen geführt. Ich kann jeden Autor verstehen, der abmildernd schreibt, weil er oder sie selbst das Ausmaß des Geschriebenen sonst gar nicht ertragen könnte.

Flüche sehe ich im Vergleich dazu eher mild, habe aber hier das Problem, dass ich selbst eben nicht fluche. Unter keinen Umständen. Aber meine Figuren schon.

Für mich hat der Mut, das Unschöne (sowohl im Sinne von "Das Unaussprechliche, das Brutale, das Schreckliche" als auch "das in meinen Augen Unästhetische") auszusprechen, also tatsächlich mit der täglichen Überwindung von Grenzen zu tun.
Mir hilft es dabei sehr, Bücher zu lesen, in denen Grenzen überschritten werden, an die ich mich nicht getraut habe. George Martin war in der Hinsicht für mich eine Offenbarung.

Die Grenzen sind natürlich für jeden anders. Ich hätte kein Problem mit halbverwesten Zombies (da hätte ich noch den größten Spaß, mir so unappetitliche Dinge wie in Augenhöhlen herumkriechende Maden auszudenken), aber als mein Protagonist in einem Streit zwischen Teenagern als "Pussy" bezeichnet wurde, habe ich in der Fassung, die zum Glück so nicht beim Verlag gelandet ist, erstmal nur "P****" an dieser Stelle geschrieben, weil ich mich nicht getraut habe.

Was hilft, um Grenzen auszuloten und zu überqueren, ist, sich von den Figuren leiten zu lassen. Ich schreibe zu einem Drittel planend und zu zwei Drittel entdeckend, was den Figuren viel Freiraum lässt. Und wenn eine Figur in eine Situation kommt, in der es mir SAU-unangenehm ist, die zu schreiben, dann zwinge ich mich.
Eine erste Fassung kann man verbessern. Dann wird es beim ersten Versuch eben peinlich, gezwungen (oder wie im Falle von oben - zensiert man sich eben selbst, bis man den Mut hat, es nicht mehr zu tun) und eher lächerlich als so, wie beabsichtigt. Aber man hat schon mal die schriftstellerische Grenze überwunden und etwas erzählt, was erzählt werden musste, selbst wenn es einem nicht gefällt.

ZitatEs kann aber natürlich auch so gemacht sein, dass durch das Vorkommen einer solchen Figur, vielleicht sogar als Hauptperson, genau diese Dinge kritisch gezeigt und angeprangert werden, was ich ganz interessant finde. Was ich schon gesehen habe, waren Bücher mit solchen Figuren, auch als Erzähler, bei denen man klar gemerkt hat, dass man die Figur als negativ wahrnehmen soll. Für mich war es da sehr unangenehm im Kopf dieser Figur stecken zu müssen, aber da ist jeder Leser anders.
Ich liebe solche Bücher, weil sie mich beim Lesen an meine persönlichen Moralgrenzen zu gehen zwingen. Aber ich gehöre auch zu den Menschen, die beim Lesen bewusst nach einer Art Katharsis suchen. Ich möchte beim Lesen dazu gezwungen werden, durch die Hölle zu gehen (mittels Empathie) um nach der Lektüre ein besserer Mensch zu sein. Toleranter, weltoffener, weniger vorurteilsbehaftet.
Daher ist das auch der Sinn für mich persönlich dahinter, sowas auch in meinen Geschichten vorkommen zu lassen. Katharsis für den Leser. Es muss wehtun, damit es hinterher gut heilen kann.
Aber jeder Mensch liest aus einem anderen Grund. (Und ich halte mich auch nicht für besser als andere, nur weil ich Bücher gerne danach aussuche, ob sie mich leiden lassen. Es ist nur meine persönliche Begründung dafür, dass ich Bücher mit unschönen Dingen sowohl lese als auch zu schreiben versuche. Nur bei zweiterem verlässt mich eben manchmal der Mut, so weit zu gehen, wie es für den gewünschten Katharsis-Effekt nötig wäre und dann fühle ich mich so unzulänglich  :'( ).

Zur Frage, warum man sowas tut:
In einer meiner Romanreihe habe ich eine scheinbar egalitäre, im tiefsten Inneren jedoch höchst sexistische und heteronormative Gesellschaft - aber in einem Matriarchat realisiert. Und einige der Damen sind ausgesprochen männerfeindlich. Es ist für mich sehr, sehr unangenehm, in den entsprechenden Köpfen zu stecken (oder im Kopf eines Jungen, der sich anhören darf, dass er für einen Mann gar nicht mal so dumm ist, wie frau dachte). Aber ich verfolge damit beispielsweise unter anderem den Zweck, frauenfeindlichen Männern einen Spiegel vorzuhalten (Nach dem Motto "Wie würde es euch gefallen, wenn man euch so behandelt, wie ihr Frauen behandelt?") und gleichzeitig aufzuzeigen, dass es auch sexistisch ist, uns Frauen als die Göttinnen von Liebe, Frieden und Gerechtigkeit überzuidealisieren und nicht ernst zu nehmen. Frauen in Machtpositionen tun genau das, was Männer in Machtpositionen tun. Weil bestimmtes Verhalten in diesen Situationen universal menschlich ist.

Wobei es generell auf das Genre ankommt. In Psychothrillern ist es beispielsweise vollkommen normal, dass einer der Perspektiventräger der Serienmörder ist und wir nicht nur in den kranken Kopf reingucken, sondern auch vom Autor bewusst dazu verleitet werden sollen, eine gewisse Empathie auch für den Täter zu empfinden, bei aller Abscheu vor seinen Taten. Da ist das eins der Markenzeichen des Genres und wird nicht hinterfragt.

In Fantasy habe ich dagegen oft das Gefühl, dass z.B. die Folgen einer Schwertkampfwunde, die Auswirkungen von Gewalt etc. manchmal heruntergespielt werden (weshalb Martin mit seiner hoffnungslos ehrlich brutalen Welt ja so eine Offenbarung für mich war :D).

ZitatIch denke auch, dass ein politisch korrekt denkender Autor nichts politisch Unkorrektes schreiben kann. Da muss man erst mal den Kopf frei machen.
Würde ich so nicht zwingend unterschreiben, @Churke. Ich sehe mich als geradezu abstrus politisch korrekten Menschen. Ich habe meinen Eltern erfolgreich das N-Wort ausgeredet, jetzt müsste ich es schaffen, das Gleiche beim Z-Wort zu tun.
Aber gerade weil ich mich politisch ganz klar auf der "guten Seite der Macht" verorte und mich als empathischen Menschen sehe, der bewusst daran arbeitet, sich nicht instrumentalisieren zu lassen, muss ich so viele politisch unkorrekte Menschen in meinen Geschichten auftauchen lassen. Und zwar nicht nur als Antagonisten, sondern auch als "der Typ von nebenan, der doch eigentlich total sympathisch ist und kein Nazi sein kann, der ist doch viel zu nett und päppelt in seiner Freizeit Hundebabys".

ZitatWeiß auf Weiß sieht man nicht und schwarz auf schwarz ebenso wenig.
Der Kontrast zwischen den Elementen und Ebenen macht das Bild.
Exakt, @cryphos . Auch den Rest deines Beitrags kann ich nur unterschreiben.

@Witch
ZitatDann habe ich einen Typen, der eine asexuelle Freundin hat. Nur weiss sie das noch nicht und stellt das erst fest, als sie es mit ihm versucht. Er versteht wiederum nicht, warum ihr das alles nicht gefällt und reagiert dann ungehalten. Dann denke ich mir, dass das vielleicht doof ist, weil er dann viellicht wie so ein Typ wirkt, der Frauen schlecht behandelt. Aber wenn er total nett und verständnisvoll wäre, gäbe es erstens keine richtige Story und zweitens wäre das total out of character.
Das Verhalten des Freundes ist (leider) vermutlich das, was sehr viele Asexuelle und Demisexuelle (zu denen ich mich zähle) am eigenen Leib erlebt haben. Also nichts, was dir peinlich sein müsste so zu schreiben. Die, die das aus eigener Anschauung kennen, werden an dieser Stelle traurig nicken.
Denn natürlich wird der Kerl das Ganze erst einmal als Ablehnung der eigenen Person interpretieren und sich aus seiner Unsicherheit heraus aggressiv geben. Und die Freundin, die selbst noch nicht richtig weiß, was Sache ist, kann ihm nicht so richtig helfen (und er wird ihr auch erstmal nicht glauben, dass es nicht an ihm persönlich liegt). Finde ich also psychologisch so vollkommen realistisch und macht den Freund nicht automatisch frauenfeindlich. Welcher Mensch reagiert bitte nett und verständnisvoll darauf, abgelehnt zu werden? Besonders, wenn wie in sexuellen Dingen oft, eigene Unsicherheiten mitschwingen?
Also wie gesagt, nichts, was dir peinlich sein muss.
(Zur ersten Problemstellung kann ich ohne weiteres Wissen nichts sagen, aber wird schon auch klargehen  :knuddel: ).

ZitatWenn man jedoch die verurteilenswerten Gedanken eines verurteilenswerten Charakters, sowie dessen Wortschatz und viele andere Eigenschaften lebendig und nachvollziehbar darstellen will, dann muss man auch dessen Formulierungen verwenden. Wie soll man sonst "show, don't tell" praktizieren? Man muss halt deutlich machen, dass es sich um die Meinung des verwendeten Charakters handelt, und nicht um die des Autors. Wenn dagegen etwas nur beschrieben werden soll, dann kann man als Autor natürlich ganz anders (weil losgelöst vom Charakter) formulieren.
Exakt. Ich trenne immer sehr streng meine Haltung von der Haltung aller meiner Figuren, auch von der einiger "Guten", weil die nicht zwingend mit meiner übereinstimmt.
Und die meisten Leser sind intelligent genug, diese Trennung auch geistig durchzuführen und Autor, Erzähler und POV nicht durcheinanderzubringen. Das sind ja je nach Erzählart gerne bis zu drei verschiedene Instanzen. Das macht mir persönlich die wenigsten Sorgen, wenn ich ehrlich bin.

ZitatReine Verherrlichung finde ich als einziges wirklich problematisch)
Dito. DA ist auch für mich eine Grenze überschritten.

ZitatAus rein menschlicher Sicht finde ich es übrigens sogar gut, wenn derartige Figuren nicht nur schwarz und weiß gezeichnet sind, denn im realen Leben sind sie das meist auch nicht. Und eine kontrastreiche Auseinandersetzung damit in einem Buch, kann auch eine Grundlage sein, damit sich Menschen annähern. Denn Verständnis dafür warum der andere bestimmte Meinungen ausgebildet hat/haben könnte, ist der erste Schritt zu einem echten Austausch von Meinungen, der Veränderungen möglich macht (wenn auch leider immer in beide Richtungen). Also weg von Pauschalisierungen und hin zu konkreten, individuellen Aussagen. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Das ist viel besser formuliert, als meine Versuche weiter oben. Nein, im Ernst. Gerade solche Dinge wie "der Rassismus der Mitte" können durch entsprechende Buchfiguren dargestellt und damit für den Leser greifbarer gemacht werden. Wenn der Leser bisher dachte, bestimmte Meinungen seien nur am Rande der Gesellschaft zu finden und gehen ihn nichts an, kann das zum Umdenken führen - und der Leser wird dann zum Multiplikator dafür, dass es ein Problem gibt, es alle was angeht und man versuchen muss, es zu lösen. Statt es zu ignorieren. Egal von welchem Problem die Rede ist.

canis lupus niger

#14
Wenn ich die hier bisher geposteten Beiträge noch einmal überfliege, einschließlich meiner eigenen  8), bin ich natürlich mit allem immer noch einverstanden. Aber mir geht durch den Kopf, dass ein Autor dabei u.U. ganz schön hohe Anforderungen an seine Leser stellt, wenn er von diesem verlangt, ihm zu folgen.

Ich erinnere mich an einen SciFi-Roman, den ich in meiner lange vergangenen Teenagerzeit gelesen habe. Darin wurde vom Untergang aller menschlichen Zivilisationen durch - ich glaube - eine technische Katastrophe erzählt. Die Erzählperspektive war das von Außerirdischen gefundene und ausgewertete Tagebuch eines ursprünglich privilegierten Briten, der sich nörgelnd darüber beklagte, wie unangenehm das Schicksal mit ihm persönlich verfuhr. Im Vorwort wiesen die Auswerter eigens darauf hin, wie enttäuschend es sei, dass ausgerechnet allein dieses in einer Thermosflasche verwahrte Bündel Papier aus dem Zeitalter der auf vergänglichem Papier und elektronisch gespeicherten Dokumente erhalten geblieben war.  Also war auch für einen eher action- bzw. romantikverliebten Leser, wie ich es damals war, erkennbar, wie es gemeint war. Trotzdem habe ich es seinerzeit gehasst, die eigentlich spannende Geschichte aus so einer nervigen Perspektive geschildert zu bekommen. Ich war einfach noch nicht reif genug dafür. Schade im Rückblick! Leider weiß ich den Titel nicht mehr.

Aber dieses Schicksal kann auch heutzutage jedem Autor passieren, der eine derartig anspruchsvolle Geschichte schreibt. Es ist schon ziemlich schwer, die dafür geeignete anspruchsvolle Leserschaft zu finden und zu erreichen - sicherlich schwerer, als mit einer üblichen Mainstream-Geschichte.