Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Trippelschritt am 03. Oktober 2015, 09:31:53

Titel: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Trippelschritt am 03. Oktober 2015, 09:31:53
Nachdem wir einen Fingerübung-Thread für Romananfänge haben, in dem sich jeder austoben kann, möchte gern eine Sammlung erster Sätze anlegen, die uns als Leser beeindruckt haben. Das schließt Kurzgeschichten mit ein. Und wenn wir außerdem noch die entsprechenden Meinungen dazu sammeln, warum dieser erste Satz uns denn so grandios erscheint, können wir auch noch eine ganze Menge lernen. Übers Schreiben, aber auch über uns selbst.
Der erste Satz ist in Kurzgeschichten wichtiger als in Romanen, aber seine Funktion ist in beiden gleich. Er soll den Leser so sehr in den Text hineinziehen, dass er auch noch den zweiten und dritten Satz liest und am besten dann den ganzen Absatz. Der erste Absatz soll dann so geschrieben sein, dass er einlädt, das erste Kapitel zu lesen u.s.w. Aber der erste Absatz ist ein anderes Thema.

Erlaubt sind auch zwei Sätze, wenn der erste extrem kurz ist. Beispiel: "Ah, Billy." Das ... Ein Satz aus zwei oder drei Worten ist selten mehr als ein Räuspern zum Warmreden.

Hier sind meine beiden ersten Beispiele aus dem Fantasy-Bereich

Dawn of a cold hard day. A low flat millstone of a sky remorslessly grinding out the thin, grey flour of a winter's daybreak
against the rocky coast of Brittany
aus Richard Cowper: A dream of kinship 1981

Es tut mir leid, dass ich mit einem englischen Text beginne. Ich habe ihn nicht auf deutsch und ich traue mich auch nicht, ihn zu übersetzen, weil ich einiges daraus nicht packen kann. Mich hat das Bild des arbeitenden Mühlsteins fasziniert und der Vergleich des Himmels mit grauem frisch gemahlenem Mehl. Die vielen Adjektive sind alle einsilbig und geben dem Satz überdies einen ganz besonderen Klang.



The island of Gont, a single mountain that lifts its peak a mile above the storm-recked Northeast Sea, is a land famous for wizards.
aus Ursula LeGuin: A Wizard of Earthsea 1968

Vor allem diesen Anfang bewundere ich sehr, weil er so unspektakulär einherkommt. Erst ein klares Bild in wenigen Worten. Und am Ende des Satzes "famous for wizards". Damit ist alles gesagt, und der Leser weiß, worum es geht. Die Besonderheit von Gont im Vergleich zu dem Rest der Welt und um Zauberei oder Magie. Das ist einfach ganz große Klasse! "... is a land full of wizzards" oder 2crowded with wizzards" wäre von der aussage her auchgegangen. Aber mit "famous" wird gleichzeitig angedeutet, dass man darüber redet, davon erzählt und tatsächlich geht es in eienr art Erzählstimme weiter in einen einseitigen grandiosen Anfang. Und ich war eingefangen.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Dämmerungshexe am 03. Oktober 2015, 10:27:44
Ich weiß ja nicht, ob dieser Thread sich rein auf das Genre Fantasy bezieht - ein erster Satz, der mir immer im Gedächtnis bleiben wird ist:

"Call me Ishmael."
(aus: Moby Dick, von Herman Mellville)


Ich habe mich immer gefragt, ob er nicht doch einen anderen Namen hat, und ob das, was er erzählt, wirklich ihm passiert ist ... usw.
Und ja - der Satz dürfte einer der bekanntesten "Ersten Sätze" der Weltliteratur sein. Und er kann die Leute wirklich fürs Lesen begeistern: Als mein Bruder und ich zusammen "Die Liga der außergewöhnlichen Gentleman" angeschaut haben und Nemos Maat sich vorstellte, habe ich gelacht und mein Bruder hat gefragt, was daran denn lustig sei. Ich habe ihm "Moby Dick" gegeben. Danach hat er sich "Das Bildnis des Dorian Grey" geholt, und andere Klassiker.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: SvenNeitsch am 03. Oktober 2015, 10:47:55
Vielleicht nicht Welt berühmt und perfekt, aber der erste Satz aus dem Hobbit geht mir nicht aus dem Kopf und ist mir sympathisch, liegt vielleicht daran das ich allgemein ein Fan von der ganzen Schose bin  :rofl: :versteck:

"In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit. Nicht in einem feuchten, schmutzigen Loch, wo es nach Moder riecht und Wurmzipfel von den Wänden herabhängen, und auch nicht in einer trockenen, kahlen Sandgrube ohne Tische und Stühle, wo man sich zum Essen hinsetzen könnte: nein, das Loch war eine Hobbithöhle, und das heißt, es war sehr komfortabel."

Der Hobbit
J.R.R. Tolkien
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Ratzefatz am 03. Oktober 2015, 10:56:21
Ein sehr berühmter erster Satz (wobei ich zugeben muss, das Buch selbst nicht gelesen zu haben):

"Im Sommer 1963 verliebte ich mich, und mein Vater ertrank."
(Charles Simmons, Salzwasser, engl. 1989, dt. 1999)

LG
Ratzefatz
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Trippelschritt am 03. Oktober 2015, 11:27:14
Zitat von: Dämmerungshexe am 03. Oktober 2015, 10:27:44
Ich weiß ja nicht, ob dieser Thread sich rein auf das Genre Fantasy bezieht - ein erster Satz, der mir immer im Gedächtnis bleiben wird ist:

"Call me Ishmael."
(aus: Moby Dick, von Herman Mellville)

Hallo Dämmerungshexe,
vor allem bei diesem Satz wäre es schön, ein paar Worte der Erklärung hinzuzufügen, denn die Besonderheit erschließt sich nur dem, der mit Ishmael etwas anzufangen weiß. Du weißt bestimmt, dass Du mit Deiner Bewunderung dieses Satzes nicht allein stehst.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: pink_paulchen am 03. Oktober 2015, 14:59:54
Da muss ich gar nicht nachdenken:

ZitatAm Samstagmorgen erwachte ich blind und halbseitig gelähmt. Ich bin schon oft blind gewesen und auch schon oft halbseitig gelähmt, aber in letzter Zeit bin ich öfter beides gleichzeitig, und das fängt allmählich an, mir Sorgen zu machen.

Andreas Eschbach, Der letzte seiner Art

Ich finde,  der macht unglaublich neugierig. Wer da wohl spricht und was das Geheimnis ist? Wer hier nicht weiterliest ist selbst schuld! Zudem folgt direkt eine ziemlich spannende Einstiegsszene. Insgesamt für mich ein tolles Buch mit herausragendem Einstieg.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Churke am 03. Oktober 2015, 15:27:57
"Das Galaktische Imperium zerfiel."

Isaac Asimov, Der galaktische General
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Dämmerungshexe am 03. Oktober 2015, 17:38:44
"Die Tür zum Chaos war nur angelehnt. Von Salomon fehlte jede Spur."

(Ralf Isau - Das Netz der Schattenspiele)

Ich glaube aus dem Anfang könnten zehn Autoren insgesamt hundert Romane machen und das in unterschiedlcihsten Genres, wobei man einige extra neu erfinden müsste.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: jokergirl am 03. Oktober 2015, 19:20:25
"It was a pleasure to burn.
It was a special pleasure to see things eaten, to see things blackened and changed."

Ray Bradbury, Fahrenheit 451
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Malinche am 03. Oktober 2015, 20:04:01
Ich fände es übrigens schön, wenn tatsächlich jeder noch mal ein paar Worte zu dem gewählten ersten Satz sagen würde, so wie Trippelschritt ja auch eingangs geschrieben hat:

Zitat von: Trippelschritt am 03. Oktober 2015, 09:31:53
Und wenn wir außerdem noch die entsprechenden Meinungen dazu sammeln, warum dieser erste Satz uns denn so grandios erscheint, können wir auch noch eine ganze Menge lernen. Übers Schreiben, aber auch über uns selbst.

Klar sprechen manche erste Sätze auch schon irgendwie für sich selbst, aber letztlich ist die Frage, warum wir sie großartig finden, ja auch noch mal etwas sehr Persönliches und es kann durchaus bei jedem etwas anderes berührt werden.

Einer meiner absoluten liebsten ersten Sätze:

Zitat"This is my favourite book in all the world, though I have never read it."
(William Goldman, The Princess Bride)

Ich finde den einfach großartig. Mit diesem scheinbaren Widerspruch hat mich der Satz jedenfalls sofort am Haken, und natürlich will ich auch wissen, warum es das Lieblingsbuch ist. Und wenn man das Buch erst einmal durch hat, ist auch irgendwie klar, dass dieser augenzwinkernde Einstieg ganz wundervoll zu allem passt, was in dem Buch so passiert. Mir gefällt auch sehr, wie der scheinbare Widerspruch aufgelöst wird und was da für eine Geschichte eingeflochten ist.
Hach. Und jetzt merke ich, dass ich es mal wieder lesen sollte. :vibes:
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Aleya Sihana am 04. Oktober 2015, 12:39:53
Ich habe nicht einen, sondern drei Sätze, also eher einen ersten Absatz, der mir besonders gefällt. Ich hoffe, das ist auch okay. :versteck:

Zitat"Ich heisse jetzt Zawinul. Ich habe ihn geerbt, den Namen, aber nicht von meinen Eltern. Von einem Freund habe ich ihn geerbt, denn Zawinul ist ein Name zum Weitergeben."
(Hanna Johansen, Dinosaurier gibt es nicht)

Mich haben diese ersten drei Sätze einfach gepackt, weil ich mich sofort fragte, was das für ein merkwürdiger Name ist und wozu man ihn weitergibt und was das überhaupt mit Dinosauriern zu tun hat. Ich finde auch toll, wie dieser erste Absatz den Stil des ganzen Buches perfekt einfängt - irgendwie schräg, wundersam und verrückt.
Klar, es ist eine Kindergeschichte, nichts "Besonderes", aber seit ich zehn bin, ist das mein absolutes Lieblingsbuch und ich lese es auch heute noch gern und oft. Diese Geschichte in seiner ganzen Eigenheit hat bei mir einfach einen bleibenden Eindruck hinterlassen. :wolke:
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: gbwolf am 04. Oktober 2015, 14:09:43
Für mich sieht es aufrgund der Beispiele so aus, dass die Melodie des ersten Satzes den Leser so weit packt, dass er den ersten Absatz liest und wenn diese 3-4 Sätze das Versprechen einhalten, das der erste Satz gibt, wird weitergelesen. Ich überlege, ob man im englischen einfacher packende erste Sätze formulieren kann, wofür sich das Deutsche auf mehrere Sätze entfalten muss.

ZitatEs friert, außerordentliche 18 Grad Celsius, und es schneit. In der Sprache, die nicht mehr meine ist, heißt der Schnee qanik, er schichtet sich zu Stapeln, fällt in großen, fast schwerelosen Kristallen und bedeckt die Erde mit einer Schichtaus pulverisiertem, weißem Frost.
Das Dezemberdunkel kommt aus dem Grab, dasgrenzenlos wirkt, wie der Himmel über uns.
Für mich ist "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" nicht nur ein Beispiel für eine der eckigsten, genialsten Frauenfiguren der Literatur, sondern auch für eine wundervolle Sprache, die mich von Anfang an am Wickel hatte.
Der Autor verlangsamt mit einem schnellen Strich alles zu eisiger Kälte, macht klar, dass diese Protagonistin zerrissen, heimatlos ist, beobachtet ... und gerade noch jemanden verloren hat.

Ich erinnere mich, dass ich das Buch wie in Trance aus der Bibliothek trug und ich meine, noch im selben Jahr das Folgende:
ZitatIm achzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte.
"Das Parfum" beginnt da eigentlich richtig verboten, also mit einem ewigen Schachtelsatz und dazu noch von einem fast Erzähler präsentiert. Für mich hat genau diese Mischung funktioniert: Eine märchenhafte Sprache und das Versprechen, über das Böse zu berichten. Der Erzähler präsentiert sich als jemand, der sich auskennt, mit den Niederungen der menschlichen Natur, und der uns mitnehmen möchte, die Szenen zu begehen wie Gemälde in einer Kunstgalerie.


Edit: Ein Fantasybeispiel möchte ich noch ergänzen. Hardebuschs "Werwölfe". Lassen wir den Prolog einmal weg – mich begeistern nur sehr wenige Prologe –, ist dies der erste Satz:
Zitat"Es war eine dunkle und stürmische Nacht"
Und zwar finde ich den deshalb so genial, weil man ihn ja als das Beispiel kennt, wenn jemand nicht weiß, was er schreiben und wie es weitergehen soll. Im nächsten Satz wird auch klar, dass Hardebusch das einem Nachwuchsschreiber in den Mund legt, der gerade jemandem aus seinem (nicht besonders guten) Werk vorliest. Das finde ich ziemlich spannend, denn es charakterisiert die Figur und zeigt gleich, dass der Roman einen lockeren Tonfall hat.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: jokergirl am 04. Oktober 2015, 19:14:14
Zitat von: jokergirl am 03. Oktober 2015, 19:20:25
"It was a pleasure to burn.
It was a special pleasure to see things eaten, to see things blackened and changed."

Ray Bradbury, Fahrenheit 451

Sorry, sass vorhin in der Ubahn und war dementsprechend kurz angebunden.

Der Satz und die Mysterie dahinter (was ist das für ein Psycho, und was verbrennt er?) haben mich beim ersten Lesen gepackt und in die Erzählung gesaugt. Und spätestens, als ich am Ende der Seite herausfand, dass die Bücher verbrennen, gab es kein Zurück mehr. So ein Frevel! Was steckt da für eine kranke Welt dahinter?
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: KaPunkt am 04. Oktober 2015, 19:32:54
ZitatBarrabas kam auf dem Seeweg in die Familie.
Das Geisterhaus von Isabel Allende

Ich weiß nicht, warum ausgerechnet dieser Satz sich festgesaugt hat, aber ich kann ihn einfach nicht vergessen.
Ich denke, es liegt an der Sprachmelodie - der Satz singt, wie ich finde -, ich mag auch das ganz leicht antiquierte (In die Familie kommen), und das es gleichzeitig etwas heimeliges hat. Ich fühle mich wohl, wenn ich diesen Satz lese.

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: gbwolf am 04. Oktober 2015, 20:47:54
Zitat von: KaPunkt am 04. Oktober 2015, 19:32:54
ZitatBarrabas kam auf dem Seeweg in die Familie.

Und man überlegt gleich, wer das ist, denn einerseits ist er ein Fremder, wenn er über den Seeweg kam und andererseits scheint er entweder schon als Familienmitglied aufgenommen zu sein oder muss sich jetzt in die Familie integrieren.
Ich kenne das Buch nicht, finde aber den Satz hervorragend! Er transportiert Atmosphäre, einen Namen und eine Frage.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Sunflower am 05. Oktober 2015, 12:08:50
Ich habe mal, als mir langweilig war, meine liebsten ersten Sätze gesammelt - zufälligerweise ;) stammen sie meist sogar aus meinen liebsten Büchern. Also hier mal ein bisschen Verstärkung für die Fantasy-Ersten-Sätze!

ZitatEs fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später musste Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte sie ihn, wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften.
Tintenherz von Cornelia Funke

Dieser Satz (bzw. ich finde, man braucht die ersten zwei Sätze für die ganze Wirkung) belegte in dem Wettbewerb "Der schönste erste Satz" (https://de.wikipedia.org/wiki/Der_sch%C3%B6nste_erste_Satz) den zweiten Platz in der Jugendliteratur. Ich mag ihn - oder die ersten beiden Sätze - so gern, weil man sofort neugierig wird. Was ist in jener Nacht geschehen? Es muss ja sehr einschneidend gewesen, wenn Meggie sich noch Jahre später an den Regen erinnert. Außerdem ist "wispernd" ein tolles Wort :vibes:

ZitatUnd dann das Schloss.
Die Alchimistin von Kai Meyer

Das finde ich großartig, weil es wirkt, als sei der Erzähler schon länger dabei, die Gegend zu beschreiben und hält nun inne, um das (anscheinend beeindruckende) Schloss zu beschreiben. Für den Leser ist es aber der erste Satz. Was auch toll ist - dieser Satz wird von einer Figur "gedacht"/erzählt, die später nicht der Protagonist ist. Die eigentliche Protagonistin, Aura, lernt man erst später kennen - durch die Augen dieses ersten Erzählers.

ZitatShadow had done three years in prison. He was big enough, and looked don't-fuck-with-me enough that his biggest problem was killing time. So he kept himself in shape, and taught himself coin tricks, and thought a lot about how much he loved his wife.
American Gods von Neil Gaiman

Diese drei Sätze fangen meiner Meinung nach schon genau ein, wie Shadow, der Protagonist, tickt. Von außen scheint er dieser Schlägertyp zu sein, groß, eher rau - eigentlich ist er aber ziemlich sensibel, auf seine Art klug und verletzlich. (Und wenn man überlegt, wie es mit Shadows Frau weitergeht -
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
-, dann werden die ersten drei Sätze nochmal genialer.)
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Aljana am 05. Oktober 2015, 12:30:13
Der Hobbit ist ein ganz großartiger Anfang! Und von Wegen nicht weltberühmt. Er steht sogar in den Torbogen des Tourizentrums von Matamata eingraviert. Und das schon seit dem Herr der Ringe-Dreh.

Was ich beizusteuern habe, ist ein Klassiker. aber ich liebe ihn. Ich liebe das Buch, ich liebe die Filme (jeden einzelnen, der je gedreht wurde) und oute mich hier mal als Fan.

ZitatIT is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune must be in want of a wife.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Lothen am 05. Oktober 2015, 12:40:19
@Aljana : Magst du trotzdem verraten, woher der Satz stammt? ;)

Ich schmeiße noch einen Klassiker in den Raum (Aus Kafkas "Verwandlung"):

ZitatAls Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.

Der Satz wirft den Leser unmittelbar mitten in die Geschichte und hinterlässt genau das richtige Gefühl von Absurdität.

Auch sehr genial, weil total paradox (und weil er die nachfolgende Geschichte perfekt charakterisiert):
ZitatEin Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt, meines nicht
Aus "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Moers
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: funkelsinlas am 05. Oktober 2015, 12:42:31
@ Lothen: Der Satz ist aus Stolz und Vorurteil.

Wirklich ein cooler Satz.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: cryphos am 05. Oktober 2015, 13:06:20
Zitat"Der Hegemoniekonsul saß auf dem Balkon seines Ebenholzraumschiffs und spielte Rachmanioffs Prelude in cis-Moll auf einem uralten, aber gut erhaltenen Steinway, während sich große grüne Saurierwesen unten in den Sümpfen drängten und heulten."
- Dan Simmons, Die Hyperion-Gesänge
Allein dieser Satz erschafft bei mir ein Kopfkino von unglaublichen Ausmaß. Ich kenne sonst kein Buch, welches mir allein mit dem ersten Satz so ein fulminantes Bild der Welt erschafft, in welche ich in den nächsten Stunden eintauchen werde.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Aljana am 05. Oktober 2015, 13:12:58
Ich hasse die Verwandlung ... der Anfang versprach Spannung und alles, aber das Buch war einfach nur tödlich langweilig.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: KaPunkt am 05. Oktober 2015, 13:26:32
Zitat von: cryphos am 05. Oktober 2015, 13:06:20
Zitat"Der Hegemoniekonsul saß auf dem Balkon seines Ebenholzraumschiffs und spielte Rachmanioffs Prelude in cis-Moll auf einem uralten, aber gut erhaltenen Steinway, während sich große grüne Saurierwesen unten in den Sümpfen drängten und heulten."
- Dan Simmons, Die Hyperion-Gesänge
Allein dieser Satz erschafft bei mir ein Kopfkino von unglaublichen Ausmaß. Ich kenne sonst kein Buch, welches mir allein mit dem ersten Satz so ein fulminantes Bild der Welt erschafft, in welche ich in den nächsten Stunden eintauchen werde.
OT:
Cryphos, aus!
Hör auf, die gleichen Bücher aus den gleichen Gründen zu mögen wie ich!

Liebe Grüße,
KaPunkt
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Belle_Carys am 05. Oktober 2015, 13:26:46
Der Thread ist großartig, aus so vielen Gründen.

Ich persönlich kann gar keinen ersten Satz nennen der mich sofort gebannt hat, obwohl es bestimmt viele gab. Aber ich habe ein grauenhaft schlechtes Textgedächtnis und vergesse die trotz Bemühungen dann immer sofort wieder  :brüll:

Faszinierend finde ich aber vor allem wie unterschiedlich sowas auf die Leser wirken kann.

@cryphos , dein Beispiel wäre nämlich sofort ein Grund für mich gewesen das Buch wieder wegzulegen. In dem Satz ist mir viel zu viel los und das Bild dass das in meinem Kopf ergibt sieht für mich komplett albern aus. Wenn ich das betalesen würde, hätte ich "zu bemüht" an den Rand geschrieben  :rofl:

@Lothen  Du erinnerst mich dran, dass ich Käpt'n Blaubär immer mal noch lesen wollte. Die Stadt der träumenden Bücher war ja gar nicht meins, aber dem Bärchen wollte ich immer mal noch ne Chance geben und der Einstieg ist und bleibt einfach genial.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: funkelsinlas am 05. Oktober 2015, 13:54:53
Welche ich toll fand sind:

Der Engel brannte. (Krieg der Engel)

und

Es fiel Regen in dieser Nacht. Ein feiner, wispernder Nebel (Tintenherz)
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: cryphos am 05. Oktober 2015, 14:24:34
Zitat von: KaPunkt am 05. Oktober 2015, 13:26:32

OT:
Cryphos, aus!

Ok dann habe ich noch folgende ersten Sätze und wehe das Buch gehört auch zu deinen Lieblingsbüchern:
ZitatEin sonniger Tag.
Inzwischen waren mehr als nur sieben Tage vergangen, und ständig herrschte prächtiges Wetter - den Regen hatte man noch nicht erfunden. Aber jenseits von Eden ballten sich dunkle Wolken zusammen und kündigten ein Unwetter an, das erste in der Klimageschichte des Paradieses.
- Ein gutes Omen, Terry Pratchett und Neil Gaiman
Es war das erste Mal, dass ich mit Gaimann und Pratchett in Berührung kam. Rückblickend hat dieses Buch sehr vieles für mich geändert und ist deshalb schon was Besonderes für mich.
Was mich aber damals wie heute daran so fasziniert ist wie man von einer Platitude ins Skurrile und zum Humoresken wechseln kann ohne die Fassung zu verlieren und dabei nimmt man gleich die Genesis auf die Schippe und damit die drei großen monotheistischen Weltreligionen. Diese drei Sätze versprechen viel und das Buch dahinter kann auch vieles davon halten.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Tika am 05. Oktober 2015, 15:35:46
Einen schönen ersten Satz findet man nach dem Prolog in Minnesota Winter von Elli H. Radinger

ZitatKapitel 1
Wie zieht man sich sexy an bei minus dreißig Grad?

Das Buch verspricht spritzig zu sein und gleichzeitig fragt man sich selbst, wie das gehen soll. Obendrein wird man neugierig darauf, wie die Protagonistin darauf kommt, sich diese Frage zu stellen.

Im Übrigen ein gutes Buch - man riecht förmlich den Schnee. Kann ich empfehlen.

Ein weiterer guter erster Satz findet sich in Meteor von Dan Brown

ZitatAn diesem gottverlassenen Ort gab es viele Möglichkeiten, zu Tode zu kommen. Der Geologe Charles Brophy hatte den Gefahren dieser grandiosen Gegend jahrelang getrotzt, doch das barbarische, widernatürliche Schicksal, das ihm nun bevor stand, traf ihn völlig unvorbereitet.

Der erste Satz sagt schon, dass das was kommt und schon beginnt man sich zu fragen, welche Todesarten es denn so gibt. Als dann die Andeutung kommt, dass dem Geologen was übles zugestoßen ist, ist man neugierig darauf, was es denn war.
Übrigens ein sehr rasantes Buch, dass man ungern aus der Hand legt und, nebenbei bemerkt, viel besser als alles was er nach Sakrileg geschrieben hat.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Siara am 05. Oktober 2015, 20:17:17
Oh, an diesen schönen Anfang von Tintenherz erinnere ich mich gar nicht mehr. Das Buch mochte ich nicht sonderlich, aber der ist wirklich gelungen!

Und @Tika: Romanzen sind meistens nicht so meins, aber der erste Satz ist schlichtweg cool. ;D

@Malinche: Wow, der von Goldmann ist wirklich genial! Allein damit hat es der Roman gerade auf meine to-read Liste geschafft.

Mein erster Favorit ist - natürlich - The Name of the Wind:
ZitatThe Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts.
Die Sprachmelodie, der zu diesem Zeitpunkt und ohne Erklärung verwirrende Beginn, die stille Frage darin ... :wolke:

Ebenfalls genial finde ich den Beginn zu "Die dunklen Gassen des Himmels" von Tad Williams:
ZitatIch trat gerade aus dem Lift in die dreiundvierzigste Etage des Hochhauses Page Mill Square Nr. 5, da ging plötzlich der Alarm los, dieses albtraumhafte Sofort-Gebäude-Räumen-Gejaule, das sich wie die Schreie gefolterter Roboter anhört, und mir war klar, mit dem unauffälligen Vorgehen hatte es sich erledigt.
Die Sprache im gesamten Roman ist herrlich bunt und rotzig zugleich, und auch der Actionfilm-Charakter wird schon am Anfang perfekt eingebunden. Außerdem habe ich selten einen Beginn gelesen, der einen so gekonnt nicht nur an das Geschehen, sondern mitten hinein wirft. Das Gefühl wie die Spannung kurz vor dem Finale, und das schon beim ersten Satz - das hat was!
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Demm Helder am 05. Oktober 2015, 21:56:11
ZitatEher reißen die Katzen eines Tages die Weltherrschaft an sich, als dass ein Mensch ohne Arme und Beine den perfekten Mord begeht.

Akif Pirincis erster Satz in seinem Buch der Rumpf hat mich nicht nur neugierig gemacht, sondern schon viel über den Prota und die eigentliche Frage der Handlung verraten. Ein Buch voller Überraschungen, eine Lebensgeschichte voller Absurditäten...
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Moni am 15. Oktober 2015, 09:43:37
Erste Sätze sind für mich viele wichtig, denn wenn ein Buch mich nicht mit den ersten Sätzen packt, habe ich oft nicht die Lust, mich weiter damit zu beschäftigen.

Hier ein paar meiner liebsten ersten Sätze mit Begründung:

ZitatGestern Nacht träumte ich, ich sei wieder in Manderley.

Rebecca, Daphne du Maurier

Sowieso eines meiner Lieblingsbücher (dann auch noch kongenial mit Laurence Olivier und Joan Fontaine verfilmt), was kann es besseres geben, als diesen Herrenhausmysteryklassiker, dessen erster Satz mich sofort hatte, weil ich wissen wollte, was Manderley war und wer da träumte und was der Grund für den Traum war.

ZitatIn a hole in the ground there lived a hobbit. Not a nasty, dirty, wet hole, filled with the ends of worms and an oozy smell, nor yet a dry, bare, sandy hole with nothing in it to sit down on or to eat: it was a hobbit-hole, and that means comfort.
The Hobbit, J.R.R. Tolkien
Ich habe den Satz bewußt in der englischen Fassung gewählt, auch wenn ich mit der deutschen Ausgabe in Mittelerde einstieg, als ich 9 Jahre alt war. Es gibt keine Übersetzung, die den Ton so trifft, wie das Original. Man weiß gleich, hier beginnt eine ungewöhnliche Geschichte und vor allem wollte ich wissen, was um alles in der Welt ein Hobbit ist.  8)

ZitatAls Herr Bilbo Beutlin von Beutelsend ankündigte, dass er demnächst zur Feier seines einundelfzigsten Geburtstages ein besonders prächtiges Fest geben wolle, war des Geredes und der Aufregung in Hobbingen kein Ende.
Der Herr der Ringe, Bd.1 Die Gefährten, J.R.R.Tolkien
Und auch der erste Satz des HdR (wenn man die Einleitung über Hobbits außen vor lässt und mit der eigentlichen Handlung einsteigt) ist für mich ein Satz, der neugierig macht. Was für eine merkwürdige Altersangabe ist einundelfzig und vor allem, wie ist es Bilbo in den Jahren nach dem Abenteuer vom Einsamen Berg ergangen?

Ich habe noch zig weitere erste Sätze, aber ich will es nicht gleich übertreiben...  8)
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: pink_paulchen am 16. November 2015, 11:04:50
Ich möchte auch noch ein zweites Posting nutzen, um jenseits meines bereits erwähnten Eschbach-Aha-Erlebnisses was frisches zu posten. Ich lese gerade "Mieses Karma hoch zwei"und da begrüßt mich folgender Einstieg:

ZitatDer Tag, an dem wir beide starben, hat nicht wirklich Spaß gemacht. Und das lag nicht nur an unserem Tod. Um genau zu sein: Der schaffte es nur auf Platz 6 der miesesten Momente des Tages.

Ich muss sagen, das ist genau der Anfang, den ich mir für ein Unterhaltungsbuch wünsche. Er trifft genau die Stimmung und Sprache, die ich mir für mein Nanobuch wünsche (frecher Frauenroman) und ich habe sofort Lust weiterzulesen.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Trippelschritt am 16. November 2015, 16:29:26
Ja, wenn der Satz nicht neugierig macht, dann weiß ich es nicht. Und den Stil des Buches verrät er auch.  :pompom:

Trippelschritt
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: foxgirl am 16. November 2015, 19:54:21
Mir fällt auch noch einer aus einem meiner Lieblingskinderbücher ein:

ZitatThe carriage gave another lurch, and Maria Merryweather, Miss Heliotrope, and Wiggins once more fell into each other's arms, sighed, gasped, righted themselves, and fixed their attention upon those objects which were for each of them at this trying moment the source of courage and strength.
-The little white horse von Elizabeth Goudge

Mich hat das Buch sofort gefesselt, weil ich schon beim ersten Satz so über die Figuren lachen musste. Damit hatten sie mich. Übrigens ein wunderschönes Buch (allerdings eher für Kinder), für alle die es nicht kennen.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Big Kahuna am 03. Dezember 2015, 00:33:35
Mir ist vor kurzem erst aufgefallen, wie geil eigentlich "Das Lied von Eis und Feuer: Die Herren von Winterfell" beginnt:

Zitat"Wir sollten umkehren", drängte Gared ...

Wenn man jetzt nicht wüsste, dass George Martin doch n recht großes Ego hat, könnte man es so interpretieren, dass er damit sagen will: "Klapp das Buch lieber wieder zu"  :rofl:
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Barra am 16. Juli 2017, 00:24:35
Ich hab' diese 'Frage' grade wieder auf FB gesehen. Und mir gedacht, schau' mal was im Tintenzirkel dazu steht. Jetzt hab' ich auf Anhieb aber nur diesen Thread gefunden, in dem es weniger um die Wichtigkeit des 1.Satzes geht, mehr um eine Sammlung der besten ersten Sätze. (Wenn ich hier also falsch bin, bitte mit der Nase draufstossen.)

Die Frage auf FB lautete also: "Schreib den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt auch den zweiten lesen will." (William Faulkner) Stimmst du dem zu?
Da hier einige schon viele erste Sätze genannt haben, gehe ich mal davon aus, dass viele der Aussage zustimmen.
Daher mal mein Lieblings 1. Satz.

Er stammt weder aus einem Roman noch aus einer Kurzgeschichte und ist mir dennoch für die ganze 1.Satz-Angelegenheit wichtig.
Wir haben diesen Test in der 10.Klasse gemacht. (Bewerbungsgespräche etc)

ZitatAufgabe 1: Lesen Sie zuerst alle Punkte durch, ehe Sie etwas tun.

aus:
3-Minuten-Test
Thema: Schnelligkeit, Konzentration und Auffassungsgabe
Zur Bearbeitung des Tests haben sie DREI Minuten Zeit.

Ja, der Test suggeriert dir schon, du sollst schnell sein und verfälscht das Ergebnis. Ich bin damals drauf reingefallen. Wie ca 95% der Klasse. Erst ALLES lesen, dann steht ganz hinten: Bearbeite nur Aufgabe 1 und 2. Ende. Man erliegt dem Wunsch: Alles in 3 Minuten muss sofort eredigt werden und deswegen: Zack, sofort alles bearbeiten. Nein, nur lesen!

Deswegen halte ich die Mystifizierung des 1.Satzes für zu viel des Guten. Ich selbst kann mich an keinen 1.Satz eines Romans erinnern. Wohl aber an das Gefühl ein verdammt gutes 1.Kapitel oder einen herausragenden Prolog gelesen zu haben.
Die Aufgabe jeden Satzes ist es, den nächsten lesen zu wollen. Doch geübte Leser sezieren die Sätze nicht, sie sind im Fluß und der erste Satz hat eine einzige Aufgabe: Den zweiten lesen zu wollen. Dafür ist jedes Mittel Recht.
Hier im Anfangspost steht sogar: "Nehmt auch ruhig den 2.Satz, wenn der erste zu kurz ist." Von wegen! Reingefallen. Somit hat der 1.Satz, und wenn er nur aus 2Worten bestand, seine Aufgabe schon erfüllt *zwinker und er war gut genug.

Hoffe, ich eck damit jetzt nicht an. ;)
Ich will nur sagen: Wir sollten uns da nicht verrückt machen. Es gibt verdammt gute 1.Sätze (Den von Moby Dick habe ich zB gesehen hier). Aber er ist nicht so wichtig. Im Schnitt lese ich im Jahr 60 Bücher und ich habe keines von ihnen fort gelegt, weil der erste Satz nicht passte. Er ist kein 'Clickbait'. Als Leser will ich 'schnell und gut' reinkommen in die Geschichte und das kann ein Satz - meiner Erfahrung nach - allein nicht (außer vlt Sätze von Heinrich von Kleist, die 3 Seiten lang sind und allein schon eine Kurzgeschichte sein könnten :P).
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Trippelschritt am 16. Juli 2017, 09:00:14
Ich kann mich durchaus an einige gute erste Sätze erinnern, die mich gleich dazu gebracht haben, alles von diesem Autor zu lesen. Es ist aber auch richtig, dass ein Leser auch einen mittelmäßigen ersten Satz verzeiht und mindestens den ganzen ersten Absatz liest. In so fern ist Faulkners Bonmot ein wenig überspitzt, um ein Prinzip deutlich zu machen. Es macht also durchaus Sinn nach guten ersten Sätzen zu suchen und auf diese Art auch das eigene Schreiben zu verbessern.

Und hier noch einmal einer meiner Favoriten, den ich auch am Anfang dieses Threads bereits zitiert habe:
The island of Gont, a single mountain that lifts its peak a mile above the storm-racked NorthEast Sea, is a land famous for wizards.

Er ist gleich aus mehreren Gründen großartig geschrieben und der folgende Satz nimmt den ersten Eindruck wundervoll auf und verstärkt ihn noch. Und der dritte Satz ....

Liebe Grüße
Trippelschritt

(hat die englische Version gewählt, weil dieser Satz so schwierig zu übersetzen ist.)
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Barra am 16. Juli 2017, 12:54:31
Es gibt wundervolle erste Sätze, die für sich allein betrachet, so wie wir es hier tun, unglaublich viel Geschick beinhalten. Man darf nur nie den Fehler machen, zu versuchen den ersten Satz auch als erstes zu schreiben. Lieber den ersten (Ab-)Satz als letztes hinzufügen, komplett umschreiben, neu formulieren.
Ich unterstelle wirklich, dass die meisten Leser nicht innehalten nach dem ersten Satz und diesen alleinstehend wirken lassen. Daher kann und darf jede Finesse im ersten Satz unterschwellig sein. Ich finde genau das ist der Clou am ersten Satz und deswegen bejahe ich Faulkners Aussage. Der Leser soll gar nicht stoppen, stoppt er, verlierst du ihn. Die ersten Sätze müssen alle zusammenhängen und aufbauen.

Beispiel anhand eines Buches, welches ich noch nicht gelesen habe und jetzt nur für diesen Thread aufgeschlagen habe:
Andrew Prentice/ Jonathan Weil - Pandämonium
Zitat,,DAS MÄDCHEN STARB ALS ERSTE."
Verdammt, jetzt will ich unbedingt wissen, wieso das alles in Versalien gedruckt ist.
"Das Mädchen" - nicht irgendeines ... ein bestimmtes Mädchen - welches?
"starb" - halleluja das Buch ist in der Vergangenheit geschrieben.
"als Erste." - also gibt es noch mehr Tote, von diesem Moment an.
Wenn ich dieses Buch dann irgendwann dies Jahr lese, bin ich gespannt wie oft ich an den Ersten denken werde. Weil ich ja jetzt mal ganz bewusst den Satz im Hinterkopf behalten will. (Nennen wir es ein Selbstexperiment.)

Beispiel anhand eines Buches, welches ich mehrfach gelesen habe.
Jasper Fforde - Der Fall Jane Eyre (Serie)
Zitat,,Mein Vater hat ein Gesicht, das eine Uhr stoppen kann."
"Mein" - Pfui, Ich-Perspektive, mag ich nicht, Buch du hast es schwer, überzeug mich.
"hat ein Gesicht" - ja, das ist gut, wir wissen schon mal, Paps ist kein Mutant.
"eine Uhr stoppen kann." - wait, what? *prustend lach So eine Beleidigung habe ich ja auch noch nie gehört.
Das sagt ja schon viel über die Beziehung von Ich und Papi aus.
Aber erst als ich das zweite Mal dieses Buch las, erkannte ich die Bedeutung dieses Anfangs.  ;) Beim ersten Lesen, war das einfach nur lustig und schnell wieder vergessen.

Wenn ich wissen will, was ein guter erster Satz ist, versuche ich es mal andersrum, welche fand ich denn ebe nicht gut?

Ein für mich schlechtes Beispiel:
Walter Moers - Das Labyrinth der träumenden Bücher (Trilogie innerhalb der Zamonien-Romane)
Zitat,,Hier geht die Geschichte weiter."
"Und hier fängt die Geschichte an." - Der Satz war so wichtig im Vorgänger (Stadt der träumenden Bücher). Und hier kriege ich als Leser nur ein: "Hier geht's weiter." ? Boah wie einfallslos. Das ist schon kein Zaunpfahl, der Autor hat mich mit 'der Nase im Buch'-Strafe zurückgeholt. Tja, immerhin weiss ich jetzt haargenau woran und wo ich bin. Hat also auch sein Gutes und andersrum wäre es auch enttäuschend gewesen, wenn genau dieser Satz nicht da gestanden hätte (Erwartungshaltung.)

Noch ein Beispiel für einen (für mich) misslungenen Anfang
Kai Meyer - Die Krone der Sterne
Zitat,,Sie trage die Sterne in den Augen, hatte einmal jemand gesagt."
Das Buch habe ich gerade als letztes gelesen und ich muss leider sagen: mit dem ersten Satz holt mich niemand ab.
"Sie" - Gut, schon mal 3.Person-Perspektive.
"trägt die Sterne in den Augen" - klingt hübsch, ist mir aber nicht punktgenau genug
"einmal jemand" - *handwedel "Es war einmal".

Und ein letztes Beispiel, für ein Buch, mit langweiligem ersten Satz.
Sebastien de Castell - Greatcoats - Blutrecht (im Original 4Teile)
Zitat,,Man stelle sich einen Augenblick lang vor, man hätte sich seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt."
"man" - hmpf
"vorstellen" - hypothetisch, komm, gib mir die Geschichte, keinen Pathos
"sehnlichsten Wunsch erfüllt" - s.o.
Erst über eine Seite 'Schwafeln' später kommt das hier:
"Sie fic* schon wieder." - BOOM. Was zum Henker, wie bitte? Steht da nicht echt! Und ich dachte mir sofort, grmpfdezertifix, wieso fängt das Buch nicht genau damit an?! Das hat mächtig Eindruck hinterlassen, an den Satz erinnere ich mich. Er war ausschlaggebend dafür lesen zu wollen, ab DEM Punkt, das 'davor' war schlagartig vergessen. Später wird deutlich, dass dieses böse f-Wort völlig unwichtig ist. Das mit dem "Wunsch erfüllen" hingegen sehr wichtig. Aber das merkt man dann auch erst, wenn man den Anfang nach der ersten Lektüre noch einmal liest.

Ist aber genau das, was ich aussagen will. Gute erste Sätze müssen nicht wortgetreu im Kopf bleiben. (Ich musste jetzt alle nachschlagen und war bei dem ein oder anderen Beispiel selbst jetzt überrascht, wie wichtig sie doch sind.)
Gestern Nacht habe ich versucht mich daran aus dem Gedächtnis zu erinnern, ich kam auf keinen einzigen, bis auf den von den Greatcoats, von dem ich wusste, dass der "reißerische Satz" nicht der erste war. Das Buch hatte mich mit dem Geschwafel nämlich schon beinah verloren in der Leseprobe.

Du hast Recht, Trippelschritt, erste Sätze zusammentragen, um sich selbst zu verbessern ist ein nobler Ansatz. Ich füge nur die Ausnahme hinzu, dass ein wirklich guter erster Satz nicht dadurch gut wird, weil ein bestimmter Artikel drin steht oder eine Annahme postuliert wird, oder ein Wort gewissen 'Spielraum' "famous for XY" lässt. Sondern, weil es stimmt: Aufgabe des ersten Satzes: lies den nächsten. Egal wie. Das ist der Bonus im ersten Satz, den man lernen kann herauszukitzeln.

Das beste Beispiel was mir dieses Jahr untergekommen ist: Jana Oltersdorff. (Kurzgeschichte Einhorn)
Zitat"Michaels Freude darüber, ein echtes, leibhaftiges Einhorn zu erblicken, währte nicht lange. Sie endete in dem Moment, als ebenjenes Wesen sein namensgebendes Horn in Tinas Brustkorb stieß."
Meine Reaktion war diese:
"Das ist doch schon die ganze Geschichte, oder? Da ist alles drin!
Prota, LoveInterest, Antagonist, Herzschmerz, Drama, Tod, Trauer, Gegensätze, Spannungsbogen. (offenes Ende, fängt offen an, dürfte der Erwartung 'kurz' in 'Kurzgeschichte' entsprechen, regt zum Nachdenken an, hat ne Pointe/ besonderes Ereignis, Ort und Zeit nicht bekannt ... es ist wirklich alles da.)"

Und mein eingangs erwähnter alltime-Favorit:
Heinrich von Kleist Novelle - Die Marquise von O...
ZitatIn M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: daß sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.
Da ist auch alles drin verwurstet was gebraucht wird an Informationen.

Wer sagte es noch gleich treffend: "The rest will take care of itself." (Ich meine nicht die Lyrics von Webb Wilder).
So krass wie in diesem Kurzgeschichten-Beispiel schaffen es die meisten Romane aber nicht, meiner Meinung nach. Müssen sie auch nicht. Ein Roman, der mich gleich im ersten Satz so zuballert wie Kurzgeschichte/ Novelle, hat es schwer mich mitzunehmen. Weil das muss ich ja dann gleich doppelt lesen und (Faulkner) damit hat der erste Satz es nicht geschafft mich zum zweiten zu bringen. ;)
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Trippelschritt am 16. Juli 2017, 13:09:13
Zitat von: Barra am 16. Juli 2017, 12:54:31

Und mein eingangs erwähnter alltime-Favorit:
Heinrich von Kleist Novelle - Die Marquise von O...
ZitatIn M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: daß sie, ohne ihr Wissen, in andre Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.
Da ist auch alles drin verwurstet was gebraucht wird an Informationen.


Und mehr noch. Die Novelle beginnt mit dem Ende einer Geschichte und so weiß ich bereits nach dem ersten Satz, um was für einen Typ von Geschcihte es sich handelt. Und ja, ich will wissen, wie so etwas einer solchen Frau passieren konnte. :D

Trippelschritt
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Feuertraum am 16. Juli 2017, 18:32:58
Ich widerspreche hier einmal vehement

Zitat von: Barra am 16. Juli 2017, 12:54:31
Sebastien de Castell - Greatcoats - Blutrecht (im Original 4Teile)
Zitat,,Man stelle sich einen Augenblick lang vor, man hätte sich seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt."

Gerade diesen ersten Satz finde ich ehrlich gesagt ziemlich clever. In diesem einen Satz wird genau das angesprochen, was der Leser insgeheim hofft und ihn auch irgendwo zu einer Gedankenreise ein: Was wäre wenn ...
Und auch dieses "'Man' stelle sich vor". Das besagt doch schon, dass der Leser in seine Gedankenreise nicht nur sich einbeschließen darf, dass er auch sein Umfeld/seine Umwelt mit einfließen lassen muss, was alles passieren kann, wie sich Wege/Schicksale, Gedanken der Mitmenschen ändern können.

Zitat"Sie fic* schon wieder."

Interessanterweise finde ich diesen Satz schon wieder banal, langweilig, eher zum Gähnen anregend. Mag unter Umständen daran liegen, dass Sexualität in Romanen und erst recht in unserer Gesellschaft schon lange kein Tabuthema mehr ist und damit zumindest mich nicht wirklich hinter den Ofen hervorlocken kann.




ZitatAufgabe des ersten Satzes: lies den nächsten. Egal wie. Das ist der Bonus im ersten Satz, den man lernen kann herauszukitzeln.

Das unterschreibe ich ebenfalls nur bedingt. Der erste Satz hat irgendwie mit dem Stil des Autoren zu tun.
Ihr Beispiel von Jasper Fjorde zeigt, dass der Autor dieses mit einer Beschreibung anstrebt, die den Leser vollkommen aus der Konformität des alltäglichen Wissens herausreißen und ihn stutzen lässt.
Andere Autoren benutzen den reißerischen Moment (zum Beispiel: Er schob mir den Lauf seiner .38er in den Mund).
Marie Louise Fischer soll einmal gesagt haben, sie schreibe bewusst langweilige erste und zweite und teilweise auch dritte Sätze, um dann aber mit einem Kontrast anzukommen, der den Leser weiter die Augen über die Buchstaben wandern lässt.

Von daher ist es schwierig zu sagen, dass man lernen kann, wie der erste Satz geschrieben werden soll, weil eine Gruppe von Lesern anders reagiert als eine zweite.
Mit Ihrem Beispielsatz "Sie fic* schon wieder" kann ich nichts anfangen, Sie hingegen hat der Satz umgehauen.

Obwohl ich gestehen muss: Es gibt einen ersten Satz, den selbst ich als den perfektesten ersten Satz aller Zeiten betrachte:
ZitatEs war eine dunkle und stürmische Nacht!
Snoopy (ja, der Beagle von Charlie Brown).
Und wer kann an dem Talent und der Weisheit dieses Vierbeiners zweifeln ... ;) ;D
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Barra am 17. Juli 2017, 08:17:05
Zitat von: Feuertraum am 16. Juli 2017, 18:32:58
Von daher ist es schwierig zu sagen, dass man lernen kann, wie der erste Satz geschrieben werden soll, weil eine Gruppe von Lesern anders reagiert als eine zweite.

Marie Louise Fischer soll einmal gesagt haben, sie schreibe bewusst langweilige erste und zweite und teilweise auch dritte Sätze, um dann aber mit einem Kontrast anzukommen, der den Leser weiter die Augen über die Buchstaben wandern lässt.


Obwohl ich gestehen muss: Es gibt einen ersten Satz, den selbst ich als den perfektesten ersten Satz aller Zeiten betrachte:
ZitatEs war eine dunkle und stürmische Nacht!
Snoopy (ja, der Beagle von Charlie Brown).
Und wer kann an dem Talent und der Weisheit dieses Vierbeiners zweifeln ... ;) ;D

Marie Louise Fischer hat also ähnlich gehandelt wie Sebastien de Castell (oder er wie sie).
Erst etwas trockenes (bewusst langweiliges - ich nannte es 'Geschwafel') bieten und dann einen Kontrast (das olle f-Wort). Nicht, dass der Eindruck entsteht, wenn ich Reizwörter lese, wäre ich Feuer und Flamme, oder es ginge mir nur um Erotik oder ähnliches. Nein es war ja eben der Reiz daran, dass nach einer Seite für mich langweiligem inneren Monolog und zu vielen 'man' damit die Handlung anfängt. Aus heiterem Himmel schwingt der Ton um.

Und ich gebe Feuertraum Recht. Auf jeden Fall sollte der erste Satz (und natürlich nicht nur der, sondern der gesamte vorherrschende Tonus) der Zielgruppe angepasst sein. Dann ist es auch in Ordnung wenn man mal ausbricht. Zum Beispiel indem ein Charakter sich gehen lässt. Sei es nun, weil ein Charakter auf unangebrachte flätige Weise spricht oder in die andere Richtung um Längen höflicher oder altbackener daher kommt. (Das "Sie f* schon wieder." wäre eine solche wörtliche Rede gewesen (Entschuldigung, hätte ich gleich dazu schreiben sollen, um korrekt zu zitieren.)

Stimmt, Snoopy werde ich natürlich nicht widersprechen.  8)
Und dieser so schlichte Satz bewirkt im weiteren auch 'nur': lies den zweiten Satz. Kein 'reißen', kein 'philosophieren', keine 'Personen'. Eine schlichte Beschreibung der örtlichen Umstände. Und darüber hinaus so neutral, man könnte ihn für sehr viele Arten von Zielgruppen und Genren benutzen.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Coppelia am 17. Juli 2017, 08:49:00
Berühmt ist ja auch der erste Satz von Homers Ilias. Natürlich entspricht er modernen Kriterien überhaupt nicht, und er setzt auch einiges an Hintergrundwissen voraus. Aber er ist ein kleines Wunderwerk (Übersetzung: Wolfgang Schadewaldt):

ZitatDen Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohn Achilleus,
den verderblichen, der zehntausend Schmerzen über die Achaier brachte
und viele kraftvolle Seelen dem Hades vorwarf
von Helden, sie selbst aber zur Beute schuf den Hunden
und den Vögeln, und es erfüllte sich des Zeus Ratschluss.

Das ist ein extrem irritierender und aufwühlender Einstieg. Der Anfang verspricht, dass große Gefühle im Vordergrund stehen - Zorn - und zwar von einem VIP der Heldenriege. Dieser Zorn wird als zerstörerisch mit all seinen schrecklichen Folgen angerissen. Und all das soll auch noch auf den Beschluss des höchsten Gottes zurückgehen? Das ist schon fast skandalös. Da muss man doch unbedingt wissen, wie all das zusammenhängt. Und es blieb ja auch sehr lange ein Klassiker. :)
Forscher gehen davon aus, dass die Ilias-Handlung tatsächlich von Homer erfunden wurde. Sie ist ja nicht identisch mit dem Sagenkreis um den Trojanischen Krieg, sondern nutzt ihn als Hintergrund. Also dürften die Hörer zu Homers Zeit eventuell wirklich noch nicht gewusst haben, wie die Zusammenhänge zwischen Zeus' Beschluss und Achills Zorn aussahen.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Trippelschritt am 17. Juli 2017, 12:03:56
Zitat
Von daher ist es schwierig zu sagen, dass man lernen kann, wie der erste Satz geschrieben werden soll, weil eine Gruppe von Lesern anders reagiert als eine zweite.

Doch man kann es lernen und es ist auch nicht so schwer. Es gibt viele Möglichkeiten und nicht jede Möglichkeit passt zu jedem Autor, zu jedem Genre oder zu jedem Text. Aber das macht nichts. Auch gibt es keine klare Zuordnung für eine bestimmte "Masche" und einen Autor, weil Autoren keine Maschen mögen. Aber viele Autoren haben das Ziel ihre Leser möglichst früh in ihren Text hineinzuziehen. Und oft reicht ein einziger Satz.
Man muss sich nur überlegen, wie man die Aufmerksamkeit eines Lesers einfangen kann. Und sollte einem nichts einfallen, kann man sich abschauen, wie andere Autoren es gemacht haben, wenn sie es gemacht haben. Und so etwas tun wir hier. Dass die Geschmäcker unterschiedlich sind, ist dabei kein Hindernis.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Fledermaus am 18. Juli 2017, 22:03:35
Ich mochte diesen ersten Satz:
ZitatDas ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu
Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.
Aus "Schlafes Bruder" von Robert Schneider. Ich glaube, dass mich dieser Satz so reingezogen hat, weil er eben das Ende schon vorwegnimmt. Und ich mich sofort gefragt habe, wie es denn dazu kommen wird ... Während dem Lesen habe ich trotz des ersten Satzes die ganze Zeit gehofft, dass er sich nicht bewahrheiten wird. Das Buch hat mich ganz schön durch die Mangel gedreht :gähn: Aber auf gute Art und Weise!

Ansonsten lege ich eigentlich recht wenig Wert auf erste Sätze. Mir ist eher das Gesamtbild der ersten paar Seiten wichtig. Wenn ich bei einem Buch nicht weiterlese, dann eigentlich immer erst nach den ersten 10-20 Seiten.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Sascha am 19. Juli 2017, 10:26:01
Angeregt durch die hier wieder aufgeflammte Diskussion hab ich mir gestern den Anfang von Kurt 3 noch mal angeschaut und festgestellt, daß
Zitat»Asterix ist der doofste Doofkopf überhaupt!«
nicht unbedingt der ideale Einstieg für einen Fantasy-Krimi ist.
Also hab ich noch was davorgesetzt:
ZitatTimo Wagners erste Gotteserfahrung begann mit seinem liebsten Comichelden – und einem Streit.
Ich glaube, das macht's besser, oder?
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Churke am 19. Juli 2017, 11:40:02
Der erste Satz kann alles sein und viele Funktionen erfüllen. Wichtig finde ich aber, dass er eine Atmosphäre erzeugt, die auf die Geschichte einstimmt. Davon hängt auch ab, ob Sachas 1. oder 2. Version besser ist...

Nachdem Coppelia Homer zitiert hat, bringe ich mal - faulerweise auf Englisch - den 1. Satz der "Res Gestae" von Ammianus Marcellinus:

ZitatAfter the survival of the events of an unendurable campaign, when the spirits of both parties, broken by the variety of their dangers and hardships, were still drooping, before the blare of the trumpets had ceased or the soldiers been assigned to their winter quarters, the gusts of raging Fortune brought new storms upon the commonwealth through the misdeeds, many and notorious, of Gallus Caesar.

Sprachgewaltig wirft er den Leser in einen Sumpf aus Krieg, Intrigen, Verbrechen und Staatsversagen. Die morbide Atmosphäre frisst sich ins Gemüt.

Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Barra am 19. Juli 2017, 21:08:35
Zitat von: Sascha am 19. Juli 2017, 10:26:01
Zitat»Asterix ist der doofste Doofkopf überhaupt!«

Also ich find jetzt absolut toll! Würde ich sofort große Augen bekommen und mich freuen, verspricht gute Unterhaltung. Ganz nach meinem Geschmack. Allerdings würde ich keinen Fantasy-Krimi erwarten dabei.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Araluen am 19. Juli 2017, 23:25:17
Ich habe mir gerade "Das Labyrinth der Lichter" von Carlos Ruiz Zafón gegriffen und mir den ersten Satz angesehen:
ZitatIn jener Nacht träumte ich, ich kehrte in den Friedhof der Vergessenen Bücher zurück.
Warum ich diesen Satz toll finde? Er ist für mich ein Versprechen und ein Wink heim an den warmen Kamin an einem gemütlichen Abend. "Das Labyrinth der Lichter" ist der vierte Band und Abschluss einer wunderbaren Buchreihe, auf die der Leser auch lange warten durfte. Daher wirkt dieser Einstieg auf mich umso stärker.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Sascha am 20. Juli 2017, 08:31:15
Zitat von: Barra am 19. Juli 2017, 21:08:35
Zitat von: Sascha am 19. Juli 2017, 10:26:01
Zitat»Asterix ist der doofste Doofkopf überhaupt!«

Also ich find jetzt absolut toll! Würde ich sofort große Augen bekommen und mich freuen, verspricht gute Unterhaltung. Ganz nach meinem Geschmack. Allerdings würde ich keinen Fantasy-Krimi erwarten dabei.
Und letzteres ist der Punkt. Da streiten sich zwei Kinder von 6 und 8 Jahren. Dieser Streit führt zu einem Unfall und dieser wiederum zu besagter "Gottes-Erfahrung", die allerdings dann auch anders daherkommt, als man bei dem Begriff meinen könnte. Aber wenn man mit dem Streit der Kinder um Asterix einsteigt, erwartet man eben keinen Fantasy-Krimi. Oder umgekehrt, wenn man mit der Erwartung "Fantasy-Krimi" ins erste Kapitel reinschaut und das so anfängt, könnte sehr gut ein "Was soll das denn?" die Folge sein. Und zwar ein verständnisloses, kein neugieriges.
Ich hoffe, dieser eine Satz davor macht neugierig genug und gibt dem Leser auch gleich einen Tip, warum hier so ein kindischer Streit geschildert wird und daß dieser durchaus seinen Sinn hat.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Gwendi am 23. September 2017, 13:34:46
Ich lege normalerweise beim Lesen keinen zu großen Wert auf erste Sätze oder Absätze. Jedoch gibt es einen ersten Satz der mir seit Jahren nicht mehr aus dem Kopf geht und den ich einfach fantastisch großartig finde:

ZitatDer Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.

Stephen King - Schwarz (Der Dunkle Turm)

Dieser erste Satz umreißt die Handlung, macht neugierig und wirft viele Fragen auf.

Ich finde es ist kein Muss, aber erste Sätze können viel wenn man sie nur lässt.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Désirée am 29. September 2017, 00:35:14
Ich habe erst angefangen, auf den ersten Satz zu achten, als mir die Wichtigkeit in den zahlreichen Schreibratgebern begegnet ist. 

Habe daher mal einige der Bücher aus dem Regal gefischt, die mich auf ihre Art begleitet / begeistert haben und meine Erinnerungen an Inhalt und Atmosphäre mit dem ersten Satz abgeglichen :) Am Einstieg kann man schon erahnen, wie Autoren ihr Buch sehen, finde ich, wenn sie dann versuchen, das wesentliche Gefühl bzw. die wesentliche Frage/Stimmung in den ersten Satz zu packen.

ZitatHeute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht. Ich werde alles so genau aufschreiben, wie es mir möglich ist.
Maren Haushofer - Die Wand
Das Buch und vor allem die Stimmung darin haben mich noch lange nach dem Lesen beschäftigt. Es geht um Grenzen in vierlei Hinsicht und die Protagonistin gibt ihr Bestes, um zu berichten, was für unerklärliche Dinge (mit) ihr geschehen. Aus den ersten beiden Sätzen deuten sich schon die Verzweiflung und Fassungslosigkeit an.

ZitatDie Tage waren damals länger, in jenem längst vergangenen Sommer an der See, und die Luft war milder und das Sonnenlicht goldener, dass sich flimmernd und flirrend auf einem blauen Meer brach.
Walter Satterthwait - Miss Lizzie
Neben der Geschichte ist mir bei diesem Buch vor allem die melancholische Atmosphäre im Gedächtnis geblieben. Wer kennt ihn nicht, den einen, besonderen Sommer(urlaub) in der Kindheit, an den man sich immer erinnern wird?

ZitatEs hat etwas seltsam Beruhigendes zu wissen, dass ich in Kürze sterben werde.
Sebastian Niedlich - Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
Erster Satz Prolog. Erster Satz 1. Kapitel: "Ich traf den Tod das erste Mal, als ich sieben Jahre alt war."
Beides funktioniert für mich, sofort bin ich in der Geschichte und möchte wissen, wie die Situation zu verstehen ist. Die Verbindung zum Tod macht es natürlich direkt brisant.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Fledermaus am 29. September 2017, 21:42:49
Zitat von: Désirée am 29. September 2017, 00:35:14
ZitatHeute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht. Ich werde alles so genau aufschreiben, wie es mir möglich ist.
Maren Haushofer - Die Wand
Das Buch und vor allem die Stimmung darin haben mich noch lange nach dem Lesen beschäftigt. Es geht um Grenzen in vierlei Hinsicht und die Protagonistin gibt ihr Bestes, um zu berichten, was für unerklärliche Dinge (mit) ihr geschehen. Aus den ersten beiden Sätzen deuten sich schon die Verzweiflung und Fassungslosigkeit an.
Oh, da möchte ich mich gerne voll und ganz anschließen! Auch, wenn die ersten beiden Sätze ja an sich recht "harmlos" klingen, ist doch im Subtext eine Art Resignation oder Verzweiflung zu "hören", die einen sofort ins Buch hineinzieht. "Die Wand" ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher, alleine beim Gedanken daran kriege ich Gänsehaut.
Die anderen beiden Bücher, die du zitiert hast, kenne ich nicht. Aber die ersten Sätze ziehen mich auch sofort an, ich habe mir beide gleich mal gespeichert.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: Impericus am 31. Oktober 2017, 11:27:46
Hier sind schon viele gute erste Sätze dabei.
Besonders gefallen hat mir Trippelschrifts:

"The island of Gont, a single mountain that lifts its peak a mile above the storm-recked Northeast Sea, is a land famous for wizards.
aus Ursula LeGuin: A Wizard of Earthsea 1968"

Einige andere sind sehr gut, aber ich glaube, wir alle legen bereits die Emotionen des gesamten Buches auf den ersten Satz, weil wir wissen, was folgt.  :buch:
Hier einige meiner ersten Sätze:

"Everything starts somewhere, although many physicists disagree." Terry Pratchett - Hogfather
Fast alle ersten Sätze von Pratchett werden etwas Besonderes sein. :)

"I, Lucifer, Fallen Angel, Prince of Darkness, Bringer of Light, Ruler of Hell, Lord of the Flies, Father of Lies, Apostate Supreme, Tempter of Mankind, Old Serpent, Prince of This World, Seducer, Accuser, Tormentor, Blasphemer, and without doubt Best Fuck in the Seen and Unseen Universe (ask Eve, that minx) have decided - oo-la-la! - to tell all." Glen Duncan - I, Lucifer
Sagt schon fast alles und doch nichts. Duncan ist Meister der Aufzählung und hat einen enormen Wortschatz, zugleich jedoch beschreibt er den Teufel so lebensecht, dass ich zuweilen um seine Seele fürchte ;)

Genial für mich war auch die erste Seite aus Patrick Rothfuss, Name des Windes. A silence in three parts ist für mich ein unheimlich stimmiger Einstieg in einen Fantasy Roman, wobei es nur mit einer alten Taverne beginnt. Rothfuss vermag dort schon so viel Atmosphäre zu erschaffen (mit so wenig) dass ich direkt gefangen war.
Leider vermochte der Band dort nicht immer gänzlich anzuknüpfen, aber das... ist eine andere Geschichte. Folgt unten, ist aber natürlich mehr als ein Satz:

A Silence of Three Parts

IT WAS NIGHT AGAIN. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts.

The most obvious part was a hollow, echoing quiet, made by things that were lacking. If there had been a wind it would have sighed through the trees, set the inn's sign creaking on its hooks, and brushed the silence down the road like trailing autumn leaves. If there had been a crowd, even a handful of men inside the inn, they would have filled the silence with conversation and laughter, the clatter and clamor one expects from a drinking house during the dark hours of night. If there had been music...but no, of course there was no music. In fact there were none of these things, and so the silence remained.

Inside the Waystone a pair of men huddled at one corner of the bar. They drank with quiet determination, avoiding serious discussions of troubling news. In doing this they added a small, sullen silence to the larger, hollow one. It made an alloy of sorts, a counterpoint.

The third silence was not an easy thing to notice. If you listened for an hour, you might begin to feel it in the wooden floor underfoot and in the rough, splintering barrels behind the bar. It was in the weight of the black stone hearth that held the heat of a long dead fire. It was in the slow back and forth of a white linen cloth rubbing along the grain of the bar. And it was in the hands of the man who stood there, polishing a stretch of mahogany that already gleamed in the lamplight.

The man had true-red hair, red as flame. His eyes were dark and distant, and he moved with the subtle certainty that comes from knowing many things.

The Waystone was his, just as the third silence was his. This was appropriate, as it was the greatest silence of the three, wrapping the others inside itself. It was deep and wide as autumn's ending. It was heavy as a great river-smooth stone. It was the patient, cut-flower sound of a man who is waiting to die.
Titel: Re: Der berühmte erste Satz
Beitrag von: TheaEvanda am 03. November 2017, 23:06:03
Die Einleitung zum Namen des Windes ist grossartig, der darauf folgende Text längt extrem.


Mein Lieblingsanfang befindet sich eigentlich schon in der Mitte eines Romans, aber da die vorhergehende Geschichte eine Rahmenerzählung darstellt, halte ich meine Entscheidung trotzdem für zulässig.
ZitatI was born in the village of Gara, which no longer exists.
(Ich wurde im Dorf Gara geboren, welches es nicht mehr gibt.)


Das ist aus David Eddings, Belgarath the Sorcerer. Die Rahmenhandlung hätte er sich wirklich sparen können.