Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Allgemeines => Tintenzirkel => Thema gestartet von: Elona am 07. März 2018, 07:11:31

Titel: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Elona am 07. März 2018, 07:11:31
Die Suche habe ich zwar bemüht, aber kein ähnliches Thema gefunden (oder falsch gesucht  :hmhm?: ). Nach langem Überlegen, wohin ich diesen Thread packen soll, stecke ich ihn mal hierhin.

Im Augenblick bin ich ja in Überarbeitungen versumpft und dabei ist mir folgendes aufgefallen:

Wenn ich mir den Text szenenübergreifend betrachte (haha), stelle ich fest, dass ganz oft visuelle Hinweise erscheinen. Ich also wirklich Wörter/Tätigkeiten wie sehen, betrachten (...), blicken, mustern usw. verwende.

Das ist an sich ja erst mal nichts Besonderes, nur bin ich ein vollkommen visueller Mensch und als ich so darüber nachdachte, erinnerte ich mich an Texte, in denen recht häufig haptische Hinweise vorkamen. Oder was ich als Leser auch immer toll finde, zu lesen/erleben, wie die Stimme von jemanden klingt (auditiver Reiz). Ich selbst habe dazu leider keinerlei Zugang. Zumindest nicht in dem Umfang, wie es andere scheinbar haben.
Von daher wäre meine Theorie nun, dass wir diese Eigenschaft, welcher Typ wir selbst sind, in unsere Texte einfließen lassen. Natürlich kann es auch einfach nur ein Zufall gewesen sein, aber sollte dem so sein, schadet es sicherlich nicht, bewusst darauf zu achten. So, wie ich es nun auch tun werde.

Kurz zur Erinnerung der Wahrnehmungstypen/Lerntypen:
Auditiver Typ: Akustische Reize = Hörsinn
Visueller Typ: Visuelle Reize = Sehsinn
Haptischer Typ: Haptische Reize = Tastsinn

(Ansonsten gibt es natürlich noch: Olfaktorische Reize = Geruchssinn & Gustatorische Reize = Geschmackssinn)


Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr schon mal solche Parallelen gefunden?
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Frau S. am 07. März 2018, 10:37:16
Ich glaube, dass du hier im Endeffekt ein ganz generelles Problem ansprichst:
Wer und wie wir sind, beeinflusst unglaublich unsere Texte.
Du als visueller Mensch beziehst dich stärker auf diesen Sinn als vielleicht ein Musiker es tun würde.
Die Menschen in meinen Texten tun auch eher Dinge, mit denen ich mich irgendwie identifizieren kann, als Dinge, die mir völlig fremd sind. Das fängt beim Beruf an und hört bei der Freizeitgestaltung auf.
Beispiel: Wir haben drei Katzen. Ich neige eher dazu, einem Charakter ebenfalls eine Katze oder einen Hund an die Seite zu stellen, als eine Schildkröte, da ich von Terrarientieren keine Ahnung habe und mir selbst wahrscheinlich keines anschaffen würde (hat ja kein Fell  ;)).
Wenn man sich dieses Problems bewusst ist, kann man es aber wahrscheinlich ganz gut umgehen.  :)
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Silvia am 07. März 2018, 11:51:23
Zitat von: Frau S. am 07. März 2018, 10:37:16
Beispiel: Wir haben drei Katzen. Ich neige eher dazu, einem Charakter ebenfalls eine Katze oder einen Hund an die Seite zu stellen, als eine Schildkröte, da ich von Terrarientieren keine Ahnung habe und mir selbst wahrscheinlich keines anschaffen würde (hat ja kein Fell  ;)).

:rofl: Jetzt habe ich gerade eine ziemlich pelzige Schildkröte vor Augen, weil mein Kopf sich sofort vorstellen musste, wie die mit Fell wohl aussehen würde. ^^ Manchmal muss man etwas noch nicht mal beschreiben, um anderen ein Bild dazu vor Augen zu zaubern.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Elona am 07. März 2018, 12:18:19
Vielleicht war ich darüber auch einfach nur so baff, weil ich geglaubt hatte, eigentlich frei davon zu sein.

@Silvia Das ist tatsächlich ein lustiges Bild.  :rofl:
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Frau S. am 07. März 2018, 12:26:59
Zitat von: Elona am 07. März 2018, 12:18:19
Vielleicht war ich darüber auch einfach nur so baff, weil ich geglaubt hatte, eigentlich frei davon zu sein.
Das sind wir alle nicht - das ist wie mit den Vorurteilen.  ;) Da diese Vorgänge in unseren Köpfen aber unbewusst ablaufen, dauert es mitunter recht lange, es zu bemerken.

Silvia:
ZitatJetzt habe ich gerade eine ziemlich pelzige Schildkröte vor Augen, weil mein Kopf sich sofort vorstellen musste, wie die mit Fell wohl aussehen würde.
:ätsch:
Auf die Idee, mir das vorzustellen, bin ich auch noch nicht gekommen.  ;D
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Ary am 07. März 2018, 12:37:32
Ich arbeite in meinen Texten sehr viel mit Gerüchen und Geräuschen. Ich bin Synästhetin und verbinde oft Gerüche und Geräusche miteinander oder Farben mit Gerüchen oder Geschmack (Broccoli oder Grüner Veltiner schmecken für mich "grün"). Ich merke, dass ich mit Düften/Gerüchen oder mit Geräuschen besser arbeiten kann als mit visuellen Bildern, weil ich mit diesen Sinnen sehr viel Gefühle verbinde. Wenn ich versuche, mit Worten Bilder zu malen, wirkt das meist eher aufgesetzt und übertrieben.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Ixys am 07. März 2018, 12:59:23
@ Aryana: mir hat mal jemand auf einem Workshop erzählt, dass zumindest die allermeisten Menschen mit Gerüchen stärkere Emotionen verbinden als mit anderen Reizen, und dass Gerüche aber gleichzeitig das sind, was in den allermeisten Texten kaum beschrieben wird. Seitdem versuche ich immer darauf zu achten an passenden Stellen auch Gerüche mit einzubauen.

Ich bin auch ein großer Fan der Synästhesie. Ich verbinde am liebsten Klänge mit Bildern oder Gefühlen.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Liliane am 07. März 2018, 13:24:52
Wirklich interessantes Thema... Ich selbst bin ein vollkommen visueller Mensch beim Lernen, auch wenn ich von dem her was ich angenehm finde auch sehr viel mit, beispielsweise, Musik anfangen kann.
Und, mir ist bevor du es jetzt gesagt hast, gar nicht aufgefallen, wie sehr ich eigentlich immer versuche, Farben zu differenzieren. Bei mir ist niemals etwas bloß blau oder grün, sondern wenn z.B. tief dunkelblau oder wässrig flaschengrün. Ich beschreibe schon auch Geräusche oder Gerüche sehr genau, aber irgendwie sehr viel seltener, und ich glaube auch ungenauer, als Farben oder allgemein visuelles. Dass das einen Zusammenhang zu dem allgemeinen Typ hat, der man ist, kam mir nie in den Sinn, aber ist offensichtlich so.

Ich denke aber auch, dass @Frau S. auf jeden Fall recht hat, dass wir dazu tendieren, das einzubauen, was uns selbst am nächsten ist. Wir schreiben schließlich oft auch das, was wir gerne lesen würden und wir lesen häufig gerne, was wir gerne in unserem Leben hätten oder in Folge dessen bereits haben.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Carla Gabrielis am 07. März 2018, 15:04:01
Hmm... Ich musste mir erst mal einen groben Überblick verschaffen, aber du hast recht! Ich verwende tatsächlich meistens Wörter we hören, lauschen und so weiter, was zu mir passt, weil ich eher der auditive Lerntyp bin. Außerdem ist mir noch aufgefallen, dass ich häufig die Stimmen meiner Figuren in verschiedenen Situationen beschreibe und den Klang der Stimme dann mit einem Gefühl verbinde.
Mir war gar nicht klar, dass der Lerntyp damit zusammenhängen könnte!
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: HauntingWitch am 07. März 2018, 15:47:35
Zitat von: Elona am 07. März 2018, 12:18:19
Vielleicht war ich darüber auch einfach nur so baff, weil ich geglaubt hatte, eigentlich frei davon zu sein.

Das ist niemand. Wenn man diversen Büchern über Körpersprache etc. glauben darf, ist das sogar vollkommen natürlich. Im Prinzip kann man am Text von jemandem ablesen, was für ein Wahrnehmungstyp er ist. Ich finde, man muss sich da auch nicht dafür schämen oder sich krampfhaft versuchen zu verstellen. Das ist eben so. Der Leser ist auch ein bestimmter Typ und wenn das nicht kongruent ist, gefällt ihm je nachdem einfach das Buch nicht. Aber du kannst auch darauf achten, alle Wahrnehmungskanäle in deinen Beschreibungen zu berücksichtigen (was ja gerne empfohlen wird) und es trotzdem nicht allen recht machen. ;) Insofern würde ich mich nicht verrückt machen deswegen.
Spannend ist es aber allemal. Es gibt ja auch noch weitere "Typen" (natürlich immer unter dem Vorbehalt, dass Menschen individuell und meistens eine komplexe Mischung aus ganz viel Verschiedenem sind), wie z.B. der Erfolgs-, Macht-, oder Beziehungstyp. Je nachdem, wonach man sich am ehesten orientiert, bevorzugt man andere Worte. Ich habe mal eine Geschichte gelesen, die ich total schlecht fand, obwohl sie eigentlich alles hatte, was gut wäre. Spannung, gute Story, interessanter Hauptcharakter und so weiter. Irgendwann später habe ich herausgefunden, dass die Geschichte voller "Beziehungsworte" steckte und ich bin überhaupt kein Beziehungstyp, sondern eher irgendwo zwischen den anderen beiden. Das muss der Grund gewesen sein, warum mir die Geschichte nicht gefallen hat.

@Aryana: Lustig, ich verbinde immer Klänge mit Farben, habe das aber nur bei Klängen und Farben.

Zitat von: Frau S. am 07. März 2018, 10:37:16
Du als visueller Mensch beziehst dich stärker auf diesen Sinn als vielleicht ein Musiker es tun würde.

Auch Musiker können stark visuelle Wahrnehmungstypen sein. ;) Da greift eben dann die individuelle Mischung.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Jen am 07. März 2018, 16:46:20
Zitat von: Ixys am 07. März 2018, 12:59:23
@ Aryana: mir hat mal jemand auf einem Workshop erzählt, dass zumindest die allermeisten Menschen mit Gerüchen stärkere Emotionen verbinden als mit anderen Reizen

Sowas Ähnliches habe ich auch im Hinterkopf ... dass Gerüche unser Erinnerungsvermögen am schnellsten ansprechen.

Zitat von: Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es bisher keine endgültige Erklärung für dieses Phänomen. Neurowissenschaftler weisen jedoch oft auf den Weg hin, den Geruchsinformationen in unserem Gehirn durchlaufen: Einige dieser Nervenpfade führen direkt von unserer Nase zur Gedächtnisschaltzentrale unseres Gehirns, dem Hippocampus. Andere Sinneswahrnehmungen durchlaufen hingegen zunächst noch eine Zwischenstation, den Thalamus. Der Geruchssinn scheint in dieser Hinsicht eine Sonderstellung einzunehmen.

Zudem ist der Geruchssinn wahrscheinlich evolutionär der älteste unserer Sinne. Es ist deshalb in der Tat möglich, dass der Geruchssinn enger mit der Gedächtnisschaltzentrale verknüpft ist. Möglicherweise ist diese Verknüpfung zudem in jungen Jahren besonders ausgeprägt.

Psychologen argumentieren häufig, dass die Verbindung einer Erinnerung mit starken Gefühlen hilfreich für das spätere Erinnern sein kann. So nimmt etwa ein Kind bei einer innigen Umarmung mit einem Elternteil auch bestimmte Gerüche wahr. Diese helfen, die Erinnerung abzuspeichern und später im Leben abzurufen.
Link

Kann mir vorstellen, dass Gerüche im Roman etwas schwierig zu beschreiben sind, weil sie vielleicht eher wirken, wenn man sie tatsächlich in der Nase hat. Genauso kann ich mir schwer Wärme und Kälte vorstellen, wenn ich gerade nicht schwitze oder fröstele. Visuelle Reize sind da aber kein Problem, und als allgemein eher auditiver Typ habe ich auch kein Problem mit schrillem Quietschen, warmen Stimmen und einem gluckernden Tümpel. Das sitzt meines Erachtens besser in meiner Vorstellungskraft als Geschmack, Geruch und Wärmeempfinden.

Ich persönlich bin beim Lernen vor allem visuell. Als ich gerade darüber nachgedacht habe, ob ich beim Schreiben auch visuell bin, bin ich zu einer anderen Einsicht gekommen: Ich lege meinen Fokus gerne auf Emotionen und Körpersprache. Heißt: Mein visueller Teil ist ein bisschen fokussierter auf Gestik und Mimik statt beispielsweise auf Beschreibungen von Gebäuden. Das ist mir nämlich schon häufig aufgefallen ... in Sachen Weltenbau lasse ich lieber Lücken sprechen. :rofl:
Danke für dieses spannende Thema!

Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Frau S. am 07. März 2018, 16:50:30
Spontan muss ich an die berühmte Szene mit der Madeleine bei Marcel Proust denken, deren Geruch beim Erzähler so viele Erinnerungen auslöst.  :hmmm:
Das Phänomen taucht also schon länger in der Literatur auf und wird von Schriftstellern dementsprechend verwendet.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Jen am 07. März 2018, 16:53:05
Genau diese Szene wird sogar in meiner verlinkten Quelle zitiert. :rofl:
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Frau S. am 07. März 2018, 17:14:29
Zitat von: Jen am 07. März 2018, 16:53:05
Genau diese Szene wird sogar in meiner verlinkten Quelle zitiert. :rofl:
Shame on me, den Link habe ich nicht angeklickt.  ::)
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: KaPunkt am 07. März 2018, 18:50:46
Ganz allgemein gesprochen halte ich es für einen grundlegenden Teil unseres Handwerks, alle Sinne anzusprechen. Wir haben alle bevorzugte Sinne, die wir bewusster wahrnehmen, was allein schon als Grund ausreichen sollte, keinen der Sinne zu vernachlässigen. Schließlich schreiben wir nicht nur für Augen- oder nur für Ohren-Menschen. Gleichzeitig macht es einen Text aber auch viel dichter und lebendiger, wenn er eben nicht nur wie ein Film vor mir abläuft. Das mit den Gerüchen würde ja schon erwähnt. Gerüche sind wahnsinnig gut, Erinnerungen zu transportieren. Ich finde auch den Tast-Sinn unglaublich wichtig, weil er genauso unmittelbar ist und wir ihn nicht bewusst abschalten können. Dabei geht es nicht nur darum, wie sich etwas anfühlt, dass wir berühren, sondern auch um Dinge wie: Ist die Luft stickig? Drückend? Fühle ich mich auf einem großen, leeren Platz schutzlos?
Und manche Dinge lasse sich über ein Geräusch, über einen Geruch, ein Gefühl, viel kürzer und prägnanter ausdrücken als über 'ich sehe was, was du nicht siehst'

Sinnliche Texte!
(Auch super geeignet für Schreibübungen, und Aufmerksamkeitsübungen im Alltag.)

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Faye am 07. März 2018, 19:17:34
Wenn ich meine Texte mal so überfliege, fällt mir auch auf, dass ich oft Geräusche beschreibe. Meine Protagonisten, werden von Vogelgezwitscher geweckt und ich kündige ankommende Feinde gerne damit, an dass irgendwas raschelt oder meine Protagonisten die Schritte hören. Vom Lerntyp bin ich eine Mischung zwischen visuell und auditiv, also passt das doch ganz gut.
Wie KaPunkt schon sagt, ist das eigentlich eine gute Idee für Schreibübungen. Außerdem denke ich auch, dass man immer ein bisschen darauf achten sollte, dass man alle Sinne einbezieht. Mir ist in meinen Texten nämlich leider auch aufgefallen, dass ich kaum Gerüche beschreibe oder den Tastsinn einbeziehe, einfach weil sie für mich keine große Rolle spielen. Aber wenn man alle Sinne anspricht, fühlt sich der Leser einfach mehr angesprochen, ganz egal welcher Typ er ist und er kann sich die Szene leichter vorstellen.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Ahneun am 07. März 2018, 19:27:55
Ich finde diesen Thread Klasse!  :jau:

Ich habe auch schon mehrfach festgestellt dass ich in einem positiven Gemütszustand besser und effizienter schreibe, als in einem negativen, angespannten Zustand. Wobei ich in diesem Zustand eher wenig bis letztendlich gar nichts zu Stande bringe.

Ob mir aber beim Schreiben Gerüche in die Quere kommen, hab ich so noch nicht bemerkt. Gut, wenn draußen der Gülletraktor seine Arbeit verrichtet, dass ist schon abartig. Das lenkt mich auch ab.

Viel mehr macht sich bei mir leise Musik bemerkbar. Sie muss nicht groß auftragen. Mich machen eher die getragenen Töne an. Auch unter "Silence" bekannt, oder etwas in dieser Richtung. Also wäre ich ein "Auditiver Typ"

Was mich aber noch mehr interessiert ist, ob der gerade aktuelle Gemütszustand sich auch auf den Text auswirkt. Ich denke schon. Und im Anschluss an das Schreiben, wenn ich der Meinung bin, mein Werk sei vollbracht, kommt die Korrektur und fast alles klingt beim Lesen nicht mehr so toll.

Wie wirkt sich das auf den Leser aus?
Hier hab ich meine Schwierigkeiten. Ich denke beim Schreiben sehr oft an den Leser. Ich weiß nicht wie ich das abstellen kann. Es ist in mir drin. Durch diese Gedanken ist bei mir schon sehr viel dem Löschzwang zum Opfer gefallen.

Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Mönchen am 07. März 2018, 20:47:47
Man liest ja oft, dass man alle Sinne ansprechen soll.
Welcher Typ ich da bin, darüber habe ich jedoch noch nie nachgedacht.
Interessante Frage!
Schätze mal der visuelle Typ.

Bei bestimmten Gerüchen kommen bei mir auch entweder bestimmte Erinnerungen hoch, oder Gefühle.
Klappt aber auch mit Geschmack. Zimtsterne schmecken nach Weihnachten, mit Weihnachten assoziiere ich Familie, dann fühl ich mich heimelig.

Ich habe leider eine feine Nase (leider, weil ich Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel bin  :vibes:) aber Gerüche beschreiben, finde ich schwierig bzw stolpere oft in Büchern darüber.
Da wurde z.B. ein einem beschrieben, dass der Angebetete nach Gras riecht. Da fragte ich mich als erstes, ob das Gras der Wiese gemeint ist  :rofl:
Ich mag den Geruch von frisch gemähtem Gras, aber dass einer so riecht ist mir noch nie untergekommen.
Wenn einer nicht gut riecht, dann kann ich das sehr gut beschreiben, bzw kann es förmlich riechen, wenn es in einem Buch beschrieben ist.
Wenn jemand in meiner Umgebung gut riecht, dann ist es meist Parfüm. Ich will ja aber auch keine Werbung für Parfüm machen in meiner Geschichte ;)
Schwierig!

Ebenso schwierig ist für mich Musik. Ich höre sie gerne beim schreiben, aber beschreiben?
Ich will ja keine Songtexte kopieren, aber auch nicht "la lalla" schreiben, wenn einer meiner Protas einen Ohrwurm hat.

Ja, ich bin definitv mehr der visuelle Typ, dass geht von allein  :vibes: fühlen aber auch.
Werde aber zukünftig mehr drauf achten.
Danke für den Beitrag Elona!


Zitat von: A9 am 07. März 2018, 19:27:55

Was mich aber noch mehr interessiert ist, ob der gerade aktuelle Gemütszustand sich auch auf den Text auswirkt. Ich denke schon. Und im Anschluss an das Schreiben, wenn ich der Meinung bin, mein Werk sei vollbracht, kommt die Korrektur und fast alles klingt beim Lesen nicht mehr so toll.

Wie wirkt sich das auf den Leser aus?
Hier hab ich meine Schwierigkeiten. Ich denke beim Schreiben sehr oft an den Leser. Ich weiß nicht wie ich das abstellen kann. Es ist in mir drin. Durch diese Gedanken ist bei mir schon sehr viel dem Löschzwang zum Opfer gefallen.


Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sich der Gemütszustand auf den Text auswirkt.
Man liest ja oft, dass man sich vor bestimmten Szenen in die richtige Stimmung bringen soll.
Du kannst es natürlich auch anderes herum machen, sofern du schon bestimmte Szenen im Kopf hat, die du schreiben möchtest.
Wenn Du wütend bist, dann schreib die Szene, in der dein Prota wütend ist.
Wenn Du traurig bist, schreibe die Szene, von der du weißt, dass dein Prota da traurig sein wird etc.
Ich hoffe, du weißt, was ich meine ;-)
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Zauberfrau am 07. März 2018, 21:24:53
Oh, das ist ein sehr schöner Thread  :vibes:

In meinen Texten versuche ich auch immer, alle Sinne anzusprechen.

Mir ist zum Beispiel wichtig, wie die Stimme eines Charakters klingt. Ich finde, gerade am Klang der Stimme kann man viele Eigenschaften ableiten. Ob sie schnarrt und hart klingt oder ob sie sich anhört, als wäre sie aus weichem Karamell. Zum Thema Ohren-Gefühle muss ich sagen, dass ich hörbehindert bin. Ich habe nur noch 50 % Hörleistung und höre auch mit Hörgeräten nicht immer alles (mit ihnen liege ich etwa bei 80 - 90 %). Vielleicht ist es mir deshalb auch wichtig, was man hört, weil ich weiß, wie es ist, wenn man nichts oder nur wenig hört.
Und ich brauche Musik, um in Gedanken zu plotten. Beim Schreiben stört es mich. Aber beim Tagtraum brauche ich die entsprechende Stimmung. Dabei ordne ich Kapitel immer irgendwelchen Liedern zu. Das geht soweit, dass ich dann nur noch an dieses Kapitel denken kann, wenn ich das entsprechende Lied höre. Das macht aber nichts, ich mag das. Träumen auf Knopfdruck.

Zudem bin ich auch Synästhetin. Ganz witzig: Ich sehe Zahlen und die Kalendertage in Farben. Farben, die ich nicht erklären kann. Januar ist grau - irgendwie klar. Februar ist vielleicht so ein Schmuddelgrün (das schwimmt immer so hin und her). April ist feuerrot und Mai dagegen himmelblau. September ist ein dunkles Lila, Oktober braun, der November knallorange (vielleicht wegen Halloween?) und der Dezember schwarz. Zu Studienzeiten habe ich mir mal einen Kalender aus meiner Sicht gemalt, da habe ich aber nicht die Monate, sondern die Tage angemalt. Es war ein sehr buntes Plakat und mein Freund (heute Mann) hat nur den Kopf geschüttelt. Aber ich konnte mir damit sehr gut meine Zeit für die Prüfungen einteilen  :)

Ach ja, da sind da noch die Gerüche! Ich liebe Gewürze, besonders Kardamom und Ingwer. Aber auch Zimt und dieser ganze Weihnachtskram. Die Düfte der Zitrusfrüchte finde ich auch immer sehr ansprechend. Ja, die Gerüche müssen natürlich auch ins Buch  :wolke:

Liebe Grüße,
Zauberfrau



Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Jen am 07. März 2018, 21:31:27
Zitat von: KaPunkt am 07. März 2018, 18:50:46
Ganz allgemein gesprochen halte ich es für einen grundlegenden Teil unseres Handwerks, alle Sinne anzusprechen. Wir haben alle bevorzugte Sinne, die wir bewusster wahrnehmen, was allein schon als Grund ausreichen sollte, keinen der Sinne zu vernachlässigen. Schließlich schreiben wir nicht nur für Augen- oder nur für Ohren-Menschen. Gleichzeitig macht es einen Text aber auch viel dichter und lebendiger, wenn er eben nicht nur wie ein Film vor mir abläuft. Das mit den Gerüchen würde ja schon erwähnt. Gerüche sind wahnsinnig gut, Erinnerungen zu transportieren. Ich finde auch den Tast-Sinn unglaublich wichtig, weil er genauso unmittelbar ist und wir ihn nicht bewusst abschalten können.

Das finde ich sehr wichtig und richtig! Aber natürlich sollten wir es nicht übertreiben. Und gerade bei Berührungen kann ich mir gut eine Szene vorstellen, in der z.B. mein Protagonist plötzlich berührt wird und zusammenzuckt, was evtl. eindringlicher (für den Leser) ist, wenn das nicht alle drei Seiten passiert. (Gibt ja durchaus Romane, in denen das oft passiert. ;) )
Denke auch, dass es die gute Mischung macht, aber eben auch ein Fokus auf die Dinge, die wir vermitteln wollen. Wenn ein Geruch tatsächlich eine Erinnerung hervorruft, zu Sehnsucht führt, abstößt o.Ä.: Immer her damit. Wenn er einen Ort gut beschreibt: Auch super! Aber manchmal können zu viele Beschreibungen auch vom Wesentlichen ablenken. Wie gesagt, die Mischung macht's ...
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Ixys am 07. März 2018, 23:55:47
Versucht ihr auch manchmal, bestimmten Charakteren bestimmte Sinne zuzuordnen? Dass zum Beispiel ein Charakter, der Musiker ist, oft Wörter benutzt, die zum auditiven Typ gehören? Ich muss da gerade an Robert Frobisher aus David Mitchells Cloud Atlas denken, ich kann mich noch daran erinnern, dass mir das beim lesen sehr gut gefallen hat, wie sehr die Wahrnehmung bei diesem Charakter von auditiven Reizen gesteuert war.
Ich versuche natürlich auch, die Denkmuster meiner Charaktere in deren Stimme wiederzugeben (einer meiner Charaktere ist zum Beispiel Pokerspieler und benutzt sehr häufig Metaphern, die aus dem Wortfeld Glücksspiel stammen), aber wenn ich so darüber nachdenke, habe ich noch nie versucht, bewusst bestimmte Wahrnehmungstypen in die Erzählstimme einfließen zu lassen.

@A9 und Mönchen: ich glaube auch, dass sich der Gemütszustand aufs schreiben auswirkt. Bei mir gibt es da aber meist keinen direkten Zusammenhang (also dass ich zum Beispiel leichter Szenen schreiben kann, in denen jemand wütend ist, wenn ich selbst wütend bin). Vielmehr habe ich das Gefühl, je entspannter ich bin, desto besser schreibe ich auch (und desto leichter fällt es mir zu schreiben.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: HauntingWitch am 08. März 2018, 09:05:37
Betreffend alle Sinne ansprechen: Ich muss zugeben, dass ich da teilweise Mühe habe, vor allem bei Gerüchen. Ich unterschlage Gerüche in meinen Romanen meistens, einfach weil ich null Vorstellung davon habe, wir irgendetwas riecht. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich das beschreiben könnte.  :versteck:

Zitat von: Ixys am 07. März 2018, 23:55:47
Versucht ihr auch manchmal, bestimmten Charakteren bestimmte Sinne zuzuordnen? Dass zum Beispiel ein Charakter, der Musiker ist, oft Wörter benutzt, die zum auditiven Typ gehören? Ich muss da gerade an Robert Frobisher aus David Mitchells Cloud Atlas denken, ich kann mich noch daran erinnern, dass mir das beim lesen sehr gut gefallen hat, wie sehr die Wahrnehmung bei diesem Charakter von auditiven Reizen gesteuert war.

Das versuche ich zu vermeiden. Ich denke, so etwas muss man sehr gut beherrschen, damit der Charakter nicht plötzlich einseitig oder plakativ wirkt (und Mitchell beherrscht es wie kaum ein anderer). Für mich wäre so etwas höchstens als Experiment interessant, denn ich halte mich nicht für gut genug, das richtig zu machen.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Elona am 08. März 2018, 09:28:50
Ach, das freut mich, dass der ein oder andere doch was mit dem Thread anfangen kann.  :vibes:

Ich gehe jetzt nicht auf jeden Beitrag ein, auch wenn ich sie alle gelesen habe, sondern picke mir hier und da was raus. Also nicht böse sein und bitte erst recht nicht übergangen fühlen. Es war schön zu lesen, dass ich damit nicht alleine bin und die Beispiele waren auch klasse!

Zitat von: WitchIm Prinzip kann man am Text von jemandem ablesen, was für ein Wahrnehmungstyp er ist.
Jetzt nicht mehr! Muhahaha  :darth: Aber Spaß beiseite. Jetzt wo ich es weiß, stört es mich einfach selbst.   

Es ist nicht so, dass ich nichts anderes einfließen lasse. Gerade eben auch vor dem Hintergrund das man alle Sinne benutzen sollte und wie @KaPunkt bemerkte, das den Text auch dichter macht. Aber wie andere schon sagten, ist es bei mir auch das Verhältnis. Das betrifft z.B. auch die Beispiele die @Jen nannte mit Gestik und Mimik. Die benutze ich auch super gerne. Da sind wir (ich) wieder bei visuell. 

Bezogen auf Gerüche reagiere ich total empfindlich, trotzdem kann ich sie nicht so in Worte fassen, wie eben das Verhalten von jemanden oder dessen Emotion. Eben so wie du @Witch geschrieben hast, hat das dann auch was mit weitergehenden "Typen" zu tun. Umso mehr Empathie man besitzt, desto Wahrscheinlicher ist es, dass es einem leicht fällt, die Gefühle von den Charakteren wiederzugeben (Unterstellung, macht für mich aber Sinn, auch wenn es hier Ausnahmen geben mag).

Grundsätzlich habe ich bei meinen Charakteren bisher eben keine gravierenden Eigenschaften oder Begleiter festgestellt, in denen ich mich als Person wiederspiegelte. Von daher war ich wirklich erstaunt, als ich über diese simple Tatsache gestolpert bin.  :hmhm?:

Zitat von: JenDenke auch, dass es die gute Mischung macht, aber eben auch ein Fokus auf die Dinge, die wir vermitteln wollen. Wenn ein Geruch tatsächlich eine Erinnerung hervorruft, zu Sehnsucht führt, abstößt o.Ä.: Immer her damit. Wenn er einen Ort gut beschreibt: Auch super! Aber manchmal können zu viele Beschreibungen auch vom Wesentlichen ablenken. Wie gesagt, die Mischung macht's ...
Das ist wirklich schön zusammengefasst.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Sanjani am 08. März 2018, 21:56:39
Hallo zusammen,

ich gehöre ja zu denjenigen, die auf den Sehsinn verzichten müssen - ich glaube, ich bin immer noch die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :) Ich muss mir visuelle Dinge einfach mit dem Lesen anderer Bücher aneignen, weil ich auch keine Vorstellung davon habe, wie bestimmte Dinge aussehen. Ich denke, dass so etwas mit Gerüchen auch geht, aber da gibt es nicht so viele Beispiele. Ich muss aber sagen, ich würde mich nie an irgendwelche komplexen visuellen Sachen wagen, z. B. die detaillierte Beschreibung einer Kirche oder so. Vor allem mit Farben halte ich mich sehr zurück. Ich glaube, wenn man das nicht selber gesehen hat, hat man kaum Chancen, so etwas authentisch zu beschreiben. Aber auch sonst bin ich mit visuellen Details eher sparsam.

Ich bin aber generell eher sparsam. Ich bin eher ein Mensch, der sich auf das Innenleben fokussiert. Also ich erwähne z. B. ein Geräusch und beschreibe dann lieber, was das Geräusch mit dem Charakter macht oder wie es ihn beeinflusst. Bei mir gibt es keine ausführlichen Beschreibungen von Sinneseindrücken, weder von visuellen noch von sonstirgendwelchen anderen. Ich selber finde das manchmal doof, aber meine Betaleser haben sich bisher echt noch nie beschwert. Ich denke, bei mir wäre es auch ungut, die Welt so zu beschreiben, wie ich sie wahrnehme, weil das wohl schon etwas vom "Durchschnitt" abweicht.

Ich gebe Charakteren auch keine Erzählstimme. Nicht weil ich denken würde, dass ich darin schlecht wäre, sondern weil mir so etwas auch in Real nicht wirklich auffällt. Manche Leute haben eine bestimmte Art von Sprechstil und benutzen vielleicht bestimmte Wörter besonders gern, aber dass jemand besonders visuelle Metaphern nutzen würde, also mehr als andere oder etwas in dieser Art ist mir echt noch nie bei Menschen aufgefallen. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.

Gerüche triggern sehr gut Erinnerungen oder ganz bestimmte Emotionen. Aber gerade deshalb finde ich es besser, sie auch eher sparsam einzusetzen. Es ist ja nicht so, dass man in der Gegend rumrennt und von einer emotionalen Situation in die andere fällt, weil man immer wieder neue Gerüche aufnimmt, die einen an irgendwas erinnern. Zumindest bei den meisten Leuten ist das wohl eher nicht so. Sondern es sind doch eher einzelne Gerüche, wo man denkt, oh das riecht so toll, das erinnert mich an die Situation XYZ. Wenn ich durch die Stadt laufe, dann orientiere ich mich auch gern an Gerüchen. Aber das zählt zu dem, was ich weiter oben schrieb, dass ich meine Welt anders wahrnehme und sich das nicht unbedingt für nicht behinderte Protagonisten eignet. Die würden wahrscheinlich nicht denken: Ah, hier richt es nach Döner, jetzt kommt sicher gleich die Straßenkreuzung XYZ. Denn derjenige sieht das ja, dass die Kreuzung da kommt, und darauf verwendet er vermutlich auch keinen großen Gedanken, wenn es nicht besonders relevant ist.

LG Sanjani
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Frau S. am 09. März 2018, 09:49:29
Zitat von: Sanjani am 08. März 2018, 21:56:39
Gerüche triggern sehr gut Erinnerungen oder ganz bestimmte Emotionen. Aber gerade deshalb finde ich es besser, sie auch eher sparsam einzusetzen. Es ist ja nicht so, dass man in der Gegend rumrennt und von einer emotionalen Situation in die andere fällt, weil man immer wieder neue Gerüche aufnimmt, die einen an irgendwas erinnern. Zumindest bei den meisten Leuten ist das wohl eher nicht so. Sondern es sind doch eher einzelne Gerüche, wo man denkt, oh das riecht so toll, das erinnert mich an die Situation XYZ.
Kann ich so nur unterschreiben. Meistens fallen mir keine bestimmten Gerüche auf. Es muss schon ein starker, ungewöhnlicher Geruch sein, der mir in die Nase driftet, aber dann kann auch etwas in mir ausgelöst werden.
Wahrscheinlich nehmen wir die meisten Gerüche, die uns umgeben, einfach nur unbewusst wahr.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Aidan am 09. März 2018, 14:44:43
@Sanjani: Ich würde unglaublich gerne mal einen Text mit deiner Wahrnehmung der Umgebung lesen. Gerade weil sie anders ist. Ich bin ein Bildermensch, wobei ich alle Sinne liebe und sie für mich als ebenfalls Synästhetiker miteinander verknüpft sind. Ich kann mir so schwer vorstellen, mich ohne visuelle Wahrnehmung zu orientieren.

Ob und wie sich das bei meinen Texten auswirkt kann ich nicht sagen. Habe zulange nichts mehr geschrieben. Aber man kann unglaublich viel mit einem leisen Geräusch oder ähnlichem transportieren und darüber den Text verdichten. Ich liebe das beim lesen, wenn es wohldosiert ist wie die Gewürze bei einem guten Essen.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Ixys am 09. März 2018, 15:18:41
Zitat von: Frau S. am 09. März 2018, 09:49:29
Kann ich so nur unterschreiben. Meistens fallen mir keine bestimmten Gerüche auf. Es muss schon ein starker, ungewöhnlicher Geruch sein, der mir in die Nase driftet, aber dann kann auch etwas in mir ausgelöst werden.
Wahrscheinlich nehmen wir die meisten Gerüche, die uns umgeben, einfach nur unbewusst wahr.
@Sanjani und Frau S.: ich bin super sensibel für Gerüche, wenn es darum geht wie Personen riechen. Sei es Parfüm, Shampoo, Aftershave, ein bestimmtes Waschmittel, oder die Lederjacke, die jemand ständig trägt, die meisten Menschen, die ich näher kenne, würde ich am Geruch wiedererkennen. Sowas baue ich manchmal auch ganz gerne in meine Texte ein.
Wenn es aber um Gerüche in der Umgebung geht blende ich die wohl ganz häufig aus, beziehungsweise nehme zum Beispiel Essensgerüche nur dann bewusst wahr, wenn ich gerade hungrig bin.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Churke am 09. März 2018, 15:19:56
M.E. lassen sich Sinneseindrücke nicht originär beschreiben. Man kann nur Sinneserfahrungen des Lesers abrufen.
Bei visuellen Beschreibungen lässt sich abstrahieren. Wie groß/breit, welche Farbe etc. Man kann Musik so beschreiben, dass sie ein guter Musiker nachspielen kann. Die restlichen 99 % der Leser verstehen nur Bahnhof. Also arbeitet man mit hohem Abstraktionsgrad. Menuett, Walzer, Boogie, Disco. Aber ein Leser, der nie ein Menuett gehört hat, kann mit der Information nichts anfangen.

Ganz schwierig sind Gerüche. Wie erkläre ich dem Urwaldindianer den Neuwagengeruch?
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Sanjani am 09. März 2018, 16:12:02
@Churke:
Zitat von: Churke am 09. März 2018, 15:19:56
Man kann Musik so beschreiben, dass sie ein guter Musiker nachspielen kann. Die restlichen 99 % der Leser verstehen nur Bahnhof. Also arbeitet man mit hohem Abstraktionsgrad. Menuett, Walzer, Boogie, Disco. Aber ein Leser, der nie ein Menuett gehört hat, kann mit der Information nichts anfangen.

Vielleicht habe ich dich jetzt missverstanden, aber dem stimme ich nicht zu. Gerade Musik kann man ganz wunderbar beschreiben. Habe ich selbst schon gemacht. Musik so zu beschreiben, dass ein Musiker sie spielen kann, das halte ich für ein Gerücht. Man kann sie in ihrer Art und Intensität beschreiben, aber was dann am Ende jeder im Kopf hat, wenn er die Beschreibung liest, ist völlig unklar - und das ist m. E. ja auch das Schöne daran. Wörter wie Menuett oder Rondo würde ich bei der Beschreibung von Musik, glaube ich, gar nicht verwenden, eben weil die meisten Leute nicht genau wissen, was das ist. Und ich finde auch ehrlich gesagt, dass die Art des Musikstücks überhaupt nichts über das Stück aussagt. Ein Rondo kann genauso interessant oder langweilig sein wie eine Improvisation. Musik nimmt man m. E. mit vielen Sinnen wahr, mit dem Gehör in erster Linie, aber auch mit dem Körpersinn, z. B. wenn man den Trommelschlag in der Magengrube spürt. Und man stellt sich vielleicht auch Dinge vor. Oder man wird emotional etc. etc. Hach, ihr seht, ich finde es ganz toll, Musik zu beschreiben oder selbst Beschreibungen über Musik zu lesen :)

Allerdings fällt mir gerade auf, dass es im visuellen schon auch oft so ist, dass da viele Wörter stehen, mit denen ich gar nichts anfangen kann, beginnend bei den Farben und endend bei den Formen oder der Art, wie Farben ineinander fließen oder so. Ich glaube, mir gefällt daran insbesondere die Ästhetik der Worte. Also anhand der Schönheit der Beschreibung stelle ich mir vor, dass das Beschriebene ganz toll sein muss. Ich kann es gerade nicht besser erklären.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Mönchen am 10. März 2018, 16:13:38
Wie beschreibt ihr denn Musik?

Zitat von: Sanjani am 09. März 2018, 16:12:02

z. B. wenn man den Trommelschlag in der Magengrube spürt. Und man stellt sich vielleicht auch Dinge vor. Oder man wird emotional etc. etc. Hach, ihr seht, ich finde es ganz toll, Musik zu beschreiben oder selbst Beschreibungen über Musik zu lesen :)


Ein gutes Beispiel! Auch, dass Musik mehrere Sinne anspricht.


Und wie beschreibt ihr den guten Geruch einer Person, wie das Aftershave, dass er vllt trägt?

Das würde mich sehr interessieren, da ich es nicht kann.
Ich bin der visuelle Typ. Geräusche krieg ich auch noch hin und wie sich etwas anfühlt, kann ich auch beschreiben.
Aber Düfte (gerade der gute Geruch von anderen Menschen) und Musik empfinde ich als schwierig.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Aphelion am 10. März 2018, 17:32:42
Ich neige zu blumigen Beschreibungen. Bei der Mondscheinsonate von Beethoven würde ich z.B. die Wellenbewegungen und das sehnend-melancholische Ziehen der Melodie beschreiben. Musik "erzählt" oft etwas. Wenn ich ein reales oder fiktives Musikstück beschreibe, fühle ich mich hinein und versuche das zu beschreiben, was die Musik transportiert - und vor allem, wie die Reize auf eine bestimmte Figur in einer bestimmten Situation wirken.

In einer Kurzgeschichte, deren Namen ich vergessen habe, himmelt die Protagonistin in Feierlaune zuerst den Klarinettenspieler einer Jazzband an und findet das Saxophon schrecklich. Später geht es ihr schlechter und auf einmal findet sie einen Zugang zu den traurig quakenden Saxophonklängen.

Wie bei visuellen Reizen lassen sich aber auch objektivere Beschreibungen einsetzen: Lautstärke, Rhythmus, Tempo, Klangfarbe, Tonart, Tonhöhe, Ausdruck etc.

Wenn sich jemand unter einem Menuett nichts vorstellen kann, muss es eben beschrieben werden - genauso, wie Gegenstände oder Architekturtypen manchmal beschrieben werden müssen, weil nicht jeder mit den Begriffen etwas anfangen kann. Wie bei anderen Sinnen kommt es aber auch darauf an, ob es überhaupt wichtig ist, dass es sich um ein Menuett handelt. In einem historischen Roman mit einem passenden Setting sollte der Begriff schon auftauchen; wenn die große Schwester genervt ist, weil ihr kleiner Bruder zum zehnten Mal denselben Teil dieses dämlichen Dudidu-Hoppsassa-Stücks am Klavier versemmelt, kommt es auf den korrekten Namen nicht an.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Churke am 10. März 2018, 18:35:19
Zitat von: Sanjani am 09. März 2018, 16:12:02
Musik so zu beschreiben, dass ein Musiker sie spielen kann, das halte ich für ein Gerücht.
Ich denke, du unterschätzt die Musiktheorie. Tonart, Tempo, Thema, Vortrag (legato, adagio, alla turca...) Stimmen, Begleitung, Rhythmus, Komposition... Für Otto Normalverbraucher halt reines Chinesisch.  ::)

ZitatUnd ich finde auch ehrlich gesagt, dass die Art des Musikstücks überhaupt nichts über das Stück aussagt.
Bei einem Menuett kennst du auf jeden Fall das Tempo. Außerdem ist es wahrscheinlich mehrstimmig und etwas pompös
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Fledermaus am 10. März 2018, 20:47:12
Hm, spannend, ich bin jetzt echt ins Grübeln geraten! Da könnte wirklich etwas dran sein :hmmm:
Bei mir ist es so, dass ich mir persönlich richtig schwer tue, mir etwas bildlich vorzustellen. Dieses "innere mentale Bild" habe ich nur in Ausnahmefällen und mit einiger Anstrengung, und wenn dann auch nur sehr bruchstückhaft. Es ist aber echt schwer zu erklären.

Als Beispiel: Wenn ich mir angenommen meine Mutter vorstellen will, kommt da kein Bild vor meinem inneren Auge, sondern eher Begriffe/Wörter, die sie beschreiben. Also ihre Haarfarbe, Augenfarbe, Haltung, etc ... Aber auf jeden Fall kein "Bild" wie bei einem Foto. Anderes Beispiel: Wenn jemand "Spielplatz" sagt, "baue" ich mir nicht im Kopf das Bild eines Spielplatzes, sondern denke automatisch an diesen einen bestimmten Spielplatz, auf dem ich als Kind immer war. Und dazu kommen dann Begriffe, wie "rote Rutsche, Schaukel aus Autoreifen, kleine, bunte Hütte ..." Und so sehr ich es auch versuche, ich kann mental nicht das Bild irgendeines Spielplatzes aufbauen. Kennt das vielleicht noch jemand? :o Ich habe sogar schon gemutmaßt, dass ich vielleicht Aphantasie habe, also ein fehlendes bildliches Vorstellungsvermögen (das Phänomen ist aber nicht wirklich wissenschaftlich erforscht, soweit ich weiß).

Oder ich bin einfach nicht wirklich ein visueller Typ. Beim Lernen ist das ähnlich, ich muss beim Lernen den Stoff immer handschriftlich selbst zusammenfassen, um ihn mir zu merken. Also vielleicht bin ich eher ein haptischer Typ? :hmmm: Dafür würde auch sprechen, dass ich bildhauerisch alles besser darstellen kann als gemalt/gezeichnet. Und aus dem Kopf etwas zeichnen funktioniert kaum (obwohl ich Kunst studiert habe ;D). Ich brauche immer eine Vorlage.

Aber: Wenn ich etwa ein Buch in meinem Regal suche, mich aber nicht an Titel oder Autor erinnere, finde ich es über das Cover, weil das z.B. blau/weiß war oder so etwas. Allerdings entsteht auch da kein Bild vor meinem inneren Auge, sondern ich erinnere mich eben an die Begriffe "blau, weiße, verschnörkselte Schrift", etc. Oder wenn ich bei einer Prüfung sitze und mir ein Begriff nicht einfällt, erinnere ich mich oft trotzdem daran, dass er im Skriptum auf Seite 50 links unten steht. Trotzdem taucht dann kein Bild des Skriptums vor meinem inneren Auge auf, sondern eben nur die Begriffe "Seite 50, weißes Papier, schwarze Schrift, links unten, fett gedruckt, rot unterstrichen", etc.

Vielleicht also ein haptisch/begrifflicher Typ oder so etwas? :hmmm: (Das mit dem "begrifflich " ist natürlich kein Lerntyp, beschreibt aber gut, was ich meine.)

Aber jedenfalls, die Parallele zu den Texten: Ein Betaleser hat sich mal beschwert, dass er sich meine Szenen und Charaktere kaum bildlich vorstellen kann. Und ja, da ist schon etwas dran. Schließlich habe ich beim Schreiben auch nicht wirklich ein Bild im Kopf. Ich bediene mich immer aus einer Art "Werkzeugkasten" in meinen Erinnerungen. Wenn also z.B. ein Charakter in einem Einfamilienhaus der oberen Mittelschicht wohnt, entsteht bei mir zwangsläufig im Kopf die Beschreibung eines ganz bestimmten Hauses, nämlich das der Mutter eines Freundes. Und ich kann es auch nicht wirklich visuell beschreiben, als ob ich gerade selbst drinstehen würde, sondern eben nur mit Begriffen. "Zweistöckig, viele Glasfronten, weißes Sofa, steht in einer Kleingartensiedlung ..."
Aber ein auditorischer Lerntyp (wegen den Begriffen) bin ich eigentlich überhaupt nicht :hmmm:

Ja, und wenn dann eben Orte beschrieben werden müssen, an die ich keine Erinnerungen habe, weil sie in anderen Welten sind und bei uns so gar nicht existieren können, wird es schwer. Ich kann mir dann natürlich behelfen, indem ich irgendetwas zusammenschustere, aber es ist halt echt blöd, wenn man sich selbst nicht wirklich visuell mitten reinfühlen kann. Deshalb versuche ich meist, das alles eher vage zu halten. Und deshalb mag ich auch Beschreibungen von Gerüchen, Geräuschen, Gefühlen (innere Monologe!) und so weiter viel lieber.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Minna am 10. März 2018, 21:07:18
@Fledermaus:

ZitatBei mir ist es so, dass ich mir persönlich richtig schwer tue, mir etwas bildlich vorzustellen. Dieses "innere mentale Bild" habe ich nur in Ausnahmefällen und mit einiger Anstrengung, und wenn dann auch nur sehr bruchstückhaft.
Das ist bei mir hunderprotzentig genauso. Ich träume auch nicht in Bildern, sondern eher so als würde ich mir selbst eine Geschichte erzählen. Entsprechend schwer fällt mir dass dann immer mit den visuellen Beschreibungen in der Geschichte.

Was ich generell noch in die Diskussion mit einwerfen möchte: visuell, auditiv, kinästhetisch ect. sind auch nur Oberbegriffe. In allen Bereichen haben Menschen auch ein persönliches Wahrnehmungsprofil und nehmen manche Teilbereiche stärker wahr als andere. Zum Beispiel: Ich kann anhand des Geruches sagen, ob Brot schimmelig ist- der Rest meiner Familie isst es noch fröhlich weiter. (Bei genauerer Untersuchung habe ich aber immer recht). Außerdem nehme ich süßliche Gerüche, wie Blumen sehr deutlich wahr- mein Mann gar nicht. Dafür kann er mir an Hand des Raumgeruches sagen, wer sich vorher darin aufgehalten hat, während Menschen für mich gar keinen Eigengeruch haben. das selbe gilt für den Seh-, Tast-,Hör- und Geschmackssinn.

Und was die Lerntypen angeht, das ist auch nur eine Theorie von vielen, die es in tausend Variationen gibt- zum Beispiel gibt es manchmal noch den kommunikativen oder den Schreib/Lese Lerntyp. Also keine Panik, wenn du dich da nicht genau einsortieren kannst.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Fledermaus am 11. März 2018, 00:27:38
Zitat von: Minna am 10. März 2018, 21:07:18
@Fledermaus:

ZitatBei mir ist es so, dass ich mir persönlich richtig schwer tue, mir etwas bildlich vorzustellen. Dieses "innere mentale Bild" habe ich nur in Ausnahmefällen und mit einiger Anstrengung, und wenn dann auch nur sehr bruchstückhaft.
Das ist bei mir hunderprotzentig genauso. Ich träume auch nicht in Bildern, sondern eher so als würde ich mir selbst eine Geschichte erzählen. Entsprechend schwer fällt mir dass dann immer mit den visuellen Beschreibungen in der Geschichte.

Was ich generell noch in die Diskussion mit einwerfen möchte: visuell, auditiv, kinästhetisch ect. sind auch nur Oberbegriffe. In allen Bereichen haben Menschen auch ein persönliches Wahrnehmungsprofil und nehmen manche Teilbereiche stärker wahr als andere. Zum Beispiel: Ich kann anhand des Geruches sagen, ob Brot schimmelig ist- der Rest meiner Familie isst es noch fröhlich weiter. (Bei genauerer Untersuchung habe ich aber immer recht). Außerdem nehme ich süßliche Gerüche, wie Blumen sehr deutlich wahr- mein Mann gar nicht. Dafür kann er mir an Hand des Raumgeruches sagen, wer sich vorher darin aufgehalten hat, während Menschen für mich gar keinen Eigengeruch haben. das selbe gilt für den Seh-, Tast-,Hör- und Geschmackssinn.

Und was die Lerntypen angeht, das ist auch nur eine Theorie von vielen, die es in tausend Variationen gibt- zum Beispiel gibt es manchmal noch den kommunikativen oder den Schreib/Lese Lerntyp. Also keine Panik, wenn du dich da nicht genau einsortieren kannst.

Ich freue mich jedenfalls, jemanden zu finden, der das ähnlich empfindet! :) Mit den Teilbereichen und den Variationen hast du natürlich völlig recht. Das kann man wohl einfach nicht so in klare Schubladen stecken, weil es von Mensch zu Mensch völlig unterschiedlich ist.
Aber interessant, dass du auch Träume aufgegriffen hast. Oft träume ich z.B. von einem Menschen, und obwohl der Mensch im Traum völlig anders aussieht, weiß ich trotzdem, dass es dieser Mensch war. Sehr seltsam :hmmm: Und auch sehr interessant. Das hat mich wie gesagt wirklich alles sehr zum Nachdenken gebracht.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
@Fledermaus , das finde ich sehr interessant! Ich wurde mal von meinem Dozenten für irgendwas mit "American Literature" zusammengestaucht. Wir lasen Colson Whiteheads "Zone One" und er wollte wissen, wie wir uns den Prota vorgestellt haben, bevor
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Ich habe mir einen Rüffel dafür eingefangen, dass ich offen und ehrlich gesagt habe, dass mangels auch nur angedeuteter Beschreibung des Protagonisten er für mich gar kein Gesicht hatte. Da war einfach ein graues Männchen und das Gesicht verschwommen in meinem Kopfkino. Das ist zwar nicht ganz so extrem wie bei dir, aber eben doch so, dass ich Schwierigkeiten damit habe. Auch bei meinen eigenen Charakteren trainiere ich mühsam, um sie als Menschen/menschähnlich aussehende Wesen zu visualisieren und nicht z.B. als Trickfilmfiguren.
Der Grund?
Ich bin gesichtsblind. Für mich sind Gesichter in meiner eigenen Wahrnehmung einfach nicht sonderlich präsent und ich erkenne Leute an anderen Dingen wieder. Meist auf unbewusster Ebene. Gang, Geräusch ihrer Schritte, sowas.
Wenn ich also mal Leute beschreibe, dann meist:
- Augenfarbe (die fällt mir immer auf)
- Haarfarbe (das ist das drumrum)
- eventuell besondere Merkmale wie Narben oder Sommersprossen o.ä.
- aber ob die jetzt eine ovale Gesichtsform haben, eine runde oder sonst was für eine ... weiß ich meist selbst nicht

Das Gleiche gilt übrigens für Gefühle. Die meiste Zeit fühle ich mich, wenn man von körperlichen Empfindungen (warm, kalt, Hunger) absieht, mehr oder weniger neutral. Außer, ich werde von einer starken Emotion überrollt (wenn ich mitfühle, dann so empathisch, dass ich weine oder körperliche Schmerzen fühle. Wenn ich traurig bin, dann bis zum Weinkrampf, aber ich kann eben nicht ein bisschen traurig oder ein bisschen fröhlich/ein bisschen mitfühlend sein) Also werde ich auch eher keine Charaktere mit permanenter Gefühlskulisse schreiben - oder aber sie durch ein so heftiges und dramatisches Wechselbad der Gefühle schicken, bis es bei mir als Autorin wehtut. Dann weiß ich, dass ich auf einem guten Weg bin. Solange ich mich im Umkehrschluss nicht ausschalte beim Schreiben, weil ich mich zu gut in Kopfschmerzen hineinversetze oder so.

Schreiben mit anderen Sinnen kann man aber üben, zumindest versuche ich es so, indem man systematisch mal versucht, einen Sinn auszuknipsen und zu schauen, was dann mit dem Rest passiert. Eine meiner Romanfiguren kann als Mensch nur grob unterscheiden, ob es um sie herum hell oder dunkel ist. Also bin ich, wenn ich in ihrem Kopf stecke, darauf angewiesen, taktile Wahrnehmungen, Geräusche und Gerüche zu schreiben.
Dann starre ich nicht auf den Bildschirm, sondern auf die weiße Wand und tippe blind. Das hilft, mich reinzufühlen.

Aber es ist grundsätzlich nicht einfach, aus bestimmten Mustern auszubrechen.
Ich hatte mal eine Unterhaltung mit einer Kollegin, die überhaupt nicht verstanden hat, warum manche Autor*innen oft mit Träumen arbeiten - sie fände es total unrealistisch, so träumt doch niemand.
Wie es sich herausgestellt hat: Sie träumt nicht so.
Ich dagegen schon. Also baue ich auch gelegentlich Träume, so wie ich sie erfahre, in meine Romane ein. Wer aber selbst kaum träumt, wird auch die Romanfiguren kaum oder gar nicht träumen lassen.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Ixys am 11. März 2018, 20:25:27
@ Mönchen: Wenn ich Musik (oder auch Gerüche) beschreibe, verknüpfe ich das ganz häufig (oft auch synästhetisch) mit anderen körperlichen Wahrnehmungen oder Erinnerungen. Zum Beispiel löst der Geruch nach Staub eine Kindheitserinnerung aus, die mit einem bestimmten Gefühl verbunden ist. Oder Ich vergleiche einen Klang mit einer haptischen Wahrnehmung (sanfte Klaviermusik, die sich anfühlt, als würden dir Blütenblätter über die Wange streichen/ Ein Bassrhythmus, der sich anfühlt wie ein Erdbeben...)

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
Auch bei meinen eigenen Charakteren trainiere ich mühsam, um sie als Menschen/menschähnlich aussehende Wesen zu visualisieren und nicht z.B. als Trickfilmfiguren.
@Evanesca Feuerblut : Das finde ich spannend, wenn ich lese, sehe ich zwar Bilder, aber in meiner Vorstellung ist alles immer so ein bisschen Comicartig. Wenn ich zeichne, sieht alles auch immer ein bisschen nach Comic aus. Ich kann auch immer überhaupt nicht verstehen, wenn manche Leute beim Lesen sagen "Der Charakter sieht für mich aus wie dieser und jener Schauspieler". Schon lustig, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung funktioniert.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Topaz am 11. März 2018, 22:47:24
Danke euch allen für eure Meinungen. Das sich aus einem Text herauslesen lässt, welcher Sinnestyp der Autor ist, dass werde ich doch gleich mal beim Lesen von meinem nächsten Buch nachprüfen.

Ich finde Düfte und Geschmack für mich am schwierigsten zu schreiben.
Am häufigsten schreibe ich "sieht, entdeckt, erkennt, schaut genau hin". Das mache ich auch mit meinen Kindern "schau mal". Seit mir das ein Autor mal gesagt hat, dass ich doch mit allen Sinnen schreiben soll, achte ich darauf. Und seither sage ich auch zu meinen Kindern bewusst "hör mal, da wird gebaggert" statt "schau ein Bagger, der baggert". Oder "riech mal, die Krokusse" statt "schau mal Krokusse". Das ist eine ganz schöne Umstellung aber es eröffnet auch im Alltag neue Erlebniswelten. Diese Alltagsübung macht es mir inzwischen (manchmal) leichter in meinen Texten mehr Sinne in die Beschreibungen mit einzubeziehen.

Was mir beim Durchlesen des Threads aufgefallen ist: Das Parfüm von Patrick Süskind ist ein Buch in dem es von vorne bis hinten um Düfte und Geruch geht. Das musste ich mal in der Schule lesen und jetzt habe ich es nochmal auf meine Leseliste zum Analysieren gesetzt. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen hier für Düfte und Gerüche weiter.

Über diesen Blogartikel zum Beschreiben von Düften (http://nicholasrossis.me/2018/02/21/the-challenge-of-describing-scents-in-your-writing/) bin ich heute gestolpert. Was sich nicht alles findet, wenn man plötzlich danach schaut.
Quintessenz war: Statt zu versuchen den Geruch von Schweiß zu beschreiben, soll man doch lieber schreiben, "er roch verschwitzt vom Rennen". Damit könnten die meisten Leser mehr anfangen als mit einer olfaktorisch detaillierten Beschreibung des Schweisgeruches.
Ich werde es ausprobieren.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Fledermaus am 12. März 2018, 15:22:10
@Evanesca Feuerblut huh, spannend! Dein Beispiel könnte von mir sein. Das mit den Gefühlen kenne ich nicht, finde es aber auch sehr interessant. Ich habe noch nie so richtig darüber nachgedacht - deswegen ist dieser Thread ein toller Gedankenanstoß, wie man unterschiedliche Charaktere auch unterschiedlich "wahrnehmen" lassen kann.

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
Schreiben mit anderen Sinnen kann man aber üben, zumindest versuche ich es so, indem man systematisch mal versucht, einen Sinn auszuknipsen und zu schauen, was dann mit dem Rest passiert. Eine meiner Romanfiguren kann als Mensch nur grob unterscheiden, ob es um sie herum hell oder dunkel ist. Also bin ich, wenn ich in ihrem Kopf stecke, darauf angewiesen, taktile Wahrnehmungen, Geräusche und Gerüche zu schreiben.
Dann starre ich nicht auf den Bildschirm, sondern auf die weiße Wand und tippe blind. Das hilft, mich reinzufühlen.
Ich habe schon mal versucht, aus der Perspektive eines blinden Charakters zu schreiben, und mich dafür eben auch hauptsächlich auf Geräusche, Tastsinn und Gerüche konzentriert. Ob es mir wirklich nachvollziehbar gelungen ist, weiß ich nicht, aber das Schreiben fiel mir eigentlich erstaunlich leicht ... Eventuell deshalb, weil ich eben selbst nicht wirklich in Bildern denke. Vielleicht sollte ich mal probieren, lieber andere Sinne "auszuschalten", um das mit der visuellen Wahrnehmung besser hinzukriegen :hmmm: Jedenfalls ein cooler Tipp, danke!
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Mönchen am 12. März 2018, 20:39:45
Also ich finde das auch total interessant!

Zitat von: Ixys am 11. März 2018, 20:25:27
@ Mönchen: Wenn ich Musik (oder auch Gerüche) beschreibe, verknüpfe ich das ganz häufig (oft auch synästhetisch) mit anderen körperlichen Wahrnehmungen oder Erinnerungen. Zum Beispiel löst der Geruch nach Staub eine Kindheitserinnerung aus, die mit einem bestimmten Gefühl verbunden ist. Oder Ich vergleiche einen Klang mit einer haptischen Wahrnehmung (sanfte Klaviermusik, die sich anfühlt, als würden dir Blütenblätter über die Wange streichen/ Ein Bassrhythmus, der sich anfühlt wie ein Erdbeben...)

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
Auch bei meinen eigenen Charakteren trainiere ich mühsam, um sie als Menschen/menschähnlich aussehende Wesen zu visualisieren und nicht z.B. als Trickfilmfiguren.
@Evanesca Feuerblut : Das finde ich spannend, wenn ich lese, sehe ich zwar Bilder, aber in meiner Vorstellung ist alles immer so ein bisschen Comicartig. Wenn ich zeichne, sieht alles auch immer ein bisschen nach Comic aus. Ich kann auch immer überhaupt nicht verstehen, wenn manche Leute beim Lesen sagen "Der Charakter sieht für mich aus wie dieser und jener Schauspieler". Schon lustig, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung funktioniert.

Ja, dass ein Geruch Gefühle, oder Erinnerungen auslösen kann, ist bei mir auch so.
Aber auch ein Geschmack kann das, wie mein Beispiel mit den Zimtsternen, die nach Weihnachten schmecken und das wohlige Gefühl von zu Hause in mir erwecken.

Musik kann ich überhaupt nur anhand körperlicher Reaktionen beschreiben. Wie den Bass, den man spürt, oder die Gänsehaut, die diese auslöst, oder eben die Gefühle und Erinnerungen.

Ich habe dagegen beim lesen sofort ein Bild von einer Person vor Augen.
Dabei habe ich dann oft das Problem, wenn das Buch dann z.B. verfilmt wird, dass ich da total enttäuscht sitze und denke: WAAAAS? Der sieht doch ganz anders aus!!  :no:


Zitat von: Topaz am 11. März 2018, 22:47:24
Was mir beim Durchlesen des Threads aufgefallen ist: Das Parfüm von Patrick Süskind ist ein Buch in dem es von vorne bis hinten um Düfte und Geruch geht. Das musste ich mal in der Schule lesen und jetzt habe ich es nochmal auf meine Leseliste zum Analysieren gesetzt. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen hier für Düfte und Gerüche weiter.

Über diesen Blogartikel zum Beschreiben von Düften (http://nicholasrossis.me/2018/02/21/the-challenge-of-describing-scents-in-your-writing/) bin ich heute gestolpert. Was sich nicht alles findet, wenn man plötzlich danach schaut.
Quintessenz war: Statt zu versuchen den Geruch von Schweiß zu beschreiben, soll man doch lieber schreiben, "er roch verschwitzt vom Rennen". Damit könnten die meisten Leser mehr anfangen als mit einer olfaktorisch detaillierten Beschreibung des Schweisgeruches.
Ich werde es ausprobieren.

Danke für den Link und den Tipp. Das Buch "Das Parfüm" habe ich auch. Werd ich auf jeden Fall nochmal rein schauen. 
Wobei ich bei der Aufschlüsselung der verschiedenen Bestandteile eines Duftes dann auch wieder raus bin.

Den Geruch von Schweiß würde ich auch nie näher beschreiben (wollen) *Iiiihhhhh*
Höchstens auch, dass jemand eine Wolke seines Schweißgeruchs umgibt, oder eine Fahne seines Schweißgeruchs hinter sich her zieht, oder so.
Da würde ich vielleicht noch Adjektive benutzen, wie der scharfe, sauere, oder alte Geruch von Schweiß.
Mehr möchte ich von Schweiß nicht lesen, oder schreiben. 

Da finde ich, muss man auch nicht weiter beschreiben.
Wie z.B. auch nicht bei Mundgeruch, einer Alkoholfahne, oder Zigarettengeruch.
Aber auch nicht bei angenehmen Gerüchen. Wie der Geruch nach einem Sommerregen, frisch gemähtes Gras etc, da muss für mich nichts näher beschrieben werden.

Ich meinte eher den positiven Geruch eines Love Interests.
Da habe ich so meine Probleme. Sowohl beim lesen, als auch beim schreiben.

Zitat von: Ixys am 09. März 2018, 15:18:41
ich bin super sensibel für Gerüche, wenn es darum geht wie Personen riechen. Sei es Parfüm, Shampoo, Aftershave, ein bestimmtes Waschmittel, oder die Lederjacke, die jemand ständig trägt, die meisten Menschen, die ich näher kenne, würde ich am Geruch wiedererkennen. Sowas baue ich manchmal auch ganz gerne in meine Texte ein.
Wenn es aber um Gerüche in der Umgebung geht blende ich die wohl ganz häufig aus, beziehungsweise nehme zum Beispiel Essensgerüche nur dann bewusst wahr, wenn ich gerade hungrig bin.

Bei Frauendüften geht es noch. Egal ob Parfüm, Shampoo, Deo, Bodylotion etc.
Da fällt mir noch einiges ein wie blumig, oder fruchtig. Der Duft nach Vanille, oder Kokos etc

Bei Männerdüften dagegen: gähnende Leere.
Herb. Das einzige Wort, dass mir da noch einfällt.
Den Duft der Lederjacke finde ich ein super Beispiel. Auch das Waschmittel.
Und der Eigengeruch, der dabei noch mit einspielt, ergibt dann eben den einzigartigen Geruch.

Es gibt z.B. ein Männerparfüm, dass rieche ich meterweit gegen den Wind, weil ich so darauf abfahre. Das riecht für mich auch an jedem Mann gleich (gut!)
Beschreiben könnte ich den nicht, höchstens die Reaktion darauf.

Ich habe mal irgendwo gelesen: ein gutes Parfüm ist wie ein Orgasmus für die Nase  :vibes:
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Sanjani am 12. März 2018, 20:54:10
@Churke: Wenn ich Menuett höre, denke ich an die zweistimmigen Bach-Menuette, die ich als Klavieranfängerin gespielt habe. Von vielstimmig und pompös ist das meilenweit entfernt :)

@Fledermaus: Ich freue mich gerade zu hören, dass das kein Phänomen ist, das nur Menschen trifft, die nicht sehen können. Ich hab mich jedenfalls in deiner Beschreibung der Dinge sofort wiedergefunden. Mir ist es mal in einer Prüfung so gegangen, dass ich genau wusste, wo die Antwort im Skript steht, aber die Antwort selbst fiel mir nicht mehr ein. Mit Orten, an denen ich noch nicht war, geht es mir genauso wie dir. Aktuell bastle ich ziemlich erfolglos an dem Labor herum, das ich in einer Geschichte zu einem Standort erklärt habe. Bei mir geht das manchmal über Träume, aber ich kann es nicht willentlich herbeiführen. Ich mache es dann auch oft so wie du und benutze einen Werkzeugkasten :) Auch an Episoden aus meinem Leben erinnere ich mich übrigens genauso, auch nicht haptisch oder auditiv, sondern meist rein kognitiv. Erst wenn ich länger darüber nachdenke oder mit jemand ins Gespräch komme, kann ich mich auch emotional wieder erinnern.
Titel: Re: Unsere Wahrnehmung und unsere Texte
Beitrag von: Tigermöhre am 04. April 2018, 15:14:42
Ich bin auch kein visueller Typ und habe wenig innere Bilder. Ich bin dadurch auch immer sehr fasziniert, wenn hier andere Bilder von ihren Protas posten. Ich habe keine Ahnung, wie meine Protas aussehen. ;) Beim Schreiben neige ich darum auch zu sprechenden Köpfen und muss sehr bewusst an Umgebungsbeschreibungen denken. Mir selber ist es eben nicht wichtig, wie der Raum aussieht.

Ich bin dafür der auditive und olfaktorische Typ. Z. B. finde ich es extrem anstrengend, Filme anzukucken. Meistens sitze ich daneben, höre zu und mache etwas nebenbei. Manchmal weiß ich den ganzen Film über nicht, wie die Charaktere aussehen, weil ich keinmal hinkucke. :rofl:
Gerüche nehme ich meistens sehr genau wahr. Ich kann z. B. sämtliche Menschen in meiner näheren Umgebung am Geruch erkennen, rieche schon zwei Tage vorher, wenn meine Kinder krank werden etc. (Interessanterweise stören mich die meisten natürlichen Gerüche überhaupt nicht. Verschwitzte Menschen in der Bahn? überhaupt kein Problem. Aber die Dekoabteilung bei Ikea ist die Hölle für mich.)
Ich muss nur aufpassen, wieviele Gerüche ich in eine Geschichte reinbringe. Als ich mich mal an eine Romance gewagt hatte, kommentierte das eine Freundin, dass der LI ja ziemlich stinkt. :rofl: