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Du, Sie oder Ihr?

Begonnen von Schelmin, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Linda

#15
ZitatHi,
Als erste Maßnahme habe ich Mr und Mrs mal in Herr und Frau umgewandelt. Ich glaube, das war gut. Was das Sie-Problem angeht, bin ich noch nicht weiter. Ich habe mal ein bißchen herumexperimentiert und habe mal einen Absatz mit viel Dialog einmal auf Ihr, und einmal auf Du umgeschrieben. Das wirkt beides seltsam. Vor allem in den Verhörszenen mit den Verdächtigen.
Blöde Sache!

Ich würde sagen, das kommt auf die Art des "Verhörs" an.
Wenn das gesittet in einem Büro in der Polizeistation stattfindet, würde das Herr/Frau und Sie doch passen.

In einem Kerker, mit glühenden Zangen wirkt sowohl das Sie wie das Ihr lächerlich. Es sei denn, der Folterknecht möchte sein Opfer noch besonders demütigen, indem er dessen Rang betont und damit auf die erniedrigende Situation hinweist. Denn trotz aller verbalen Höflichkeit ist das Opfer ihm ja unterlegen...

Moni

Zitatund in meinem kleinen Langenscheids steht sogar, dass die Redewendung thou bedeutet, dass man jemanden duzt, bzw der Sprachgebrauch eines gehobenen Du's. Hüstel. Für thy gildet dann das gleiche in der Bedeutung von dein...

*sich ein Langenschid schnappe*
Ja, gut, da steht tatsächlich du... aber mit dem Zusatz "Bibl./poet." also, in der gestelzten Art der Bibel oder in der poetischen Art... Kann man das nicht Sinngemäß als "Ihr'chsen" und "Euch'sen" sehen?

...

Aber für "Ihr'chsen" und "Euch'sen" gab es doch auch was... *blätter*  Mist, mein Langenscheid ist zu klein, 83000 Stichworte reichen nicht...  :(
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Maja

Uff, interessantes Thema, aber müßt ihr da soviel schreiben, bevor ich online komme? Jetzt habt ihr alle meine Argumente vorweg genommen!  :-[
Nein, ich kann immer noch aus dem Nähkästchen kramen und Verwendungsbeispiele bringen:

- "Die Spinnwebstadt" spielt in der Modernen, da reden sich die Leute mit Herr, Frau, Du und Sie an. Also, wie bei uns. Unterschied ist, daß vor allem junge Leute oft mit vollem Namen angesprochen werden. Akademiker werden mit akademischen Grad angesprochen ("Dr. Sandor").

- In der Öbba, also: Bei mir in Asböb (in Raköb bei Monica lief das viel förmlicher ab) sprach man sich mit Du oder Ihr an, aber statt Herr und Frau sagte man Meister und Meistrin (war so ein Bißchen Richtung "Genosse"). Akademische Grade sind auch gebräulich, dann sagt man Magister/Magistrin
@Moni: Wie sagt man für einen Raköbiner? "Mein Herr"?

- In der "Flöte aus Eis" sind die Leute untereinander per Du. In Thoria ist jeder Du, sogar der Kronprinz, nur dem Kögi gebietet die Ihr-Form, er benutzt auch den Majestätsplural, wenn er von sich spricht. Ansonsten wird Hochachtung eben auf andere Weise ausgedrückt. Waren nicht im alten Rom auch alle Leute per du? Herr und Frau gibt es nicht, nur Vornamen, ggf. mit vorangestelltem Adelstitel (Graf Arlin, Dhelin Prinz von Thoria, etc.)

- Im Elomaran-Zyklus herrscht die klassische Fantasyanrede Ihr/Euch für Hohe Herrschaften, Du für das niedere Volk, Freunde, Verwandte, Kinder, etc. Herr und Frau sind als Anrede unüblich, so es sich nicht um niedere Adlige handelt (in dem Fall ist das der Titel). Im Land Loringaril gibt es als Anrede und Titel "Sirah" (für Männer) und "Sirahë" (für Frauen) - mit dieser Anrede kennzeichnet man allerdings vor allem einen Höherrangigen, der einem dennoch nichts zu sagen hat, im Sinne von "Herr/in, aber nicht MEIN/E Herr/in")

- In "Seelenfeuer", was mehr Science Fiction ist, verwende ich dennoch Ihr/Euch, um den Feudalstaat zu kennzeichnen. Die Anrede erfolgt jedoch mit Vornamen, der Hausname, der vorangestellt wird, hat in der Anrede nichts zu suchen (Also, Anos-Yamon Dao wird allerseits nur mit Dao angesprochen)

Soweit mit meinen Beispielen - ich wäre froh, wenn mir mal eine völlig neue Art für die Anrede einfiele!
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Moni

#18
Zitat@Moni: Wie sagt man für einen Raköbiner? "Mein Herr"?
Ja, ich glaube schon... Pfau sagt das zu Cip, meine ich... *grübel*
Die Raköbiner waren generell etwas förmlicher als die Asböbiner, wenn ich mich da recht erinnere.

ZitatWaren nicht im alten Rom auch alle Leute per du?
So in der Art. Obwohl für den Kaiser eine andere Anrede galt...
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Stefan Quoos, WDR2-Moderator

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Johann Wol

Elena

Mal eine Frage, über die ich durch das hier:

ZitatDie Wahl der Anrede ist also ein spezifisch deutsches Problem.

mit einem französischen (und portugiesischem; tatsächlich würde ich fast sagen, es ist ein Nicht-Englisches Problem ;) ) Protest ausgelöst wurde: Was ich damit sagen wollte: Die Eltern "gehoben" anreden oder nicht? In Frankreich, wollte mein Vater mir immer einbläuen, werden die Eltern manchmal noch von den Kinder gesiezt. Na gut, ich war noch nie in Frankreich (oder nicht so weit, als dass man nicht mit Deutsch durchgekommen wäre), deswegen kann ich das nicht sagen. Aber mir kommt es so vor, als wäre es "früher" (also seeeehr viel früher) üblich gewesen, die Eltern mit "Ihr/Euer" oder zumindest "Sie/Ihr" anzureden.

Wäre das jetzt in einem Fantasymanuskript für euch mal ganz salopp gesagt Quark, wenn man es übernehmen würde, oder hätte es Authezität (was für eine auch immer)? Manchmal ist es schwierig, da nicht die Grenze zum Lächerlichen zu überschreiten...

Liebe Grüße,

Elena

Ronya

Also eine meiner Figuren Ihrzt ihren Vater auch, da das Verhältnis zwischen den beiden aufs äußerste gespannt ist. Für mich ist das ein wichtiger Punkt zur Charakterisierung beider Figuren, dem Vater und dem Sohn, denn alle anderen Charaktere sprechen ihre Eltern mit Du an.
Ich denke auch, dass das früher mit dem Siezen der Eltern üblich war. Dass es allerdings heute in Frankreich immer noch so ist, kann ich nicht bestätigen.
Gruß Ronya

Maja

Warum sollten Kinder nicht ihre Eltern siezen? Also, in einem Fantasysetting, meine ich!

Ich habe eine französische Tante, die manchmal versucht, mir etwas beizubringen. Ich weiß auch icht, ob es noch üblich ist, die Eltern zu Siezen ("Ihrchsen/Eucdhsen", müßte man wohl eher sagen, denn Vous ist ja zweiter Fall plural - also, in Frankreich die "Default"-Einstellung, "Sie" gibt es dagegen nicht), aber eine andere Bersonderheit habe ich gelernt:
Es ist unerläßlich, einen Gruß mit Namen oder Titel zu kombinieren, also nicht nur "Bonjour", sondern "Bonjour madame" oder "Salut Nicole", und so weiter. Das gilt auch für Kinderer gegenüber ihren Eltern. Natürlich vergißt man das schonmal und sagt nur "Bonjour", aber Eltern haben eine Möglichkeit, das Kind zur Höflichkeit zu erziehen: Grüßt das Kind ohne Name/Titel, grüßen seine Eltern zurück: "Bonjour, chien". Und das ist nicht irgendein Kosewort - es bedeutet "Hund."
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Ehana

#22
Hm, unsere Französischdozentin (sie ist aus Paris) hat uns immer nur mit "Bonjour" begrüßt, aber vielleicht lag das auch daran, dass man schlecht 15 Namen daran anhängen kann. ;)

Maja

Dann hätte sie eigentlich sagen müssen "Bonjour mes enfants" oder "Bonjour mes elèves", oder etwas in der Art.
Wo gehen sie hin, die Sitten?
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Moni

ZitatDass es allerdings heute in Frankreich immer noch so ist, kann ich nicht bestätigen.
Als ich Ende der 80er in unserer Partnerstadt in der Normandie war, habe ich tatsächlich zwei Kinder getroffen, die ihre Eltern siezten. In den "gehobenen" Schichten ist das zum Teil wirklich noch immer üblich.


Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

Ronya

ZitatHm, unsere Französischdozentin (sie ist aus Paris) hat uns immer nur mit "Bonjour" begrüßt, aber vielleicht lag das auch daran, dass man schlecht 15 Namen daran anhängen kann. ;)
bei uns war es immer "Bonjour classe"
Gruß Ronya

Linda

#26
ZitatBei mir heißt die Stadtwache zwar Stadtwache, der Obermotz ist aber trotzdem der Polizeiminister.
Das faszinierende an der Fantasy ist für mich, daß ich eine Welt schaffen kann, die alles hat, was für mich wichtig ist. Auf der einen Seite das Bodenständige des Altertums, mit Handwerkern und einem Mann zu Mann-Kampf, das Beschauliche, Natürliche, Usprüngliche, die schöne Kleidung, auf der anderen Seite kann man Sachen herausnehmen, die bei uns nun mal zur Geschichte gehören, einem aber nicht gut gefallen: die Hexenverbrennung zum Beispiel. Und weil man ungern auf den Komfort der modernen Welt verzichtet, hat man ja Magie und magische Wesen. Wer braucht noch einen Durchlauferhitzer, wenn er einen Drachen hat, der ihm das Badewasser erhitzt? So sieht meine Welt aus, eben halb altertümlich, halb modern. Die Charaktere sind modern, der Zwerg lebt in einer WG mit einer beflügelten Elfe, diese hat ihr Liebesleben und steht voll im Beruf.

Klingt interessant dein Konzept. - Hast du es schon mal mit einem Shadowrun-Roman versucht?  Lesen meine ich... da sind ja auch die Genres bunt gemischt - Elfenkrieger und Orkschamanen kämpfen neben Computervernetzten Matrix-Zauberern in einer near future Umgebung. ;-)

Zitat.....zurück zum Thema. Deswegen dachte ich auch, daß das Siezen vielleicht eher angebracht ist, als das Duzen und Ihrzen. Aber als neuer unbekannter Autor hat man natürlich Angst davor, bisher im Genre eher gemiedene Wege zu gehen und vielleicht an einen Lektor zu geraten der sich denkt: wie ist die denn drauf? Dessen Erwartungshaltung wird vielleicht dann nicht erfüllt, vor allem, weil er vielleicht denkt, daß die Erwartungshaltung der Leser nicht erfüllt wird.

Tja, ich kann es einerseits verstehen, aber andererseits sehe ich viel Potential darin, sich von der 08/15-Fantasy abzuheben.
Du kannst das Problem recht elegant lösen, indem du dem Lektor zeigst, dass es eine bewusste Entscheidung für das 'Siezen' war und nicht Unwissenheit. Das Expose oder das Anschreiben bieten dir dafür den nötigen Platz.
Und es macht nicht den schlechtesten Eindruck, wenn man sieht, dass ein Autor dafür Problembewusstsein hat, darüber nachdenkt und seine Welt stimmig aufbaut.

Gruß,
Linda