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Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Rabengetint am 05. April 2017, 16:34:34

Titel: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Rabengetint am 05. April 2017, 16:34:34
Ausgangssituation: Ich "kann" keine kurzen Geschichten schreiben. Die abstrakte Ursache dafür ist mir klar: Ich lese selbst am liebsten dicke Bücher. Nicht nur, nicht ausschließlich, aber die Bücher, die mir am besten gefallen, sind die von Rebecca Gablé, Tad Williams, George R.R. Martin, die wirklich dicken Bücher von Andreas Eschbach. Einzige Ausnahme ist Kai Meyer, aber der packt unglaublich viele Informationen in vergleichsweise wenige Seiten und erzählt damit auch kompexe Geschichten.

Jetzt gibt es Gründe, warum ich vielleicht doch kürzere Geschichten schreiben will, oder zumindest schreiben können will. Sei es Verlagssuche, sei es, dass es unbefriedigend ist: Egal wie ich plane, meine Geschichten machen, was sie wollen. (Man stelle sich an dieser Stelle eine von Handlungsstrang-Tentakeln gefesselte Autorin vor.)

So. Jetzt habe ich zwei Biester identifiziert, die vielleicht auf der technischen Ebene für meine Storylänge verantwortlich sind. Möglicherweise sorgen sie auch dafür, dass die Geschichten für den Leser unübersichtlich werden.

1. Die Handlung an sich. Ich schreibe nach einer Fünf-Akt-Struktur, aber die ist bei mir anders, als wenn man sie nachliest. Der 5. Akt ist bei mir der Endkampf, der Showdown, die finale Eskalation des Konflikts. Was die online nachzuschlagenden Konzepte "5. Akt" nennen (oder 3. Akt oder 7. Punkt), das nenne ich "Epilog".
-> Frage, die sich unmittelbar stellt: Merkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?
-> Frage, auf die ich hinaus will: Liegt da ein Romanlänge-Problem begraben? Wenn das normale Plotmuster so aussieht, "Am Anfang stellen sich alle vor, in der Mitte passiert ein Konflikt, am Ende gehen alle nach Hause", dann ist ja klar, dass meine Bücher länger werden. Einfach, weil es bei mir mehrere Sinnabschnitte gibt, in denen etwas passiert.
(- Man merkt, ich bin nicht so wahnsinnig überzeugt von diesen Konzepten. Aber möglicherweise verstehe ich sie auch falsch.)

2. Die Anzahl von Figuren. Viele Figuren = viele Handlungsstränge = längeres Buch. So weit, so klar.
- Was tun, wenn das Setting eine bestimmte Anzahl von Personen vorgibt? Aktuell: Krankenhaus, Psychiatrie. Analog, Schulklasse. Noch schlimmer, wirkmächtige Revolutionsbewegung oder so was. Das ist realistisch nicht mit unter xy Personen zu machen, und wenn die Figuren einmal da sind, dann neigen sie dazu, wichtig für die Handlung zu werden. Das endet dann mit gefühlt 1000 benannten und über 10 plotrelevanten Charakteren, selbst wenn ich einen Hauptplot um eine (1) Protagonistin und 1-3 weitere Hauptfiguren habe.
- Ich bekämpfe Klischeefallen, indem ich mehr Figuren einführe. Ich finde es doof, wenn es nur eine Frau gibt und deren wesentliche Eigenschaft dann ist, dass sie halt die Frau ist. Aber wenn ich mehrere Frauen, mehrere Männer, mehrere Krankheitsbilder, mehrere ethnische Minderheiten, mehrere Sexualitäten, mehrere Altersgruppen... habe, dann wird es immer noch irgendeine Gruppe geben, die ich vernachlässige. (George R.R. Martin sagt dazu, "The real world is complex, I want my fictional world to be complex." Man sieht, wozu das führt.)
- Und dann habe ich irgendwann mehrere Schauplätze, an denen verschiedene Sachen gleichzeitig passieren, entweder, um die Katastrophe herbeizuführen, oder, um den Konflikt zu lösen. (Das ist vermutlich meine Herr-der-Ringe-Prägung.)
-> Frage wäre, wie kriegt man diese Sachen in den Griff, ohne einen unüberschaubar riesigen Cast zu haben? Wie schafft man es, Figuren rauszustreichen, bevor sie sich festbeißen?
- Zu einem gewissen Grad ist das natürlich Geschmackssache. Die einfachste mögliche Geschichte ist nicht unbedingt die Geschichte, die ich erzählen will. Das ist ähnlich wie Worldbuilding, das kann man viel exzessiver betreiben, als objektiv "nötig" wäre. Man kann es auch ganz weglassen, dann hat man nur keine Fantasy mehr. Ein Mittelweg wäre schön.

Mensch, bin ich wieder gut darin, mich kurz zu fassen.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Eluin am 05. April 2017, 16:45:43
ZitatFrage, die sich unmittelbar stellt: Merkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?
Kommt auf deinen Schreibstil an, würde ich sagen. Es gibt genug Bauchschreiber, deren Bücher ungeplottet sind und die trotzdem tolle Werke schreiben. Ich selbst zähle mich auch zu den entdeckenden Schreibern und ich habe nicht das Gefühl, dass es das Werk schlechter macht.

In meinen Augen kommen unnötige Längen vor allem dadurch zustande, dass der Autor versucht zu viel Weltenbau und Infodump + Charakterhintergründe unterzubringen, die aber für die Handlung nicht entscheidend sind oder weiterbringen.

Bei den Charakteren kannst du überlegen, ob wirklich alle die Handlung voranbringen oder ob es welche gibt, die du weglassen oder mit anderen Figuren verschmelzen kannst.

Warum zwingend Klischeefallen wie Minderheiten bekämpfen, indem du x einführst? Nicht jeder Plot braucht das. Nur weil es Minderheiten gibt, müssen sie in meinen Augen, nicht auch in jedem Buch ans Tageslicht gezerrt werden, weil eben nicht jeder Plot das hergibt. Nur um der Minderheiten willen, macht es für mich keinen Sinn. Einfach weil es unnötig aufbläht und dadurch reingequetscht und unnatürlich wirkt. Da, wo es passt - sehr gerne. Finde ich auch wichtig. Aber nicht, um Klischees aus dem Weg zu gehen oder eben den "Quoten-Schwarzen" unterzubringen.

Auch bei den Schauplätzen: Nicht alles muss der Leser aktiv lesen. Einiges kann im Off passieren.

Rausstreichen und co tue ich bei der Überarbeitung. Da ich Bauchschreiber bin, schreib ich eh erstmal und guck, wo mich alles hinführt.

Hast du mal überlegt, gerade wenn du mehrere Hauptfiguren hast, daraus mehrere Bände in der gleichen Welt, zu schreiben?

Auch beim Worldbuilding: Ich habe meistens eine grobe Idee und die arbeite ich da aus, wo ich etwas brauche. Meistens beim Schreiben selbst. Fantasy braucht nicht zwingend Unmengen an Worldbuilding. Aber das kommt auch auf den Autor selbst an.

Mir persönlich hat es sehr geholfen, Kinderbücher zu verfassen. Da muss ich mich auf einen roten Faden, wenig Worldbuilding usw. beschränken. Nur eine kleine Anzahl von Charakteren usw. Auch wenn die Story noch so komplex sein mag, muss ich sie auf das Notwendige runterbrechen. So handhabe ich das mittlerweile auch bei meinen Fantasy-Romanen und meinen Dystopien. Nicht alles muss im Detail auch im Buch stehen.

Über welche Längen sprechen wir bei dir eigentlich?
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Christopher am 05. April 2017, 16:50:19
Es ist durchaus möglich, auch "kurze" Bücher gut zu schreiben, das ist dir sicherlich auch so klar, ohne dass es jemand bestätigt.

Versuch mal folgendes: Fokussiere dich. Was ist das übergeordnete Thema der Geschichte? In einem Wort.

Sobald du das weisst, nimm deinen Plotplan, dein Exposeé oder die Gedanken die du dir einfach gemacht hast und schau, welche davon diesem übergeordneten Thema wirklich mehr Fülle und Raum geben. Die die das nicht tun, musst du nicht zwingend streichen, aber vermutlich kannst du es, ohne dass die Geschichte davon schlechter wird.

Nebencharakter Y kann durchaus weiterhin seine Nebengeschichte und seinen Hintergrund haben, aber trägt das nichts zum eigentlichen Thema der Geschichte bei, braucht er z.B. definitiv keine Perspektive. Die Perspektiven von solchen Nebencharakteren zu streichen kann enorm viel sparen.

Nebenplot Z kann durchaus spannend sein, aber trägt es zu der Grundidee der Geschichte bei? Versteh mich nicht falsch: Kleine Geplänkel am Rande sind wichtig um z.B. dem Prota mehr Tiefe zu geben, ihn dem Leser näher zu bringen und ihn sich entwickeln zu lassen, aber ist dieser Trip in das unwichtige Dörfchen um dort Müllers Tochter zu retten wichtig für die eigentliche Geschichte? Oder gehört das eher in ein kleines Bündchen mit Kurzgeschichten über deinen Prota?

Nächster Punkt, Weltenbau. Sicherlich sollte ein gewisses Maß da sein. Aber ist es notwendig, sich die ganze Predigt sowie Vorbereitung des Hohepriesters M anzusehen, oder reicht es, wenn ein betrunkener Mönchsbruder in der nächsten Kneipe einen Abriss davon gibt und auch gleich damit eine Meinung zeigt? Ich tendiere auch dazu, gerne alles zu beschreiben und schreibe auch lieber die dicken Wälzer. Aber auch bei denen ist weniger oft mehr.

Von der Aktstruktur musst du dich auch nicht verabschieden. Das Theater arbeitet auch danach und mir ist kein Theaterstück bekannt, das über mehrere dutzend Stunden geht.


Ich hoffe, du kannst mit den Punkten ein bisschen was anfangen :)

Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Trippelschritt am 06. April 2017, 10:03:29
Das ist eine interessant Frage und das sind interessante Missverständnisse oder falsche stillschweigende Voraussetzungen ("underlying assumptions" trifft es als Fachterm vielleicht besser).

Zunächst einmal: "Ich kann nicht" im Sinne von "Es geht nicht" akzeptiere ich nicht. Bestenfalls als "noch nicht". Lerne es, es wird Dir bei den anderen Punkten helfen, auch wenn es Dir noch nicht liegt und Du lieber dicke Wälzer liest.
Das zweite ist eine Empfehlung: Vergiss alles mit den Regeln. Worüber Du sprichst und was Dich verwundert, haben mehr mit Erzählkraft zu tun als mit Handwerk. Und der Leser merkt eh nichts davon, welche Struktur Du gewählt hast.
Drittens zweifele ich an, dass das Setting viele Figuren erfordert. Du kannst in jedem Setting in der Ich-Perspektive schreiben. Und dann gibt es nur eine Figur, die richtig wichtig ist.

Jede Entscheidung, die Du triffst, wenn Du sie überhaupt bewusst triffst, hat nichts mit den anderen Entscheidungen zu tun. Wenn es Dir gelingt, eine Geschichte gut zu erzählen, machst Du alles richtig. Die Regeln (z.B. 3- oder 5-Akter) haben nichts damit zu tun. Sie stellt sich beinahe von selbst ein.

Vielleicht kann ich Dich davon überzeugen, einen anderen Standpunkt einzunehme oder eine andere Perspektive zu wählen, ohne Deine Vorlieben aufgeben zu müssen. Denn Deine Vorlieben sind ein Teil von Dir und somit völlig in Ordnung. Aber wie wäre es hiermit:
Viele Szenen großartiger Erzähler sind nicht anderes als Kurzgeschichten plus einigen Dingen, die die Verbindung zu vorangegangenen oder folgenden Szenen ausmachen. Das gilt vor allem für den wichtigen Punkt der Ideendichte einer Szene. Ein guter Erzähler oder Romancier kann immer gute Kurzgeschichten schreiben. Ob er es dann auch tatsächlich tut, ist eine andere Seite. Unter diesem Gesichtspunkt lohnt es sich, das Schreiben von Kurzgeschichten einer bestimmten Länge zu üben. Glücklicherweise ist die Standardlänge vieler Ausschreibungen von 10 000 Zeichen sehr gut dafür geeignet.

Die Dreiakter kommen vom Theater und haben sich dort bewährt. Der Fünfakter ist ein erweiterter Dreiakter. Wenn Du gerne so schreibst - und der Dreiakter hat sich vom Spannungsaufbau her bewährt - dann mache das. Aber es ist nicht so, als wäre das alternativlos. Wenn Du Martin gelesen hast, dann wirst du dort eine andere Struktur finden, weil er die Struktur einer Seifenoper gewählt hat. Never ending story! Das heißt jetzt aber nicht, dass Du den Dreiakter niemals bei ihm findest. Aber nur in Einzelplots/geschichten. Bei John Snow nicht. Wohl aber bei dessem Vater. Aufbau, Krisis, Exitus!

Und die vielen Figuren? Wer sie benutzt muss das Verweben der Handlungsstänge beherrschen, kann aber bei der Qualität der Figuren Abstriche machen. Schau Dir Harry Potter an. Liebevoll gezeichnete Figuren in den ersten Bänden und recht simple Plots. Dann komplexe Handlungsfäden in den späten Bänden und schwächere Figuren. Wie gut, dass man einige bereits gut kannte. Es gibt auch Erzähler, die beides beherrschen. Jeffrey Archer gehört dazu, wohingegen Dick Francis immer nur in Ich-Perspektive schrieb. (Beides keine Fantasyautoren) Auch James Clavell beherrschte beides, verlor sich in seinen späten Romanen aber auch in den Plots.

Alles, was ich sagen möchte, ist: Grübel nicht über die Regeln nach oder ihre Sinnhaftigkeit. Sie sagen Dir nur, was sich bewährt hat. Leider tun sie immer so, als wenn sich das Gegenteil niemals bewährt hätte. Und das stimmt nicht. Deshalb erzähl einfach Deine Geschichten und schu, wie sie ankommen bei Denen Lesern. Und wenn Dich was wundert, frag.

Liebe Grüße
Trippelschritt
(Liebhaber des Handwerks, aber Regelskeptiker)
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Churke am 06. April 2017, 12:27:46
Zitat von: Rabengetint am 05. April 2017, 16:34:34
-> Frage, die sich unmittelbar stellt: Merkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?

Der Durchschnittsleser wird deine Plotstruktur nicht erkennen. Aber er wird merken, wenn die Dramaturgie nicht funktioniert, weil zum Beispiel der Plot unstrukturiert und im Aufbau gescheitert ist.
Ich sehe die Sache etwas strenger als Trippelschritt: Ja, Regeln strukturieren das, was sich bewährt hat. Daraus folgt zwar nicht im Umkehrschluss, dass etwas anderes nicht funktioniert - aber warum sagt dann die Regel, dass man es so nicht machen soll? Ich meine, dass man von Regeln nur mit guten Grunden abweichen sollte. Was aber sind gute Gründe? Der beste Grund ist immer die Geschichte. Wenn man eine Geschichte erzählen will, zu der die Regeln nicht richtig passen. Da würde ich aber schon sehr kritisch hinschauen und prüfen, ob das wirklich der Fall ist.

Zitat
2. Die Anzahl von Figuren. Viele Figuren = viele Handlungsstränge = längeres Buch. So weit, so klar.
- Was tun, wenn das Setting eine bestimmte Anzahl von Personen vorgibt?
Dass das Setting die Figuren vorgibt, wage ich zu bezweifeln.
In einer Schulklasse z.B. bilden sich immer bestimmte Grüppchen. Wahrscheinlich wird sich die Handlung innerhalb von zwei oder drei solcher Gruppen abspielen. Klar, die Klasse hat 26, und sie sind da, aber sie treten nicht in Erscheinung. Wenn man fragt: "Was hast du heute in der Schule erlebt?" wird niemand einen erschöpfenden Tatsachenbericht über 26 Schüler abliefern. Solche Settings sind nicht leicht, weil man die 26 Figuren als existent im Kopf haben muss, ohne sie explizit zu erwähnen.

Ich weiß auch nicht, ob es unter dem Aspekt "Längenkontrolle" hilfreich ist, Quoten-Figuren einzuführen. Als Plot-driven Autor halte ich mich an die Regel, dass die Handlung die Figuren vorgibt. Man kann ihre Geschlechter, Hautfarben oder sonst etwas ändern, aber ihre Funktion gibt der Plot vor. Keine Rolle - keine Figur.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: canis lupus niger am 06. April 2017, 12:37:58
Meiner Meinung nach ist die Länge eines Buches relativ. Es gibt 1000-Seiten-Wälzer und mehrbändige Reihen, die kann man nicht aus der Hand legen und verschlingt sie im Akkord. Für die gesamte Harry-Dresden-Reihe (15 Bände bisher) habe ich ab dem BuCon 2016 insgesamt drei Monate gebraucht. Aktuell beginne ich sie jetzt ein zweites Mal. Genauso gibt es Bücher unabhängig von ihrer Seitenzahl, die einfach ... Längen haben und bei denen man sich zwingen muss, dran zu bleiben.

Ob ein Autor beim Schreiben eine Struktur hat/plant, oder nicht, halte ich in diesem Zusammenhang nicht für relevant. Das Resultat ist es, das zählt. Solche Aspekte wie die Anzahl der Akte halte ich für Vorschläge, nicht für verpflichtende Regeln.

Die Komplexität eines Romans, so wie beispielsweise die Anzahl der involvierten Personen, lässt natürlich den Umfang eines Werks sehr schnell anschwellen. Das insbesondere, wenn der Autor versucht, die Komplexität durch umfangreiche Beschreibungen oder nicht-plotrelevante Ereignisse zu erzeugen. Letzteres ist eine Sache, zu der ich immer wieder neige. Es beruhigt mich, dass auch GRR Martin das von sich sagt und dazu steht, wie ich mal gelesen habe. Zuwenig nicht-Plotrelevantes lässt einen Roman irgendwann zu einem Bericht schrumpfen, der ja auch nicht so schön zu lesen ist. Aber man gerät doch leicht ins Schwelgen und schießt über das richtige Maß hinaus. Da braucht es schon Selbstdisziplin, die mit der Erfahrung und guten Betalesern erlernt werden kann. Ich habs schon mal zu einem anderen Thema gepostet: Nicht im Buch enthaltene, aber von mir geliebte Kapitel plane ich über einen Blog oder eine HP zu veröffentlichen, wenn ich erst erfolgreich geworden bin, als Geschenk für meine Fans. =D 
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Sternenlied am 06. April 2017, 17:38:46
Hallo Rabengetint

Ich kann dich sehr gut verstehen da ich gerade genau das gleiche Problem habe. Mein geplantes Projekt ist inzwischen so groß geworden das ich unzählige Charaktere habe die ich für wichtig halte. Das Problem ist dann aber, das man selber schnell die Übersicht verliert. Aus diesem Grund habe ich es erstmal in 2 Bücher geteilt. Dabei musste ich schon aussortieren welche Figuren in den ersten Teil kommen und welche nicht. Schon habe ich weniger. Da ging es weiter. Ich habe mich immer gefragt, welche Figur für was wichtig ist. Was passieren würde wenn sie sterben würde, würde dann meine Handlung stoppen? So konnte ich ein paar der "unwichtigeren" Figuren gleich mal aussortieren.
Jetzt habe ich von ca 12 Charakteren nur noch 4 die für meine Handlung wichtig sind, der Rest ist eher schmückendes Beiwerk. Wichtig ist wohl auch, das deine Personen eine Motivation in der Geschichte haben die auch mit der Handlung zu tun hat, sonst sind sie ja nicht so wichtig.

Ich persönlich lese auch gerne dicke Wälzer und verzeihe auch dem Autor wenn er sich manchmal in ausufernden Beschreibungen verliert, aber zur Geschichte müssen sie halt passen. Die Romanlänge ist mir dabei egal, das Buch kann auch 2000 Seiten haben- wenn es gut geschrieben ist lese ich das auch :)
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Zit am 07. April 2017, 21:25:21
ZitatMerkt der Leser das hinterher, mit was für einer Struktur man plottet? Also wird das Buch "schlechter", weil ich mich "nicht an die Regeln halte"?

Was den Plot angeht, hilft dir vielleicht dieser Blogbeitrag zu verstehen, warum Plotstrukturen so sind wie sie sind: Story Structure: What's the Purpose...for Readers? by Jami Gold (http://jamigold.com/2017/03/story-structure-whats-the-purpose-for-readers/) Welche Struktur du überhaupt wählst, ist völlig unabhängig davon. Viele Plots sind auch ein- und dasselbe Ideengerüst, verwenden jedoch andere Bezeichnungen.

Insofern ja, der Leser merkt es sehr deutlich, wenn du ihm nicht gibst, was du versprochen hast. Und ja, das "Buch" wird dadurch schlechter, eben weil der Leser unbefriedigt zurück bleibt.

ZitatEinfach, weil es bei mir mehrere Sinnabschnitte gibt, in denen etwas passiert.
(- Man merkt, ich bin nicht so wahnsinnig überzeugt von diesen Konzepten. Aber möglicherweise verstehe ich sie auch falsch.)

Vielleicht verstehe ich dich falsch oder gar nicht: En Buch = ein zentraler Konflikt = eine zentrale Frage, die der Leser beantwortet haben will. Im Liebesroman ist es das typische "Kriegen sie sich?", im High-Fantasy-Roman eher "Werden sie die Welt retten?". Sowas sollte sich, im Sinne des Romans als Langwerk, nicht in drei Szenen abhandeln lassen, das stimmt. Da gibt es also viele kleine und größere Probleme, die gelöst werden müssen, um die zentrale Frage am Ende auflösen zu können. In stupider Variante kann man das durch eine Questkette erledigen (sammel dies, bring mir jenes, töte dieses, etc.), wenn man es drauf hat, kann man aber auch Nebenplots einfügen. So hat der Love Interest im Liebesroman vielleicht noch ein Problem aus seinem alten Leben an der Backe, das ihn quält – und das ihn daran hindert, seine Liebe zu finden. In der High Fantasy kann im Hintergrund ein großer Krieg an den Landesgrenzen toben, die von einer Nebenfigur Kommandant Vonundzu erbittert gegen die Truppen des Oberschurken verteidigt werden während unsere eigentliche Heldentruppe durch verlassene Zwergenminen hetzt.
Allzu viele Nebenplots sollte man aber auch nicht einführen. Es gibt immer mehr zu erzählen, je näher man seine Welt und Figuren kennt als letztlich Platz ist. Wichtig ist, heraus zu filtern, was symptomatisch im Sinne der zentralen Frage ist. Vieles ist dann bei näherer Betrachtung nur Fluff, was die zentrale Frage verwässert oder überlagert.

Zitat- Was tun, wenn das Setting eine bestimmte Anzahl von Personen vorgibt? Aktuell: Krankenhaus, Psychiatrie. Analog, Schulklasse. Noch schlimmer, wirkmächtige Revolutionsbewegung oder so was. Das ist realistisch nicht mit unter xy Personen zu machen, und wenn die Figuren einmal da sind, dann neigen sie dazu, wichtig für die Handlung zu werden. Das endet dann mit gefühlt 1000 benannten und über 10 plotrelevanten Charakteren, selbst wenn ich einen Hauptplot um eine (1) Protagonistin und 1-3 weitere Hauptfiguren habe.

Mit so wenig wie möglich so viel wie möglich ausdrücken. Braucht es wirklich so viele Handlungsorte oder ist das nur der Coolness-Faktor? Und noch einmal: Was ist die zentrale Frage?
Stimme auch Churke mit seinem Klassenbesipiel zu. Nicht jede Figur, die existiert, findet auch Erwähnung.

Zitat- Ich bekämpfe Klischeefallen, indem ich mehr Figuren einführe. Ich finde es doof, wenn es nur eine Frau gibt und deren wesentliche Eigenschaft dann ist, dass sie halt die Frau ist. Aber wenn ich mehrere Frauen, mehrere Männer, mehrere Krankheitsbilder, mehrere ethnische Minderheiten, mehrere Sexualitäten, mehrere Altersgruppen... habe, dann wird es immer noch irgendeine Gruppe geben, die ich vernachlässige. (George R.R. Martin sagt dazu, "The real world is complex, I want my fictional world to be complex." Man sieht, wozu das führt.)

Komplexität ergibt sich daraus, wie eigen du die Figuren charakterisierst. Zu Diversität habe ich auch ein gutes Video auf youTube gefunden: Booktube Doesn't Want Diversity by Francina Simone (https://www.youtube.com/watch?v=oKl9wgxy3go). Ich weiß, es ist ein bisschen schwierig ihr zu folgen, aber es lohnt sich.
Diversität nur der Diversität Willen einzuführen, ist doof. Wie Eluin schon sagte, den Quoten-Schwarzen will keiner. Diversität funktioniert nur solange deine Story das auch hergibt, solange dein Setting das auch hergibt.

Zitat-> Frage wäre, wie kriegt man diese Sachen in den Griff, ohne einen unüberschaubar riesigen Cast zu haben? Wie schafft man es, Figuren rauszustreichen, bevor sie sich festbeißen?

Du kannst verschiedene Funktionen von verschiedenen Figuren in einer Figur verschmelzen. Figuren, die nur für eine Aufgabe oder zu einem Zwecke auftauchen, lassen sich sehr oft rausstreichen und ihr Zweck lässt sich gut anderen Figuren zuschieben.
Auch wenn ein Roman eine Langform ist, so ist er doch die reduzierteste und verdichteste Version der Geschichte, die du erzählen willst. Romane sind keine 1:1-Kopie der Realität. Sie nehmen die Realität und überhöhen sie, übersteigen sie, verdichten alles wie ein schwarzes Loch alles um sich herum schluckt und verdichtet.

Zitat- Zu einem gewissen Grad ist das natürlich Geschmackssache. Die einfachste mögliche Geschichte ist nicht unbedingt die Geschichte, die ich erzählen will. Das ist ähnlich wie Worldbuilding, das kann man viel exzessiver betreiben, als objektiv "nötig" wäre. Man kann es auch ganz weglassen, dann hat man nur keine Fantasy mehr. Ein Mittelweg wäre schön.

Fantasy geht auch ohne Worldbuilding. (Eher nicht, wenn wir hier von High-Fantasy-Ausmaßen sprechen, das stimmt.) Bezaubernde Jeannie hat auch kein sonderliches Worldbuilding, lebt aber sehr von den Figuren und der Tatsache, dass Jeannie es ehrlich gut meint, die Konsequenzen ihrer Zaubereien aber idR. problematisch sind (jedoch auf eine lustige Art).
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Rabengetint am 07. April 2017, 23:41:15
Vielen Dank, da kommen ja einige Antworten zusammen! Ich komme nur leider gerade nicht so recht mit meinem Camp NaNoWriMo hinterher und muss erst mal Wörter aufholen (um sie hinterher wieder zu kürzen). Am Wochenende bin ich unterwegs, mal schauen, ob ich dann zu einer ausführlichen Antwort komme.

Aber diskutiert gerne weiter! Ich finde das alles sehr spannend.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Cailyn am 24. April 2017, 13:48:42
Das mit den Plotpunkten - egal in welcher Struktur - heisst ja nicht, dass nur dort etwas passiert, wo ein Plot point vorkommt. Auch dazwischen kann es Action und viele Konflikte geben. Die Plotpunkte sind aber wie Meilensteine. Es sind die Eckpunkte, an welchen z.B. ein Plotturn geschieht oder wo beim Protagonist im Inneren eine wichtige Veränderung, z.B. eine Einsicht passiert. Zwischen diesen Meilensteinen kannst du ja alles Mögliche einbauen und somit auch die Länge des Romans beliebig variieren.
Zum Beispiel gäbe es im 1. Drittel einen ersten wichtigen Plotpunkt, der den Prota zu vielen Handlungen bringt. Diese Handlungen führen ihn irgendwann zum 2. wichtigen Plotpunkt. Zwischen 1. und 2. kann dann auch ganz viel Wichtiges und Spannendes passieren. Das könnte ein "Try-fall-cycle" sein, wo der Prota viel agiert und versucht, sich aus einer Situation zu hangeln, dann aber scheitert und irgendwann beim 2. Plotpunkt ankommt, wo sich etwas Tiefgreifenderes verändert, z.B. etwas Unerwartetes im Plot oder eine Einsicht des Protas.
So als Beispiel  ;)
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 18. August 2017, 11:23:47
@Rabengetint: Ich schliesse mich weitestgehend Zitkalasa und Christopher an. Ich denke, das hat auch viel mit Handwerk zu tun. Verstehe das jetzt bitte nicht falsch, aber gerade das Einführen von neuen Charakteren kann damit zu tun haben, dass man nicht weiss, wie man die Informationen anders vermitteln soll. Also bedient man sich kurzerhand eines neuen Perspektivträgers. Man kann aber sehr vieles so erzählen, dass das nicht nötig ist. Vielleicht kannst du das einmal als Übung machen. Bei jedem neuen Charakter überlegen: Brauche ich den wirklich? Wie könnte ich das sonst bringen?
Zum Beispiel: Ein Prota, nennen wir ihn Prinz Soundso, befindet sich an Ort X. Gleichzeitig passiert an Ort Y eine Explosion, bei der ein superwichtiger Gegenstand zu Tage gefördert wird und den man logischerweise gerne zeigen würde. Man kann jetzt eine zweite Figur Blabla einbauen, die die Explosion miterlebt (=plus 1 Szene oder Abschnitt, Roman wird länger). Oder Prinz Soundso kann irgendwann später von dem Gegenstand erfahren, z.B. durch die Erzählung eines Kneipenbruders Weissnicht o.ä. (er kann ihn ja auch bei sich haben und Prinz Soundso damit erpressen oder sowas) (=Handlung geht weiter und die Einführung des Gegenstandes braucht nicht so viele Seiten, Roman wird kürzer). Weil die Szene, in der Prinz Soundso davon erfährt, kommt ja sowieso, auch, wenn man die Szene mit Blabla einbauen würde. Blabla weglassen heisst also, eine Szene weniger.
Ist jetzt ein gebasteltes Beispiel, aber ich hoffe, es ist einigermassen verständlich.

So, und jetzt etwas in eigener Sache. Ich habe das umgekehrte Problem. Ich glaube, ich habe dazu irgendwann einmal einen Thread eröffnet, aber ich finde ihn nicht mehr. ??? Jedenfalls sind meine Romane meistens eher zu kurz. Ich meine wirklich kurz. Meine beiden veröffentlichten haben so um die knapp über 200 Seiten. Ich selber mag zu lange Romane nicht so, von dem her muss ich kein 600+-Seiten-Epos schreiben. Aber so um 300 Seiten wäre schon gut, denke ich. Nur, irgendwie schaffe ich das nicht. Vor Kurzem wurde mir klar, dass ich die Dinge teilweise einfach zu knapp beschreibe oder grosse Zeitsprünge mache. Also habe ich angefangen, ausführlicher zu beschreiben und die Ereignisse wirklich tageweise zu erzählen, ohne grosse Zeitsprünge. Das scheint aber nichts zu nützen, egal, was ich mache, ich habe das Gefühl, meine Geschichten sind immer so schnell erzählt. An zu wenig Plot kann es nicht liegen, ich kenne Bücher, die auch nicht mehr Plot haben, aber länger sind. Was mache ich falsch?
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Angela am 18. August 2017, 11:38:41
Frag mich mal, mir geht es auch so. Ab und zu lese ich ein Buch und da passiert ewig reichlich wenig, es ist aber dennoch unterhaltsam geschrieben, selbst die Beschreibung der Sofakissen. Das bewundere ich total, bei mir gibt es noch nicht einmal das Sofa, geschweige denn ein Sofakissen. Übergänge einzelner Szenen mache ich viel zu schnell, das wurde mir im Lektorat auch gesagt. Ich müsste echt einen Kurs machen, der mir da immer auf die Finger haut und sagt, nun mach da mal eine Beschreibung/Einführung  dazu.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Rumpelstilzchen am 18. August 2017, 15:01:53
Meine Romane sind in der Rohfassung auch immer ziemlich kurz, weil ich beim Schreiben sehr zielstrebig in der Hauptgeschichte bin. Einleitungen, großartige Beschreibungen, Nebenhandlungen, ausgearbeitete Nebenpersonen sind für mich in dem Moment erst einmal zweitrangig und ist Sache der Überarbeitung.

Vielleicht helfen dir folgende Fragen dabei, herauszufinden, warum deine Romane so kurz sind:

Zitat von: Witch am 18. August 2017, 11:23:47
Also habe ich angefangen, ausführlicher zu beschreiben und die Ereignisse wirklich tageweise zu erzählen, ohne grosse Zeitsprünge.
Den Roman tageweise zu erzählen, um ihn zu verlängern, halte ich nicht unbedingt für erfolgversprechenden, weil du so Gefahr läufst, dass es langweilig wird, wenn an den Tagen nichts handlungsrelevantes passiert oder zur Entwicklung deiner Protas beiträgt.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 18. August 2017, 15:54:18
@Angela: So einen Kurs brauche ich auch.  ;D

ZitatDen Roman tageweise zu erzählen, um ihn zu verlängern, halte ich nicht unbedingt für erfolgversprechenden, weil du so Gefahr läufst, dass es langweilig wird, wenn an den Tagen nichts handlungsrelevantes passiert oder zur Entwicklung deiner Protas beiträgt.

:rofl: Entschuldigung, nicht falsch verstehen. Ich musste gerade sehr lachen, weil genau das jetzt mein neues Problem ist. Ich drifte dann in zu viel Blabla und stream of consciousness ab.

Das sind gute Fragen, das werde ich bei der nächsten Überarbeitung mal durchgehen. Ich habe jetzt auch noch ein bisschen gegoogelt und komme zu einem ähnlichen Schluss. Wahrscheinlich rase ich zu geradlinig durch die Geschichte. :hmmm:
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Churke am 18. August 2017, 16:29:50
Zitat von: Witch am 18. August 2017, 15:54:18
Wahrscheinlich rase ich zu geradlinig durch die Geschichte. :hmmm:

Definiere zu geradlinig.
In der Kürze liegt die Würze. Wenn du oder deine Leser das Gefühl haben, dass die Handlung zu gehetzt und nicht richtig ausgearbeitet ist, dann musst du was machen.
Geht es aber nur um Seitenzahlen, sieht die Sache anders aus. Zeilenschinderei macht ein Manuskript nicht besser!

Gib mir eine Zahl und ich schreibe genau so viele Seiten. Dazu lege ich zunächst einen Plot fest, der in dem Rahmen erzählbar ist (Erfahrungswert). Während des Schreibens füge ich Perspektivträger und Erzählstränge hinzu, bis die Länge ungefähr hinkommt. Am Schluss kürze ich, bis ich auf die gewünschte Seitenzahl komme.
Ich steuere die Länge über die Perspektivträger. Ich arbeite bereits in der Haupthandlung mit Sprüngen, also absichtlich kurz und knapp. Damit schaffe ich mir Spielräume für parallele Erzählstränge.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Marta am 18. August 2017, 20:50:36
@Witch : Ich weiß nicht, ob dir das weiterhilft, aber: Ich habe früher auch extrem kurze Romane geschrieben. Mit der Zeit sind die automatisch immer länger geworden. Keine Ahnung, warum. Ich glaube, ich lasse mir etwas mehr "Zeit", betrachte die Blumen am Wegesrand und schreibe allgemein entspannter. Von einigen Autoren, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten schreiben, habe ich Ähnliches gehört. Einer meinte, dass alte Menschen einfach mehr schwafeln.  ;D Das Problem könnte sich also mit der Zeit von selbst lösen.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 18. August 2017, 21:05:49
ZitatWenn du oder deine Leser das Gefühl haben, dass die Handlung zu gehetzt und nicht richtig ausgearbeitet ist, dann musst du was machen.

Ja, das ist es eben. Ich habe nicht nur "zu wenig Seiten", sondern auch das Gefühl, es fehlt an Tiefe und Aussagekraft. Oder vielleicht meine ich damit Komplexität, bin nicht sicher.

@Marta: Hm, naja, das weiss ich nicht. Ich schreibe eigentlich schon recht lange, so ungefähr vierzehn Jahre (ich bin jetzt 28). Ich höre das öfter, dass man ein gewisses Lebensalter erreicht haben sollte/muss, um ein richtig guter Autor zu sein, der episch und/oder tiefgründig schreibt und mich frustriert das, ehrlich gesagt. Ich will doch nicht warten müssen, bis ich pensioniert bin, ich will es doch jetzt machen! ;D

Naja, ich werde mal die Tipps aus dem Internet ausprobieren (das Meiste ist etwa das, was Nina sagt, nur ausführlicher erklärt). Und dann schaue ich mal, ob das hilft. Ich hoffe doch.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Marta am 18. August 2017, 21:19:45
@Witch : Viel Erfolg!  :jau: Falls du Lust hast, erzähl doch in ein paar Monaten mal, ob und was dir geholfen hat. Das würde mich sehr interessieren.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Trippelschritt am 19. August 2017, 17:34:10
Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten, wenn einem die eigenen Romane zu kurz geraten. Und in jedem Fall möchte ich Churke zustimmen, dass ein aufgeblähter Text nicht die Lösung für das Problem ist. Wenn Du das Gefühl hast, dass Dir die Tiefe fehlt, kann dir die Frage helfen, wie man Tiefe erzeugt. Das ist eine rein handwerkliche Frage. Es kann aber auch sein, dass die Ideendichte nicht hoch genug ist. Ideen zu bekommen ist zwar ein Talent, aber wie viele Talente lässt sich auch dieses üben. Und wenn ich von Ideen spreche, dann meine ich nicht alle möglichen Dinge, die man sich ausdenken kann, sondern die Ideen, die eine Geschichte von sich aus anfordert oder haben möchte. Da helfen zwei Dinge. Man muss seine Figuren sehr gut kennen. Und man muss wissen, warum man seine Geschichte schreiben möchte. Das ist nur zur Hälfte Handwerk. Da geht es darum wie ich in meiner Grundidee mein Thema finde und wie dieses Thema auszusehen hat. Und damit ist man wieder zurück zu dem gekommen, was jede Geschichte ausmacht. Figuren und Plot.

Tut mir Leid, dass ich kein Kochrezept habt, aber das sind die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, wenn es mal mal so richtig haken sollte.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: FeeamPC am 19. August 2017, 18:20:20
Das erste Buch meiner derzeitigen Serie war zu kurz. Viel zu kurz. Aber die Handlung war isn sich rund, da konnte ich einfach nicht mehr rausquetschen, ohne ins Schwafelsnzu geraten. Da habe ich kurzerhand einen zweiten Handlungsstrang zugefügt. Und der hat dann überhaupt erst dafür gesorgt, dass daraus eine Serie wurde, denn erst mit diesem Handlungsstrang war der Plot tragfähig. Und das erste Buch lang genug.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Belle_Carys am 19. August 2017, 20:50:50
Erstmal @Rabengetint 

Ich geh mal ein paar Sachen durch, die mir so in den Sinn kamen, als ich deinen Eintrag gelesen haben.

1.) Struktur - merkt der Leser welche Struktur du verwendet hast, und ob du von ihr abweichst? Ja und nein. Wenn wir mal von einem durchschnittlichen, nicht-schreibenden, nicht Literatur-studierenden Leser ausgehen, der von Text- und Erzähltheorie wenig bis nichts weiß, dann wird dieser Leser auch nicht erkennen, ob du eine 3-Akt, 5-Akt, 7-Punkte oder sonstige Struktur angewendet hast. ABER, und hier kommt das große aber: dein Leser wird sehr wohl merken, wenn deine Struktur nichts taugt. Denn nicht nur Leser, sondern alle Menschen suchen und finden Strukturen. Und wenn sie keine finden, sind sie weniger glücklich als wenn doch. Das heißt nicht, dass man sich sklavisch an Strukturen halten muss. Das heißt aber auch, dass es hilft, wenn man sich an ihnen orientiert, denn auch wenn der Leser es nicht weiß, sind sie ihm Leitsterne beim lesen. Der Leser hat vielleicht keine Ahnung, dass laut 7-Punkte-Plan in diesem oder jenem Moment pinch point 2 dran wäre. Aber er merkt wenn er nicht da ist. Wenn der Verlauf der Geschichte zu flach, zu sehr unter Dauerspannung oder einfach falsch aufgebaut ist. Deshalb, versteh mich nicht falsch, ist "dein" 5-Akter auch kein 5-Akter sondern eine Struktur Marke-Eigenbau. Die kann funktionieren. Aber ein 5-Akter ist sie eben nicht. Und du musst auch einrechnen, dass den meisten Lesern der Epilog nicht fürs Deneouement dient, sondern das erwarten sie vorher. Es ist schon alles gut (na gut, oder alle sind tot oder für welche Variante man sich immer entschieden hat) und es hat nach den großen Knall noch einen kurzen Ausklang gegeben. Der Epilog ist dann eben eine Nachrede oder ein Nachspiel. Also eher ein: ""Ach, übrigens ... " oder "Oh, und falls ihr euch wundert, ..."  Er ist ein Nachtrag. Deine eigentliche, die Handlung bestimmende Frage ist aber schon beantwortet. Siehe Harry Potter. Voldi tot, Harry noch am Leben. Fertig. Oh doch nicht, grauenhafter Epilog hintenran, damit auch alle wissen, wie die Blagen von Harry und Co heißen.

Kann man das anders machen? Ja, kann man. Wenn die Geschichte es fordert, wenn man einen Text schreibt, der literarisch vielleicht auch und gerade in seiner Form etwas "neues" darstellen soll etc. Aber vor allem: wenn man sein Handwerk sehr sehr sehr gut beherrscht. Warum? Weil Leser Dinge mögen, die sie schon kennen. Und wenn du ihre Erwartungen nicht erfüllst, musst du darin, sie zu enttäuschen und ihnen dafür etwas anderes zu präsentieren, so verdammt gut sein, dass sie sofort vergessen haben, dass sie sich das eigentlich ganz ganz anders vorgestellt hatten.

2.) Diversität im Zusammenhang mit ausufernder Cast - Wenn dir auffällt du hast 17 Männer und nur eine Frau und möchtest nicht, dass diese zur Token-Frau verkommt (was ich sehr begrüße!), ist ein meiner Meinung nach wesentlich fruchtbarerer Schritt der, dir anzugucken wen du schon alles hast, und einfach bei einigen Figuren das Geschlecht zu wechseln. Vorgeschichten funktionieren in den meisten Fällen für Männer wie Frauen. Es gibt in den wenigsten Fällen Gründe dafür, das eine Figur tatsächlich ein Mann sein MUSS. Meistens ist die Antwort "... äh ja, ist mir halt so eingefallen". Geht mir auch ständig so. Heißt aber auch: lässt sich problemlos ändern. Mary Robinette-Kowal vom Writing Excuses Podcast hat mal in einer Folge, die ich jetzt leider auf die Schnelle nicht finde, eine wunderbare Plotübung zur Schaffung einer diverseren Cast bereit gestellt: Du schreibst alle deine Figuren auf mit Name, Alter, Rolle, Geschlecht, Rasse und Klasse. Wenn du die Liste hast, gehst du sie durch und änderst für jede Figur zwei Charakteristika. Roland der 47-jährige Schwertkampfmeister aus einem recht kaukasisch anmutenden Volk und, sagen wir, dem niederen Adel, wird dann vielleicht zu Ngosi, der 47-jährigen Schwertkampfmeisterin aus einem Wüstenstaat, in dem sie ebenfalls dem niederen Adel angehört. Erstens merkt man in dieser Übung sehr schnell, wenn alle Leute immer in den selben Kathegorien untewegs sind und zweitens macht es verdammt viel Spaß, mit Erwartungen zu spielen. HIER ist das nämlich wesentlich sinnvoller als bei der Struktur und hält den Leser vermutlich sogar stärker bei der Stange, weil das neu und abenteuerlich und ungewohnt ist und er mehr wissen will.

Abschließend zur Frage des "Festbeißens" ... das ist deine Geschichte. Du bist Gott. Wer nichts beiträgt, fliegt. Wer überflüssig ist, wird in der ersten Überarbeitungsrunde raus geschmissen. Figuren können, wie andere das ja schon hinlänglich beschrieben haben, zusammen geführt werden, so dass eine Figur mehrere Funktionen hat. Deine Geschichte zu schreiben ist ja nur der erste Schritt. Was da nach Runde eins auf dem Papier steht ist ja weit davon entfernt, fertig zu sein. Und um einer zu großen Cast, zu viel verwirrenden Plotsträngen Herr zu werden, kannst du all das anwenden, was die anderen hier schon beschrieben haben.


@Witch

Was zu kurze Bücher angeht ... hast du genügend try-fail cycles drin? Wenn Dinge sehr geradlinig verlaufen, funktioniert manches manchmal zu leicht, ist meine Erfahrung. Wenn Figuren sich nach missglückten Versuchen erstmal wieder aufrappeln müssen, kann man ja durchaus ein paar Seiten investieren, genau wie auf das Finden neuer Ansätze, um das Problem zu lösen. Charakter-Subplots sind auch immer eine gute Möglichkeit, es gibt ja so dieses klassische A-Plot, B-Plot Modell, wenn wir jetzt mal einen Krimi zum Beispiel hernehmen, muss der Komissar das Verbrechen auflösen, hat aber vielleicht gleichzeitig seine 14-jährige Nichte an der Backe, die ihrer Mutter weggelaufen ist und sich jetzt weigert, zurück zu gehen. Oder aber etwas in der Art von Side-quests, das geht ein bisschen mit den try-fail-cycles zusammen. Wenn Figur A und B, um ein Problem zu lösen, C finden müssen (sei das nun Person oder Gegenstand), kann man da ja auch immer ganz gut ein Mini-Mystery draus machen.

All diese Dinge helfen, Atmosphäre zu schaffen, die Figuren besser kennen zu lernen und man kann die Geschwindigkeit des Hauptplots darüber steuern, dass man ab und zu auf Nebenkampfplätze schaut und Tempo raus nimmt, so dass der Leser nicht komplett durch das Buch gehetzt wird. Gerade wenn man ein Buch gern liest und die Figuren mag, möchte man ja auch ein bisschen Zeit mit ihnen verbringen und ein wenig hinter die Fassaden schauen.

Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 19. August 2017, 21:06:25
Danke für eure vielen Antworten. :)

@Belle_Carys: Ja, die try-fail-cycles muss ich auch noch prüfen.

Leute, ich bin gerade total am Herumspinnen, ich glaube nämlich, ich habe einen Schlüsselfaktor für mein Problem gelöst. Ist nur einer und alles andere (die Plotsachen, die ihr angesprochen habt) werde ich ausprobieren müssen, deshalb ist das nicht abschliessend. Ich weiss es seit einer halben Stunde. Es fehlen Dinge. Nachdem ich diesen einen Artikel gelesen hatte (wenn es jemanden interessiert, suche ich morgen oder so nochmals den Link heraus) wurde mir einiges klarer und ich hatte heute Nachmittag beim Schreiben das Gefühl, jedes Wort ist schrott. Das stimmt so nicht, es fehlt nur an allen Ecken und Enden. Zum Beispiel sind einige Nebenfiguren bei mir mehr so etwas wie Standbilder und haben zu wenig Charakter (oder Charakterisierung, denn in meinem Kopf sind sie ja richtige Charaktere). Setting-Beschreibungen fehlen und so weiter und so weiter. Ich kann das gar nicht alles hier zusammenfassen.
Jedenfalls lässt sich daraus schliessen, dass mein grösster Fehler immer war, den ersten Entwurf als "richtigen" Entwurf für den fertigen Roman zu sehen. Soll heissen, ich wollte schon am Anfang einen fertigen Roman haben und habe durchgehetzt und auch bei der Überarbeitung immer nur das Notwendigste gemacht. Logik, Unklarheiten, fertig. Jetzt habe ich festgestellt, dass aber alle diese erwähnten Sachen (Standbilder und so) ebenfalls in diesem Stadium noch offen sind. Soll heissen, mein Entwurf kann nur als eine Art Blaupause fungieren und nicht als "fertiger Roman". Für die meisten klingt das jetzt sicher total logisch, aber für mich ist es, als wäre ich die ganzen Jahre seit ich meinen ersten Roman beendet habe (d.h. sieben oder acht Jahre) blind gewesen. Ich habe das Gefühl, ich schreibe hier gerade wirres Zeug, Entschuldigung. Bis morgen. ;)
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Belle_Carys am 19. August 2017, 21:20:23
@Witch Das ist doch super! Ich glaub wir haben alle immer mal wieder unsere Momente wo es uns wie Schuppen von den Augen fällt und wir uns denken ... wieso ist mir das denn NIE aufgefallen? Jetzt hast du was, woran du arbeiten kannst, worauf du deine Manuskripte abklopfen kannst und dann schön nachbearbeiten. Was kann einem besseres passieren als den Fehler im System zu finden?

Und ich glaube, da ist jeder anders. Ich kenne Leute, die genauso ihren ersten Entwurf schreiben wie du, nämlich erstmal quasi das "Skelett", um dann im Nachgang nach und nach Fleisch auf die Knochen zu bringen, und andere brauchen von Anfang an alles auf einmal. Wenn man erstmal weiß wie man arbeitet, ist glaub ich das schlimmste überstanden, dann ist es nur noch viel Aufwand, aber man weiß wenigstens, was zu tun ist  :rofl: Viel Erfolg beim Aufarbeiten! Und der Link zu dem Artikel würde mich interessieren, wenn du ihn also nochmal findest, gern her damit!
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Trippelschritt am 20. August 2017, 09:46:26
Ich habe über Nacht noch einmal über das Stichwort Ideendichte nachdenken können. Mein Posting gestern war doch etwas abstrakt. Aber ich habe ein Beispiel gefunden, das die Sache vielleicht etwas erläutert.

Ein großer Vogel trägt in seinen Klauen einen Drachen ohne Flügel über das Meer. Die beiden wollen/sollen alles über eine große Flotte herausbekommen, die sich nähert und bald angreifen wird. Das ist die Idee und die Notwendigkeit für diese Szene. Nenne ich es mal Sachidee, die ich brauche, damit es im Plot so weitergeht, wie ich es möchte.

Wenn das alles ist, was die Szene enthält, ist das flach und reicht nicht. Selbst dann nicht, wenn ich bei der Beschreibung der 120 Schiffstypen sechsundsechzig Völkern ins Detail gehen und alles ausmalen würde.

Es ist der erste und wohl auch einzige Flug des Drachen, den er jemals erleben wird. Fliegen kennt er nur aus seinem Volksgedächtnis (so etwas wie Instinkt). Also genießt er den Flug, erlebt, was er mit seinen Flügeln alles verloren hat, wird wehmütig, resigniert, rappelt sich wiededr auf und was mir sonst noch so einfallen könnte. Das ist eine zweite Idee. Sie ist für den Plot nicht essentiell, hilft aber die wichtige Figur des Drachen zu erleuchten und gibt der Szene einen zusätzlichen Wert.
Ich könnte zusätzlich auch noch etwas über die Beziehung zwischen großem Vogel und Drache hinzufügen, was auch von interesse ist, aber das passt besser an eine andere Stelle.

Wenn mir das immer noch nicht genügt, fällt mir vielleicht ein, dass auf den Schiffen Bewaffnete und Zauberer agieren. Oder Zauberer, die sich dafür halten, weil sie die Nacht rufen können - oder so etwas. Wenn jetzt ein Drache mit der vollen Stärke der Magie seiner Art über die Schiffe hinwegfliegt, wird das etwas in Gang setzen. vielleicht nur Unruhe oder Panik. vielleicht aber auch Zweifel an der eigenen Stärke oder eine zusätzliche Herausforderung. auf jeden Fall werden die Angreifer auf diesen einen Überflug reagieren. Und das ist die dritte Idee.

Je mehr Ideen sich in einer Szene versammeln, desto tiefgründiger wird sie und desto länger wird. Ost ist es aber so, dass die erste Idee den meisten Raum braucht und der Autor mit jeder folgenden Idee immer weniger Zeilen braucht. Mehr Ideen auf relativ weniger Platz erhöht nicht nur die absolute Zshl der Ideen, sondern auch deren Dichte, sodass man am Ende eine wohlgefüllte Szene hat.

Meine Art zu schreiben verträgt kein Skelett, das später gefüllt wird. Aber ich denke nicht, dass solche Fragen eine Rolle spielen. Es hängt alles vom individuellen Kreativitätsprozess ab. Aber gute Romane sind immer voller Ideen.

Viel Erfolg
Trippelschritt
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 20. August 2017, 11:37:55
Zitat von: Belle_Carys am 19. August 2017, 21:20:23
Ich glaub wir haben alle immer mal wieder unsere Momente wo es uns wie Schuppen von den Augen fällt und wir uns denken ... wieso ist mir das denn NIE aufgefallen?

Ja, genau das! Ich frage mich auch, wie ich das die ganze Zeit nicht sehen konnte... Auf einmal erscheint es mir so offensichtlich und logisch. Ich bin jetzt total zuversichtlich. ;D Bin gespannt, was am Ende dabei herauskommt, wenn ich alle diese Sachen beachte.

So, das ist der Link zu dem Artikel: https://thewritepractice.com/too-short/ (ist halt auf Englisch). Der trifft den Nagel auf den Kopf.

@Trippelschritt: Was du beschreibst, hat für mich aber nichts mit Tiefgründigkeit zu tun. Das ist Komplexität, das muss ich auch noch üben, aber Tiefgründigkeit ist für mich etwas anderes. Es ist schwer zu erklären, es braucht nicht einmal komplex zu sein. Tiefgründig ist für mich, wenn die Geschichte Wahrheiten (also im philosophischen Sinne) enthält oder alles sehr echt wirkt. Wenn man mit den Figuren mitfühlen kann und sich vorstellen kann, dass es genau solche Menschen, Gefühle und Situationen wirklich gibt und sie wirklich so agieren würden (okay, das mit den Situationen entfällt bei Fantasy meistens, aber da ist es etwas anderes. Nämlich, wenn die Fantasy-Welt quasi unsere spiegelt, siehe, z.B. "Die Tribute von Panem"). Oder wenn man das Gefühl bekommt, wie z.B. bei King, das einem alle grossen Fragen der Welt beantwortet werden (auch wenn es nicht wirklich so ist). So etwas ist für mich Tiefgründigkeit. Schwer zu erklären.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Leann am 20. August 2017, 11:44:00
@Witch: Schön, dass du diese Erleuchtung hattest!  :vibes:  Solche Momente liebe ich am Autorenleben.

Übrigens finde ich, dass Tiefgründigkeit nichts mit der Länge eines Romans zu tun haben muss. Hab schon endlos lange Geschichten ohne jeglichen Tiefgang gelesen und kurze Werke, die ich sehr tiefgründig fand.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Trippelschritt am 20. August 2017, 14:41:03
Zu Tiefgründigkeit, Kompexizität und Kompliziertheit könnte ich durchaus noch eine Menge beitragen, doch hätte das nur wenig mit der Ausgangsfrage zur Manuskriptlänge zu tun und wäre daher OT. Danke für den Link. Der Artikel könnte vielleicht helfen, den die dort erwähnten Punkte sind andere mögliche Ursachen neben der von mir erwähnten Ideendichte. Solltest Du einen guten Schreibratgeber zu diesen Fragen suchen, empfehle ich Rober McKee: Story. Auch wenn er sich aufs Drehbuchschreiben bezieht, gelten die von ihm angesprochenen Grundlagen auch für jeden Roman.

Du wirst Dich schon durchbeißen.
Viel Erfolg
wünscht trippelschritt
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Belle_Carys am 20. August 2017, 14:52:30
Zitat von: Witch am 20. August 2017, 11:37:55

So, das ist der Link zu dem Artikel: https://thewritepractice.com/too-short/ (ist halt auf Englisch). Der trifft den Nagel auf den Kopf.

Danke für den Link! Bei ein paar von den Sachen muss ich mich zwar wundern (wozu hat man denn ein Outline, wenn man sich beim Schreiben nicht direkt an ihm entlang hangelt?  :hmhm?: ) aber da hat ja auch so jeder seine Variante, wie er oder sie vorgeht. Im Großen und Ganzen ist das aber eine Zusammenfassung dessen, was ich schon von anderen gehört habe. Der A-Plot entwickelt für sie beim Schreiben soviel Zugkraft, dass der erstmal auf das Papier muss, bevor irgend etwas anderes mit in den Fokus rücken kann.

Allerdings, das stellt die Autorin ja auch fest, entstehen dann natürlich in der Nachbearbeitung eventuell ziemliche Szenen-Friedhöfe oder ganze Kapitel müssen generalüberholt werden. Ein besseres, wesentlich gründlicheres Outline könnte dabei eventuell helfen. Oder aber, vielleicht könntest du dich darauf konzentrieren, dir deine Schlüsselszenen schon mal grob von der Seele zu schreiben und diese dann mit deinem Outline zu kombinieren, um zu sehen, wo es mehr Interaktion, mehr Figurenplot, mehr Szenerie braucht, bevor du 250 Seiten zu Papier gebracht hast, die dann sehr sehr viel Nachjustieren und zusätzliches Rumgefrickel brauchen? Nur so ein Gedanke, ich überlege auch immer darauf rum, wie wohl mein bester Arbeitsprozess aussehen könnte, das ist im Moment alles mal wieder sehr in Bewegung.


@Trippelschritt Ich sehe in deinem Beispiel keine Repräsentation dessen was ich für mich bezogen auf Texte als Ideenreichtum, Tiefgründigkeit oder Komplexität bezeichnen würde. Für mein Empfinden beschreibst du einfach, wie eine vernünftige Szene ausgestaltet wird. Das erste ist eine Zusammenfassung der Szene, die, wie du ja selbst sagt, ihre Notwendigkeit beschreibt. Was passiert? Drache wird über das Meer getragen. Warum? Spionagemission. Jeder der das für eine fertige Szene hält, hat noch viel zu lernen. Die Ausgestaltung dessen, jenseits von der reinen Beschreibung (sie fliegen, sie sehen, ein paar Auflistungen) ist ... unser Job. Die Szene zum Leben erwecken, den Leser abholen und gefangen nehmen und ihn im Idealfall sehen lassen, was unsere Protagonisten sehen. Das hat mit der Komplexität der Geschichte oder der Idee der Geschichte für mich nichts zu tun. Es ist eben das, wovon Witch sagt, dass es ihr manchmal noch fehlt, weil sie erst einmal damit beschäftigt ist, den Verlauf der Geschichte über seine erzählerischen Höhepunkte hinweg zu Papier zu bringen. Die Ausgestaltung, die erzählerischen Details, das "in-Szene-setzen".

Das kann man aber im Zweifelsfall auch in einer kurzen Geschichte machen, denn sonst gäbe es nur sehr sehr blasse Kurzgeschichten und das lässt sich nun doch wirklich nicht behaupten.

Ideen braucht ein anständiger Roman meiner Meinung in der Basis im Idealfall zwei. Man kombiniert Dinge miteinander, die so vielleicht noch nicht verknüpft worden sind (oder einfach eine spannungsreiche Kombination abgeben, egal wie oft es sie schon gab), und deshalb neue oder doch zumindest sehr ergiebige Spielfelder eröffnen, auf denen man sich erzählerisch betätigen kann. Das bezieht sich natürlich eher auf "große" Ideen wie ... keine Ahnung, Windhunderennen und Space Opera . Natürlich ist der ganze Schreibprozess von kleineren Ideen durchdrungen, von Entscheidungen im Weltenbau hinweg bis zum Lieblingsgetränk des Protagonisten. Und all diese Dinge tragen sicherlich dazu bei, Szenen auszugestalten und Atmosphäre zu schaffen, aber meiner Meinung nach kann man, je nachdem, was für eine Geschichte es ist und was sie erreichen soll, auch mit sehr nüchternen Szenen auskommen, mit sehr klarer Sprache, die auf die Essenz eines Moments reduziert. Beides kann man gut und schlecht machen.

Die Ausgestaltung einer Szene mit ihrer Tiefgründigkeit gleichzusetzen, halte ich indes für sehr gewagt. Meinem Erleben nach sind die Dinge, die mir am längsten nachhallen, und die stärksten emotionalen und auch kognitiven Reaktionen nach sich ziehen, eher kurz und präzise. Weil sie einen punch liefern, den eine lange, ausgedehnte Beschreibung, egal wie gut sie ist, egal wie starke Bilder sie evoziert, mir persönlich nicht liefern kann. Letztendlich sagt Tiefgründkeit etwas darüber aus, ob eine Szene oder ein Satz nur auf das verweist, was in ihr oder ihm beschrieben wird, oder auf mehr. Ob man es vielfach interpretieren, zu "tieferen" Erkenntnissen kommen kann, die über das Gesagte/Geschriebene hinaus gehen. Ob das gelingt, hat wohl weniger mit der Ideendichte per Szene zu tun als mit der Wahl der übergreifenden Ideen, die man im Roman behandelt, und wie man diese instrumentalisiert.

Und das, da bin ich ganz bei @Leann, ist gänzlich unabhängig von der Romanlänge.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Zit am 20. August 2017, 15:45:17
Wobei so ein Ausgestalten der Szene, finde ich, auch darauf fokussiert sein sollte, welche Dinge am Ende relevant sind. Die Zauberer, die den Drachen sehen obwohl sie diese Tiere längst für ausgestorben hielten – das hat ja auch eine Plotrelevanz. Das schürt zugleich Angst und Begierde, und verändert vor allem, denke ich, auch ihre Strategie des Angriffs. (Gibt es nur diesen einen Drachen? Kommen wir gegen ihn in einem Seegefecht überhaupt an? Ist es nicht zu riskant und wir sollten lieber umkehren oder den Drachen zuvor ausschalten?) Die Backstory über die Beziehung des Drachen zum Mitreisenden halte ich allerdings für Fluff. Wenn das nicht etwas in der Charakterentwicklung hergibt, weil die beiden sich bald darauf böse fetzen – oder sie sie sich im Zuge des Kriegs vertragen müssen, der eine dem anderen trotzdem immer wieder gegen den Karren fährt, Spitzen verteilt oder ungehorsam ist, dann halte ich die Information für unrelevant. Im zweiten Fall wäre sie an der Stelle womöglich auch vergeudet, weil sie ja für den Leser die Spannung des/ Frage nach dem Warum des Ungehorsams auflöst bevor er relevant geworden wäre, die Entwicklung der Figuren gleichzeitig somit nicht voran treibt. Ich würde das eher in einem Streit auflösen, als Höhepunkt des Kampfes gegeneinander damit sich die beiden berappeln. Aber auch erst nachdem die Fehde beide, und vielleicht auch die Kriegspläne, in die Scheiße geritten hätte.
Entschuldigt, das artet etwas aus. Aber vielleicht hilft das auch bei der Frage der Plotplanung, wenn man nicht nur auf die eigentliche Quest sondern auch auf die Figurendynamik achtet. Das gilt im Hintergrund auch für die Entwicklung der Antagonisten oder der Welt. Ich versuche meistens alle diese Dinge vorher zu überdenken und auszubreiten. Das dauert leider meistens recht lange, weil ich etwas langsam bin. Die Geschichte wächst dann beim Schreiben von selbst.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Trippelschritt am 20. August 2017, 16:04:37
Ich sehe schon, wir schreiben gewaltig aneinander vorbei. Starke emotionale und kognitive Reaktionen kennzeichnen einen Leser und nicht einen Text. Die Ausgestaltung einer Szene kann aus ganz vielen Dingen bestehen. Immer sind Ideen dabei involviert, aber wir müssen die verschiedenen Maßstabsebenen dabei berücksichtigen, auf denen die Ideen wirken. Ich habe nur ein Beispiel für Ideen auf der Szenenebene genannt. Wenn eine Szene geschrieben wird und es geht um den Text, werden selbstverständlich auch Ideen auf der Absatz-, Satz- und Wortebene gesucht. Das alles zusammen gehört zur Ausgestaltung einer Szene.

Aber bevor wir hier eine völlig unnötige Diskussion beginnen, wo jeder eine andere Vorstellung über Tiefgründigkeit hat, müssten wir erst klären, was wir unter den wichtigsten Begriffen verstehen. Deshalb ganz kurz meine Position (die von McKee), ohne dass ich damit einen Alleinanspruch anmelden möchte: Die Tiefe einer Person ergibt sich aus den Aspekten ihrer Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen. Wenn ich das auf eine Szene übertrage, wird eine Szene dann tiefgründig, wenn die in ihr angesprochenen Aspekte unterschiedliche Subplots oder Sublevels bedienen. Das klingt vielleicht ein wenig akademisch, ist aber egal. Wir könnten aber durchaus in einem abgetrennten Workshopthread einmal über Tiefgründigkeit diekutieren. Es wäre ein lohnendes Thema und ich wäre sofort dabei. Aber das hier ist der falsche thread dafür.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Zit am 20. August 2017, 16:18:43
Was ist der richtige Thread für dich? Es hindert sich niemand, einen zu eröffnen. Ich finde die Sachen hier sehr relevant. Was McKee angeht: Es gibt da den wirren, anstrengenden, aber auch super Film mit Nicolas Cage, der sich standig selbst referenziert... "Adapation" heißt der. Könnte hier auch gut reinpassen, weil er am Rande die Frage Ratgeber ja/nein streift, aber selbst auch ein langer Film ist und man gut sehen kann wie er handwerklich aufgezogen ist. Natürlich liegt die Filmlänge teilweise daran, dass es zwei Handlungsstränge sind. Ohne einander sind sie aber auch ziemlich trostlos, weil der Zuschauer Erkenntnisse aus dem einen Strang in den anderen mitnimmt. Jedenfalls: Zum Studieren gut geeignet.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 20. August 2017, 17:30:21
ZitatBei ein paar von den Sachen muss ich mich zwar wundern (wozu hat man denn ein Outline, wenn man sich beim Schreiben nicht direkt an ihm entlang hangelt?  :hmhm?: )

Also, weil... also, ähm, die Outline ist schon wichtig, weil... ähm... :rofl: Das mache ich eben auch. Das ist wirklich eine gute Frage. Ich mache die Outline eigentlich immer als Orientierungshilfe, aber die ist nie so detailliert. Das ist mehr so ein erstes Festhalten. Abgesehen davon, würde es mir nichts nützen, das detaillierter zu machen, weil ich früher oder später sowieso davon abweichen müsste.

Das ist auch jetzt mein neues Problem. Ich bin Entdecker, ich brauche das Schreiben des Textes, damit die Geschichte sich überhaupt entwickelt. Ich kann das nicht vorher planen. Die Sache ist nur, dass meine bisherige Herangehensweise vor diesem neuen Hintergrund, dass dabei nur ein roher Ablaufentwurf herauskommt, ineffizient ist. Wie ich das löse, muss ich noch herausfinden. Vielleicht doch so etwas machen wie Elizabeth George (superdetaillierte Outline, die sie dann "fliesssender Handlungsentwurf" nennt) und direkt aus dem heraus die weiteren Schichten auftragen oder so etwas...  :hmmm: Ich muss jetzt ein wenig ausprobieren.

ZitatOder aber, vielleicht könntest du dich darauf konzentrieren, dir deine Schlüsselszenen schon mal grob von der Seele zu schreiben

Das mache ich eben schon bei der Ideenfindung. Die kommen dann später auch in diesen ersten Entwurf. Das Problem ist halt, dass ich im Gesamtkontext des Entwurfes dann vieles neuschreiben muss. Bisher ging das ja, aber in Zukunft werde ich das alles ändern müssen, wenn ich effizient sein will (und das will, ich will das Zeug ja dann auch veröffentlichen).
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Rumpelstilzchen am 20. August 2017, 19:15:11
Zitat von: Witch am 20. August 2017, 17:30:21
Das ist auch jetzt mein neues Problem. Ich bin Entdecker, ich brauche das Schreiben des Textes, damit die Geschichte sich überhaupt entwickelt. Ich kann das nicht vorher planen. Die Sache ist nur, dass meine bisherige Herangehensweise vor diesem neuen Hintergrund, dass dabei nur ein roher Ablaufentwurf herauskommt, ineffizient ist.

Nur weil du eine andere Herangehensweise hast, muss sie nicht zwangsläufig viel ineffizienter sein. Während sich bei dir die Geschichte beim Schreiben entwickeln und du dafür länger zum Schreiben und Überarbeiten brauchst, planen andere sie wochen- oder monatelang vorher und schreiben sie dann in einem Rutsch runter und brauchen dann weniger Zeit zum Überarbeiten, was aber auch keine Garantie ist, dass sich nicht mittendrin etwas ändert oder Probleme auftauchen, die bei der Überarbeitung behoben werden müssen.

Schreib so, wie es für dich am besten passt, denn was bringt es dir, wenn du dich durch eine Arbeitsweise quälst, die dir keinen Spaß macht und du deshalb länger brauchst. Veröffentlichen kannst du deine Romane trotzdem, dafür spielt es keine Rolle, ob du nun bspw. sechs oder sieben Monate brauchst, um einen fertigzustellen.
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Belle_Carys am 20. August 2017, 20:03:35
@Trippelschritt  Leser und Text sind aber untrennbar miteinander verbunden. Ein Text ist ja kein Selbstzweck. Und es ist der Text, der diese Reaktionen überhaupt erst bedingt, dementsprechend ist seine Struktur und seine erzählerische Kraft das, was Emotionen auslöst oder eben nicht.
Ich glaube, mein grundlegendes Problem mit deiner Argumentation ist nicht der akademische Gehalt sondern dass ich den Anspruch der Tiefgründigkeit nicht als Maßstab an jede Szene, sondern an einen Text als ganzes anlege. Wenn jede Szene "tiefgründig" ist, dann ... nein danke. Das möchte ich nicht lesen. Aber eventuell definieren wir die Sache mit der Tiefgründigkeit ja auch einfach wirklich sehr unterschiedlich. Das war aber ja auch nicht die Frage, sondern ob Tiefgründigkeit und Länge einander bedingen, und das verneine ich für mich einfach.

Was die Tiefe einer Figur angeht, die ergibt sich natürlich immer daraus, wie viele ihrer Facetten ich meinem Leser vermitteln kann. Ist sie "nur" Magierin oder ist sie Magierin, Mutter, Schwester, Geliebte, Witwe, Akademikerin und Angehörige einer Minderheit? Jeder von uns vereint viele Dinge in sich, und wenn Figuren tatsächlich plastisch und "echt" werden sollen, dann muss das für sie ebenso gelten. Genauso wie eine jede Situation eine Fülle von möglichen Lösungen, Möglichkeiten zum Scheitern oder Gelingen in sich trägt. Und selbstverständlich sollte eine repräsentative Auswahl dessen auch angesprochen und dargestellt werden. Zu versuchen, dass ständig und in Gänze auszuschöpfen, wäre allerdings nicht die Maßnahme meiner Wahl und das vermittelt mir dein Beispiel und deine Beschreibung ein wenig. Ja, Dinge müssen ausgestaltet werden und gerade wenn Bücher in den ersten Entwürfen zu kurz sind, Plots zu geradlinig aufs Ziel zulaufen oder Leser das Gefühl bekommen, sie werden durch die Handlung getrieben ohne je Zeit zu haben, Figuren oder Welt einfach mal wahrzunehmen, dann fehlt es an diesen Dinge.
Die Ausgestaltung des Romans dahin gehend ausarten zu lassen, dass möglichst viel in möglichst kleinen Raum gestopft wird, um nur ja alle Aspekte, Möglichkeiten und Ansätze auszuschöpfen, halte ich allerdings für in die andere Richtung fehlgeschlagen.

Hier, wie überall, gilt es für mich, das richtige Maß zu finden, und da spielt das hinein, was @Zitkalasa angesprochen hat: Relevanz. Muss der Leser das wissen, oder genügt es, wenn ich als Autorin das weiß? Nicht jeder Einfall, nicht jedes Wissen, das ich über meine Figur habe, gehört aufs Papier.

Zitat von: Witch am 20. August 2017, 17:30:21
Abgesehen davon, würde es mir nichts nützen, das detaillierter zu machen, weil ich früher oder später sowieso davon abweichen müsste.

Das ist auch jetzt mein neues Problem. Ich bin Entdecker, ich brauche das Schreiben des Textes, damit die Geschichte sich überhaupt entwickelt. Ich kann das nicht vorher planen.

Ich hab früher auch so geschrieben und bin damit regelmäßig vor die Wand gefahren (und stehe mit dem Manuskript, das ich gerade überarbeite, vor einem riesengroßen Trümmerhaufen. Ein lustiger Trümmerhaufen mit kreativen Ideen und Figuren, die toll sind. Aber eben trotzdem einem Manuskript mit Totalschaden). Ich hab die letzten anderthalb Jahre damit verbracht, mich vor allem theoretisch mit dem Schreiben zu beschäftigen, anderen Autoren "über die Schulter zu schauen", meine alten Prozesse zu reflektieren und zu hinterfragen und festgestellt: ich habe zu wenig geplant. Inzwischen klopfe ich alles komplett ab und stelle sicher, dass die Handlung meine Figuren entspricht (ihre Persönlichkeit, Vergangenheit und Handlungsmotivation also zu dem passen, was sie tun, und die nachfolgende Entwicklung daraus logisch nachvollziehbar resultieren), klopfe den Plot auf alle möglichen Inkonsistenzen ab etcetera. Dann, habe ich beim Schreiben festgestellt, weicht nachher auch nicht mehr soviel vom Outline ab. Weil das organisch ist, und sich aus den Realitäten der Figuren und der Welt ergibt. Funktioniert gut für mich, ist aber auch aufwändig und sicher nicht was für jedermann. Ich würde mal sagen, ich werde in Zukunft 2 bis 3 mal so lange brauchen, das ganze zu planen wie es dauert das zu schreiben (ich schreibe allerdings relativ zügig). Und ich rechne fest damit, dass es danach trotzdem ein bis zweimal überarbeitet werden muss bis erstmalig das Stadion von "braucht nur noch stilistische Schönheitskorrekturen" erreicht ist (und ich gehe mal davon aus, jeder potentielle Verlag hätte dann immer noch jede Menge anzumerken  :rofl:). Effizienz ist gut und schön, aber für mich steht inzwischen Qualität an erster Stelle, und die dauert bei mir, vor allem weil ich mir gern komplizierte (und rechercheintensive) Dinge ausdenke, die dann logischerweise auch jede Menge Potential zum scheitern in sich tragen. Manche Dinge merkt man erst hinterher. Und eine erste Fassung ist eine erste Fassung, und die Überarbeitung davon meiner Meinung nach meist nochmal ähnlich aufwändig, selbst wenn man keinen Ausschuss produziert hat.

Dementsprechend bin ich da ganz bei @Nina Wenn es dir leicht fällt, die erste Variante, die erstmal eher ein Skelett ist, runter zu schreiben und du damit schreibend entdeckst, wo deine Geschichte lang läuft ... dann ist das dein Prozess. Dann nimmst du dir halt danach das Ding und erstellst dir vielleicht an Hand des vorhandenen Textes ein Outline und guckst, wo das Schwächen hat und an welchen Stellen sich der passende Raum für Subplots und ein bisschen schmückendes Beiwerk ergibt. Es gibt ja Gott sei Dank kein Richtig oder Falsch für den Prozess... nur Dinge die individuell funktionieren oder eben nicht.  ;D Und ganz ehrlich, ich finde das Ausloten, wie man seine eigenen Fähigkeiten am produktivsten einsetzt, inzwischen wirklich einen der spannendsten Teile am ganzen Schreiben. Neben dem Schreiben an sich, versteht sich.

Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Trippelschritt am 21. August 2017, 10:04:03
Ich glaube Belle, dass wir gar nicht weit auseinander sind mit unseren Meinungen und vielleicht in unserer Diskussion nur die kleinen Unterschiede betonen. Sicher sind Leser und Text untrennbar miteinander verbunden, wie auch Autor und Text untrennbar miteinander verbunden sind. Aber nicht völlig deckungsgleich und deshalb schaut ein Autor manchmal verwirrt auf die Reaktionen seiner Leser. Aber was ich für wichtiger erachte ist die Erfahrung, dass man durch eine Verschiebung der Perspektive bei ein und demselben Gegenstand manchmal völlig neue Erkenntnisse gewinnt. Deshalb spreche ich lieber über Texte als über Leser und Autoren.
Und ja, ich bin der Meinung, dass Tiefgründigkeit ein entscheidender Faktor für die Länge einer Geschichte ist. auch wenn sich Tiefgründigkeit bereits im Aphorismus wiederfinden lässt. Doch gilt diese Abhängigkeit nur in einer Richtung. Je tiefgründiger ich meine Geschichte anlege, desto länger wird sie. Wenn alle anderen Faktoren gleich bleiben. Andererseits gilt nicht, dass lange Geschichten immer tiefgründig sind. Ich kann auch unzählige Seiten mit Geschwafel füllen.
Wo ich Dir völlig zustimme, ist Deine Behauptung, dass der Maßstab für die Tiefgründigkeit einer Geschichte immer die ganze Geschichte ist. Und ich stimme Dir auch zu, dass eine Geschichte voller tiefgründiger Szenen einfach over the top und damit ungenießbar ist. Aber es gibt keine tiefgründige Geschichte ohne tiefgründige Szenen und ich hatte eine Szene als Beispiel zur Erläuterung der Ideendichte gewählt.
Ich denke, ein Teil unseres missverstänsnisse ist, dass ich nicht allgemein über Tiefgründigkeit gesprochen habe, sondern am Beispiel einer Szene darüber, wie Ideendichte und Tiefgründigkeit miteinander verbunden sind. Das, was Du über Tiefgründigkeit einer Geschichte geschrieben hast, ist auch meine Ansicht der Dinge.
Und noch ein letzter Satz zum Autor, auch wenn ich lieber über Texte spreche. Schließlich hat eine Autorin hat diesen Thread gestartet. Jeder macht es anders. Ich muss immer mit der ganzen Fülle beginnen, aber ich habe auch nie einen Plan, sondern nur einige fixe Orientierungspunkte. Da arbeitet es sich anders, als wenn ich zuerst ein Gerüst brauche, das ich später füllen muss. Bei mir enrtsteht das Gerüst während erst des Schreibens. Und trotzdem: Dieser Aspekt spielt nur eine Rolle, wie man zu seinen Ideen kommt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es einem Autor hilft, seinen eigenen Kreativitätsprozess zu kennen und nicht gegen diesen anzuschreiben. Glücklich sind die, die ihn intuitiv verstanden haben. Alle anderen müssen ihren Weg erst noch finden. Aber ein Trost ist, dass der eigene Kreativitätsprozess sich auch wandeln kann, wenn man nicht vesucht es zu erzwingen. Aber das sind alles persönliche Erfahrungen und müssen nicht für alle anderen gelten.

Danke schön für diese sehr interessant Diskussion mit Dir.
Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: HauntingWitch am 21. August 2017, 12:59:02
Zitat von: Nina am 20. August 2017, 19:15:11
Nur weil du eine andere Herangehensweise hast, muss sie nicht zwangsläufig viel ineffizienter sein. Während sich bei dir die Geschichte beim Schreiben entwickeln und du dafür länger zum Schreiben und Überarbeiten brauchst, planen andere sie wochen- oder monatelang vorher und schreiben sie dann in einem Rutsch runter und brauchen dann weniger Zeit zum Überarbeiten, was aber auch keine Garantie ist, dass sich nicht mittendrin etwas ändert oder Probleme auftauchen, die bei der Überarbeitung behoben werden müssen.

Das stimmt natürlich auch wieder. Ich habe dieses Gefühl nur, weil ich bisher schon immer recht lange gebraucht habe (eineinhalb bis zwei Jahre pro Roman) und deshalb nun nicht sicher bin, wie das sein wird, wenn ich eben mehr Zeit für die Überarbeitung brauche. Aber wie gesagt, ich werde ausprobieren müssen, was funktioniert.

Vielen Dank auf jeden Fall für eure Meinungen. :)
Titel: Re: Fragen zur Länge (und Übersichtlichkeit) von Romanen
Beitrag von: Culham am 05. September 2017, 17:11:17
Vor einiger Zeit neigte ich auch dazu, möglichst viele Perspektiven einzunehmen, um Komplexität zu erzeugen. Ich glaube nun allerdings, dass man damit schnell über das Ziel hinaus schießt. Ganz im Ernst, viele meiner Lieblingsfiguren in Romanen sind Figuren, die keine Perspektive haben... Vielleicht weil es dann für den Leser leichter ist, etwas in die Figur hineinzuprojizieren. Vielleicht ist es meine Besonderheit als Leser, ich weiß es nicht. Auf alle Fälle mache ich es beim schreiben inzwischen auch so. Ich reduziere die Perspektiven auf ein Minimum, wobei ich die anderen Perspektiven aber kenne. Es lässt einfach mehr Geheimnisse. Manchmal lese ich bspw die Perspektiven von Bösewichten und bin dann enttäuscht und denke mir, dass der Autor das besser sein gelassen hätte, weil so die Geheimnisse verloren gehen...