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Überarbeitung - wie viel fällt wann weg?

Begonnen von Christopher, 04. Januar 2018, 19:34:22

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Christopher

So, ich hatte mit @Lothen ein kleines Gespräch zum Thema Überarbeitungen und da stellten sich mir ein paar Fragen. Fragen, deren Antworten für alle interessant sind und die sicherlich besser beantwortet werden, wenn ich sie an alle stelle.

Also:
Wie sehr verändert sich euer Text, insbesondere in Bezug auf die Gesamtlänge, während der verschiedenen Schritte der Überarbeitung?

Also z.B. bei:
- Feinschliff am Text (Adjektive streichen, Beschreibungen hinzufügen, Sätze umbauen etc.)
- Plot überarbeiten (Szenen hinzufügen/streichen)
- nach Betaleserrückmeldung
- nach Lektorat
- etc.

Haben einige von euch evtl. darauf geachtet, wie sehr sich die Wortzahlen ändern? Mit was kann man rechnen, wenn man sein "Ende" geschrieben hat und bis dahin 100k Wörter benötigt hat? Definitiv wichtig, wenn man abschätzen möchte, wie groß das Gesamtprojekt am Ende wird.

Natürlich ist mir klar, dass die Zahlen schwanken werden - jeder arbeitet anders und ab einem gewissen Punkt streicht man denke ich z.B. weniger Szenen weil man gelernt hat besser zu planen. Aber trotzdem wären die Erfahrungswerte sicherlich für den einen oder andere hilfreich und sei es nur als grober Richtwert.


PS: Ich habe schon einen ähnlichen Thread zu dem Thema gefunden, allerdings ist der aus 2010 - da ist doch sicherlich ein mehr an Erfahrung seitdem dazugekommen.
Be brave, dont tryhard.

Maubel

Also bei mir wächst der Text in der inhaltlichen Überarbeitung trotz Streichen meist. Es sei denn ... es kommt ein Wortlimit. Dann kann ich einen Text auch gnadenlos kürzen. Das ist bei mir aber erst einmal nötig gewesen. Was nicht heißen soll, dass ich nicht gerne streiche. Tue ich, aber noch mehr baue ich andere Szenen aus, schreibe etwas detaillierter und füge auch mal die ein oder andere Szene zu. Zahlen kann ich dir aber nicht nennen. Das ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich.

BiancaS

Ich denke, da kommt es auch ganz auf deinen Stil drauf an. Eine Freundin von mir schreibt sehr "volle" Rohfassungen mit vielen doppelten Beschreibungen, Wiederholungen, die ihr beim Schreiben nicht auffallen etc., wieder andere (da gehörte ich früher zu) haben quasi noch gar keine Beschreibungen in ihren Rohfassungen und fügen das alles hinterher ein.

Konkret zu den Zahlen:
Rohfassung eines Jugendbuchprojektes vorher: 53.725 Wörter
nachher: 54.548 Wörter

Romantasy-Roman vorher: 83.873 Wörter
nachher: 87.333 Wörter

In beiden Fällen war es so, dass ich durchaus ganze Szenen gestrichen habe, dafür aber andere hinzugefügt. Teils Wiederholungen gestrichen und dafür andere Beschreibungen eingebaut habe. Bei mir läuft es am Ende immer irgendwie auf +/- 0 hinaus. Manchmal bisschen mehr, manchmal bisschen weniger, aber im Grunde kein so großer Unterschied in den Wortzahlen, dass es wirklich auffallen würde. Noch vor einiger Zeit war das anders.
Das ist bei mir auch mit Lektorat so. Es kommen irgendwo Dinge weg, dafür werden sie woanders ausgebaut.

Wie eingangs erwähnt, denke ich, dass man selbst wissen muss, wie man seine Rohfassungen schreibt, wenn man abschätzen will, wie viel bei der Bearbeitung noch dazu oder weg kommt. Wenn ich weiß, dass ich oft Wiederholungen schreibe, weiß ich, dass am Ende etwas weg kommt. Wenn ich weiß, dass ich immer nur karg beschreibe, dann kommt am Ende wohl noch was dazu. Im Endeffekt sind das mMn einfach Erfahrungswerte, die man sammelt, wenn man sich sein Schreiben etwas genauer ansieht und darauf achtet, wie man die Rohfassung schreibt.

Evanesca Feuerblut

Es gibt zwei Sorten Autor*innen - die Overwriter, die viel kürzen müssen und die Underwriter, die im ersten Durchgang nur das Grundgerüst schreiben und beim Überarbeiten oft ganze Nebenstränge, so gut wie ALLE Beschreibungen und Landschaftspanoramas, Gefühlsdioramen etc. einfügen.
Ich gehöre zu genau der Sorte und ich logge es aus Neugier durchaus, wie sich ein Text während diverser Zwischenschritte verändert, was die Quantität angeht. Erfahrungsgemäß:
- Rohfassung zu erster Überarbeitung: +50% der ursprünglichen Textmenge
- jede weitere Überarbeitung: +-5-10% der Textmenge der jeweils vorigen Überarbeitung (Inhalt)
- Sprachlich: +-0

Shedzyala

Ich glaube, das ist etwas ganz Individuelles. Ich schreibe zB auch roh sehr langsam, achte viel darauf, dass mir die Sätze vom Klang her gefallen und überprüfe auch immer wieder Infos aus früheren Kapiteln, obwohl ich noch im First Draft bin. Deshalb fällt bei mir am Schluss nicht mehr als 10-15% weg, ich brauche dafür aber auch locker so lange, wie andere für die Rohfassung plus die ersten Überarbeitungen. Aber wenn ich mit einem Abschnitt nicht zufrieden bin, bin ich gehemmt, und muss ihn erst ausbessern, bevor ich weitermachen kann. Das gilt bei mir übrigens sowohl für Romane als auch Kurzgeschichten.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Lothen

Die Antwort hatte ich Christopher privat schon geschrieben, füge sie hier aber mal der Vollständigkeit halber dazu.

Bei mir ist bei "Opfermond" in der Überarbeitung eine Menge dazu gekommen. Die Urfassung hatte rund 88k, die überarbeitete Version, die ich beim Verlag eingereicht habe, hatte gut 105k, die fertige, lektorierte Version 115 k.

Bei "Unter einem Banner" hab ich eher gekürzt. Da hatte die Urfassung 110k, die überarbeitete Fassung 102k und die lektorierte 105k.

Ich gehöre auch zu den Leuten, die - wie @Shedzyala das beschrieben hat - schon beim Schreiben sehr viel mit überarbeiten und lasse keine Szenen stehen, die mir von grundauf nicht gefallen. Von daher überrascht es mich nicht, dass im Großen und Ganzen wenig wegfällt.

canis lupus niger

Ich glaube nicht, dass ich diese Fragen pauschal beantworten könnte. Sehr starke Veränderungen, die auch Kürzungen sein können, ergeben sich bei mir nach dem Austausch mit Betalesern (danke, Dämmerungshexe!!!) oder Lektoren. Aber gleichzeitig gelingt es mir auch, je länger ich mich mit dem Schreiben schon beschäftige, schon die Rohfassung ergebnisorientierter zu verfassen, so dass (aus meiner eigenen Sicht) inzwischen nicht mehr so große inhaltliche Veränderungen erforderlich werden.

Trippelschritt

Kurzgeschichten werden bei mir kürzer, weil ich da alles rausstreiche, was nicht auf das Ende hinströmt.
Romane legen in der Regel um ungefähr zehn Prozent zu, weil ich dazu tendiere, nicht präzise genug zu schreiben.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Arcor

Bei mir wird es am Anfang bei der Überarbeitung erst einmal länger, da ich viele kleine Ideen und Details hinzufüge, die für mich alles stimmiger und runder machen - keine Ahnung ob ein Leser das merkt oder nicht.  ;D
Im Anschluss, wenn es rein ums Sprachliche geht, wird es meistens wieder kürzer, weil ich dann Geschwafel wegstreiche. Unterm Strich wird es aber auch bei mir eher länger als kürzer.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Tintenteufel

So prinzipiell kommt bei mir zwischen Rohfassung und Endzustand etwa die Hälfte der Rohfassung oben drauf. Je nachdem, wie "roh" die Rohfassung tatsächlich ist, auch mal mehr oder weniger.
Ich kann kürzen, mache ich auch, aber in der Regel füge ich noch mehr Plotdetails hinzu, anstatt welche weg zu lassen. Sprachlich wird verfeinert, szenisch wird dagegen ausgebaut.
Wie Evanesca schon meinte, kommen dann eben noch innere Monologe, Beschreibungen von Räumlichkeiten und solche Dinge hinzu, die ich in der ersten Fassung meist weglasse.
Einerseits, weil ich die nicht immer präsent habe und das für mich auch mehr Dekoration ist. Andererseits, weil ich da ab und an ganz gern nach Sachen recherchiere und solche Details dann eben erst später einfügen kann, wenn ich absolut hunderprozentig weiß, wo genau sich das jetzt befindet, wie es dort aussieht usw. usf.

Christopher

Dass das Ergebnis sich stark unterscheiden wird, ist mir klar. Es geht mir aber eben darum, die geschilderten Erfahrungswerte hier zu sammeln. Natürlich ist jeder anders - aber je nachdem wie man sich einschätzt/wie man sich kennt, kann man aus den hier angegebenen Werten doch wertvolle Erfahrungen beisteuern und besser abschätzen, wie kurz oder lang etwas werden wird.

Der höchste Zuwachs bisher ist also +50-xx% (allerdings ausgehend von der Rohfassung)
Der größte Wegfall hingegen 10-15%

Die meisten liegen irgendwo dazwischen.

Bisher wundern mich die Ergebnisse ehrlich gesagt. Die bisherige Grundstimmung die ich aus dem Forum gezogen habe war die, dass beim Lektorat eher gekürzt statt erweitert wird. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich.

Daher eben auch meine Frage nach dem Zuwachs/Wegfall bei den einzelnen Arbeitsschritten. Von Rohfassung zu Überarbeitung +50%, ok. Aber wie viel fällt davon dann noch bis zur Endfassung weg? Um mal ein Beispiel zu nehmen.
Be brave, dont tryhard.

Carolina

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 04. Januar 2018, 20:11:40
Es gibt zwei Sorten Autor*innen - die Overwriter, die viel kürzen müssen und die Underwriter, die im ersten Durchgang nur das Grundgerüst schreiben und beim Überarbeiten oft ganze Nebenstränge, so gut wie ALLE Beschreibungen und Landschaftspanoramas, Gefühlsdioramen etc. einfügen.
Ich gehöre zu genau der Sorte und ich logge es aus Neugier durchaus, wie sich ein Text während diverser Zwischenschritte verändert, was die Quantität angeht. Erfahrungsgemäß:
- Rohfassung zu erster Überarbeitung: +50% der ursprünglichen Textmenge
- jede weitere Überarbeitung: +-5-10% der Textmenge der jeweils vorigen Überarbeitung (Inhalt)
- Sprachlich: +-0

ich bin definitiv auch ein Underwriter. Beim aktuellen Manuskript habe ich 85000 Wörter geplant und nur 75000 geschrieben. Jetzt bin ich inklusive Beschreibungen und mehr "Leben" im Text bei 93000 gelandet.

Ich muss immer erst in einer halbwegs knappen Rohversion die Geschichte herausmeißeln, bevor ich die Details dazu ergänze. Am Anfang war es anders, da habe ich mich oft in kleine Sackgassen geschrieben und musste kürzen.

Alana

#12
Ich schreibe auch immer erst sehr skelettartig, bei der Überarbeitung und im Lektorat explodiert das Buch dann noch mal.

Das krasseste Beispiel dafür ist wohl Seelenmagie 3:
First Draft 325 Seiten
Second Draft 600 Seiten
Lektorat 800 Seiten
Endergebnis: 2 Bücher mit zusammen über 1000 Seiten  :rofl:

Meine Fantasygeschichten brauchen einfach Platz, auch wenn ich es oft erst nicht einsehen will.  ;D
Alhambrana

Christopher

@Alana :gähn:

Was kam denn nach dem Lektorat noch, dass das noch mal um über 200 Seiten anwuchs?
Be brave, dont tryhard.

Alana

#14
Ach, ich wollte einfach nicht einsehen, dass Figuren, Story und Plot keine Trilogie ergaben, sondern eben vier Bücher. Ich wollte es einfach fertig haben. Aber wenn man so perfektionistisch ist und eine Welt und ihre Figuren so liebt, geht es halt nicht. Ich hab einfach gemerkt, um der Geschichte gerecht zu werden, brauchte ich mehr Unterfütterung für die Twists, mehr Subplots für die Figurenentwicklung, mehr Sex für die Testleser *hust*@traumfängerin*hust*  ;D

Mit jedem weiteren Durchgang wurde mir immer mehr klar, wie viel eigentlich in der Geschichte wirklich drin steckt und dass ich auf keinen Fall das Potenzial ungenutzt lassen wollte. Und je mehr ich mich auch in die Subplots versenkt habe, umso mehr Spaß hat es gemacht, gerade diese tollen Feinheiten herauszuarbeiten. Aus der Reihe wurde im Laufe der Zeit und mit jeder Überarbeitung für mich einfach so viel mehr, als nur der Romantasy-Roman als der es irgendwann mal angefangen hat. Ich bin auch total glücklich, dass ich mir die Zeit genommen habe, obwohl es mir letztes Jahr mit den anderen Deadlines fast den Hals gebrochen hat, mir den vierten Band noch mal richtig vorzunehmen. Aber es hat sich echt gelohnt und ich habe auch gelernt, dass die Seitenzahl bei meinen Romanen meistens ein ziemlich guter Indikator dafür ist, ob das Buch schon gut ist oder nicht. Denn Geschichten, wie ich sie schreiben möchte, brauchen einfach Platz und wenn das Buch nur um die 300 Seiten hat, dann weiß ich, das einfach noch alles Wichtige fehlt, die Dramaturgie und das Built-up für die Twists nicht stimmen kann etc. Tja und so wurden aus 325 Normseiten ca. 1000 Normseiten, mit denen ich jetzt sehr glücklich bin.

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass die Tatsache, dass ich jetzt mit den Büchern so glücklich bin, vor allem auch @traumfängerin und @Malinche zu verdanken ist. Die haben mir dabei nämlich viel mehr geholfen, als das quasi nicht vorhandene Lektorat des Verlags.  :knuddel:
Alhambrana