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Gleichberechtigung, Emanzipation und heutige Moralvorstellungen in Fantasywelten

Begonnen von Mithras, 09. September 2017, 13:55:22

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Denamio

Zitat von: Mithras am 12. September 2017, 00:43:40
Eine Adaption Alexanders des Grroßen wirkt umso "echter", je näher sie dem Vorbild kommt, und dazu gehört z. B. auch aristotelisches Gedankengut.

Da würde ich widersprechen. Ich erinnere mich an einen Anime, da ritt Alexander auf einem Streitwagen durch Tokyo und prügelte sich mit Gilgamesh. Da war es absolut egal ob er authentisch war oder nicht, als Charakter wirkte er echt, war mit dem Storyrahmen konsistent und zu jedem Zeitpunkt glasklar Alexander der Große.
Wie? Sie haben mit ein paar gezielten Charakterzügen eine Figur skizziert, wie man sie sich durchaus auch als Alexander vorstellen konnte. Die Echtheit kam im Kopf des Konsumenten. Und tun wir Autoren diese Pinselstriche nicht mit jedem Satz? Ich beschreibe nicht jede Falte im Gesicht, ich schreibe "Sturm und Salzwasser hatten ihrer Haut den Charakter von Leder verliehen". Das ist nicht bis ins Detail authentisch mit der Vorstellung ihrer Falten wie ich sie im Kopf hatte - aber reicht für Echtheit beim Leser. Genauso funktioniert es doch mit Gesellschaftssystemen in Geschichten. Ich brauch keine komplette Adelshierarchie und Abhandlung über Handelsgesetze, noch muss ich wissen welcher Wachmann wann geboren wurde.
Mir reicht zu wissen, dass es Adel gibt, eine Handelsgilde mit Macht mitmacht und es Wachleute gibt, die auffällig jung sind. Das reicht schon für eine Kopfvorstellung über die Gesellschaft. Mit den paar Infos ist es authentisch genug.

Nicht zuletzt muss ich als Kulturanthropologe erwähnen, dass es Authentizität nicht gibt, aber das ist ein anderes Thema. ;D

Trippelschritt

Und
Zitat von: Mithras am 12. September 2017, 00:43:40
Viele Autoren lehnen ihre Welt aber sehr stark an historische Vorbilder an, etwa Guy Gavriel Kay, der ganze Epochen inkl. deren Sprachen in eine fiktive Welt verlagert und damit praktisch alternative Geschichtsschreibung betreibt. Sein Ansatz liegt mit nicht, aber da er sich nun einmal in einem solchen Maße an der Realität orientiert, ist Authentizität umso wichtiger.

Wenn es mal so wäre. Nur ganz wenige Autoren lehnen ihre Welt an historische Vorbilder an. Glücklicherweise, sage ich. Weil das Mittelalter mit Früh-, Hoch- und Spätmittelalter eine recht lange Zeit umfasst, wir über diese Zeiten ganz unterschiedlich viel wissen - (900 - 1000) ist ein richtiges Loch - und wenn wir was wissen, enorm viel recherchieren müssen. Gute Autoren füllen ihre Welten mit eigenen Ideen. Dass es da dann Anklänge an frühindustrielle Geselschaften gibt ist klar, und wir dürfen so etwas auch ruhig mittelalterlich nennen, solange wir es nicht falsch verstehen. Schlechte Autorehn sprechen von Mittelalter und erschaffen Klischeewelten.

Es wird sehr oft vergessen, dass in keinem anderen Genre das Setting oder die Welt eine so große Rolle spielt wie in der Phantastik. Da entscheidet sich bereits die Qualität. Und Weltenbau ist eine echte Herausforderung für einen Autor. Und wenn man dann Gesellschaftskritik als wichtiges Thema in so eine Welt hineinsetzen möchte, dann steht man vor einem doppelten Dilemma. Man hat eine moderne Idee, wie die Gesellschaft aussehen sollte, und sucht dafür eine Fantasiewelt, um diese Idee zur geltung zu bringen. Da muss man schon schreiben können wie Orwell (Animal's Farm, 1984), um qualität zu produzieren. Und dann präsentiert man seine Gedanken auch noch einem Publikum, das einen Fantasieroman gekauft hat in der Erwartung, ... Ja, in welcher Erwartung eigentlich. Darüber können wir mal streiten, aber Sozialkritik als zentrales Thema wird es nicht sein. Eher schon Magie oder Drachen oder Kampf von Gut gegen Böse. Ach ja, Ich habe noch elfen und Werwölfe vergessen. Und Vampire.

Würde ich einen Roman über Feminismus schreiben wollen (nicht über starke Frauen, denn die kamen immer und überall vor), dann wären für mich viele Genre denkbar, aber ich würde mir ganz bestimmt nicht Fantasy aussuchen, weil die im Vergleich zu anderen Genre ungeeignet für diese Botschaft ist. Oder aber ich nehme gerade deshalb Fantasy. Aber dann setzt das eine Könnerschaft, die zumnidest in meinem Fall weit über das hinausgeht, was ich zur Zeit erstellen könnte. Und glaubt jetzt bloß nicht, ich hätte kein schreiberisches Selbstbewusstsein.

Frohes Schaffen
Trippelschritt

Mithras

Zitat von: Denamio am 12. September 2017, 01:10:19Da würde ich widersprechen. Ich erinnere mich an einen Anime, da ritt Alexander auf einem Streitwagen durch Tokyo und prügelte sich mit Gilgamesh. Da war es absolut egal ob er authentisch war oder nicht, als Charakter wirkte er echt, war mit dem Storyrahmen konsistent und zu jedem Zeitpunkt glasklar Alexander der Große.
Wie? Sie haben mit ein paar gezielten Charakterzügen eine Figur skizziert, wie man sie sich durchaus auch als Alexander vorstellen konnte. Die Echtheit kam im Kopf des Konsumenten.
Dem möchte ich auch gar nicht widersprechen. Ich behaupte aber, dass eine Alexander-Adaption umso "echter" wirkt, je mehr Details der Autor einbaut, die an ihn erinnern - zum Beipiel ein von der aristotelischen Philosophie geprägtes Weltbild. Natürlich subtil, damit es nicht zu platt wirkt. Maanche Autoren legen ihren Charakteren auch mal das eine oder andere Zitat ihre historischen Vorbilder in den Mund, und ich freue mich dann immer wieder, wenn ich ein solches erkenne.

Zitat von: Trippelschritt am 12. September 2017, 09:02:59
Wenn es mal so wäre. Nur ganz wenige Autoren lehnen ihre Welt an historische Vorbilder an. Glücklicherweise, sage ich. Weil das Mittelalter mit Früh-, Hoch- und Spätmittelalter eine recht lange Zeit umfasst, wir über diese Zeiten ganz unterschiedlich viel wissen - (900 - 1000) ist ein richtiges Loch - und wenn wir was wissen, enorm viel recherchieren müssen. Gute Autoren füllen ihre Welten mit eigenen Ideen. Dass es da dann Anklänge an frühindustrielle Geselschaften gibt ist klar, und wir dürfen so etwas auch ruhig mittelalterlich nennen, solange wir es nicht falsch verstehen. Schlechte Autorehn sprechen von Mittelalter und erschaffen Klischeewelten.
Ich präzisiere die Aussage: Viele Autoren, die ich lese, lehnen ihre Welt stark an historische Vorbilder an: George R. R. Martin, R. Scott Bakker, Joe Abercrombie, Bernhard Hennen, ... Ich liebe Fantasy mit einem fundierten historischen Unterbau, und da hilft es sehr, sich von der realen Geschichte bzw. realen Kulturen inspirieren zu lassen, ohne dass man sich dabei sklavisch an der Realität orientieren muss. Aber dann steht man natürlich auch in der Verantwortung, sich mit dem historischen Gesamtkontext auseinaderzusetzen und seine Welt nicht einfach nur aus Versatzstücken zusammenzubasteln und die Lücken mit äußerst fragwürdigen Interpretationen zu schließen.

Lothen

Zitat von: Mithras am 12. September 2017, 11:07:08Aber dann steht man natürlich auch in der Verantwortung, sich mit dem historischen Gesamtkontext auseinaderzusetzen und seine Welt nicht einfach nur aus Versatzstücken zusammenzubasteln und die Lücken mit äußerst fragwürdigen Interpretationen zu schließen.
Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und sage: Wieso nicht? ;)

Aphelion, glaub ich, sprach schon an, dass das zentrale Element die Atmosphäre ist, und genauso sehe ich es auch.

Die Welt, die ich für meinen Plot schaffe, ist wie ein eigener Charakter. Sie trägt und beeinflusst die Story, die ich erzähle, und entsteht auf dieselbe Art und Weise wie die Figuren. Natürlich lasse ich mich gerne an historischen Vorbildern inspirieren, wenn es passt, aber letztlich ist es meine fiktive Welt und ich baue sie so, wie ich sie für meinen Plot brauche.

Wenn ich einen knallharten, düster-blutigen Fantasy-Thriller schreibe, dann brauche ich eine finstere Welt mit moralisch fragwürdigen Aspekten, die die Konflikte, die ich aufwerfe, trägt und intensiviert.

Wenn ich märchenhafte Romantasy schreibe, dann kann es auch eine Feelgood-Welt sein, in der es keine Diskriminierung, Frauenfeindlichkeit oder wasauchimmer gibt, weil es keine Rolle spielt und nicht den Stellenwert einnimmt, den solche Themen einnehmen sollten, wenn man sich anständig damit befasst.

Wenn ich intrigenlastigen Steam Punk schreibe, brauche ich ein Setting, das politisch und gesellschaftlich die Verwicklungen, die meinen Plot stützen, ermöglicht.

Ganz ehrlich? Wenn ich einen historischen Roman schreiben will, dann schreibe ich einen historischen Roman. Wenn ich Fantasy schreiben will, dann schreibe ich Fantasy. Ich sehe nicht den Anspruch, mich 1:1 an einer Epoche orientieren zu MÜSSEN, nur, weil die Rahmenbedingungen meiner Geschichte ähnlich sind. Stimmigkeit ist wichtig, Authentizität und innere Logik. Alles andere ist in meinen Augen optional.

Fianna

Eine stimmige Fantasywelt ist in den oben genannten Definitionen unmöglich zu erschaffen. Jedes kulturelle oder phantastische Element, dass man in einem Setting verbaut, ist in irgendeiner Epoche der letzten 300.000 Jahre zu verorten. Vielleicht nicht von Dir als Autor. Vielleicht merken es die meisten Leser auch nur in Dimensionen wie "Elisabethanisches Theater + Napoleons Winterkrieg".
Aber stimmig ist es dennoch niemals.

Ich habe in einer Plotgruppe einmal die Befürchtung geäußert, mein Plot enthielte zuviele altägyptische Anleihen. Das konnte niemand nachvollziehen. Das Konzept der Ba-Seele war ihnen fremd, und wenn man Vogel und Scheintür ersetzt, war es komplett unkenntlich für sie.

Wenn Du den stimmigsten Fantasyplot für Dich erschaffst, wird es immer Leser mit anderem kulturellen Vorwissen geben, die Ähnlichkeiten an die "falsche" Ausgangskultur finden und es nach oben genannter Definition als unstimmig bewerten müssten ;)

Ich mag keine uninspirierte Flickenteppich-Settings.
Aber 100 % Stimmigkeit ist unmöglich, es gibt immer Leser, die mehr über bestimmte Epochen wissen als wir und Anleihen dort sehen, die von uns nicht so gedacht waren.


Edit: Tippfehler editiert.

Lothen

Von welcher Definition sprichst du gerade, Fianna? Ich für meinen Teil hab gar nichts definiert, im Gegenteil, sondern eher versucht zu sagen, dass ich mich nicht an klare Definitionen halte, sondern die Welt baue, die mir für meinen Plot stimmig, logisch und schlüssig erscheint.

Es kann ja sein, dass Kultur A Dinge auf eine bestimmte Art und Weise gehandhabt hat und ich das so für den Roman übernehme, weil mir das gut passt und ich das stimmig und spannend finde. Das muss aber ja nicht heißen, dass ich andere Aspekte derselben Kultur genauso übernehmen muss.

Eine Fantasy-Welt funktioniert ja mitunter unter anderen Prämissen als unsere, sei es, weil Magie existiert, weil die Klimazonen anders sind, weil die Physik dezent anders läuft oder weil ihr ein anderes Glaubenssystem zugrunde liegt.

Um Mithras' Eingangsargument zu nehmen: Ich kann eine am englischen Mittelalter orientierte Fantasy-Welt schaffen, in der Frauen vollständig emanzipiert sind. Ich kann auch eine "moderne", vom Frankreich des 19. Jahrhunderts inspirierte Welt entwickeln, in denen Frauen versklavt und unterjocht werden. Die Frage ist ja nur: Ist das in sich schlüssig, passt das zu den anderen Weltenbau-Elementen und passt es vor allem zu der Geschichte, die ich erzählen will.

Churke

Zitat von: Lothen am 12. September 2017, 11:45:18
Die Welt, die ich für meinen Plot schaffe, ist wie ein eigener Charakter. Sie trägt und beeinflusst die Story, die ich erzähle, und entsteht auf dieselbe Art und Weise wie die Figuren.

Hey, das war mein Text!  ;)

Oft gehört das fragwürdige Setting einfach zur Story. Ich gebe ein Beispiel: Wenn der Sohn einer Sklavin Kalif wird, dann eben nur deshalb, weil es einen Harem und Sklavinnen gibt und vor allem, weil Frauen nicht viel zählen. Man mag die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, aber in einem weniger sexistischen Setting funktioniert der Plot nicht. (Den ich mir übrigens nicht ausgedacht habe.)

Leider ist nicht jeder Leser bereit oder in der Lage, die dramatische Logik zu akzeptieren. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit einer Lektorin, der bei meinen Figuren das Messer in der Tasche aufging. Ich durfte mich dann darüber ärgern, dass sie den Plot mit der Dampfwalze planieren wollte, um diesen Makel zu beheben. Njet. Änderungen immer, aber ich bin nicht bereit, meinen Plot zu killen, weil sich jemand über "mein" Frauenbild beschwert.  ::)
Witzigerweise verstärkte die nächste Lektorin dann jene Elemente, die ihrer Vorgängerin so missfallen hatten.  :hmmm:

Und noch etwas möchte ich zu bedenken geben. Jede Gesellschaft wird von Tabus bestimmt, deren Verletzung mit sozialer Ächtung sanktioniert wird. Es gibt die These, dass in unserer heutigen Gesellschaft die alten Handlungstabus durch Denktabus verdrängt werden. Das heißt, wir dürfen öffentlich tun, was uns früher sozial ruiniert hätte, aber wenn wir die falsche Gesinnung äußern, wird der Stab über uns gebrochen.
Ich halte diese Theorie für plausibel. Und mich dünkt, dass dieser Thread um die Sorge kreist, dass wir als Autoren durch ungeschickte Settings gegen Denktabus verstoßen.
Und ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Eine Gesellschaft, die von Handlungstabus bestimmt wird, ist dramaturgisch interessanter ist als eine Gesellschaft mit Denktabus. Der Verstoß des Helden gegen Tabus ist ein Klassiker, aber der Verstoß sollte a) effektvoll sein und b) die Sympathie des Lesers besitzen. Da ist das problematische Setting eine Fundgrube.


Fianna

@Lothen
Ich bezog mich auf die von verschiedener Seite angesprochen "Stimmigkeit" eines Settings im Sinne von "im Einklang mit einer kulturellen Verortung".

So habe ich das Wort in einigen Beiträgen über Dir verstanden, vielleicht bedingt durch die Diskussion, wieviel Details eine Alexander-Adaption braucht.

Wenn ihr mit "stimmig" nur meintet, dass es innerhalb einer Fantasywelt zusammen passen und eine funktionierende Welt ergeben muss - dann entschuldige ich mich für das Missverständnis und stimme euch einfach zu.

Lothen

Zitat von: ChurkeOft gehört das fragwürdige Setting einfach zur Story. Ich gebe ein Beispiel: Wenn der Sohn einer Sklavin Kalif wird, dann eben nur deshalb, weil es einen Harem und Sklavinnen gibt und vor allem, weil Frauen nicht viel zählen. Man mag die Hände über dem Kopf zusammen schlagen, aber in einem weniger sexistischen Setting funktioniert der Plot nicht. (Den ich mir übrigens nicht ausgedacht habe.)
Exakt. Ob man Plots lesen möchte, die in einem feindseligen, gewalttätigen oder auch frauenfeindlichen Setting spielen, das muss jeder selbst entscheiden. Aber bestimmte Plots erfordern einfach die Einbettung in einem gewissen Setting, sonst wirken sie unglaubwürdig und es geht viel Atmosphäre verloren.

Obligatorisch ist dabei natürlich, sich mit diesen Elementen auch irgendwie auseinanderzusetzen, zu zeigen, dass das nicht das Nonplusultra ist, sondern Konflikte, Leiden, moralische Dilemmata auslöst. Genau das macht ein moralisch fragwürdiges System ja interessant.

@Fianna : Ah, okay, also mit "stimmig" meinte ich in meinem Post "in sich schlüssig". Ich weiß aber nicht, wie das meine Vorredner aufgefasst haben. ;)

FeeamPC

Und ein Setting, das die Leser nicht mögen und dessen Gesinnung sie nicht teilen, hält sie nicht vom Lesen ab. Ich habe mehr als eine Bemerkung über zu gewalttätige, sexistisch-psychopathische Handlungsträger gekriegt. Trotzdem lesen die Leute weiter, und der Drop-out in der Serie ist relativ gering.
Offenbar reicht die vorhandene Spannung und Handlung als Kompensation.

Vic

Ich finde, wenn Fantasy-Autoren mit dem Argument "historische Korrektheit" ankommen um ihren Sexismus, Rassismus und ihre Homophobie zu verteidigen, dann weiß ich immer nicht ob ich lachen oder weinen soll.
Drachen und Zauberer und Elfen sind okay - aber eine Frau in einer Machtposition, ein schwuler Held oder ein schwarzer König ist "historisch nicht korrekt" und damit nicht vertretbar. Äh ja ... danke für den Anruf.

Also Fantasy hat mMn wirklich gar keine Ausrede um sexistisch zu sein. Sogar wenn die Welt und die dargestellte Gesellschaft als solche sexistisch sind - es gibt und gab zu jeder Zeit Frauen in Machtpositionen, Frauen, die sich gegen Konventionen und Regeln gewehrt haben und es gab auch schon immer eine Art Gegenbewegung und wenn das nur ein kleiner Haufen Rebellen war. Sogar ein weiblicher Charakter in einer unterdrückten Position (zwangsverheiratet, Prostituierte, Sklavin, etc.) hat Möglichkeiten ein interessanter Charakter zu sein und man kann sie innerhalb einer Fantasy-Geschichte auch aus dieser Rolle ausbrechen lassen (der Ehemann stirbt und plötzlich ist die zwangsverheiratete Frau Erbin seines riesigen Vermögens oder gar einer Krone? Ein Sklavenaufstand hilft der Sklavin sich zu befreien? Die Prostituierte erfährt ein wichtiges Geheimnis mit dem sie einen mächtigen Mann erpressen kann und damit genug Geld bekommt um sich frei zu kaufen? etc.)   

Also sogar wenn eine fiktive Gesellschaft sexistisch ist ohne Ende, möchte ich doch trotzdem gerne interessante Frauenfiguren sehen, die sich innerhalb dieses Systems durchschlagen.
Game of Thrones (Ein Lied von Eis und Feuer) hat eine maximal sexistische Gesellschaftsstruktur und dennoch gibt es da sehr viele interessante und diverse Frauen. Nicht alle sind in Machtpositionen, aber alle haben eine Handlung und eine eigene Agenda.

canis lupus niger

#41
Leider bin ich dieser Diskssion eine Weile lang nicht weiter gefolgt und habe deshalb gar nicht mitbekommen, was hier weiter gepostet wurde. Ein Verlust!

Zunächst mal möchte ich richtigstellen, dass ich NICHT Games grundsätzlich für Ballerspiele halte. Gerade der "Witcher" z-B. ist sehr durchdacht und fordert die Intelligenz des Spielers. Aber ich bleibe dabei, dass es intellektuell anspruchslose Leute gibt (ich habe eine ganze Menge davon in meiner näheren räumlichen und sozialen Umgebung), einige davon sogar sehr liebenswürdige Menschen, die aber keinesfalls freiwillig ein Buch (oder einen E-Book-Reader) in die Hand nehmen würden. In den Haushalten (in denen, die ich kennen gelernt habe) findet sich auch kein einziges Buch. Und die Wahl des Fernsehprogramms (das fast den ganzen Tag läuft) und der sonstigen Unterhaltung sind entsprechend. Leider gibt es auch intellektuell anspruchsVOLLE Menschen die privat überhaupt nicht lesen, die freiwillig kein Buch anfassen, weil sie keine Lust haben, sich auch noch in ihrer Freizeit geistig anzustrengen. Ist es versnobt, das so ehrlich zu sagen? Vielleicht. Aber wahr.

Ich meine auch nicht, dass ein Fantasyroman eine perfekte, politisch korrekte Welt darstellen soll. Im Gegenteil bedeutet Fantasy für mich ein Spielen mit den Möglichkeiten, mit dem "Was-wäre-wenn", das in der realen Welt, ob historisch oder aktuell, niemals möglich wäre. Eine perfekte Welt, mit sich politisch korrekt verhaltenden Charakteren, die alle desselben Wertmaßstäben folgen, wäre furchtbar langweilig. Spannend wird es durch Konflikte, durch Probleme und Katastrophen, was sich auch in der katastrophal diskriminierenden Gesellschaft äußern können, in der die Geschichte spielt. Ob darin Frauen unterdrückt werden, Männer, Homosexuelle oder eine ethnische oder religiöse Minderheit ist, spielt eigentlich keine Rolle. Es gibt einen Konflikt, den es für die Charaktere zu bestehen gilt. Für einen Roman kann all das einen interessanten Hintergrund bilden.

Ich halte auch nichts davon, die ganze Zeit zu erzählen, wie ungerecht das alles ist, und dass man das heutzutage ja niiiiemals mehr dulden darf (auch wenn in der realen Welt viele schlimme Dinge passieren), weil auch das etwas ist, was nicht unterhält (@Trippelschritt  :winke:), und was nicht unterhält, wird auch nicht gekauft und gelesen. Und mit etwas, das nicht gelesen wird, kann ich niemanden erreichen.

Aber: Ich finde es wichtig, dem Leser nicht nur erlebbar zu machen, wie klasse essein kann, zu der herrschenden Klasse/Kaste/Geschlecht/Religion zu gehören, zu den Personen, die von der Situation nur Vorteile haben. Ich möchte Diskriminierung nicht (nur) als erstrebenswert für eine privilegierte Klasse darstellen, sondern auch erlebbar machen, welches Leid sie bei den Opfern verursacht. Das geht in einer Fantasywelt sogar unendlich viel besser als in der Realität, weil ich die Zustände viel mehr auf die Spitze treiben, die Art der Diskriminierung so gestalten kann, wie es in der Realität nie möglich wäre oder jemals war. In dieser Hinsicht bin ich vermutlich von dem einen oder anderen Zirkler missverstanden worden: Ich habe nichts dagegen, Unrecht in (m)einem Fantasyroman darzustellen. Im Gegenteil halte ich das für ein ganz wichtiges Plotelement. Ich möchte es eben nur als Unrecht darstellen, und nicht als besonders coole Parallelwelt in die sich solche Leser, die Diskriminierung akzeptieren oder unfähig sind, diese als solche zu erkennen, hineinträumen wollen. Es gibt solche Fantasywerke, aber das sind nicht meine Vorbilder.

Historische Korrektheit ist in diesem Sinne eher kontraproduktiv. Aber welche sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Hintergründe eine Unrechtsgesellschaft ermöglichen, das kann ich sehr wohl aus der realen Geschichte lernen, wenn ich ein Setting gestalten will, das funktioniert.  ;)

AlpakaAlex

Zitat von: Kati am 09. September 2017, 14:31:12Daran bin ich hängen geblieben. Es ist etwas, das mir immer wieder begegnet und, dass ich einfach nicht verstehen kann. Denn Martins Bücher spielen nicht im Mittelalter. Sie spielen in einer komplett fiktiven Welt, die sich hier und da an das spätmittelalterliche England anlehnt. Aber das ist alles. Ein authentisches mittelalterliches Szenario in einem Fantasyroman ist für mich daher einfach nicht möglich. Das widerspricht sich im Kern der Sache und deshalb ist historische Authentizität für mich kein Argument, wenn es um die Darstellung von Moralvorstellungen in Fantasyromanen geht. Der Autor hat entschieden, dass es in seiner Welt Sexismus gibt. Okay. Aber ,,Das musste er machen, damit es historisch authentisch ist" halte ich für Blödsinn, denn er schreibt ja nun mal keinen historischen Roman. Er hat sich diese Welt und Gesellschaft selbst ausgedacht.
Eigentlich möchte ich mich nur hinstellen und THIS rufen, denn es erfasst wunderbar den Kern des Problems, das mit "Eure politische Korrektheit, macht unsere historische Korrektheit in Fantasy-Welten kaputt!" einher geht.

Wenn ich mir diverse Fantasywelten anschaue, die größtenteils ein pseudo-mitteleuropäisches Mittelalter darstellen sollen, anschaue, gibt es dort Magier, Drachen, Einhörner, Zwerge, Elfen, Hobbits, was nicht noch alles. Dinge, die es im realen Mittelalter nicht gab. Auch tragen die meisten Männer Hosen, die verwendeten Schwerter kommen aus fünf verschiedenen historischen Epochen und, ach ja, kaum jemand stirbt an Wundbrand oder irgendwelchen für die Zeiten üblichen Krankheiten. Eventuell wissen die Protagonisten aus unerfindlichen Gründen sogar, was Bakterien sind. Gleichzeitig gibt es in den meisten Fällen keine christliche Religion irgendeiner Art und wenn es Religionen gibt, sind diese oft polytheistisch, haben nicht selten physisch wahrnehmbare Götter und eine gänzlich anderen Aufbau, als die indo-europäischen Religionen es hatten. Und wo wir schon dabei sind: Eine Antike, wie die unsere, gab es oftmals genau so wenig, wie ein proto-indo-europäisches Volk.

Anders gesagt: Eine Welt hat viele Elemente des europäischen Mittelalters, ohne dass die Voraussetzungen, die dieses Mittelalter haben zustande kommen lassen, existieren würden, aber mit zusätzlichen Aspekten, die es im realen Mittelalter nicht gab. Niemand hat damit ein Problem, aber wenn auf einmal Frauen in der Macht oder nur gleichberechtigt sind, Homosexuelle von der Gesellschaft einfach akzeptiert werden oder Menschen mit anderen Hautfarben normal akzeptiert werden (ironischerweise etwas, das im Mittelalter vorkam), dann ist es auf einmal unrealistisch.

Sexismus ist nicht eine biologische, irgendwo im menschlichen Gen verankerte Sache, sondern ist kulturell. Dass viele der Kulturen, mit denen wir vertraut sind, sexistische Züge beinhalten, hängt vor allem damit zusammen, dass diese Kulturen einen gemeinsamen Ursprung hatten und dieser Ursprung nun einmal eine Kultur war, über die wir nicht viel wissen, jedoch zumindest ahnen können, dass sie Frauen mehr als Gegenstände betrachtet haben und ein arg patriarchalisches Weltbild hatten. Aber hier ist die Sache: Es ist nicht gesetzt, dass ein bestimmter technischer Stand mit diesem Weltbild einher geht, gerade wenn die prägende Kultur eine andere ist.

Schauen wir uns andere Kulturen an, so sehen wir darunter auch welche, die schon sehr früh matriarchalisch waren oder tatsächlich auf grundlegenden Ideen der Gleichberechtigung funktioniert haben. Natürlich könnte man an dieser Stelle jetzt fragen: Okay, inwieweit haben sich die europäischen Kulturen entwickelt, wie sie sich entwickelt haben aufgrund der gegebenen Ressourcen. Und dann können Kulturhistoriker einen akademischen Krieg darüber anfangen.

Außerdem sollten wir generell bedenken, dass wir eine sehr einseitige Sicht auf historische Gesellschaften und das Leben in ihnen haben, da die meisten Quellen, die Otto Normalverbraucher nutzt, wenig auf den Alltag eingehen. Wir wissen daher oft, was der Adel getrieben hat, wer mit wem verheiratet war, mit wem Kinder hatte und wer wem den Krieg erklärt hat, aber wenig darüber, wie genau Männer mit Frauen, Frauen mit Männern und die Menschen von Gruppe A mit den Menschen aus Gruppe B umgegangen ist. Sicher, eventuell wissen wir etwas über diesen einen großen Konflikt den es zwischen den Gruppen gab. Aber Alltag? Ist kaum ein Thema. Und selbst wenn recherchiert wird, werden oft verschiedene Epochen des Mittelalters (oder einer anderen Zeit) und verschiedene Gegenden durcheinandergeworfen und die Quellen und was diese sagen wollten, nicht hinterfragt.

Als Beispiel, weil es dahingehend leichter ist, können wir auch die römische Zeit betrachten. Dort haben wir zum einen die Berichte von Geschichtsschreibern, die oft die Grundlage für Unterrichtsmaterialien und Bücher bilden, allerdings auch massenhaft Briefe und Tagebücher, die außerhalb von tatsächlicher Geschichtsforschung, oftmals wenig Beachtung finden. Teilweise zeichnen diese Quellen komplett gegensätzliche Bilder. Umso mehr, wenn bestimmte Sachen unter Akademikern ihrer Zeit oder dem Adel ungern gesehen waren, während der normale Bauer damit wenig Probleme hatte, weil seine Prioritäten nun einmal anders lagen. (Man vergleiche auch das übliche Bild Persiens, das stark durch die Aufzeichnungen von Herodot geprägt wurden, mit dem, was wir über das tatsächliche Persien wissen, wie es zur Zeit der griechisch-persischen Kriege existierte.)

Anders gesagt: Unser Bild von historischen Epochen ist sehr, sehr lückenhaft, da wir es meistens auf nur wenigen Quellen und meist Quellen, die aus derselben gesellschaftlichen Schicht kommen, aufbauen. Wir neigen außerdem dazu, uns sehr auf die Unterschiede zu konzentrieren, uns selbst als "so viel weiter entwickelt" zu sehen und solche Vorurteile dann auch in fantastische Werke zu übertragen.

Allerdings ist dann da eben auch noch der andere Faktor: Magie. Sofern Magie für alle Leute zugänglich ist, wird sie ein wichtiger, neutralisierender und ausgleichender Faktor sein. Eine Magiebasierte Klassengesellschaft macht hier schnell mehr sinn, als irgendwelche anderen Diskriminierungsgrundlagen.

Grundlegend gesehen weiß ich aber auch, warum ich Fantasy-Welten, vor allem Fantasy-Welten, die auf das europäische Mittelalter (oder das, was sich Otto Normalautor darunter vorstellt) aufbauen, meide, wie Teufel das Weihwasser. Neben dem damit einhergehenden Eurozentrismus, ist definitiv diese Art mancher Autoren, es als Begründung zu nutzen, um unnatürlich homogene, sexistische Welten zu schreiben, einer der Hauptgründe.