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Vorausblenden in Romanen

Begonnen von Lothen, 07. Oktober 2017, 13:58:45

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Lothen

Hey ihr Lieben,

vor allem aus Serien kennt man ja die Technik der Vorausblende: Am Anfang einer Folge wird eine Szene gezeigt, die eigentlich erst sehr viel später - am Ende der Folge oder zum Teil auch erst am Ende der Staffel - eintritt.

Kennt ihr solche Techniken auch aus Romanen? Bislang ist mir das nur in Prolog-Form untergekommen, d.h. am Anfang des Romans steht eine Szene, die erst am Ende passiert. Mir schwebte allerdings vor, ob man solche Vorausblenden vll. auch öfter setzen könnte, z.B. zu Beginn jedes neuen Akts mit einem Ausblick auf das Ende des Akts.

Denkt ihr, das wäre möglich, oder nur unnötig verwirrend für den Leser? Kennt ihr vielleicht Romane, die so etwas machen?

LG Lothen

Mondfräulein

Für mich persönlich ist das der schnellste Grund eine Serie oder einen Roman abzubrechen.

Das hat viel mit persönlicher Präferenz zu tun, aber ich finde eine Geschichte einfach viel weniger interessant, wenn ich weiß, wo alles mal hinführen wird. Hauptsächlich wird das ja gemacht, damit ich mich dafür interessiere, wie es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, aber das interessiert mich dann alles nicht mehr, weil es sich für mich nicht mehr so anfühlt, als könnte alles passieren. Mir fehlt einfach diese Offenheit, mir fehlt, dass ich nicht weiß, was als nächstes passiert.

Soly

Mir fallen spontan keine Romane ein, in denen das passiert, aber ich hab grundsätzlich nichts gegen Vorausblenden.
Das Problem ist wahrscheinlich, wie Mondfräulein es gesagt hat, dass man nicht zu genau wissen sollte, wohin die Geschichte eigentlich will - mitten im Fließtext eine Szene zu haben, die ganz offensichtlich in der erzählten Zukunft spielt, nimmt in neunzig Prozent der Fälle die Spannung raus. Im Grunde stehst du dann vor genau dem Problem, das Prequels oft haben - alle Zweikämpfe zwischen Legolas und Bolg sind langweilig und nervig, weil ich genau weiß, dass Legolas im Herrn der Ringe wieder auftritt; das nur als extremes Beispiel.

Die andere Möglichkeit wäre, die Datierung der Szenen unklar zu lassen. Das geht aber nur, wenn du dem Leser von Anfang an Mitdenken und Konzentration abverlangst, sonst stört es einfach den Lesefluss.
In Nolans Inception funktioniert das. Im Grunde ist der gesamte Film nur eine Rückblende, die uns erklärt, wie Cobb und der alte Saito in diesem Schloss am Meer gelandet sind, woher sie sich kennen und worüber sie reden, bevor
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Mitten in der Erzählung eine Vorausblende einzufügen ist eine Gratwanderung zwischen unstringenter und zusammenhanglos( wirkend)er Erzählweise, und Vorausnahme der spannenden Handlung. Es gibt sicher Möglichkeiten, das zu meistern, aber mir fällt eigentlich keine wirklich gute Lösung ein.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Tanrien

#3
In Romanen mit Zeitreisen oder Magie/Technik, die sich auf die Zeit auswirken, könnte ich es definitiv auch am Anfang jeder Szene sehen. Und natürlich wenn die Zukunftsszene die Gegenwartsszenen einbetten (Princess Bride oder Moers?). Gibt es sowas in die Richtung nicht in einem der Scheibenwelt-Romane?

Aber als normale Szene, da könnte ich mir vorstellen dass das auf Dauer zu verwirrend ist, wenn die Zukunftsszene auch einen eigenen, von der Gegenwartsszene losgelösten Sinn haben, den sie ja haben sollten um sie zu rechtfertigen. Da hat man dann selbst mit der Angabe von Daten als Leser das Problem, dass sich die erhaltenen Informationen vermischen.
ZitatDas geht aber nur, wenn du dem Leser von Anfang an Mitdenken und Konzentration abverlangst
Das ist denke ich auch mit Daten so.

Zitatmitten im Fließtext eine Szene zu haben, die ganz offensichtlich in der erzählten Zukunft spielt, nimmt in neunzig Prozent der Fälle die Spannung raus.
Ich denke schon, dass es eine optische Trennung geben sollte.

gbwolf

Zitat von: Lothen am 07. Oktober 2017, 13:58:45Mir schwebte allerdings vor, ob man solche Vorausblenden vll. auch öfter setzen könnte, z.B. zu Beginn jedes neuen Akts mit einem Ausblick auf das Ende des Akts.
In welchem Umfang schwebt dir das vor? Eine zeitlang war es ja in, am Anfang des Kapitels zu schreiben: "Kapitel 3 - in dem Tumsi beinahe vom Blahblahmann gefressen wird, Jaurelei jemanden mit ihrem Haar erschlägt und Pumsi beinahe den Ring des Drachen findet.

Aus dem Thrillergenre kenne ich Sätze wie: "Der Mann, der in einer Stunde sterben würde, schloss seine Tür auf."

Die Frage ist ja, was du bezwecken möchtest. Vorgestern schaute ich die erste Folge von Marco Polo. Verwüstetes Dorf, fantasievoll gepfählte Gestalten, grausame Mongolen, der Zuschauer ist emotional drin. Dann plötzlich: "3 Jahre früher, ein wenig nettes Blahblah, endlich fahren sie los und machen sich jetzt auf eine weite und lange Reise."
Dieser Kniff dient ja dazu, an einer spannenden Stelle zu beginnen und später notwendige Dinge zu erzählen. Früher hätte man dem Leser zugemutet, sich durch 50-100 Seiten Vorgeschichte zu kämpfen. Vorblenden scheinen da gerade ein Trend zu sein, um das zu umgehen.

Mein Beispiel aus dem Thriller ist eher ein Spannungsmacher, weil man weiß, was geschehen wird, aber "Wann" (Schon hinter dieser Tür?) und "Wie" (Rutscht auf der Seife aus, bevor der Killer ihn kriegt?) die interessanten Fragen sind - und natürlich, ob der Mann noch seine Mission ausführen kann oder nicht.

Trippelschritt

Ich habe kein Beispiel zur Hand, aber erinnere mich diffus an verschiedene Bücher und Filme (dort ist es häufiger), in denen der Zeitfaden erschnitten wurde und der Leser/Zuschauer nie so genau wusste, ann etwas spielte. Das hat viel mit experimentellen Filmen zu tun, weil der Leser ja eine Geschichte erwartet, die der Zeit folgt und bestenfalls Rückblenden erlaubt. Aber man muss genau wissen, warum man das Ganze macht. Einfach nur als interessanten Effekt kenne ich es nicht, es würde mich als Leser aber auch stören.

Trippelschritt

Evanesca Feuerblut

Ich liebe es ja, wenn durch solche Vorblenden man vermutet, dass die Handlung in eine völlig andere Richtung geht (weil man sich ausmalt, wo das Ganze vielleicht hinführt), aber komplett auf dem Holzweg ist. Ich wüsste nur nicht, wie sowas in einem Buch einbauen.

Lothen

Zitat von: Mondfräulein am 07. Oktober 2017, 14:15:44
Für mich persönlich ist das der schnellste Grund eine Serie oder einen Roman abzubrechen.

Spannend, mich macht das immer sehr neugierig, vor allem, wenn es eine extrem absurde Szene o.ä. ist und ich mich frage, wie zur Hölle das passiert sein kann. Aber klar, es ist prinzipiell eine Frage, ob man eher auf klassische Spannung steht (also "was wir passieren") oder eher auf Suspense ("warum/wann passiert etwas"). Das ist bestimmt individuell verschieden und funktioniert bei bestimmten Genres sicherlich besser als bei anderen.

Zitat von: SolmornEs gibt sicher Möglichkeiten, das zu meistern, aber mir fällt eigentlich keine wirklich gute Lösung ein.
Das ist sicherlich genau der Knackpunkt. Wenn es gut gemacht ist, kann es bestimmt interessant sein, aber am Ende tut man sich vielleicht keinen Gefallen damit, weil es doch nach hinten losgeht.

Zitat von: TanrienAus dem Thrillergenre kenne ich Sätze wie: "Der Mann, der in einer Stunde sterben würde, schloss seine Tür auf."
So etwas kenne ich auch, das würde ich aber nicht als klassische Vorausblende sehen, sondern eher als Aspekt des auktorialen Erzählens, oder? Für eine echte Vorausblende würde ich zumindest einen Umfang von mehreren Sätzen oder einer kurzen Szene erwarten.

Zitat von: TanrienDie Frage ist ja, was du bezwecken möchtest.
Da gibt es sicher mehrere Optionen, für mich wäre es jetzt am ehesten ein Spannungselement gewesen, ähnlich wie der "Icemonster-Prologue": In einer Phase, in der die Geschichte gerade recht geradlinig dahinplätschert, wird eine Vorausblende eingestreut, die andeutet, dass noch was Fieses passieren wird oder so.

@Trippelschritt : Genau, aus Filmen kenne ich es auch, aber da ist es auch leichter, eine Szene als Vorausblende zu kennzeichnen. Im Roman ist das ja doch ziemlich plump, wenn jedes Mal davor steht: "Hallo, ich bin eine Vorausblende". ;)

@Evanesca Feuerblut : Bei Serien finde ich so was auch immer schick, aber bei Romanen ist mir das in dem Umfang noch nicht begegnet.

Lazlo

Bei Fitzeks "Der Augensammler" gibt es so eine Vorausblende. Das Buch beginnt mit dem Epilog und endet mit dem Prolog. Bei diesem Buch zählen die Seitenzahlen rückwärts. Der Leser beginnt also mit der letzten Seite und liest dann "rückwärts" die Geschichte. Das Ganze hat einen Sinn, der erst am Ende aufgeklärt wird. Aber ehrlichgesagt kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Es hat auf jeden Fall neugierig gemacht, wie es denn nun zum Ende kam, was da hinter steckte.

Araluen

#9
Christoph Marzi arbeitet hin und wieder gerne mit Vorausblenden in seinen Romanen. Bei "Lycidas" war sie sogar richtig gut. Sie läutete den zweiten Teil / zweiten großen Akt des Buches ein. Eigentlich war man an dieser Stelle bereits bei dem guten Gefühl "Das Buch ist zu Ende und die Guten haben gewonnen" angekommen.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Allerdings hatte man an dieser Stelle noch gute 200 Seiten vor sich. So richtig Lust weiter zu lesen hatte ich nicht. Dann kam die Vorausblende.
Zusammengefasst: Die Prota entschuldigt sich verzweifelt für einen riesengroßen Fehler, den sie begangen hat. Der Erzähler kommentiert dies mit dem Gedanken, dass er nie geglaubt hätte, das Prota zu so einem Verrat fähig wäre. Danach meint er aber, dass man den Ereignissen nicht vorgreifen sollte und es beginnt der recht gemächliche Einstieg in den zweiten Buchteil. Aber diese Vorausblende hält einen wirklich wach und bei der Stange.
In anderen Romanen von ihm findet man das auch immer wieder mal und sei es als Prolog (zuletzt bei "Der letzte Film des Abraham Tenenbaum").

Mich machen solche Vorausblenden wirklich neugierig, vor allem, wenn es ein wirklich kurzer, recht zusammenhangloser Ausschnitt ist, der die wirklich elementaren Sachen (Was hat denn Prota bei "Lycidas " verbrochen?) weglässt. Ich glaube, das Stilmittel ist nicht einfach zu meistern, da hier genau die richtige Dosis gefunden werden muss. Aber ich finde es gut :) Bei meiner Romantasy habe ich mich auch für einen vorausblendenen Prolog entschieden. Ob ich die richtige Dosis gefunden habe? Ich meine ja, werde es aber erst wissen, wenn ich den Roman auf Testleser loslasse.  :omn:

Aphelion

In den Scheibenwelt-Romanen gibt es einen Sonderfall im Zusammenhang mit Tod und Susanne, seiner Enkelin. "Rollende Steine"...

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Mir fällt kein konkreter Titel ein, aber ich habe schon mehrere Romane gelesen, in denen es zwei Handlungsstränge gab. Statt parallel zu verlaufen handelte es sich um zwei unterschiedliche Zeitschienen. Manchmal war das von vornherein klar, manchmal nicht.

Eine Zeit lang war es ein richtiger Trend, dass die erste Szene nicht die chronologisch erste war. Aber regelmäßiges Vorausblenden, ohne einen kompletten Handlungsstrang daraus zu entwickeln, habe ich (glaube ich) noch nicht gelesen. Ich kann es mir aber grundsätzlich vorstellen. Stilistisch könnte man das z.B. durch ein anderes Tempus oder Kursiv abgrenzen.

FeeamPC

Ich tarne solche Stellen einfach als Orakel. Zudem sind die Orakel etwas kryptisch, damit sie unterschiedlich ausgelegt werden können.

Churke

In Barock-Romanen finden man gelegentlich Kapitelüberschriften wie diese:

Zitat
Wie man zur Verhinderung von Erdbeben ein schönes Autodafé veranstaltete, und wie Candide ausgepeitscht wurde
- Candide oder der Optimismus, Kap. 6

Hat sich wahrscheinlich nicht grundlos nicht durchsetzen können. Ich bin auch ein absoluter Verfechter des linearen Erzählens.

canis lupus niger

#13
EINE Vorausblende als Prolog ist nichts Ungewöhnliches. Mehrfach in einem Roman oder zu Beginn jeden Kapitels finde ich so etwas aber furchtbar, weil es den Erzählfluss zerstört.

In einer Novelle habe ich am Anfang ein paar Minuten vorausgeschaut ("T. wusste in dem Moment, dass er versagt hatte, als ...") und habe dann berichtet, was vor dieser Erkenntnis passiert ist, bzw. was dazu geführt hat, und danach normal weiter erzählt. Fand ich als Start ganz gelungen. Aber so etwas als Anfang jeden Kapitels? Nein.

Was funktioniert und was ich auch schon öfter gelesen habe, sind zwei lineare Handlungsstränge aus verschiedenen Zeiten, die abwechselnd erzählt werden. So zum Beispiel in Stephen Kings "ES", wo die beiden Stränge aus 1958 und 1985 immer mehr ineinander übergehen. Oder auch im Band eins der Isrogant-Trilogie "Reisende", - wobei ich die zeitliche Verschiebung erst nach der Hälfte des Buches überhaupt bemerkt habe. ::)

Kamen

Die Krux ist tatsächlich, WIE es gemacht werden sollte.
Es spricht vieles dafür aber auch dagegen.
Ich liebe solche Vorausblenden bedingt, je nach Situation.
Abstruse Erzählweisen sind ja nun auch mein Ding (ich erinnere mich an den letzten NaNo mit dem dreiteiligen Skript), aber sie ständig zu benutzen, diese Vorausblenden, halte ich auch für langweilig.
Also Orakel oder als Vision werden ja viele getarnt.

Was spannend wäre: eine Vorausblende, die dann gar nicht so eintritt, weil sich Prota Held anders entschieden hat oder Prota Anhängsel doch stirbt... Oder so?
Das Eiserne Buch erinnert an damals, als die Welt brannte, selbst hier tief im Meer...