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1. oder 3. Person?

Begonnen von Veldrys, 30. Oktober 2015, 15:26:01

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Trippelschritt

Aber gilt das nicht grundsätzlich für jede Figur? Und am anfang kennt man den Ich-Erzähler doch genau so wenig wie alle anderen Figuren.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Katha

Ich finde deine Ansicht interessant, liebe Angela, weil mir Ich-Erzähler gerade wegen der Nähe oft sympathischer werden. Dazu kommt noch, dass ich bei einem Ich-Erzähler das Gefühl habe, unmittelbar an seinen Gedanken, Gefühlen und Reaktionen teilzuhaben, während ich mich bei einem Erzähler aus der 3. Person sehr oft dabei ertappe, seine Worte zu hinterfragen. Das kann je nach Geschichte natürlich auch von Vorteil sein. :D

Als Autor finde ich die 1. Person vor allem bei solchen Geschichten gut, die sich viel in der Gedankenwelt des Protagonisten abspielt. Ich habe zum Beispiel mit einem Krimi angefangen, bei dem der Detektiv natürlich auch Schlussfolgerungen und Vermutungen an den Leser transportieren soll. Das finde ich persönlich einfacher und authentischer, wenn das in den Gedanken des Detektivs passiert und ich habe auch keine Lust andauernd eine Watson-Figur einzubauen. Würde ich diese Geschichte aus der 3. Person erzählen, wäre es für mich - und vermutlich auch für den Leser - sehr viel anstrengender andauernd in den Gedanken des Detektivs zu sitzen als bei einer Erzählung aus der 1. Person.

Insgesamt versuche ich eigentlich, als Autor flexibel zu sein und mich je nach Geschichte für einen Erzähler zu entscheiden. Im Moment habe ich aber leider das Gefühl,  dass mir der Ich-Erzähler besser liegt und auch leichter zu schreiben fällt.

PinkPuma

Zitat von: IlvaIch werfe mal in die Runde: Ist die Wahl der Perspektive nicht auch eine Genre-Frage? Bei mir zumindest scheint das so zu sein.

Gerade erste Person ist eine Perspektive, die meiner Meinung nach zum Beispiel in moderneren Settings gut funktioniert. Ich schreibe zum Beispiel gerne dystopischen Stoff in der ersten Person. Dadurch wird die Geschichte für mich "realer", denn es könnte quasi jemand aus unserer Zukunft sein, der das erzählt.
In einem modernen Setting verwende ich auch eine leicht andere Sprache: Erste Person passt für mich gut zu einer etwas salopperen Ausdrucksweise - Stilmittel wie Galgenhumor gefallen mir in der ersten Person besser.

Dritte Person gibt für mich eher den Klang einer Chronologie oder einer Sage. Deshalb ist diese Perspektive für High Fantasy Projekte und allgemein weniger moderne Settings meine erste Wahl. Hier darf die Sprache auch ausgeschmückter sein.
Hier bin ich absolut bei dir, Ilva! Für mich hängen Perspektive und Genre ganz eng zusammen.
Ich selbst schreibe z.B. Fantasy grundsätzlich aus der Sicht eines personalen Erzählers. Hauptsächlich deshalb, weil der komplexe Plot durch einen Ich-Erzähler wichtige Handlungsstränge nur einseitig beleuchten würde. Mal abgesehen davon fühlt sich Ich-Perspektive und Fantasy für mich nicht gut an – zum schreiben. Als Leser habe ich tatsächlich bislang nur sehr, sehr wenige Fantasy-Romane gelesen, die für mich in der Ich-Perspektive funktioniert haben. Um ehrlich zu sein, fällt mir gerade nicht mal einer ein...
Hingegen bei Gegenwartsliteratur mag ich Ich-Erzähler sehr gerne und es dürfen für mich sowohl als Autorin wie auch als Leserin auch mehrere Ich-Erzähler sein, solange es gut gemacht ist und nicht zu Verwirrungen führt. Mein Debüt-Roman beispielsweise hat zwei Ich-Erzähler, mein aktuelles NaNo-Projekt hat einen (beides ist Gay Fiction mit einem gegenwärtigen Setting).
Bei Sprache und Stil geht es mir ebenfalls wie Ilva.
Fantasy, historische Romane etc. darf gerne etwas gehobenere Sprache sein und das passt gut zur 3. Person. In der 1. Person würde das oft zu geschwollen klingen. Ein Ich-Erzähler darf da etwas alltagssprachlicher agieren.


Letztlich kann ich nicht sagen, welchen Erzählmodus ich vorziehe. Ich finde, sowohl 1. als auch 3. Person hat Vor- und Nachteile und zwar immer in Bezug auf die betreffende Geschichte. Ich kann nicht sagen, ,,ich finde Ich-Erzähler nicht gut", aber ich kann sagen, ,,ich finde den Ich-Erzähler für diese Geschichte nicht gut". Daher entscheide ich auch meist aus dem Bauch heraus, wer in meinen Texten das Wort bekommt.

Angela

ZitatAls Leser habe ich tatsächlich bislang nur sehr, sehr wenige Fantasy-Romane gelesen, die für mich in der Ich-Perspektive funktioniert haben. Um ehrlich zu sein, fällt mir gerade nicht mal einer ein...
Robin Hobbs Fitz und Fool Bände sind in der 1. Person. Ich liebe die Bücher dennoch ;D.


ZitatAber gilt das nicht grundsätzlich für jede Figur? Und am anfang kennt man den Ich-Erzähler doch genau so wenig wie alle anderen Figuren.
Ich habe in einem Schreibratgeber gelesen, dass es eigentlich Jacke wie Hose sei, ob 1. oder 3. Person. Ich für mich habe aber schon den Eindruck, dass 1. Person doch meist mehr von seiner Gedankenwelt preisgibt, der ganze Erzähltext wird auch in seiner speziellen Sprache geschrieben sein, all das bestimmt die Person doch arg und schränkt sie gleichzeitig auch ein, zumindest empfinde ich das so. Ich habe einmal versucht, in der 1. Person zu schreiben und es war mir zu eng.

Trippelschritt

P. Rothfuss: The Name of the Wind wurde auch in der Ich-Perspektive geschrieben. Jedenfalls über große Strecken. Ebenso Clan der Otori von Liam Hearn, wenn auch nur ein einzelner Strang, wenn ich mich recht erinnere. In der Krimi-Literatur ist es Dick Francis. viele Erotiksachen sind in der ersten Person geschrieben, weil man dort die große Nähe ausnutzen kann. Also: auf den ersten Blick finde ich keine Genreabhängigkeit. Ob es irgendwo eine Häufung gibt, kann ich allerdings nicht sagen. nur, dass die Ich-Perspektive in der Minderheit ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Sturmloewin

Beim Lesen stört mich die 1. Person nur, wenn ich merke, dass der Autor damit irgendwie Unlogik reinbringt. Die Ich-Perspektive ist eben viel näher an den Gefühlen und wenn die dann ausgelassen werden oder zum Beispiel unlogische Gedankenstränge auftauchen, gefällt mir das nicht.
Allerdings kann die erste Perspektive auch sehr spannend sein. "Wintermädchen" von Laurie Halse Anderson könnte ich mir zum Beispiel nicht in der dritten Person vorstellen.

Ob ich in der ersten oder 3. Person schreibe kommt für mich immer darauf an und da gehe ich ganz mit Ilva.

Für mich ist zum Einen das Genre wichtig, die Komplexivität der Handlung, aber auch die Person an sich. Fantasy schreibe ich zumeist lieber aus der Er-Perspektive, während mir andere "realere" Themen manchmal in der ich-Perspektive besser gefallen.
Meistens entscheide ich das aber einfach aus dem Bauch heraus und ich denke, sofern man sich als Autor seiner Sache sicher ist und die Entscheidung trägt, kann das gut funktionieren.
So when the world knocks at your front door
Clutch the knob tightly and open on up
And run forward and far into its widespread, greeting arms
With your hands outstretched before you
Fingertips trembling, though they may be
--- Anis Mojgani "Shake the Dust"

pink_paulchen

Ich schreibe gerade Nano - es ist contemporary romance und soll einmal das werden, was man "frecher Frauenroman" nennt.
Nach Schreibtests bin ich in der 1. Person Gegenwart unterwegs. Es fühlt sich ganz toll an beim Schreiben. Ich BIN meine Heldin. Das ist ja grundsätzlich super. Aber ich entdecke dabei einen grundsätzlichen dramatischen Unterschied.
Ich habe quasi null Setting. Im anderen Roman (personaler Erzähler, Steampunk) gab es immer mal Abschnitte für Setting, Kulisse, Gegenstände, Welt. Ich habe das im jetzigen Buch überhaupt nicht. Wenn ich im jetzigen Roman einen Stuhl habe, dann taucht der auf, weil sich jemand draufsetzt. Wenn es ganz gut läuft, ist er noch weich oder hart. An keiner Stelle steht, dass das ein toller altenglischer Ohrensessel im Kolonialstil mit grünem Samt und Messingknöpfen ist (wie im anderen Projekt).
Einerseits kommt mir der Roman dadurch sehr straff vor, leicht irgendwie und handlungsstark.  Andererseits fehlt mir schon ein bisschen das blumige.
Denkt ihr, dass es bei mir am Setting liegt (im Steampunk hast du natürlich auch viel mehr  Lust die tolle optisch opulente Welt zu verschreibseln) oder hat dieses Phänomen schon mal jemand von euch beobachtet?
Und zweite Frage: Wie mach ich's in der Überarbeitung? Einen Roman relativ ohne Details in der Umgebung anreichern? Oder kann sowas funktionieren?

Trippelschritt

Es kann alles funktionieren. Wenn die Heldin sich mit allen möglichen Dingen bescjhäftigt und "blumige" Dinge nicht wahrnimmt, dann ist sie eben so und passt auch zu einem "frechen" Frauenroman. Es ergibt sich aus dieser Entscheidung eine ganz andere Atmosphäre, als wenn man bei reflektierenden Beschreibung verharrt. Jedes hat seine Funktion. Man muss es nur überzeugend schreiben. Also: keine Gewissensbisse, sondern Volldampf voraus. (Um mal in der Rauchersprache zu bleiben)  :snicker:

Trippelschritt

Dämmerungshexe

Ich würde auch sagen, solange man personell schreibt beschreibt man das, was dem/der Protagonisten/in ins Auge fällt und wie er/sie es beschreiben würde - ganz egal ob 1. oder 3. Person.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

HauntingWitch

Ich unterschreibe bei Dämmerungshexe. Wenn für deine Protagonistin der alte, englische Ohrensessel etwas völlig Normales ist oder etwas, das sie nicht weiter erwähnenswert findet, dann wird es eben nicht eigens erwähnt. Man geht ja auch nicht durch die eigene Wohnung und denkt: "Ich betrete jetzt mein 40m2 grosses Wohnzimmer und schaue dabei auf die Aussicht gen Westen, wo in wenigen Minuten die Sonne untergeht. Ich komme an meinem orangen Sofa vorbei, das Sideboard aus Glas beachte ich gar nicht." (Meine Güte, wie das klingt). Man betritt ja sein Wohnzimmer und setzt sich aufs Sofa. Oder schaut dem Sonnenuntergang zu. Wenn das Sofa aber plötzlich nicht mehr da ist, würde mir das schon auffallen. ;D Ich halte das immer so, ich beschreibe, was die Personen sehen und was ihnen auffällt.

Slenderella

Ich würde eher sagen, es ist keine Genre Frage, sondern eine Zielgruppenfrage. Jüngeres (nicht ganz junges) Publikum freundet sich schneller mit dem Ich-Erzähler an.
Ich mochte das hingegen früher gar nicht, weder als Teeny noch als Kind, warum ich dann auf den Trichter kam, meinen Erstling in Ich-Perspektive zu schreiben, kann ich niemandem beantworten.

Ich mache das mittlerweile nach Gefühl, manche Geschichten erzählen sich einfach so besser (gerade wenn ich lange Zeiträume abdecken will, aber nicht verraten will, was um die Person herum so geschieht).
Ich brauch noch eine Katze
Und ein Beil wär nicht verkehrt
Denn ich gehe heute abend
Auf ein Splatter-Pop-Konzert

Brigadoona

Ich habe vor Jahren einen historischen Roman in der 1. Person geschrieben, weil ich ihn irgendwie in die Gegenwart transportieren wollte. Die Kombi Präsens und Ich-Form fände ich in so einem Fall besonders reizvoll. Auf die Idee bin ich damals aber noch nicht gekommen.

Trippelschritt

Ich kenne viele ältere Leute, die überhaupt kein Problem mit der Ich-Perspektive haben. Und Dick Francis war immerhin Jockey der Queen Mum.
Ich denke eher, dass es manche Stoffe gibt, für die sich einfach eine Ich-Perspektive anbietet, und andere, bei denen es schwierig ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Brigadoona

Zitat von: Trippelschritt am 14. November 2015, 10:18:32
Ich kenne viele ältere Leute, die überhaupt kein Problem mit der Ich-Perspektive haben.

Da ist was dran.

Slenderella

Zitat von: Trippelschritt am 14. November 2015, 10:18:32
Ich kenne viele ältere Leute, die überhaupt kein Problem mit der Ich-Perspektive haben. Und Dick Francis war immerhin Jockey der Queen Mum.
Ich denke eher, dass es manche Stoffe gibt, für die sich einfach eine Ich-Perspektive anbietet, und andere, bei denen es schwierig ist.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Ich sag ja auch nicht, dass das für alle "älteren" Leute gilt. Aber wenn ich so bei mir in der Familie mich umhöre, dann mögen meine älteren Verwandten das alle nicht so gern. Wohingegen Schwiegermutter (genauso alt) wieder kein Problem damit hat.

Aber es gibt durchaus marketingtechnische Gründe, warum viele Jugendbücher die Ich-Perspektive wählen.
Ich brauch noch eine Katze
Und ein Beil wär nicht verkehrt
Denn ich gehe heute abend
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