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Irdische Kulturen in einem Fantasy-Setting

Begonnen von Fafharad, 12. April 2015, 12:42:56

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Fafharad

Irdische Kulturen? Nicht doch, ich habe die Welt, in der meine Geschichte spielt, selbst erschaffen. Aus dem Nichts sozusagen!

Tja, aber wenn ich genau hinsehe, dann haben die Typen an der Westküste des Kontinents gälisch klingende Namen, und das Reitervolk im Osten erinnert mich, jetzt, wo du es sagst, doch stark an die Hunnen. Und diese Metropole da im Norden, ist die nicht die Hauptstadt eines Imperiums, das dem römischen Reich nachempfunden ist? Und im Süden, ich wage es kaum zu gestehen, leben doch tatsächlich Berber und Sudanesen. Die heißen nur anders.  :-[

Die Frage ist nur: Lässt sich dieses Weltenbau-Dilemma umgehen? Brauchen wir als Autoren und Leser Bekanntes, um uns besser in die Welt hineinfühlen zu können? Oder gibt es auf der Erde eine solche Kulturenfülle, dass zwangsläufig jede selbst ausgedachte Kultur an eine reale irdische erinnert?
Andersherum: Würde der Versuch, alles Dagewesene zu umgehen, in unglaubwürdigen Konstruktionen enden?

Einschränkung: Mir geht es um vor allem um Low-Fantasy-Welten, in denen Magie eine untergeordnete Rolle spielt und in denen ausschließlich menschliche Völker angesiedelt sind. Der Entwicklungsstand reicht vom Mittel- bis ins frühe Industriezeitalter.
Ich will auch gar nicht im Detail über einzelne Kulturen diskutieren, mich bewegt vor allem die Frage der Akzeptanz einer eng an die gute alte Erde angelehnten Welt. Empfindet ihr Parallelen als einfallslos, sogar störend, oder fühlt ihr euch in einem solchen Setting gleich zuhause?

Ich würde mich auch über Beispiele freuen, die ihr als sehr gelungen und stimmig empfindet. Oder die im Gegenteil einfach nur platt und nervig waren. Das können auch Welten aus Rollen- und Computerspielen sein (Meine Negativliste wird z.B. von den ganzen englischen und spanischen Namen in der Gothic-Reihe angeführt  ;)).



Shedzyala

Ich finde Anlehnungen an reale Kulturen nicht schlimm, mache es selbst sehr gerne. Allerdings sind es eben nur Anlehnungen, ich nehme das, was ich gut gebrauchen kann oder mir gefällt und passe den Rest meiner Welt an.

Zitat von: Fafharad am 12. April 2015, 12:42:56
Ich würde mich auch über Beispiele freuen, die ihr als sehr gelungen und stimmig empfindet. Oder die im Gegenteil einfach nur platt und nervig waren. Das können auch Welten aus Rollen- und Computerspielen sein (Meine Negativliste wird z.B. von den ganzen englischen und spanischen Namen in der Gothic-Reihe angeführt  ;)).

Als gutes Beispiel einer eigenen Kultur empfinde ich die Maraskaner bei DSA. Sie sehen zwar wie Japaner aus und leben auf einer Insel, aber das wars dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Ihre kulturellen Eigenheiten kann ich bisher noch keiner irdischen zuordnen, auch wenn das natürlich nichts heißt. Allerdings wird das nicht von allen Spielern gutgeheißen, ich bin schon einigen begegnet, die lieber Japaner statt etwas Eigenem gehabt hätten. Aber man kann es ja nie allen recht machen.

Als Negativbeispiel für eine eigene Kultur kann ich einen Roman aufführen, die ich letztens gelesen habe. Da standen Namen wie "Armin" neben "Harmony", da entwickelte sich leider gar kein kulturelles Flair.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Arcor

Ehrlich gesagt fällt mir gerade keine Fantasy-Welt ein, die sich nicht an der realen Welt anlehnt.  :hmhm?: Tokien lehnte sich an altenglische Sagen an, G.R.R. Martin bedient sich englischer Namen, die Anordnung und Beschreibung vieler Völker ähnelt bei beiden denen der realen Welt. Scott Lynch hat sich von italienischen Renaissance-Strukturen inspirieren lassen, Bernd Perplies richtet sich an der Antike aus, die Warhammer-Welt ist ein bunter Mischmasch verschiedener Sagen und Mythen und ist sogar von der Anordnung der Länder und Völker sehr an unsere Erde angelehnt. Ähnliches gilt in Ansätzen auch für die Forgotten Realms von D&D.

Ich sehe das in meinen Augen überhaupt nicht als Problem. Bekannte Strukturen erleichtern in meinen Augen den Einstieg und lassen darum vieles vertrauter und damit weniger gekünstelt wirken. Man kann sicherlich alles über den Haufen werfen und komplett neue und einzigartige Kombinationen aus Weltanordnung, Fähigkeiten etc. erschaffen. Aber dann muss man sehr viel mehr erklären. Ist ein Volk ein Reitervolk, weiß jeder, was damit gemeint ist. Es reichen Details aus, um das zu zeigen und mit Leben zu füllen. Ist das Volk gänzlich neu, jedem unbekannt, dann ufert die Beschreibung schnell aus, bis der Leser ein klares Bild hat.

Ich habe das Inselreich, in dem meine aktuelle Geschichte spielt, ganz bewusst an die Karibik angelehnt. Die Namen sind englisch, spanisch und vor allem französisch angehaucht, die Gesellschaft an die von Frankreich und Großbritannien des 18. Jahrhunderts. Stört das? Mich nicht. Andere vielleicht. Aber das ist im Endeffekt egal, denn es ist meine Geschichte. Ich würde mir nicht allzu viel Sorgen machen, was andere Leute mögen oder vielleicht auch nicht mögen.
Not every story is meant to be told.
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Faye - Finding Paradise

Berjosa

Oft sehen ja auch die Geographie und Biologie der guten alten Erde ziemlich ähnlich. Ich gehe mal davon aus, dass die alltäglich zu lösenden Probleme in einer Fantasy-Wüste ziemlich ähnlich sind wie die in einer terranischen Wüste (zum Beispiel). Dort haben Leute im Lauf der Jahrtausende schon alle möglichen Dinge zur Lösung dieser Probleme ausprobiert, verworfen, beibehalten, institutionalisiert, bis zur Unkenntlichkeit verändert, etc.

Wenn ich jetzt ein Wüstenabenteuer schreiben will, ist es doch nur sinnvoll, mich über möglichst viel von dem, was da in der Vergangenheit schon gelaufen ist und heute noch läuft, zu informieren und daraus den passenden Hintergrund für meine Welt zu entwickeln. Der muss dann nicht genauso aussehen, aber es müssen die entsprechenden Probleme auf innerhalb der Welt glaubwürdige Weise gelöst sein. Wenn Magie als Allheilmittel nicht zur Verfügung steht, helfen die Ideen der terranischen Wüstenkulturen vermutlich weiter - bei denen war's ja genauso. Und von denen gibt es auch genug, um das eine oder andere Detail zu finden, das noch nicht in x Fantasy-Wüsten verarbeitet ist.

Eine mögliche Schwierigkeit ist dann in meinen Augen die Grenze zwischen ähnlich gelösten Problemen und mal schnell hingepappten Klischees, weil der Schauplatz ja irgendwie aussehen muss. Je nachdem, wie viel Zeit und Platz der Weltenbau für sich beanspruchen darf, kann man aber auch daran im Nachhinein noch feilen. In einer Kurzgeschichte oder wenn die Wüstenbewohner nur einer von vielen Handelskontakten des Hauptschauplatzes sind, reichen ein paar Stichworte, um die Kulisse aufzubauen. Wenn ein Roman (in weiten Teilen) dort spielt oder eine wesentliche Figur dort aufgewachsen ist, muss es schon etwas tiefgründiger sein.

Zit

#4
Machen wir uns doch nichts vor: Wir sind nur Menschen mit einem begrenzten Horizont. Alles, was wir uns ausdenken, ist immer nur ein Konstrukt aus dem, was wir kennen und wissen. Wenn man sich also eine Kultur als Vorbild nimmt, ist das für mich nur natürlich.
Allerdings, das ist der Haken, stimme ich Berjosa zu: Die erfundene Kultur sollte nicht 1zu1 abgekupfert sein. Da kann ich dann auch einen Histo oder Temporary lesen, gerade bei Low-Fantasy. Wichtig ist, dass man sich das nimmt, was auf das Problem in der Fantasy-Welt passt und so u.U. völlig neue Dinge miteinander kombiniert. Das gilt für mich auch bei Sprache. Natürlich kann ich stupide Namen und Wörter unserer Sprachen verwenden, ab einem gewissen Punkt wirkt das aber komisch. Deswegen passe ich meine Namen lieber dem Klang der favorisierten Sprache an (als sie bspw. nur stupide abzuwandeln: Dorian -> Dhorjian).
Was jetzt den geologischen Weltenbau angeht -- auch da gibt es in der Wissenschaft Erkenntnisse, die ich mir anschaue und anpasse. Natürlich sieht das aus wie auf der Erde, weil das zu Grunde liegende Sonnensystem unseres ist. ;D Und ich, bei aller Liebe, mir nie und nimmer vorstellen kann, dass eine Eiswüste direkt neben einer Gobi-ähnlichen Sandwüste liegt. ;)

Insgesamt gesehen also, denke ich, dass man sich unsere Welt und unsere Kulturen dahin gehend anschauen muss, warum sie so funktionieren wie sie funktionieren. Was sind die Einflussfaktoren, wie wirken sie zusammen -- und welche davon finden sich letztlich in meiner Fantasywelt? Am Ende das Ganze jedoch stimmig zu bekommen, ist die Kür des Autors, und dafür habe ich keinen Leitfaden. ;D Das passiert bei mir alles recht intuitiv.

Schönes System für Weltenbau finde ich immer noch Myst (Spielereihe). Da reicht vll. von der Lvl-Gestaltung nur noch Syberia (Spielezweiteiler) heran (wobei das aber auch keine Low-Fantasy ist). Ansonsten sind die Ghibli-Filme auch recht stimmig, soweit ich das beurteilen kann.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Arcor

Zitat von: Zitkalasa am 12. April 2015, 15:08:44
Ansonsten sind die Ghibli-Filme auch recht stimmig, soweit ich das beurteilen kann.
Absolut! Ich bin nicht mit allen warm geworden, aber die, die mir gefallen haben, haben mir auch wegen des grandiosen Weltenbaus angesprochen. Irgendwie wirken viele der Ghibli-Filme extrem durchdacht und stimmig. Den Daumen hoch gibt es besonders für Nausicaa, Kiki und Mononoke.  :jau:
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Faye - Finding Paradise

Fafharad

Der Weltenbau in Spielen hinterlässt bei mir auch immer einen tieferen Eindruck als der in Romanen. Muss daran liegen, dass man die Welt selbst durchwandern und auch einmal stehenbleiben kann, um besonders gelungene Ansichten auf sich wirken zu lassen. Auch die Eigenheiten der verschiedenen Bewohner, vor allem ihre Kleidung und Architektur, können in einer Detaildichte erfahren werden, für die ein Autor gesteinigt werden würde, und könnte er noch so gut beschreiben. Wenn ich da an Siedlungen wie Ald'ruhn in Morrowind denke ... Das war wirklich mal innovativ.
Wobei ich immer wieder auf die Illusion einer "riesigen, offenen Spielwelt" hereinfalle. Da beherbergen Kontinente, die in Wirklichkeit bestenfalls die Größe der Insel Fehmarn haben, mehrere uralte Reiche, Hochgebirge, Wüsten, Dschungel, Agrarland und ewiges Eis, alles dichter gepackt als Sardinen in der Dose. Genau so liebe ich das  ;D.
Aber es ist klar, dass der Weltenbau in Spielen anderen Regeln folgt als der für einen Roman.

Ich denke, die meisten Leser finden sich in einer Welt, in der sie etwas wiedererkennen (und sich selbst vielleicht kulturell einordnen können), besser zurecht als in völlig exotischen Umgebungen und Gesellschaften. Die Frage der Akzeptanz stellt sich wahrscheinlich eher bei letzteren. Da hängt dann alles vom Können des Autors ab.

Ein Beispiel, das mir gerade einfällt: Die Dunkelelfen-Trilogie von Salvatore. Für mich der Höhepunkt der Reihe. Und doch fühlte ich mich wohler, als die Handlung den unterirdischen Schauplatz verließ und in gewohntes Terrain führte.
Ach ja, genauso wohltuend finde ich es, wenn bei Perry Rhodan NEO die Erde Handlungsschauplatz ist.
Ich nehme diese Beobachtung an mir selbst mal als Indiz, dass es gute Gründe gibt, sich an Irdischem zu orientieren. Eigentlich hatte ich bisher auch kein schlechtes Gewissen dabei, doch eine dieser "Zehn-Todsünden-für-Autoren-Listen" (diese hier) hat es geschafft, dass ich mich ertappt fühlte  ;).


Dämmerungshexe

Ich denke es hängt auch damit zusammen, was man mit der Geschichte eigentlich erreichen will - will ich meine Figuren in den Mittelpunkt stellen ist es eher sinnvoll dem Leser einen vertrauten Hintergrund zu geben, vor dem sie agieren. Das erleichtert das Hineinfühlen.
Ich denke es gibt aber auch Geschichten, bei dem die Welt an sich, die gesellschaftliche Struktur oder dergleichen ein wesentlich tragendere Rolle spielen. Hier ist es natürlich schön, wenn das wirklich gut durchdacht und auch neu ausgedacht ist. Und es stört auch nicht, wenn etwas mehr darüber geschrieben/erzählt wird.

Beispiele aus bekannter Literatur kann ich grad keine nennen. Aber bei "Der Feuerberg" habe ich selbst auf vertraute Fantasy-Völker und Gesellschaftsstrukturen zurückgegriffen, weil ich mehr an meinen Figuren interessiert war. Nur wo die Gesellschaft auch die Figuren und deren Handeln beeinflusst hat, habe ich das mehr ausgebaut.
Bei "Königskinder" bin ich noch dabei die Weißen Völker stärker auszuarbeiten, ihnen eigenständigere Kulturen zu geben, die sich auch von den gewohnten "menschlichen" Strukturen und Werte unterscheiden. Da merke ich, wie schwer das tatsächlich ist und oft passiert es dann auch, dass ich mir etwas "ausdenke" und dann später feststelle, dass es soetwas auf der Erde tatsächlich gab/gibt.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Mithras

Für mich ein sehr wichtiges Thema, da zahlreiche Kulturen meiner Welt direkt auf irdischen Vorbildern basieren. Das ist für mich aus zweierlei Gründen unumgänglich:

Erstens bin ich Perfektionist und würde nie eine Kultur erschaffen, ohne mir über die Sprache Gedanken zu machen. Da ich mir aber die Erschaffung einer eigenen Sprache nicht zutraue, greife ich notgedrungen auf real existierende Sprachen zurück. Mit der allzu gewollt wirkenden Verfremdung von Namen und Begriffen komme ich i. d. R. nicht klar, solange kein erkennbares System dahinter steckt. Bisweilen kommt es ja vor, dass Namen nur abgeändert werden, um bewusst Distanz zu den Vorbildern zu schaffen, doch das artet bisweilen in einem ziemlichen Murks aus.

Zweitens habe ich eine große Vorliebe für zahlreiche reale Kulturen, etwa für die Etrusker, die Byzantiner oder das Indien der Mogule, und ich sehe keinen Grund, nicht dazu zu stehen. Wichtig ist mir natürlich, eigenständig mit den Motiven zu spielen und nicht einfach alles bis ins kleinste Detail nachzuzeichnen. Ich liebe zum Beispiel Clash of Cultures- oder Was wäre, wenn?-Szenarien und experimentiere gerne damit herum. Beispiel: In meiner Geschichte gibt es eine Kultur, zu der mich das ptolemäische Ägypten inspiriert hat und in der sich entsprechend sowohl griechische als auch ägyptische Einflüsse wiederfinden. Eine Vermischung der Kulturen hat jedoch schon in einer Zeit begonnen, die der Bronzezeit entspricht, und ist daher deutlich weiter fortgeschritten, so dass die einzigen heute noch klar erkennbaren ägyptische Einflüsse die Religion und die Gesellschaftsstruktur sowie einzelne Aspekte der Kunst und Architektur betreffen (inspiriert durch den Stil der Amarna-Zeit).
Ich habe vor einiger Zeit ein Buch zur alternativen Geschichtsschreibung gelesen, das den treffenden Titel Was wäre geschehen, wenn? trägt. Für das ptolemäische Ägypten wird ein sehr interessantes Szenario entworfen: Wenn nicht Octavian, sondern Antonius aus dem Ringen um die Vorherrschaft im Imperium Romanum als Sieger hervorgegangen, hätte dies die Position Ägyptens im Mittelmeerraum entscheidend gestärkt (Antonius war schließlich mit Kleopatra verbündet), und möglicherweise hätte das auch den Charakter des römischen Reiches verändert. Diese Ideen haben auch mich sehr inspiriert.

Für mich zählt nicht, ob eine Kultur mitsamt ihrer Sprache übernommen wird, sondern wie sie in den Gesamtkontext eingebettet wird. Man kann trotzdem noch genug anders machen - schließlich ist man Herr der Geschichte innerhalb seiner Geschichte und kann Kulturen überdauern und sich weiterentwickeln lassen, wo ihr reales Vorbild untergangengen ist, oder Völker Imperien errichten lassen, die es so in der Realität nie gab - und plötzlich nimmt die ganze Geschichte eine andere Wendung. Oder man verpasst einer Kultur eine völlig andere Religion. Oder man verändert die Gesellschaftsstruktur grundlegend: Kastensystem, Matriarchat, Aristokratie, Theokratie, ...

Die meisten Kulturen in phantastischen Welten haben natürlich reale Vorbilder - manche mehr, andere weniger. Bei George R. R. Martin halten sich deutliche reale Einflüsse übrigens in engen Grenzen, wenn man die Sieben Königreiche und Westeros verlässt: Man kann zwar erahnen, dass sich Valyria grob an Rom orientiert, aber abgesehen von der Tatsache, dass es sich um eine Adelsrepublik handelt, die ein riesiges Reich erobert hat, hören da die Gemeinsamkeiten schon auf. Yi Ti erinnert wohl an China, aber darüber erfährt man einfach zu wenig. Und was ist Qarth, den Rhoynar und den Ghiscari? Dort erkenne ich keinerlei reale Einflüsse, auch wenn ein Freund von mir darauf schwört, die Ghiscari seien von den Ägyptern inspiriert (wofür aber neben der Pyramidenarchitektur nichts spricht). Das macht die Welt aber nur interessanter, weil es so noch vieles zu entdecken gibt, das wirklich neu oder zumindest ungewohnt erscheint.

Bei Scott Bakker sind die Anspielungen deutlicher, wenn sich auch nicht für alle Kulturen reale Vorbilder finden lassen.

Mein Favorit in Sachen direkter Adaptation ist die Gezeitenwelt. Die Autoren haben hier sehr stark an der Vermischung bzw. der alternativen Entwicklung von Kulturen gearbeitet. Ein besonders gelungenes Beispiel ist Eulykien, eine Art matriarchalische Theokratie, für die wohl das Delphi-Syndikat Pate gestanden hat. Die Macht geht hier von den Priesterinnen des Mondorakels aus, die einen Staat im äußersten Süden des Kontinents (von der Lage und dem Klima her mit Feuerland vergleichbar) beherrschen. Die sprache ist zwar unverfälscht altgriechisch, aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. So sind die Bewohner - angesichts der Geographie und des Klimas nicht überraschend - eher vom nordeuropäischen als von mediterranen Typ.
Für Kurjameos, ein tropisches Großreich, hat ganz offensichtlich das indisch-griechische Königreich, das im Zuge des Alexanderzuges entstand, als Vorbild gedient - allerdings hat sich dieses Erbe in Kurjameos deutlich weiterentwickelt und ist nicht, wie in der Realität, in Vergessenheit geraten.

Negativbeispiele sind mir aber auch schon oft untergekommen. Als sehr uninspiriert empfand ich den Weltenbau von Guy Gavriel Kay (The Sarantine Mosaic, , der die Realität in nahezu allen Details nachzeichnet, ohne sich die Mühe zu geben, auch nur einen Hauch ihrer Komplexität einzufangen. Das wird vor allem an den Religionen deutlich: Entsprechungen zu Judentum, Christentum und Islam existieren zwar, definieren sich aber nur darüber, welche Himmelskörper sie anbeten. Viele Namen werden in so schlecht abgeänderter Form übernommen, dass ich nur den Kopf schütteln kann (Esperaña, Moskav, Ispahan, Bassaniden (Sassaniden), Varena (Ravenna), ...), und manch ein Name wird gar nicht verändert, etwa Anahita (persische Göttin). Auch viele wichtige Charaktere sind eins zu eins aus der Realität übernommen worden (Justinian und Theodora, Belisar, Amalasuntha, Prokopios von Caesarea, ...), was auch deren Zitate und Entscheidungen mit einschließt. Da erwarte ich definitiv mehr. Einziger positiver Aspekt: So konnte ich in einem Antike-Quiz ein Zitat eindeutig Theodora zuordnen, weil ihr literarisches Pendant exakt dieselbe Aussage tätigt.
Noch unmotivierter war da der Weltentwurf von David Hair in Die Brücke der Gezeiten. Wieder nur eine Übernahme bzw. unmotivierte Verfremdung von Namen bzw. der Sprache im Allgemeinen, im Gegenzug zu Kay hat er sich aber nicht einmal die Mühe gegeben, ordentlich recherchieren und seiner Geschichte somit eine gewisse Tiefe zu verleihen.

Probleme mit eins-zu-eins übernommenen oder kaum abgeänderten Namen habe ich auch in Hennens Elfenromanen (Aram, Kush, Truria, Išta, ...), der auch an der Gezeitenwelt mitgewirkt hat, aber hier komme ich wesentlich besser damit klar, weil er mit den Motiven deutlich souveräner umgeht und daraus etwas ganz eigenes erschafft.

Liliane

#9
Ich stelle mir diese Frage auch oft und denke, es ist eine Geschichte und auf gewisse Weise handelt es sich dabei ja auch um eine Art Kunst und es muss nicht unbedingt alles schlüssig sein (Magie ist das schließlich auch oft nicht) so auch nicht, dass in einer anderen Welt vieles oder manches an unsere angelehnt ist.
Und es ist auch, wie Dämmerungshexe zwei Beträge zuvor auch schon gesagt hat, wichtig, was man mit seinem Roman bezwecken will, worauf der Schwerpunkt liegt.

Und den Beiträgen der anderen möchte ich noch hinzufügen, dass ich es auch sehr interessant finde, wenn man teils das Gefühl hat, dass es sich um unsere Welt handelt, aber auch Elemente auftreten, die dort zwar als selbstverständlich betrachtet werden, aber nichts mit unserer Welt zu tun haben, wie andere Glaubensrichtungen oder gar menschenähnliche Arten.

Als misslungen empfinde ich es, wenn man eine Fantasywelt erschafft, die dann aber kaum selbst erdachte Aspekte hat, sondern eigentlich nahezu alles an unsere Welt erinnert, wie ein nicht ganz passendes Puzzle aus vielen Zeiten und Kulturen unserer Welt. Da muss man denke ich aufpassen. Und ich denke, worauf man auch aufpassen muss, ist, dass man Kulturen beispielsweise nicht nahezu vollkommen übernimmt, dann aber kleine Veränderungen einbaut, die dann wie Fehler wirken.
Ich empfinde es umgekehrt aber auch als misslungen, wenn man eine zu komplizierte Fantasywelt erschafft, zig Karten anhängt und Erklärungen zu Sprachen, die der Leser dann erstmal überhaupt nicht durchblicken kann und das Buch vielleicht auch wieder zur Seite legt, weil er mit den ganzen neuen Bezeichungen und Arten etc. einfach nicht zurecht kommt. Das empfinde ich selbst auch manchmal als recht nervig, besonders wenn Bezeichnungen unserer Sprache kaum ähneln und sie zu fremd wirken, man sie vielleicht nicht einmal aussprechen kann. Dann lieber einiges an unsere Welt simplerweise anlehnen und bekannte Dinge dabeihaben, man kann ja dennoch vieles selbst erfinden und so eine ganze eigene Welt schaffen.

Westeros beispielsweise (Game Of Thrones) ist ja auch sehr sehr stark ans Mittelalter angelehnt, allerdings sind da glaube ich auch keine Kulturen vermischt; ich erinnere mich gerade nicht allzu gut, aber die Welt im Buch aus 'Die unendliche Geschichte' ist doch auch teils mit Aspekten aus früheren Zeiten aus unserer Welt und dann aber auch moderner wirkenden Häusern, aber auch ganz frei erfundenen Dingen und die ist toll.

Also ich denke, es ist alles möglich, es kommt aber immer stark darauf an, wie man es aufzieht und wie gut verknüpft und passend man es wirken lässt.

Churke

Ich schätze mal, wenn man sich zu viel Neues ausdächte, fänden das die Leser zu abgespacet. Irgendwo will man auch einen Markt bedienen.

Sipres

Ich denke, das größte Problem am vollständigen Neuerfinden ist, dass unsere Vorstellungskraft begrenzt ist. Denkt euch mal ein neues Tier aus, dass keinerlei Aspekte eines bereits existierenden Wesens hat. Das ist unmöglich. Und so ist das auch mit Kulturen. Aber es nicht schlimm, denn bestehende Sachen zu verwerten, neu zu vermischen und gut zu Papier zu bringen ist doch das, was einen guten Autor ausmacht. Man muss das Rad nicht neu erfinden, man muss nur wissen, wie man das Rad besser macht und es dann an den Mann bringen.

Tigermöhre

Ich finde auch, dass es völlig normal ist, sich von realen Kulturen inspirieren zu lassen. Mich nervt es nur, wenn nicht nur die Völker, sondern auch die politische Entwicklung deutlich erkennbar ist. Ich habe letztens den ersten Teil der Sturmwelten-Trilogie von Christoph Hardebusch gelesen. Das Setting ist: "Spanier, Franzosen und Engländer kloppen sich in der Karibik." Dazu kommt dann noch Magie und so, aber die Kulturen kann man deutlich erkennen. Das fand ich schon nicht so toll.

Pygmalion

Mich stört auch nicht, wenn man sich bei Kulturen bedient, die es gibt/gab. Alles andere ist auch unmöglich, wie Sipres schon schrieb... Man wird niemals in der Lage sein, etwas völlig neues zu erfinden, weil irgendetwas davon schon ähnlich existiert hat oder existiert. DAs gilt auch für Namen. Ich finde es manchmal unglaublich schwer sich neue Namen für Städte etc. auszudenken, weil ich häufig eine Idee habe, das dann google und feststelle, dass das irgendeine Stadt sonst wo ist/war... DAs sit dann doof und man muss weiter suchen.
Also, ich bin ein sehr großer Song of Ice and Fire fan, aber da zu behaupten, es sei nicht nah an der realen Geschichte, ist für mich falsch. Westeros ähnelt sogar Britannien in seinem Umriss. Die ganze Geschichte um den Krieg ist sehr stark an die Rosenkriege zwischen York und Lancaster angelehnt, die am Ende des 15. Jh. in England stattfanden. Das hat er sogar selbst mal in einem Interview gesagt. Gewonnen hat übrigens Lancaster (das ist jetzt auch nicht so wahnsinnig weit weg von Lennister), obwohl beide Häuser im direkten Mannestamm ausgestorben sind (Ob uns das jetzt schon das Ende von den Büchern verrät? :P). Auch die rote Hochzeit ist inspiriert von wahren Ereignissen, dem Massaker von Glencoe, von Engländern an einem schottischen Clan. Die Freien Städte repräsentieren für mich die Hanse bzw. die Oberitalischen Städte, die Eiserne Bank könnte genau so auch in Florenz gestanden haben.
Quarth ist eine mächige Handelsstadt am RAnd der Wüste... davon gab es nun wirklich eine Menge. Timbuktu z.B., oder Ubar im Oman, die als eine der mächtigsten Städte der Welt gilt.
Was ich damit sagen will: Wenn man lange genug sucht, findet man für jede tolle Idee in jedem Buch irgendwo irgendeine reale Parallele. Ich finde es sogar manchmal spannend zu entdecken, dass dieses oder jenes Ereignis reale Vorbilder hat, aber im Buch ganz anders eingesetzt wird und am Ende zu etwas neuem wird. Das ist es, worauf es für mich ankommt. Die Geschichte ist so voll von spannenden und genial zu verarbeitenden Ereignissen, es wäre fast schade, nichts davon zu verwenden :P Natürlich muss man nicht unbedingt so offensichtlich sein wie Hardebusch, da geb ich dir Recht Tigermöhre. Dass es uns da eher auffällt könnte aber auch daran liegen, dass dieser Teil der Geschichte uns eben bekannter ist als die Rosenkriege in England...

Sternsaphir

Mich persönlich stört es weniger, wenn Kulturen aus Büchern denen in der Realität ähneln. Im Gegenteil, der Leser kann sich leichter in die Fantasy-Welt einlesen, wenn er "Bekanntes" oder Parallelen dazu wiedererkennt. Er muss sich nichts Neues vorstellen, das man als Autor erst umständlich beschreiben muss. Das Muster bleibt insofern erhalten, an dem man sich orientieren kann.
Das Beispiel von Sipres mit dem neu erdachten Tier beschreibt es sehr gut.
Ich habe erst neulich ein Buch gelesen, in dem ein neues Fabeltier vorkam. Trotz bester Beschreibungen seitens der Autorin kam bei mir ein etwas zugroß geratender Puma mit drei Schwänzen raus.

Auf unserem Globus gibt es so viele unterschiedliche Kulturen, Religionen, Bräuche, Riten und Kunst, dass man als Autor sehr schnell von diesen inspiriert werden kann. Eine völlig neue Religion/Kultur ohne jegliche Berührung zu bereits existierenden Kulturen aufzubauen, empfinde ich schon fast etwas schwierig, wenn man nicht unbewusst wieder in ein Klischee abrutschen will.

Ich lehne meine Kulturen sehr gerne an reale (entweder vergangene oder noch existierende) an. Ich übertrage nichts 1:1, aber entweder die Struktur oder der eine oder andere Ritus wird gern übernommen und eingeflochten.