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Probleme beim Schreiben verarbeiten

Begonnen von kathy, 20. Januar 2018, 16:03:55

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Trippelschritt

Die Diskussion hier hat mich doch glatt dazu verleitet, in eine meiner Geschichten eine kleine Episode einzufügen, die gar nicht so einfach authentisch zu schreiben ist. Ich brauche jetzt nur meine eigene Herumeierei einzusetzen.  ;D

Trippelschritt

Aphelion

Verarbeitung beim Schreiben ist für mich Therapeutisches Schreiben. Das würde ich persönlich nicht veröffentlichen. Therapeutisches Schreiben muss mangelhaft sein dürfen.

Ich lasse durchaus etwas aus meinem Leben in meine Geschichten einfließen. Eine direkte Verarbeitung beim Schreiben finde ich eher kontraproduktiv.

Wenn ich ein Thema aus meinem Leben aufgreife, dann muss ich sicher sein, dass es mir nicht (mehr) zu nahe geht. Es passt doch nicht in die Geschichte? Dann fliegt es wieder raus. Die Geschichte ist langweilig? Dann muss sie geändert werden. Das Thema ist so emotional, dass ich keine Distanz zur Wortwahl finde? Darf nicht sein. Jemand findet das Geschriebene doof/unrealistisch/unnötig/übertrieben? Das muss ich verkraften.

Zit

Hm, therapeutisches Schreiben habe ich einmal gemacht und es auch veröffentlicht, aber es war mehr als Botschaft gemeint, weniger als wirkliche Sache zur Unterhaltung anderer. Meinem früheren Ich würde ich sagen, dass zumindest das Veröffentlichten vertane Liebesmüh ist. Also, nein, ich schreibe keine Erlebnisse oder Erfahrungen in meine Geschichten. Zum einen geht es keinen was an, außer mich und den anderen Beteiligten, zum anderen fühlt es sich auch falsch an, Figuren etwas mitzugeben, das nicht aus ihrem sondern meinem Lebenslauf stammt. Das ist dann wie so ein Fremdkörper bei der Charakterisierung. Lieber erinnere ich mich an verschiedene Momente und abstrahiere die Gefühle, um sie dann mit der Stimme der Figur beschreiben zu können. Andererseits lass ich es mir nicht nehmen, Weltansichten oder Dinge, die mich ärgern, anzusprechen und zu bearbeiten. Oder klassische Motive zu nehmen und umzudrehen (Magie wird geächtet und verfolgt bspw.).
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

FeeamPC

Meine eigenen Erfahrungen in der täglichen Tretmühle würden meinen Erzählungen diametral entgegenstehen. Keine Chance. Ich verarbeite nicht meine eigenen Erfahrungen, sondern ein Konglomerat aus meinem Leben und 5000 - 10000 gelesenen Büchern.

Eluin

#19
Wenn ich Probleme von mir einbaue, dann nur, wenn ich sie für mich lösen konnte. Alles andere stürzt mich nur in gewaltige Plotlöcher (japp, habe ich probiert). Außerdem abstrahiere ich Probleme so stark, dass sie nur bedingt wiedererkennbar sind. Bei meinem aktuellen Projekt betrachte ich zb einige Probleme von unsichtbaren, chronischen Erkrankungen. Natürlich spielen da auch meine eigenen Erfahrungen eine Rolle, aber auch sehr viel was ich von anderen mitbekommen habe, gelesen habe usw. (auch hier abstrahiert, nicht wiedererkennbar bzw. als Spiel mit Klischees)

Meine Romane sind immer eine bunte Mischung aus Erfahrungen, Gelesenem, reiner Phantasie und ganz vielen anderen Dingen. Nichts ist eins zu eins übertragbar. Im Endeffekt ahnen vielleicht mir absolut vertraute Personen, was autobiographisch sein könnte, aber selbst ich weiß es nicht immer.
Ich habe auch festgestellt, dass ich manchmal Alternative Lösungswege betrachte, die ich nicht gewählt habe. Ich liebe einfach die Frage "was wäre, wenn?"
Dazu kommt, dass solche Probleme meistens nur eine kleine Facette sind. Im Großen sind es eher Themen, die mich beschäftigen. Seien es Ungerechtigkeiten, Naturschutz (gerade in Dystopien) oder allgemein Problematiken, auf die Menschen treffen. Ähnliches erlebt und bewältigt zu haben, macht es für mich zum Teil einfacher. Vor allem aber kann ich von meinem Leben ausgehen, um mir andere Erlebnisse zu Erschließung und in ein passendes Stimmungsbild zu übersetzen. Von daher denke ich, alle unsere Erfahrungen prägen uns und natürlich fließen die auch mit ein.

Wirklich Probleme in Textform lösen gehört für mich aber zur Kategorie therapeutisches schreiben, wie @Aphelion es so schön beschrieben hat. Vor allem muss es mangelhaft sein dürfen und nicht in Plotlöcher führen, wenn ich keine Lösung finde.
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

canis lupus niger

Eine Therapie ist das Schreiben für mich auch nicht, aber natürlich lasse ich Erfahrungen und Empfindungen sehr häufig einfließen. Eigentlich immer. Ich bin davon überzeugt, dass meine Charaktere unter anderem deswegen inzwischen von Rezensenten als besonders lebendig und authentisch beurteilt werden. Ebenso verwende ich erlebte Verhaltensweisen (und Charakterzüge) realer Personen. Wenn ich mit den Personen sehr unangenehme Erfahrungen gemacht habe, dann mache ich diese Charaktere sehr gerne so richtig fertig, natürlich ohne den Namen zu nennen, oder auch nur irgendwelche Hinweise darauf zu geben, dass es eine reale Person mit ähnlichen Eigenschaften geben könnte. DAS hat gelegentlich eine tief befriedigende und eventuell auch therapeutische Wirkung auf mich.  :snicker:

Ary

Andere ketzerische Frage - kann ich überhaupt etwas schreiben, worin nicht ein Hauch von mir selbst mitschwingt? Ich habe oft klaustrophobische Protagonisten, wenn meine Helden an einer Phobie leiden sollen, oder Spinnenphobiker. Ganz einfach, weil ich davon selbst nicht ganz frei bin und nachfühlen kann, wie es sich anfühlt, mit Situationen, die mit engen Räumen oder Spinnen zu tun haben, konfrontiert zu werden.
Eigene Erfahrungen fließen bei mir automatisch mit ein, aber als "Therapie" benutze ich das schreiben nicht.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Frau S.

ZitatAndere ketzerische Frage - kann ich überhaupt etwas schreiben, worin nicht ein Hauch von mir selbst mitschwingt?
Dazu hat Diana Gabaldon sich mal geäußert. Sie hat es ganz klar verneint - sie sagt, natürlich ist in all ihren Figuren irgendetwas von ihr selbst auch enthalten, auch wenn sie natürlich nicht die Figur ist.
Eigentlich ist es fast nicht anders möglich, schließlich entspringt die Figur (und alles andere) ja meinem Kopf.

shalom

Nicht gezielt, aber gewisse Charakterzüge oder autobiographische Umstände entdeckt man - zumindest auf einer übertragenen Ebene - am Ende dann doch wieder.
Und wenn es auch nur in einer einigermaßen interessanten Nebenfigur oder einer auf den ersten Blick unwichtigen fiktiven Situation ist.
Aber es sollte uns doch auch wundern, wäre dem nicht so, oder? Ich meine, wenn man etwas so gut kennt, dass man es spannend beschreiben kann, dann doch sich selbst?  ;)

Den Steppenwolf, zum Beispiel, finde ich großartig.

Carla Gabrielis

Ehrlich gesagt denke ich, dass man seine Probleme irgendwie immer in seinen Büchern aufarbeitet.
Ich meine: Viele hier haben gesagt, dass sie unbewusst schon die ein oder andere Situation mit einfließen lassen haben.
Vielleicht irre ich mich auch, aber das Aufarbeiten von Problemen passiert doch nicht immer bewusst, oder?
Ich würde nicht behaupten, dass meine Bücher deswegen therapeutisches Schreiben sind, aber ja:
in jedem Buch, das ich geschrieben habe, finde ich im Nachhinein irgendein Problem von mir wieder.
Und gibt es nicht auch einen Film über einen Musiker, der nur dann coole Songs schreibt, wenn er gerade irgendwelche Probleme hat?

Ich denke shalom hat recht.
Ich finde auch, dass man sich nur dann gut in einen Charakter oder in eine Situation hineinversetzen kann,
wenn es spannend und realostisch (so realistisch es im Fantasy-Bereich halt möglich ist) dargestellt ist.
Deswegen sehe ich persönlich auch kein Problem darin, seine Probleme in Büchern zu thematisieren,
solange sie irgendwie zu Person und Handlung und so weiter passen und nicht in jedem Buch und in jeder Situation "wiedergekäut" werden.

Zit

ZitatDeswegen sehe ich persönlich auch kein Problem darin, seine Probleme in Büchern zu thematisieren,
solange sie irgendwie zu Person und Handlung und so weiter passen und nicht in jedem Buch und in jeder Situation "wiedergekäut" werden.

Ich bezweifel, dass mein Leben wichtig genug ist, um mich ständig um mich selbst zu drehen. Ich denke auch, dass man sich selbst einschränkt, wenn man oft von sich selbst ausgeht. Bei gewissen Problemen ist es vielleicht auch gar nicht gut, sie "ständig" präsent zu haben und textlich darauf herumzukauen. Wie kann ich eine Figur ihren eigenen Charakter und ihre eigene Geschichte geben, wenn sie Probleme bewältigen muss, die nicht ihre sondern meine sind?
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Carla Gabrielis

Da hast du schon recht. So habe ich das noch gar nicht gesehen!
Ich denke, das werde ich direkt mal ausprobieren!

Araluen

Ich finde, man sollte auch klar unterscheiden, ob man seine Probleme tatsächlich in der Geschichte bewältigt oder ob man einfach eine abgeschlossene und verarbeitete Episode aus der eigenen Lebenserfahrung mit einflechtet. Letzteres kommt auch bei mir hin und wieder einmal vor, wobei ich nicht viel von persönlichen Seelenstriptease in Geschichten halte.
Werde ich gerade gemobbt und schreibe ein Buch mit einem Mobbingopfer darüber noch während ich in Therapie deswegen bin? Dann verarbeite ich mein Problem in der Geschichte. Würde mir persönlich nicht einfallen, das zu tun. Das geht niemanden etwas an. Da bin ich eigen.
Die Mobbingzeit liegt schon eine Weile zurück, ich habe das Thema verarbeitet und kann reflektiert und ohne Nervenzusammenbruch darauf zurückblicken? Ja vielleicht mag ich eine Geschichte mit dem Thema Mobbing schreiben. Würde ich jetzt auch nicht tun, denn ich bin immer noch der Meinung, das mein Leben niemanden etwas angeht. Außerdem macht es mir viel mehr Spaß, mich in andere Figuren hinein zu denken, statt lauter kleine Kopien meiner selbst durch meine Geschichten hüpfen zu sehen.
Was ich tatsächlich hin und wieder mache, ist die Übertragung von Lebensweisheiten und Anschauungen auf meine Figuren oder den Plot. Und manchmal schreibe ich auch kleine Anekdoten auf, solche, die man ohnehin gern im Freundeskreis mal erzählt. Authentischer geht es ja kaum. Ich weiß, dass es so passieren kann, mir ist es passiert. Und die verrücktesten Geschichten schreibt das Leben selbst.

canis lupus niger

Karl May hat behauptet, dass er nur über Dinge geschrieben hätte, die er selber erlebt hätte. Bekanntermaßen ist er erst als alter Mann in die USA und in den Orient gereist, und er hat auch selber mal in einem Interview erklärt, es wäre doch völlig unmöglich, dass ein einzelner Mensch all diese Abenteuer und Reisen tatsächlich erlebt. Somit  ist klar, dass er mit dem "selbst Erlebten" die zwischenmenschlichen Probleme und Dramen meint, die er in seinen Romanen thematisiert.

Genauso halte ich es auch. Natürlich kann ich nicht den Umgang mit zahmen, als Haustieren gehaltenen Drachen, oder Reisen durch eine mittelalterliche Welt aus eigener Anschauung beschreiben. Aber menschliche Gefühle, Enttäuschungen oder persönliche Entwicklungen, die kenne ich, und kann sie thematisieren, um meine Geschichten und Charaktere authentisch und lebendig zu gestalten.

Cooky

Ich sehe das ähnlich wie @Eluin. Wenn man seinen Protagonisten innere Konflikte verpasst, die etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben, sollten es die sein, die man bereits für sich gelöst hat.
Wie schafft es der Protagonist, den Konflikt zu überwinden, wenn man keine Idee hat, wie man es für sich selbst schaffen soll, oder einem die Kraft dazu fehlt? Und wenn es dem Protagonist dann doch gelingen sollte, ist das auch die Lösung einen selbst? Wenn nicht, macht es das Problem am Ende nicht noch schlimmer?
Dass eigene Erlebnisse und Konflikte in eine Geschichte einfließen, ist okay. Über Sachen zu schreiben, von denen man eine Ahnung hat, kann eine Geschichte authentischer machen. Innere Konflikte machen einen Protagonisten interessanter. Wenn er durch die Überwindung eine Charakterwandlung vollzieht, ist das für den Leser ideal. Ich denke aber nicht, dass es mit einem Problem möglich ist, an dem man selbst noch nagt, während man die Geschichte schreibt.
Ich habe hier hauptsächlich Geschichten im Kopf, die man für ein Publikum schreibt. Schreibt man nur für sich selbst, kann es funktionieren. Nicht für mich, aber am Ende tickt jeder Mensch anders.