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Falsche Autorenpersona, wenn Autoren sich unethisch verhalten

Begonnen von Franziska, 11. März 2018, 15:08:36

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Gizmo

#30
Ich werde wahrscheinlich ein Pseudonym verwenden, weil es in meinen Arbeitsumfeld mittlerweile Standard ist, dass ein Arbeitgeber potentielle Mitarbeiter einfach mal googelt. Wenn dabei der eine oder andere recht blutrünstige Fantasy-Roman auftaucht, muss das nicht immer gut sein.

Unabhängig von einer juristischen Wertung würde ich die Grenze für mich folgendermaßen ziehen: Wähle ich ein Pseudonym, um Diskriminierung zu verhindern, geht das in Ordnung. Dazu gehören weibliche Pseudonyme in entsprechenden Bereichen, oder asiatische bzw. englisch klingende Namen usw., wenn ich weiß, dass diese in meinem Genre bevorzugt werden. Ich gleiche damit einen Nachteil aus, der gegen mich arbeitet. Aus demselben Grund gibt es z.B. Unternehmen, die keine Bilder auf ihren Bewerbungsunterlagen zulassen oder den Namen des Bewerbers verschleiern. Der Personaler soll sich allein nach dem Inhalt der Bewerbung richten, nicht nach Aussehen oder Geschlecht des Bewerbers oder wie dessen Name klingt.
Anders sieht es aus, wenn ich mir gegenüber meinen Mitbewerbern einen Vorteil verschaffe. Beispielsweise, indem ich eine Krebserkrankung vortäusche, um ein entsprechendes Buch besser verkaufen zu können. Dabei geht es nicht um Diskriminierung, ich verschaffe mir einfach einen Vorteil gegenüber allen, die keine entsprechende Vita besitzen. Unstrittig Betrug ist es natürlich, wenn ich dann auch noch Spenden kassiere.

Geschlechtsneutrale Namen als Pseudonym halte ich übrigens für eine elegante Lösung!
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

Kunstmut

Das genannte Beispiel im allerersten Thread-Beitrag finde ich, wie alle anderen, auch moralisch verwerflich. Und auch rechtlich nicht in Ordnung. Soweit ist es, denke ich, hier schon geklärt. Im Grunde kann ich auch nur in allen Punkten dem Beitrag von Gizmo zustimmen (23.März; 14:38 Uhr). Nachdem ich das jetzt alles gelesen habe, macht es mich aber dennoch nachdenklich. Es gab und gibt in meinem Leben Phasen, da finde ich es unverständlich und verrückt, wie jemand nicht mit Pseudonym arbeiten kann, und dann wiederum frage ich mich, was gegen Klarname, Ehrlichkeit und Authentizität spricht. Was meiner Meinung nach überhaupt nicht geht, ist das Anwenden von krimineller Energie, wenn sich der Autor dessen voll bewusst ist. Wenn also Namen, Angaben, Daten, Fakten, Formulare so zurecht gebogen werden, um irgendwo eine Lücke zu nutzen. Beispielsweise könnte ich mir ein Pseudonym zulegen und so tun, als hätte ich mit hunderten Menschen Sex gehabt, Männlein, Weiblein, Transe etc. Natürlich wollen alle geheim bleiben, wegen Privatsphäre, Diskretion und Seriosität. Das wäre für mich leichte kriminelle Energie und bereits verwerflich, denn ich nutze Dinge aus, um mich selbst in einen Vorteil zu setzen. Dabei spielt es keine Rolle, dass ich vielleicht in der Lage wäre, so einen fake Erfahrungsbericht glaubhaft umzusetzen.

Das Internet ist voll mit Sex und Erotik, dazu ist es eine der natürlichsten Sachen der Welt, jeder erlebt es anders. Mit ein wenig Recherche, Empathie und Method Acting beim Schreiben käme man da mit Sicherheit sehr weit. Wenngleich ich mich dann fragen würde, warum man nicht direkt einen fiktiven Erotikroman schreibt. Gleiches gilt für Genderbending oder Beobachtungen von Minderheiten. Da könnte man für Nonfiktion die Rolle des einfühlsamen und interessierten Beobachters geben, der versucht, sich in die Thematik einzuarbeiten. Also sozusagen wie ein klassischer längerer Bericht in der Zeitung, nur eben in Buchform gestreckt. Sowas hab ich sogar hier liegen: Ein Mann fährt mit dem Auto durch Sibirien und gibt dabei wieder, auf wen er alles trifft und was diese sonderbaren Leute (bis hin zu einer christlichen Sekte) antreibt und umtreibt. Auch Journalisten im Fernsehen arbeiten ja so. Kann mich erinnern, wie eine Reporterin mal versucht hat, sich in die radikale Feministinnenszene zu begeben, also die mit oben ohne und Protestgeschrei, Schlägen und Tritten auf öffentlichen Veranstaltungen. Sowas ginge bestimmt auch bei einem krassen Szenario. Beispiel: Als neutraler Dritter beschreibe ich ein homosexuelles Pärchen, das gerade emotional auseinanderbricht, weil einer von beiden an einer unheilbaren Krankheit stirbt. Beide haben zugestimmt, dass ich das machen darf. Rechtlich wäre es sauber, aber moralisch? Darf man einfach so weit reingehen und Intimitäten, bis hin zum Unerträglichen aufschreiben? Ich erinnere mich an Dokumentationen zum Thema verstrahlte Regionen in Gebieten des ehemaligen Sowjetgebietes. Wenn da dann Menschen gezeigt werden, von denen jedermann weiß, dass sie eines unnatürlichen Todes sterben werden. Früh und qualvoll. Darf man das? Soll man das? Muss man das vielleicht sogar zeigen? Auch Erfahrungen und Einsichten aus Kriegsgebieten im direkten Zusammenhang mit Kindern finde ich persönlich immer schwierig.

Ich finde das ganze Thema "Pseudonym" polarisiert enorm. Ich bin mir da selbst unschlüssig und kann gar keine feste Position für mich finden. Gizmo schreibt hier wahre Worte:

"Ich werde wahrscheinlich ein Pseudonym verwenden, weil es in meinen Arbeitsumfeld mittlerweile Standard ist, dass ein Arbeitgeber potentielle Mitarbeiter einfach mal googelt. Wenn dabei der eine oder andere recht blutrünstige Fantasy-Roman auftaucht, muss das nicht immer gut sein."

Ich meine, genau das ist einer der Gründe, warum ich im Internet mein Pseudonym Kunstmut verwende. Ich bin innerlich zerrissen, ob ich nicht auch noch jeglichen Bezug zu meiner richtigen Existenz wie Klarname und Profilfoto nicht gänzlich löschen soll. (Mit der Ausnahme ein Buch von mir landet eines Tages in den seriösen Bereichen und es muss eine richtige Angabe dahinter. Eben vollumfänglich professionell). Mein erster Beweggrund für ein Pseudonym, den hier bislang noch keiner genannt hat, der aber der offensichtlichste für jeden sein sollte: Viele Menschen können nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. Wenn das so einfach wäre, könnten wir alle unsere phantastischen Geschichten mit Klarname und Profilfoto bei facebook posten oder auf twitter und instagram verlinken. Das geht aber nun einmal nicht, da wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, in der meistens konservative Politik der Standard ist und es eine gewisse Hackordnung gibt. Wer kommt schon auf die Idee, gegen die Eltern, gegen die Lehrer oder Vorgesetzten zu argumentieren? In der meetoo Debatte fand ich es erschreckend, wie viele lapidar meinten: Ja, warum habt ihr nicht einfach angezeigt, dass ihr sexuell belästigt wurdet? Genau so gut kann man sich auch direkt kleiden und stylen wie Conchita Wurst und mit Helene Fischer Musik in ein Fußballspiel der zweiten Bundesliga gehen.

Auf der einen Seite macht es einen nachdenklich und wütend, dass ein Autor (oder Autorin) in gewissen Bereichen im Prinzip auf ein Pseudonym angewiesen ist. Angeblich lesen Männer keine Liebesromane. Muss der Mann also unter Frauenpseudonym schreiben, damit er Leserinnen bekommt. Und dann gibt es Männer, die der Ansicht sind, Frauen könnten keine Krimis und keine historischen Romane schreiben, weil es dann immer nur um wirre Liebesgeschichten ginge, an den Haaren herbeigezogen, mit vielen schlimmen Logikfehlern, die den Lesespaß trüben. Ich gebe auch ehrlich zu, dass ich früher nie auf die Idee gekommen bin, einfach mal aus Neugier einen Liebesroman zu lesen, einfach weil ich kein männliches Vorbild hatte, das sich für dieses Thema interessiert hat. Was mich dann doch bewegt hat, war Shakespeare. Ich dachte mir: Wenn ein Mann über Liebe schreibt, warum kann ich als Mann nicht über Liebe lesen? Was soll denn dieses Stigmata? (Ähnlich verhält es sich ja mit Musik: Hörst du als Mann Metal oder Hard Rock ist alles gut; aber sag bloß niemandem, dass du auch mal gefühlvolle Folk-Musik hörst; und gerade in den prägenden Phasen wie Pubertät, wo sich ja vieles ereignen kann, was dann noch Jahrzehnte nachklingt, ist so etwas sehr sehr schwierig).

Und wo ich bei Shakespeare bin, fällt mir einer der Hauptgründe für das unerkannt bleiben wollen ein: Gefahr von Leib und Leben. Früher wurden unliebsame Autoren in den Kerker geworfen oder direkt getötet. Klingt aus der demokratischen Sicht von heute immer ein wenig übertrieben, aber ich meine bei der Bundeszentrale für politische Bildung ein Buch gesehen zu haben mit Insider-Berichten aus dem Nachtleben des Iran (oder war es Saudi-Arabien?) aus weiblicher Perspektive. Kein Wunder, dass das alles mit Pseudonymen und über acht Ecken funktioniert. Sonst könnten die entsprechenden Personen gar nichts schreiben. Dieser Aspekt fällt aber für alle deutschen Autoren weg. Wir leben schließlich in der Zivilisation. Aber auch hier gibt es die mildere Form von Hetze und Belästigung. Beispielsweise bin ich schon mein ganzes Leben lang Atheist. Habe ich was gesagt, wenn ich wegen einer offiziellen Veranstaltung religiöses Gelaber über mich ergehen lassen musste? Nein. Und ich bin spätestens seit meinem 16. Lebensjahr politisch links und kosmopolitisch eingestellt. Aber das hänge ich auch nicht immer an die große Glocke, gerade in Zeiten, in denen Flüchtlingsheime angezündet werden oder es im Internet Trollfabriken der rechten Szene gibt.

Ja, es gibt das Grundgesetz und ich könnte hier mein Leben frei ausüben. Aber ich bin auf dem Land aufgewachsen und ich hab das alles immer mitbekommen. Jeder, der mit der Kleidung, mit den Ansichten, Werten oder der Sexualität nicht reingepasst hat, wurde gnadenlos um drei Ecken angegriffen. Aber auf diese perfide, giftige Art. Bis heute mache ich es so, dass ich mich verhalte wie der Charakter Will aus "Das magische Messer". Ich versuche alles, um nicht aufzufallen. Sozusagen Anti-Marketing. Andere Begriffe: Menschenscheu oder Ghosting. Also die Fähigkeit eines gewissen Dunedain. Unsichtbar kann ich mich nicht machen, aber ich kann es vermeiden, gesehen zu werden. Ich schneide mir die Haare selber, ziehe im Sommer gerne ein weißes T-Shirt an oder habe im Winter nichts gegen eine grauschwarze Jacke einzuwenden. Und das, obwohl ich hier oben drin in meinem Kopf so auffällig bin wie ein Schwarm Schmetterlinge vor einer Raufasertapete.

Es muss nicht immer gut sein. Es schickt sich nicht. Das haben wir schon immer so gemacht. Du immer mit deinen Extrawürsten. Komm mal klar. Was ist mit dir falsch? Was bist du denn für ein Freak? Ich weiß, dass es irgendwo Verrückte gibt (wie hier in diesem Schreibforum, die mich sofort verstehen) aber hochgerechnet auf die weite Welt da draußen, sind das bestimmt nur so 10 Prozent, die ein Verständnis für mich haben. Mit all den anderen muss ich mich immer nur herum ärgern. Daher denke ich schon länger darüber nach, ob es nicht clever wäre, eine bürgerliche Scheinexistenz aufzubauen und sich bereits in der normalen Arbeitswoche in zwei Persönlichkeiten aufzuspalten. Einmal die Person mit Klarnamen für die 90% Prozent der Öffentlichkeit (so hab ich die ersten 20 Jahre meines Lebens sozusagen im Schatten überlebt, ohne groß gestört zu werden) und dann der Autor für die wissenden Mitleser. Und als Gag obendrauf noch das Pseudonym für bestimmte Genres. Beispielsweise Erotik oder gewisses andere Hardcore Material. Ich bin zum Beispiel stark beeinflusst von Edgar Allan Poe, von H. P. Lovecraft, finde Bilder wie von Zdzisław Beksiński oder die Artworks der Dark Souls Videospiele etc. interessant. Meine erste Erfahrung, mir selbst eine Maske aufsetzen zu müssen, war in der dritten oder vierten Klasse. Wir sollten Bibelszenen malen für Religion. Und ein Kumpel und ich malen natürlich nach unseren Interessen die Opferszene mit Schlachtung eines Schweines oder Rindes voll aus. Und zwar schön bildhaft und in angemessener Größe. Da ist mir das erste Mal bewusst gewesen, dass gewisse Dinge "tabu" sind.

Und ich habe gewisse Phantasien im Kopf, für die ein Pseudonym praktisch wäre. Also von wegen Horrorgeschichte und dann nagelt ein Mann eine Frau kopfüber an die Wand, Maden krabbeln aus den Augen von kleinen Kindern, Dörfer, die in einen Sumpf aus Wachs zerfließen etc. Ich hab auch schon in der fünften Klasse gerne Castlevania gespielt und bei Rollenspielen und Fantasysettings bin ich ja immer hellauf begeistert von Wasserleichen, Dementoren, glitschigen nackten Dingen, die unschuldige Frauen aussaugen usw. Aber das alles eben aus dieser künstlerischen Perspektive heraus, um mit Ekel, Spannung, Morbidität und menschlichen Urängsten zu spielen. Und sollte ich was in Richtung Erotik und Sexualität schreiben, würde ich Szenen finden, die man anschließend mit Kusshand in der Pornoindustrie aufnehmen würde, weil es mal etwas anderes wäre.

Bei Pseudonym muss ich immer an all die Maler aus früheren Jahrhunderten denken, die Dinge gemalt haben, die eine konservativ beschämte Gesellschaft als pervers und krank empfunden haben muss. So ähnlich geht es mir beim Schreiben. Ich schätze, jeder fängt im Internet mit Pseudonym an zu schreiben, weil man in der Familie, im Freundeskreis und bei Bekannten nie ernstgenommen würde. Ich habe diese Ideen im Kopf ... wenn die mal ausgeschrieben sind, und wenn dann in der Zukunft Menschen darauf stoßen, die meinen, mich von früher gut zu kennen ... o boy. Das muss dann wirken wie ein Kuckuck oder ein Teufel unter den Menschen.

Ich bin, wie man vielleicht merkt, bei dem Thema innerlich zerstreut, aber ich kann mir schon vorstellen, irgendwann einmal für bestimmte Geschichten ein Frauenpseudonym zu wählen oder mich in der Öffentlichkeit zu verschiedenen Anlässen unterschiedlich zu geben. Ein großes Vorbild ist da sicherlich David Bowie, da wusste man nie so recht, was ist echt, was ist gespielt, was ist Lebensphase, was künstlerischer Ausdruck? Stimmt der lachende Mann von nebenan, der gerne scherzt oder sind die oftmals traurig verzweifelten Lyrics echt? Oder ist beides Teil einer Performance und den wahren Bowie hat nie jemand gesehen? Und wo ich schon dabei bin: Ist jemandem schon mal aufgefallen, dass es teilweise Strategien von Menschen gibt, sich selbst in einer bestimmten Weise darzustellen, sodass man letztlich gar nichts mehr über die Privatperson weiß? Wenn ich da jetzt zum Beispiel an den Bundestrainer Joachim Löw denke. Wer ist das? Oder an Tom Waits. Jeder hat da ein Bild aus den Medien, und bei allen öffentlichen Auftritten wird dieser schauspielerische Akt ausgebaut. Aber wie die Person wirklich ist, darüber kann man keine Aussage treffen.

Und erst vor kurzem bin ich auf die Personalie Anne Lister (1791–1840) gestoßen. Kein Pseudonym sondern Klarname, dennoch für diesen Thread hochinteressant beim Thema "unethisch verhalten". In diesem Spezialfall war es freilich die Gesellschaft, die unethisch war. Denn eine lesbische, unabhängige Frau mit Geld und Macht in diesem Zeitabschnitt war nicht eben 'gern gesehen'. Sie hat ihr Leben aber voll ausgelebt, sozusagen als lesbischer Casanova, obwohl der Benimm der Gesellschaft war: Du darfst nicht, es ist Sünde vor Gott. Ihre Antwort darauf war eine lebenslange Schauspielerei in gewissen Situationen. So wie man das aus Berichten von Diplomaten aus allen Zeiten kennt. Aber ihre wahre Natur hat sie mit Geheimschrift in ein Tagebuch mit 4 Millionen Wörtern gepackt. Gilt wohl mittlerweile nicht mehr nur in schwul-lesbischen Kreisen als super seltener und damit enorm wichtiger Beitrag von Minderheiten Sexualität mit erschöpfender Slice Of Life Ausführlichkeit für die Geschichte der Menschheit insgesamt.

Jetzt könnte man also wieder argumentieren, ob ein Autor es überhaupt anstreben muss, zu seiner Lebzeit seine Texte an den Mann zu bringen, wenn doch der "literarische" Nachlass nach dem Tod sowieso von Grabschändern für die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird. Sofern man natürlich in der eigenen Ideologie Geld und Ruhm zu Lebzeiten als nicht wichtig erachtet. Ich meine, was passiert, wenn man knallhart sich selbst lebt und mit Klarname agiert, kann man ja bei Oscar Wilde sehen. Aber ganz egal, aus welchen Gründen man ein Pseudonym wählt und wie man agiert - jedem Autor sollte klar sein, dass es für dieses Agieren sehr gute rationale Gründe geben muss. Denn wo ein Geheimnis ist, da wird es immer diesen einen Hobby Sherlock Holmes geben, der alles recherchiert und in Erfahrung bringt. Aus dem gleichen Grund würde ich auch nie abschreiben oder anderswo klauen, um ein Plagiat zu erstellen - am Ende kommt das eh heraus. Es ist also an Dummheit nicht zu überbieten, wenn man vortäuscht, man habe Krebs oder man habe ein Kind zur Adoption freigeben oder sei mit einer berühmten Persönlichkeit verwandt. Da dachte ich immer, dass in Zeiten von Internetdatenbanken und DNA-Tests eigentlich nichts mehr geht. Bis ich dann am Rande die Sache mit der Exhumierung von Salvador Dali gelesen habe. Es ist immer wieder erstaunlich, welche perfiden Strategien manche Leute auffahren. Wo ich aber eine fake Biographie oder fake Persönlichkeit für angemessen halte, ist ein Fall, wo jemand tatsächlich etwas hat, was man nun wirklich nicht der ganzen Welt zeigen will. Also angenommen Michael Jackson wäre jetzt nicht Musiker und Tänzer gewesen, sondern Autor und ebenso erfolgreich und populär. Dann hätte er auch in diesem Fall die Hautkrankheit Vitiligo verschwiegen und die Ablenkung mit den Schönheits-Ops in der Welt der Schönen und Reichen gefahren.

Wie man sieht: Im "aufgeklärten" 21. Jahrhundert kommt man sich beim Thema Pseudonym direkt vor wie in einer Verschwörungstheorie. Und nur, weil ich denke, ich sei paranoid, und lebe daraufhin sorglos und naiv, kann das ja dennoch bedeuten, dass ich überwacht werde und Leute hinter mir her sind. Ist wie die allgemeine Binsenweisheit, dass es im Internet keinen Datenschutz und keine Privatsphäre gibt. NSA Skandal, facebook Skandal. Die Staatssicherheit in der DDR hätte leuchtende Augen gehabt und Orwell hätte mit ungerührter Miene 'sieh doch hin' gesagt, wenn man ihnen China und Medienfreiheit erklärt hätte.

Ja, es ging in diesem Thread eigentlich darum, wie man mit solchen kruden Fällen von Lug und Betrug von Autoren eigentlich umgeht. Aber bei diesem Thema komme ich allmählich zu der Überzeugung, dass es eigentlich eher dumm ist, wenn man versucht, sich ethisch zu verhalten und offen und blauäugig und naiv durchs Leben schreibt. Ist es nicht intelligent, mit falschen Identitäten zu spielen? Man wird im ganzen Leben nie von Nazis, Stalkern, verrückten Fans oder Menschen, die einen hassen, attackiert. Man hat immer seine Ruhe. Man kann normal einkaufen gehen, weil die Medien es nicht merken, wenn es 'jener' Autor in der Gemüseabteilung ist. Man kann sich noch mitten in einen Kinosaal setzen, man kann noch einem anderen Scheinberuf nachgehen. Man kann mehr als einen Freundeskreis haben, mit völlig anderen Interessen, ohne, dass es schlimm ist. Ich meine, wenn ich mir das so überlege, ist es doch klar, warum Menschen das Darknet nutzen, Waffen und Drogen schmuggeln. Warum manche Menschen anderen Menschen das Leben zur Hölle machen können, warum diese Menschen denken, sie seien schlauer als die Polizei. Sollte ich anfangen, mein Leben mehrfach in sich zu verspiegeln, dann ja nur, damit ich in Ruhe, Gemütlichkeit und Abgeschiedenheit Leben und Schreiben kann. Alles Gründe für das eigene Wohlergehen, ohne einer einzigen Person etwas Böses zu wollen. Aber vermutlich wäre es sinnvoll, so etwas wie eine Checkinstanz von vertrauten Menschen zu haben, damit kein schwarzes Schaf die Möglichkeiten, die sich bieten, für sinistre Zwecke ausnutzen kann. Ich meine, im Tintenzirkel wissen doch spätestens die Admins wie hier jemand mit Klarnamen heißt und welches Geschlecht er hat. (Womit sich ja schon zeigt, dass hier genug Verrückte schon jedes denkbare Szenario durchgegangen sind. Nach dem Motto: Vielleicht ist sie gar nicht Marie sondern Manuel Neuer; und das ganze Fußballding ist nur ein Ablenkungsmanöver, um die literarische Karriere zu tarnen ... Ja, Freunde, paah, der WM-Titel, der war nur dazu da, damit ihr nicht rausfindet, dass ich eigentlich Zombie BDSM schreibe, inklusive Rasenmäherfetisch für die Rückenmassage ...)

Falsche Autorenpersona und Ethik. Ich weiß wirklich nicht. Auf der einen Seite bin ich der brave Junge von nebenan. Kein Grund für Kostümierung. Auf der anderen Seite bin ich doch auch so ein Rorschach. Mal ehrlich. Mitten in der Postapokalypse. Der Irre da drüben oder ich. Wer denkt da noch an Unterricht und die Menschenrechte und bietet einen Stuhlkreis an? Ich wette, so gut wie jeder macht den Jamens Bond, drückt ab, und hat niemals danach Gewissensbisse. Wenn ich auf die Tour an Geld komme, wenn ich meine Texte schreiben kann, ohne mir ständig saudumme Kommentare anhören zu müssen, wenn ich meine Ruhe vor anderen Menschen haben kann. Warum denn nicht? Aber wenn man das wirklich durchzieht, dann muss man jede Aktivität in den sozialen Netzwerken unterbinden, darf in Foren nie zu privat werden, schreibt alles, was einem emotional passiert immer in ein Tagebuch, redet nie mit anderen Menschen darüber, weil man sonst auffliegen könnte. Ist immer in so einer Scheinexistenz, immer unterdrückt, kann sich nie klar zu sich selbst bekennen. Ich weiß ja nicht. Mal ganz abgesehen von rechtlichen oder moralischen Gesichtspunkten ... was ist denn mit der Menschlichkeit? Auch wenn ich es mir vielleicht jetzt gerade nicht vorstellen kann, so wäre dennoch die Perspektive da, dass ich irgendwann in zwanzig Jahren mit anderen Autoren in einem Zimmer herumgammel und wir uns mit Freak-Aktivitäten beschäftigen; oder dass ich irgendwo auf eine Messe gehe - man weiß ja nie wie das Leben spielt - und mich dort mit netten Menschen gut und lange unterhalte. Mit Pseudonym wäre ich immer allein. Es gibt ja Autoren und Künstler generell, die sich abschotten, und sozusagen nur durch ihre Kunst sprechen. Und ich sehe den Reiz darin, denn bereits in einem Raum mit drei Leuten könnte ich meine Texte nicht vorlesen, warum auch immer. Dabei habe ich kein Problem damit, die Texte eines anderen vor Publikum vorzutragen. Ist es die Lästigkeit, sofort mit den Reaktionen umgehen zu müssen? Während man ja im schriftlichen Bereich einen Brief oder eine Mail mal beiseite legen und später darauf antworten kann?

Und dann schreiben diverse Leser immer wieder, dass ihnen das Privatleben des Autors sowieso egal ist, weil sie sich lieber auf die Geschichte einlassen wollen. Kann man also mit Anonymisierung und Pseudonym vielleicht sogar Interesse für ein Buch wecken, weil da so das Geheimnis eines mysteriösen Autors mitschwingt? Das Thema ist wirklich verdammt schwierig, und ich vermute, da werde ich noch einige Zeit mit zu knabbern haben.

Churke

Es ist ein Unterschied, ob man sich selbst oder seine Quelle schützen will, oder ob man nur Marketing macht.
Vergangene Woche lief bei "The Orville" die Folge "Mehrheitsprinzip", eine Satire auf den sozialen Pranger. Dort gibt es keine Gerichte, sondern nur soziale Netzwerke, und folglich auch keine Anwälte, sondern PR-Berater, die dem Delinquenten dabei helfen sollen, die öffentlich Meinung so seinen Gunsten zu beeinflussen. Im Fall des verhafteten Crewmitglieds der Orville ist alles vergeblich - bis man auf der Orville auf die Idee kommt, die sozialen Medien mit Lügen zu fluten.

So funkitioniert es eben. Und so lange es das tut, wird es immer welche geben, die sich das zunutze machen.

canis lupus niger

#33
Zitat von: Churke am 08. April 2018, 10:47:59
- bis man auf der Orville auf die Idee kommt, die sozialen Medien mit Lügen zu fluten.

Ach, so wie heutzutage Wahlkampf gemacht wird?!  ;D

ZitatEin großes Vorbild ist da sicherlich David Bowie,
Oder Wolfgang Hohlbein in seinem unsterblichen Pseudonym Angela Bonella (Für die Barbie-Bücher) ;D

Wildfee

Ich bin jetzt durch Zufall auf einen, meiner Ansicht nach, dreisten Ideenklau gestoßen, der mich auch recht zwiespältig zurück lässt.
Dina - Hüterin der Tore von Illona Andrews ist, soweit ich informiert bin, öffentlich und online auf der Internetseite des Autorenpaares nach und nach eingestellt worden (bereits in 2014/2015). 
Recht zeitnah ist dann ein ebook aufgetaucht, das doch recht frappierende Gemeinsamkeiten mit Hüterin der Tore hat und das als Reihe fortgesetzt wurde. (Ich nenne jetzt bewußt keine Titel, es genügt, bei amazon in der Suche "Hüterin" einzugeben, man stößt recht schnell darauf . )
Es drängt sich mir da schon der Eindruck auf, das da fleißig mitgelesen wurde und das die Ideen nicht grade selbst entwickelt wurden.

Ich frage mich jetzt, warum die Leser das mitmachen. Ich als Leser fühle mich da ein wenig über den Tisch gezogen, wenn ich feststelle, dass da so viele Gemeinsamkeiten sind, die wohl kaum dem Zufall zugerechnet werden können.
Und als Schreibende käme es mir nicht in den Sinn, so dreist abzukupfern.

Andererseits scheint die Autorin genügend Fans zu haben, denen das wohl herzlich egal ist.

Ich empfinde es als unethisch, andererseits schwingt aber auch ein wenig Respekt mit, dass jemand so unverfroren ist und damit auch durchkommt.